DER HAUPTSTADTBRIEF

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DER HAUPTSTADTBRIEF
DER HAUPTSTADTBRIEF
29. Januar 2007
Hintergrund-Dienst aus Berlin für Entscheider und Multiplikatoren
84. Ausgabe
Bald neue Superschau in Berlin:
Die schönsten Franzosen – aus NY
„Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung des
Metropolitan Museum of Art New York“ – so heißt das große Kunst-Ereignis des Sommers 2007
in Berlin. Cezannes hier gezeigtes „Stillleben mit Äpfeln und Blumenstrauß“ ist nur eines der dann
in der deutschen Hauptstadt gezeigten vielen exzeptionellen Kunstwerke, vom 1. Juni bis 7. Oktober.
Alles, was im 19. Jahrhundert in Frankreich Rang und Namen hatte, wird in Berlin zu sehen sein:
Manet und Monet, Matisse und Gauguin, Rodin, Degas, Maillol und viele mehr. Sozusagen
eine zweite MoMA. Der Ansturm dürfte riesig sein. In mehreren Beiträgen wird der
HAUPTSTADTBRIEF das Ereignis bis in den Oktober begleiten. Lesen Sie diesmal Blatt 7 bis 10.
Berlin wird seine Schulden schneller los
Woher die zusätzlichen Milliarden kommen – Ab Blatt 3
Nahverkehr: Kurzstrecken-Fahrten billiger ?
Interview mit VDV-Chef Günter Elste – Ab Blatt 11 Januar 2007
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Blatt DER 84. HAUPTSTADTBRIEF
3 Ein Lichtblick für das Land Berlin:
In etwa 150 Jahren schuldenfrei, wenn …
7 Berlin freut sich auf eine neue
MoMA-Superschau
11 Was der Chef des Verbandes
Deutscher Verkehrunternehmen
gut findet und was verbesserungsfähig.
Ein Interview mit Günter Elste.
13 Wird das Schloss in Potsdam
nun doch wieder aufgebaut?
15 Die Schöne und das Biest
ab März in Berlin auf der Musicalbühne
17 Die neuesten Umfrage-Werte (forsa):
Union legte zuletzt leicht zu,
die SPD gab auf 27 Punkte nach
18 Rund um den Hauptbahnhof soll
Berlins neue Boomtown entstehen
21 Das Deutsche Historische Museum
zeigt „Kunst und Propaganda“
24 Dr. Mabuse und Edgar Wallace
treffen sich in der alten Zitadelle
27 Die Seligmann-Kolumne:
Den USA fehlt eine politische Strategie
für die Zeit nach dem Rückzug aus Irak
31 Alfred Grenander, der Architekt
der Berliner Hoch- und Untergrundbahn.
Er kam aus Schweden
34 Ein Modekönig mit Strahlkraft:
„Christian Dior und Deutschland“
36 Planungen für die Freiraumgestaltung
des Schlossareals
39 Slot-Handel in Europa noch im Streit
40 Impressum
41 Die Messe Berlin expandiert weltweit
DER HAUPTSTADTBRIEF im Internet:
www.derhauptstadtbrief.de
foto: andreas schoelzel
DER
HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: andreas schoelzel
Auf den Punkt
Kartenhaus der
Vorverurteilungen
Das Jahr 2007 hat gut begonnen. Deutschland hat
die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union
und den Vorsitz der G8-Länder übernommen.
Die Bundeskanzlerin und ihr Kabinett erfahren
Zustimmung, genießen weltweit Vertrauen und
Anerkennung. Vor allem:
Die deutsche Wirtschaft
brummt. Deutschland
ist wieder KonjunkturLokomotive in Europa. Die
Aussichten für das neue Jahr:
robustes Wachstum, weiterer
Rückgang der Arbeitslosigkeit.
Und ich selbst habe als
Verleger gerade erst eine
neue Zeitung gegründet. Mit
Detlef Prinz
überwältigender Resonanz.
Herausgeber
Aber worüber wird in
deutschen Medien berichtet? Die wichtigste
Rolle spielt der Fall Kurnaz. Einige Journalisten
unterstellen, der beliebteste deutsche Politiker,
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier,
habe in seiner früheren Funktion als Chef des
Bundeskanzleramtes verhindert, dass der türkische
Staatsbürger Murat Kurnaz aus Guantanamo
freikommt.
Mit diesem Fall beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Steinmeier
wird dort Rede und Antwort stehen und
er wird deutlich machen, dass er nach den
Terroranschlägen des 11. September 2001 eine
Verantwortung hatte: dass in Deutschland keine
Anschläge von Islamisten verübt werden und
dass von Deutschland aus keine Anschläge mehr
vorbereitet werden. Daran haben Steinmeier und
viele andere in den deutschen Sicherheitsbehörden
mit Erfolg gearbeitet. Auch das hat zum guten
Ruf unseres Landes beigetragen. Ich bin sicher, im
Untersuchungsausschuss werden alle Vorwürfe
und Vorverurteilungen wie ein Kartenhaus in
sich zusammenbrechen. Man darf fordern, dass
wir Medienmacher dann ebenfalls so breit und
umfangreich darüber berichten …
Ihr
Januar 2007
Blatt Ein Lichtblick für
das Land Berlin:
In etwa 150 Jahren
schuldenfrei, wenn …
Von JOACHIM RIECKER
Es war eine eher unscheinbare Anzeige, die am 19. Januar auf
Seite 20 im Finanzteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien.
Doch für Berlin könnte sie einen milliardenschweren Geldsegen
auslösen. Unter der Überschrift „Veräußerung der Beteiligung des
Landes Berlin an der Landesbank Berlin Holding AG“ kündigte die
Senatsverwaltung für Finanzen dort an, ihren knapp 81-prozentigen
Anteil an der ehemaligen Bankgesellschaft „in einem offenen,
transparenten und diskriminierungsfreien Bieterverfahren“ zu
verkaufen.
Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) erwartet, durch
die Privatisierung des Unternehmens, das noch vor fünf Jahren
von der Pleite bedroht war, so viel Geld einzunehmen, dass die
milliardenschweren Verluste aus der Bankenkrise zumindest
weitgehend ausgeglichen werden.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, gehört zur Landesbank
Berlin doch auch die größte Stadtsparkasse Deutschlands
mit knapp zwei Millionen Privatkunden. Zu Sarrazins Erleichterung
hat das Berliner Landgericht vor wenigen Wochen eine Klage des
Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) abgewiesen,
wonach die Berliner Sparkasse nach einem Verkauf ihren Namen
ändern müsse. Dies hätte den Marktwert des traditionsreichen
Unternehmens wohl deutlich gemindert.
Die Privatisierung der Bankgesellschaft bis Ende 2007 war die
Bedingung dafür, dass die EU-Kommission vor einigen Jahren den
umfangreichen öffentlichen Finanz- und Bürgschaftshilfen an
das marode Kreditinstitut zugestimmt hat. Ausgerechnet der rotrote Senat leitet nun auf Druck der EU ein extrem liberales
Privatisierungsverfahren ein.
Denn öffentlich-rechtliche Geldinstitute können ebenso
auf die FAZ-Anzeige antworten wie Privatbanken oder
Finanzinvestoren aus dem In- und Ausland. Wie ein Sprecher
der Finanzverwaltung betont, gibt es bei dem Verkauf „kein
Heuschreckenverbot“.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Januar 2007
Blatt Die Hypo-Vereinsbank aus München hat bereits ein
Angebot angekündigt, als weitere Interessenten gelten neben
der Commerzbank und der Allianz/Dresdner Bank die
französischen Banken BNP Paribas und Société Générale sowie
die ABN Amro aus den Niederlanden. Um zu verhindern, dass mit
der Berliner Sparkasse die erste deutsche Sparkasse in die Hände
von Privatinvestoren fällt, will auch der DSGV mitbieten.
Verbandspräsident Heinrich Haasis hat die 458 einzelnen
Sparkassen bereits aufgefordert, insgesamt vier Milliarden Euro in
eine Erwerbergesellschaft einzuzahlen. Wenn der Kaufpreis darüber
hinausgeht, soll der Rest von der hauseigenen Dekabank finanziert
werden. Finanzexperten rechnen mit einem möglichen Kaufpreis von
mindestens fünf Milliarden Euro.
Hat Anlass
zu Optimismus:
Berlins Finanzsenator
Thilo Sarrazin.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: andreas schoelzel
Januar 2007
Blatt Zur Erinnerung: Die 1994 gegründete Bankgesellschaft hatte
bis 2001 hoch riskante Immobiliengeschäfte vor allem in den
neuen Bundesländern betrieben, bei denen die Erwerber der
entsprechenden Fonds umfassende Rendite-Garantien erhielten.
Nachdem die Bank im Frühjahr 2001 in eine dramatische Schieflage
geraten war, stürzte darüber die große Koalition aus CDU und SPD.
Wenig später bildete die SPD zusammen mit der PDS eine
Regierung. Um die Schließung des Kreditinstituts, den Verlust
von 16 000 Arbeitsplätzen und eine massive Vertrauenskrise
bei rund 2,5 Millionen Privatkunden zu verhindern, beschloss der
damals neu gebildete rot-rote Senat, sämtliche Verpflichtungen
aus den fehlgeschlagenen Immobiliengeschäften in einer möglichen
Gesamthöhe von bis zu 21,6 Milliarden Euro zu übernehmen.
Doch mittlerweile sieht es so aus, als käme Berlin mit einem
blauen Auge davon. Denn das Angebot des Senats, die „Rundumsorglos-Fonds“ der Bankgesellschaft zum Durchschnittswert
von 71 Prozent des eingesetzten Kapitals zurückzukaufen, stieß
auf eine überraschend positive Resonanz. Rund 53 Prozent der
Fondsanteile, für die der Senat bislang ein konkretes Angebot
gemacht hat, haben bereits den Besitzer gewechselt.
Die beiden Fonds, deren Besitz aus steuerlichen Gründen nicht
mehr attraktiv ist, sind nach Angaben der Finanzverwaltung
sogar zu mehr als 90 Prozent zurückgekauft. Die meisten FondsEigentümer ziehen es offenbar vor, einen überschaubaren
Verlust zu realisieren, anstatt sich auf die Risiken eines langjährigen
Gerichtsverfahrens einzulassen. „Die Anleger haben erkannt, dass die
Angebote fair und angemessen sind“, sagt Finanzsenator Sarrazin.
Nach inoffiziellen Schätzungen hat der Senat bislang knapp eine
Milliarde Euro für den Rückkauf der Fondsanteile ausgegeben.
Diese Summe wurde bislang von der Bankgesellschaft finanziert
und soll später ebenfalls durch den Verkauf des Unternehmens
ausgeglichen werden.
Nicht nur wegen der bevorstehenden Bank-Privatisierung, sondern
auch wegen steigender Steuereinnahmen scheint sich nun der
Satz von Verfassungsrichter Winfried Hassemer zu bewahrheiten,
wonach Berlin vielleicht auch deshalb sexy sei, weil es so arm
gar nicht ist.
Wie Finanzsenator Sarrazin Anfang Januar bekannt gab, nahm die
Hauptstadt im Jahr 2006 aus Steuern und dem Länderfinanzausgleich
fast 1,3 Milliarden Euro mehr ein als im Haushalt eingeplant.
Rund drei Monate, nachdem das Bundesverfassungsgericht die
Forderung Berlins auf zusätzliche Bundeshilfen abgewiesen hat, kann
die deutsche Hauptstadt also wieder etwas optimistischer in die
finanzpolitische Zukunft blicken.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Januar 2007
Blatt Selbst wenn der rot-rote Senat mit seiner Klage in Karlsruhe Erfolg
gehabt hätte, wäre der jährliche Bundeszuschuss wohl deutlich
niedriger ausgefallen als die Summe, die jetzt allein wegen der guten
Konjunktur der Landeskasse zugute kommt.
Der überraschende Geldsegen des vergangenen Jahres ändert
allerdings nichts daran, dass die – teils selbst und teils vom Bund
begangenen – Sünden der Vergangenheit den Berliner Haushalt
noch immer teuer zu stehen kommen. Bei einem Gesamtetat von
rund 20 Milliarden Euro muss Berlin in diesem Jahr mehr als 2,5
Milliarden Euro für Zinszahlungen ausgeben.
An einen Abbau des Schuldenbergs von mittlerweile rund 61
Milliarden Euro ist auf absehbare Zeit nicht zu denken. Nach
Ansicht von Dieter Vesper, dem Finanzexperten des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), kann es Berlin selbst
bei günstigen Prognosen frühestens bis Mitte des nächsten
Jahrhunderts gelingen, seine Schulden ganz abzubauen, von denen
die meisten in den zehn Jahren zwischen 1994 und 2004 aufgehäuft
wurden.
Ohne die Zinsausgaben, die rund 17 Prozent des Landeshaushalts
verschlingen, hätte Berlin 2006 sogar einen Überschuss von knapp
380 Millionen Euro erwirtschaftet. Die 1,8 Milliarden Euro, die der
Finanzsenator 2006 an neuen Krediten aufnehmen musste, wurden
also gleich an die Banken weiter gereicht, um die Zinsen für
frühere Schulden zu bezahlen.
Entwickelt sich die Wirtschaft in diesem Jahr ähnlich gut wie
2006, könnte der Senat die Neuverschuldung erstmals seit 1990
auf unter eine Milliarde Euro drücken. 2010 wäre dann sogar ein
Haushalt ganz ohne Neuverschuldung möglich.
Um die Finanzsituation Berlins noch weiter zu verbessern, hätte
es Sarrazin gern gesehen, wenn sich SPD und PDS bei der Neuauflage
ihrer Koalition im Herbst zum Verkauf eines Teils der rund
270 000 landeseigenen Wohnungen durchgerungen hätten, was
auch das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen hat.
Doch weil große Teile der SPD und vor allem die Linkspartei.
PDS (nach deren massiven Verlusten bei der letzten Berlin-Wahl)
zu einem solchen Schritt nicht bereit waren, will der Finanzsenator
jetzt zumindest erreichen, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, deren Wert auf fünf Milliarden Euro geschätzt wird, auf
mittlere Sicht einen dreistelligen Millionenbetrag als Dividende
an den Landeshaushalt abführen.
Selbst die PDS ist dazu bereit, würde sie doch gerne nachweisen,
dass auch staatliche Unternehmen gewinnbringend arbeiten
können.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Januar 2007
Blatt Wird Teil der Ausstellung
in Berlin sein:
Claude Monet,
„Brücke über dem Teich
voller Wasserlilien“, 1899.
Berlin freut sich auf eine
neue MoMA-Superschau
Die schönsten Franzosen kommen aus New York
Von DIETER STRUNZ
Berlin rüstet sich für das Kunstereignis des Jahres. Der Superlativ
scheint nicht zu hoch gegriffen, wenn man sich vor Augen hält, welch
erstklassiges Angebot an international hochgeschätzter Kunst
vom 1. Juni bis 7. Oktober in der Hauptstadt die Besucherscharen
anlocken wird. Sonst müsste man Tausende von Meilen fliegen
– nun präsentieren sich „Französische Meisterwerke des
19. Jahrhunderts aus der Sammlung des Metropolitan
Museum of Art New York“ direkt im Zentrum Berlins.
Wie damals bei MoMA ist die Neue Nationalgalerie am
Landwehrkanal Sitz und Stammquartier der Herren Gauguin, van
Gogh, Matisse, Rodin und wie sie alle heißen. Sie repräsentieren
eine Epoche der europäischen Kunst, die außer in New York und
Paris nirgendwo auf der Welt in solcher Hülle, Fülle und Qualität
dokumentiert ist.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: metropolitan museum of art new york
Januar 2007
Blatt Und nun eben in Berlin! Ebenso wie bei der rekordbrechenden
und schon legendären MoMA-Schau, die vor drei Jahren zwischen
Februar und September mehr als 1,2 Millionen Besucher lockte,
ist der rührige Verein der Freunde der Nationalgalerie im Spiel.
Dessen Vorsitzender, der Rechtsanwalt Professor Peter Raue, der
das große Ding schon im vergangenen Mai ankurbelte, dürfte sich
wohl zum Abschied noch einen Hochglanz-Applaus sichern, ehe
er nach 30 Jahren die Führung im Förderverein in die Hände der
früheren Kulturstaatsministerin Christina Weiss legen wird.
Der Verein der Freunde der Nationalgalerie wurde 1977 gegründet.
Ex-Bundespräsident Walter Scheel und der frühere Bundeskanzler
Helmut Schmidt gehörten zu aktiven Wegbereitern des Vereins.
Neben der Nationalgalerie werden auch die Alte Nationalgalerie und
der Hamburger Bahnhof bedacht. Außerdem verleiht der Verein den
Preis der Nationalgalerie für junge Kunst.
Die rund 1000 Mitglieder der Freunde wollen helfen, fördern und
unterstützen, aber nicht kommandieren. Entscheidungen über
Ankäufe trifft nicht der Verein, sondern der Museumschef,
Generaldirektor Peter-Klaus Schuster, der auch Mitglied im
Kuratorium ist.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: metropolitan museum of art new york
Wird ebenfalls
aus New York
nach Berlin kommen:
„Bootsfahrt“ von
Edouard Manet, 1874.
Januar 2007
Blatt Auch dieses
Bild wird in der
Ausstellung gezeigt:
„Malende junge
Frau“ der MarieDenise Villers, 1801.
Der Jahresbeitrag im Verein der Freunde von zur Zeit 600 Euro
(Juniormitglieder unter 35 zahlen 325 Euro) wird mit freiem
Eintritt in allen Häusern der Staatlichen Museen und in anderen
deutschen und ausländischen Museen honoriert.
Geschätzt bei den Mitgliedern, die heute längst nicht nur
finanzstarken Wirtschaftskreisen angehören, sind die vom Verein
organisierten Kunstreisen, Sonderführungen durch aktuelle
Ausstellungen, die exklusiven Gespräche mit Künstlern und das
festliche Jahresdinner mit prominentem Festredner.
Die neue Superschau des Vereins wurde durch dringend
notwendige Baumaßnahmen in New York möglich. Weil das
Metropolitan Museum of Art am New Yorker Central Park seine
Galerie des 19. Jahrhunderts umbaut und erweitert, dürfen
rund 150 Meisterwerke der Malerei und Plastik auf Reisen gehen,
die sonst wohlbehütet und scharf bewacht nur drüben an der Fifth
Avenue besichtigt werden können.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: metropolitan museum of art new york
Januar 2007
Blatt Einen Probelauf erleben die schönen Franzosen aus New York
bei einem Gastspiel unter den Wolkenkratzern der texanischen
Großstadt Houston, ehe es nach Europa geht, wo die deutsche
Hauptstadt der einzige Ausstellungsplatz sein wird.
Leistung zahlt sich aus. Dass der Sensationserfolg der MoMASchau von 2004 durch den neuen höchstklassigen Kunstbesuch
honoriert wird, steht außer Zweifel. Wobei die Werbewirkung
für das heimische Kunstquartier in Amerika ebenso groß sein
dürfte wie für das Renommee der deutschen Hauptstadt
in ihrer Funktion und Rolle als Kunst-Hauptstadt, zu der die Museumsinsel, das Jüdische Museum, das Deutsche Historische
Museum und eine unübersehbare Kollektion weiterer Kunsthäuser,
Sammlungen und Galerien beitragen.
Vorfreude ist angesagt für die exklusive Schau aus dem
19. Jahrhundert, als sich in Frankreich die Wende von der
Romantik zum Realismus vollzog und der Schritt in die
Moderne getan wurde.
schaut der Ruderer den Betrachter an, als er bei
•Erwartungsvoll
der „Bootsfahrt“ mit einer eleganten Mademoiselle an seiner Seite
eine Pause macht. Edouard Manet malte das Bild 1874.
Herrlich ist die Komposition und Farbsymphonik in Monets
•Brücke
über dem Teich voller Wasserlilien von 1899.
schöpferische Pause scheint die junge Künstlerin einzulegen,
•Eine
die Marie-Denise Villers 1801 vor einem Fenster malte, durch das
man im Hintergrund ein junges Pärchen sehen kann.
so wie die elegant dahingegossene „Große Odaliske“ von Jean•Und
Auguste-Dominique Ingris und seiner Werkstatt (1824 - 34) zählt
im 20. Jahrhundert entstanden Werke von Picasso und
•Schon
Modigliani, die zeitlich das Angebot beschließen.
Französische Meisterwerke
des 19. Jahrhunderts aus der
Sammlung des Metropolitan
Museum of Art zu Gast in Berlin.
1. Juni bis 7. Oktober,
Neue Nationalgalerie,
Potsdamer Straße 50, 10785
Berlin, Kulturforum-Potsdamer
Platz, dienstags bis mittwochs 10
bis 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr,
freitags bis sonntags 10 bis 20 Uhr.
Eintritt 10 Euro, ermäßigt 5 Euro,
sonnabends und sonntags 12,
ermäßigt 6 Euro, Kinder bis zur
Vollendung des 16. Lebensjahres
haben freien Eintritt.
Tel: 266 26 51,
Fax: 262 47 15,
www-metinberlin.org,
E-Mail: [email protected]
Diese und die anderen gemalten oder plastisch geformten
Meisterwerke zählen zu einem wahren und ideellen
Weltkulturerbe, das in diesem Jahr auf Zeit nur in Berlin zu
finden sein wird. Die Vorfreude ist groß!
Verein der Freunde
der Nationalgalerie,
Potsdamer Straße 50, 10785
Berlin, Tel: 26 39 48 80 oder
26 39 48 810, Fax: 26 39 48 811.
E-Mail: [email protected]
auch Cezannes Stillleben mit Äpfeln und Blumenstrauß (frühe
1890er Jahre) zu den vieltausendfach reproduzierten Evergreens
für den Wandschmuck des gehobenen Bürgertums.
Rodins berühmte Plastik „Der Bürger von Calais“ wird
•Auguste
zu sehen sein, Skulpturen von Degas und Maillol reisen an.
von Courbet, Delacroix, Pissarro und Matisse sind
•Bilder
dabei.
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Blatt 10
In Berlin: Günter Elste beim Gespräch mit dem HAUPTSTADTBRIEF. Die Fragen stellte Ulrich Schulte, Wolfgang Borrs fotografierte.
Was der Chef des Verbandes
Deutscher Verkehrunternehmen
gut findet und was verbesserungsfähig.
Ein Interview mit Günter Elste.
HAUPTSTADTBRIEF: Herr Elste, Sie sind
vermutlich einer der wenigen Menschen in
Deutschland, die steigenden Benzinpreisen auch
etwas Gutes abgewinnen können. Stimmt’s?
Günter Elste (lacht): Da haben Sie Recht.
Zumindest die Unternehmen unseres Verbandes
können sich über einen positiven Effekt freuen:
Weil das Autofahren immer teurer wird, steigen
immer mehr Menschen auf den öffentlichen
Nahverkehr um. Die Zahl der Fahrgäste ist 2006
im Vergleich zum Vorjahr um knapp zwei Prozent
gestiegen. Die Verkehrsunternehmen konnten
somit den kontinuierlichen Kundenanstieg der
vergangenen zehn Jahre nicht nur fortführen,
sondern sogar ausbauen.
HAUPTSTADTBRIEF: Entscheiden sich die
Menschen nur für Bus und Bahn, weil sie damit
günstiger fahren?
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Elste: Nicht nur. Es hat auch ein
Bewusstseinswandel stattgefunden. Die Menschen
haben erkannt, dass der öffentliche Nahverkehr
eine der umweltschonendsten Möglichkeiten
ist, sich schnell und bequem von A nach B zu
bewegen. Jeder, der das Auto in der Garage
lässt und stattdessen ein Bahnticket kauft, leistet
einen Beitrag zum Klimaschutz. Ein Beispiel: Ein
durchschnittlich ausgelasteter Linienbus verbraucht
2,5 Liter Diesel pro 100 Kilometer und Fahrgast,
ein Pkw dagegen 6,6 Liter.
HAUPTSTADTBRIEF: Wie sieht Ihre
Prognose aus – wird die Fahrgastkurve in den
nächsten Jahren weiter ansteigen?
Elste: Davon bin ich überzeugt. Die Mehrwertsteuererhöhung und die gesetzlich vorgeschriebene
Beimischung von Biokraftstoffen lassen die
Spritpreise weiter steigen. Insofern erwarten wir
für 2007 einen noch stärkeren Zuwachs.
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Blatt 11
HAUPTSTADTBRIEF: Was können die
Verkehrsunternehmen tun, um noch attraktiver zu
werden?
Elste: Zum einen müssten viele Betriebe ihre
Ticketangebote radikal vereinfachen. Wenn Sie von
München bis Flensburg durch die verschiedenen
Tarifsysteme fahren, kommen Sie aus dem Staunen
nicht heraus: In der einen Stadt brauchen Sie eine
Zusatzkarte fürs Fahrrad, in der anderen nicht. In
der einen Stadt gelten Jugendliche als erwachsen,
in der anderen als Kind. Die Branche muss es den
Kunden mit mehr Transparenz einfacher machen.
Zum anderen sind die Preise für Kurzstrecken
im Vergleich mit Langstrecken und Monats- oder
Jahreskarten oft zu teuer. Hier müssten die
Unternehmen die Wenigfahrer mit attraktiven
Angeboten locken.
HAUPTSTADTBRIEF: Seit zwei Jahren
wird gesundheitsschädlicher Feinstaub heftig
diskutiert, viele Städte werden Fahrverbote für
Autos verhängen, die zu viele Schadstoffe in die
Luft pusten. Hilft die politische Diskussion dem
Nahverkehr?
Elste: Ehrlich gesagt hätte ich mir mehr
Rückenwind erwartet. Die Politik hat noch nicht
erkannt, dass der öffentliche Verkehr der ideale
Partner für saubere Luft ist. Wenn ein Linienbus
voll besetzt ist, etwa in der Rushhour, stößt er
pro Fahrgast nur fünf Prozent der KohlendioxidMenge aus, die ein Pkw emittiert. Auch beim
Feinstaubausstoß liegt der Nahverkehr im Vergleich
unschlagbar niedrig. Die Politiker diskutieren zwar
heftig über den Feinstaub, streichen aber gleichzeitig
die Regionalisierungsmittel für die Bundesländer
zusammen. Und das, obwohl die Bundeskanzlerin
den Klimaschutz öffentlich zur Chefsache erklärt.
HAUPTSTADTBRIEF: Die Regionalisierungsmittel überweist der Bund den Ländern,
damit sie ihren regionalen Bus- und Bahnverkehr
finanzieren können. Die Kürzung sei nötig, um
den Bundeshaushalt zu sanieren, argumentiert die
Politik.
Elste: Auch der öffentliche Verkehr muss
seinen Beitrag leisten, das ist unbestritten. Er darf
aber nicht als Steinbruch der Haushaltskonsolidierung missbraucht werden. Auch die Förderung
nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
wird auslaufen. Über sie hat sich die öffentliche
Hand an Instandhaltungen des Verkehrsnetzes
beteiligt. Diese immense Aufgabe können die
Unternehmen künftig nicht allein schultern. Uns
signalisieren viele Betriebe, dass die Grenzen der
Belastbarkeit inzwischen erreicht sind. Die Länder
müssen einen Ausgleich schaffen, indem sie etwa
einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen in den
Nahverkehr stecken. Ansonsten drohen deutliche
Angebotskürzungen und Fahrpreiserhöhungen.
HAUPTSTADTBRIEF: Ihr Verband mahnt
an, dass fast 200 Problemstellen im Eisenbahnnetz
behoben werden müssten. Wie sehen die aus?
Elste: Es gibt zwei große Bereiche. Hinter den
großen Häfen an der norddeutschen Küste fehlen
schlicht Kapazitäten, die Verteilerknoten müssten
ausgebaut werden. Einfach gesagt: Es bringt uns
nichts, wenn der Containerumschlag in den Häfen
nach oben schnellt, die Züge die Kisten aber nicht
schnell genug abtransportieren können. Außerdem
gibt es viele Punkte im Netz, die saniert werden
müssten. Im Moment fahren die Züge dort langsam,
was die Effizienz stark beeinträchtigt. Oft lassen
sich Engpässe übrigens mit geringem Aufwand
beseitigen.
HAUPTSTADTBRIEF: Trotz dieser
Beeinträchtigungen meldet ihr Verband ein rasantes
Wachstum beim Transport von Gütern auf der
Schiene. Was ist die Ursache?
Elste: Tatsächlich sind die Steigerungsraten im
Güterverkehr seit Jahrzehnten sensationell, 2006
waren es 10,5 Prozent mehr Tonnage im Vergleich
zum Vorjahr. Ein Grund dafür ist die anspringende
Konjunktur. Hinzu kommt, dass Deutschland nach
der Osterweiterung der Europäischen Union eines
der wichtigsten Transitländer Europas ist. Und
natürlich profitieren die Unternehmen von der
Einführung der Lkw-Maut auf Autobahnen. Wir
sehen also sehr gelassen in die Zukunft.
Diplom-Kaufmann Günter Elste ist seit 1996
Vorstandschef der Hamburger Hochbahn AG und seit
Juni 2003 zugleich Präsident des Verbandes Deutscher
Verkehrsunternehmen (VDV). Von 1985 bis 1997
gehörte Elste dem Hamburger Landesparlament,
der Bürgerschaft an, von 1989 bis 1996 war er dort
Fraktionschef der SPD.
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Blatt 12
Wird das Schloss
in Potsdam nun doch
wieder aufgebaut?
Das Potsdamer Stadtschloss
(grünes Dach) – ein Modell.
Wird es trotz zweimaliger
Ablehnung nun doch
wiedererrichtet?
Mit diesem Ergebnis hatten, nach allem, was – wie berichtet
– vorangegangen war, selbst die größten Anhänger eines
Wiederaufbaus von Potsdams Stadtschloss nicht gerechnet: Bei
einer offiziellen „Bürgerbefragung“ sprachen sich kürzlich 42,8
Prozent der Potsdamer dafür aus, den neuen brandenburgischen
Landtag auf dem Grundriss des ehemaligen Stadtschlosses zu bauen.
Für die zweite Variante, einen Landtagsneubau auf einer
Industriebrache namens „Speicherstadt“, votierten nur 28,5
Prozent. Weit abgeschlagen landete schließlich mit 12,8 Prozent
Zustimmung der Vorschlag der Linkspartei.PDS, das Parlament
zwar in der historischen Stadtmitte, aber am Rande des ehemaligen
Schlossplatzes zu errichten.
Überraschend hoch war auch die Beteiligung an der Umfrage,
denn mehr als 56 000 Potsdamer schickten ausgefüllte
Stimmzettel an die Stadtverwaltung zurück, was 46,1 Prozent aller
Wahlberechtigten entspricht. Selbst die angeblich so skeptischen
Bewohner der großen Plattenbaugebiete, wo die PDS ihre
Hochburgen hat, setzten das Landtagsschloss mit großem Abstand
auf Platz eins. Bei den Bewohnern der historischen Innenstadt
lag die Zustimmung sogar bei mehr als 50 Prozent.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: picture-alliance/ZB/jens Kalaene
Januar 2007
Blatt 13
Das Umfrageresultat ist zwar rechtlich nicht bindend, doch
könnte sich die Mehrheit der Stadtverordneten nach zwei
gescheiterten Anläufen nun doch noch für den Wiederaufbau
des Schlosses aussprechen. Entscheidend wird es bei der dritten
Abstimmung, die am 31. Januar stattfinden soll, auf die Linkspartei.
PDS ankommen.
Sie stellt im Potsdamer Stadtparlament die mit Abstand größte
Fraktion und hatte die „Bürgerbefragung“ selbst angeregt. In
einer ersten Reaktion bezeichnete deren Fraktionschef Hans-Jürgen
Scharfenberg das Abstimmungsergebnis als „Ausgangspunkt
dafür, dass wir unsere bisher ablehnende Position
überdenken“.
Offen blieb bei der Umfrage allerdings, inwieweit sich die
Architektur des neuen Landtags an dem im Krieg beschädigten
und von der SED 1959/60 abgerissenen HohenzollernSchlosses orientieren soll. Die Landesregierung plant, die
Hauptfassade auf eigene Kosten weitgehend originalgetreu
wiederherzustellen, während die Seiten eher schlicht gestaltet
werden sollen.
An der Außenarchitektur hatten sich bereits bei den beiden
Abstimmungen im November die Geister geschieden. Während
der PDS der Vorschlag zu nahe am historischen Vorbild des
preußischen Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff
(1699 - 1753) lag, kritisierten die Grünen zu viele moderne
Elemente. Da es auch aus den Reihen von SPD, CDU oder FDP
Abweichler gegeben haben muss, verfehlten die Befürworter des
Projekts im Stadtparlament zweimal die Mehrheit.
Trotz des recht eindeutigen Ergebnisses in der von ihr selbst
angeregten Bürgerbefragung tut sich die PDS noch schwer mit
einem Ruck vom zweimaligen Nein zum Ja: Entgegen ihrer üblichen
Praxis schlossen die Stadtverordneten und der Kreisvorstand der
Partei bei einer gemeinsamen Sitzung die Öffentlichkeit aus.
„Die Sache ist zu heiß, das geht an die Substanz“,
begründete Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg diese
Entscheidung. Der Wiederaufbau eines preußischen Schlosses
stößt bei vielen Funktionären der Partei eben noch immer auf große
emotionale Vorbehalte. Joachim Riecker
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DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
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Blatt 14
Die Schöne und das Biest
ab März in Berlin
auf der Musicalbühne
Von DIETER STRUNZ
Einst war es ein
französischer Poet
und Meister des
geistreichen Films,
Jean Cocteau, der
den märchenhaften
Stoff von Belle und
ihrem verwunschenen
Prinzen gleich
nach dem zweiten
Weltkrieg erfolgreich
in die Filmtheater der
Welt schleuste: „La
Belle et la Bête“
– „Die Schöne und das
Biest“, 1946 gedreht,
unvergessen auch
durch den männlichen
Hauptdarsteller Jean
Marais.
Madame Pottine gehört
wie viele andere
verzauberte Gestalten
zum Hofstaat des
verhexten Prinzen,
der auf Errettung hofft.
Dann machte die zärtlich-gefährliche Liebe Karriere in
Hollywood und wurde von den Disney-Studios in doppelter
Version rund um den Erdball geschickt.
Als Kinofilm 1991 konnte die Produktion zwei Oscars für
die Musik und eine Nominierung als bester Film erringen, eine
Kandidatur, die zuvor noch keinem Animationsfilm gelang.
Als Bühnenspektakel hatte der Stoff 1994 Weltpremiere in
New York und erfreute seither in 13 Ländern – in Australien,
Mexiko und Japan ebenso wie in England und Österreich und Spanien
– mehr als 25 Millionen Zuschauer. In New York läuft das Stück
seit Beginn en suite vor ausverkauftem Haus. Es gehört schon zur
Meisterklasse der Musicals mit der längsten Laufzeit am Broadway.
In Deutschland hatte Oberhausen im Dezember 2005 die Ehre,
die von dem Synchronspezialisten Lutz Riedel geschaffene deutsche
Version aus der Taufe zu heben. Von dort kommt die von Glenn
Casale inszenierte Musicalromanze nun in die Hauptstadt – bald
nach der Berlinale, die zuvor noch – wie alle Jahre – das Riesenhaus
mit seinen 1700 Plätzen für den Wettbewerb um die Goldenen und
Silbernen Bären (8. bis 18. Februar) okkupiert.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: Brinkhoff/Mögenburg, Hamburg
Januar 2007
Blatt 15
Die artistischen Könner der Blue Man Group, die
zwischenzeitlich am Marlene-Dietrich-Platz ihre farbenprächtige,
schillernde, komisch-rasante Show zeigten, ziehen quer über die
Straße ins ehemalige Imax-Kino um, das bereits ab 1. Februar als
festes Bluemax-Theater fungieren wird.
Das für Berlin neue Musical „Die Schöne und das Biest“ erzählt
die Geschichte von der Erfinderstochter Belle, die bescheiden,
sittsam und rein in einem kleinen Dorf in Frankreich lebt, von dem
Jäger Gaston angehimmelt wird, diesen aber verschmäht und sich
lieber der Literatur widmet.
Sie gerät im tiefen Walde auf das total verhexte Schloss des
Prinzen, der durch die Verwünschung einer bösen Zauberin
als erschröckliches Biest inmitten eines ebenfalls verzauberten
Hofstaates leben muss und auf Errettung hofft.
Eine lebende Kaffeekanne Madame Pottine, ein Hofmeister als
Pendeluhr Herr von Unruh, ein Kammerdiener als Kerzenleuchter
Lumière, die Teetasse Tassilo, eine zur Kommode mutierte
Opernsängerin und mancherlei andere verwandelte Höflinge sorgen
im Schloss für bühnenwirksamen optischen Übermut.
Wird Belle mit ihrer reinen Liebe zum Biest den Fluch
der Zauberin abwenden können? Das ist die Kernfrage der
romantischen Liebesgeschichte, die in knapp drei Stunden
Spieldauer vermutlich zur allseitigen Zufriedenheit beantwortet
werden wird …
Ensemble und Theaterteam sind höchst international; 37
Darsteller aus 13 Ländern. Die Philippinin Leah de los Santos,
die sich in Berlin schon bei „Cats“ präsentierte, und der Norweger
Yngve Gasoy-Romdal spielen die Hauptrollen. Allabendlich muss
sich der Darsteller in anderthalbstündiger Sitzung von den
Maskenbildnern in das von Büffelhaar umwucherte Biest verwandeln
lassen.
30 Techniker werden die aufwendig gestaltete Bühne in Schwung
halten und sie mit 250 Scheinwerfern ins rechte Licht rücken.
Mehr als hundert Kostüme, 200 Perücken und 180 Paar Schuhe
wurden angefertigt, und für das goldene Ballkleid der Belle, das mit
Hunderten Swarowsky-Kristallen funkelnd besetzt ist, wurden allein
30 Meter Spitze und 70 Meter Stoff zugeschneidert.
Der verhexte Staubwedel Babette darf 180 Straußenfedern
schwingen. Man darf, frei nach Thomas Mann, annehmen: Das putzt
ganz ungemein. Große Hoffnung bei Produzenten und Publikum: „Die
Schöne und das Biest“ werden die Berliner Musicalszene attraktiv
herausputzen.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Disneys „Die Schöne und das Biest“
ab 8. März im Theater
am Potsdamer Platz,
Marlene-Dietrich-Platz,
10785 Berlin. Tickets
und Arrangements unter
01805 / 44 44. www.die-schoeneund-das-biest.de
Januar 2007
Blatt 16
Die Parteipräferenzen im Bund
Union legte zuletzt leicht zu,
die SPD gab auf 27 Punkte nach
CDU/ SPD FDP Links- Grüne Sonst.
CSU partei
Alle Angaben in Prozent
Bundestagswahl*
35,2
34,2
9,8
8,7
8,1
4,0
35
34
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6
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Umfrage-Werte in Woche …
2006 23. (5.6.-9.6.)
24. (12.6.-16.6.)
25. (19.6.-23.6.)
26. (26.6.-30.6.)
27. (3.7.-7.7.)
28. (10.7.-14.7.)
29. (17.7.-21.7.)
30. (24.7.-28.7.)
31. (31.7.-4.8.)
32. (7.8.-11.8.)
33. (14.8.-18.8.)
34. (21.8.-25.8.)
35. (28.8.-1.9.)
36. (4.9.-8.9.)
37. (11.9.-15.9.)
38. (18.9.-22.9.)
39. (25.9.-29.9.)
40. (2.10.-6.10.)
41. (9.10.-13.10.)
42. (16.10.-20.10.)
43. (23.10.-27.10.)
44. (30.10.-3.11.)
45. (6.11.-10.11.)
46. (13.11.-17.11.)
47. (20.11.-24.11.)
48. (27.11.-1.12.)
49. (4.12.-8.12.)
50. (11.12.-15.12.)
51. (18.12.-22.12.)
52. (25.12.-29.12.)
2007 1. (1.1.-5.1.)
2. (8.1.-12.1.)
3. (15.1.-19.1.)
* Amtliches Endergebnis der Bundestagswahl vom 18. September 2005
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Das forsa-Institut
ermittelte diese Werte
durch wöchentliche
Befragung von in der Regel
rund 2500 wahl­berechtigten
Deutschen.
Quelle: forsa
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Blatt 17
Rund um den
Hauptbahnhof soll
Berlins neue
Boomtown entstehen
Uferpromenade am
Hafenbecken im
geplanten Quartier
Humboldthafen – ein
Blick in die Zukunft.
Von TOBIAS von SCHOENEBECK
Der im Mai 2006 eröffnete neue Berliner Hauptbahnhof strahlt
– ungeachtet der Sturmprobleme – positiv auf seine Umgebung aus.
Gegenwärtig ist das Umfeld des Glaspalastes noch eine Brache, aber
das soll sich bald ändern. Schon in diesem Jahr sollen Neubauten
entstehen, die mit dem Bahnhof zusammen ein pulsierendes
neues Quartier bilden. Das Gebiet, das bislang nur als Randlage
des Regierungsviertels wahrgenommen wurde, soll dann zur
hochattraktiven Adresse werden.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: liegenschaftsfonds berlin
Januar 2007
Blatt 18
Zum größten und vielleicht schönsten Bauprojekt der
Hauptstadt in den kommenden Jahren wird sich wohl der östlich an
den Bahnhof grenzende Standort „Humboldthafen“ entwickeln.
Für dieses Projekt werden rund 35 000 Quadratmeter des
Uferbereichs in der Verbindung zwischen Spree und Spandauer
Schifffahrtskanal an private Investoren verkauft, die dann entlang
der Kaimauern ein lukratives Wohn- und Geschäftsviertel
errichten sollen.
„Wir werden hier in den nächsten Jahren die Geburt eines
großstädtischen Bahnhofsviertels mit Hotels, Büros, Läden,
Wohnungen und Restaurants erleben, das auch im Vergleich mit
anderen europäischen Metropolen Maßstäbe setzt“, erklärte die
Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) bei der
Vorstellung des aktualisierten städtebaulichen Entwurfs.
Bereits Mitte der 1990er Jahre lag von Oswald Matthias Ungers ein
Konzept für die Gestaltung des Bereichs zwischen Hauptbahnhof,
Invalidenstraße, Charité und dem Parlaments- und Regierungsviertel
auf dem Tisch des Berliner Senats. Doch damals mussten die
Pläne beiseite geschoben werden, denn der Neubau des
Hauptbahnhofes bestimmte zunächst die Entwicklung des Areals.
Im Auftrag des Senats und des Liegenschaftsfonds Berlin schuf
dann der Architekt Karl-Heinz Winkens von 2004 an einen neuen
Entwurf, für den Studien aus sieben europäischen Standorten
mit vergleichbaren Wasserlagen herangezogen wurden. So sind
beispielsweise die Erfahrungen der Bebauung an der Binnenalster
in Hamburg oder auch der Docks in Liverpool in das nun
vorliegende Konzept eingeflossen.
Eine Übersicht: Links
der Hauptbahnhof,
davor – beigefarben
– die geplanten
Baulichkeiten
des Quartiers am
Humboldthafen.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: liegenschaftsfonds berlin
Januar 2007
Blatt 19
Winkens Plan sieht eine 25 Meter hohe Umbauung mit
siebengeschossigen Gebäuden vor. Zudem sollen die Häuser im
unmittelbaren Wasserbereich mit acht Meter hohen Kaskaden
und Durchgängen dem Besucher und den Anwohnern stets einen
freien Blick auf das Hafenbecken ermöglichen.
Diese Perspektive
soll sich von der
Hugo-Preuß-Brücke
aus bieten.
Der Projektstandort „Humboldthafen“ ist eine Adresse mit
bewegter Geschichte: Der Humboldthafen, der mit der Anlage
des Spandauer Schifffahrtskanals um 1850 entstand, ist der
älteste Hafen Berlins. Bis 1900 war er der einzige öffentliche
Umschlagplatz für Waren und Rohstoffe.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Hafenbetrieb eingestellt.
Während der Teilung der Stadt lag der Humboldthafen gar im
Todesstreifen. Am östlichen Ufer des Hafenbeckens verlief
die Mauer, das westliche Ufer gehörte zum Westberliner Bezirk
Tiergarten. Nach dem Fall der Mauer dauerte es mehr als
fünfzehn Jahre, bis die Stadt das Gelände neu entdeckte.
Im Frühjahr 2007 beginnt der Liegenschaftsfonds Berlin nun mit
der Vermarktung des Standorts beziehungsweise der einzelnen
Baufelder. Es werden neun Baufelder in Größen von 4000 bis
23 000 Quadratmeter Nutzfläche angeboten. Der Liegenschaftsfonds
Berlin ist der größte Immobilienvermarkter der deutschen
Hauptstadt.
Sein Angebot umfasst insgesamt mehrere tausend unbebaute und
bebaute Grundstücke in ganz Berlin, die aus Landesbesitz stammen.
Seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 2001 wurden bereits
6,5 Millionen Quadratmeter Fläche für mehr als eine Milliarde
Euro verkauft.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: liegenschaftsfonds berlin
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Das Deutsche Historische
Museum zeigt
„Kunst und Propaganda“
Von KLAUS GRIMBERG
Mit der Ausstellung „Kunst
und Propaganda im
Streit der Nationen 19301945“ setzt das Deutsche
Historische Museum (DHM)
seine Reihe „Politische
Ikonographie“ fort. Werke
aus den damals totalitären
Staaten Deutschland, Italien
und Sowjetunion werden
dabei erstmals Arbeiten aus
der Demokratie Vereinigte
Staaten von Amerika
gegenübergestellt.
NS-Kunst:
Richard Heymann,
„Sonniges Leben“, 1939.
Das Deutsche Historische
Museum hat seit dem Jahr 2000
große Bestände von NS-Kunst
in seine Sammlung aufgenommen.
Diese Bilder und Skulpturen
aus „NS-Reichsbesitz“
waren über Jahrzehnte
von der Bundesrepublik
Deutschland und vom USMilitär oft unzugänglich in
Depots aufbewahrt worden.
In ihrer überwiegenden
Mehrzahl stammen sie aus
den „Großen Deutschen
Kunstausstellungen“, die
zwischen 1937 und 1944 als
Leistungsschauen der NS-Kunst
in München gezeigt wurden.
Anliegen des DHM ist es, diese Bestände nicht weiter zu
verstecken, sondern sie kommentiert und in den historischen
Kontext eingebunden der Öffentlichkeit zu präsentieren.
„Auf diese Weise will unser Haus das schwierige Kapitel der
Staatspropaganda in den Krisenjahren vor und während des
Zweiten Weltkrieges erörtern und sichtbar machen“, so Hans
Ottomeyer, Generaldirektor des DHM. Durch den vergleichenden
Blick auf weitere Staaten solle „Ähnliches und grundsätzlich
Unterschiedliches“ für den Betrachter offenbar werden.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: Deutsches Historisches Museum berlin
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Blatt 21
Als enger
Kooperationspartner
konnte die WolfsonianCollection in Miami
Beach und Genua
gewonnen werden, die
über einen einzigartigen
Bestand an politisch
wie propagandistisch
motivierter Kunst
aus der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts
verfügt. Den Kuratoren
der Ausstellung bot sich
jedenfalls die Chance, die
einschlägigen Kunstobjekte
des Nationalsozialismus
nicht nur mit den Werken
des italienischen
Faschismus und
des sowjetischen
Kommunismus, sondern
auch mit denen des „New
Deal“ aus den USA
in eine kontrastreiche
Beziehung zu setzen.
„Unser Ziel ist, die
Bildzeichen und -formeln
der zeitgenössischen
Kommunikation
herauszustellen und die
mit ihnen transportierten politischen und ideologischen Inhalte
aufzuschlüsseln“, erläutert der verantwortliche Kurator Hans-Jörg
Czech. Insbesondere die Werke der NS-Kunst sollen „historisch
dekodiert“ werden.
Einschlägige Kunst
aus den USA:
„Work to Keep Free!“,
1943.
Czech möchte mit der Ausstellung zur „Aufklärung und
Immunisierung“ gegenüber nationalsozialistischer Symbolik und
Zeichensprache beitragen. So sind neben Gemälden, Plastiken und
graphischen Arbeiten auch Plakate, Fotografien und Filme in den
Parcours mitaufgenommen.
Bei der Vorbereitung des Projekts kristallisierten sich schnell
vier thematische Gruppen heraus, die – bei allen Unterschieden
insbesondere zu den USA – in ähnlicher Form in den vier Staaten
zu finden waren. Nahezu zwangsläufig ergab sich daraus die
Gliederung der Ausstellung: „Bilder der Staatsführer“, „Bilder
von Mensch und Gesellschaft“, „Bilder von Arbeit und
Aufbau“ und „Bilder zum Krieg“ sind die vier großen Räume
überschrieben.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: U.S. Government Printing Office, Washington D.C, National Archive
Januar 2007
Blatt 22
In jeder dieser Abteilungen werden die vier untersuchten Staaten
getrennt voneinander präsentiert. In einem durch Stellwände
angedeuteten Innenraum sind besonders charakteristische und
monumentale Werke in augenfälligen Kontrast zueinander
gesetzt. So zum Beispiel wandfüllende Portraits der Staatsführer
Hitler, Stalin, Mussolini und Roosevelt.
In den Nischen hinter diesen Stellwänden wird das betreffende
Thema für den jeweiligen Staat vertieft. „Mit dieser offenen und
doch geordneten Ausstellungsarchitektur wollen wir Sichtachsen
schaffen, mit denen für die Besucher vergleichende Blicke zwischen
den Staaten möglich werden“, erläutert Czech.
Besonders spannend ist die Gegenüberstellung der drei
totalitären Regime mit der Demokratie USA. Denn aus heutiger
Sicht wird rasch erkennbar, dass es zwischen den staatlichen
Kampagnen und politischen Selbstdarstellungsformen eine
„entfernte Verwandtschaft“ gibt, wie es der Historiker Wolfgang
Schivelbusch ausdrückt.
Argumentation und Symbolik des „New Deal“ wurde in
besonderem Maße durch vom Staat ins Leben gerufene
Kunstprogramme befördert und einer breiten Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Diese Werke führten zu einer greif- und
beschreibbaren Ikonographie der USA in den 1930/40er Jahren.
Allerdings führt die Ausstellung immer wieder klar vor Augen,
dass bei allem propagandistischen Impetus die freiheitliche
Grundordnung der USA nie aus dem Blick verloren ging oder
gar in Frage gestellt wurde. Im Gegenteil: Die Verteidigung der
demokratischen Werte ist als eines der Hauptanliegen der
US-Kunst deutlich erkennbar. Die menschenverachtende,
größenwahnsinnige und kriegstreiberische Stoßrichtung der NSKunst erschließt sich gerade aus dem krassen Gegensatz zu den
Werken aus den USA.
Zu Beginn der Ausstellung gibt ein erster Raum einen Überblick
über ereignis- und kulturgeschichtliche Hintergründe. Hinzu
kommen einige grundsätzliche Informationen zur Verbindung von
Staat und Kunst in dem jeweiligen Staat. Am Ende des Rundgangs
wird in einem abschließenden Kabinett geschildert, wie nach 1945
mit der NS-Kunst verfahren wurde und auf welchen wechselvollen
Wegen die Werke mehr als ein halbes Jahrhundert nach Ende
des Zweiten Weltkrieges in die Bestände des DHM gelangten.
Mit diesem Epilog bekräftigen die Kuratoren noch einmal ihr
Selbstverständnis: Als Historisches Museum ist es ihr Auftrag,
Zeugnisse der Geschichte in Zusammenhänge zu stellen und zu
erläutern. Gerade die NS-Kunst verliert auf diese Weise jegliches
verführerische Potenzial. Indem das DHM offen und sachlich mit
diesen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus umgeht, trägt es
wirkungsstark zum kritischen Verständnis der Epoche bei.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
„Kunst und Propaganda im
Streit der Nationen 1930-1945“.
Deutsches Historisches Museum,
26. Januar bis 29. April,
täglich 10-18 Uhr;
www.dhm.de
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Dr. Mabuse und Edgar
Wallace treffen sich in
der alten Zitadelle
In Spandau produziert:
Der Film „Die Tausend
Augen des Dr. Mabuse“
(1960) mit Gert Fröbe
und Werner Peters.
Den Reiz der Kulturlandschaft Berlin machen nicht nur die großen,
schicken und teuren Etablissements in der City aus, die allseits
bekannten und frequentierten Treffpunkte für Theater, Musik,
Tanz, Film oder Literatur am Kurfürstendamm, Unter den Linden, auf
der Friedrichstraße oder an der Bismarckstraße.
Außer Charlottenburg, Tiergarten, Mitte und Prenzlauer Berg
haben auch weitere Bezirke ihre lohnenden Adressen: Andere
Väter haben auch schöne Töchter, weiß der Volksmund.
Man muss manches nur finden. Wer zum Beispiel in Spandau
an Juliusturm, Wassergraben und altem Gemäuer vorbeibraust,
ahnt vielleicht gar nicht, was ihm entgeht. Die Bastionen Königin,
Kronprinz, Brandenburg, die alte Ritterschänke, Zeughaus und
Exerzierhalle, Palas und Kommandantenhaus bilden in diesen
winterlichen Wochen ein historisches Ensemble von eigener
stiller Schönheit.
Die Ruhe allerdings täuscht. Es gibt mehr als einen guten
Grund, die hölzerne Brücke und die Toreinfahrt zu passieren.
„Dr. Mabuse und Edgar Wallace in Wolffs Revier“ heißt zur
Zeit im Zeughaus der Zitadelle Spandau eine reizvolle Exposition,
welche die Film- und Kinogeschichte Spandaus zum Entzücken
für jeden Filmfreund faktenreich und faszinierend aufrollt.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: picture-alliance/KPA
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Blatt 24
In Fotos, Programmen, Modellen, Figurinen, Drehbüchern und
technischem Gerät wird an Leinwandkunststücke wie „Das Bad auf
der Tenne“, „Das Riesenrad“, „Petersburger Nächte“ oder
„Die tausend Augen des Dr. Mabuse“ erinnert, die alle hier
entstanden.
Artur Brauner, der in einem kleinen Dokumentarfilm innerhalb
der Ausstellung zu Worte kommt, Horst Wendlandt und
Gero Wecker waren jene Produzenten, die in alten Luftschiffoder Fabrikhallen die Spielplätze für Großfilme mit teilweise
monumentalen Bauten entdeckten.
Gruseliges aus dem nebelumwaberten London oder von Schloss
Blackmoor ließ sich stilecht und nicht zuletzt kostensparend in
den Kellern oder Verließen der Zitadelle drehen. Sonja Ziemann,
Maria Schell, Sabine Sinjen, Caterina Valente geistern durch die
Ausstellung, derweil Kriminalkommissar Heinz Drache die kniffligsten
Fälle löst, mit Eddy Arendt oder Chris Howland als heiteren
Partnern oder Gegenspielern. In jüngerer Zeit sorgten TV-Serien
wie „Wolffs Revier“ und „Hinter Gittern“ für Beschäftigung und
Filmleben in Spandau.
Die Geschichte des Drehorts Spandau reicht weit zurück; im
Ortsteil Staaken wurden sogar Szenen zu „Metropolis“ oder „Die
freudlose Gasse“ gedreht. Dass dort auch wichtige Beiträge zur
Filmkunst der letzten fünfzig Jahre entstanden, wird vielfach
vergessen. Romy Schneider war hier die „Spaziergängerin von
Sanssouci“, Rainer Werner Fassbinder drehte „Querelle“.
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: picture-alliance/obs/ARD
Ebenfalls eine Produktion
aus Spandau: „Die freudlose
Gasse“ (1925) mit Greta
Garbo und Grigori Chama.
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Blatt 25
Und Brauners CCC schuf neben leicht Unterhaltsamem auch viele
ernste, schwierige und finanziell riskante Dramen über Verfolgung,
Holocaust und Widerstand von „Morituri“ und „Der 20. Juli“
bis „Hitlerjunge Salomon“ oder zuletzt „Der letzte Zug“.
Szene aus dem 1943
entstandenen Film
„Das Bad auf der Tenne“
– gedreht in Spandau.
Nebenbei gesagt: Dass dieser künstlerisch beachtliche Beitrag
zur Dokumentierung jüngerer deutscher Geschichte nicht in einem
der größeren Berliner Filmpaläste seinen Platz fand, sondern
gegenwärtig in einzelnen Vorstellungen an der Peripherie der Stadt
dahinkümmert, ist kein Ruhmesblatt für die Kinostadt Berlin.
Aber mit der ging es ja sowieso stetig abwärts. Einst gab es im
Bezirk Spandau mit dem Tropfsteinkino, dem Savoy, dem Bio,
dem Odeon und anderen insgesamt 20 Lichtspielhäuser. Heute
nennt das tägliche Filmprogramm hier draußen im Westen Berlins
gerade mal zwei Adressen.
Auch dieses Kapitel übrigens schlägt die Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums auf, die zahlreiche lokalhistorische und
kinogeschichtlich wertvolle Schaustücke als Leihgaben des ArturBrauner-Archivs (Deutsches Filmmuseum Frankfurt am Main)
zeigen kann.
Nicht zu vergessen: Die Zitadelle ist natürlich nicht allein von
filmischem Reiz. Hier findet sich ein bezirkliches Kulturzentrum, das
mit Konzerten etwa im Gotischen Saal mit seiner mittelalterlichen
Atmosphäre, mit Theater, Lesungen und anderen Veranstaltungen
und einem reichhaltigen Kinderprogramm aufwartet. Zahlreiche
Feste vom Ostermarkt bis zum Fledermausfest und einem
Ritterspektakulum im April werden angeboten. Schließlich ist
die Zitadelle im Sommer attraktiv durch die angrenzende
Freilichtbühne mit ihren reichen Angeboten.
Dieter Strunz
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
foto: picture-alliance/akg-images
Stadtgeschichtliches Museum
Spandau, Zeughaus der Zitadelle,
Am Juliusturm, 13599 Berlin.
Bis zum 4. März dienstags bis
freitags 8 bis 17 Uhr, sonnabends
und sonntags 10 bis 17 Uhr.
Tel: 35 49 44 297,
Fax: 35 49 44 296,
www.zitadelle-spandau.de
Januar 2007
Blatt 26
Den USA fehlt eine
politische Strategie
für die Zeit nach dem
Rückzug aus Irak
Von RAFAEL SELIGMANN
Man muss weder Generalstäbler noch Kriegshistoriker oder
politischer Analyst sein, um zu begreifen, dass die militärische
Intervention der Vereinigten Staaten in Irak zum Scheitern
verurteilt ist. Diese Einsicht fast aller maßgeblichen Experten,
nicht zuletzt der von der US-Regierung selbst berufenen BakerKommission, ist auch George W. Bush bekannt – ebenso wie eine
Reihe geheimdienstlicher Erkenntnisse und Analysen, die zum
gleichen Ergebnis kommen.
Was aber bewog den US-Präsidenten, sich über dieses geballte
Wissen hinweg zu setzen und sich schließlich für eine Aufstockung
des US-Interventionskorps um 21 500 Soldaten zu entscheiden?
George Bush sollte einsehen, dass das Ziel, nach dem Sturz
Saddams und der Besetzung Iraks in dem Land eine Demokratie
westlichen Stils im Schnelldurchgang aufzubauen, in absehbarer
Zeit nicht durchsetzbar ist, erst recht nicht gewaltsam mit Hilfe
eines vermehrten Truppeneinsatzes. Welche Gründe haben den
US-Präsidenten dazu gebracht, dennoch eine Ausweitung der
Expeditionsarmee im Zweistromland anzuordnen?
Den entscheidenden Hinweis für die Beweggründe Bushs
gibt eine militärische Personalie, die in der Öffentlichkeit kaum
beachtet wurde: Gleichzeitig mit seinem Votum für eine temporäre
Ausweitung des militärischen Einsatzes in Irak ernannte der
Präsident einen neuen Kommandeur der US-Truppen in Irak. David
Petraeus ist keineswegs ein Haudegen und Kämpfer um jeden Preis.
Der General ist unbestreitbar der intelligenteste Kopf der
US-Army. Der hoch dekorierte Militär war Jahrgangsbester im
Generalstabscollege, später wurde er mit einer Dissertation an der
Elite-Universität Princeton promoviert. Thema der Doktorarbeit
war „Der Einfluss des Vietnamkrieges auf das militärische Denken“
der Vereinigten Staaten.
Dabei hat Petraeus gelernt, dass ein Besatzungskrieg mit
militärischen Mitteln nicht gewonnen werden kann. Die Vereinigten
Staaten hatten Mitte der sechziger Jahre mehr als 600 000 GIs in
DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Januar 2007
Blatt 27
Vietnam stationiert. Dennoch ging der Waffengang verloren, ja,
er musste scheitern, weil kein Volk – es sei denn, es wünscht es
zeitweilig – von einer fremden Macht besetzt bleiben möchte.
Heute sind gerade mal 150 000 GIs in Irak stationiert, die
zusätzlichen gut 20 000 Soldaten ändern wenig am Gesamtkräfteverhältnis zwischen US-Truppen und Aufständischen. Schlimmer
noch, sie vermitteln vielen Irakis den Eindruck, dass die fremden
Okkupanten sich auf Dauer einzurichten drohen.
Abgesehen von der kurdischen Minderheit im Nordirak, der die
US-Intervention eine weitgehende Autonomie bescherte, möchte
die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung des Zweistromlandes
– bei allen internen Konflikten – nicht länger von den Vereinigten
Staaten beherrscht werden.
Diese antagonistische Grundsituation gegenüber den USA
hat deren Feinden buchstäblich Tür und Tor geöffnet: Durch
die faktisch offenen, hunderte Kilometer langen Grenzen mit
Syrien und Iran sickern schiitische Revolutionsgarden, islamische
Fundamentalisten, Terroristen und Kriminelle fast ungehindert in
den Irak ein.
Das volle Ausmaß des Konfliktpotenzials hat sich noch lange
nicht entfaltet. Denn die größte religiöse Gruppe, die Schiiten,
die vor allem im Süden beheimatet ist, hält noch weitgehend
still. Ihre besonnene Führung unter Ajatollah al Sistani wartet
zu, bis die ausländischen Truppen abgezogen sind, um auch die
Zentralmacht in Bagdad und in möglichst vielen Teilen des Landes
zu übernehmen.
Lediglich die radikalen Milizen Muktada al Sadrs werden
schon seit einiger Zeit vor allem in Bagdad aktiv, um sich
Schlüsselstellungen für die kommende Auseinandersetzung mit den
gemäßigten Kräften Sistanis zu sichern und gleichzeitig aktive Kräfte
und Fundamentalisten der Sunniten zu bekämpfen.
Nicht allein radikale Sunniten sind entschlossen, nicht zuzulassen,
später von der schiitischen Majorität beherrscht und unterdrückt
zu werden. Eine ähnliche Haltung nehmen die Kurden im Norden
ein, wo ein großer Teil der Ölreserven lagert.
Mit einer geschwächten Zentralmacht in Bagdad mögen sie sich
abfinden. Eine repressive schiitische Zentralgewalt aber lehnen die
Kurden ab. Sollte diese versuchen, deren Region zu beherrschen
und einen weitgehenden Abfluss der Öleinnahmen zu erzwingen,
würden die Kurden um ihre Unabhängigkeit kämpfen.
Diese Konstellation wiederum wäre für die Türkei Grund zu
einer militärischen Intervention. Das Militär und alle maßgebenden
politischen Kräfte in Ankara sind entschlossen, notfalls mit
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Gewalt die Etablierung eines unabhängigen kurdischen Staates zu
verhindern. Denn das würde zwangsläufig auf die zwölf Millionen
Kurden im Osten der Türkei als Signal wirken, ihrerseits die
Unabhängigkeit von Ankara zu erkämpfen. Auf diese Weise würde
auch die Türkei in einen Bürgerkrieg gezogen werden, dessen
Auswirkungen in der gesamten Europäischen Union, also auch in
Deutschland mit seiner fast zwei Millionen zählenden türkischen
Gemeinde und den vielfachen politischen und wirtschaftlichen
Bindungen spürbar werden.
Noch hält sich im Irak die Regierung Maliki im Amt. Vor allem
Dank des US-Interventionskorps. Die neue irakische Armee indes,
an deren Aufbau General Petraeus vor Jahren entscheidenden
Anteil hatte, besitzt keine nennenswerte Kampfkraft. Als
Stabilitätsfaktor zumindest für die schiitisch dominierte Regierung
in Bagdad zählt das irakische Militär wenig.
Der amtierende
US-Präsident, wie er
sich gerne zeigt:
unter Soldaten.
Die mühsam zusammengefügte Regierungskoalition al Malikis
klammert sich an die Macht. Ihr letzter Stützpfeiler ist das USMilitär. Der Versuch, durch eine rasche Hinrichtung Saddams und
seiner engsten Gefolgsleute Handlungsfähigkeit zu demonstrieren,
bewirkte das Gegenteil. Die Sunniten, auch Gegner von Saddams
Terrorherrschaft, fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Ihre
Feindschaft gegen die schiitische dominierte Regierung nahm
durch die überhastete und grausame Hinrichtung zu.
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foto: picture-alliance/dpa/andrew craft
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Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem Zwiespalt.
Verkünden sie den Abzug ihres Militärs aus Irak, würden die
Kämpfe mit einer heute noch kaum vorstellbaren Brutalität
ausbrechen. Das Land rutschte rasch in einen Bürgerkrieg. Dies
wäre für die Kurden ein unausweichlicher Grund zur Separation,
was wiederum, wie erwähnt, Ankara in den Konflikt ziehen
würde.
Die einzige für Präsident Bush gangbare Option ist, durch die
geringe Verstärkung der US-Truppen den Willen zu einem Verbleib
im Zweistromland zu unterstreichen und auf das Wunder einer
sich verfestigenden Demokratie zu hoffen. Doch dieses Wunder
wird nicht geschehen. Einer irakischen Demokratie fehlt die
soziale Infrastruktur. Statt sich zu verfestigen, streben die Kräfte
zentrifugal auseinander.
Die Bush-Administration hat keine Chance, ihre Truppen
unter Wahrung ihres politischen Ansehens abzuziehen. Erst die
nächste Regierung in Washington, einerlei, ob demokratisch oder
republikanisch ausgerichtet, wird die politische Kraft besitzen,
einen Neuanfang zu starten. Dieser kann nur bedeuten, das USMilitär aus Irak abzuziehen. Die Auswirkungen aber werden
weit schlimmer sein als vor dreißig Jahren in Vietnam, wo die
Kommunisten als einheitliche Kraft bereit standen, das Vakuum zu
füllen – und mit ihren Gegnern abzurechnen.
In Irak werden in Folge des US-Rückzugs langwierige innere
Konflikte ausbrechen. Dabei wird es für den Westen darauf
ankommen, die politischen Kollateralschäden zu begrenzen. Das
heißt vor allem, die Regionalmächte Iran, Syrien, Saudi-Arabien und
Türkei an einer Intervention, vor allem am militärischen Eingreifen
zu hindern.
Dies ist nur durch eine weitsichtige strategische Außenpolitik
möglich. Doch diese fehlt der Regierung Bush vollständig. Statt
die Zeit, die eine Verstärkung der US-Truppen in Irak schafft, für
politisch-diplomatische Maßnahmen zu nutzen, erschöpft sich die
Politik Washingtons in Drohungen gegen Syrien und Iran.
Dass dieser Weg vergeblich ist und lediglich eine Eskalation nach
sich zieht, hat man mittlerweile sogar in Jerusalem eingesehen.
Daher versucht Israel vorsichtig, zumindest mit seinem Nachbarn
Syrien ins politische Geschäft zu kommen.
Präsident Bush und seine Administration indes agieren fantasielos.
Sie sind nicht in der Lage, die verbleibende Zeit zu nutzen. Die
Konsequenzen sind ein nahezu unvermeidlicher Bürgerkrieg in
Irak sowie die Gefahr gewaltsamer Konflikte im Nahen Osten
mit unabsehbaren Folgen für die Region und mit gefährlichen
Auswirkungen für Europa, ja für den Weltfrieden.
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Alfred Grenander,
der Architekt der
Berliner Hoch- und
Untergrundbahn.
Er kam aus Schweden
Eine Sonderausstellung im Deutschen Museum
für Verkehr und Technik Berlin
Er hat die Berliner Infrastruktur geprägt wie kaum ein anderer, und
dennoch kennt kaum jemand seinen Namen: Alfred Grenander,
der Architekt der Berliner Hoch- und Untergrundbahn. Rund
70 Bahnhöfe wurden zwischen 1902 und 1930 nach seinen Plänen
errichtet.
In Zusammenarbeit mit der schwedischen Botschaft hat das
Deutsche Technikmuseum zu Ehren Grenanders, dessen Todestag
sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährt, eine exquisite Ausstellung
konzipiert, die noch bis zum 29. April 2007 zu sehen ist: „Berlin
über und unter der Erde – Das Werk Alfred Grenanders“.
1863 im schwedischen Skövde geboren, begab sich Grenander
mit 22 Jahren nach Berlin, um sich an der Königlich-Technischen
Hochschule für Architektur einzuschreiben. Nach dem
Studienabschluss blieb er in der aufstrebenden Metropole und
eröffnete 1896 sein eigenes Architekturbüro.
Zunächst entwarf er Schmuckelemente für die Stahlstützen
der neuen Berliner Hochbahn, später die Eingänge für den
Bahnhof Potsdamer Platz. Binnen kurzer Zeit stieg er dann zum
meistbeschäftigten Architekten für Berlins seit 1902 begonnene
Untergrundbahn auf.
Sein Meisterwerk der Vorkriegszeit ist der 1913 vollständig
neu erbaute Bahnhof Wittenbergplatz an der „Stammlinie“ der
Berliner U-Bahn mit dem an Schinkel erinnernden Empfangsgebäude.
Der Bahnhof zeigt in markanter Form die damals vorbildliche
Trennung der Bahnhofshalle vom Eingangsgebäude.
Am Wittenbergplatz, wo gleich drei Linien aus den westlichen
Bezirken des ausufernden Berlin zusammenliefen und zusätzlich
mit dem „Kaufhaus des Westens“ eine neue Einkaufsattraktion
entstand, musste ein entsprechendes Fahrgastaufkommen
berücksichtigt werden.
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Nur eine Station weiter östlich befindet sich ein weiteres
Prunkstück des Architekten: der Bahnhof Nollendorfplatz. Hier
hatte Grenander die schwierige Aufgabe zu lösen, die vorhandene,
vom Westen her aufsteigende Hochbahn mit einem doppelstöckigen
Untergrundbahnhof funktional zu verbinden.
Grenanders Bahnhof
Nollendorfplatz – einer von
rund 70 von ihm gebauten
Berliner U-Bahnhöfen.
Gerade der Bahnhof Nollendorfplatz zeigt die enorme
stilistische Vielfalt Grenanders. Mühelos gelang es ihm dort,
das neoklassische Erscheinungsbild der Zugangsbauten mit der
neusachlichen Gestaltung der Untergrundbahnsteige zu verbinden.
Parallel mit dem so strengen Bahnhof Nollendorfplatz wurde
der gewaltige Umsteigebahnhof Hermannplatz errichtet.
Am Hermannplatz stand kein Raum für ein oberirdisches
Empfangsgebäude zur Verfügung. Deswegen konzentriert sich die
ganze Monumentalität auf die Bahnsteighalle der heutigen Linie 7, in
die trogartig die niedrige Halle der querenden Linie 8 eingebettet liegt.
Ende der 1920er Jahre entstand in dichtem Abstand die
Mehrzahl der Grenanderschen Bahnhöfe; allein 1929 und 1930
wurden 25 Bahnhöfe in Betrieb genommen. Grenander entwickelte
das Prinzip der Kennfarbe, bei dem sich jede Station durch eine
Farbe deutlich von den jeweils davor beziehungsweise dahinter
liegenden Bahnhöfen unterscheidet.
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foto: picture-alliance/akg-images
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Mit der Kennfarbe können sowohl Fliesen als auch Stützen und
Schilderumrahmung verziert sein. Dieses Kennfarben-Prinzip lässt
sich heute noch teilweise auf den Berliner U-Bahnlinien U2, U5,
U6 und U8 erkennen.
Die Ausstellung im Deutschen Technikmuseum macht aber auch
deutlich, dass der große schwedische Architekt noch weit mehr
zu bieten hat als die Berliner U-Bahnhöfe: Landhäuser, Villen,
Kirchen, Möbel, Inneneinrichtungen, Kioske, Busse, UBahnwagen. Auch das Grabmal für den schwedischen Botschafter
auf dem Friedhof in Stahnsdorf hat er entworfen.
Der Berliner U-Bahnhof
Eberswalder Straße
– ebenfalls ein Werk
Grenanders.
Die rund 70 von ihm geschaffenen U-Bahnhöfe bleiben jedoch
seine wichtigste Hinterlassenschaft. Deswegen wird der Ausstellungsbesucher im Nachfeld bestimmt aufmerksamer U-Bahn fahren,
um in den Stationen nach Grenanders Handschrift zu suchen – zum
Beispiel in den Stationen der gestalterisch vollendetsten Linie
U8. Ein Bild des Architekten übrigens selbst findet man nur in einer
einzigen Station, im Bahnhof Klosterstraße (U2). Hier ist auch eine
Gedenktafel für Alfred Grenander angebracht.
Tobias v. Schoenebeck
„Berlin über und unter der Erde –
Das Werk von Alfred Grenander”,
bis 29. April 2007.
Technikmuseum Berlin,
Trebbiner Straße 9,
10963 Berlin-Kreuzberg.
Öffnungszeiten:
Di – Fr 9-17.30 Uhr,
Sa+So 10-18 Uhr.
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foto: picture-alliance/akg-images/Florian Profitlich
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Christian Dior,
Kurzes Abendkleid, Linie Y,
Herbst/Winter 1955/56,
veröffentlicht in
„Constanze“.
Ein Modekönig mit
Strahlkraft: „Christian
Dior und Deutschland“
Ausstellung im Kulturforum Potsdamer Platz
Von KLAUS GRIMBERG
Wie kaum ein anderer Designer hat Christian Dior die Mode nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmt – auch hierzulande.
Mit der Sonderausstellung „Christian Dior und Deutschland,
1947 bis 1957“ widmet sich die Kunstbibliothek im Kulturforum
Potsdamer Platz erstmalig den vielfältigen Beziehungen zwischen
Dior und Deutschland.
Die Ausstellung öffnet am 12. Februar 2007. Auf den Tag genau
60 Jahre zuvor präsentierte Dior seine erste Kollektion in Paris.
Ein für die Modewelt legendäres Datum: Der „New Look“ war
geboren und trat seinen Siegeszug um die Welt an. Gleichzeitig
erinnert die Sonderschau an den 50. Todestag Diors. Der
Modeschöpfer starb am 24. Oktober 1957 im Alter von nur 52
Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. Bis zu seinem Tod hatte
der „Pariser Meister“ 22 Kollektionen eigenhändig entworfen.
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foto: smb, kunstbibliothek
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In Berlin sind nun zwanzig originale Haute-Couture-Modelle
der Jahre 1947 bis 1957 zu sehen: Opulente Abendkleider stehen
neben ideenreichen Tages- und Cocktailkleidern, raffinierten
Kostümen und Mänteln. Viele von ihnen werden zum ersten Mal in
Deutschland öffentlich gezeigt.
Auf den ersten Blick werden Merkmale von Diors
charakteristischem Stil deutlich – die schmale Taille, das
figurbetonte Oberteil und weite, schwingende Röcke. Eine Mode,
die – um nur einige wenige zu nennen – von Marlene Dietrich über
Jackie Kennedy bis hin zu Evita Perón getragen wurde.
Einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bilden 24 originale
Modeschmuck-Garnituren mit schillernden SwarovskiStrasssteinen und Kunstperlen. Sie stammen aus der Pforzheimer
Firma Henkel & Grosse, die zwischen 1955 und 1957 für Dior
produzierte. In den Schmuckstücken wird die stilistische und verarbeitungstechnische Perfektion deutlich, die das Haus Dior von
Beginn an auszeichnete.
Die Präsentation in der Kunstbibliothek belegt, wie stark
die Schöpfungen Diors auch auf das modische Empfinden
in Deutschland gewirkt haben. Anhand von Fotografien
und Zeichnungen, Modezeitschriften sowie Ton- und
Filmdokumenten werden die zehn glamourösen DiorModeschauen in Deutschland zwischen 1949 und 1953
ins Gedächtnis zurückgerufen. Die Ausstellung spiegelt die
Medienresonanz auf Diors Mode und den Starkult um seine
Person, der sich auch bei seiner einzigen Deutschlandreise 1955
offenbarte.
Auf 300 Quadratmetern Fläche sind rund 180 Exponate zu
sehen. Neben den Kleidern und Schmuckstücken runden Hüte,
Taschen und weitere Accessoires das Bild von Diors stilsicherer
Kreativität ab. Hinzu kommen großformatige Illustrationen der
berühmten Dior-Zeichner René Gruau und Walter Voigt sowie
Modefotografien von F.C. Gundelach, Walde Huth und Willy
Maywald. Aus ihnen allen spricht das sichere Gespür Diors für
Eleganz in Linie, Stoff und Farbe.
Ein letzter Aspekt ist die erfolgreiche Lizenzpolitik Diors, die
sein Haus schnell zu einem der erfolgreichsten internationalen
Modeunternehmen werden ließ. Die Vergabe von Lizenzen für
Kosmetika, Strümpfe und Accessoires wurde zu einer erfolgreichen
Marketingstrategie und bald von anderen Häusern in ähnlicher
Form nachgeahmt. Auch in Deutschland kamen zahlreiche
Lizenzproduktionen in die Boutiquen und Kaufhäuser.
Zu der Ausstellung wird ein umfangreiches Programm mit
Führungen und Vorträgen angeboten. Im Katalog sind auf 260 Seiten
mehr als 200 Abbildungen zu finden. Er erscheint in deutscher und
englischer Sprache bei Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart.
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„Christian Dior und Deutschland,
1947-1957“, Kunstbibliothek
im Kulturforum Potsdamer Platz,
geöffnet 13. Februar bis 28. Mai,
Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr.
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Planungen für die
Freiraumgestaltung des
Schlossareals
Zur Debatte steht auch eine temporäre
Kunsthalle auf dem grünen Rasen
Auf dem Berliner Schlossplatz dauert alles länger als geplant.
Der im Februar 2006 begonnene Abriss des Palasts der Republik
wird sich um voraussichtlich ein ganzes Jahr länger hinziehen als
vorgesehen, nämlich bis ins Frühjahr 2008, weil die Rückbauarbeiten
aufgrund überraschender neuer Asbestfunde wesentlich langsamer
vorankommen.
Ob oder wann der per Bundestagsbeschluss entschiedene
Wiederaufbau des Berliner Schlosses dann später einmal unter
der Bezeichnung „Humboldt-Forum“ realisiert wird, ist bislang noch
völlig ungewiss. Denn die Finanzierung ist weiterhin ungeklärt.
Stadtplaner vermuten inzwischen, dass sich in Sachen „HumboldtForum“ vor dem Jahr 2014 überhaupt nichts tun wird. Was aber
soll in der Zwischenzeit im Zentrum der historischen Mitte Berlins
passieren?
Für die Gestaltung des Schlossplatzes in der Zeit nach Vollendung
des Palast-Abrisses bis zum Schlossbaubeginn hatte die
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Mai 2006 den landschaftsplanerischen Wettbewerb „Temporäre Freiraumgestaltung
Schlossareal“ ausgelobt. Mehr als 80 Landschaftsarchitekten hatten
sich an dem europaweiten Wettbewerb beteiligt. Von den Entwürfen
wurden nach einer ersten Sichtung 25 in die engere Wahl
genommen.
Im September 2006 schließlich präsentierte Senatorin Ingeborg
Junge-Reyer (SPD) den Siegerentwurf: Die Berliner Gero Heck
und Marianne Mommsen vom Planungsbüro relais Landschaftsarchitekten erhielten vom Preisgericht unter Vorsitz der Landschaftsarchitektin Andrea Gebhard aus München den mit 16 300 Euro
dotierten ersten Preis.
Der Plan von Heck und Mommsen sieht vor, dass den Schlossplatz
künftig eine weite Rasenfläche zieren soll, die durch rhythmisch
angeordnete Stege aus Lärchenholz gegliedert ist. Die Stege
verlaufen parallel zu den beiden Spreearmen, leicht gegenüber dem
Rasen erhöht. Unter dem Gras verschwinden die Spuren der
Palast-Bebauung und die zum Teil freigelegten Fundamente des 1950
gesprengten Hohenzollernschlosses.
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Die Preisträger folgten mit ihrem Entwurf der Vorgabe von Bund
und Land, für die Zwischennutzung eine Lösung ohne größere
Eingriffe, vor allen Dingen ohne Rückbezug auf den Palast und ohne
Vorgriff auf das künftige „Humboldt-Forum“ zu finden. Für die
Schlossarealgestaltung stehen 2,1 Millionen Euro aus der Entwicklungsmaßnahme „Parlaments- und Regierungsviertel“ zur Verfügung.
Davon trägt das Land Berlin 750 000 Euro, den Hauptteil leistet die
Bundesregierung.
In der Debatte um die Zwischennutzung des Schlossplatzgeländes hatten sich im vergangenen Jahr zahlreiche Architekten
und Künstler mit eigenen Vorschlägen zu Wort gemeldet.
Verschiedene Medien veranstalteten Ideenwettbewerbe, die in der
Regel auf eine aktive Nutzung des Areals zielten.
Besondere Unterstützung in der Kulturszene fand der Plan,
hier in Ergänzung zur landschaftsarchitektonischen Gestaltung
eine temporäre Kunsthalle zu errichten. Einen in der Planung
bereits weit gediehenen Entwurf präsentierten die Berliner
Künstlerinnen Coco Kühn und Constanze Kleiner zusammen mit
den Architekten Rabea Welte und Alex Kader.
Kühn und Kleiner hatten im Dezember 2005 die letzte Ausstellung
im Palast der Republik vor dessen endgültiger Schließung initiiert.
Für gerade einmal neun Tage hatten sie zwischen vier eingezogenen
Wänden unter dem Titel „36 x 27 x 10“ Werke international sehr
bekannter, in Berlin lebender Künstler versammelt.
Die Schau zog in der kurzen Zeit mehr als 10 000 Besucher an
und stieß auf fast einhellige und überschwängliche Begeisterung in
den deutschen Feuilletons. Gleichzeitig überzeugte sie viele davon,
dass in Berlin ein Ort für die Präsentation der aktuellen Kunst
fehlt. So war neben den Exponaten Ereignis auch der Raum, dessen
Maße 36 x 27 x 10 Meter den Titel der Ausstellung gaben.
Inspiriert vom Erfolg dieser Schau beauftragten Coco Kühn und
Constanze Kleiner ihre Kooperationspartner Welte plus Kader
Architekten, die Qualitäten des White Cube Berlin in ein
freistehendes Gebäude zu übersetzen. Deren Entwurf sieht eine
temporäre Kunsthalle genau in den Dimensionen des bereits
bewährten Ausstellungsraums vor.
Der geschlossene weiße Ausstellungskubus mit 1000
Quadratmetern Ausstellungsfläche im Obergeschoss ist stützenfrei
geplant. Darunter liegt das rundum verglaste Erdgeschoss
mit Räumen für einen Museumsshop, für Veranstaltungen und
gastronomische Einrichtungen. Ein umlaufender Balkon und
Freitreppen mit Sitzstufen im Südwesten und Nordosten des
Gebäudes schaffen zusätzliche Aufenthaltsräume mit Aussicht zum
Spreeufer und zur Freifläche des Schlossplatzes.
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Auch wenn das Projekt schon bis ins Detail durchgeplant ist,
sehen die Initiatorinnen des „White Cube Berlin“ ihren Entwurf für
eine temporäre Kunsthalle zunächst lediglich als Denkanstoß
an. Ihnen kommt es vor allem darauf an, dass der Schlossplatz
zwischenzeitlich als Ort für zeitgenössische Kunst thematisiert wird
und dass die beschlossene Grünflächengestaltung eine ergänzende
inhaltliche Dimension erhält.
Entwurf des
„White Cube Berlin“, mitten
auf dem noch zu schaffenden
grünen Rasen im Herz des
Herzens von Berlin.
Hier bietet sich die Gelegenheit, direkt an der Museumsinsel eine
Perspektive auf die Kunst der Gegenwart zu eröffnen, die in
zahlreichen Ateliers und Köpfen dieser Stadt entsteht, aber noch
keinen eigenen Präsentationsraum in Form einer Kunsthalle
gefunden hat.
Ob der Berliner Senat das ihm seit Juni 2006 vorliegende Konzept
in seinen Planungen berücksichtigt, muss sich noch zeigen.
Namhafte Persönlichkeiten aus Kultur und Politik wie die ehemalige
Kulturstaatsministerin Christina Weiß, der Vorsitzende des Vereins
der Freunde der Neuen Nationalgalerie, Peter Raue, und der Leiter
der Frankfurter Städelschule, Daniel Birnbaum, haben das Projekt
einer temporären Kunsthalle inzwischen öffentlich begrüßt.
Tobias v. Schoenebeck
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Slot-Handel in Europa
noch im Streit
Von JENS FLOTTAU
Es ist ein Graumarkt, auf dem Millionen fließen: Wenn eine
Fluggesellschaft händeringend nach einer Möglichkeit sucht, doch
noch irgendwie einen Platz zu finden, etwa auf dem Londoner
Flughafen Heathrow, und wenn eine andere Fluglinie gerade etwas
abzugeben hat, dann wird gehandelt. Mehr als zehn Millionen Pfund
fließen in Heathrow derzeit für ein Slot genanntes Zeitfenster,
das Flugzeuge für Starts und Landungen benötigen. Die Preise haben
sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Doch eigentlich ist der
Slothandel – derzeit jedenfalls – verboten; in London wird er von den
Behörden allerdings toleriert.
Eigentlich sollte schon Ende 2006 der Entwurf einer neuen
Richtlinie der Europäischen Kommission für den Handel mit
Slots auf europäischen Flughäfen vorliegen. Mit Hilfe der Richtlinie,
auf die Anfang 2007 noch immer gewartet wird, sollen die
Geschäfte aus der rechtlichen Grauzone herausgeholt werden, zum
Nutzen der Airlines und der Fluggäste.
Die Kommission wollte erst in einer umfangreichen Studie
untersuchen lassen, ob und wie der Handel reguliert werden sollte
und welche Folgen das für die Branche exakt hätte.
Slots werden auf Antrag von den Flughafenkoordinatoren der
jeweiligen Länder zugeteilt. Sie sind gerade an den verstopften
Drehkreuzen wie Heathrow, Paris und Frankfurt ein äußerst
wertvolles Gut. Wer aber einen Slot bekommen hat und ihn in
einer Flugplanperiode zu mindestens 80 Prozent auch genutzt
hat, der bekommt ihn im Folgejahr automatisch wieder. Die
Fluglinien haben somit Planungssicherheit und können auf dieser Basis
investieren.
Doch der EU-Kommission ist gerade diese Regelung ein Dorn im
Auge. Wegen der so genannten „Grandfather Rights“ – eben
der Garantie, den Slot auch im kommenden Jahr wiederzubekommen
– seien die Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter zu hoch, so
die Argumentation.
Auch sei nicht garantiert, dass die Zeitfenster auf den Start- und
Landebahnen möglichst effizient genutzt würden. Im Gegenteil:
Bevor eine Fluglinie einen Slot, den sie eigentlich nicht braucht, an
den Flugplankoordinator zurückgibt, behält sie ihn lieber und nutzt
ihn für unbedeutende Regionalflüge mit kleinen Maschinen.
Das ist aus Sicht der Gesellschaft immer noch besser, als der
Konkurrenz eine Chance zu geben.
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Die in Auftrag gegebene, gerade veröffentlichte Studie der
britischen Unternehmensberatung Mott MacDonald stützt
die Ansicht der Kommission, dass die bisherige Regelung
verbesserungswürdig ist. „Slothandel würde stark dazu
beitragen, das Ziel der Kommission zu erreichen, effizienten
Luftverkehr für Passagiere und Fracht sicherzustellen“, so heißt es
in der Studie.
Laut Mott MacDonald wären die Auswirkungen freien Handels
von Start- und Landezeiten auf den europäischen Flughäfen enorm.
Beispielsweise: Bis 2025 würde die Zahl der Passagiere um
sieben Prozent (51 Millionen) steigen können. Und die Kapazität,
gemessen in angebotenen Sitzkilometern, gar um 17 Prozent.
Dieser Effekt werde erzielt, weil die Fluggesellschaften kleinere
Maschinen durch größere ersetzen würden, die mehr Lang- als
Kurzstrecken bedienen. Dadurch könnten sie die Slots effektiver
nutzen.
Auch die Flughäfen würden von dem Handel profitieren. Um
rund sieben Prozent könne der Umsatz pro Jahr steigen, wenn
der Handel mit Slots erlaubt würde, so die Studie. Auch dies eine
Auswirkung des Trends zu größeren Flugzeugen, für die die
Flughäfen höhere Gebühren verlangen können.
Der Handel mit Slots wird laut Mott MacDonald aber auch dazu
führen, dass Flüge zu eher unbedeutenden Zielen von den großen
Drehkreuzen immer mehr verdrängt werden. Deswegen hat
sich auch bereits die European Regions Airline Association (ERA)
kritisch zu dem Vorhaben geäußert.
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Redaktionsschluss 25. Januar 2007
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Die Messe Berlin
expandiert weltweit
Von DIETER WUSCHICK
Die Messe Berlin GmbH ist mit einem starken Jahresabschluss
ins neue Veranstaltungsjahr gestartet. Allein auf den 32 Messen
und Ausstellungen des Jahres 2006 in der deutschen Hauptstadt
präsentierten 21 243 Aussteller aus mehr als 180 Ländern und
Gebieten ihre Waren und Dienstleistungen den Interessenten aus
dem In- und Ausland.
Doch der Messeplatz Berlin war nur das Heimspiel – insgesamt
führte die Unternehmensgruppe Messe Berlin in Deutschland und
in den USA 115 Messeveranstaltungen mit rund 28 000
Ausstellern und 1,8 Millionen Besuchern durch. Die erfolgreiche
Geschäftstätigkeit führte zu einem Rekordumsatz von 166
Millionen Euro, 34 Millionen Euro mehr als im Vorjahr, und
zu einem „positiven Gesamtergebnis“, so Raimund Hosch, der
Vorsitzende der Geschäftsführer der Messe Berlin.
Auf den ersten Blick mag das nach normalem Geschäftsverlauf
aussehen. Der Gedanke drängt sich auf, dass jetzt der Aufschwung
der deutschen Wirtschaft eben auch das Messegeschäft erreicht
habe. Doch dieser erste Blick täuscht.
So hat Deutschlands größter Messeplatz, Hannover, gerade das Jahr
2006 mit einem Minus von 7 Millionen Euro abgeschlossen und
erwartet für sein wichtigstes Aushängeschild – die IT-Messe Cebit
– in diesem Jahr einen Rückgang der Ausstellerzahlen um etwa 15
Prozent und damit erneut ein negatives Ergebnis.
Auch an den anderen Messeplätzen in Deutschland wurden nicht
solche dynamischen Erfolge erzielt wie am Messestandort
Bundeshauptstadt. „Das Geschäft der Messe Berlin hat sich in den
vergangenen Jahren gegen den Bundestrend entwickelt. Während
der Messemarkt in Deutschland seit 2001 schwächelte und erst in
diesem Jahr die Talsohle durchschritten hat, wuchs das Messegeschäft
in Berlin in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 50 Prozent“,
betont Raimund Hosch stolz.
Wo aber liegt dann das Erfolgsrezept des Messeplatzes in der
deutschen Hauptstadt? Pressesprecher Michael Hofer nennt gleich
mehrere Gründe für die gegenwärtige Erfolgsstory der Berliner
Messegesellschaft.
Der Messe Berlin komme etwa zugute, dass sich weltweit immer
mehr die Erkenntnis durchsetze, dass zielorientiert gestaltete
Messen außerordentlich effiziente und effektive Marketinginstrumente sind. Studien in den USA und in Deutschland haben ergeben,
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dass Messekontakte im Durchschnitt nur halb so viele Kosten
zum Erreichen eines Verkaufsabschlusses verursachen wie einzelne
Vertreterbesuche.
Vor allem aber habe die Messe Berlin frühzeitig die internationale
Beteiligung an ihren Veranstaltungen gefördert. Heute kommen
zwei von drei Ausstellern auf den Messen der Berliner
Messegesellschaft aus dem Ausland. Sie sei weltweit die Messe mit
der höchsten internationalen Beteiligung, betont Hofer.
Jährlich besuchten 900 000 Gäste von außerhalb Berlins
das Messegelände unter dem Funkturm. Sie und die 160 000
Mitarbeiter von mehr als 25 000 auswärtigen Firmen, die jedes Jahr
auf dem Messegelände Berlin ihre Produkte vorstellen, bewirkten
einen Kaufkraftzufluss in Höhe von 860 Millionen Euro in die
Hauptstadtregion.
Zudem praktiziere die Messe Berlin seit Jahren erfolgreich das Prinzip
der publikumsoffenen Fachmesse, die nicht allein Fachbesucher,
sondern auch die interessierte Öffentlichkeit willkommen heißt. Aus
diesem Grund werden auch in diesem Jahr zur Internationalen Grünen
Woche die Öffnungszeiten bis 19 Uhr, am letzten Ausstellungstag,
dem „Langen Freitag“ sogar bis 21 Uhr verlängert. „Damit sichern wir
unseren Ausstellern eine Öffentlichkeit und eine Medienpräsenz,
die sie in der abgeschlossenen reinen Fachmesse nicht erreichen
können“, sagt Michael Hofer.
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foto: Caro Fotoagentur/Jürgen Blume
Blick auf das
Berliner Messegelände.
Rechts der langgestreckte
Komplex ICC.
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Als einen ebenfalls wichtigen Grund für den Erfolg des Berliner
Messegeschäftes nennt der Kommunikationschef des Veranstaltungskonzerns unter dem Funkturm schließlich die Grundlagenvereinbarung mit dem Land Berlin aus dem Jahr 2004. Nach
den langen und fruchtlosen Diskussionen über eine Privatisierung,
eine Teilprivatisierung und einen Börsengang würden mit diesem
Dokument stabile Bedingungen für die weitere Zukunft der Messe
Berlin geschaffen.
Für ihr Wachstum hat die Messe dem Land Berlin ein klares
Programm vorgelegt. Mit der Gestaltung des Eingangsbereiches
Süd sind die Baumaßnahmen auf dem Messegelände im Wesentlichen
abgeschlossen worden, die Errichtung weiterer Messehallen ist
nicht vorgesehen.
Entscheidungsbedarf gibt es jedoch für die Zukunft des
Internationalen Congress Centrum ICC, einen der größten
Kostenblöcke im Jahresetat der Messegesellschaft. Die technische
Ausstattung des nach wie vor größten multifunktionalen
Kongresszentrums Europas ist dringend sanierungsbedürftig.
Nach Ansicht von Experten gibt es neben einer sehr aufwändigen
Sanierung des ICC vor allem die Möglichkeit des Neubaus eines
modernen Kongresszentrums mit bedarfsgerechter Konstruktion auf
dem Messegelände. Dem Senat liegen alle Variantenberechnungen vor
– jetzt liegt die Entscheidung bei der Politik.
Hohe Investitionen erfordert auch das zweite strategische
Konzept der Messegesellschaft – die Internationalisierung
des Messegeschäfts. Für die internationale Expansion der Messe
Berlin nennt Hofer zwei markante Beispiele. Im September
findet in Las Vegas THETRADESHOW statt, eine eigenständige
Veranstaltung, die unter der Marke und mit der Branchenkenntnis
der Internationalen Tourismus-Börse ITB Berlin, der größten
Touristikmesse der Welt, geschaffen wurde.
Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr in
Orlando sind die US-Partner, die Branchenverbände und die großen
Reiseveranstalter überzeugt, dass der US-Markt reif ist für eine
solche Messe.
Eine weitere Partnerschaft ist die Messe Berlin auf einem anderen
Markt eingegangen – es geht um die Durchführung der Fruit
Logistica Asia, die in diesem Jahr in Bangkok stattfindet. In Berlin
hat sich die FRUIT LOGISTICA aus einer Veranstaltung innerhalb
der „Grünen Woche“ in nur 15 Jahren zur weltweit wichtigsten
Branchenmesse des Früchte- und Gemüsehandels entwickelt.
Auch an anderen Standorten veranstaltet die Messe Berlin künftig
gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern regionale
und internationale Messen der unterschiedlichsten Art. Dazu gehört
etwa bereits im April die Water Sofia 2007.
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Januar 2007
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Für 2007 wartet die Messe nach der „Grünen Woche“ auch
in Berlin mit weiteren Höhepunkten auf. Vom 8. bis 10. Februar
beispielsweise soll die Weltmesse des Fruchthandels, die FRUIT
LOGISTICA, einen neuen Ausstellerrekord erreichen.
Im März verwandelt sich das Messegelände wieder in das größte
Reisebüro der Welt: Zur ITB Berlin 2007 werden rund 11 000
ausstellende Unternehmen aus 180 Ländern und Regionen erwartet.
In diesem Jahr ist Indien das Partnerland.
Der besondere Publikumsmagnet im Sommer ist sechs Tage lang
vom 31. August an die IFA – Consumer Electronics Unlimited
– mit den neuesten Entwicklungen der Consumer Electronics,
dem direkten Kontakt zu Prominenten des TV-Business und einem
attraktiven Show-Programm.
Vom 18. bis 21. September findet die Internationale Fachmesse
für Reinigungssysteme, Gebäudemanagement und
Dienstleistungen CMS mit begleitendem Kongressprogramm
als wichtigste europäische Reinigungsfachmesse des Jahres statt. In
den Messehallen wird eine aktuelle Leistungsschau von Produkten,
Systemen und Verfahren rund um den Gebäudeservice präsentiert.
Die Popkomm, die internationale erstrangige Kommunikationsplattform für die Musik- und Entertainmentbranche, soll vom
19. bis 21. September erneut starke wirtschaftliche und
kulturpolitische Impulse aussenden. Und vom 29. September
bis zum 3. Oktober zieht das ART FORUM BERLIN wieder
Liebhaber der Gegenwartskunst aus zahlreichen Ländern in die
Berliner Messehallen.
Die europäische Jugendmesse für Outfit, Sport und Lifestyle
YOU bringt vom 26. bis zum 28. Oktober für Jugendliche zwischen
12 und 20 Jahren konzentrierte Information mit viel Spaß.
Der IMPORT SHOP BERLIN schließlich ermöglicht vom
7. bis 11. November Erlebnis-Shopping erster Klasse rund um den
Globus und gibt zum ersten Mal auch die Möglichkeit, sich im
neuen Ausstellungssegment „Urlaubsträume“ über Spezialreisen zu
informieren. Und vom 22. bis 25. November folgt dann noch die
größte Wassersportmesse für Berlin und die neuen Bundesländer,
Boot & Fun. Sie will Wasserfreunde aller Altersgruppen mit
aufregenden Exponaten und Angeboten faszinieren.
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DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84
Januar 2007
Blatt 44