DER HAUPTSTADTBRIEF
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DER HAUPTSTADTBRIEF 29. Januar 2007 Hintergrund-Dienst aus Berlin für Entscheider und Multiplikatoren 84. Ausgabe Bald neue Superschau in Berlin: Die schönsten Franzosen – aus NY „Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Art New York“ – so heißt das große Kunst-Ereignis des Sommers 2007 in Berlin. Cezannes hier gezeigtes „Stillleben mit Äpfeln und Blumenstrauß“ ist nur eines der dann in der deutschen Hauptstadt gezeigten vielen exzeptionellen Kunstwerke, vom 1. Juni bis 7. Oktober. Alles, was im 19. Jahrhundert in Frankreich Rang und Namen hatte, wird in Berlin zu sehen sein: Manet und Monet, Matisse und Gauguin, Rodin, Degas, Maillol und viele mehr. Sozusagen eine zweite MoMA. Der Ansturm dürfte riesig sein. In mehreren Beiträgen wird der HAUPTSTADTBRIEF das Ereignis bis in den Oktober begleiten. Lesen Sie diesmal Blatt 7 bis 10. Berlin wird seine Schulden schneller los Woher die zusätzlichen Milliarden kommen – Ab Blatt 3 Nahverkehr: Kurzstrecken-Fahrten billiger ? Interview mit VDV-Chef Günter Elste – Ab Blatt 11 Januar 2007 DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Blatt DER 84. HAUPTSTADTBRIEF 3 Ein Lichtblick für das Land Berlin: In etwa 150 Jahren schuldenfrei, wenn … 7 Berlin freut sich auf eine neue MoMA-Superschau 11 Was der Chef des Verbandes Deutscher Verkehrunternehmen gut findet und was verbesserungsfähig. Ein Interview mit Günter Elste. 13 Wird das Schloss in Potsdam nun doch wieder aufgebaut? 15 Die Schöne und das Biest ab März in Berlin auf der Musicalbühne 17 Die neuesten Umfrage-Werte (forsa): Union legte zuletzt leicht zu, die SPD gab auf 27 Punkte nach 18 Rund um den Hauptbahnhof soll Berlins neue Boomtown entstehen 21 Das Deutsche Historische Museum zeigt „Kunst und Propaganda“ 24 Dr. Mabuse und Edgar Wallace treffen sich in der alten Zitadelle 27 Die Seligmann-Kolumne: Den USA fehlt eine politische Strategie für die Zeit nach dem Rückzug aus Irak 31 Alfred Grenander, der Architekt der Berliner Hoch- und Untergrundbahn. Er kam aus Schweden 34 Ein Modekönig mit Strahlkraft: „Christian Dior und Deutschland“ 36 Planungen für die Freiraumgestaltung des Schlossareals 39 Slot-Handel in Europa noch im Streit 40 Impressum 41 Die Messe Berlin expandiert weltweit DER HAUPTSTADTBRIEF im Internet: www.derhauptstadtbrief.de foto: andreas schoelzel DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: andreas schoelzel Auf den Punkt Kartenhaus der Vorverurteilungen Das Jahr 2007 hat gut begonnen. Deutschland hat die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und den Vorsitz der G8-Länder übernommen. Die Bundeskanzlerin und ihr Kabinett erfahren Zustimmung, genießen weltweit Vertrauen und Anerkennung. Vor allem: Die deutsche Wirtschaft brummt. Deutschland ist wieder KonjunkturLokomotive in Europa. Die Aussichten für das neue Jahr: robustes Wachstum, weiterer Rückgang der Arbeitslosigkeit. Und ich selbst habe als Verleger gerade erst eine neue Zeitung gegründet. Mit Detlef Prinz überwältigender Resonanz. Herausgeber Aber worüber wird in deutschen Medien berichtet? Die wichtigste Rolle spielt der Fall Kurnaz. Einige Journalisten unterstellen, der beliebteste deutsche Politiker, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, habe in seiner früheren Funktion als Chef des Bundeskanzleramtes verhindert, dass der türkische Staatsbürger Murat Kurnaz aus Guantanamo freikommt. Mit diesem Fall beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Steinmeier wird dort Rede und Antwort stehen und er wird deutlich machen, dass er nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 eine Verantwortung hatte: dass in Deutschland keine Anschläge von Islamisten verübt werden und dass von Deutschland aus keine Anschläge mehr vorbereitet werden. Daran haben Steinmeier und viele andere in den deutschen Sicherheitsbehörden mit Erfolg gearbeitet. Auch das hat zum guten Ruf unseres Landes beigetragen. Ich bin sicher, im Untersuchungsausschuss werden alle Vorwürfe und Vorverurteilungen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Man darf fordern, dass wir Medienmacher dann ebenfalls so breit und umfangreich darüber berichten … Ihr Januar 2007 Blatt Ein Lichtblick für das Land Berlin: In etwa 150 Jahren schuldenfrei, wenn … Von JOACHIM RIECKER Es war eine eher unscheinbare Anzeige, die am 19. Januar auf Seite 20 im Finanzteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien. Doch für Berlin könnte sie einen milliardenschweren Geldsegen auslösen. Unter der Überschrift „Veräußerung der Beteiligung des Landes Berlin an der Landesbank Berlin Holding AG“ kündigte die Senatsverwaltung für Finanzen dort an, ihren knapp 81-prozentigen Anteil an der ehemaligen Bankgesellschaft „in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Bieterverfahren“ zu verkaufen. Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) erwartet, durch die Privatisierung des Unternehmens, das noch vor fünf Jahren von der Pleite bedroht war, so viel Geld einzunehmen, dass die milliardenschweren Verluste aus der Bankenkrise zumindest weitgehend ausgeglichen werden. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, gehört zur Landesbank Berlin doch auch die größte Stadtsparkasse Deutschlands mit knapp zwei Millionen Privatkunden. Zu Sarrazins Erleichterung hat das Berliner Landgericht vor wenigen Wochen eine Klage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) abgewiesen, wonach die Berliner Sparkasse nach einem Verkauf ihren Namen ändern müsse. Dies hätte den Marktwert des traditionsreichen Unternehmens wohl deutlich gemindert. Die Privatisierung der Bankgesellschaft bis Ende 2007 war die Bedingung dafür, dass die EU-Kommission vor einigen Jahren den umfangreichen öffentlichen Finanz- und Bürgschaftshilfen an das marode Kreditinstitut zugestimmt hat. Ausgerechnet der rotrote Senat leitet nun auf Druck der EU ein extrem liberales Privatisierungsverfahren ein. Denn öffentlich-rechtliche Geldinstitute können ebenso auf die FAZ-Anzeige antworten wie Privatbanken oder Finanzinvestoren aus dem In- und Ausland. Wie ein Sprecher der Finanzverwaltung betont, gibt es bei dem Verkauf „kein Heuschreckenverbot“. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt Die Hypo-Vereinsbank aus München hat bereits ein Angebot angekündigt, als weitere Interessenten gelten neben der Commerzbank und der Allianz/Dresdner Bank die französischen Banken BNP Paribas und Société Générale sowie die ABN Amro aus den Niederlanden. Um zu verhindern, dass mit der Berliner Sparkasse die erste deutsche Sparkasse in die Hände von Privatinvestoren fällt, will auch der DSGV mitbieten. Verbandspräsident Heinrich Haasis hat die 458 einzelnen Sparkassen bereits aufgefordert, insgesamt vier Milliarden Euro in eine Erwerbergesellschaft einzuzahlen. Wenn der Kaufpreis darüber hinausgeht, soll der Rest von der hauseigenen Dekabank finanziert werden. Finanzexperten rechnen mit einem möglichen Kaufpreis von mindestens fünf Milliarden Euro. Hat Anlass zu Optimismus: Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: andreas schoelzel Januar 2007 Blatt Zur Erinnerung: Die 1994 gegründete Bankgesellschaft hatte bis 2001 hoch riskante Immobiliengeschäfte vor allem in den neuen Bundesländern betrieben, bei denen die Erwerber der entsprechenden Fonds umfassende Rendite-Garantien erhielten. Nachdem die Bank im Frühjahr 2001 in eine dramatische Schieflage geraten war, stürzte darüber die große Koalition aus CDU und SPD. Wenig später bildete die SPD zusammen mit der PDS eine Regierung. Um die Schließung des Kreditinstituts, den Verlust von 16 000 Arbeitsplätzen und eine massive Vertrauenskrise bei rund 2,5 Millionen Privatkunden zu verhindern, beschloss der damals neu gebildete rot-rote Senat, sämtliche Verpflichtungen aus den fehlgeschlagenen Immobiliengeschäften in einer möglichen Gesamthöhe von bis zu 21,6 Milliarden Euro zu übernehmen. Doch mittlerweile sieht es so aus, als käme Berlin mit einem blauen Auge davon. Denn das Angebot des Senats, die „Rundumsorglos-Fonds“ der Bankgesellschaft zum Durchschnittswert von 71 Prozent des eingesetzten Kapitals zurückzukaufen, stieß auf eine überraschend positive Resonanz. Rund 53 Prozent der Fondsanteile, für die der Senat bislang ein konkretes Angebot gemacht hat, haben bereits den Besitzer gewechselt. Die beiden Fonds, deren Besitz aus steuerlichen Gründen nicht mehr attraktiv ist, sind nach Angaben der Finanzverwaltung sogar zu mehr als 90 Prozent zurückgekauft. Die meisten FondsEigentümer ziehen es offenbar vor, einen überschaubaren Verlust zu realisieren, anstatt sich auf die Risiken eines langjährigen Gerichtsverfahrens einzulassen. „Die Anleger haben erkannt, dass die Angebote fair und angemessen sind“, sagt Finanzsenator Sarrazin. Nach inoffiziellen Schätzungen hat der Senat bislang knapp eine Milliarde Euro für den Rückkauf der Fondsanteile ausgegeben. Diese Summe wurde bislang von der Bankgesellschaft finanziert und soll später ebenfalls durch den Verkauf des Unternehmens ausgeglichen werden. Nicht nur wegen der bevorstehenden Bank-Privatisierung, sondern auch wegen steigender Steuereinnahmen scheint sich nun der Satz von Verfassungsrichter Winfried Hassemer zu bewahrheiten, wonach Berlin vielleicht auch deshalb sexy sei, weil es so arm gar nicht ist. Wie Finanzsenator Sarrazin Anfang Januar bekannt gab, nahm die Hauptstadt im Jahr 2006 aus Steuern und dem Länderfinanzausgleich fast 1,3 Milliarden Euro mehr ein als im Haushalt eingeplant. Rund drei Monate, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Forderung Berlins auf zusätzliche Bundeshilfen abgewiesen hat, kann die deutsche Hauptstadt also wieder etwas optimistischer in die finanzpolitische Zukunft blicken. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt Selbst wenn der rot-rote Senat mit seiner Klage in Karlsruhe Erfolg gehabt hätte, wäre der jährliche Bundeszuschuss wohl deutlich niedriger ausgefallen als die Summe, die jetzt allein wegen der guten Konjunktur der Landeskasse zugute kommt. Der überraschende Geldsegen des vergangenen Jahres ändert allerdings nichts daran, dass die – teils selbst und teils vom Bund begangenen – Sünden der Vergangenheit den Berliner Haushalt noch immer teuer zu stehen kommen. Bei einem Gesamtetat von rund 20 Milliarden Euro muss Berlin in diesem Jahr mehr als 2,5 Milliarden Euro für Zinszahlungen ausgeben. An einen Abbau des Schuldenbergs von mittlerweile rund 61 Milliarden Euro ist auf absehbare Zeit nicht zu denken. Nach Ansicht von Dieter Vesper, dem Finanzexperten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), kann es Berlin selbst bei günstigen Prognosen frühestens bis Mitte des nächsten Jahrhunderts gelingen, seine Schulden ganz abzubauen, von denen die meisten in den zehn Jahren zwischen 1994 und 2004 aufgehäuft wurden. Ohne die Zinsausgaben, die rund 17 Prozent des Landeshaushalts verschlingen, hätte Berlin 2006 sogar einen Überschuss von knapp 380 Millionen Euro erwirtschaftet. Die 1,8 Milliarden Euro, die der Finanzsenator 2006 an neuen Krediten aufnehmen musste, wurden also gleich an die Banken weiter gereicht, um die Zinsen für frühere Schulden zu bezahlen. Entwickelt sich die Wirtschaft in diesem Jahr ähnlich gut wie 2006, könnte der Senat die Neuverschuldung erstmals seit 1990 auf unter eine Milliarde Euro drücken. 2010 wäre dann sogar ein Haushalt ganz ohne Neuverschuldung möglich. Um die Finanzsituation Berlins noch weiter zu verbessern, hätte es Sarrazin gern gesehen, wenn sich SPD und PDS bei der Neuauflage ihrer Koalition im Herbst zum Verkauf eines Teils der rund 270 000 landeseigenen Wohnungen durchgerungen hätten, was auch das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen hat. Doch weil große Teile der SPD und vor allem die Linkspartei. PDS (nach deren massiven Verlusten bei der letzten Berlin-Wahl) zu einem solchen Schritt nicht bereit waren, will der Finanzsenator jetzt zumindest erreichen, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, deren Wert auf fünf Milliarden Euro geschätzt wird, auf mittlere Sicht einen dreistelligen Millionenbetrag als Dividende an den Landeshaushalt abführen. Selbst die PDS ist dazu bereit, würde sie doch gerne nachweisen, dass auch staatliche Unternehmen gewinnbringend arbeiten können. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt Wird Teil der Ausstellung in Berlin sein: Claude Monet, „Brücke über dem Teich voller Wasserlilien“, 1899. Berlin freut sich auf eine neue MoMA-Superschau Die schönsten Franzosen kommen aus New York Von DIETER STRUNZ Berlin rüstet sich für das Kunstereignis des Jahres. Der Superlativ scheint nicht zu hoch gegriffen, wenn man sich vor Augen hält, welch erstklassiges Angebot an international hochgeschätzter Kunst vom 1. Juni bis 7. Oktober in der Hauptstadt die Besucherscharen anlocken wird. Sonst müsste man Tausende von Meilen fliegen – nun präsentieren sich „Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Art New York“ direkt im Zentrum Berlins. Wie damals bei MoMA ist die Neue Nationalgalerie am Landwehrkanal Sitz und Stammquartier der Herren Gauguin, van Gogh, Matisse, Rodin und wie sie alle heißen. Sie repräsentieren eine Epoche der europäischen Kunst, die außer in New York und Paris nirgendwo auf der Welt in solcher Hülle, Fülle und Qualität dokumentiert ist. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: metropolitan museum of art new york Januar 2007 Blatt Und nun eben in Berlin! Ebenso wie bei der rekordbrechenden und schon legendären MoMA-Schau, die vor drei Jahren zwischen Februar und September mehr als 1,2 Millionen Besucher lockte, ist der rührige Verein der Freunde der Nationalgalerie im Spiel. Dessen Vorsitzender, der Rechtsanwalt Professor Peter Raue, der das große Ding schon im vergangenen Mai ankurbelte, dürfte sich wohl zum Abschied noch einen Hochglanz-Applaus sichern, ehe er nach 30 Jahren die Führung im Förderverein in die Hände der früheren Kulturstaatsministerin Christina Weiss legen wird. Der Verein der Freunde der Nationalgalerie wurde 1977 gegründet. Ex-Bundespräsident Walter Scheel und der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt gehörten zu aktiven Wegbereitern des Vereins. Neben der Nationalgalerie werden auch die Alte Nationalgalerie und der Hamburger Bahnhof bedacht. Außerdem verleiht der Verein den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst. Die rund 1000 Mitglieder der Freunde wollen helfen, fördern und unterstützen, aber nicht kommandieren. Entscheidungen über Ankäufe trifft nicht der Verein, sondern der Museumschef, Generaldirektor Peter-Klaus Schuster, der auch Mitglied im Kuratorium ist. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: metropolitan museum of art new york Wird ebenfalls aus New York nach Berlin kommen: „Bootsfahrt“ von Edouard Manet, 1874. Januar 2007 Blatt Auch dieses Bild wird in der Ausstellung gezeigt: „Malende junge Frau“ der MarieDenise Villers, 1801. Der Jahresbeitrag im Verein der Freunde von zur Zeit 600 Euro (Juniormitglieder unter 35 zahlen 325 Euro) wird mit freiem Eintritt in allen Häusern der Staatlichen Museen und in anderen deutschen und ausländischen Museen honoriert. Geschätzt bei den Mitgliedern, die heute längst nicht nur finanzstarken Wirtschaftskreisen angehören, sind die vom Verein organisierten Kunstreisen, Sonderführungen durch aktuelle Ausstellungen, die exklusiven Gespräche mit Künstlern und das festliche Jahresdinner mit prominentem Festredner. Die neue Superschau des Vereins wurde durch dringend notwendige Baumaßnahmen in New York möglich. Weil das Metropolitan Museum of Art am New Yorker Central Park seine Galerie des 19. Jahrhunderts umbaut und erweitert, dürfen rund 150 Meisterwerke der Malerei und Plastik auf Reisen gehen, die sonst wohlbehütet und scharf bewacht nur drüben an der Fifth Avenue besichtigt werden können. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: metropolitan museum of art new york Januar 2007 Blatt Einen Probelauf erleben die schönen Franzosen aus New York bei einem Gastspiel unter den Wolkenkratzern der texanischen Großstadt Houston, ehe es nach Europa geht, wo die deutsche Hauptstadt der einzige Ausstellungsplatz sein wird. Leistung zahlt sich aus. Dass der Sensationserfolg der MoMASchau von 2004 durch den neuen höchstklassigen Kunstbesuch honoriert wird, steht außer Zweifel. Wobei die Werbewirkung für das heimische Kunstquartier in Amerika ebenso groß sein dürfte wie für das Renommee der deutschen Hauptstadt in ihrer Funktion und Rolle als Kunst-Hauptstadt, zu der die Museumsinsel, das Jüdische Museum, das Deutsche Historische Museum und eine unübersehbare Kollektion weiterer Kunsthäuser, Sammlungen und Galerien beitragen. Vorfreude ist angesagt für die exklusive Schau aus dem 19. Jahrhundert, als sich in Frankreich die Wende von der Romantik zum Realismus vollzog und der Schritt in die Moderne getan wurde. schaut der Ruderer den Betrachter an, als er bei •Erwartungsvoll der „Bootsfahrt“ mit einer eleganten Mademoiselle an seiner Seite eine Pause macht. Edouard Manet malte das Bild 1874. Herrlich ist die Komposition und Farbsymphonik in Monets •Brücke über dem Teich voller Wasserlilien von 1899. schöpferische Pause scheint die junge Künstlerin einzulegen, •Eine die Marie-Denise Villers 1801 vor einem Fenster malte, durch das man im Hintergrund ein junges Pärchen sehen kann. so wie die elegant dahingegossene „Große Odaliske“ von Jean•Und Auguste-Dominique Ingris und seiner Werkstatt (1824 - 34) zählt im 20. Jahrhundert entstanden Werke von Picasso und •Schon Modigliani, die zeitlich das Angebot beschließen. Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Art zu Gast in Berlin. 1. Juni bis 7. Oktober, Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, Kulturforum-Potsdamer Platz, dienstags bis mittwochs 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr, freitags bis sonntags 10 bis 20 Uhr. Eintritt 10 Euro, ermäßigt 5 Euro, sonnabends und sonntags 12, ermäßigt 6 Euro, Kinder bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres haben freien Eintritt. Tel: 266 26 51, Fax: 262 47 15, www-metinberlin.org, E-Mail: [email protected] Diese und die anderen gemalten oder plastisch geformten Meisterwerke zählen zu einem wahren und ideellen Weltkulturerbe, das in diesem Jahr auf Zeit nur in Berlin zu finden sein wird. Die Vorfreude ist groß! Verein der Freunde der Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, 10785 Berlin, Tel: 26 39 48 80 oder 26 39 48 810, Fax: 26 39 48 811. E-Mail: [email protected] auch Cezannes Stillleben mit Äpfeln und Blumenstrauß (frühe 1890er Jahre) zu den vieltausendfach reproduzierten Evergreens für den Wandschmuck des gehobenen Bürgertums. Rodins berühmte Plastik „Der Bürger von Calais“ wird •Auguste zu sehen sein, Skulpturen von Degas und Maillol reisen an. von Courbet, Delacroix, Pissarro und Matisse sind •Bilder dabei. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 10 In Berlin: Günter Elste beim Gespräch mit dem HAUPTSTADTBRIEF. Die Fragen stellte Ulrich Schulte, Wolfgang Borrs fotografierte. Was der Chef des Verbandes Deutscher Verkehrunternehmen gut findet und was verbesserungsfähig. Ein Interview mit Günter Elste. HAUPTSTADTBRIEF: Herr Elste, Sie sind vermutlich einer der wenigen Menschen in Deutschland, die steigenden Benzinpreisen auch etwas Gutes abgewinnen können. Stimmt’s? Günter Elste (lacht): Da haben Sie Recht. Zumindest die Unternehmen unseres Verbandes können sich über einen positiven Effekt freuen: Weil das Autofahren immer teurer wird, steigen immer mehr Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr um. Die Zahl der Fahrgäste ist 2006 im Vergleich zum Vorjahr um knapp zwei Prozent gestiegen. Die Verkehrsunternehmen konnten somit den kontinuierlichen Kundenanstieg der vergangenen zehn Jahre nicht nur fortführen, sondern sogar ausbauen. HAUPTSTADTBRIEF: Entscheiden sich die Menschen nur für Bus und Bahn, weil sie damit günstiger fahren? DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Elste: Nicht nur. Es hat auch ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Die Menschen haben erkannt, dass der öffentliche Nahverkehr eine der umweltschonendsten Möglichkeiten ist, sich schnell und bequem von A nach B zu bewegen. Jeder, der das Auto in der Garage lässt und stattdessen ein Bahnticket kauft, leistet einen Beitrag zum Klimaschutz. Ein Beispiel: Ein durchschnittlich ausgelasteter Linienbus verbraucht 2,5 Liter Diesel pro 100 Kilometer und Fahrgast, ein Pkw dagegen 6,6 Liter. HAUPTSTADTBRIEF: Wie sieht Ihre Prognose aus – wird die Fahrgastkurve in den nächsten Jahren weiter ansteigen? Elste: Davon bin ich überzeugt. Die Mehrwertsteuererhöhung und die gesetzlich vorgeschriebene Beimischung von Biokraftstoffen lassen die Spritpreise weiter steigen. Insofern erwarten wir für 2007 einen noch stärkeren Zuwachs. Januar 2007 Blatt 11 HAUPTSTADTBRIEF: Was können die Verkehrsunternehmen tun, um noch attraktiver zu werden? Elste: Zum einen müssten viele Betriebe ihre Ticketangebote radikal vereinfachen. Wenn Sie von München bis Flensburg durch die verschiedenen Tarifsysteme fahren, kommen Sie aus dem Staunen nicht heraus: In der einen Stadt brauchen Sie eine Zusatzkarte fürs Fahrrad, in der anderen nicht. In der einen Stadt gelten Jugendliche als erwachsen, in der anderen als Kind. Die Branche muss es den Kunden mit mehr Transparenz einfacher machen. Zum anderen sind die Preise für Kurzstrecken im Vergleich mit Langstrecken und Monats- oder Jahreskarten oft zu teuer. Hier müssten die Unternehmen die Wenigfahrer mit attraktiven Angeboten locken. HAUPTSTADTBRIEF: Seit zwei Jahren wird gesundheitsschädlicher Feinstaub heftig diskutiert, viele Städte werden Fahrverbote für Autos verhängen, die zu viele Schadstoffe in die Luft pusten. Hilft die politische Diskussion dem Nahverkehr? Elste: Ehrlich gesagt hätte ich mir mehr Rückenwind erwartet. Die Politik hat noch nicht erkannt, dass der öffentliche Verkehr der ideale Partner für saubere Luft ist. Wenn ein Linienbus voll besetzt ist, etwa in der Rushhour, stößt er pro Fahrgast nur fünf Prozent der KohlendioxidMenge aus, die ein Pkw emittiert. Auch beim Feinstaubausstoß liegt der Nahverkehr im Vergleich unschlagbar niedrig. Die Politiker diskutieren zwar heftig über den Feinstaub, streichen aber gleichzeitig die Regionalisierungsmittel für die Bundesländer zusammen. Und das, obwohl die Bundeskanzlerin den Klimaschutz öffentlich zur Chefsache erklärt. HAUPTSTADTBRIEF: Die Regionalisierungsmittel überweist der Bund den Ländern, damit sie ihren regionalen Bus- und Bahnverkehr finanzieren können. Die Kürzung sei nötig, um den Bundeshaushalt zu sanieren, argumentiert die Politik. Elste: Auch der öffentliche Verkehr muss seinen Beitrag leisten, das ist unbestritten. Er darf aber nicht als Steinbruch der Haushaltskonsolidierung missbraucht werden. Auch die Förderung nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 wird auslaufen. Über sie hat sich die öffentliche Hand an Instandhaltungen des Verkehrsnetzes beteiligt. Diese immense Aufgabe können die Unternehmen künftig nicht allein schultern. Uns signalisieren viele Betriebe, dass die Grenzen der Belastbarkeit inzwischen erreicht sind. Die Länder müssen einen Ausgleich schaffen, indem sie etwa einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen in den Nahverkehr stecken. Ansonsten drohen deutliche Angebotskürzungen und Fahrpreiserhöhungen. HAUPTSTADTBRIEF: Ihr Verband mahnt an, dass fast 200 Problemstellen im Eisenbahnnetz behoben werden müssten. Wie sehen die aus? Elste: Es gibt zwei große Bereiche. Hinter den großen Häfen an der norddeutschen Küste fehlen schlicht Kapazitäten, die Verteilerknoten müssten ausgebaut werden. Einfach gesagt: Es bringt uns nichts, wenn der Containerumschlag in den Häfen nach oben schnellt, die Züge die Kisten aber nicht schnell genug abtransportieren können. Außerdem gibt es viele Punkte im Netz, die saniert werden müssten. Im Moment fahren die Züge dort langsam, was die Effizienz stark beeinträchtigt. Oft lassen sich Engpässe übrigens mit geringem Aufwand beseitigen. HAUPTSTADTBRIEF: Trotz dieser Beeinträchtigungen meldet ihr Verband ein rasantes Wachstum beim Transport von Gütern auf der Schiene. Was ist die Ursache? Elste: Tatsächlich sind die Steigerungsraten im Güterverkehr seit Jahrzehnten sensationell, 2006 waren es 10,5 Prozent mehr Tonnage im Vergleich zum Vorjahr. Ein Grund dafür ist die anspringende Konjunktur. Hinzu kommt, dass Deutschland nach der Osterweiterung der Europäischen Union eines der wichtigsten Transitländer Europas ist. Und natürlich profitieren die Unternehmen von der Einführung der Lkw-Maut auf Autobahnen. Wir sehen also sehr gelassen in die Zukunft. Diplom-Kaufmann Günter Elste ist seit 1996 Vorstandschef der Hamburger Hochbahn AG und seit Juni 2003 zugleich Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Von 1985 bis 1997 gehörte Elste dem Hamburger Landesparlament, der Bürgerschaft an, von 1989 bis 1996 war er dort Fraktionschef der SPD. Januar 2007 Blatt 12 Wird das Schloss in Potsdam nun doch wieder aufgebaut? Das Potsdamer Stadtschloss (grünes Dach) – ein Modell. Wird es trotz zweimaliger Ablehnung nun doch wiedererrichtet? Mit diesem Ergebnis hatten, nach allem, was – wie berichtet – vorangegangen war, selbst die größten Anhänger eines Wiederaufbaus von Potsdams Stadtschloss nicht gerechnet: Bei einer offiziellen „Bürgerbefragung“ sprachen sich kürzlich 42,8 Prozent der Potsdamer dafür aus, den neuen brandenburgischen Landtag auf dem Grundriss des ehemaligen Stadtschlosses zu bauen. Für die zweite Variante, einen Landtagsneubau auf einer Industriebrache namens „Speicherstadt“, votierten nur 28,5 Prozent. Weit abgeschlagen landete schließlich mit 12,8 Prozent Zustimmung der Vorschlag der Linkspartei.PDS, das Parlament zwar in der historischen Stadtmitte, aber am Rande des ehemaligen Schlossplatzes zu errichten. Überraschend hoch war auch die Beteiligung an der Umfrage, denn mehr als 56 000 Potsdamer schickten ausgefüllte Stimmzettel an die Stadtverwaltung zurück, was 46,1 Prozent aller Wahlberechtigten entspricht. Selbst die angeblich so skeptischen Bewohner der großen Plattenbaugebiete, wo die PDS ihre Hochburgen hat, setzten das Landtagsschloss mit großem Abstand auf Platz eins. Bei den Bewohnern der historischen Innenstadt lag die Zustimmung sogar bei mehr als 50 Prozent. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: picture-alliance/ZB/jens Kalaene Januar 2007 Blatt 13 Das Umfrageresultat ist zwar rechtlich nicht bindend, doch könnte sich die Mehrheit der Stadtverordneten nach zwei gescheiterten Anläufen nun doch noch für den Wiederaufbau des Schlosses aussprechen. Entscheidend wird es bei der dritten Abstimmung, die am 31. Januar stattfinden soll, auf die Linkspartei. PDS ankommen. Sie stellt im Potsdamer Stadtparlament die mit Abstand größte Fraktion und hatte die „Bürgerbefragung“ selbst angeregt. In einer ersten Reaktion bezeichnete deren Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg das Abstimmungsergebnis als „Ausgangspunkt dafür, dass wir unsere bisher ablehnende Position überdenken“. Offen blieb bei der Umfrage allerdings, inwieweit sich die Architektur des neuen Landtags an dem im Krieg beschädigten und von der SED 1959/60 abgerissenen HohenzollernSchlosses orientieren soll. Die Landesregierung plant, die Hauptfassade auf eigene Kosten weitgehend originalgetreu wiederherzustellen, während die Seiten eher schlicht gestaltet werden sollen. An der Außenarchitektur hatten sich bereits bei den beiden Abstimmungen im November die Geister geschieden. Während der PDS der Vorschlag zu nahe am historischen Vorbild des preußischen Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699 - 1753) lag, kritisierten die Grünen zu viele moderne Elemente. Da es auch aus den Reihen von SPD, CDU oder FDP Abweichler gegeben haben muss, verfehlten die Befürworter des Projekts im Stadtparlament zweimal die Mehrheit. Trotz des recht eindeutigen Ergebnisses in der von ihr selbst angeregten Bürgerbefragung tut sich die PDS noch schwer mit einem Ruck vom zweimaligen Nein zum Ja: Entgegen ihrer üblichen Praxis schlossen die Stadtverordneten und der Kreisvorstand der Partei bei einer gemeinsamen Sitzung die Öffentlichkeit aus. „Die Sache ist zu heiß, das geht an die Substanz“, begründete Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg diese Entscheidung. Der Wiederaufbau eines preußischen Schlosses stößt bei vielen Funktionären der Partei eben noch immer auf große emotionale Vorbehalte. Joachim Riecker Abonnieren Sie den Hauptstadtbrief! 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Als Kinofilm 1991 konnte die Produktion zwei Oscars für die Musik und eine Nominierung als bester Film erringen, eine Kandidatur, die zuvor noch keinem Animationsfilm gelang. Als Bühnenspektakel hatte der Stoff 1994 Weltpremiere in New York und erfreute seither in 13 Ländern – in Australien, Mexiko und Japan ebenso wie in England und Österreich und Spanien – mehr als 25 Millionen Zuschauer. In New York läuft das Stück seit Beginn en suite vor ausverkauftem Haus. Es gehört schon zur Meisterklasse der Musicals mit der längsten Laufzeit am Broadway. In Deutschland hatte Oberhausen im Dezember 2005 die Ehre, die von dem Synchronspezialisten Lutz Riedel geschaffene deutsche Version aus der Taufe zu heben. Von dort kommt die von Glenn Casale inszenierte Musicalromanze nun in die Hauptstadt – bald nach der Berlinale, die zuvor noch – wie alle Jahre – das Riesenhaus mit seinen 1700 Plätzen für den Wettbewerb um die Goldenen und Silbernen Bären (8. bis 18. Februar) okkupiert. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: Brinkhoff/Mögenburg, Hamburg Januar 2007 Blatt 15 Die artistischen Könner der Blue Man Group, die zwischenzeitlich am Marlene-Dietrich-Platz ihre farbenprächtige, schillernde, komisch-rasante Show zeigten, ziehen quer über die Straße ins ehemalige Imax-Kino um, das bereits ab 1. Februar als festes Bluemax-Theater fungieren wird. Das für Berlin neue Musical „Die Schöne und das Biest“ erzählt die Geschichte von der Erfinderstochter Belle, die bescheiden, sittsam und rein in einem kleinen Dorf in Frankreich lebt, von dem Jäger Gaston angehimmelt wird, diesen aber verschmäht und sich lieber der Literatur widmet. Sie gerät im tiefen Walde auf das total verhexte Schloss des Prinzen, der durch die Verwünschung einer bösen Zauberin als erschröckliches Biest inmitten eines ebenfalls verzauberten Hofstaates leben muss und auf Errettung hofft. Eine lebende Kaffeekanne Madame Pottine, ein Hofmeister als Pendeluhr Herr von Unruh, ein Kammerdiener als Kerzenleuchter Lumière, die Teetasse Tassilo, eine zur Kommode mutierte Opernsängerin und mancherlei andere verwandelte Höflinge sorgen im Schloss für bühnenwirksamen optischen Übermut. Wird Belle mit ihrer reinen Liebe zum Biest den Fluch der Zauberin abwenden können? Das ist die Kernfrage der romantischen Liebesgeschichte, die in knapp drei Stunden Spieldauer vermutlich zur allseitigen Zufriedenheit beantwortet werden wird … Ensemble und Theaterteam sind höchst international; 37 Darsteller aus 13 Ländern. Die Philippinin Leah de los Santos, die sich in Berlin schon bei „Cats“ präsentierte, und der Norweger Yngve Gasoy-Romdal spielen die Hauptrollen. Allabendlich muss sich der Darsteller in anderthalbstündiger Sitzung von den Maskenbildnern in das von Büffelhaar umwucherte Biest verwandeln lassen. 30 Techniker werden die aufwendig gestaltete Bühne in Schwung halten und sie mit 250 Scheinwerfern ins rechte Licht rücken. Mehr als hundert Kostüme, 200 Perücken und 180 Paar Schuhe wurden angefertigt, und für das goldene Ballkleid der Belle, das mit Hunderten Swarowsky-Kristallen funkelnd besetzt ist, wurden allein 30 Meter Spitze und 70 Meter Stoff zugeschneidert. Der verhexte Staubwedel Babette darf 180 Straußenfedern schwingen. Man darf, frei nach Thomas Mann, annehmen: Das putzt ganz ungemein. Große Hoffnung bei Produzenten und Publikum: „Die Schöne und das Biest“ werden die Berliner Musicalszene attraktiv herausputzen. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Disneys „Die Schöne und das Biest“ ab 8. März im Theater am Potsdamer Platz, Marlene-Dietrich-Platz, 10785 Berlin. Tickets und Arrangements unter 01805 / 44 44. www.die-schoeneund-das-biest.de Januar 2007 Blatt 16 Die Parteipräferenzen im Bund Union legte zuletzt leicht zu, die SPD gab auf 27 Punkte nach CDU/ SPD FDP Links- Grüne Sonst. CSU partei Alle Angaben in Prozent Bundestagswahl* 35,2 34,2 9,8 8,7 8,1 4,0 35 34 33 33 32 33 33 31 32 31 31 30 30 30 32 29 29 29 30 30 28 30 29 29 32 33 32 31 33 32 28 29 30 28 28 28 29 29 29 30 29 29 29 28 27 30 30 30 32 29 29 30 29 29 28 26 27 29 28 27 12 12 13 13 14 14 14 14 13 14 15 14 14 15 15 15 15 15 14 14 15 14 15 15 12 13 14 14 13 14 10 10 10 10 10 10 10 10 10 10 9 12 11 10 10 10 10 10 9 10 11 11 11 10 11 11 10 10 9 10 9 10 9 10 10 10 9 10 10 10 10 10 10 10 10 9 10 10 10 11 11 9 10 11 11 11 11 10 11 11 6 5 5 6 6 5 5 6 6 5 6 5 6 7 6 7 6 6 5 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 6 35 33 34 26 28 27 13 14 14 10 8 9 10 11 10 6 6 6 Umfrage-Werte in Woche … 2006 23. (5.6.-9.6.) 24. (12.6.-16.6.) 25. (19.6.-23.6.) 26. (26.6.-30.6.) 27. (3.7.-7.7.) 28. (10.7.-14.7.) 29. (17.7.-21.7.) 30. (24.7.-28.7.) 31. (31.7.-4.8.) 32. (7.8.-11.8.) 33. (14.8.-18.8.) 34. (21.8.-25.8.) 35. (28.8.-1.9.) 36. (4.9.-8.9.) 37. (11.9.-15.9.) 38. (18.9.-22.9.) 39. (25.9.-29.9.) 40. (2.10.-6.10.) 41. (9.10.-13.10.) 42. (16.10.-20.10.) 43. (23.10.-27.10.) 44. (30.10.-3.11.) 45. (6.11.-10.11.) 46. (13.11.-17.11.) 47. (20.11.-24.11.) 48. (27.11.-1.12.) 49. (4.12.-8.12.) 50. (11.12.-15.12.) 51. (18.12.-22.12.) 52. (25.12.-29.12.) 2007 1. (1.1.-5.1.) 2. (8.1.-12.1.) 3. (15.1.-19.1.) * Amtliches Endergebnis der Bundestagswahl vom 18. September 2005 DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Das forsa-Institut ermittelte diese Werte durch wöchentliche Befragung von in der Regel rund 2500 wahlberechtigten Deutschen. Quelle: forsa Januar 2007 Blatt 17 Rund um den Hauptbahnhof soll Berlins neue Boomtown entstehen Uferpromenade am Hafenbecken im geplanten Quartier Humboldthafen – ein Blick in die Zukunft. Von TOBIAS von SCHOENEBECK Der im Mai 2006 eröffnete neue Berliner Hauptbahnhof strahlt – ungeachtet der Sturmprobleme – positiv auf seine Umgebung aus. Gegenwärtig ist das Umfeld des Glaspalastes noch eine Brache, aber das soll sich bald ändern. Schon in diesem Jahr sollen Neubauten entstehen, die mit dem Bahnhof zusammen ein pulsierendes neues Quartier bilden. Das Gebiet, das bislang nur als Randlage des Regierungsviertels wahrgenommen wurde, soll dann zur hochattraktiven Adresse werden. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: liegenschaftsfonds berlin Januar 2007 Blatt 18 Zum größten und vielleicht schönsten Bauprojekt der Hauptstadt in den kommenden Jahren wird sich wohl der östlich an den Bahnhof grenzende Standort „Humboldthafen“ entwickeln. Für dieses Projekt werden rund 35 000 Quadratmeter des Uferbereichs in der Verbindung zwischen Spree und Spandauer Schifffahrtskanal an private Investoren verkauft, die dann entlang der Kaimauern ein lukratives Wohn- und Geschäftsviertel errichten sollen. „Wir werden hier in den nächsten Jahren die Geburt eines großstädtischen Bahnhofsviertels mit Hotels, Büros, Läden, Wohnungen und Restaurants erleben, das auch im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen Maßstäbe setzt“, erklärte die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) bei der Vorstellung des aktualisierten städtebaulichen Entwurfs. Bereits Mitte der 1990er Jahre lag von Oswald Matthias Ungers ein Konzept für die Gestaltung des Bereichs zwischen Hauptbahnhof, Invalidenstraße, Charité und dem Parlaments- und Regierungsviertel auf dem Tisch des Berliner Senats. Doch damals mussten die Pläne beiseite geschoben werden, denn der Neubau des Hauptbahnhofes bestimmte zunächst die Entwicklung des Areals. Im Auftrag des Senats und des Liegenschaftsfonds Berlin schuf dann der Architekt Karl-Heinz Winkens von 2004 an einen neuen Entwurf, für den Studien aus sieben europäischen Standorten mit vergleichbaren Wasserlagen herangezogen wurden. So sind beispielsweise die Erfahrungen der Bebauung an der Binnenalster in Hamburg oder auch der Docks in Liverpool in das nun vorliegende Konzept eingeflossen. Eine Übersicht: Links der Hauptbahnhof, davor – beigefarben – die geplanten Baulichkeiten des Quartiers am Humboldthafen. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: liegenschaftsfonds berlin Januar 2007 Blatt 19 Winkens Plan sieht eine 25 Meter hohe Umbauung mit siebengeschossigen Gebäuden vor. Zudem sollen die Häuser im unmittelbaren Wasserbereich mit acht Meter hohen Kaskaden und Durchgängen dem Besucher und den Anwohnern stets einen freien Blick auf das Hafenbecken ermöglichen. Diese Perspektive soll sich von der Hugo-Preuß-Brücke aus bieten. Der Projektstandort „Humboldthafen“ ist eine Adresse mit bewegter Geschichte: Der Humboldthafen, der mit der Anlage des Spandauer Schifffahrtskanals um 1850 entstand, ist der älteste Hafen Berlins. Bis 1900 war er der einzige öffentliche Umschlagplatz für Waren und Rohstoffe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Hafenbetrieb eingestellt. Während der Teilung der Stadt lag der Humboldthafen gar im Todesstreifen. Am östlichen Ufer des Hafenbeckens verlief die Mauer, das westliche Ufer gehörte zum Westberliner Bezirk Tiergarten. Nach dem Fall der Mauer dauerte es mehr als fünfzehn Jahre, bis die Stadt das Gelände neu entdeckte. Im Frühjahr 2007 beginnt der Liegenschaftsfonds Berlin nun mit der Vermarktung des Standorts beziehungsweise der einzelnen Baufelder. Es werden neun Baufelder in Größen von 4000 bis 23 000 Quadratmeter Nutzfläche angeboten. Der Liegenschaftsfonds Berlin ist der größte Immobilienvermarkter der deutschen Hauptstadt. Sein Angebot umfasst insgesamt mehrere tausend unbebaute und bebaute Grundstücke in ganz Berlin, die aus Landesbesitz stammen. Seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 2001 wurden bereits 6,5 Millionen Quadratmeter Fläche für mehr als eine Milliarde Euro verkauft. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: liegenschaftsfonds berlin Januar 2007 Blatt 20 Das Deutsche Historische Museum zeigt „Kunst und Propaganda“ Von KLAUS GRIMBERG Mit der Ausstellung „Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 19301945“ setzt das Deutsche Historische Museum (DHM) seine Reihe „Politische Ikonographie“ fort. Werke aus den damals totalitären Staaten Deutschland, Italien und Sowjetunion werden dabei erstmals Arbeiten aus der Demokratie Vereinigte Staaten von Amerika gegenübergestellt. NS-Kunst: Richard Heymann, „Sonniges Leben“, 1939. Das Deutsche Historische Museum hat seit dem Jahr 2000 große Bestände von NS-Kunst in seine Sammlung aufgenommen. Diese Bilder und Skulpturen aus „NS-Reichsbesitz“ waren über Jahrzehnte von der Bundesrepublik Deutschland und vom USMilitär oft unzugänglich in Depots aufbewahrt worden. In ihrer überwiegenden Mehrzahl stammen sie aus den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“, die zwischen 1937 und 1944 als Leistungsschauen der NS-Kunst in München gezeigt wurden. Anliegen des DHM ist es, diese Bestände nicht weiter zu verstecken, sondern sie kommentiert und in den historischen Kontext eingebunden der Öffentlichkeit zu präsentieren. „Auf diese Weise will unser Haus das schwierige Kapitel der Staatspropaganda in den Krisenjahren vor und während des Zweiten Weltkrieges erörtern und sichtbar machen“, so Hans Ottomeyer, Generaldirektor des DHM. Durch den vergleichenden Blick auf weitere Staaten solle „Ähnliches und grundsätzlich Unterschiedliches“ für den Betrachter offenbar werden. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: Deutsches Historisches Museum berlin Januar 2007 Blatt 21 Als enger Kooperationspartner konnte die WolfsonianCollection in Miami Beach und Genua gewonnen werden, die über einen einzigartigen Bestand an politisch wie propagandistisch motivierter Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfügt. Den Kuratoren der Ausstellung bot sich jedenfalls die Chance, die einschlägigen Kunstobjekte des Nationalsozialismus nicht nur mit den Werken des italienischen Faschismus und des sowjetischen Kommunismus, sondern auch mit denen des „New Deal“ aus den USA in eine kontrastreiche Beziehung zu setzen. „Unser Ziel ist, die Bildzeichen und -formeln der zeitgenössischen Kommunikation herauszustellen und die mit ihnen transportierten politischen und ideologischen Inhalte aufzuschlüsseln“, erläutert der verantwortliche Kurator Hans-Jörg Czech. Insbesondere die Werke der NS-Kunst sollen „historisch dekodiert“ werden. Einschlägige Kunst aus den USA: „Work to Keep Free!“, 1943. Czech möchte mit der Ausstellung zur „Aufklärung und Immunisierung“ gegenüber nationalsozialistischer Symbolik und Zeichensprache beitragen. So sind neben Gemälden, Plastiken und graphischen Arbeiten auch Plakate, Fotografien und Filme in den Parcours mitaufgenommen. Bei der Vorbereitung des Projekts kristallisierten sich schnell vier thematische Gruppen heraus, die – bei allen Unterschieden insbesondere zu den USA – in ähnlicher Form in den vier Staaten zu finden waren. Nahezu zwangsläufig ergab sich daraus die Gliederung der Ausstellung: „Bilder der Staatsführer“, „Bilder von Mensch und Gesellschaft“, „Bilder von Arbeit und Aufbau“ und „Bilder zum Krieg“ sind die vier großen Räume überschrieben. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: U.S. Government Printing Office, Washington D.C, National Archive Januar 2007 Blatt 22 In jeder dieser Abteilungen werden die vier untersuchten Staaten getrennt voneinander präsentiert. In einem durch Stellwände angedeuteten Innenraum sind besonders charakteristische und monumentale Werke in augenfälligen Kontrast zueinander gesetzt. So zum Beispiel wandfüllende Portraits der Staatsführer Hitler, Stalin, Mussolini und Roosevelt. In den Nischen hinter diesen Stellwänden wird das betreffende Thema für den jeweiligen Staat vertieft. „Mit dieser offenen und doch geordneten Ausstellungsarchitektur wollen wir Sichtachsen schaffen, mit denen für die Besucher vergleichende Blicke zwischen den Staaten möglich werden“, erläutert Czech. Besonders spannend ist die Gegenüberstellung der drei totalitären Regime mit der Demokratie USA. Denn aus heutiger Sicht wird rasch erkennbar, dass es zwischen den staatlichen Kampagnen und politischen Selbstdarstellungsformen eine „entfernte Verwandtschaft“ gibt, wie es der Historiker Wolfgang Schivelbusch ausdrückt. Argumentation und Symbolik des „New Deal“ wurde in besonderem Maße durch vom Staat ins Leben gerufene Kunstprogramme befördert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Werke führten zu einer greif- und beschreibbaren Ikonographie der USA in den 1930/40er Jahren. Allerdings führt die Ausstellung immer wieder klar vor Augen, dass bei allem propagandistischen Impetus die freiheitliche Grundordnung der USA nie aus dem Blick verloren ging oder gar in Frage gestellt wurde. Im Gegenteil: Die Verteidigung der demokratischen Werte ist als eines der Hauptanliegen der US-Kunst deutlich erkennbar. Die menschenverachtende, größenwahnsinnige und kriegstreiberische Stoßrichtung der NSKunst erschließt sich gerade aus dem krassen Gegensatz zu den Werken aus den USA. Zu Beginn der Ausstellung gibt ein erster Raum einen Überblick über ereignis- und kulturgeschichtliche Hintergründe. Hinzu kommen einige grundsätzliche Informationen zur Verbindung von Staat und Kunst in dem jeweiligen Staat. Am Ende des Rundgangs wird in einem abschließenden Kabinett geschildert, wie nach 1945 mit der NS-Kunst verfahren wurde und auf welchen wechselvollen Wegen die Werke mehr als ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges in die Bestände des DHM gelangten. Mit diesem Epilog bekräftigen die Kuratoren noch einmal ihr Selbstverständnis: Als Historisches Museum ist es ihr Auftrag, Zeugnisse der Geschichte in Zusammenhänge zu stellen und zu erläutern. Gerade die NS-Kunst verliert auf diese Weise jegliches verführerische Potenzial. Indem das DHM offen und sachlich mit diesen Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus umgeht, trägt es wirkungsstark zum kritischen Verständnis der Epoche bei. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 „Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930-1945“. Deutsches Historisches Museum, 26. Januar bis 29. April, täglich 10-18 Uhr; www.dhm.de Januar 2007 Blatt 23 Dr. Mabuse und Edgar Wallace treffen sich in der alten Zitadelle In Spandau produziert: Der Film „Die Tausend Augen des Dr. Mabuse“ (1960) mit Gert Fröbe und Werner Peters. Den Reiz der Kulturlandschaft Berlin machen nicht nur die großen, schicken und teuren Etablissements in der City aus, die allseits bekannten und frequentierten Treffpunkte für Theater, Musik, Tanz, Film oder Literatur am Kurfürstendamm, Unter den Linden, auf der Friedrichstraße oder an der Bismarckstraße. Außer Charlottenburg, Tiergarten, Mitte und Prenzlauer Berg haben auch weitere Bezirke ihre lohnenden Adressen: Andere Väter haben auch schöne Töchter, weiß der Volksmund. Man muss manches nur finden. Wer zum Beispiel in Spandau an Juliusturm, Wassergraben und altem Gemäuer vorbeibraust, ahnt vielleicht gar nicht, was ihm entgeht. Die Bastionen Königin, Kronprinz, Brandenburg, die alte Ritterschänke, Zeughaus und Exerzierhalle, Palas und Kommandantenhaus bilden in diesen winterlichen Wochen ein historisches Ensemble von eigener stiller Schönheit. Die Ruhe allerdings täuscht. Es gibt mehr als einen guten Grund, die hölzerne Brücke und die Toreinfahrt zu passieren. „Dr. Mabuse und Edgar Wallace in Wolffs Revier“ heißt zur Zeit im Zeughaus der Zitadelle Spandau eine reizvolle Exposition, welche die Film- und Kinogeschichte Spandaus zum Entzücken für jeden Filmfreund faktenreich und faszinierend aufrollt. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: picture-alliance/KPA Januar 2007 Blatt 24 In Fotos, Programmen, Modellen, Figurinen, Drehbüchern und technischem Gerät wird an Leinwandkunststücke wie „Das Bad auf der Tenne“, „Das Riesenrad“, „Petersburger Nächte“ oder „Die tausend Augen des Dr. Mabuse“ erinnert, die alle hier entstanden. Artur Brauner, der in einem kleinen Dokumentarfilm innerhalb der Ausstellung zu Worte kommt, Horst Wendlandt und Gero Wecker waren jene Produzenten, die in alten Luftschiffoder Fabrikhallen die Spielplätze für Großfilme mit teilweise monumentalen Bauten entdeckten. Gruseliges aus dem nebelumwaberten London oder von Schloss Blackmoor ließ sich stilecht und nicht zuletzt kostensparend in den Kellern oder Verließen der Zitadelle drehen. Sonja Ziemann, Maria Schell, Sabine Sinjen, Caterina Valente geistern durch die Ausstellung, derweil Kriminalkommissar Heinz Drache die kniffligsten Fälle löst, mit Eddy Arendt oder Chris Howland als heiteren Partnern oder Gegenspielern. In jüngerer Zeit sorgten TV-Serien wie „Wolffs Revier“ und „Hinter Gittern“ für Beschäftigung und Filmleben in Spandau. Die Geschichte des Drehorts Spandau reicht weit zurück; im Ortsteil Staaken wurden sogar Szenen zu „Metropolis“ oder „Die freudlose Gasse“ gedreht. Dass dort auch wichtige Beiträge zur Filmkunst der letzten fünfzig Jahre entstanden, wird vielfach vergessen. Romy Schneider war hier die „Spaziergängerin von Sanssouci“, Rainer Werner Fassbinder drehte „Querelle“. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: picture-alliance/obs/ARD Ebenfalls eine Produktion aus Spandau: „Die freudlose Gasse“ (1925) mit Greta Garbo und Grigori Chama. Januar 2007 Blatt 25 Und Brauners CCC schuf neben leicht Unterhaltsamem auch viele ernste, schwierige und finanziell riskante Dramen über Verfolgung, Holocaust und Widerstand von „Morituri“ und „Der 20. Juli“ bis „Hitlerjunge Salomon“ oder zuletzt „Der letzte Zug“. Szene aus dem 1943 entstandenen Film „Das Bad auf der Tenne“ – gedreht in Spandau. Nebenbei gesagt: Dass dieser künstlerisch beachtliche Beitrag zur Dokumentierung jüngerer deutscher Geschichte nicht in einem der größeren Berliner Filmpaläste seinen Platz fand, sondern gegenwärtig in einzelnen Vorstellungen an der Peripherie der Stadt dahinkümmert, ist kein Ruhmesblatt für die Kinostadt Berlin. Aber mit der ging es ja sowieso stetig abwärts. Einst gab es im Bezirk Spandau mit dem Tropfsteinkino, dem Savoy, dem Bio, dem Odeon und anderen insgesamt 20 Lichtspielhäuser. Heute nennt das tägliche Filmprogramm hier draußen im Westen Berlins gerade mal zwei Adressen. Auch dieses Kapitel übrigens schlägt die Ausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums auf, die zahlreiche lokalhistorische und kinogeschichtlich wertvolle Schaustücke als Leihgaben des ArturBrauner-Archivs (Deutsches Filmmuseum Frankfurt am Main) zeigen kann. Nicht zu vergessen: Die Zitadelle ist natürlich nicht allein von filmischem Reiz. Hier findet sich ein bezirkliches Kulturzentrum, das mit Konzerten etwa im Gotischen Saal mit seiner mittelalterlichen Atmosphäre, mit Theater, Lesungen und anderen Veranstaltungen und einem reichhaltigen Kinderprogramm aufwartet. Zahlreiche Feste vom Ostermarkt bis zum Fledermausfest und einem Ritterspektakulum im April werden angeboten. Schließlich ist die Zitadelle im Sommer attraktiv durch die angrenzende Freilichtbühne mit ihren reichen Angeboten. Dieter Strunz DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: picture-alliance/akg-images Stadtgeschichtliches Museum Spandau, Zeughaus der Zitadelle, Am Juliusturm, 13599 Berlin. Bis zum 4. März dienstags bis freitags 8 bis 17 Uhr, sonnabends und sonntags 10 bis 17 Uhr. Tel: 35 49 44 297, Fax: 35 49 44 296, www.zitadelle-spandau.de Januar 2007 Blatt 26 Den USA fehlt eine politische Strategie für die Zeit nach dem Rückzug aus Irak Von RAFAEL SELIGMANN Man muss weder Generalstäbler noch Kriegshistoriker oder politischer Analyst sein, um zu begreifen, dass die militärische Intervention der Vereinigten Staaten in Irak zum Scheitern verurteilt ist. Diese Einsicht fast aller maßgeblichen Experten, nicht zuletzt der von der US-Regierung selbst berufenen BakerKommission, ist auch George W. Bush bekannt – ebenso wie eine Reihe geheimdienstlicher Erkenntnisse und Analysen, die zum gleichen Ergebnis kommen. Was aber bewog den US-Präsidenten, sich über dieses geballte Wissen hinweg zu setzen und sich schließlich für eine Aufstockung des US-Interventionskorps um 21 500 Soldaten zu entscheiden? George Bush sollte einsehen, dass das Ziel, nach dem Sturz Saddams und der Besetzung Iraks in dem Land eine Demokratie westlichen Stils im Schnelldurchgang aufzubauen, in absehbarer Zeit nicht durchsetzbar ist, erst recht nicht gewaltsam mit Hilfe eines vermehrten Truppeneinsatzes. Welche Gründe haben den US-Präsidenten dazu gebracht, dennoch eine Ausweitung der Expeditionsarmee im Zweistromland anzuordnen? Den entscheidenden Hinweis für die Beweggründe Bushs gibt eine militärische Personalie, die in der Öffentlichkeit kaum beachtet wurde: Gleichzeitig mit seinem Votum für eine temporäre Ausweitung des militärischen Einsatzes in Irak ernannte der Präsident einen neuen Kommandeur der US-Truppen in Irak. David Petraeus ist keineswegs ein Haudegen und Kämpfer um jeden Preis. Der General ist unbestreitbar der intelligenteste Kopf der US-Army. Der hoch dekorierte Militär war Jahrgangsbester im Generalstabscollege, später wurde er mit einer Dissertation an der Elite-Universität Princeton promoviert. Thema der Doktorarbeit war „Der Einfluss des Vietnamkrieges auf das militärische Denken“ der Vereinigten Staaten. Dabei hat Petraeus gelernt, dass ein Besatzungskrieg mit militärischen Mitteln nicht gewonnen werden kann. Die Vereinigten Staaten hatten Mitte der sechziger Jahre mehr als 600 000 GIs in DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 27 Vietnam stationiert. Dennoch ging der Waffengang verloren, ja, er musste scheitern, weil kein Volk – es sei denn, es wünscht es zeitweilig – von einer fremden Macht besetzt bleiben möchte. Heute sind gerade mal 150 000 GIs in Irak stationiert, die zusätzlichen gut 20 000 Soldaten ändern wenig am Gesamtkräfteverhältnis zwischen US-Truppen und Aufständischen. Schlimmer noch, sie vermitteln vielen Irakis den Eindruck, dass die fremden Okkupanten sich auf Dauer einzurichten drohen. Abgesehen von der kurdischen Minderheit im Nordirak, der die US-Intervention eine weitgehende Autonomie bescherte, möchte die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung des Zweistromlandes – bei allen internen Konflikten – nicht länger von den Vereinigten Staaten beherrscht werden. Diese antagonistische Grundsituation gegenüber den USA hat deren Feinden buchstäblich Tür und Tor geöffnet: Durch die faktisch offenen, hunderte Kilometer langen Grenzen mit Syrien und Iran sickern schiitische Revolutionsgarden, islamische Fundamentalisten, Terroristen und Kriminelle fast ungehindert in den Irak ein. Das volle Ausmaß des Konfliktpotenzials hat sich noch lange nicht entfaltet. Denn die größte religiöse Gruppe, die Schiiten, die vor allem im Süden beheimatet ist, hält noch weitgehend still. Ihre besonnene Führung unter Ajatollah al Sistani wartet zu, bis die ausländischen Truppen abgezogen sind, um auch die Zentralmacht in Bagdad und in möglichst vielen Teilen des Landes zu übernehmen. Lediglich die radikalen Milizen Muktada al Sadrs werden schon seit einiger Zeit vor allem in Bagdad aktiv, um sich Schlüsselstellungen für die kommende Auseinandersetzung mit den gemäßigten Kräften Sistanis zu sichern und gleichzeitig aktive Kräfte und Fundamentalisten der Sunniten zu bekämpfen. Nicht allein radikale Sunniten sind entschlossen, nicht zuzulassen, später von der schiitischen Majorität beherrscht und unterdrückt zu werden. Eine ähnliche Haltung nehmen die Kurden im Norden ein, wo ein großer Teil der Ölreserven lagert. Mit einer geschwächten Zentralmacht in Bagdad mögen sie sich abfinden. Eine repressive schiitische Zentralgewalt aber lehnen die Kurden ab. Sollte diese versuchen, deren Region zu beherrschen und einen weitgehenden Abfluss der Öleinnahmen zu erzwingen, würden die Kurden um ihre Unabhängigkeit kämpfen. Diese Konstellation wiederum wäre für die Türkei Grund zu einer militärischen Intervention. Das Militär und alle maßgebenden politischen Kräfte in Ankara sind entschlossen, notfalls mit DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 28 Gewalt die Etablierung eines unabhängigen kurdischen Staates zu verhindern. Denn das würde zwangsläufig auf die zwölf Millionen Kurden im Osten der Türkei als Signal wirken, ihrerseits die Unabhängigkeit von Ankara zu erkämpfen. Auf diese Weise würde auch die Türkei in einen Bürgerkrieg gezogen werden, dessen Auswirkungen in der gesamten Europäischen Union, also auch in Deutschland mit seiner fast zwei Millionen zählenden türkischen Gemeinde und den vielfachen politischen und wirtschaftlichen Bindungen spürbar werden. Noch hält sich im Irak die Regierung Maliki im Amt. Vor allem Dank des US-Interventionskorps. Die neue irakische Armee indes, an deren Aufbau General Petraeus vor Jahren entscheidenden Anteil hatte, besitzt keine nennenswerte Kampfkraft. Als Stabilitätsfaktor zumindest für die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad zählt das irakische Militär wenig. Der amtierende US-Präsident, wie er sich gerne zeigt: unter Soldaten. Die mühsam zusammengefügte Regierungskoalition al Malikis klammert sich an die Macht. Ihr letzter Stützpfeiler ist das USMilitär. Der Versuch, durch eine rasche Hinrichtung Saddams und seiner engsten Gefolgsleute Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, bewirkte das Gegenteil. Die Sunniten, auch Gegner von Saddams Terrorherrschaft, fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Ihre Feindschaft gegen die schiitische dominierte Regierung nahm durch die überhastete und grausame Hinrichtung zu. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: picture-alliance/dpa/andrew craft Januar 2007 Blatt 29 Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem Zwiespalt. Verkünden sie den Abzug ihres Militärs aus Irak, würden die Kämpfe mit einer heute noch kaum vorstellbaren Brutalität ausbrechen. Das Land rutschte rasch in einen Bürgerkrieg. Dies wäre für die Kurden ein unausweichlicher Grund zur Separation, was wiederum, wie erwähnt, Ankara in den Konflikt ziehen würde. Die einzige für Präsident Bush gangbare Option ist, durch die geringe Verstärkung der US-Truppen den Willen zu einem Verbleib im Zweistromland zu unterstreichen und auf das Wunder einer sich verfestigenden Demokratie zu hoffen. Doch dieses Wunder wird nicht geschehen. Einer irakischen Demokratie fehlt die soziale Infrastruktur. Statt sich zu verfestigen, streben die Kräfte zentrifugal auseinander. Die Bush-Administration hat keine Chance, ihre Truppen unter Wahrung ihres politischen Ansehens abzuziehen. Erst die nächste Regierung in Washington, einerlei, ob demokratisch oder republikanisch ausgerichtet, wird die politische Kraft besitzen, einen Neuanfang zu starten. Dieser kann nur bedeuten, das USMilitär aus Irak abzuziehen. Die Auswirkungen aber werden weit schlimmer sein als vor dreißig Jahren in Vietnam, wo die Kommunisten als einheitliche Kraft bereit standen, das Vakuum zu füllen – und mit ihren Gegnern abzurechnen. In Irak werden in Folge des US-Rückzugs langwierige innere Konflikte ausbrechen. Dabei wird es für den Westen darauf ankommen, die politischen Kollateralschäden zu begrenzen. Das heißt vor allem, die Regionalmächte Iran, Syrien, Saudi-Arabien und Türkei an einer Intervention, vor allem am militärischen Eingreifen zu hindern. Dies ist nur durch eine weitsichtige strategische Außenpolitik möglich. Doch diese fehlt der Regierung Bush vollständig. Statt die Zeit, die eine Verstärkung der US-Truppen in Irak schafft, für politisch-diplomatische Maßnahmen zu nutzen, erschöpft sich die Politik Washingtons in Drohungen gegen Syrien und Iran. Dass dieser Weg vergeblich ist und lediglich eine Eskalation nach sich zieht, hat man mittlerweile sogar in Jerusalem eingesehen. Daher versucht Israel vorsichtig, zumindest mit seinem Nachbarn Syrien ins politische Geschäft zu kommen. Präsident Bush und seine Administration indes agieren fantasielos. Sie sind nicht in der Lage, die verbleibende Zeit zu nutzen. Die Konsequenzen sind ein nahezu unvermeidlicher Bürgerkrieg in Irak sowie die Gefahr gewaltsamer Konflikte im Nahen Osten mit unabsehbaren Folgen für die Region und mit gefährlichen Auswirkungen für Europa, ja für den Weltfrieden. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 30 Alfred Grenander, der Architekt der Berliner Hoch- und Untergrundbahn. Er kam aus Schweden Eine Sonderausstellung im Deutschen Museum für Verkehr und Technik Berlin Er hat die Berliner Infrastruktur geprägt wie kaum ein anderer, und dennoch kennt kaum jemand seinen Namen: Alfred Grenander, der Architekt der Berliner Hoch- und Untergrundbahn. Rund 70 Bahnhöfe wurden zwischen 1902 und 1930 nach seinen Plänen errichtet. In Zusammenarbeit mit der schwedischen Botschaft hat das Deutsche Technikmuseum zu Ehren Grenanders, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 75. Mal jährt, eine exquisite Ausstellung konzipiert, die noch bis zum 29. April 2007 zu sehen ist: „Berlin über und unter der Erde – Das Werk Alfred Grenanders“. 1863 im schwedischen Skövde geboren, begab sich Grenander mit 22 Jahren nach Berlin, um sich an der Königlich-Technischen Hochschule für Architektur einzuschreiben. Nach dem Studienabschluss blieb er in der aufstrebenden Metropole und eröffnete 1896 sein eigenes Architekturbüro. Zunächst entwarf er Schmuckelemente für die Stahlstützen der neuen Berliner Hochbahn, später die Eingänge für den Bahnhof Potsdamer Platz. Binnen kurzer Zeit stieg er dann zum meistbeschäftigten Architekten für Berlins seit 1902 begonnene Untergrundbahn auf. Sein Meisterwerk der Vorkriegszeit ist der 1913 vollständig neu erbaute Bahnhof Wittenbergplatz an der „Stammlinie“ der Berliner U-Bahn mit dem an Schinkel erinnernden Empfangsgebäude. Der Bahnhof zeigt in markanter Form die damals vorbildliche Trennung der Bahnhofshalle vom Eingangsgebäude. Am Wittenbergplatz, wo gleich drei Linien aus den westlichen Bezirken des ausufernden Berlin zusammenliefen und zusätzlich mit dem „Kaufhaus des Westens“ eine neue Einkaufsattraktion entstand, musste ein entsprechendes Fahrgastaufkommen berücksichtigt werden. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 31 Nur eine Station weiter östlich befindet sich ein weiteres Prunkstück des Architekten: der Bahnhof Nollendorfplatz. Hier hatte Grenander die schwierige Aufgabe zu lösen, die vorhandene, vom Westen her aufsteigende Hochbahn mit einem doppelstöckigen Untergrundbahnhof funktional zu verbinden. Grenanders Bahnhof Nollendorfplatz – einer von rund 70 von ihm gebauten Berliner U-Bahnhöfen. Gerade der Bahnhof Nollendorfplatz zeigt die enorme stilistische Vielfalt Grenanders. Mühelos gelang es ihm dort, das neoklassische Erscheinungsbild der Zugangsbauten mit der neusachlichen Gestaltung der Untergrundbahnsteige zu verbinden. Parallel mit dem so strengen Bahnhof Nollendorfplatz wurde der gewaltige Umsteigebahnhof Hermannplatz errichtet. Am Hermannplatz stand kein Raum für ein oberirdisches Empfangsgebäude zur Verfügung. Deswegen konzentriert sich die ganze Monumentalität auf die Bahnsteighalle der heutigen Linie 7, in die trogartig die niedrige Halle der querenden Linie 8 eingebettet liegt. Ende der 1920er Jahre entstand in dichtem Abstand die Mehrzahl der Grenanderschen Bahnhöfe; allein 1929 und 1930 wurden 25 Bahnhöfe in Betrieb genommen. Grenander entwickelte das Prinzip der Kennfarbe, bei dem sich jede Station durch eine Farbe deutlich von den jeweils davor beziehungsweise dahinter liegenden Bahnhöfen unterscheidet. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: picture-alliance/akg-images Januar 2007 Blatt 32 Mit der Kennfarbe können sowohl Fliesen als auch Stützen und Schilderumrahmung verziert sein. Dieses Kennfarben-Prinzip lässt sich heute noch teilweise auf den Berliner U-Bahnlinien U2, U5, U6 und U8 erkennen. Die Ausstellung im Deutschen Technikmuseum macht aber auch deutlich, dass der große schwedische Architekt noch weit mehr zu bieten hat als die Berliner U-Bahnhöfe: Landhäuser, Villen, Kirchen, Möbel, Inneneinrichtungen, Kioske, Busse, UBahnwagen. Auch das Grabmal für den schwedischen Botschafter auf dem Friedhof in Stahnsdorf hat er entworfen. Der Berliner U-Bahnhof Eberswalder Straße – ebenfalls ein Werk Grenanders. Die rund 70 von ihm geschaffenen U-Bahnhöfe bleiben jedoch seine wichtigste Hinterlassenschaft. Deswegen wird der Ausstellungsbesucher im Nachfeld bestimmt aufmerksamer U-Bahn fahren, um in den Stationen nach Grenanders Handschrift zu suchen – zum Beispiel in den Stationen der gestalterisch vollendetsten Linie U8. Ein Bild des Architekten übrigens selbst findet man nur in einer einzigen Station, im Bahnhof Klosterstraße (U2). Hier ist auch eine Gedenktafel für Alfred Grenander angebracht. Tobias v. Schoenebeck „Berlin über und unter der Erde – Das Werk von Alfred Grenander”, bis 29. April 2007. Technikmuseum Berlin, Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin-Kreuzberg. Öffnungszeiten: Di – Fr 9-17.30 Uhr, Sa+So 10-18 Uhr. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: picture-alliance/akg-images/Florian Profitlich Januar 2007 Blatt 33 Christian Dior, Kurzes Abendkleid, Linie Y, Herbst/Winter 1955/56, veröffentlicht in „Constanze“. Ein Modekönig mit Strahlkraft: „Christian Dior und Deutschland“ Ausstellung im Kulturforum Potsdamer Platz Von KLAUS GRIMBERG Wie kaum ein anderer Designer hat Christian Dior die Mode nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestimmt – auch hierzulande. Mit der Sonderausstellung „Christian Dior und Deutschland, 1947 bis 1957“ widmet sich die Kunstbibliothek im Kulturforum Potsdamer Platz erstmalig den vielfältigen Beziehungen zwischen Dior und Deutschland. Die Ausstellung öffnet am 12. Februar 2007. Auf den Tag genau 60 Jahre zuvor präsentierte Dior seine erste Kollektion in Paris. Ein für die Modewelt legendäres Datum: Der „New Look“ war geboren und trat seinen Siegeszug um die Welt an. Gleichzeitig erinnert die Sonderschau an den 50. Todestag Diors. Der Modeschöpfer starb am 24. Oktober 1957 im Alter von nur 52 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. Bis zu seinem Tod hatte der „Pariser Meister“ 22 Kollektionen eigenhändig entworfen. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: smb, kunstbibliothek Januar 2007 Blatt 34 In Berlin sind nun zwanzig originale Haute-Couture-Modelle der Jahre 1947 bis 1957 zu sehen: Opulente Abendkleider stehen neben ideenreichen Tages- und Cocktailkleidern, raffinierten Kostümen und Mänteln. Viele von ihnen werden zum ersten Mal in Deutschland öffentlich gezeigt. Auf den ersten Blick werden Merkmale von Diors charakteristischem Stil deutlich – die schmale Taille, das figurbetonte Oberteil und weite, schwingende Röcke. Eine Mode, die – um nur einige wenige zu nennen – von Marlene Dietrich über Jackie Kennedy bis hin zu Evita Perón getragen wurde. Einen weiteren Schwerpunkt der Ausstellung bilden 24 originale Modeschmuck-Garnituren mit schillernden SwarovskiStrasssteinen und Kunstperlen. Sie stammen aus der Pforzheimer Firma Henkel & Grosse, die zwischen 1955 und 1957 für Dior produzierte. In den Schmuckstücken wird die stilistische und verarbeitungstechnische Perfektion deutlich, die das Haus Dior von Beginn an auszeichnete. Die Präsentation in der Kunstbibliothek belegt, wie stark die Schöpfungen Diors auch auf das modische Empfinden in Deutschland gewirkt haben. Anhand von Fotografien und Zeichnungen, Modezeitschriften sowie Ton- und Filmdokumenten werden die zehn glamourösen DiorModeschauen in Deutschland zwischen 1949 und 1953 ins Gedächtnis zurückgerufen. Die Ausstellung spiegelt die Medienresonanz auf Diors Mode und den Starkult um seine Person, der sich auch bei seiner einzigen Deutschlandreise 1955 offenbarte. Auf 300 Quadratmetern Fläche sind rund 180 Exponate zu sehen. Neben den Kleidern und Schmuckstücken runden Hüte, Taschen und weitere Accessoires das Bild von Diors stilsicherer Kreativität ab. Hinzu kommen großformatige Illustrationen der berühmten Dior-Zeichner René Gruau und Walter Voigt sowie Modefotografien von F.C. Gundelach, Walde Huth und Willy Maywald. Aus ihnen allen spricht das sichere Gespür Diors für Eleganz in Linie, Stoff und Farbe. Ein letzter Aspekt ist die erfolgreiche Lizenzpolitik Diors, die sein Haus schnell zu einem der erfolgreichsten internationalen Modeunternehmen werden ließ. Die Vergabe von Lizenzen für Kosmetika, Strümpfe und Accessoires wurde zu einer erfolgreichen Marketingstrategie und bald von anderen Häusern in ähnlicher Form nachgeahmt. Auch in Deutschland kamen zahlreiche Lizenzproduktionen in die Boutiquen und Kaufhäuser. Zu der Ausstellung wird ein umfangreiches Programm mit Führungen und Vorträgen angeboten. Im Katalog sind auf 260 Seiten mehr als 200 Abbildungen zu finden. Er erscheint in deutscher und englischer Sprache bei Arnoldsche Art Publishers, Stuttgart. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 „Christian Dior und Deutschland, 1947-1957“, Kunstbibliothek im Kulturforum Potsdamer Platz, geöffnet 13. Februar bis 28. Mai, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Januar 2007 Blatt 35 Planungen für die Freiraumgestaltung des Schlossareals Zur Debatte steht auch eine temporäre Kunsthalle auf dem grünen Rasen Auf dem Berliner Schlossplatz dauert alles länger als geplant. Der im Februar 2006 begonnene Abriss des Palasts der Republik wird sich um voraussichtlich ein ganzes Jahr länger hinziehen als vorgesehen, nämlich bis ins Frühjahr 2008, weil die Rückbauarbeiten aufgrund überraschender neuer Asbestfunde wesentlich langsamer vorankommen. Ob oder wann der per Bundestagsbeschluss entschiedene Wiederaufbau des Berliner Schlosses dann später einmal unter der Bezeichnung „Humboldt-Forum“ realisiert wird, ist bislang noch völlig ungewiss. Denn die Finanzierung ist weiterhin ungeklärt. Stadtplaner vermuten inzwischen, dass sich in Sachen „HumboldtForum“ vor dem Jahr 2014 überhaupt nichts tun wird. Was aber soll in der Zwischenzeit im Zentrum der historischen Mitte Berlins passieren? Für die Gestaltung des Schlossplatzes in der Zeit nach Vollendung des Palast-Abrisses bis zum Schlossbaubeginn hatte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Mai 2006 den landschaftsplanerischen Wettbewerb „Temporäre Freiraumgestaltung Schlossareal“ ausgelobt. Mehr als 80 Landschaftsarchitekten hatten sich an dem europaweiten Wettbewerb beteiligt. Von den Entwürfen wurden nach einer ersten Sichtung 25 in die engere Wahl genommen. Im September 2006 schließlich präsentierte Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) den Siegerentwurf: Die Berliner Gero Heck und Marianne Mommsen vom Planungsbüro relais Landschaftsarchitekten erhielten vom Preisgericht unter Vorsitz der Landschaftsarchitektin Andrea Gebhard aus München den mit 16 300 Euro dotierten ersten Preis. Der Plan von Heck und Mommsen sieht vor, dass den Schlossplatz künftig eine weite Rasenfläche zieren soll, die durch rhythmisch angeordnete Stege aus Lärchenholz gegliedert ist. Die Stege verlaufen parallel zu den beiden Spreearmen, leicht gegenüber dem Rasen erhöht. Unter dem Gras verschwinden die Spuren der Palast-Bebauung und die zum Teil freigelegten Fundamente des 1950 gesprengten Hohenzollernschlosses. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 36 Die Preisträger folgten mit ihrem Entwurf der Vorgabe von Bund und Land, für die Zwischennutzung eine Lösung ohne größere Eingriffe, vor allen Dingen ohne Rückbezug auf den Palast und ohne Vorgriff auf das künftige „Humboldt-Forum“ zu finden. Für die Schlossarealgestaltung stehen 2,1 Millionen Euro aus der Entwicklungsmaßnahme „Parlaments- und Regierungsviertel“ zur Verfügung. Davon trägt das Land Berlin 750 000 Euro, den Hauptteil leistet die Bundesregierung. In der Debatte um die Zwischennutzung des Schlossplatzgeländes hatten sich im vergangenen Jahr zahlreiche Architekten und Künstler mit eigenen Vorschlägen zu Wort gemeldet. Verschiedene Medien veranstalteten Ideenwettbewerbe, die in der Regel auf eine aktive Nutzung des Areals zielten. Besondere Unterstützung in der Kulturszene fand der Plan, hier in Ergänzung zur landschaftsarchitektonischen Gestaltung eine temporäre Kunsthalle zu errichten. Einen in der Planung bereits weit gediehenen Entwurf präsentierten die Berliner Künstlerinnen Coco Kühn und Constanze Kleiner zusammen mit den Architekten Rabea Welte und Alex Kader. Kühn und Kleiner hatten im Dezember 2005 die letzte Ausstellung im Palast der Republik vor dessen endgültiger Schließung initiiert. Für gerade einmal neun Tage hatten sie zwischen vier eingezogenen Wänden unter dem Titel „36 x 27 x 10“ Werke international sehr bekannter, in Berlin lebender Künstler versammelt. Die Schau zog in der kurzen Zeit mehr als 10 000 Besucher an und stieß auf fast einhellige und überschwängliche Begeisterung in den deutschen Feuilletons. Gleichzeitig überzeugte sie viele davon, dass in Berlin ein Ort für die Präsentation der aktuellen Kunst fehlt. So war neben den Exponaten Ereignis auch der Raum, dessen Maße 36 x 27 x 10 Meter den Titel der Ausstellung gaben. Inspiriert vom Erfolg dieser Schau beauftragten Coco Kühn und Constanze Kleiner ihre Kooperationspartner Welte plus Kader Architekten, die Qualitäten des White Cube Berlin in ein freistehendes Gebäude zu übersetzen. Deren Entwurf sieht eine temporäre Kunsthalle genau in den Dimensionen des bereits bewährten Ausstellungsraums vor. Der geschlossene weiße Ausstellungskubus mit 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche im Obergeschoss ist stützenfrei geplant. Darunter liegt das rundum verglaste Erdgeschoss mit Räumen für einen Museumsshop, für Veranstaltungen und gastronomische Einrichtungen. Ein umlaufender Balkon und Freitreppen mit Sitzstufen im Südwesten und Nordosten des Gebäudes schaffen zusätzliche Aufenthaltsräume mit Aussicht zum Spreeufer und zur Freifläche des Schlossplatzes. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 37 Auch wenn das Projekt schon bis ins Detail durchgeplant ist, sehen die Initiatorinnen des „White Cube Berlin“ ihren Entwurf für eine temporäre Kunsthalle zunächst lediglich als Denkanstoß an. Ihnen kommt es vor allem darauf an, dass der Schlossplatz zwischenzeitlich als Ort für zeitgenössische Kunst thematisiert wird und dass die beschlossene Grünflächengestaltung eine ergänzende inhaltliche Dimension erhält. Entwurf des „White Cube Berlin“, mitten auf dem noch zu schaffenden grünen Rasen im Herz des Herzens von Berlin. Hier bietet sich die Gelegenheit, direkt an der Museumsinsel eine Perspektive auf die Kunst der Gegenwart zu eröffnen, die in zahlreichen Ateliers und Köpfen dieser Stadt entsteht, aber noch keinen eigenen Präsentationsraum in Form einer Kunsthalle gefunden hat. Ob der Berliner Senat das ihm seit Juni 2006 vorliegende Konzept in seinen Planungen berücksichtigt, muss sich noch zeigen. Namhafte Persönlichkeiten aus Kultur und Politik wie die ehemalige Kulturstaatsministerin Christina Weiß, der Vorsitzende des Vereins der Freunde der Neuen Nationalgalerie, Peter Raue, und der Leiter der Frankfurter Städelschule, Daniel Birnbaum, haben das Projekt einer temporären Kunsthalle inzwischen öffentlich begrüßt. Tobias v. Schoenebeck DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 38 Slot-Handel in Europa noch im Streit Von JENS FLOTTAU Es ist ein Graumarkt, auf dem Millionen fließen: Wenn eine Fluggesellschaft händeringend nach einer Möglichkeit sucht, doch noch irgendwie einen Platz zu finden, etwa auf dem Londoner Flughafen Heathrow, und wenn eine andere Fluglinie gerade etwas abzugeben hat, dann wird gehandelt. Mehr als zehn Millionen Pfund fließen in Heathrow derzeit für ein Slot genanntes Zeitfenster, das Flugzeuge für Starts und Landungen benötigen. Die Preise haben sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Doch eigentlich ist der Slothandel – derzeit jedenfalls – verboten; in London wird er von den Behörden allerdings toleriert. Eigentlich sollte schon Ende 2006 der Entwurf einer neuen Richtlinie der Europäischen Kommission für den Handel mit Slots auf europäischen Flughäfen vorliegen. Mit Hilfe der Richtlinie, auf die Anfang 2007 noch immer gewartet wird, sollen die Geschäfte aus der rechtlichen Grauzone herausgeholt werden, zum Nutzen der Airlines und der Fluggäste. Die Kommission wollte erst in einer umfangreichen Studie untersuchen lassen, ob und wie der Handel reguliert werden sollte und welche Folgen das für die Branche exakt hätte. Slots werden auf Antrag von den Flughafenkoordinatoren der jeweiligen Länder zugeteilt. Sie sind gerade an den verstopften Drehkreuzen wie Heathrow, Paris und Frankfurt ein äußerst wertvolles Gut. Wer aber einen Slot bekommen hat und ihn in einer Flugplanperiode zu mindestens 80 Prozent auch genutzt hat, der bekommt ihn im Folgejahr automatisch wieder. Die Fluglinien haben somit Planungssicherheit und können auf dieser Basis investieren. Doch der EU-Kommission ist gerade diese Regelung ein Dorn im Auge. Wegen der so genannten „Grandfather Rights“ – eben der Garantie, den Slot auch im kommenden Jahr wiederzubekommen – seien die Markteintrittsbarrieren für neue Anbieter zu hoch, so die Argumentation. Auch sei nicht garantiert, dass die Zeitfenster auf den Start- und Landebahnen möglichst effizient genutzt würden. Im Gegenteil: Bevor eine Fluglinie einen Slot, den sie eigentlich nicht braucht, an den Flugplankoordinator zurückgibt, behält sie ihn lieber und nutzt ihn für unbedeutende Regionalflüge mit kleinen Maschinen. Das ist aus Sicht der Gesellschaft immer noch besser, als der Konkurrenz eine Chance zu geben. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 39 Die in Auftrag gegebene, gerade veröffentlichte Studie der britischen Unternehmensberatung Mott MacDonald stützt die Ansicht der Kommission, dass die bisherige Regelung verbesserungswürdig ist. „Slothandel würde stark dazu beitragen, das Ziel der Kommission zu erreichen, effizienten Luftverkehr für Passagiere und Fracht sicherzustellen“, so heißt es in der Studie. Laut Mott MacDonald wären die Auswirkungen freien Handels von Start- und Landezeiten auf den europäischen Flughäfen enorm. Beispielsweise: Bis 2025 würde die Zahl der Passagiere um sieben Prozent (51 Millionen) steigen können. Und die Kapazität, gemessen in angebotenen Sitzkilometern, gar um 17 Prozent. Dieser Effekt werde erzielt, weil die Fluggesellschaften kleinere Maschinen durch größere ersetzen würden, die mehr Lang- als Kurzstrecken bedienen. Dadurch könnten sie die Slots effektiver nutzen. Auch die Flughäfen würden von dem Handel profitieren. Um rund sieben Prozent könne der Umsatz pro Jahr steigen, wenn der Handel mit Slots erlaubt würde, so die Studie. Auch dies eine Auswirkung des Trends zu größeren Flugzeugen, für die die Flughäfen höhere Gebühren verlangen können. Der Handel mit Slots wird laut Mott MacDonald aber auch dazu führen, dass Flüge zu eher unbedeutenden Zielen von den großen Drehkreuzen immer mehr verdrängt werden. Deswegen hat sich auch bereits die European Regions Airline Association (ERA) kritisch zu dem Vorhaben geäußert. IMPRESSUM DER HAUPTSTADTBRIEF erscheint seit Oktober 1999 Herausgeber Redaktionelle Konzeption und Chefredaktion Bildredaktion Gestaltung Titel Satz und Bildbearbeitung Anzeigen Verlag Druck monatlich Detlef Prinz Bruno Waltert Paul Maria Kern Witt & Kern.Design Metropolitan Museum of Art New York Manuel Schwartz, Mike Zastrow, HAUPTSTADTBRIEF es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom Juni 2006 HAUPTSTADTBRIEF Berlin Verlagsgesellschaft mbH Inhaber: Detlef Prinz, Verleger Tempelhofer Ufer 23/24, 10963 Berlin Telefon 030 - 21 50 54 00, Fax 030 - 21 50 54 47 [email protected] www.derhauptstadtbrief.de Fiedler Druck GmbH & Co. KG Lossaustraße 3, 96450 Coburg Telefon 0 95 61 - 55 213, Fax 0 95 61 - 55 21 50 Redaktionsschluss 25. Januar 2007 Wiedergabe von Beiträgen aus dem HAUPTSTADTBRIEF, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung der Redaktion – und stets mit der Quellenangabe: © DER HAUPTSTADTBRIEF. Für unverlangte Zusendungen keine Haftung. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 40 Die Messe Berlin expandiert weltweit Von DIETER WUSCHICK Die Messe Berlin GmbH ist mit einem starken Jahresabschluss ins neue Veranstaltungsjahr gestartet. Allein auf den 32 Messen und Ausstellungen des Jahres 2006 in der deutschen Hauptstadt präsentierten 21 243 Aussteller aus mehr als 180 Ländern und Gebieten ihre Waren und Dienstleistungen den Interessenten aus dem In- und Ausland. Doch der Messeplatz Berlin war nur das Heimspiel – insgesamt führte die Unternehmensgruppe Messe Berlin in Deutschland und in den USA 115 Messeveranstaltungen mit rund 28 000 Ausstellern und 1,8 Millionen Besuchern durch. Die erfolgreiche Geschäftstätigkeit führte zu einem Rekordumsatz von 166 Millionen Euro, 34 Millionen Euro mehr als im Vorjahr, und zu einem „positiven Gesamtergebnis“, so Raimund Hosch, der Vorsitzende der Geschäftsführer der Messe Berlin. Auf den ersten Blick mag das nach normalem Geschäftsverlauf aussehen. Der Gedanke drängt sich auf, dass jetzt der Aufschwung der deutschen Wirtschaft eben auch das Messegeschäft erreicht habe. Doch dieser erste Blick täuscht. So hat Deutschlands größter Messeplatz, Hannover, gerade das Jahr 2006 mit einem Minus von 7 Millionen Euro abgeschlossen und erwartet für sein wichtigstes Aushängeschild – die IT-Messe Cebit – in diesem Jahr einen Rückgang der Ausstellerzahlen um etwa 15 Prozent und damit erneut ein negatives Ergebnis. Auch an den anderen Messeplätzen in Deutschland wurden nicht solche dynamischen Erfolge erzielt wie am Messestandort Bundeshauptstadt. „Das Geschäft der Messe Berlin hat sich in den vergangenen Jahren gegen den Bundestrend entwickelt. Während der Messemarkt in Deutschland seit 2001 schwächelte und erst in diesem Jahr die Talsohle durchschritten hat, wuchs das Messegeschäft in Berlin in den vergangenen fünf Jahren um mehr als 50 Prozent“, betont Raimund Hosch stolz. Wo aber liegt dann das Erfolgsrezept des Messeplatzes in der deutschen Hauptstadt? Pressesprecher Michael Hofer nennt gleich mehrere Gründe für die gegenwärtige Erfolgsstory der Berliner Messegesellschaft. Der Messe Berlin komme etwa zugute, dass sich weltweit immer mehr die Erkenntnis durchsetze, dass zielorientiert gestaltete Messen außerordentlich effiziente und effektive Marketinginstrumente sind. Studien in den USA und in Deutschland haben ergeben, DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 41 dass Messekontakte im Durchschnitt nur halb so viele Kosten zum Erreichen eines Verkaufsabschlusses verursachen wie einzelne Vertreterbesuche. Vor allem aber habe die Messe Berlin frühzeitig die internationale Beteiligung an ihren Veranstaltungen gefördert. Heute kommen zwei von drei Ausstellern auf den Messen der Berliner Messegesellschaft aus dem Ausland. Sie sei weltweit die Messe mit der höchsten internationalen Beteiligung, betont Hofer. Jährlich besuchten 900 000 Gäste von außerhalb Berlins das Messegelände unter dem Funkturm. Sie und die 160 000 Mitarbeiter von mehr als 25 000 auswärtigen Firmen, die jedes Jahr auf dem Messegelände Berlin ihre Produkte vorstellen, bewirkten einen Kaufkraftzufluss in Höhe von 860 Millionen Euro in die Hauptstadtregion. Zudem praktiziere die Messe Berlin seit Jahren erfolgreich das Prinzip der publikumsoffenen Fachmesse, die nicht allein Fachbesucher, sondern auch die interessierte Öffentlichkeit willkommen heißt. Aus diesem Grund werden auch in diesem Jahr zur Internationalen Grünen Woche die Öffnungszeiten bis 19 Uhr, am letzten Ausstellungstag, dem „Langen Freitag“ sogar bis 21 Uhr verlängert. „Damit sichern wir unseren Ausstellern eine Öffentlichkeit und eine Medienpräsenz, die sie in der abgeschlossenen reinen Fachmesse nicht erreichen können“, sagt Michael Hofer. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 foto: Caro Fotoagentur/Jürgen Blume Blick auf das Berliner Messegelände. Rechts der langgestreckte Komplex ICC. Januar 2007 Blatt 42 Als einen ebenfalls wichtigen Grund für den Erfolg des Berliner Messegeschäftes nennt der Kommunikationschef des Veranstaltungskonzerns unter dem Funkturm schließlich die Grundlagenvereinbarung mit dem Land Berlin aus dem Jahr 2004. Nach den langen und fruchtlosen Diskussionen über eine Privatisierung, eine Teilprivatisierung und einen Börsengang würden mit diesem Dokument stabile Bedingungen für die weitere Zukunft der Messe Berlin geschaffen. Für ihr Wachstum hat die Messe dem Land Berlin ein klares Programm vorgelegt. Mit der Gestaltung des Eingangsbereiches Süd sind die Baumaßnahmen auf dem Messegelände im Wesentlichen abgeschlossen worden, die Errichtung weiterer Messehallen ist nicht vorgesehen. Entscheidungsbedarf gibt es jedoch für die Zukunft des Internationalen Congress Centrum ICC, einen der größten Kostenblöcke im Jahresetat der Messegesellschaft. Die technische Ausstattung des nach wie vor größten multifunktionalen Kongresszentrums Europas ist dringend sanierungsbedürftig. Nach Ansicht von Experten gibt es neben einer sehr aufwändigen Sanierung des ICC vor allem die Möglichkeit des Neubaus eines modernen Kongresszentrums mit bedarfsgerechter Konstruktion auf dem Messegelände. Dem Senat liegen alle Variantenberechnungen vor – jetzt liegt die Entscheidung bei der Politik. Hohe Investitionen erfordert auch das zweite strategische Konzept der Messegesellschaft – die Internationalisierung des Messegeschäfts. Für die internationale Expansion der Messe Berlin nennt Hofer zwei markante Beispiele. Im September findet in Las Vegas THETRADESHOW statt, eine eigenständige Veranstaltung, die unter der Marke und mit der Branchenkenntnis der Internationalen Tourismus-Börse ITB Berlin, der größten Touristikmesse der Welt, geschaffen wurde. Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr in Orlando sind die US-Partner, die Branchenverbände und die großen Reiseveranstalter überzeugt, dass der US-Markt reif ist für eine solche Messe. Eine weitere Partnerschaft ist die Messe Berlin auf einem anderen Markt eingegangen – es geht um die Durchführung der Fruit Logistica Asia, die in diesem Jahr in Bangkok stattfindet. In Berlin hat sich die FRUIT LOGISTICA aus einer Veranstaltung innerhalb der „Grünen Woche“ in nur 15 Jahren zur weltweit wichtigsten Branchenmesse des Früchte- und Gemüsehandels entwickelt. Auch an anderen Standorten veranstaltet die Messe Berlin künftig gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern regionale und internationale Messen der unterschiedlichsten Art. Dazu gehört etwa bereits im April die Water Sofia 2007. DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 43 Für 2007 wartet die Messe nach der „Grünen Woche“ auch in Berlin mit weiteren Höhepunkten auf. Vom 8. bis 10. Februar beispielsweise soll die Weltmesse des Fruchthandels, die FRUIT LOGISTICA, einen neuen Ausstellerrekord erreichen. Im März verwandelt sich das Messegelände wieder in das größte Reisebüro der Welt: Zur ITB Berlin 2007 werden rund 11 000 ausstellende Unternehmen aus 180 Ländern und Regionen erwartet. In diesem Jahr ist Indien das Partnerland. Der besondere Publikumsmagnet im Sommer ist sechs Tage lang vom 31. August an die IFA – Consumer Electronics Unlimited – mit den neuesten Entwicklungen der Consumer Electronics, dem direkten Kontakt zu Prominenten des TV-Business und einem attraktiven Show-Programm. Vom 18. bis 21. September findet die Internationale Fachmesse für Reinigungssysteme, Gebäudemanagement und Dienstleistungen CMS mit begleitendem Kongressprogramm als wichtigste europäische Reinigungsfachmesse des Jahres statt. In den Messehallen wird eine aktuelle Leistungsschau von Produkten, Systemen und Verfahren rund um den Gebäudeservice präsentiert. Die Popkomm, die internationale erstrangige Kommunikationsplattform für die Musik- und Entertainmentbranche, soll vom 19. bis 21. September erneut starke wirtschaftliche und kulturpolitische Impulse aussenden. Und vom 29. September bis zum 3. Oktober zieht das ART FORUM BERLIN wieder Liebhaber der Gegenwartskunst aus zahlreichen Ländern in die Berliner Messehallen. Die europäische Jugendmesse für Outfit, Sport und Lifestyle YOU bringt vom 26. bis zum 28. Oktober für Jugendliche zwischen 12 und 20 Jahren konzentrierte Information mit viel Spaß. Der IMPORT SHOP BERLIN schließlich ermöglicht vom 7. bis 11. November Erlebnis-Shopping erster Klasse rund um den Globus und gibt zum ersten Mal auch die Möglichkeit, sich im neuen Ausstellungssegment „Urlaubsträume“ über Spezialreisen zu informieren. Und vom 22. bis 25. November folgt dann noch die größte Wassersportmesse für Berlin und die neuen Bundesländer, Boot & Fun. Sie will Wasserfreunde aller Altersgruppen mit aufregenden Exponaten und Angeboten faszinieren. Abonnieren Sie den Hauptstadtbrief! Mehr dazu: www.derhauptstadtbrief.de [email protected] oder Telefon 030 / 21 50 54 00 DER HAUPTSTADTBRIEF Nr. 84 Januar 2007 Blatt 44