Ermittlung des Einkommens Selbständiger im SGB II
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Ermittlung des Einkommens Selbständiger im SGB II
Ermittlung des Einkommens Selbständiger im SGB II Veranstaltung am 19.03.2013 Rechtsanwalt Uwe Klerks Zugleich Fachanwalt für Sozialrecht und Versicherungsrecht Frankenstraße 251 45134 Essen Tel.: 0201 – 47 26 70 Fax: 0201 – 43 09 412 Mail: [email protected] 1 I. Rechtsgrundlagen 1. Gesetze 2. Die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-VO 3. Hinweise der Agentur für Arbeit II. Zu berücksichtigender Zeitraum 1. Regel: Sechs-Monats-Zeitraum 2. Ausnahme I: Berechnung über einen längeren Zeitraum als sechs Monate a) Möglichkeit der abweichenden Festlegung b) Folge einer abweichenden Regelung c) Voraussetzung der jahresweisen Berechnung d) Sonderregelung: Einbeziehung des Einkommens der letzten sechs Monate vor wiederholter Antragstellung 3. Ausnahme II: Berechnung über einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate III. Ermittlung des Einkommens 1. Begriff des Einkommens a) Einkommen bei gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen b) Einkommensneutrale Einnahmen 2. Einkommen „aus“ selbständiger Tätigkeit 3. Beispiele für Einkommen 4. Höhe des Einkommens IV. Ermittlung der Abzüge 1. Einkommensneutrale Abzüge a) Leistungen nach dem SGB II b) Betriebliche Darlehen 2. Nur tatsächliche Zahlungen 3. Nur notwendige Ausgaben 4. Art der Ausgaben (§ 3 Abs. 2 S. 1 Alg II-VO) a) Notwendige Ausgaben b) Einzelfälle aa) Verpflegungsmehraufwendungen bb) Kosten für die Krankenversicherung cc) Privatentnahmen dd) Kraftfahrzeuge (1) Betriebs-Kfz (2) Privat-Kfz 5. Korrektur a) vermeidbare Ausgaben § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO aa) Kfz-Kosten bb) Gesetzliche soziale Aufwendungen für den Geschäftsführer einer GmbH cc) Personalkosten dd) „Verlustausgleich“ zwischen zwei selbständigen Tätigkeiten b) Offensichtliche Abweichung von den Lebensumständen § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO c) Auffälliges Missverhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen § 3 Abs. 3 S. 3 Alg II-VO V. Absetzungen von dem Gewinn 1. Ausgangspunkt 4 4 4 5 5 6 6 6 6 7 8 9 9 9 10 10 10 11 11 14 14 14 14 15 16 16 16 17 17 17 17 17 18 19 19 20 20 20 20 21 21 22 22 22 2 2. Berechnung a) Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen b) Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung c) Mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben VI. Verwaltungsentscheidungen 1. Bewilligung von Leistungen a) Vorläufige Leistungen b) Endgültige Bewilligung 2. Aufhebung von Leistungen a) Vorläufige Leistungen b) Endgültige Leistungen Anhang: Liste der bearbeiteten Entscheidungen 23 24 24 24 25 25 25 25 26 26 26 27 3 Die Ermittlung des Einkommens Selbständiger ist im SGB II ein Fremdkörper. Die Komplexität der Einkommensermittlung widerspricht den Erfordernissen einer Massenverwaltung. In der Massenverwaltung kommt es häufiger zu pauschalen Festlegungen von Leistungen.1 Dagegen kann aber angeführt werden, dass die sorgfältige Ermittlung des Betrags dem Erfordernis der Bedarfsdeckung entspricht. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz in Form des Individualisierungsgrundsatzes2 ergibt sich aus dem Gebot, ein menschenwürdiges Leben sicherzustellen. Die Sicherstellungspflicht ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums.3 Jedoch stehen beide Prinzipien – Bedarfsdeckung mit möglichst individueller Ermittlung – und Massenverwaltung – möglichst standardisierte Entscheidung – in einem schmerzhaften Spannungsverhältnis zueinander. Dies kann dazu führen, dass auch berechtigte Leistungen angesichts der vielen Probleme bei der Einkommensermittlung nicht gewährt werden. Vor diesem Hintergrund muss dann gefragt werden, ob die Ermittlung wirklich so kompliziert laufen muss. I. Rechtsgrundlagen 1. Gesetze §§ 11 ff. SGB II bestimmen, was als Einkommen zu berücksichtigen ist (§ 11 SGB II) und was nicht (§ 11a SGB II) sowie was vom Einkommen abgesetzt werden darf (§ 11b SGB II). 2. Die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-VO Die Alg II-Verordnung4 ist mit Wirkung zum 01.01.2008 hinsichtlich der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit neu gefasst worden. Maßgeblich ist § 3 Alg II-VO. Es wird jetzt auf die im Bewilligungszeitraum zugeflossenen Betriebseinnahmen und die tatsächlichen Betriebsausgaben abgestellt (§ 3 Abs. 4 Alg II-VO). Durch den Zeitraum von in 1 Vgl. BSG, Urteil vom 17.03.2009 – B 14 AS 63/07 R Rdn. 28 – juris: pauschale Bestimmung des Ausbildungsanteils von BAföG-Leistungen. 2 Vgl. dazu Berlit in: Berlit/Conradis/Sartorius (Hrsg.), Existenzsicherungsrecht, Kapitel 7 Rdn. 25 S. 92 m.w.N. 3 BSG, Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R Rdn. 22 – juris; einschränkend allerdings BSG, Urteil vom 23.08.2011 – B 14 AS 185/10 R Rdn. 18 – juris: gilt nicht für die Festsetzung der Regelbedarfe. Nach Meinung des BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 21/10 R Rdn. 28 – juris rechtfertigt sich die Umstellung der Berechnungsmethoden bei der Ermittlung des Einkommens Selbständiger von einer steuerrechtlichen Betrachtung zu einer sozialrechtlichen Betrachtung gerade aus dem Bedarfsdeckungsprinzip. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, nämlich der Ermittlung des Bedarfs und der Deckung des Bedarfs. Im hier interessierenden Zusammenhang kommt es vor allem auf die Deckung des Bedarfs an, nämlich auf die Frage, welches Einkommen dem Selbständigen tatsächlich zur Verfügung steht sowie ob und wie es zur Deckung des Bedarfs eingesetzt werden kann. 4 Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 17.12.2007 – BGBl. I S. 2942. 4 der Regel sechs Monaten besteht die Möglichkeit, Einnahmen und Ausgaben innerhalb des Bewilligungszeitraums auszugleichen. Durch die Orientierung an den tatsächlich zufließenden Einnahmen und tatsächlich geleisteten Ausgaben (§ 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Alg II-VO) wird sichergestellt, dass es nur auf die tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorhandenen Mittel ankommt. Durch die Abkehr vom Steuerrecht kommt es auf die steuerrechtliche Leistungsfähigkeit nicht mehr an, weil sie oberhalb des sozio-kulturellen Existenzminimums liegt und nicht den tatsächlichen Gewinn abbilden muss. Dagegen kommt es nicht mehr auf fiktive Einnahmen und Ausgaben an (solche die entweder noch gar nicht oder nicht in der Höhe getätigt worden sind). Es wird als zumutbar angesehen, dass ein Selbständiger, der eine steuerfinanzierte Fürsorgeleistung in Anspruch nehmen will, sowohl eine steuerliche Einnahmen- und Ausgabenliste als auch eine Liste über die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben führt.5 3. Hinweise der Agentur für Arbeit Die Agentur für Arbeit hat Fachliche Hinweise zur Auslegung der §§ 11, 11a und 11b SGB II veröffentlicht (Stand 20.09.2012). Unter Nr. 3 der Hinweise (Anmerkung 11.24 bis 11.48) wird das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb sowie Land- und Forstwirtschaft in den Unterpunkten 3.1 Allgemeines, 3.2 Berechnung des Einkommens, 3.3 Jährliche Berechnung des Einkommens und 3.4 Verfahren behandelt. Die Berechnung erfolgt in mehreren Schritten:6 Ermittlung der im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließenden Betriebseinnahmen Ermittlung der im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Betriebsausgaben (eventuell mit Korrektur gem. § 3 Abs. 3 Alg II-VO Verteilung des Einkommens auf die Monate des Bewilligungszeitraums Bereinigung des monatlichen Einkommens gem. § 11 Abs. 2 SGB II; die notwendigen Betriebsausgaben werden dabei nicht noch einmal berücksichtigt II. Zu berücksichtigender Zeitraum Die Tatsache, dass ein Verteilungszeitraum bestimmt wird, ist für alle Beteiligten von Vorteil. Durch dessen Bestimmung kommt „Ruhe“ in die Abwicklung, indem ein bestimmtes Einkommen (ggf. durch Schätzung) zugrunde gelegt wird. Nach Ablauf des Verteilungszeitraums können die Leistungen abgewickelt werden, d.h. es erfolgt eine Rückzahlung oder eine Nachzahlung. Diese Regelung hat praktische Vorteile gegenüber einer monatsweisen Abrechnung. Sie führt in der Praxis dazu, dass in jedem Monat neue Bescheide erstellt werden. Dabei kann der Überblick verloren gehen (schwankende Einkünfte nicht selbständig tätiger Leistungsberechtigter). 5 Vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 23 m.w.N. BT-Drucks. 16/12021 S. 1, 4, 6 – juris 6 Vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER. 5 1. Regel: Sechs-Monats-Zeitraum Das Einkommen wird auf die Monate des Bewilligungszeitraums verteilt.7 Gem. § 3 Abs. 4 Alg II-VO ist für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt.8 Der Bewilligungszeitraum ergibt sich aus § 3 Abs. 1 S. 1 Alg IIVO 2008 und § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II.9 Nach Nr. 11.24 der Fachlichen Hinweise wird für die Einkommensermittlung der Bewilligungszeitraum von „in der Regel sechs Monaten“ auch für die Berechnung des Einkommens zugrunde gelegt. Ein zeitliches Auseinanderfallen von Investitionen und zugehörigen Einnahmen gibt es bei jeder selbständigen Tätigkeit und rechtfertigt für sich genommen den Übergang zur jährlichen Berechnung nicht.10 § 3 Abs. 4 Alg II-VO ist vor dem Hintergrund des § 41 Abs. 1 S. 4, 5 Alg II-VO so zu verstehen, dass die Verteilung des Einkommens in dem Zeitraum stattfindet, für den der Leistungsträger entschieden hat (akzessorische Bindung). 2. Ausnahme I: Berechnung über einen längeren Zeitraum als sechs Monate a) Möglichkeit der abweichenden Festlegung Da die Leistungen nach dem SGB II für einen Leistungszeitraum von sechs Monaten erbracht werden „sollen“, ist die abweichende Festlegung des Bewilligungszeitraums grundsätzlich statthaft. Gem. § 41 Abs. 1 S. 5 SGB II kann der Bewilligungszeitraum auf bis zu zwölf Monate verlängert werden, wenn eine Änderung der Verhältnisse in diesem Zeitraum nicht zu erwarten ist. Abweichend von § 3 Abs. 4 Alg II-VO sieht § 3 Abs. 5 Alg II-VO eine jährliche Berechnung des Einkommens vor. Im Zusammenhang mit der Regelung des § 3 Abs. 4 Alg II-VO kann § 3 Abs. 5 Alg II-VO nur so verstanden werden, dass diese Berechnung unter den besonderen Voraussetzungen dieser Norm eine jährliche Berechnung abweichend von dem im Leistungsbescheid festgelegten Bewilligungszeitraum erlaubt. Dies ist allerdings nur statthaft, wenn diese Berechnung „auf Grund der Art der Erwerbsfähigkeit“ angezeigt ist. b) Folge einer abweichenden Regelung Regelfall einer Berechnung nach § 3 Abs. 5 Alg II-VO sollen Saisonbetriebe mit jahresbezogen stark schwankenden Einnahmen sein. In diesem Fall soll das Einkommen nach dem Jahresdurchschnitt berechnet werden, damit eine Leistungsoptimierung durch gezielte Antragstellung nach der Saison vermieden wird.11 Hohe, bedarfsüberdeckende Gewinne könnten ansonsten über eine Abmeldung aus dem Leistungsbezug bei 7 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.05.2012 – L 18 AS 813/12 B PKH Rdn. 2 – juris. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2011 – L 19 AS 1304/11 B Rdn. 7 – juris. 9 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 33 – juris. 10 So LSG Bayern, Urteil vom 21.03.2012 – L 16 AS 789/10 Rdn. 52 – juris. 11 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 24 – juris 8 6 Wiedereintritt in den Leistungsbezug, typischerweise beim Ende von Saisonbeschäftigungen, nur als Vermögen berücksichtigt werden.12 Beispiel: A hat einen Eissalon, den er von Mai bis Oktober geöffnet hat. Von November bis April ist der Eissalon geschlossen. Er erzielt einen Gewinn von monatlich 2.000,00 € für sechs Monate, in den anderen sechs Monaten erzielt er kein Einkommen. Sein Bedarf beläuft sich auf 382,00 € (Regelleistungen) und 350,00 € (Kosten für Unterkunft und Heizung). Würde er Leistungen nur für die Zeit von November bis April beziehen, ergäbe sich die folgende Rechnung: Regelleistung 382,00 € Unterkunftskosten 350,00 € Summe 732,00 € x 6 = 4.392,00 € Bei Abrechnung für die Zeit von Januar bis Dezember ergäbe sich die folgende Rechnung: Regelleistung 382,00 € Unterkunftskosten 350,00 € Einkommen 6 x 2.000,00 € 12.000,00 € : 12 1.000,00 € Freibetrag I 100,00 € Freibetrag II 180,00 € 720,00 € 12,00 € x 12 = 144,00 € Das Abstellen auf den Jahreszeitraum kann also für den selbständigen Erwerbstätigen finanziell nachteilig sein. c) Voraussetzung der jahresweisen Berechnung Gem. Nr. 11.40 der Fachlichen Hinweise fallen unter den Begriff der Betriebe, deren Eigenart eine jahresbezogene Betrachtung des Einkommens erfordert, solche Betriebe mit üblicherweise im Laufe des Jahres stark schwankenden Einnahmen wie z.B. Typische Saisonbetriebe Strandkorbvermietung Eisdielen Skilifte Kioske an Sommer- und Winterausflugsziele Nicht üblicherweise saisonabhängige Tätigkeiten, wenn typischerweise unregelmäßig Einnahmen in einer Höhe erzielt wird, dass es für mehrere Monate bedarfsdeckend wäre, z.B. Künstler mit unregelmäßigem Verkauf von Kunstwerken Nach Ansicht des LSG Rheinland-Pfalz ist diese Regelung nicht auf Saisonbetriebe beschränkt. Vielmehr gilt sie auch, wenn „nach der Eigenart des Betriebes eine jahresbezogene Betrachtung erforderlich ist“.13 Eine solche Eigenart des Betriebs liegt vor, 12 13 LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.05.2012 – L 18 AS 813/12 B PKH Rdn. 2 – juris. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 24 – juris 7 wenn er nur über unregelmäßige Einnahmen in wenigen Monaten innerhalb eines Jahres (konkret: in drei bis vier Monaten) verfügt.14 d) Sonderregelung: Einbeziehung des Einkommens der letzten sechs Monate vor wiederholter Antragstellung Gem. Nr. 11.41 der Fachlichen Hinweise bzw. § 3 Abs. 5 S. 1 Alg II-VO soll in die Berechnung des Einkommens auch Einkommen einbezogen werden, das die leistungsberechtigte Person innerhalb von sechs Monaten vor wiederholter Antragstellung erzielt hat, sie sie vorher darauf hingewiesen worden ist. Erforderlich ist gem. Nr. 11.42 der Fachlichen Hinweise ein schriftlicher Hinweis, in dem darauf hingewiesen wird, dass bei folgenden Anträgen auch Einkommen im Zeitraum vor Antragstellung begründet werden kann und in der die Person aufgefordert wird, in Zeiten mit hohen Einnahmen Rücklagen zu bilden, in denen sie typischerweise mit geringeren Einnahmen zu rechnen hat. Zudem muss das Einkommen den Bedarf nach dem SGB II überstiegen haben, Nr. 11.43 der Fachlichen Hinweise. Es wird das folgende Beispiel (Nr. 11.42 der Fachlichen Hinweise) genannt: Der Besitzer einer Eisdiele hat für die Zeit vom 01.11.2010 bis zum 30.04.2011 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 650,00 €/M. erhalten. Für die Zeit vom 01.05.2011 bis zum 31.10.2011 arbeitet er ohne Leistungen nach dem SGB II und erzielt ein durchschnittliches Einkommen von 2.000,00 €/M. Er schließt seinen Betrieb zum 01.11.2011 und beantragt Leistungen. Lösung I: Wird nur das aktuelle Einkommen in Höhe von 0,00 € berücksichtigt, steht dem Besitzer einer Eisdiele ein Betrag in Höhe von monatlich 650,00 € zu. Lösung II (Fachliche Hinweise): Wird das Einkommen von Mai 2011 bis Oktober 2011 berücksichtigt, ergibt sich ein durchschnittliches Einkommen in Höhe von 2.000,00 €. Der Leistungsanspruch ist abzulehnen. Lösung III: Wird das Einkommen von Mai 2011 bis April 2012 berücksichtigt, ergibt sich ein durchschnittliches Einkommen in Höhe von 1.000,00 € (2.000,00 € x 6 = 12.000,00 € + 0,00 € x 6 = 0,00 €, insgesamt 12.000,00 € : 12). Damit besteht zwar auch kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II, die Grenze ist aber näher als bei Lösung II. Dagegen Beispiele Nr. 11.43 der Fachlichen Hinweise: Das aus dem Einkommensüberhang der vergangenen sechs Monate ermittelte Einkommen ist in die Berechnung der Frei- und Absetzbeträge nach § 11b SGB II einzubeziehen. Bei der Ermittlung des monatlich zu berücksichtigenden und zu bereinigenden Einkommens ist von der Summe aus Einkommensüberhang und Gewinn im Bewilligungszeitraum auszugehen. Der Antragsteller hat in der Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2011 ein bereinigtes Einkommen in Höhe von monatlich 800,00 € erzielt. Sein Bedarf beläuft sich auf 650,00 € monatlich. Er ist vorher belehrt 14 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 25 – juris 8 worden. Zum 01.07.2011 stellt er einen Antrag auf Leistungen für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 31.12.2011. Sein Einkommen beläuft sich voraussichtlich auf 200,00 €. Lösung I (Fachliche Hinweise): Das berücksichtigungsfähige Einkommen aus dem Zeitraum 01.01.2011 bis zum 30.06.2011 beläuft sich auf durchschnittlich 150,00 € monatlich (800,00 € 650,00 €). Das Einkommen für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 31.12.2011 beläuft sich auf durchschnittlich 200,00 € monatlich. Insgesamt sind 350,00 € (150,00 € + 200,00 €) zu berücksichtigen. Bei einem Bedarf von 650,00 € ergibt sich ein Leistungsanspruch in Höhe von 300,00 €. Lösung II: Das Einkommen beläuft sich auf insgesamt 6.000,00 € (800,00 € x 6 = 4.800,00 €, 200,00 € x 6 = 1.200,00 €), durchschnittlich (: 12) 500,00 €. Bei einem Bedarf von 650,00 € ergäbe sich ein Leistungsanspruch in Höhe von 150,00 €. Diese Regelung gilt aber gem. Nr. 11.42 der Fachlichen Hinweise nicht bei erstmaliger Antragstellung, weil die leistungsberechtigte Person nicht wissen konnte, dass sie Rücklagen für einen Folgezeitraum bilden musste. Bei wiederholter Antragstellung kann die zusätzliche Berücksichtigung des Einkommens unterbleiben, wenn dies zwingend erforderlich ist, um den Lebensunterhalt im kommenden Bewilligungszeitraum sicherzustellen, z.B. wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte aus verständlichen Gründen trotz Belehrung keine Rücklagen gebildet hat (Nr. 11.44 der Fachlichen Hinweise). 3. Ausnahme II: Berechnung über einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate Wird die selbständige Tätigkeit nur in einem Teil des Bewilligungszeitraums ausgeübt, wird das Einkommen aus dieser Tätigkeit gem. Nr. 11.26 der Fachlichen Hinweise nur für diesen Zeitraum berechnet und berücksichtigt. Dies ist der Fall, wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte seine selbständige Erwerbstätigkeit im Laufe des Bewilligungszeitraums beginnt oder beendet. Gem. Nr. 11.38 der Fachlichen Hinweise wird dann das Einkommen auf die Monate angerechnet, in denen die leistungsberechtigte Person selbständig gearbeitet hat. Bei Beginn der Tätigkeit im Laufe eines Monats wird gem. Nr. 11.37 der Fachlichen Hinweise der volle Monat berücksichtigt, wenn in ihm Betriebseinnahmen oder –ausgaben angefallen sind. Da mit der Aufgabe der Tätigkeit höhere Leistungen erzielt werden können, besteht eine gewisse Manipulationsgefahr: Beispiel: A erzielt drei Monate hintereinander Gewinne aus seiner selbständigen Tätigkeit (1. Monat 1.500,00 €, 2. Monat 2.000,00 €, 3. Monat 1.000,00 €). Da alle Aufträge abgearbeitet sind, entschließt er sich, sein Gewerbe bei dem Leistungsträger abzumelden. Tatsächlich bemüht er sich weiter um Aufträge. 9 Sein Bedarf beläuft sich auf 382,00 € (Regelleistungen) und 350,00 € (Kosten für Unterkunft und Heizung). Würde er Leistungen nur für die Zeit von drei Monaten beziehen, ergäbe sich die folgende Rechnung: Regelleistung 382,00 € Unterkunftskosten 350,00 € Einkommen 4.500,00 € : 3 = 1.500,00 € Freibetrag I 100,00 € Freibetrag II (100,00 € - 900,00 €) 180,00 € Freibetrag III (900,00 € - 1.200,00 €) 30,00 € 1.190,00 € 0,00 € In den übrigen Monaten erhielte er jeweils 732,00 € (382,00 € + 350,00 €), für neun Monate also 6.588,00 € Bei der Abrechnung für sechs Monate ergäbe sich die folgende Rechnung: Regelleistung 382,00 € Unterkunftskosten 350,00 € Einkommen 4.500,00 € : 6 = 750,00 € Freibetrag I 100,00 € Freibetrag II 130,00 € 520,00 € 212,00 € x 6 = 1.272,00 € In den anderen sechs Monaten erhielte er jeweils 720,00 € x 6 = 4.320,00 €; zuzüglich 1.272,00 € ergäbe dies eine Jahreszahlung in Höhe von 5.592,00 €. Daher ist jede Betriebsaufgabe kritisch darauf zu überprüfen, ob sie wirklich endgültig ist. III. Ermittlung des Einkommens Der Antragsteller hat die Daten so aufzulisten, dass eine Gewinn- und Verlustrechnung nachvollziehbar werden lässt. Eine Vorlage von nicht nach Einnahme- und Ausgabegruppen geordneten Belegen reicht hierzu nicht aus.15 Die Einnahmen und Ausgaben müssen vollständig und nachvollziehbar sein, damit sie (zunächst) einer Plausibilitätsprüfung standhalten.16 Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann auch ohne eine solche Aufstellung zu Gunsten des Antragstellers entschieden werden, wenn ein Bedarf nur glaubhaft gemacht ist.17 1. Begriff des Einkommens Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Alg II-VO wird der Begriff des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft dahin definiert, dass von den Betriebseinnahmen auszugehen ist. Betriebseinnahmen sind gem. § 3 Abs. 1 S. 2 Alg II-VO alle aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen. Gem. Nr. 11.25 der Fachlichen Hinweise finden steuerrechtliche Regelungen keine Anwendung mehr. 15 LSG Hessen, Beschluss vom 27.06.2011 – L 7 AS 262/10 B ER Rdn. 31 – juris LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 46 – juris 17 Vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 25.08.2008 – L 11 B 560/08 AS ER Rdn. 7 – juris. 16 10 a) Einkommen bei gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen Besonderheiten des Einkommens gelten bei dem Einkommen einer Gesellschaft. Hier neigt die Rechtsprechung dazu, die gesellschaftsrechtliche Konstruktion unbeachtet zu lassen und das Einkommen der Gesellschaft direkt dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zuzuordnen. So gilt das Einkommen einer Kommanditgesellschaft als Einkommen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn er – etwa als alleiniger GesellschafterGeschäftsführer – gesellschaftsrechtlich unabhängig vom Willen des anderer über Entnahmen entscheiden kann.18 Wird bei einer GmbH die Gewinnausschüttung ausgeschlossen, kann dieser Beschluss sittenwidrig und damit unbeachtlich sein, wenn er darauf abzielt, trotz eigener Erwerbsquellen zu Ansprüchen auf Sozialhilfe zu gelangen.19 b) Einkommensneutrale Einnahmen Einkommensneutrale Rechtsgeschäfte stellen kein Einkommen im Sinne des § 3 Abs. 1 Alg II-VO dar, so z.B. ein Darlehen.20 Dies bedeutet umgekehrt, dass Rückzahlungen auch nicht als Ausgaben zu werten sind. 2. Einkommen „aus“ selbständiger Tätigkeit Die selbständige Tätigkeit muss nach Inhalt und Umfang beschrieben werden. Erst wenn eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, kann eine Prüfung der Einkommensverhältnisse erfolgen.21 Gem. § 3 Abs. 1 S. 2 Alg II-VO ist nur das als Einkommen zu berechnen, was „aus“ der selbständigen Tätigkeit resultiert. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Einkommen in einem objektiven wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit dem Betrieb steht22 bzw. wenn es durch die selbständige Tätigkeit veranlasst ist.23 Ein subjektiver Verwendungszweck, der nach Belieben des Darlehensnehmers vorgegeben und geändert werden kann, ist nicht geeignet, eine verbindliche Zuordnung zu der selbständigen Tätigkeit herzustellen.24 In diesem Sinne zählen nicht als Einkommen „aus“ selbständiger Tätigkeit Einnahmen aus einem „privaten Darlehensvertrag“25 18 LSG Bayern, Urteil vom 21.03.2012 – L 16 AS 789/10 Rdn. 49 – juris. SG Leipzig, Beschluss vom 16.02.2011 – S 15 AS 4182/10 ER Rdn. 25 – juris. 20 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 41 – juris; dagegen LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.11.2010 – L 19 AS 1754/10 B ER Rdn. 13 – juris; Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 11 Rdn. 52. 21 Vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 41 – juris 22 BFH, Urteil vom 22.07.1988 – III R 175/85. 23 Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52. 24 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 36 – juris. 25 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 39 – juris. 19 11 Einnahmen aus einem Gründungszuschuss (§ 57 SGB III)26 Anrechnungsfreies Einkommen, das der Selbständige für seine Tätigkeit einsetzt (Privateinlage)27 3. Beispiele für Einkommen Einkommen der Tagesmütter gem. § 23 SGB VIII ist gem. Nr. 11.27a der Fachlichen Hinweise seit dem 01.01.2012 als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit zu berücksichtigen. Erlöse aus dem Verkauf des Betriebsvermögens zählen zu den Betriebseinnahmen28 Der Privatanteil der Nutzung eines dem Betriebsvermögen zugeordneten PKW ist dem Einkommen zuzurechnen; die Höhe des Einkommens ist zu schätzen, wenn sie nicht konkret zu ermitteln sind.29 Dagegen kann in Restaurantbetrieben nicht ohne weiteres eine Pauschale für Eigenverbrauch als Einkommen zugerechnet werden. Die Berücksichtigung der Tabelle des Bundesministeriums für Finanzen widerspricht dem Grundsatz, dass nur tatsächliche Einnahmen anzusetzen sind.30 Dagegen hält das LSG Sachsen-Anhalt die Anwendung der Tabelle für statthaft (Lebens- und Genussmittel aus einem Bistro).31 Umstritten ist, ob Zahlungen aus dem Verkauf eines zum Betriebsvermögen gehörenden Kfz als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 2 SGB II oder als Einkommen in sonstigen Fällen gem. § 4 Abs. Alg II.VO gilt.32 Investitionen aus nicht privilegiertem Einkommen bzw. Vermögen33 4. Höhe des Einkommens Vom Einkommen sind gem. Nr. 11.29 der Fachlichen Hinweise zunächst die Absetzbeträge gem. § 11b SGB II nicht abzuziehen, da sie erst bei der Bereinigung des Einkommens abgezogen werden. Das voraussichtliche Einkommen ist bei der laufenden, regelmäßig vorläufigen, Bewilligung zu schätzen. Die Prognose bzw. Schätzung ist eine dem Hilfebedürftigen zumutbare 26 SG Duisburg, Beschluss vom 12.02.2008 – S 10 AS 121/07 ER Rdn. 28 – juris. Vgl. auch LSG Bayern, Beschluss vom 22.02.2011 – L 7 AS 86/11 B ER Rdn. 15 – juris. 27 Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52. 28 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 m.w.N. – juris. 29 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2011 – L 19 AS 1111/11 B ER Rdn. 23 m.w.N. (BFH, Beschluss vom 18.02.2008 – XI B 185/07) – juris. 30 SG Berlin, Beschluss vom 25.01.2011 – S 201 AS 328/11 ER Rdn. 9 – juris; Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52 unter Verweis auf LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08.11.2010 – L 5 AS 200/10 B ER. 31 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 68 – juris. 32 Für sonstiges Einkommen i.S. des § 4 Alg II-VO Geiger, ZFSH/SGB 2009, 9; offengelassen von LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris; Beschluss vom 07.07.2010 – L 19 AS 582/10 B Rdn. 4 – juris. 33 Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52. 12 Mitwirkungshandlung.34 Der Antragsteller hat die Angaben über das voraussichtliche Einkommen gem. Nr. 11.45 der Fachlichen Hinweise so weit wie möglich zu plausibilisieren, wozu die folgenden Unterlagen herangezogen werden können: Berechnung des Einkommens für den vorangegangenen Bewilligungszeitraum Nachweise über Einnahmen und Ausgaben der vorangegangenen sechs Monate Einnahme-Überschuss-Rechnung für das vorangegangene Kalenderjahr Aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertungen Die Mitwirkung besteht vor allem in der Ausfüllung der Anlage EKS (tabellarische Angaben zu geschützten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach unterschiedlichen Kostenpositionen)35 (vgl. auch Nr. 11.45 der Fachlichen Hinweise) bei der Ermittlung und Bewertung von Einkünften;36 eine entsprechende Mitwirkungspflicht bei der Ausfüllung der Vordrucke ergibt sich aus § 60 Abs. 2 SGB I. Die Verwaltung hat die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten und erkennbaren Umstände fehlerfrei zu ermitteln.37 Im gerichtlichen Verfahren ist nur noch zu prüfen, ob die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten und erkennbaren Umstände und die Angaben des Antragstellers im Leistungsantrags berücksichtigt worden sind. Im Klageverfahren vorgebrachte Umstände sind dagegen nicht zu berücksichtigen.38 Eine endgültige Bewilligung unter Abschlag von der Leistungshöhe aufgrund einer prospektiven Schätzung von Einkommen ohne rechtliche Befugnis ist rechtswidrig.39 Auch die Schätzung ist rechtlich gebunden. Eine Hinzuschätzung von Betriebsmitteln zur Eigennutzung gem. § 162 AO soll nur statthaft sein, als eine Mitwirkung zum genauen Hinweis nicht geleistet wird.40 Unzulässig ist z.B. die Schätzung des Einkommens aus einem Nagelstudio, abgeleitet aus den Kosten für die Anschaffung von Feilen und Nagellack, da sich aus der Art und Menge der Warenbestellungen jedenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen Rückschlüsse auf deren Verbrauch und damit auf die Einnahmen ziehen lassen.41 Wird in einer GmbH eine Gewinnausschüttung untersagt, soll dies sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sein und gegen den Selbsthilfegrundsatz gem. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II verstoßen.42 34 LSG Sachsen, Urteil vom 07.07.2011 – L 3 AS 638/10 Ls – juris. Unter Verweis auf LSG Bayern, Urteil vom 30.07.2010 – L 7 AS 12/10 Rdn. 17 – juris: § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I. Ebenso SG Lüneburg, Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris. 35 LSG Bayern, Urteil vom 30.07.2010 – L 7 AS 12/10 Rdn. 17 – juris 36 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 21 – juris 37 BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R Rdn. 42 m.w.N. – juris 38 BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R Rdn. 41 m.w.N. – juris 39 BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R Rdn. 16 – juris unter Verweis auf BSG, Urteil vom 02.06.2004 – B 7 AL 58/03 R Rdn. 15 – juris, BSGE 93, 51. 40 Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52. 41 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08.11.2010 – L 5 AS 200/10 B ER Rdn. 31 – juris. 42 SG Leipzig, Beschluss vom 16.02.2011 – S 15 AS 4182/10 ER Rdn. 25 f. – juris 13 IV. Ermittlung der Abzüge Die Abzüge sind individuell und individuell gewichtet zu ermitteln (Notwendigkeit). Dies erfordert komplizierte Überlegungen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob nicht die frühere Regelung in § 3 Nr. 3 b Alg II-VO i.d.F. vom 20.10.2004 lebensnäher war, wonach bei Einkommen aus selbständiger Erwebstätigkeit die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen Betriebsausgaben in Höhe von 30 % der Betriebseinnahmen abzusetzen waren, soweit der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht höhere notwendige Ausgaben nachwies.43 Missverständlich ist die Auffassung,44 in einer GbR stünde einem Antragsteller zwar ein prozentualer Anteil (hier: ein Drittel) der Einnahmen zu, er müsse sich aber nicht zu einem Drittel auch am Verlust der GbR beteiligen, weil die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten bei der Ermittlung des Einkommens weder in § 11 Abs. 2 SGB II noch in der Alg II-VO vorgesehen sei. Es sollte zunächst klar sein, welche Einkünfte vorliegen. Sie sind nach den vertraglichen Vereinbarungen zu ermitteln. Die selben vertraglichen Vereinbarungen sind aber bei der Ermittlung der Abzüge zu berücksichtigen. Sie können nicht als Schulden gelten. Allenfalls könnte man die Ausgaben gem. § 3 Abs. 3 Alg II-VO auf einen „angemessenen“ Teil reduzieren. Das Argument, die GbR erziele finanzielle Vorteile, weil der Leistungsträger Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung übernehme, so dass die GbR sie nicht übernehmen müsse,45 ist falsch. Denn solche Ausgaben gehören in der Regel zu den Privatausgaben jedes Gesellschafters. Eine Klage, die darauf gerichtet ist, bestimmte Betriebsausgaben als berücksichtigungsfähig festzustellen, ist als sog. Elementfeststellungsklage unzulässig.46 Vielmehr ist der gesamte Anspruch zu prüfen. 1. Einkommensneutrale Abzüge Rückzahlungen auf ein Darlehen sind als Kehrseite eines einkommensneutralen Rechtsgeschäfts nicht als Betriebsausgabe in Ansatz zu bringen.47 Gem. § 3 Abs. 3 S. 4 Alg II-VO sind Ausgaben nicht abzusetzen, soweit der Leistungsträger für sie Darlehen oder Zuschüsse nach dem SGB II erbracht hat oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu deren Finanzierung betriebliche Darlehen aufgenommen hat. Gem. § 3 Abs. 3 S. 5 Alg II-VO gilt dies auch für Ausgaben, soweit zu deren Finanzierung andere Darlehen verwandt wurden. Sinn dieser Regelung ist, dass schon der Zufluss nicht als Einnahme berücksichtigt wird; in diesem Fall soll auch die Ausgabe nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden. 43 Vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 44/07 R Rdn.15 – juris. LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 42 – juris unter Verweis auf BSG, Urteil vom 19.09.2008 – B 14/7b AS 10/07 R Rdn. 25 – juris. 45 LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 43 – juris. 46 LSG Bayern, Beschluss vom 07.12.2009 – L 11 AS 689/09 B ER Rdn. 16 – juris 47 LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 42 – juris. 44 14 a) Leistungen nach dem SGB II Mit Leistungen nach dem SGB II sind gem. Nr. 11.34 der Fachlichen Hinweise Darlehen oder Zuschüsse nach § 16c SGB II gemeint. b) Betriebliche Darlehen Gem. Nr. 11.30a der Fachlichen Hinweise sind betriebliche Darlehen neutral zu behandeln. Sie werden gem. § 11 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht als Betriebseinnahme angesetzt. Umgekehrt werden die mit dem Darlehen getätigten allgemeinen Betriebsausgaben oder Investitionen bis zur Höhe des gewährten Darlehens gem. § 3 Abs. 3 S. 4 Alg II-VO nicht als Betriebsausgabe anzuerkennen. Dies gilt gem. Nr. 11.30a der Fachlichen Hinweise auch für die Finanzierung betrieblicher Ausgaben oder Vornahme von Investition mit anderen als betrieblichen Darlehen ohne ausdrückliche Zweckbestimmung. Gem. Nr. 11.30a S. 4 der Fachlichen Hinweise sind dagegen Zins- und Tilgungsbeträge in voller Höhe als Betriebsausgabe anzuerkennen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Ausgaben für die mit dem Darlehen getätigten Anschaffungen wegen fehlender Notwendigkeit nicht anzuerkennen sind. Dazu kann auch die Umsatzsteuer gehören, weil sie an das Finanzamt abzuführen ist. 48 Umsatzsteuer und Vorsteuer ist für Selbständige nur ein Durchlaufposten und daher bei der Ein- und bei der Ausgabenseite abzusetzen.49 2. Nur tatsächlich geleistete Ausgaben Gem. § 3 Abs. 2 Alg II-VO (vgl. auch Nr. 11.30 der Fachlichen Hinweise) sind nur tatsächlich geleistete Ausgaben absetzbar. Deshalb dürfen Rückstellungen für künftige Ausgaben – z.B. für Umsatzsteuerzahlungen – nicht angerechnet werden.50 Damit sind steuerrechtliche (rein rechnerische) Abzüge wie Abschreibungen oder Forderungsausfälle von Kunden nicht abzugsfähig, allerdings steuerrechtlich relevante Betriebseinnahmen wie der Erlass einer Verbindlichkeit (Sanierungsgewinn) ebensowenig.51 48 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 67 – juris berücksichtigt die Einkünfte ohne Umsatzsteuer. 49 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 70 – juris. Dagegen offenbar SG Lüneburg, Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris, dass die Vorsteuer wohl als Ausgabe anerkennen will, wobei es prüft, ob eine Vorsteuer aufgrund der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG vermeidbar ist. Vgl. auch Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52. Zum Fall der Umsatzsteuererstattung aus höheren Startinvestitionen und der Problematik des verkürzten Berechungszeitraums Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52. 50 51 LSG Bayern, Urteil vom 21.03.2012 – L 16 AS 789/10 Rdn. 51 – juris Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 53 m.w.N. 15 3. Nur notwendige Ausgaben Gem. § 3 Abs. 2 Alg II-VO sind nur notwendige Ausgaben zu berücksichtigen. So können Ausgaben für drei Räume auf Ausgaben für einen Raum gekürzt werden, wenn sie nicht notwendig sind.52 Es könnte aber auch eine Kürzung gem. § 3 Abs. 3 Alg II-VO vorgenommen werden. 4. Art der Ausgaben (§ 3 Abs. 2 S. 1 Alg II-VO) Gem. § 3 Abs. 2 S. 1 Alg II-VO sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Dies bedeutet, dass die notwendigen Ausgaben und die abzusetzenden Beträge gem. § 11b SGB II getrennt zu ermitteln sind. a) Notwendige Ausgaben Eine Systematisierung der notwendigen Ausgaben ist angesichts der Fülle der unterschiedlichen selbständigen Tätigkeiten nur schwer möglich. Daher sollen nur einige Ausgaben genannt werden, die gerichtlich anerkannt wurden: Kosten für Wareneinkauf53 Betriebsbedingte Versicherungen54 Betriebliche Steuern,55 u.U. auch Vorsteuer (wenn die Umsatzsteuer als Einnahme behandelt wird)56 Fortbildungskosten57 Werbe- und Reisekosten58 Rechts- und Beratungskosten59, insbesondere Steuerberatungskosten60 Bürobedarf61 Telefonkosten62 Miete für Gewerberäume63 Aufwendungen für Tierfutter bei Betrieb einer Tierzucht64 52 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 23 – juris LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris. 54 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris. 55 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris. 56 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris. 57 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris. 58 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris. 59 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris. 60 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris. 61 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris. 62 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris. 63 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris. 64 SG Gießen, Beschluss vom 20.03.2009 – L 29 AS 3/09 B ER Rdn. 46 – juris. 53 16 b) Einzelfälle aa) Verpflegungsmehraufwendungen Kosten für Verpflegungsmehraufwendungen sind nur als Pauschale zu berücksichtigen und daher nicht als Ausgaben zu berücksichtigen.65 bb) Kosten für die Krankenversicherung Kosten für Krankenversicherung sind keine Ausgaben, sondern dienen der Absicherung gegen allgemeine Lebensrisiken. Sie sind nur über die private Vorsorge im Rahmen der Absetzung nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 3 SGB II zu berücksichtigen.66 cc) Privatentnahmen Privatentnahmen können dann berücksichtigt werden, wenn sie aus den laufenden Jahreseinnahmen erfolgen. Denn für die Gewinnermittlung des laufenden Jahres kann es keinen Unterschied machen, ob die Einnahmen bis zum Jahresende beim Betriebsvermögen verbleiben und sodann im Rahmen der Steuerfestsetzung als Gewinn berücksichtigt werden oder ob sie zuvor entnommen und über § 4 Abs. 1 EStG dem Gewinn zugerechnet werden müssen. Nur wenn in zurückliegenden Jahren entsprechender Gewinn beim Betrieb verblieben ist und dessen Vermögen bildet, ist die Privatentnahme lediglich Vermögensverzehr und nicht dem Gewinn zuzurechnen.67 dd) Kraftfahrzeuge Bei Kraftfahrzeugen ist eine gemischte Nutzung (gewerblich und privat) die Regel. Gem. Nr. 11.31 und Nr. 11.32 der Fachlichen Hinweise ist zunächst zu entscheiden, ob ein BetriebsKfz oder ein Privat-Kfz vorliegt. Zur Angabe der Kosten ist ein Fahrtenbuch zu führen.68 Als tatsächlich geleistete notwendige Ausgaben für das Kraftfahrzeug gelten – entgegen den Fachlichen Hinweisen Nr. 11.31 S. 4? – nur die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.69 (1) Betriebs-Kfz Ein Kraftfahrzeug gilt als Betriebs-Kfz, wenn es überwiegend betrieblich genutzt wird. Dies ist gem. Nr. 11.31 S. 3 der Fachlichen Hinweise der Fall, wenn der betriebliche Nutzungsanteil 65 LSG Bayern, Beschluss vom 24.10.2011 – L 7 AS 96/11 NZB Rdn. 10. – juris LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2011 – L 19 AS 1111/11 B ER Rdn. 28 - juris unter Verweis auf Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 55. 67 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2011 – L 19 AS 1304/11 B Rdn. 9 – juris unter Verweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2008 – L 19 B 128/07 AS ER und Geiger, ZFSH/SGB 2009, 9. Vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.2008 – L 7 AS 5626/07 ER-B Rdn. 7 – juris. 68 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 25 – juris 69 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.11.2011 – L 5 AS 464/10 Rdn. 16 f. – juris noch zu § 3 Abs. 1 Nr. 3b AlgII-VO a.F. bzw. § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 SGB II. 66 17 bei mindestens 50 % liegt. Bei dieser Berechnung gelten die Fahrten von der Wohnung zur Betriebsstätte und zurück gem. Nr. 11.31 S. 4 der Fachlichen Hinweise als Privatfahrten. Bei einem Betriebs-Kfz sind gem. Nr. 11.31 S. 1 der Fachlichen Hinweise die Kosten für ein Betriebs-Kraftfahrzeug (Versicherung, Steuer, Betriebsstoffe) in tatsächlicher Höhe als Ausgabe abzusetzen. Gem. Nr. 11.31 S. 2 der Fachlichen Hinweise sind die Ausgaben um 0,10 € je gefahrenen Kilometer zu vermindern. (2) Privat-Kfz Gilt ein Kfz als privat, sind gem. Nr. 11.32 der Fachlichen Hinweise für ausschließlich betriebliche Fahrten Kosten in Höhe von 0,10 € für jeden gefahrenen Kilometer abzusetzen. Der erwerbsfähige Leistungsberechtigte kann höhere Kosten nachweisen. Dies könnten sein anteilige Versicherung, anteilige Steuer, anteilige Reparaturen und tatsächlich aufgewandte Kosten für Benzin. 5. Korrektur Die Ausgaben werden nicht notwendigerweise in der angegebenen tatsächlichen Höhe anerkannt, sondern nach unten korrigiert. Der Antragsteller soll gem. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II verpflichtet sein, „die Führung seiner Geschäfte so auszurichten, dass die von ihm ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit ausreichende Erträge sowohl für seinen Geschäftsbetrieb als auch für seinen Lebensunterhalt einbringt.“70 Auch gem. Nr. 11.36 der Fachlichen Hinweise ist es möglich, mit der leistungsberechtigten Person in einer Eingliederungsvereinbarung festzulegen, dass Ausgaben gesenkt oder – wenn sie nicht sofort erforderlich sind – aufgeschoben werden. Wenn sie diese Vorgaben nicht befolgt, sollen die Ausgaben zu vermindern sein, wobei die leistungsberechtigte Person auf diese Möglichkeit hinzuweisen ist. Damit wird die unternehmerische Freiheit des erwerbsfähigen Selbständigen eingeschränkt. Allerdings sind dies Maßstäbe (Anpassung an die Lebensumstände, Vermeiden eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den jeweiligen Erträgen), die ohnehin jeder wirtschaftlich denkende Bürger beachte.71 Damit soll es der grundsätzlich zu respektierenden unternehmerischen Entscheidung des Selbständigen überlassen sein, anhand einer nachvollziehbaren Beurteilung der Geschäftsentwicklung Investitionen zu tätigen. Die Leistungserbringer haben nur ein nachgehendes Prüfungsrecht, ob die Ausgabe im Zeitpunkt des Geldabflusses gerechtfertigt war oder nicht. Anderenfalls würde die nachträgliche Kürzung von tatsächlich erfolgten Ausgaben zur Anrechnung fiktiven Einkommens führen.72 70 LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn. 21 – juris; vgl. auch LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 48 – juris. 71 LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 44 – juris; vgl. auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 80 – juris. 72 Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 57. 18 Jede (auch prognostizierte) Ausgabe ist wenigstens auf Plausibilität zu prüfen, ob sie auch betrieblich notwendig im Sinne des § 3 Abs. 2 Alg II-VO ist.73 Die Korrektur der Ausgaben (nach unten) erfolgt in dreierlei Hinsicht: Die Korrektur erfolgt, wenn Ausgaben ganz oder teilweise vermeidbar waren, § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO Die Korrektur erfolgt, wenn die Ausgaben offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entspricht, § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO Die Korrektur erfolgt, wenn das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht, § 3 Abs. 3 S. 3 Alg II-VO Eine vorherige Klärung der Notwendigkeit der Ausgaben soll nicht statthaft sein. Die Frage der Anschaffung von Gütern für betriebliche Zwecke obliegt allein der Verantwortung des Leistungsempfängers, und der Leistungsträger hat lediglich ein nachgehendes Prüfungsrecht, ob die getätigten Investitionen anzuerkennen sind. Der Antragsteller habe damit das „Privileg aber auch das Risiko der Festlegung“74 a) vermeidbare Ausgaben § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO Die Sozialgerichte haben bisher nicht näher definiert, nach welchen Kriterien Betriebsausgaben ganz oder teilweise vermeidbar sein. Ein großer Teil der Leistungsansprüche wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt. Die Gerichte lehnen in diesen Fällen eine Stellungnahme mit der Begründung ab, eine Klärung müsse im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erfolgen.75 Als Maßstab könnte gelten, was ein wirtschaftlich denkender Bürger in Kauf nehmen würde.76 Zur Frage der Vermeidbarkeit führen die fachlichen Hinweise Nr. 11.33 S. 2, 3 aus: Die leistungsberechtigte Person muss ihre Hilfebedürftigkeit auch durch die Möglichkeit der Kostenvermeidung und –optimierung bei ihrer Tätigkeit vermindern. Damit wird Leistungsmissbrauch vermieden, der entstehen kann, wenn betriebliche Ausgaben für überteuerte oder Luxusartikel ungeprüft als Ausgaben abgesetzt werden. Fraglich ist hierbei, ob die Leistungsträger den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zunächst beraten und ihm Abhilfemöglichkeiten einräumen müssen oder die vermeidbaren Ausgaben sofort auf einen „unvermeidbaren“ Teil reduzieren dürfen. Nach diesseitiger Ansicht muss zunächst eine entsprechende Beratung erfolgen. Bei einem so komplexen Begriff wie der Vermeidbarkeit ist nicht sicher prognostizierbar, wo der Leistungsträger die 73 LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 47 – juris LSG Bayern, Beschluss vom 07.12.2009 – L 11 AS 690/09 B ER Rdn. 19 – juris 75 Vgl. etwa LSG Bayern, Beschluss vom 16.04.2012 – L 11 AS 189/12 B ER Rdn. 18 – juris. 76 SG Lüneburg, Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris. 74 19 Grenze setzt. Daher wäre eine Absetzung bereits tatsächlich erbrachter Zahlungen als „vermeidbar“ überraschend. Dass vorher Hinweise zu erfolgen haben, ergibt sich aus Nr. 11.36 der Fachlichen Hinweise, wonach die Senkung von Ausgaben in einer Eingliederungsvereinbarung beschlossen werden kann und die Kosten bei Nichtbefolgung vermindert werden können. Dieser Differenzierung tragen die Fachlichen Hinweise im Beispiel zu Nr. 11.34 Rechnung, indem sie darauf abstellen, wann Kosten entstanden sind. So soll ein Hochleistungscomputer für einfache Schreibarbeiten nicht notwendig sein. Die Kosten für diesen Computer (Ratenzahlungen) sind aber anzuerkennen, wenn die Anschaffung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem mit dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit nicht zu rechnen war. Die Frage, ob Ausgaben vermeidbar sind, soll eine Rechtsfrage sein, die nicht durch einen Sachverständigen beantwortet werden kann.77 aa) Kfz-Kosten Kfz-Kosten sind u.U. vermeidbar, wenn sie für mehr als ein Kfz anfallen. Es muss auch zwischen Kosten für gewerbliche und private Fahrten unterschieden werden, u.U. auch durch Führung eines Fahrtenbuchs.78 Auch Kosten für ein Leasing-Fahrzeug können vermeidbar sein, wenn sie für ein Bistro mit dem Transport von Waren im Wert von 100,00 € monatlich anfallen.79 Dagegen können sie – als Kosten für einen PKW der gehobenen Preisklasse – z.B. bei Handelsvertretern mit einer beruflich bedingten Vielzahl von Jahreskilometern anzuerkennen sein.80 bb) Gesetzliche soziale Aufwendungen für den Geschäftsführer einer GmbH Vermeidbar sollen gesetzliche soziale Aufwendungen für Geschäftsführer einer GmbH, wenn die Vermutung besteht, dass sie selbständig und geringfügig und damit versicherungsfrei tätig sind.81 cc) Personalkosten Personalkosten können nur dann einkommensmindernd herangezogen werden, wenn sie zwingend notwendig sind oder wenn der Geschäftserlös diese Ausgaben trägt. Im Rahmen einer Wohnungsverwaltung können Kosten für Mitarbeiter abgesetzt werden, die als Hausmeister in den einzelnen Gebäuden tätig sind. Ansonsten ist der Selbständige gehalten, Leistungen möglichst in Person zu erbringen, um eine Verbesserung der betrieblichen Situation zu erreichen.82 77 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 25 – juris LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn.22 – juris 79 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 83 – juris. 80 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 81 – juris. 81 SG Leipzig, Beschluss vom 16.02.2011 – S 15 AS 4182/10 ER Rdn. 30 – juris 82 LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn. 23 – juris 78 20 Kosten für eine Aushilfskraft in einem Blumenladen, die 14 % der Summe der Betriebseinnahmen ausmacht, sind angesichts der Tatsache, dass eine Unterstützung im Betrieb notwendig ist, nicht unvermeidbar.83 dd) „Verlustausgleich“ zwischen zwei selbständigen Tätigkeiten Zu den vermeidbaren Ausgaben sollen auch Verluste aus einer zweiten selbständigen Tätigkeit gehören, wenn aus der ersten Gewinne erwirtschaftet werden. Gem. Nr. 11.34 ist es einer leistungsberechtigten Person zuzumuten, die zweite „unwirtschaftliche“ selbständige Tätigkeit aufzugeben; ein „Verlustausgleich“ aus mehreren selbständigen Tätigkeit soll nicht möglich sein. Dies gilt auch, wenn eine Person der Bedarfsgemeinschaft aus der selbständigen Tätigkeit Gewinne erzielt und die andere Person Verluste.84 Gem. § 5 S. 2 Alg II-VO darf ein Einkommen nicht u Ausgaben einer anderen Einkommensart vermindert werden. Fraglich ist nur, wann wirklich eine „unwirtschaftliche“ Tätigkeit vorliegt. Nahezu bei jeder selbständigen Tätigkeit entstehen anfangs hohe Kosten, die über den Einnahmen liegen. Daher muss eine bestimmte „Vorlaufzeit“ eingeräumt werden. Wenn ein Verlustausgleich nicht möglich wäre, würde u.U. das langfristige Ziel der selbständigen Tätigkeit aus dem Blick verloren, nämlich den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten, § 2 Abs. 1 S. 2 SGB II; auch der Leistungsträger hat seine Leistungen gem. § 1 Abs. 2 S. 4 Nr. 1 SGB II u.a. darauf auszurichten, dass „durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt … wird“. Dieses gesetzgeberische Ziel erfordert auch mittel- bis langfristige Überlegungen, so dass sich kurzfristige „panische“ Entscheidungen verbieten. b) Offensichtliche Abweichung von den Lebensumständen § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO Gefordert ist eine „offensichtliche“ Abweichung von Lebensumständen während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eine entsprechende Vorschrift zur Maßgeblichkeit der Lebensumstände findet sich in § 12 Abs. 3 S. 2 SGB II. Es soll nur ein strenger Maßstab gelten.85 Dagegen spricht aber, dass nur eine „offensichtliche“ Abweichung von den Lebensumständen zur Kürzung berechtigt. Die folgenden Einzelfälle sind bisher behandelt worden: Es entspricht offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II, wenn für den Betrieb eines Schnellrestaurants Personalkosten in Höhe von monatlich etwa 2.000,00 € ohne den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung entstehen, wozu u.a. eine Grafikerin für ein Schnellrestaurant eingestellt worden war.86 83 SG Lüneburg, Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris LSG Sachsen, Urteil vom 24.11.2011 – L 3 AS 190/08 Rdn. 40 – juris. 85 LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn.48 – juris unter Verweis auf Geiger, ZFSH/SGB 2009, 9 (12). 86 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 22 – juris. 84 21 Die Kosten für das Leasen eines PKW der gehobenen Mittelklasse (BMW 525 d) entsprechen offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II, weil Maßstab der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums und Ermöglichung eines bescheidenen finanziellen Auskommens, angelehnt an die untersten Einkommensgruppen ist.87 Ausgaben für Geschenke, Dekoration und Bewirtungskosten können i.d.R. nicht berücksichtigt werden, weil sie allenfalls in besonderen Ausnahmefällen den Lebensverhältnissen während des Leistungsbezugs entsprechen.88 c) Auffälliges Missverhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen § 3 Abs. 3 S. 3 Alg IIVO Ein auffälliges Missverhältnis liegt gem. Nr. 11.35 der Fachlichen Hinweise vor, wenn der Leistungsberechtigte Einnahmen nicht erzielt oder offensichtlich nicht angibt oder zu hohe Ausgaben entstehen, weil die selbständige Person Teile ihres Warenbestandes für sich selbst oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen entnommen hat. Besonders aufmerksam soll dies in der Gastronomie oder im Einzelhandel beobachtet werden. Als Beispiel wird angeführt: Ein Kioskbesitzer erzielt aus dem Verkauf von Zigaretten durchschnittlich monatlich 4.000,00 €. Aus dem Wareneingang ergibt sich aber, dass die Zahl der eingekauften Zigaretten weit über der Zahl der verkauften Zigaretten liegt. Daraus ergibt sich ein Hinweis auf einen hohen Eigenverbrauch. Die Frage, ob Ausgaben in einem auffälligen Missverhältnis zu den jeweiligen Erträgen stehen, ist eine Rechtsfrage, die nicht durch einen Sachverständigen beantwortet werden kann.89 Ein auffälliges Missverhältnis ist bei Kosten für ein Leasing-Fahrzeug in Höhe von 839,62 € monatlich bei durchschnittlichen Einnahmen von 1.851,25 € („annähernd die Hälfte“).90 Eine allgemeine Formel kann daraus nicht hergeleitet werden. V. Absetzungen von dem Gewinn Von dem Gewinn sind die Ausgaben gem. § 11b Abs. 1 SGB II absetzbar. Dazu gehört insbesondere der Erwerbstätigenfreibetrag gem. § 11b Abs. 3 SGB II. 1. Ausgangspunkt Das LSG Nordrhein-Westfalen ermittelt den Erwerbstätigenfreibetrag ausgehend von dem Gewinn.91 Zum gleichen Ergebnis kommt das LSG Bayern, wenn es den Freibetrag vom 87 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 82 – juris. LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn. 24 – juris 89 LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 25 – juris 90 LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 88 – juris. 88 22 Bruttoeinkommen abziehen will und das Bruttoeinkommen als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit abzüglich der notwendigen Ausgaben (§§ 3 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 S. 3 Alg II-VO) definiert.92 Nach Nr. 11.37 der Fachlichen Hinweise wird der Freibetrag von dem „monatlichen Bruttoeinkommen“ ermittelt (wohl Einnahmen abzüglich Ausgaben). Denkbar wäre auch, den Erwerbstätigenfreibetrag von der Summe der Einnahmen vor Abzug der Ausgaben zu ermitteln. Beispiel: A hat einen Umsatz in Höhe von durchschnittlich 2.000,00 € monatlich und einen Gewinn in Höhe von durchschnittlich 1.000,00 € monatlich. Freibetrag I (bei Umsatz 2.000,00 €) Grundfreibetrag 100,00 € Freibetrag 100,00 € - 1.000,00 € (20 %) 180,00 € Freibetrag 1.000,00 € - 1.200,00 € (20 %) 20,00 € Summe Freibetrag 300,00 € Anzurechnendes Einkommen: 1.000,00 € - 300,00 € = 700,00 € Freibetrag II (bei Gewinn 1.000,00 €) Grundfreibetrag 100,00 € Freibetrag 100,00 € - 1.000,00 € (20 %) 180,00 € Summe Freibetrag 280,00 € Anzurechnendes Einkommen: 1.000,00 € - 280,00 € = 720,00 € Dies ist nach dem Wortlaut des § 11b Abs. 3 S. 1 SGB II nicht ausgeschlossen. Dort ist der Erwerbstätigenfreibetrag „von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit“ abzusetzen. Gleichwohl gehen – soweit erkennbar – alle Gerichte bei selbständiger Tätigkeit von dem Gewinn aus,93 ohne die Problematik zu diskutieren. In der Literatur wird dies damit begründet, dass sich das dem Arbeitnehmereinkommen vergleichbare Bruttoeinkommen nach Abzug der Ausgaben von den Betriebseinnahmen ergibt.94 2. Berechnung Die Berechnung erfolgt in der Weise, dass folgende Beträge abgezogen werden:95 Freibeträge gem. § 11b Abs. 3 SGB II Nicht betrieblich bedingte Aufwendungen für die private Vorsorge gem. § 11b Abs. 1 Nr. 3 SGB II Fahrtkosten von der Wohnung zur Arbeitsstätte gem. § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II i.V. mit § 6 Alg II-VO Eventuell Aufwendungen für Unterhalt gem. § 11b Abs. 1 Nr. 7, 8 SGB II 91 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2011 – L 19 AS 1303/11 B Rdn. 8 – juris (ohne Begründung); SG Berlin, Beschluss vom 25.01.2011 – S 201 AS 328/11 ER Rdn. 8 – juris 92 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 32 – juris. So auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.2008 – L 7 AS 5626/07 ER-B Rdn.9 m.w.N. – juris. 93 So auch Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 51: Der Gewinn ist Berechnungsgrundlage für die Freibeträge. 94 Söhngen in: jurisPK-SGB II, 3. Auflage, § 11 Rdn. 50. 95 Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 51. 23 Der Grundfreibetrag in Höhe von 100,00 € gem. § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II ist anstelle der Einzelbeträge gem. § 11b Abs. a S. 1 Nr. 3 bis 5 SGB II96 abzusetzen. Der Grundfreibetrag von 100,00 € ist nicht anzuwenden, wenn die Ausgaben gem. § 11b Abs. 2 S. 2 SGB II höher sind als 100,00 €. In diesem Falle sind aber eine Versicherungspauschale von 30,00 € und der nicht betrieblich anerkannte Teil der KfzHaftpflichtversicherung anzusetzen.97 Gefordert ist hier eine Vergleichsberechnung zwischen beiden Berechnungsmethoden. a) Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen etc. gem. § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II Ausgaben für eine Kapitallebensversicherung können gem. § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3b SGB II vom Einkommen abgesetzt werden, wenn der Antragsteller von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.98 Gleiches dürfte seit dem 01.01.2011 gelten, da jetzt Empfänger von Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gesetzlich rentenversichert sind. b) Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung etc. gem. § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II Im Fall der privaten Krankenversicherung soll lediglich maximal 50 % des Basistarifs in der privaten Krankenversicherung berücksichtigungsfähig sein, nicht dagegen ein höherer Beitrag.99 Der nicht gem. § 26 SGB II bezuschusste Teil des Beitrags zum Versorgungswerk der Architektenkammer ist als Ausgabe gem. § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 b SGB II abzusetzen.100 c) Mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 SGB II Dazu sollen die an das Finanzamt gezahlten Umsatzsteuerbeträge gehören.101 Wenn die als Einkommen anzusehenden monatlichen Betriebseinnahmen mehr als 400,00 € betragen, ist nach § 11 Abs. 2 S. 2, 3 SGB II nicht der Grundfreibetrag von 100,00 € monatlich, sondern der tatsächliche Betrag der Zahlungen anzusetzen.102 96 Vgl. zum alten Recht LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 102 – juris. 97 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 31 – juris. 98 LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 31 – juris. 99 LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2011 – L 19 AS 1111/11 B ER Rdn. 42 – juris. 100 BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 44/07 R Rdn. 12 – juris zu § 11 Abs. 2 Nr. 3 b SGB II a.F. 101 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 27 m.w.N. – juris 102 LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 27 – juris 24 VI. Verwaltungsentscheidungen 1. Bewilligung von Leistungen a) Vorläufige Leistungen Gem. Nr. 11.27 der Fachlichen Hinweise sind Leistungen „in aller Regel“ vorläufig nach § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V. mit § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III zu bewilligen, da das Einkommen jedenfalls zunächst nicht klar ist. Dabei darf mangelnde Amtsermittlung niemals Grund für eine nur vorläufige Leistungsbewilligung sein.103 Kommt es auf eine Schätzung für künftige Zeiträume an und ist zweifelhaft, ob aufgrund des Einkommens Bedürftigkeit besteht, darf nur die vorläufige Leistungserbringung abgelehnt werden, nicht dagegen die endgültige Leistungserbringung.104 b) Endgültige Bewilligung Gem. Nr. 11.35 der Fachlichen Hinweise können nachgewiesene Einnahmen bei der abschließenden Entscheidung angemessen erhöht werden, wenn anzunehmen ist, dass die nachgewiesene Höhe der Einnahmen offensichtlich nicht den tatsächlichen Einnahmen entspricht. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die leistungsberechtigte Person möglicherweise aufgrund der vorläufigen Entscheidung eine beabsichtigte Ausgabe tatsächlich realisiert hat und deshalb in diesem Umfang hilfebedürftig geworden ist. Daher muss bereits bei der vorläufigen Entscheidung darauf geachtet werden, welche Ausgaben im Bewilligungszeitraum beabsichtigt sind. Eine Erhöhung ist nur statthaft, soweit der Selbständige nicht mitwirkt und soweit die Schätzung aufgrund bestimmter Anhaltspunkte und nicht pauschal erfolgt. Nur mit dieser Einschränkung ist § 3 Abs. 3 S. 2 Alg II-VO noch ermächtigungskonform i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II.105 Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ist bei unklarer Höhe des Einkommens aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden.106 Fraglich ist, ob das Einkommen eher niedrig oder eher hoch geschätzt wird: Wird es eher hoch geschätzt, verbleibt dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (zunächst) relativ wenig Geld. Dies kann er u.U. jedenfalls teilweise über die Erwerbstätigenfreibeträge ausgleichen. Wird das Einkommen eher niedrig geschätzt, erhält der erwerbsfähige Leistungsberechtigte (zunächst) relativ viel Geld, das er aber bei endgültiger Berechtigung zurückzahlen muss. Der Leistungsträger ist gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 SGB II befugt, in Höhe von 30 % der Regelleistung aufzurechnen. Dies kann den 103 BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R Rdn. 16 – juris LSG Bayern, Beschluss vom 25.08.2008 – L 11 B 560/08 AS ER Rdn. 7 – juris. 105 Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52. 106 LSG Bayern, Beschluss vom 25.08.2008 – L 11 B 560/08 AS ER Rdn. 7 – juris. 104 25 erwerbsfähigen Leistungsberechtigten stark belasten, so dass das Einkommen eher zu hoch als zu niedrig geschätzt werden sollte. Dies gilt um so mehr, als bei Verfehlung der Prognose im Prognosezeitraum ein neuer (vorläufiger) Bescheid erlassen werden muss. Gem. Nr. 11.46 der Fachlichen Hinweise sollen die endgültigen Leistungen möglichst zügig nach Ablauf des Bewilligungszeitraums ermittelt werden. Dazu hat der Antragsteller erneut den Vordruck EKS auszufüllen und die Angaben für den abgelaufenen Bewilligungszeitraum nachzuweisen. Kommt der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten innerhalb von zwei Monaten nach Ende des Bewilligungszeitraums nicht nach, kann der Leistungsträger das Einkommen gem. § 3 Abs. 6 Alg II-VO bzw. gem. Nr. 11.47 der Fachlichen Hinweise schätzen. Der Antragsteller ist über diese Rechtsfolgen zu belehren und vor einer Schätzung des Einkommens erneut anzuhören. Wird der Schätzungsbescheid bestandskräftig und weist der Antragsteller dann sein Einkommen nach, ist eine Neuberechnung gem. Nr. 11.48 der Fachlichen Hinweise ausgeschlossen. 2. Aufhebung von Leistungen Die Aufhebung von Leistungen unterscheidet sich danach, ob vorläufige Leistungen oder endgültige Leistungen gewährt wurden. a) Vorläufige Leistungen Vorläufige Leistungen können gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V. mit § 328 Abs. 3 SGB III relativ leicht aufgehoben und erstattet werden. § 329 Abs. 3 SGB III ist eine gegenüber § 50 SGB X spezielle Vorschrift. Die Geltendmachung der Erstattung erfolgt ohne Ausübung von Ermessen, ohne dass der erwerbsfähige Leistungsberechtigte Vertrauensschutz geltend machen kann und ohne das § 40 Abs. 4 SGB II angewendet werden kann. Zur Vermeidung von Härten kann allenfalls geprüft werden, ob der Erstattungsanspruch gem. § 44 SGB II erlassen werden kann.107 Der Leistungsträger darf gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 SGB II mit 10 % der Regelleistung gegen den Anspruch des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aufrechnen. b) Endgültige Leistungen Endgültige Leistungen können nur unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X aufgehoben werden; die Erstattungspflicht ergibt sich aus § 50 SGB X. Unabhängig davon, 107 Conradis in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 40 Rdn. 8. 26 ob eine Überzahlung verschuldet war oder nicht, kann auch hier gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 SGB II eine Aufrechnung mit 10 % der Regelleistung erfolgen.108 Gericht BSG LSG Baden-Württemberg LSG Bayern LSG Berlin-Brandenburg LSG Hessen LSG Niedersachsen-Bremen LSG Nordrhein-Westfalen LSG Rheinland-Pfalz LSG Sachsen LSG Sachsen-Anhalt SG Berlin SG Leipzig SG Gießen SG Duisburg 108 Datum 30.07.2008 06.04.2011 21.06.2011 21.06.2011 04.04.2008 25.08.2008 07.12.2009 07.12.2009 11.05.2010 30.07.2010 22.02.2011 24.11.2011 21.03.2012 16.04.2012 16.07.2012 03.05.2012 27.06.2011 14.04.2011 23.04.2012 01.02.2008 10.03.2010 07.07.2010 08.09.2011 08.09.2011 21.09.2011 19.12.2012 14.06.2010 14.06.2010 07.07.2011 24.11.2011 26.06.2009 09.11.2009 08.11.2010 25.01.2011 16.02.2011 20.03.2009 12.02.2008 Aktenzeichen B 14 AS 44/07 R B 4 AS 119/10 R B 4 AS 22/10 R B 4 AS 21/10 R L 7 AS 5626/07ER-B L 11 B 560/08 AS ER L 11 AS 689/09 B ER L 11 AS 690/09 B ER L 7 AS 232/10 B ER L 7 AS 12/10 L 7 AS 86/11 B ER L 7 AS 96/11 NZB L 16 AS 789/10 L 11 AS 189/12 B ER L 11 AS 323/12 B ER L 18 AS 813/12 B PKH L 7 AS 262/10 B ER L 7 AS 426/10 B L 9 AS 757/11 L 19 B 127/07 AS ER L 19 B 303/09 AS L 19 AS 582/10 L 19 AS 1303/11 B L 19 AS 1304/11 B L 19 AS 1111/11 B ER L 6 AS 611/11 L 7 AS 223/09 B ER L 7 AS 163/10 B PKH L 3 AS 638/10 Ls. BSG B 4 AS 42/12 R L 3 AS 190/08 L 5 AS 143/09 B ER L 5 AS 464/10 L 5 AS 200/10 B ER S 201 AS 328/11 ER S 15 AS 4182/10 ER S 29 AS 3/09 ER S 10 AS 121/07 ER Verwendbar Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja ja ja ja nein Ja Ja Ja Ja Noch nicht Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Vgl. Conradis in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 43 Rdn. 12. 27 SG Dresden SG Lüneburg 07.03.2008 26.07.2011 S 5 AS 990/08 ER S 45 AS 282/11 ER Nein Ja 28