Teil C: Fälle für Prüfungskandidaten - E

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Teil C: Fälle für Prüfungskandidaten - E
Teil C: Fälle für Prüfungskandidaten
Inhaltsverzeichnis
Teil C: Fälle für Prüfungskandidaten.......................................................... 1
Fall 22 .............................................................................................. 3
Fall 23 .............................................................................................. 7
Fall 24 ............................................................................................ 10
Fall 25 ............................................................................................ 13
Fall 26 ............................................................................................ 16
Fall 27 ............................................................................................ 20
Fall 28 ............................................................................................ 25
Fall 29 ............................................................................................ 29
Fall 30 ............................................................................................ 32
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Fall 22
A. Sachverhalt
Der Antiquitätenhändler Anton ist Eigentümer der Liegenschaften EZ
1 und 2, zwischen deren Grenze der Mühlbach verläuft. Er will zwischen
den Liegenschaften eine Brücke errichten lassen und nimmt zur Finanzierung dieses Projekts ua einen Kredit bei der Blank-Bank in der Höhe von
S 200.000,– auf. Zur Sicherung dieses Kredits verpfändet Anton der Bank
(wirksam) ein Lager, in dem sich Antiquitäten befinden, für die Anton in
seinem Geschäft keinen Platz hat. Als eines Tages Xaver eine Jugendstilvitrine kaufen möchte, führt ihn Anton zum Lager und zeigt ihm durch
das Fenster eine prachtvolle Vitrine. Dabei erklärt er, daß er den Schlüssel
zum Lager verlegt habe. Xaver ist von der Vitrine so begeistert, daß er sie
auf der Stelle um S 200.000,– kauft. Am nächsten Tag lockt Anton der
Bank unter dem Vorwand, ein weiteres Möbelstück in das Lager stellen zu
müssen, den Schlüssel heraus, und übergibt Xaver, dem die Sache inzwischen verdächtig vorkommt, die Vitrine. Die Blank-Bank erfährt dies erst
später durch einen Zufall.
Mit der Errichtung der Brücke wird der Baumeister Carlo beauftragt.
Es wird vereinbart, daß sich Carlo das Eigentum an den zu verwendenden
Materialien bis zur vollständigen Zahlung des Entgelts vorbehält und daß
Anton die statischen Berechnungen selbst durchführen läßt. Dies besorgt
der Ziviltechniker Daniel, ein guter Bekannter von Anton, der kein Honorar verlangt, sondern Anton die Pläne „zum Geburtstag“ schenkt. Nach
der wasserrechtlichen Bewilligung beginnt Carlo mit dem Bau der
Brücke. Dies wird von Erich, dem Eigentümer eines Fischteiches, in den
der Mühlbach fließt, mit großer Sorge beobachtet. Er befürchtet, daß die
mit dem Bau möglicherweise verbundene Verunreinigung des Wassers zu
einer Beeinträchtigung seiner Fische führen könnte. Um Beweismaterial
zu sammeln, begibt er sich zur Baustelle und entnimmt Wasserproben, die
allerdings keinen Hinweis auf eine Veränderung der Wasserstruktur ergeben. Anton reagiert darauf mit einem Schreiben an Erich, in dem er ihn
auffordert, binnen 14 Tagen „mittels beiliegendem Erlagschein S 1.000,–
an die Freiwillige Feuerwehr Mühlbachdorf zu überweisen, widrigenfalls
die Besitzstörung gerichtlich geahndet würde“. Erich zahlt den Betrag
ein. Löscher, der Obmann der Freiwilligen Feuerwehr, ist von Antons Aktion informiert. Er findet dessen Vorgangsweise zwar nicht sehr fein, ist
aber schließlich der Meinung, daß der Zweck die Mittel heilige und
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Fälle für Prüfungskandidaten
nimmt die Spende, die auf dem besonders gekennzeichneten Erlagschein
eingeht, entgegen.
Im Juli 2000 wird die Brücke fertiggestellt, doch bilden sich infolge
eines Berechnungsfehlers von Daniel schon bald so starke Risse, daß sie
unbenützbar wird. Anton weigert sich deshalb, das vereinbarte Entgelt zu
leisten, worauf Carlo unter Berufung auf den Eigentumsvorbehalt
androht, die Brücke abtragen zu lassen. Ungefähr zur gleichen Zeit meldet sich Erich. Infolge der mit den Bauarbeiten verbundenen – unvorhersehbar starken – Schlammaufwühlung sind im Teich Forellenbrütlinge im
Wert von S 15.000,– eingegangen.
In der Zwischenzeit ist auch der Kredit der Blank-Bank zur Rückzahlung fällig, doch ist Anton dazu nicht in der Lage. Seine Frau Fiona ist den
dauernden Aufregungen nicht gewachsen und stirbt am 2. 9. 2000 an Herzversagen. Sie hinterläßt folgende eigenhändig ge- und unterschriebene Verfügung vom 10. 1. 2000: „Ich setze meine Tochter Tanja zur Universalerbin
ein. Mein Sohn Sascha erhält ein Viertel meines Vermögens als Pflichtteil, muß sich auf diesen aber sämtliche Unterhaltsleistungen (bis dato
S 1,2 Mio), die ich bis zu meinem Ableben an ihn erbracht habe, anrechnen
lassen; außerdem muß er mein Grab pflegen. Meinem Mann vermache ich
die Bilder A und B. Weitere Anordnungen werde ich bei meinem Anwalt
deponieren“.
Dem Verlassenschaftsgericht stellt sich die Situation nach Fionas Tod
folgendermaßen dar: Tanja ist bereits im März 2000 verstorben. Die Bilder A und B gehörten ihr, wobei ihr das Bild B erst eine Woche vor ihrem
Tod von Fiona geschenkt worden war. Im August 2000 wurde Tanjas
Nachlaß ihrer unehelichen Tochter Julia eingeantwortet. Fionas Anwalt
legt dem Verlassenschaftsgericht ein verschlossenes Kuvert vor, in dem
sich ein maschingeschriebenes und von Fiona unterschriebenes Dokument befindet, in dem sie ihrem Mann ein weiteres Gemälde (C) vermacht.
Wie ist die Rechtslage?
B. Rechtliche Beurteilung
I. Pfandrecht (Bank gegen Xaver auf Zahlung von S 200.000,–)
Pfandrecht durch Rückstellung des Schlüssels erloschen (§ 467),
daher derivativer lastenfreier Erwerb und kein Anspruch. Frage des ori4
Fall 22
ginären Erwerbs (der wegen Erfordernis der Gutgläubigkeit auch im Zeitpunkt der Übergabe problematisch wäre) stellt sich daher nicht.
II. Fischteich (Erich gegen Anton auf Zahlung von S 15.000,–)
§ 364 a per analogiam, Anspruch daher zu bejahen (vgl JBl 1993,
653).
III. Besitzstörung
1. Erich gegen Feuerwehr (Rückzahlung)
Schenkung gem § 875 (Drohung, von der Löscher wußte) anfechtbar.
Kondiktion nach § 877.
2. Anton gegen Erich (Besitzstörung)
30-tägige Frist (§ 454 ZPO) verstrichen (Besitzstörung und Kenntnis
davon vor Juli 1997).
IV. Brückenbau
1. Carlo gegen Anton (Werklohn, Eigentumsvorbehalt)
– Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrages unberechtigt: kein Gewährleistungsanspruch, da Anweisung unrichtig war (Daniel wird
zugerechnet) und Warnpflicht (anscheinend) nicht schuldhaft verletzt (§ 1168 a). Anspruch daher zu bejahen.
– Eigentumsvorbehalt erloschen (Brücke ist unselbständiger Bestandteil der Liegenschaften).
2. Anton gegen Daniel (Gewährleistung und Schadenersatz)
– Kein Gewährleistungsanspruch (vgl § 917 und Überschrift: §§ 918
ff nur bei entgeltlichen Geschäften)
– Mangelfolgeschaden (Anton muß als Folge der mangelhaften Berechnung den Werklohn zahlen, ohne davon „etwas zu haben“) ist
reiner Vermögensschaden und daher von Daniel – da er nicht
„gegen Belohnung“ tätig war – nicht zu ersetzen (vgl § 1300).
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Fälle für Prüfungskandidaten
V. Erbrecht
1. Erbfolge
Julia ist Universalerbin (§ 779 Abs 1: „stillschweigende Ersatzerbschaft“).
2. Legate
– Bild A: Vermächtnis einer Sache, die dem Erben gehört, wirksam
(§ 662).
– Bild B: Gehört zwar ebenfalls dem Erben, wurde ihm aber vom Erblasser nach Errichtung des Legats geschenkt (§ 724: vermuteter Widerruf).
– Bild C: „Eine Verfügung des Erblassers durch Beziehung auf einen
Zettel oder auf einen Aufsatz ist nur dann von Wirkung, wenn ein
solcher Aufsatz mit allen zur Gültigkeit einer letzten Willenserklärung nötigen Erfordernissen versehen ist“ (§ 582: „testamentum
mysticum“). Hier fehlt die Form, Legat daher unwirksam.
3. Pflichtteile
Anrechnung anderer als der im Gesetz erwähnten Posten und Auflagen können in bezug auf den Pflichtteil nicht verfügt werden (muß gem
§ 774 „ganz frei“ bleiben). Sascha hat daher die Wahl: gesetzlicher
Pflichtteil (1/6) ohne Belastung (Anrechnung und Grabpflege) oder 1/4
mit Belastung (= Socinische Kautel). Julias Pflichtteil durch Erbseinsetzung gedeckt (es sei denn, daß ihr Pflichtteil nach dem Viertel für Sascha
und Antons Legat nicht mehr „frei“ ist). Anton muß sich das Legat in den
Pflichtteil einrechnen lassen (§ 787 Abs 1).
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Fall 23
A. Sachverhalt
Anton Habitans hat sich vom Tischler Hobel eine Küche für seine
Wohnung anfertigen lassen, in der er mit seiner Freundin Berta und dem
gemeinsamen 16-jährigen Sohn Clemens lebt. Einbau und Rechnungslegung erfolgten im Oktober 1997. Im April 1998 bricht in Hobels Betrieb
ein Feuer aus, das durch den Fabrikationsfehler einer Schleifmaschine
ausgelöst wurde (zu starker Funkenflug). Diese hatte Hobel Ende März
1998 von dem in Deutschland ansässigen Hersteller Schleifmann unter
Eigentumsvorbehalt mit einer Zahlungsfrist von 36 Monaten gekauft. Der
Fabrikationsfehler ist in der Fabrik Schleifmanns wegen einer schweren
Schlamperei übersehen worden. Hobel zieht sich bei dem Versuch, das
Feuer zu löschen, leichte Verletzungen zu. Sein Haus und sämtliche Geschäftsunterlagen werden ein Raub der Flammen.
Hobel verständigt sofort die X-Versicherungs-AG von dem Schadensfall, bei der er für sein Haus eine Feuerversicherung abgeschlossen hat.
Die Versicherungssumme (S 2 Mio) wird an Schleifmann ausbezahlt, weil
dieser der X-AG (wahrheitsgemäß) erklärt, daß ihm Hobel S 2 Mio aus
fälligen Forderungen für gelieferte Arbeitsmaschinen schulde und ihm
dafür ein Pfandrecht in der Höhe von S 2 Mio auf Hobels Liegenschaft
einverleibt wurde. In der Folge verlangt Hobel von Schleifmann die Herausgabe der Versicherungssumme, wozu dieser nicht bereit ist.
Auch Anton erfährt von Hobels Unglück. Es kommt ihm allerdings
nicht ganz ungelegen, weil er gerade einen finanziellen Engpaß hat und
hofft, daß Hobel in der allgemeinen Wirrnis auf seinen Werklohn vergißt.
Tatsächlich entsinnt sich Hobel erst im November 2000. Er ruft Anton sofort an und konfrontiert ihn mit der offenen Werklohnforderung. Irrtümlich nennt er dabei einen falschen Liefertermin (Dezember 1997) und
einen falschen Betrag (S 90.000,– statt S 80.000,–). Auch Antons Erinnerung nach erfolgte die Lieferung im Dezember 1997, er bestreitet aber die
Höhe der Forderung. Seiner Meinung nach ist er Hobel nur S 80.000,–
schuldig. Hobel besteht aber darauf, von Anton S 90.000,– zu bekommen.
Schließlich einigen sie sich auf S 85.000,–. Anton überweist sofort diesen
Betrag. Als er am selben Tag den Zahlungsbeleg ablegt, findet er Hobels
Rechnung vom Oktober 1997. Er ruft Hobel sofort an und konfrontiert ihn
mit diesem Umstand.
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Fälle für Prüfungskandidaten
Einige Wochen später stirbt Anton. Kurz vorher hatte er Berta geheiratet. Er hinterläßt eine Verfügung, in der er Berta mit der Begründung
enterbt, daß sie trotz der schließlich erfolgten Heirat nie seine Vaterrolle
gegenüber Clemens akzeptiert habe, nur weil er die Vaterschaft zu diesem
nicht „offiziell“ anerkennen wollte. Außer Berta und Clemens hinterläßt
Anton nur die Großtante Dora, welche im Verlassenschaftsverfahren Anspruch auf Antons altdeutsche Schlafzimmereinrichtung erhebt, die zwar
in der ehelichen Wohnung verwendet worden sei, aber von ihrer, Doras,
Familie herstamme. Anton habe die Möbel von seinen Eltern und diese sie
von ihren Großeltern geerbt. Auch Berta und Clemens beteiligen sich am
Verlassenschaftsverfahren. Clemens macht neben seinem Erbteil Unterhaltsansprüche gegen die Verlassenschaft geltend. Außerdem klagt er den
Nachlaß auf Feststellung der Vaterschaft Antons.
Wie ist die Rechtslage?
Anmerkung: Beurteilen Sie den Sachverhalt auch dann nach österreichischem Recht, wenn Sie zu dem Ergebnis kommen sollten, daß dieses auf ausländisches Recht verweist!
B. Rechtliche Beurteilung
I. Brand (Hobel gegen Schleifmann)
1. Fehlerhafte Schleifmaschine
UN-K anwendbar (Art 1 Abs 1 lit a).
a) „Leistungsstörung“
Art 25 (wesentliche Vertragsverletzung); Art 40 (grobe Fahrlässigkeit
des Verkäufers, Rüge nicht erforderlich); Untergang unbeachtlich (Art 82
Abs 2 lit a)
– Ersatzlieferung (Art 46 Abs 2).
– Vertragsaufhebung (Art 49 Abs 1 lit a).
b) Schadenersatz
– Personenschaden: nach Art 5 UN-K ausgeschlossen; daher § 36
IPRG (deutsches Recht), nach österreichischem Recht Vertragshaftung und PHG.
– Sachschaden: Art 74 (Vorhersehbarkeit), Befreiung nach Art 79
Abs 1 nicht gegeben (Hinderungsgrund im eigenen Einflußbereich).
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Fall 23
Gem § 67 VersVG geht der Anspruch mit Auszahlung der Versicherungssumme auf die X-AG über (siehe aber unten 2).
2. Versicherungssumme
Pfandrechtswandlung (vgl § 100 VersVG): Schleifmanns Pfandrecht
bezieht sich nun auf die Forderung gegen den Versicherer (X-AG) auf
Auszahlung der Versicherungssumme; allerdings fraglich, ob dieser (ohne
mit Pfandrechtsklage belangt worden zu sein) schuldbefreiend an Schleifmann geleistet hat, so daß der Schadenersatzanspruch gegen Schleifmann
(oben 1.b) gem § 67 VersVG übergeht. Nimmt man an, daß X durch Auszahlung der Versicherungssumme Schleifmanns (pfandgesicherte) Forderungen gegen Hobel erfüllt hat, so steht X gegen Hobel ein Anspruch nach
§ 1042 zu. Durch Befriedigung der Forderungen erlischt auch das Pfandrecht am Anspruch auf die Versicherungssumme, so daß Hobel nun zwar
gegen X vorgehen, dieser aber den Anspruch nach § 1042 compensando
einwenden kann. Gegen Schleifmann hat Hobel allenfalls einen Verwendungsanspruch (§ 1041), Schleifmann ist aber nicht bereichert.
II. Kücheneinrichtung
Vergleich; Irrtum über die Vergleichsgrundlage (Lieferung nicht im
Dezember, sondern im Oktober 1997; Werklohnanspruch daher verjährt,
§ 1486 Z 1) rechtzeitig aufgeklärt. Trotz Leistung keine Naturalobligation
erfüllt (Verjährung), weil aus dem Vergleich geleistet (neuer Titel), daher
kondizierbar (§ 877).
III. Erbrecht
Clemens trotz Legimitation nicht erbberechtigt (§ 730 Abs 2), aber
unterhaltsberechtigt (§ 142 iVm § 164 d).
Berta zu Unrecht enterbt, aber stillschweigend vom gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen; Schlafzimmereinrichtung steht ihr zu (§ 758).
Dora nicht erbberechtigt (außerhalb der Erbrechtsgrenze).
Daher Kaduzität (Berta kann sich nicht auf außerordentliches Erbrecht der Vermächtnisnehmer berufen, weil § 726 für gesetzliches Vorausvermächtnis nicht gilt).
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Fall 24
A. Sachverhalt
Anton verkauft und übergibt Berta 100 t Zucker im Wert von S 1 Mio.
Sie vereinbaren, daß das Eigentum am Zucker und an den durch seine
Verarbeitung erzeugten Produkten erst nach vollständiger Begleichung
aller Forderungen aus ihrer Geschäftsverbindung übergeht. Vor diesem
Zeitpunkt darf Berta keine Veräußerung vornehmen. Berta verarbeitet den
Zucker zu Würfelzucker (Wert: S 2 Mio) und verkauft 75 t (Wert: S 1,5
Mio) an den Großhändler Clemens. Zuvor hatte Berta den Würfelzucker
in 500 dag Kartons verpackt, die ihre Firmenbezeichnung tragen. Aus
einem früheren Geschäft schuldet Berta dem Anton noch S 2,5 Mio. Diese
und die Forderungen aus dem Zuckerverkauf wurden am 20. 1. 2001 fällig; bisher erfolgte noch keine Zahlung. Anton verlangt daher den Zucker
zurück.
Als Clemens acht Monate nach Übergabe den Würfelzucker an seine
Filialen ausliefern will, stellt er fest, daß die Verpackung (Hersteller VGmbH) einen giftigen Farbstoff enthält, durch den der Würfelzucker ungenießbar wird. Weil dies an die Öffentlichkeit dringt, verzeichnet Clemens einen Rückgang seines Absatzes (Gewinnentgang: S 500.000,–).
Um diesen Verlust zu überbrücken, verkauft Clemens am 12. 2. 2001
einen zu seinem Firmengelände gehörenden Lagerplatz an Dora. Schon
kurz nach der Übergabe stellen Doras Arbeiter anläßlich der Verlegung
eines Rohres fest, daß der Boden mit einer übelriechenden Flüssigkeit
durchtränkt ist. Doras Nachforschungen ergeben, daß Clemens Giftfässer
vergraben hatte, die mittlerweile durchgerostet sind. Als ihm Dora dies
vorhält, gewährt Clemens einen Preisnachlaß in der Höhe von
S 300.000,–. In der Folge stellt Clemens allerdings fest, daß der Lagerplatz im sogenannten „Altlastenatlas“ aufscheint, der im zuständigen
Bundesministerium und in den Ämtern der Landesregierungen zur öffentlichen Einsicht aufliegt. Als Clemens auch noch vom Bund, der in der
Zwischenzeit die Altlast saniert und sämtliche Beeinträchtigungen der
Grundstücksnutzung beseitigt hat, nach § 18 Abs 2 AltlastensanierungsG
zum Kostenersatz verhalten wird, verlangt er von Dora die als Preisnachlaß gewährten S 300.000,– wieder zurück.
Wie ist die Rechtslage?
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Fall 24
B. Rechtliche Beurteilung
I. Sachenrecht
1. A gegen B
a) auf Zahlung des Kaufpreises und S 2,5 Mio
Fälligkeit gegeben; Anspruch besteht daher; fraglich aber, inwieweit
gesichert (dazu b).
b) auf Herausgabe des Würfelzuckers
Nur der Kaufpreis ist gesichert (bezügl S 2,5 Mio erweiterter Eigentumsvorbehalt). Herausgabeanspruch bezüglich der noch vorhandenen
25 t im Wert von S 500.000,– setzt Rücktritt voraus. Trotz Art 8 Nr. 21
4. EVHGB (kein Rücktritt bei Übergabe der Ware unter Stundung des
Kaufpreises) zulässig, weil im Eigentumsvorbehalt stillschweigende Vereinbarung eines Rücktrittsrechts liegt (Herausforderung = stillschweigende Ausübung).
c) auf Leistung von S 500.000,– (Differenz auf S 1 Mio) aus Bereicherung und Schadenersatz
Anspruch besteht, ist aber überflüssig, weil sich A ohnedies auf Kaufpreisanspruch stützen kann.
2. A gegen C auf Herausgabe des Würfelzuckers
Hängt vom Eigentumserwerb des C ab, daher zunächst Eigentum des
Veräußerers (B) prüfen: Unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Ware wurde
verarbeitet. Rechtsfolgen richten sich primär nach Vereinbarung, die sich
hier auch auf die verarbeitete Ware bezieht. Soweit deren Wert die zu sichernde Forderung übersteigt (hier um S 1 Mio = 50 t Würfelzucker),
liegt nach hM Sicherungsübereignung vor, welche eines Modus bedarf,
der hier fehlt, dh von den 100 t Würfelzucker gehörten 50 t A und 50 t B
(Quantitätseigentum). 50 t konnte B dem C somit derivativ verschaffen,
die restlichen 25 t originär. Da guter Glaube in bezug auf Verfügungsbefugnis reicht (§ 366 HGB), kein Herausgabeanspruch.
II. Schuldrecht
1. C gegen B
a) auf S 1,5 Mio (verdorbene Ware)
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Fälle für Prüfungskandidaten
Gewährleistungsfrist abgelaufen (§ 933), keine Irrtumsanfechtung
(Gattungsschuld). Haftung nach PHG (B ist Scheinhersteller, § 3) zu verneinen, da Verpackung und Zucker nach der Verkehrsauffassung nicht
zwei verschiedene Produkte; spielt allerdings wegen § 2 Z 1 PHG nur für
Schadenersatzansprüche von Verbrauchern eine Rolle). Haftung nach
ABGB zu bejahen (Schadenersatz statt Gewährleistung; wenn Zucker erst
nach Übergabe vergiftet: Haftung für Mangelfolgeschaden, § 1298).
b) auf S 500.000,– (Umsatzrückgang)
Nach PHG zu verneinen (§ 2 Z 1; außerdem reiner Vermögensschaden nicht ersatzfähig); nach ABGB zu bejahen (Mangelfolgeschaden).
2. C gegen V-GmbH
a) auf S 1,5 Mio
PHG: keine Haftung (siehe oben).
ABGB: Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (problematisch).
b) auf S 500.000,–
PHG: siehe oben.
ABGB: keine Haftung aufgrund Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, weil sich dieser nach hA nicht auf reine Vermögensschäden
bezieht.
III. AltlastensanierungsG
Kein Gewährleistungsausschluß nach § 928 (Altlastenatlas ist kein
„öffentliches Buch“ iS dieser Bestimmung). Problem: Liegenschaft war
im Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft, später ist der Mangel mittelbar
auf Kosten des C behoben worden, der daher zweimal „gezahlt“ hat.
Daher wohl gem § 1435 Kondiktion auf die S 300.000,– (der Rechtsgrund, sie zu behalten, hat „aufgehört“).
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Fall 25
A. Sachverhalt
Viktor Vogel hat von seinem Schwiegervater ein 1993 (unter Zuhilfenahme öffentlicher Mittel) errichtetes Zinshaus mit Inventar geerbt. Der
Schwiegervater hat in seinem Testament angeordnet, daß das Haus mit Inventar an seine Tochter Elfi falle, wenn die Ehe zwischen ihr und Viktor
geschieden werden sollte, ohne daß Elfi daran ein Verschulden trifft. Viktor verkauft das Inventar, zu dem wertvolle altdeutsche Vitrinen gehören,
an den Altwarenhändler Abraham. Die Wohnungen des Hauses vermietet
er um einen monatlichen Zins von je zehn Schilling an Elfi. Am 30. 1.
1998 schließt Elfi mit Max Meier einen schriftlichen Mietvertrag, der folgende Klausel enthält: „Das Mietverhältnis endet nach 3 Jahren, unter
vorheriger einwöchiger Aufkündigung“.
Nachdem Max mit seiner Frau Franzi und seinen Kindern Kurti und
Tanja in die Wohnung eingezogen ist, beauftragt er das Tischlereiunternehmen Holzwurm mit der Maßanfertigung eines Schrankverbaus für das
Vorzimmer. Bei der Unterfertigung der „Auftragsbestätigung“ sagt
Holzwurm Max ein Skonto von 5 % bei Barzahlung innerhalb von drei
Tagen ab Rechnungslegung zu. Die „Auftragsbestätigung“ sieht allerdings nur ein Skonto von 3 % vor und erklärt mündliche Abweichungen
von der „Auftragsbestätigung“ für unwirksam.
Zwischen Viktor und Elfi kommt es zu unüberwindlichen Differenzen, weil Elfi unbedingt ein Kind haben möchte, Viktor sich aber mit der
Begründung sterilisieren läßt, daß er schon ein Kind aus erster Ehe habe
und ihm „das reiche“. Elfi reicht daraufhin die Scheidung ein. Im Scheidungsverfahren kommt es zu einem Räumungsvergleich hinsichtlich der
an Max vermieteten Wohnung. Max wird daraufhin aufgefordert, die
Wohnung zu verlassen. Als sich Max weigert, wird ihm am 15. 1. 2001
eine gerichtliche Aufkündigung zum 30. 1. 2001 zugestellt. Kurz darauf
stirbt Max. Als sich einige Tage nach der Einantwortung seines Nachlasses Holzwurm bei Franzi meldet, um einen Termin für den Einbau des
endlich fertiggestellten Vorzimmerverbaus auszumachen, erklären ihm
der 18-jährige Kurti und Franzi, daß die Sache hinfällig sei, weil es unsicher sei, ob sie überhaupt in der Wohnung bleiben können. Holzwurm
verlangt den vollen Preis (inklusive Montagekosten) ohne Skonto.
Max hinterläßt ein Aktivvermögen von S 1,5 Mio und Schulden in der
Höhe von S 300.000,–. Er hatte seinen Sohn Kurti zum Universalerben
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Fälle für Prüfungskandidaten
eingesetzt. Tanja verlangt S 600.000,– als Pflichtteil und verweist auf
einen Erbverzicht von Franzi und einen Pflichtteilsverzicht von Kurti.
Wie ist die Rechtslage?
B. Rechtliche Beurteilung
I. Erbrecht
1. Nach Max
a) Erbfolge
Kurti ist Universalerbe.
b) Pflichtteilsansprüche
Franzi wegen Erbverzichts nicht pflichtteilsberechtigt und bei der
Ausmessung der Pflichtteile nicht zu berücksichtigen (§ 767 Abs 1).
Pflichtteilsanspruch von Tanja daher 1/4 = S 300.000,– (nicht S 600.000,–
= 1/2, weil § 767 Abs 1 für Pflichtteilsverzicht nicht gilt).
2. Nach Vogel
Nacherbfall eingetreten: § 48 EheG.
Schadenersatzanspruch gegen Vogel (bezüglich Veräußerung des Inventars) wegen substitutionswidriger Verfügung (strittig).
II. Mietrecht (Räumungsanspruch)
MRG zur Gänze anwendbar (vgl § 1 Abs 4).
1. Wegen Räumungsvergleichs
Räumungstitel wirkt auch gegen Untermieter; hier gilt allerdings § 2
Abs 3 MRG (Scheinuntermiete): Max wird Hauptmieter: Franzi, Kurti
und Tanja sind eintrittsberechtigt (§ 14 MRG); kein Räumungsanspruch.
2. Wegen Befristung
Kein Räumungsanspruch, weil Befristung gemäß § 29 Abs 1 lit 3 c
MRG nur wirksam, wenn vereinbart wird, daß der Mietvertrag ohne Kündigung erlischt. Hier daher unbefristete Hauptmiete.
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Fall 25
III. Werkvertrag (Werklohnanspruch)
1. „Hinfälligkeit“
Aus § 1168 folgt, daß der Werkbesteller jederzeit zurücktreten kann.
Werkunternehmer behält seinen Werklohnanspruch, muß sich aber anrechnen lassen, was er infolge Unterbleibens der Arbeit erspart oder durch
anderweitige Verwendung erworben hat. Holzwurm hat daher Anspruch
auf Werklohn ohne Montagekosten.
2. Skonto
§ 864 a: es gilt daher ein Skonto von 5 %.
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Fall 26
A. Sachverhalt
Der österreichische Schlauchbootfabrikant Fridolin möchte seinen
Lebensabend auf See verbringen und schreibt daher im Herbst 2000 den
in Argentinien geborenen und in Bregenz ansässigen Schweizer Schiffskonstrukteur Carlos auf Geschäftspapier an, ob dieser ihm nicht „zu Repräsentationszwecken“ die in Dubrovnik vor Anker liegende Segeljacht
„Isabella“ verkaufen will. Carlos ist damit einverstanden. Der Vertrag
wird in Liechtenstein abgeschlossen, Fridolin zahlt die Hälfte des Kaufpreises, die andere Hälfte soll am 1. November 2000 bei der Übergabe in
Dubrovnik geleistet werden. Fridolin wartet an diesem Tag aber vergeblich auf Carlos, weil dieser auf dem Weg nach Dubrovnik überfallen und
verletzt worden ist. Kurze Zeit später wird „Isabella“ von Unbekannten
gesprengt und geht unter. Als Fridolin davon erfährt, möchte er – um wenigstens irgendein Boot zu haben – den in Budapest abgeschlossenen
Tausch seiner auf ungarischer Seite des Neusiedlersees liegenden Segeljolle „Mariella“ gegen die in der Nähe des Plattensees befindliche Jagdhütte des ungarischen Bootsvermieters Antal rückgängig machen.
Fridolin stirbt Ende November 2000. Er war in zweiter Ehe mit Marlene verheiratet. Die beiden wohnten in einer Eigentumswohnung, die
Fridolin seiner geschiedenen Frau Helena unter Vorbehalt eines lebenslänglichen Fruchtgenußrechts im Zuge einer Unterhaltsvereinbarung
überlassen hatte. Die Ehe zwischen Fridolin und Helena war im August
1997 geschieden worden. Es entstammt ihr die am 3. Jänner 1998 geborene Klara, der gegenüber Fridolin im Dezember 1998 ein Besuchsrecht erwirkt hatte. Helena war der Meinung, daß Klara ihren Vater nicht sehen
sollte, und vereitelte daher von Anfang an die Ausübung des Besuchsrechts. Kurz vor seinem Tod hatte Fridolin Marlene – weil sie ihn nicht
mehr liebe – enterbt, und seinen ebenfalls aus erster Ehe stammenden
Sohn Alfredo abgewiesen, als dieser ihm eröffnete, daß er Geld brauche,
weil er – wie angekündigt – in Las Vegas seine mexikanische Jugendfreundin geheiratet habe. Fridolin hatte zwar gegen die Verbindung nichts
einzuwenden, bestand aber auf einer neuerlichen Heirat in Österreich,
weil die erfolgte Eheschließung sonst nicht gelte. Alfredo war anderer
Meinung und brachte im Oktober 2000 eine Klage gegen seinen Vater ein.
Marlene steht nach dem Tod ihres Mannes mittellos da. Sie muß daher
sogar auf den Eintritt in die Hauptmietrechte ihres verstorbenen Mannes
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Fall 26
an einer dem MRG unterliegenden Wohnung verzichten, die zuletzt ebenfalls (neben der Helena überlassenen Wohnung) als Ehewohnung diente.
Sie fordert aber ihren mit Fridolin im Ehebruch gezeugten Sohn Clemens
auf, der ebenfalls in der Wohnung lebt und nun keine Bleibe hat, die Wohnung zu „übernehmen“, damit sie weiter dort wohnen kann. Clemens
möchte lieber mit seiner Verlobten allein in der Wohnung sein und tritt
daher Marlenes Aufforderung unter Hinweis auf einen Erbverzicht entgegen, den er gegenüber seinem Vater abgegeben hatte. Im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens veranlaßt der Gerichtskommissär die Bestellung
eines Kollisionskurators, der Helena dafür verantwortlich machen will,
daß Fridolin Klaras Pflichtteil auf 1/4 gemindert hat. Alfredo legt im Verlassenschaftsverfahren ein Testament aus dem Jahre 1974 vor, in dem er
von Fridolin zum Alleinerben eingesetzt wurde. Marlene findet es pietätlos, daß Alfredo nun Ansprüche geltend macht, habe er doch seinen Vater
vor einigen Jahren in einer Notlage im Stich gelassen.
Wie ist die Rechtslage?
Anmerkung: Beurteilen Sie den Sachverhalt auch dann nach österreichischem Recht, wenn Sie zu dem Ergebnis gelangen, daß das IPR auf
ausländisches Recht verweist.
B. Rechtliche Beurteilung
I. Erbrecht
1. Erbfolge
Clemens: Erbverzicht, Alfredo: erbunwürdig (§ 540), Marlene und
Klara stillschweigend vom gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen, daher
Kaduzität (§ 760; außerordentliches Erbrecht der Vermächtnisnehmer
[§ 726] gilt nicht für Voraus).
2. Pflichtteilsansprüche
Marlene: kein Enterbungsgrund, daher 1/6.
Clemens: Erbverzicht bezieht sich auch auf Pflichtteil (vgl auch § 730
Abs 2).
Alfredo: Erbunwürdigkeit schließt auch vom Pflichtteil aus.
Beide (Clemens und Alfredo) werden bei der Pflichtteilsberechnung
so behandelt, als wären sie nicht vorhanden (§ 767 Abs 1). Klaras Pflichtteil daher 1/3. Pflichtteilsminderung rechtmäßig, da zu keiner Zeit ein fa17
Fälle für Prüfungskandidaten
miliäres Naheverhältnis (§ 773 a); um weniger als die Hälfte (1/6) zulässig. Klara erhält daher – wie angeordnet – 1/4.
3. Anspruch auf Wohnung gegen C
a) Wohnrecht gem § 758 weder an der Eigentumswohnung (Fruchtgenußrecht nicht im Nachlaß, § 529) noch an der Mietwohnung (§ 758 gegenüber § 14 MRG nach hA subsidiär).
b) Anspruch kann auch nicht auf § 143 gestützt werden, weil dieser
nicht auf Naturalunterhalt gerichtet ist.
II. Ausstattung (§ 1231 iVm § 1220)
– Passivlegitimation des Nachlasses gegeben, weil Anspruch zu Lebzeiten des Ausstattungspflichtigen geltend gemacht.
– Ehe gültig (§ 16 Abs 2 IPRG)
– nicht „ohne Wissen“ („wie angekündigt“)
– jedoch nur Anspruch auf notwendigste Ausstattung (§ 1220 iVm
§ 795)
III. Schadenersatz wegen Pflichtteilsminderung
Nein (1. reiner Vermögensschaden, 2. fehlt der Rechtswidrigkeitszusammenhang: Schaden beruht auf selbständigem Willensentschluß, der
nicht notwendige Folge des rechtswidrigen Verhaltens – Vereitelung des
Besuchsrechts – ist).
IV. Kaufvertrag („Isabella“)
1. Anzuwendendes Recht
– Nicht UN-K, weil Vertragspartner in ein und demselben Vertragsstaat ansässig (Art 1 Abs 1, vgl auch Art 2 lit e).
– Art 4 Abs 2 EVÜ: österreichisches Recht.
2. Untergang
§ 1447, daher Anspruch nach § 1435 (vgl § 46 Satz 2 IPRG) auf
Rückzahlung des halben Kaufpreises.
18
Fall 26
V. Tauschvertrag („Mariella“)
1. Anzuwendendes Recht
– UN-K auf Tauschverträge nicht anwendbar.
– Art 4 Abs 1 EVÜ: ungarisches Recht (siehe aber Anmerkung).
2. Rückgängigmachung
Nein: Motivirrtum unbeachtlich; Wegfall der Geschäftsgrundlage in
der Sphäre von Fridolin.
19
Fall 27
A. Sachverhalt
Alfred möchte ein neues Auto kaufen und begibt sich daher zum Gebrauchtwagenhändler Boxer. Dort fällt seine Wahl auf ein Fahrzeug, mit
dem er eine Probefahrt unternimmt. Dabei bemerkt er, daß das Bremspedal zu wenig Widerstand bietet, und spricht Boxer auch gleich darauf an.
Dieser meint, das habe „mit dem ABS-System zu tun“. Alfred begnügt
sich mit diesem Hinweis und kauft das Auto. Einige Tage später ist Alfred
auf der Südautobahn unterwegs. Als er bemerkt, daß sich vor ihm ein Stau
bildet, bremst er, doch ist die Verzögerung so gering, daß er auf die unmittelbar vor ihm fahrende Italienerin Sandra auffährt, die gerade am Weg
nach Wiener Neustadt zu einem Open Air Konzert ist. An beiden Fahrzeugen entsteht Sachschaden. Alfreds 13-jähriger Sohn Dietmar, der am Beifahrersitz saß und nicht angeschnallt war, wird gegen die Windschutzscheibe geschleudert und erleidet dadurch so schwere Verletzungen, daß
er sein Leben lang Narben im Gesicht behalten wird. Auch Alfred selbst
erleidet – da er nicht angeschnallt war – Gehirnverletzungen, die zu bleibender Lähmung beider Beine führen. Bei der Untersuchung des Unfalls
stellt sich heraus, daß die Bremsen von Alfreds Wagen infolge eines Konstruktionsfehlers zu geringe Verzögerungswerte haben. Hätte Alfred allerdings die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten, so wäre der Auffahrunfall nicht passiert. Er wäre aber – da Alfred genügend Abstand gehalten hat – auch bei der tatsächlichen Geschwindigkeit von 150 km/h
nicht passiert, wenn die Bremsen richtig funktioniert hätten. Dietmar
hätte keine Verletzungen erlitten, wenn er angeschnallt gewesen wäre.
In der Folge meldet sich Sandra und verlangt neben den Kosten der
Reparatur ihres Wagens auch Ersatz für die Eintrittskarte zum Konzert,
das sie wegen des Unfalls nicht besuchen konnte (wegen des Staus allerdings auch ohne den Unfall nicht hätte besuchen können). Alfred konfrontiert Boxer mit dem Unfall. Dieser bringt sein Bedauern zum Ausdruck
und empfiehlt Alfred, sich an den Hersteller des Wagens (Isimobil-AG) zu
wenden. Dieser will allerdings mit der Angelegenheit auch nichts zu tun
haben und verweist Alfred an den Produzenten der Bremsen (SchleiferlGmbH).
Zwei Monate nach dem Unfall bringt Alfreds Ehegattin Frieda mit
folgender Begründung eine Scheidungsklage ein: Daß Alfred sie vor vier
Monaten betrogen habe, sei nicht so schlimm; daß nun aber auch noch ihr
20
Fall 27
Sohn durch Alfreds Nachlässigkeit entstellt sei, könne sie ihm niemals
verzeihen. Die Ehe sei durch diesen Vorfall und außerdem dadurch, daß
Alfred (bis unmittelbar vor dem Unfall) oft wochenlang und grundlos die
Ehewohnung verlassen habe, unheilbar zerrüttet. Alfred bestreitet diese
Anschuldigungen nicht, bringt aber vor, daß Frieda ihn ihrerseits betrogen
habe, und zwar mit seinem Bruder Johann, kurz nach der Geburt von
Dietmar. Diesem Ehebruch entstamme Hanno (geboren am 30. Dezember
1985), dessen Ehelichkeit er peinlicherweise bestreiten mußte. Überdies
habe Frieda einmal gegen seinen Willen eine Abtreibung in der
8. Schwangerschaftswoche (straffrei) vornehmen lassen. Er habe ihr dies
verziehen. Umso gemeiner sei es, daß Frieda ihn nun gelähmt im Stich
lassen wolle. Frieda beharrt auf der Scheidung und macht für die Zeit danach auch gleich Unterhaltsansprüche in der Höhe von S 9.000,– monatlich geltend. Sie habe bisher nicht gearbeitet und wolle dies auch weiterhin nicht tun. Alfred, der monatlich S 30.000,– verdient, ist der Meinung,
nicht unterhaltspflichtig zu sein. Frieda solle sich ihren Lebensunterhalt
selbst verdienen. Überdies habe sie von ihrem Vater zwei Häuser geerbt.
Zwar stehe eines davon als Ausgleich für die bisherigen Unterhaltsleistungen ihm zu, das andere könne Frieda aber verkaufen und ihren Unterhalt daraus bestreiten.
Zu allem Unglück stirbt auch noch Alfreds Bruder Johann. Er hinterläßt eine letztwillige Verfügung, in der er den Ehebruch mit Frieda gesteht
und sie zur Universalerbin einsetzt. Die Verfügung ist mit 30. März 1985
datiert.
Wie ist die Rechtslage?
B. Rechtliche Beurteilung
I. Verkehrsunfall
1. Dietmar
a) gegen Boxer
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter; § 1298; § 1299; Haftung daher grundsätzlich zu bejahen (§§ 1325 f), aber Mitverschulden
(nicht angeschnallt): eigenes (§ 1310) berührt jedoch nur Schmerzengeld
(BGBl 1976/352); Mitverschulden des Vaters (Geschwindigkeitsüberschreitung) mindert gesamten Schaden (§ 1304 iVm § 1313 a).
21
Fälle für Prüfungskandidaten
b) gegen Isimobil
§§ 1, 3, 4 und insb § 5 PHG (Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ist Gebrauch, „mit dem billigerweise gerechnet werden kann“). Haftung daher zu bejahen (§ 14 PHG iVm §§ 1325 f). Wegen Deliktshaftung
nur eigenes Mitverschulden gem § 11 PHG iVm § 1304 und § 1310 (wie
oben a).
c) gegen Schleiferl
Teilhersteller (§ 3 PHG); ansonsten wie oben b. Haftung zu bejahen.
Mitverschulden wie oben b.
d) gegen Alfred
Verletzung der Obsorgepflicht (§ 144); Schutzgesetzverletzung
(StVO); EKHG (§§ 1 und 9; § 3 Z 2 eher nicht). Haftung daher zu bejahen. Mitverschulden in bezug auf Schmerzengeld (§§ 1304, § 1310, BGBl
1976/352).
2. Sandra (§ 48 Abs 1 IPRG: Österreichisches Recht)
a) gegen Alfred
§§ 1, 9 EKHG („Versagen der Verrichtungen“). Haftung für Sachschaden zu bejahen, für Konzertkarte zu verneinen: ideeller Schaden, unabhängig von „überholender Kausalität“ – die zu anderem Ergebnis führte
(hier Schadensteilung) – nicht ersatzfähig.
b) gegen Isimobil (als Endhersteller)
Wie oben 1.b. Haftung für Sachschaden daher zu bejahen, für Konzertkarte zu verneinen (siehe oben a).
c) gegen Schleiferl (als Teilhersteller)
Wie oben b.
3. Alfred (in bezug auf Schadenersatzansprüche jeweils Mitverschulden
wegen Geschwindigkeitsüberschreitung)
a) gegen Boxer
– Gewährleistung: wesentlicher (wahrscheinlich) behebbarer Mangel;
§ 928 nicht anwendbar; daher Verbesserungsanspruch oder Preisminderung.
– Irrtum: wesentlicher Geschäftsirrtum, von Boxer veranlaßt; daher
Anfechtung (§ 871).
22
Fall 27
– Schadenersatz: sowohl für Mangel – als auch für Mangelfolgeschaden (§ 1298). Letzterer besteht in der Körperverletzung, im Sachschaden und in der Haftung gegenüber Sandra und Dietmar.
b) gegen Isimobil
Haftung nur für Körperverletzung; Sachschaden ist am Produkt selbst
eingetreten, daher nicht ersatzfähig (vgl § 1 PHG); Haftung gegenüber
Sandra und Dietmar ist kein Sachschaden im Sinne des § 1 PHG.
c) gegen Schlaucherl
Bremsen und Auto sind nach der Verkehrsauffassung nicht zwei verschiedene Produkte. Daher auch hier keine Haftung für Schaden am Auto.
Siehe im übrigen oben b.
II. Scheidung
1. Scheidungsgründe
a) Ehebruch
Nach hL relativer Scheidungsgrund (vgl § 56 EheG); hier also nicht
verwirklicht.
b) Vernachlässigung von Dietmar
Allenfalls § 49 EheG; erfaßt aber nur qualifizierte (gröbliche) Verletzung der Obsorgepflicht, hier nicht gegeben.
c) Grundloses Verlassen der Ehewohnung
Erfüllt Tatbestand des § 49 EheG.
d) Ausschluß des Scheidungsrechts?
Nein, § 49 Satz 2 EheG nicht anwendbar („innerer“ Zusammenhang
fehlt).
2. Einwendungen
a) Ehebruch
Wegen Verfristung (vgl § 57 Abs 2 EheG) keine Widerklage möglich,
aber Mitverschuldensantrag (§ 60 Abs 3 EheG).
b) Abtreibung
§ 48 Abs 1 EheG (strittig), jedenfalls aber § 49. Wegen Verzeihung
23
Fälle für Prüfungskandidaten
(vgl § 56 EheG) keine Widerklage möglich, aber Mitverschuldensantrag
(§ 60 Abs 3 EheG).
3. Rechtsfolgen
a) Unterhalt
Hängt davon ab, ob nach § 66 (überwiegendes Verschulden von Alfred) oder nach § 68 EheG (gleichteilige Schuld) geschieden wird:
– § 66 EheG (angemessener Unterhalt): Frieda muß einer zumutbaren
Erwerbstätigkeit nachgehen, nicht aber den Stamm ihres Vermögens (Veräußerung der Häuser) heranziehen.
– § 68 EheG (Unterhaltsbeitrag): Auch Stamm des Vermögens ist heranzuziehen.
b) Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens
Sachen, die von Todes wegen erworben wurden, sind ausgenommen
(§ 82 Abs 1 Z 1 EheG). Daher kein Anspruch des Alfred auf „ein Haus“.
III. Erbrecht
Keine Inkapazität der Frieda, da sie des Ehebruchs nicht (zu Lebzeiten des Erblassers) „gerichtlich geständig oder überwiesen“ ist (§ 543).
Wenn Vaterschaft zu Lebzeiten feststand oder gerichtlich geltend gemacht
wurde (§ 730 Abs 2), wird Testament entkräftet („testamentum ruptum“),
da Johann „nach Erklärung seines letzten Willens einen Noterben“ erhalten hat (Hanno), „für den keine Vorsehung getroffen ist“. Es tritt daher gesetzliche Erbfolge ein: Hanno wird Universalerbe (allerdings sind seit seiner Geburt schon 15 Jahre verstrichen, so daß angenommen werden könnte, daß in der Aufrechterhaltung des Testaments eine absichtliche Übergehung liegt, vgl Eccher, JBl 1975, 429).
24
Fall 28
A. Sachverhalt
Der Hotelier Hans wird vom Fremdenverkehrsverein seines Heimatortes mit der Veranstaltung des jährlich zu Beginn der Schisaison stattfindenden Schnee-Balls betraut. Er beauftragt daher den Bauunternehmer
Bodo mit dem entsprechenden und rechtzeitigen Umbau einer Halle, die
bisher als Aufenthaltsraum des Hotels in Verwendung stand. Bodo wird
zum vereinbarten Termin (ein Tag vor dem Ball) nicht fertig. Hans läßt
ihn aber weiterarbeiten, da der Ball mangels Publikumsnachfrage ohnedies abgesagt wurde und Hans plant, den Raum für andere Tanzveranstaltungen zu verwenden. Dies scheitert allerdings an der unzureichenden
Schallisolierung. Bodo hat übersehen, daß der von ihm umgebaute Raum
unmittelbar an ein Nachbarhaus grenzt, so daß eine spezielle Lärmdämmung erforderlich gewesen wäre. Der Veranstaltungsraum kann deshalb
nicht in Betrieb genommen werden. In der Folge beschließt Hans daher,
den Raum als großes Matratzenlager für „Rucksacktouristen“ zu verwenden, was auch ohne besondere Schallisolierung möglich ist.
Kurze Zeit später melden sich Viktor und die Blank-Bank bei Hans.
Viktor macht geltend, daß er die von Bodo für den Fußboden der Tanzhalle verwendeten Parketten unter Eigentumsvorbehalt geliefert hatte und
Bodo offenbar nicht in der Lage sei, den Kaufpreis zu bezahlen. Die
Blank-Bank verlangt von Hans das Honorar aus dem Geschäft mit Bodo,
weil dieser der Bank den entsprechenden Anspruch abgetreten habe.
Noch bevor Hans darauf reagieren kann, kommen er und seine Frau
Helene durch einen tragischen Unfall am Neujahrstag 2001 ums Leben.
Sie prallen mit ihrem Schlitten gegen einen Felsen, der mitten auf der von
der X-GmbH betriebenen Schi- und Rodelpiste aus dem Schnee ragt.
Beide sind auf der Stelle tot. Die X-GmbH weist jede Verantwortung von
sich, weil die Piste an diesem Tag (wegen zu vieler Schifahrer) für Rodeln
gesperrt war.
Sowohl Hans als auch Helene hinterlassen beträchtliche Vermögenswerte, auf die Daniel, Susanne, Birgit, Sandra und Oskar Anspruch erheben. Birgit ist Ronalds Lebensgefährtin, zu deren Gunsten er ein Testament errichtet hatte. Ronald ist ein Sohn von Hans aus erster Ehe, der
zwei Monate vor dem Tod seines Vaters gestorben ist. Hans hatte ihn als
Universalerben eingesetzt und dabei erklärt, daß Ronald zugunsten von
Daniel (einem Pflegekind von Hans und Helene) letztwillig verfügen
25
Fälle für Prüfungskandidaten
müsse. Susanne stammt aus derselben Ehe wie Ronald. Sandra stammt
aus Helenes erster Ehe mit Oskar, zu dessen Gunsten ein Testament aus
der Zeit vor der Eheschließung vorliegt, das von Helene während des
Scheidungsverfahrens zerrissen, von Oskar aber wieder zusammengeklebt wurde. Außerdem ist Oskar im Besitz eines gleichlautenden Testaments, das Helene kurz nach der Hochzeit errichtet, in der Folge aber nie
mehr von Oskar zurückverlangt hatte.
Wie ist die Rechtslage?
B. Rechtliche Beurteilung
I. Veranstaltungsraum
1. Bank gegen Hans
§ 1396: Hans stehen gegen die Bank alle Einwendungen zu, die er
gegen Bodo hat (dazu 2.).
2. Hans gegen Bodo
Fixgeschäft; Hans hat aber Bodo unverzüglich (stillschweigend)
davon Anzeige gemacht, daß er auf der Erfüllung besteht (§ 919), so daß
Vertrag nicht „zerfallen“, sondern schlecht erfüllt worden ist. Daher Gewährleistung (§ 1167): Preisminderung – an Verbesserung besteht kein Interesse. In Konkurrenz dazu Schadenersatz (§ 1298) wegen des Nachteils,
der in der mangelhaften Erfüllung liegt. Da Naturalrestitution untunlich
(§ 1323), gebührt Geldersatz, der in der Differenz zwischen dem Wert der
tatsächlichen und der mangelfreien Lieferung besteht (hingegen sprach
der OGH im vorliegenden Fall Ersatz für „fiktive Reparaturkosten“ zu).
3. Eigentumsvorbehalt
a) Viktor gegen Hans
– Herausgabe der Parketten: Kein Anspruch (Hans hat gem § 416
Eigentum erworben)
– Bereicherung: Kein Anspruch, weil Hans auch gutgläubig erworben
hätte (§ 366 HGB) und daher keinem Verwendungsanspruch ausgesetzt wäre.
26
Fall 28
II. Rodelunfall
1. Erben nach Hans und Helene gegen X-GmbH (Begräbniskosten)
Gem § 1319 a keine Haftung wegen unerlaubter Benützung (problematisch, weil wohl der Haftungsauschluß nur dann zum Tragen kommt,
wenn der Schadenseintritt gerade mit dem Verbotszweck zusammenhängt; dieser liegt hier offenbar darin, Kollisionen zwischen Schi- und
Rodelfahrern zu vermeiden).
2. Daniel gegen X (Unterhalt)
Kein Anspruch, weil nach § 1327 nur berechtigt ist, wem der Getötete
„nach dem Gesetze“ unterhaltspflichtig war. Pflegekinder haben aber gegenüber den Pflegeeltern keinen gesetzlichen, sondern nur einen vertraglichen Anspruch (aufgrund eines Vertrages zugunsten Dritter).
III. Erbfolge
1. nach Hans
a) Daniel: Testiergebot zu seinen Gunsten verstößt gegen (Ronalds)
Testierfreiheit, aber Umdeutung in fideikommissarische Substitution
(konstruktive Nacherbfolge): Ronald = Vorerbe, Daniel = Nacherbe; Daniel ist daher auch Ersatzerbe (§ 608).
b) Susanne: Pflichtteilsberechtigt.
c) Sandra: nur über Transmission, Erbrecht gegenüber Hans ist
Helene aber nicht angefallen (Kommorienz), daher auch nicht vererbbar.
d) Birgit: nur über Transmission, Erbrecht gegenüber Hans ist Ronald
aber nicht angefallen (vorverstorben), daher auch nicht vererbbar.
e) Oskar: wie Sandra.
2. nach Helene
a) Oskar: Erbunwürdigkeit (§ 542) wegen § 721 Satz 2 fraglich, aber
Entkräftung des Testaments (§ 778): Helene hat nach Errichtung (vor der
Ehe) einen Noterben erhalten (Sandra, aus der Ehe mit Oskar); davon abgesehen Motivirrtum (Scheidung).
b) Daniel: als Pflegekind kein gesetzliches Erbrecht, wegen Kommorienz auch keine Transmission.
c) Sandra: gesetzliche Erbin nach Helene, wegen Kommorienz aber
keine Transmission in bezug auf den Nachlaß von Hans.
27
Fälle für Prüfungskandidaten
d) Susanne: kein gesetzliches Erbrecht, gegenüber dem Nachlaß von
Hans nur pflichtteilsberechtigt (siehe oben 1.), daher schon deshalb keine
Transmission.
e) Birgit: kein gesetzliches Erbrecht, keine Transmission.
28
Fall 29
A. Sachverhalt
Hermine ist Eigentümerin eines Hauses, das aus zwei Wohnungen besteht. Die eine Wohnung hat sie an Leopold vermietet. Die andere Wohnung hat sie ihrem Sohn Adam gegen jederzeitigen Widerruf zur Verfügung gestellt. Adam lebt dort mit seiner Frau Beate. Da er in der Wohnung
auch ein Arbeitszimmer eingerichtet hat, schließen er und seine Mutter
einen Mietvertrag, damit Adam die – tatsächlich nicht entrichteten – Mietkosten des Arbeitszimmers von der Einkommensteuer absetzen kann.
Beate kennt den Mietvertrag, weiß aber von der eigentlich unentgeltlichen
Gebrauchsüberlassung nichts.
Mit der Zeit verschlechtert sich die Beziehung zwischen Adam und
Beate erheblich, so daß Beate schließlich fremdgeht. Als Adam davon erfährt, errichtet er ein Testament zugunsten seiner Mutter, enterbt Beate
und beginnt seinerseits ein Verhältnis mit Karoline. In der Folge finden
Adam und Beate doch wieder zueinander. Adam wünscht sich sehnlichst
ein Kind mit Beate. Diese meint aber, daß dies nur durch eine medizinisch
assistierte Zeugung möglich und sie dazu nicht bereit sei. Adam hat daraufhin endgültig genug und reicht die Scheidungsklage ein. Er verschleudert nach und nach die ehelichen Ersparnisse. Beate erwirkt daher eine
einstweilige Verfügung zur Sicherung des Aufteilungsanspruchs. Infolge
eines Verfahrensfehlers wird die einstweilige Verfügung so spät erlassen,
daß es Adam noch gelingt, eine Liegenschaft zu veräußern und den Erlös
zu verjubeln. Adam kommt noch während des Scheidungsverfahrens bei
einem Verkehrsunfall ums Leben.
Im Verlassenschaftsverfahren meldet sich Karoline im Namen ihrer
Tochter Marie, die dem Verhältnis mit Adam entstammt und zu der Adam
wenige Tage vor seinem Tod die Vaterschaft anerkannt hatte. Hermine erklärt dies für unbeachtlich, weil Adam von Karoline bei der Zeugung von
Marie getäuscht worden sei. Sie habe bewußt wahrheitswidrig erklärt,
nicht empfängnisfähig zu sein. Hermine gibt daher unter Vorbehalt von
Ansprüchen gegen Karoline wegen der an Marie zu erbringenden Unterhaltsleistungen eine Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab. Weiters
fordert sie Beate auf, die Adam zur Verfügung gestellte Wohnung sofort
zu räumen. Beate weigert sich und macht ihrerseits Aufwendungen geltend, die Adam zur Verbesserung der Wohnung getätigt hatte.
Schließlich tritt auch Leopold auf den Plan. Er verlangt von Hermine
29
Fälle für Prüfungskandidaten
die Instandsetzung eines Durchlauferhitzers, der schon seit einigen Tagen
nicht funktioniert, so daß die Wohnung nicht geheizt werden könne. Hermine überreicht ihm daraufhin die Kündigung, weil er vor einigen Monaten die Reifen von Adams Auto zerstochen habe.
Wie ist die Rechtslage?
B. Rechtliche Beurteilung
I. „Mietvertrag“ mit Adam
Mietvertrag ist ein Scheingeschäft; „nach seiner wahren Beschaffenheit“ (§ 916 Abs 1) ein Prekarium.
1. Erben nach Adam gegen Hermine (Aufwandersatz)
§ 981.
2. Hermine gegen Beate (Räumung)
Einwendungen: 1. § 916 Abs 2 (iVm § 1 Abs 4 Z 2 und § 14 MRG):
§ 916 Abs 2 gilt nicht bei gesetzlichem Erwerb, bei dem schutzwürdiges
Vertrauen keine Rolle spielt (OGH in JBl 1994, 750). 2. § 758: Wohnrecht
bezieht sich nur auf Wohngelegenheiten, die im Nachlaß sind, was nicht
(mehr) der Fall ist, wenn das Prekarium widerrufen wird. 3. § 471: nein,
weil entlehnte Sachen kein Gegenstand des Retentionsrechts sind
(§ 1440). Räumungsanspruch besteht daher zu Recht.
II. Mietvertrag mit Leopold
1. Instandsetzung des Durchlauferhitzers
Ist gem § 1096 vom Vermieter zu veranlassen (anders nach § 3 MRG,
der aber gem § 1 Abs 4 Z 2 MRG unanwendbar ist).
2. Kündigung
§ 30 Abs 2 Z 3 MRG an sich anwendbar (§ 1 Abs 4 Z 2 MRG), Kündigung muß aber „ohne unnötigen Aufschub“ erfolgen (Rspr), weil sonst
kein „wichtiger Grund“ iS des § 30 MRG vorliegt bzw auf einen Kündigungsverzicht zu schließen ist (§ 863).
30
Fall 29
III. Erbrecht
1. Hermine
§ 778: testamentum ruptum (Adam hat nach Errichtung des Testaments ein Kind – Marie – erhalten).
2. Marie
Gesetzliches Erbrecht (Täuschung über die Empfängnisfähigkeit hat
keinen Bezug zum Anerkenntnis der Vaterschaft, Voraussetzungen des
§ 730 Abs 2 daher gegeben).
3. Beate
a) § 759: Ehe wäre nicht aus Beates Verschulden geschieden worden
(Ehebruch verziehen; Verweigerung der medizinisch assistierten Fortpflanzung kein Scheidungsgrund, § 48 Abs 2 EheG).
b) Enterbung: fraglich, ob überhaupt ein Enterbungsgrund gesetzt
wurde (allenfalls Verletzung der Beistandspflicht, § 769, soweit im
„Fremdgehen“ auch eine qualifizierte Abwendung von Adam gelegen ist).
Jedenfalls kein Widerruf der Enterbung (formlose Verzeihung reicht – anders als bei Erbunwürdigkeit – nicht), aber Entkräftung der Enterbungserklärung durch § 778 (problematisch). Beate ist daher zu einem Drittel gesetzliche Erbin (Marie zu zwei Dritteln).
IV. Amtshaftung wegen zu spät erlassener EV
Schadenersatzanspruch der Erben: wäre EV rechtzeitig erlassen worden, befände sich die Liegenschaft jetzt im Nachlaß. Es fehlt aber der
Rechtswidrigkeitszusammenhang (EV hat den Zweck den – wegen Todes
vereitelten – Aufteilungsanspruch zu sichern, nicht aber die Rechte der
Erben).
V. Täuschung über Empfängnisfähigkeit (Erben nach Adam gegen
Karoline auf Schadenersatz wegen Unterhaltsleistungen an Marie
gem § 142)
OGH in JBl 1994, 687: § 1300 Satz 2 unanwendbar, weil es um einen
Bereich geht, der „schuldrechtliche Dimensionen überschreitet“. Vielmehr liegt eine Art Handeln auf eigene Gefahr vor. Daher keine Haftung.
31
Fall 30
A. Sachverhalt
Der Unternehmer Emil wollte im Frühjahr 1997 die Fassade seiner
Fabrik renovieren lassen. Das Gerüst wurde von der A-GmbH errichtet.
Am Abend des 15. April 1997 kletterte Emil durch sein Bürofenster auf
das Gerüst, um den Fortgang der Arbeiten zu inspizieren. Dabei brach ein
Bolzen, so daß das Gerüst zusammenstürzte. Emil kam dabei ums Leben,
mehrere Firmenfahrzeuge, die neben dem Fabriksgebäude abgestellt
waren, wurden zerstört. Bei der Untersuchung des Unfalls stellte sich heraus, daß die von der Firma Schräubchen-GmbH erzeugten Bolzen fehlerhaft waren. Schon am Tag zuvor hatten sich deshalb Teile des Gerüsts
gelöst. Wäre das Gerüst tagsüber zusammengebrochen, hätte dies aller
Voraussicht nach zum Tod oder zur Verletzung mehrerer Arbeiter geführt.
Nachdem der Vorfall in der Branche bekannt wurde, verzeichnete die
A-GmbH einen Umsatzrückgang von insgesamt S 10 Mio.
Emil hinterließ seine Ehegattin Gisela, seine Schwester Sieglinde,
seinen Vater Viktor, seinen (anerkannten) unehelichen Sohn Udo sowie
seine ehelichen Töchter Alexandra und Beate. Letztere legte folgende –
von Emil eigenhändig ge- und unterschriebene – Verfügung vor:
„Ich setze meine beiden Töchter zu gleichen Teilen als Erben ein. Für
den Fall, daß eine meiner Töchter nicht zur Erbschaft gelangt, erhält
meine Schwester Sieglinde den entsprechenden Teil. Meinem Vater
(wohnhaft in …) und meinem Sohn Udo (wohnhaft in …) habe ich vor
drei Jahren je S 900.000,– geschenkt. Sie bekommen daher nichts mehr.
Als Testamentsvollstrecker bestimme ich meine Freunde und Anwälte Dr.
Schloß und Dr. Riegel. Sie sollen mein Unternehmen ab Beendigung des
Verlassenschaftsverfahrens noch drei Jahre verwalten und vertreten. Bis
dahin haben meine Töchter Gelegenheit, sich die entsprechenden Kenntnisse zur Fortführung des Unternehmens anzueignen. Im einzelnen soll
Dr. Riegel insbesondere das Unternehnen führen (lassen), während Dr.
Schloß vor allem für die Veranlagung des Unternehmensgewinns zuständig ist. Die Testamentsvollstrecker sind von jedweder Haftung gegenüber
meinen Erben befreit.“
Nachdem beide Töchter unbedingte Erbserklärungen abgegeben hatten, wurde ihnen im Dezember 1997 die Besorgung und Verwaltung des
Nachlasses (Wert S 4,5 Mio) übertragen. In der Folge machten sie gegenüber der A-GmbH und der Schräubchen-GmbH die Kosten für das Be32
Fall 30
gräbnis des Vaters und den Wert der zerstörten Fahrzeuge (gerichtlich)
geltend. Weiters begehrten sie einen Pauschalbetrag von S 100.000,– als
Prämie dafür, daß durch den Tod des Vaters ein wesentlich höherer Schaden verhindert wurde. Kurze Zeit später wurden sie selbst mit Pflichtteilsklagen von Viktor und Gisela konfrontiert. Sie verwiesen Viktor gegenüber auf die Schenkung und Gisela gegenüber auf den Umstand, daß der
Vater (zu Recht) die Scheidungsklage wegen dreijähriger Aufhebung der
häuslichen Gemeinschaft erhoben hatte. Im Februar 1998 stirbt Alexandra
unter Hinterlassung eines Testaments zugunsten ihres Lebensgefährten
Ludwig. Einige Monate später erfolgt die Einantwortung von Emils
Nachlaß an Beate und Ludwig. Ohne Wissen der Testamentsvollstrecker
verkaufen sie dem Altwarenhändler Stauber mehrere antike Möbel aus
dem Büro des Vaters. Als Dr. Riegel davon erfährt, erklärt er alles für null
und nichtig. Beate und Ludwig sind darüber so erbost, daß sie die Tätigkeit der Testamentsvollstrecker für beendet erklären. Überdies verlangen
sie von Dr. Schloß Ersatz des Schadens (S 3 Mio), den dieser ihnen durch
eine überaus riskante Spekulation zugefügt hat. Er hatte gegen den eindringlichen Rat von Finanzexperten aus dem gesamten Unternehmensgewinn des Jahres 1999 asiatische Aktien erworben, die kurze Zeit später
„ins Bodenlose“ fielen.
Schließlich melden sich auch Sieglinde und Udo, die durch einen Zufall erst jetzt von Emils Tod erfahren haben. Beide verlangen eine Beteiligung am Nachlaß.
Untersuchen Sie die Rechtslage und nehmen Sie dabei insbesondere
auch zu den anhängigen Klagen Stellung!
B. Rechtliche Beurteilung
I. Erbrecht
1. Erbfolge
Keine Anwachsung zugunsten von Beate, keine Substitution zugunsten zu Sieglinde (§ 615 Abs 1 ABGB). sondern Transmission im weiteren
Sinn (ISTAGLS). Beate und Ludwig erben daher je zur Hälfte.
33
Fälle für Prüfungskandidaten
2. Pflichtteile
Gisela erhält 1/6 (§ 759 ABGB kommt nicht zu Anwendung – kene
Verschuldensscheidung). Sie kann Anrechnung der Schenkung an Udo
verlangen (pflichtteilsberechtigt, daher unbefristete Anrechnung), nicht
aber der Schenkung an Viktor (im Zeitpunkt des Erbfalls wegen Existenz
von Nachkommen nicht konkret pflichtteilsberechtigt, daher gem § 785
Abs 3 ABGB nur befristete Anrechnung – Frist verstrichen: 3 Jahre). Gemeiner Pflichtteil 750.000,– + Erhöhung 150.000,– = 900.000,–.
Udo hat keinen Pflichtteilsanspruch mehr (Verjährung), aber Amtshaftungsanspruch, weil er vom Verlassenschaftsgericht hätte verständigt
werden müssen. Er ist insofern geschädigt, als er trotz Anordnung des Vaters Anspruch auf den gemeinen Pflichtteil (1/9 = 500.000,–) gehabt hätte
(Anrechnung erfolgt nur auf Erhöhung).
Da in der ersten Parentel Nachkommen vorhanden sind, steht Viktor
und Sieglinde als Angehörigen der zweiten Parentel kein Pfichtteil zu.
3. Testamentsvollstreckung
a) Im Hinblick auf § 774 ABGB bezieht sich die Testamentsvollstreckung nur auf den Teil des Nachlasses, der die Pflichtteile der Erben
übersteigt.
b) Kein Herausgabeanspruch der Testamentsvollstrecker gegen Stauber, weil die mit der Testamentsvollstreckung verbundene Beschränkung
der Erben (wegen der engen Grenzen des § 364 c ABGB, die sonst umgangen würden) nur obligatorisch wirken. Stauber hat daher derivativ
Eigentum erworben.
c) Die Abberufung der Testamentsvollstrecker kann nach herrschender – mE unzutreffender – Ansicht ohne Grund erfolgen. Relevant ist dies
in bezug auf Riegel; bei Schloß wäre selbst bei – richtiger – Annahme
prinzipieller Unwiderruflichkeit der Testamentsvollstreckung ein wichtiger Grund gegeben, der die Absetzung rechtfertigen würde.
d) Die letztwillige Haftungsbefreiung ist grundsätzlich wirksam (Befreiungsvermächtnis). Daß es sich um zukünftige Forderungen handelt,
schadet nicht, weil sie ausreichend bestimmt sind). Im Hinblick auf Te34
Fall 30
stierfreiheit (Erblasser hätte Erben überhaupt nicht einsetzen müssen) und
Unentgeltlichkeit der letztwilligen Zuwendung kann mE auch die Haftung für grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden (nicht sittenwidrig).
Auch daß es sich bei den Schadenersatzforderungen gegen die Testamentsvollstrecker um eigene Ansprüche der Erben handelt, ist im Hinblick auf § 662 Satz 1 ABGB unbeachtlich (Erblasser kann ohne weiteres
persönliche Sachen des Erben zum Gegenstand eines Vermächtnisses machen).
II. Einsturz des Gerüsts
1. Ludwig/Beate gegen A-GmbH
Anspruch besteht sowohl aufgrund Vertragshaftung als auch nach
§ 1319 ABGB in bezug auf Begräbniskosten und Schäden an den Firmenfahrzeugen. Verjährung ist durch gerichtliche Geltendmachung des
Schadenersatzanspruchs unterbrochen. Für die Prämie in Höhe von
S 100.000,– gibt es im österreichischen Recht keine Grundlage (insb paßt
§ 1043 ABGB nicht). Mitverschulden problematisch: Es ist zwar sorgfaltswidrig, auf ein Gerüst zu klettern. Daß dies unterbleiben soll, hat aber
nicht den Zweck, Schäden zu vermeiden, die – wie im vorliegenden Fall –
auch bei Benützung des Gerüsts durch „Profis“ eingetreten wären.
2. Ludwig/Beate gegen Schräubchen
Anspruch nach PHG (zur Verjährung siehe oben 1.); ersetzt werden
aber nur Begräbniskosten, Firmenfahrzeuge fallen unter § 2 Z 1 PHG;
zum Mitverschulden oben 1.
3. Regreß bezüglich Begräbniskosten
4. Umsatzrückgang
Reiner Vermögensschaden – wird nach PHG nicht ersetzt.
Wenn Vertrag zwischen A und Schräubchen angenommen wurde, wäre
35
Fälle für Prüfungskandidaten
der Schaden zwar grundsätzlich ersatzfähig (Mangelfolgeschaden), im
einzelnen würde aber der Rechtswidrigkeitszusammenhang Schwierigkeiten bereiten (mangelhafte Bolzen um wenige Schilling führen zu Schaden
in der Höhe von S 10 Mio; vgl die ähnliche Problematik in Fall 13).
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