Ermittlung des Einkommens Selbständiger im SGB II

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Ermittlung des Einkommens Selbständiger im SGB II
Ermittlung des Einkommens Selbständiger
im SGB II
Veranstaltung am 19.03.2013
Rechtsanwalt Uwe Klerks
Zugleich Fachanwalt für Sozialrecht und Versicherungsrecht
Frankenstraße 251
45134 Essen
Tel.: 0201 – 47 26 70
Fax: 0201 – 43 09 412
Mail: [email protected]
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I. Rechtsgrundlagen
1. Gesetze
2. Die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-VO
3. Hinweise der Agentur für Arbeit
II. Zu berücksichtigender Zeitraum
1. Regel: Sechs-Monats-Zeitraum
2. Ausnahme I: Berechnung über einen längeren Zeitraum als sechs Monate
a) Möglichkeit der abweichenden Festlegung
b) Folge einer abweichenden Regelung
c) Voraussetzung der jahresweisen Berechnung
d) Sonderregelung: Einbeziehung des Einkommens der letzten sechs Monate
vor wiederholter Antragstellung
3. Ausnahme II: Berechnung über einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate
III. Ermittlung des Einkommens
1. Begriff des Einkommens
a) Einkommen bei gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen
b) Einkommensneutrale Einnahmen
2. Einkommen „aus“ selbständiger Tätigkeit
3. Beispiele für Einkommen
4. Höhe des Einkommens
IV. Ermittlung der Abzüge
1. Einkommensneutrale Abzüge
a) Leistungen nach dem SGB II
b) Betriebliche Darlehen
2. Nur tatsächliche Zahlungen
3. Nur notwendige Ausgaben
4. Art der Ausgaben (§ 3 Abs. 2 S. 1 Alg II-VO)
a) Notwendige Ausgaben
b) Einzelfälle
aa) Verpflegungsmehraufwendungen
bb) Kosten für die Krankenversicherung
cc) Privatentnahmen
dd) Kraftfahrzeuge
(1) Betriebs-Kfz
(2) Privat-Kfz
5. Korrektur
a) vermeidbare Ausgaben § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO
aa) Kfz-Kosten
bb) Gesetzliche soziale Aufwendungen für den Geschäftsführer einer GmbH
cc) Personalkosten
dd) „Verlustausgleich“ zwischen zwei selbständigen Tätigkeiten
b) Offensichtliche Abweichung von den Lebensumständen § 3 Abs. 3
S. 1 Alg II-VO
c) Auffälliges Missverhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen
§ 3 Abs. 3 S. 3 Alg II-VO
V. Absetzungen von dem Gewinn
1. Ausgangspunkt
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2. Berechnung
a) Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen
b) Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung
c) Mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben
VI. Verwaltungsentscheidungen
1. Bewilligung von Leistungen
a) Vorläufige Leistungen
b) Endgültige Bewilligung
2. Aufhebung von Leistungen
a) Vorläufige Leistungen
b) Endgültige Leistungen
Anhang: Liste der bearbeiteten Entscheidungen
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Die Ermittlung des Einkommens Selbständiger ist im SGB II ein Fremdkörper. Die
Komplexität der Einkommensermittlung widerspricht den Erfordernissen einer
Massenverwaltung. In der Massenverwaltung kommt es häufiger zu pauschalen
Festlegungen von Leistungen.1 Dagegen kann aber angeführt werden, dass die sorgfältige
Ermittlung des Betrags dem Erfordernis der Bedarfsdeckung entspricht. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz in Form des Individualisierungsgrundsatzes2 ergibt sich aus dem Gebot,
ein menschenwürdiges Leben sicherzustellen. Die Sicherstellungspflicht ist eine
verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen
Existenzminimums.3
Jedoch stehen beide Prinzipien – Bedarfsdeckung mit möglichst individueller Ermittlung –
und Massenverwaltung – möglichst standardisierte Entscheidung – in einem schmerzhaften
Spannungsverhältnis zueinander. Dies kann dazu führen, dass auch berechtigte Leistungen
angesichts der vielen Probleme bei der Einkommensermittlung nicht gewährt werden. Vor
diesem Hintergrund muss dann gefragt werden, ob die Ermittlung wirklich so kompliziert
laufen muss.
I. Rechtsgrundlagen
1. Gesetze
§§ 11 ff. SGB II bestimmen, was als Einkommen zu berücksichtigen ist (§ 11 SGB II) und
was nicht (§ 11a SGB II) sowie was vom Einkommen abgesetzt werden darf (§ 11b SGB II).
2. Die Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-VO
Die Alg II-Verordnung4 ist mit Wirkung zum 01.01.2008 hinsichtlich der Berechnung des
Einkommens aus selbständiger Tätigkeit neu gefasst worden. Maßgeblich ist § 3 Alg II-VO.
Es wird jetzt auf die im Bewilligungszeitraum zugeflossenen Betriebseinnahmen und die
tatsächlichen Betriebsausgaben abgestellt (§ 3 Abs. 4 Alg II-VO). Durch den Zeitraum von in
1
Vgl. BSG, Urteil vom 17.03.2009 – B 14 AS 63/07 R Rdn. 28 – juris: pauschale Bestimmung des
Ausbildungsanteils von BAföG-Leistungen.
2
Vgl. dazu Berlit in: Berlit/Conradis/Sartorius (Hrsg.), Existenzsicherungsrecht, Kapitel 7 Rdn. 25 S.
92 m.w.N.
3
BSG, Urteil vom 27.09.2011 – B 4 AS 202/10 R Rdn. 22 – juris; einschränkend allerdings BSG, Urteil
vom 23.08.2011 – B 14 AS 185/10 R Rdn. 18 – juris: gilt nicht für die Festsetzung der Regelbedarfe.
Nach Meinung des BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 21/10 R Rdn. 28 – juris rechtfertigt sich die
Umstellung der Berechnungsmethoden bei der Ermittlung des Einkommens Selbständiger von einer
steuerrechtlichen Betrachtung zu einer sozialrechtlichen Betrachtung gerade aus dem
Bedarfsdeckungsprinzip. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz setzt sich aus zwei Komponenten
zusammen, nämlich der Ermittlung des Bedarfs und der Deckung des Bedarfs. Im hier
interessierenden Zusammenhang kommt es vor allem auf die Deckung des Bedarfs an, nämlich auf
die Frage, welches Einkommen dem Selbständigen tatsächlich zur Verfügung steht sowie ob und wie
es zur Deckung des Bedarfs eingesetzt werden kann.
4
Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und
Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 17.12.2007 – BGBl. I S. 2942.
4
der Regel sechs Monaten besteht die Möglichkeit, Einnahmen und Ausgaben innerhalb des
Bewilligungszeitraums auszugleichen.
Durch die Orientierung an den tatsächlich zufließenden Einnahmen und tatsächlich
geleisteten Ausgaben (§ 3 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Alg II-VO) wird sichergestellt, dass es nur auf
die tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts vorhandenen Mittel ankommt. Durch die
Abkehr vom Steuerrecht kommt es auf die steuerrechtliche Leistungsfähigkeit nicht mehr an,
weil sie oberhalb des sozio-kulturellen Existenzminimums liegt und nicht den tatsächlichen
Gewinn abbilden muss. Dagegen kommt es nicht mehr auf fiktive Einnahmen und Ausgaben
an (solche die entweder noch gar nicht oder nicht in der Höhe getätigt worden sind). Es wird
als zumutbar angesehen, dass ein Selbständiger, der eine steuerfinanzierte Fürsorgeleistung
in Anspruch nehmen will, sowohl eine steuerliche Einnahmen- und Ausgabenliste als auch
eine Liste über die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben führt.5
3. Hinweise der Agentur für Arbeit
Die Agentur für Arbeit hat Fachliche Hinweise zur Auslegung der §§ 11, 11a und 11b SGB II
veröffentlicht (Stand 20.09.2012). Unter Nr. 3 der Hinweise (Anmerkung 11.24 bis 11.48)
wird das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb sowie Land- und
Forstwirtschaft in den Unterpunkten 3.1 Allgemeines, 3.2 Berechnung des Einkommens, 3.3
Jährliche Berechnung des Einkommens und 3.4 Verfahren behandelt.
Die Berechnung erfolgt in mehreren Schritten:6
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Ermittlung der im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließenden Betriebseinnahmen
Ermittlung der im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen
Betriebsausgaben (eventuell mit Korrektur gem. § 3 Abs. 3 Alg II-VO
Verteilung des Einkommens auf die Monate des Bewilligungszeitraums
Bereinigung des monatlichen Einkommens gem. § 11 Abs. 2 SGB II; die notwendigen
Betriebsausgaben werden dabei nicht noch einmal berücksichtigt
II. Zu berücksichtigender Zeitraum
Die Tatsache, dass ein Verteilungszeitraum bestimmt wird, ist für alle Beteiligten von Vorteil.
Durch dessen Bestimmung kommt „Ruhe“ in die Abwicklung, indem ein bestimmtes
Einkommen (ggf. durch Schätzung) zugrunde gelegt wird. Nach Ablauf des
Verteilungszeitraums können die Leistungen abgewickelt werden, d.h. es erfolgt eine
Rückzahlung oder eine Nachzahlung. Diese Regelung hat praktische Vorteile gegenüber
einer monatsweisen Abrechnung. Sie führt in der Praxis dazu, dass in jedem Monat neue
Bescheide erstellt werden. Dabei kann der Überblick verloren gehen (schwankende
Einkünfte nicht selbständig tätiger Leistungsberechtigter).
5
Vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 23 m.w.N. BT-Drucks.
16/12021 S. 1, 4, 6 – juris
6
Vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER.
5
1. Regel: Sechs-Monats-Zeitraum
Das Einkommen wird auf die Monate des Bewilligungszeitraums verteilt.7 Gem. § 3 Abs. 4
Alg II-VO ist für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der
Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im
Bewilligungszeitraum ergibt.8 Der Bewilligungszeitraum ergibt sich aus § 3 Abs. 1 S. 1 Alg IIVO 2008 und § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II.9 Nach Nr. 11.24 der Fachlichen Hinweise wird für die
Einkommensermittlung der Bewilligungszeitraum von „in der Regel sechs Monaten“ auch für
die Berechnung des Einkommens zugrunde gelegt. Ein zeitliches Auseinanderfallen von
Investitionen und zugehörigen Einnahmen gibt es bei jeder selbständigen Tätigkeit und
rechtfertigt für sich genommen den Übergang zur jährlichen Berechnung nicht.10
§ 3 Abs. 4 Alg II-VO ist vor dem Hintergrund des § 41 Abs. 1 S. 4, 5 Alg II-VO so zu
verstehen, dass die Verteilung des Einkommens in dem Zeitraum stattfindet, für den der
Leistungsträger entschieden hat (akzessorische Bindung).
2. Ausnahme I: Berechnung über einen längeren Zeitraum als sechs Monate
a) Möglichkeit der abweichenden Festlegung
Da die Leistungen nach dem SGB II für einen Leistungszeitraum von sechs Monaten
erbracht werden „sollen“, ist die abweichende Festlegung des Bewilligungszeitraums
grundsätzlich statthaft. Gem. § 41 Abs. 1 S. 5 SGB II kann der Bewilligungszeitraum auf bis
zu zwölf Monate verlängert werden, wenn eine Änderung der Verhältnisse in diesem
Zeitraum nicht zu erwarten ist.
Abweichend von § 3 Abs. 4 Alg II-VO sieht § 3 Abs. 5 Alg II-VO eine jährliche Berechnung
des Einkommens vor. Im Zusammenhang mit der Regelung des § 3 Abs. 4 Alg II-VO kann §
3 Abs. 5 Alg II-VO nur so verstanden werden, dass diese Berechnung unter den besonderen
Voraussetzungen dieser Norm eine jährliche Berechnung abweichend von dem im
Leistungsbescheid festgelegten Bewilligungszeitraum erlaubt. Dies ist allerdings nur
statthaft, wenn diese Berechnung „auf Grund der Art der Erwerbsfähigkeit“ angezeigt ist.
b) Folge einer abweichenden Regelung
Regelfall einer Berechnung nach § 3 Abs. 5 Alg II-VO sollen Saisonbetriebe mit
jahresbezogen stark schwankenden Einnahmen sein. In diesem Fall soll das Einkommen
nach dem Jahresdurchschnitt berechnet werden, damit eine Leistungsoptimierung durch
gezielte Antragstellung nach der Saison vermieden wird.11 Hohe, bedarfsüberdeckende
Gewinne könnten ansonsten über eine Abmeldung aus dem Leistungsbezug bei
7
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.05.2012 – L 18 AS 813/12 B PKH Rdn. 2 – juris.
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2011 – L 19 AS 1304/11 B Rdn. 7 – juris.
9
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 33 – juris.
10
So LSG Bayern, Urteil vom 21.03.2012 – L 16 AS 789/10 Rdn. 52 – juris.
11
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 24 – juris
8
6
Wiedereintritt in den Leistungsbezug, typischerweise beim Ende von Saisonbeschäftigungen,
nur als Vermögen berücksichtigt werden.12
Beispiel:
A hat einen Eissalon, den er von Mai bis Oktober geöffnet hat. Von November
bis April ist der Eissalon geschlossen. Er erzielt einen Gewinn von monatlich
2.000,00 € für sechs Monate, in den anderen sechs Monaten erzielt er kein
Einkommen. Sein Bedarf beläuft sich auf 382,00 € (Regelleistungen) und
350,00 € (Kosten für Unterkunft und Heizung). Würde er Leistungen nur für die
Zeit von November bis April beziehen, ergäbe sich die folgende Rechnung:
Regelleistung
382,00 €
Unterkunftskosten
350,00 €
Summe
732,00 € x 6 = 4.392,00 €
Bei Abrechnung für die Zeit von Januar bis Dezember ergäbe sich die
folgende Rechnung:
Regelleistung
382,00 €
Unterkunftskosten
350,00 €
Einkommen 6 x 2.000,00 €
12.000,00 € : 12
1.000,00 €
Freibetrag I
100,00 €
Freibetrag II
180,00 €
720,00 €
12,00 € x 12 = 144,00 €
Das Abstellen auf den Jahreszeitraum kann also für den selbständigen Erwerbstätigen
finanziell nachteilig sein.
c) Voraussetzung der jahresweisen Berechnung
Gem. Nr. 11.40 der Fachlichen Hinweise fallen unter den Begriff der Betriebe, deren Eigenart
eine jahresbezogene Betrachtung des Einkommens erfordert, solche Betriebe mit
üblicherweise im Laufe des Jahres stark schwankenden Einnahmen wie z.B.


Typische Saisonbetriebe
 Strandkorbvermietung
 Eisdielen
 Skilifte
 Kioske an Sommer- und Winterausflugsziele
Nicht üblicherweise saisonabhängige Tätigkeiten, wenn typischerweise unregelmäßig
Einnahmen in einer Höhe erzielt wird, dass es für mehrere Monate bedarfsdeckend wäre,
z.B. Künstler mit unregelmäßigem Verkauf von Kunstwerken
Nach Ansicht des LSG Rheinland-Pfalz ist diese Regelung nicht auf Saisonbetriebe
beschränkt. Vielmehr gilt sie auch, wenn „nach der Eigenart des Betriebes eine
jahresbezogene Betrachtung erforderlich ist“.13 Eine solche Eigenart des Betriebs liegt vor,
12
13
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.05.2012 – L 18 AS 813/12 B PKH Rdn. 2 – juris.
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 24 – juris
7
wenn er nur über unregelmäßige Einnahmen in wenigen Monaten innerhalb eines Jahres
(konkret: in drei bis vier Monaten) verfügt.14
d) Sonderregelung: Einbeziehung des Einkommens der letzten sechs Monate vor
wiederholter Antragstellung
Gem. Nr. 11.41 der Fachlichen Hinweise bzw. § 3 Abs. 5 S. 1 Alg II-VO soll in die
Berechnung des Einkommens auch Einkommen einbezogen werden, das die
leistungsberechtigte Person innerhalb von sechs Monaten vor wiederholter Antragstellung
erzielt hat, sie sie vorher darauf hingewiesen worden ist. Erforderlich ist gem. Nr. 11.42 der
Fachlichen Hinweise ein schriftlicher Hinweis, in dem darauf hingewiesen wird, dass bei
folgenden Anträgen auch Einkommen im Zeitraum vor Antragstellung begründet werden
kann und in der die Person aufgefordert wird, in Zeiten mit hohen Einnahmen Rücklagen zu
bilden, in denen sie typischerweise mit geringeren Einnahmen zu rechnen hat. Zudem muss
das Einkommen den Bedarf nach dem SGB II überstiegen haben, Nr. 11.43 der Fachlichen
Hinweise. Es wird das folgende Beispiel (Nr. 11.42 der Fachlichen Hinweise) genannt:
Der Besitzer einer Eisdiele hat für die Zeit vom 01.11.2010 bis zum
30.04.2011 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 650,00 €/M.
erhalten. Für die Zeit vom 01.05.2011 bis zum 31.10.2011 arbeitet er
ohne Leistungen nach dem SGB II und erzielt ein durchschnittliches
Einkommen von 2.000,00 €/M. Er schließt seinen Betrieb zum
01.11.2011 und beantragt Leistungen.
Lösung I: Wird nur das aktuelle Einkommen in Höhe von 0,00 €
berücksichtigt, steht dem Besitzer einer Eisdiele ein Betrag in Höhe
von monatlich 650,00 € zu.
Lösung II (Fachliche Hinweise): Wird das Einkommen von Mai 2011
bis Oktober 2011 berücksichtigt, ergibt sich ein durchschnittliches
Einkommen in Höhe von 2.000,00 €. Der Leistungsanspruch ist
abzulehnen.
Lösung III: Wird das Einkommen von Mai 2011 bis April 2012
berücksichtigt, ergibt sich ein durchschnittliches Einkommen in Höhe
von 1.000,00 € (2.000,00 € x 6 = 12.000,00 € + 0,00 € x 6 = 0,00 €,
insgesamt 12.000,00 € : 12). Damit besteht zwar auch kein Anspruch
auf Arbeitslosengeld II, die Grenze ist aber näher als bei Lösung II.
Dagegen Beispiele Nr. 11.43 der Fachlichen Hinweise: Das aus dem Einkommensüberhang
der vergangenen sechs Monate ermittelte Einkommen ist in die Berechnung der Frei- und
Absetzbeträge nach § 11b SGB II einzubeziehen. Bei der Ermittlung des monatlich zu
berücksichtigenden und zu bereinigenden Einkommens ist von der Summe aus Einkommensüberhang und Gewinn im Bewilligungszeitraum auszugehen.
Der Antragsteller hat in der Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2011
ein bereinigtes Einkommen in Höhe von monatlich 800,00 € erzielt.
Sein Bedarf beläuft sich auf 650,00 € monatlich. Er ist vorher belehrt
14
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 25 – juris
8
worden. Zum 01.07.2011 stellt er einen Antrag auf Leistungen für die
Zeit vom 01.07.2011 bis zum 31.12.2011. Sein Einkommen beläuft
sich voraussichtlich auf 200,00 €.
Lösung I (Fachliche Hinweise): Das berücksichtigungsfähige
Einkommen aus dem Zeitraum 01.01.2011 bis zum 30.06.2011
beläuft sich auf durchschnittlich 150,00 € monatlich (800,00 € 650,00 €). Das Einkommen für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum
31.12.2011 beläuft sich auf durchschnittlich 200,00 € monatlich.
Insgesamt sind 350,00 € (150,00 € + 200,00 €) zu berücksichtigen.
Bei einem Bedarf von 650,00 € ergibt sich ein Leistungsanspruch in
Höhe von 300,00 €.
Lösung II: Das Einkommen beläuft sich auf insgesamt 6.000,00 €
(800,00 € x 6 = 4.800,00 €, 200,00 € x 6 = 1.200,00 €), durchschnittlich (: 12) 500,00 €. Bei einem Bedarf von 650,00 € ergäbe sich ein
Leistungsanspruch in Höhe von 150,00 €.
Diese Regelung gilt aber gem. Nr. 11.42 der Fachlichen Hinweise nicht bei erstmaliger
Antragstellung, weil die leistungsberechtigte Person nicht wissen konnte, dass sie Rücklagen
für einen Folgezeitraum bilden musste.
Bei wiederholter Antragstellung kann die zusätzliche Berücksichtigung des Einkommens
unterbleiben, wenn dies zwingend erforderlich ist, um den Lebensunterhalt im kommenden
Bewilligungszeitraum sicherzustellen, z.B. wenn der erwerbsfähige Leistungsberechtigte aus
verständlichen Gründen trotz Belehrung keine Rücklagen gebildet hat (Nr. 11.44 der
Fachlichen Hinweise).
3. Ausnahme II: Berechnung über einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate
Wird die selbständige Tätigkeit nur in einem Teil des Bewilligungszeitraums ausgeübt, wird
das Einkommen aus dieser Tätigkeit gem. Nr. 11.26 der Fachlichen Hinweise nur für diesen
Zeitraum berechnet und berücksichtigt. Dies ist der Fall, wenn der erwerbsfähige
Leistungsberechtigte seine selbständige Erwerbstätigkeit im Laufe des Bewilligungszeitraums beginnt oder beendet. Gem. Nr. 11.38 der Fachlichen Hinweise wird dann das
Einkommen auf die Monate angerechnet, in denen die leistungsberechtigte Person
selbständig gearbeitet hat.
Bei Beginn der Tätigkeit im Laufe eines Monats wird gem. Nr. 11.37 der Fachlichen Hinweise
der volle Monat berücksichtigt, wenn in ihm Betriebseinnahmen oder –ausgaben angefallen
sind.
Da mit der Aufgabe der Tätigkeit höhere Leistungen erzielt werden können, besteht eine
gewisse Manipulationsgefahr:
Beispiel:
A erzielt drei Monate hintereinander Gewinne aus seiner selbständigen
Tätigkeit (1. Monat 1.500,00 €, 2. Monat 2.000,00 €, 3. Monat 1.000,00 €). Da
alle Aufträge abgearbeitet sind, entschließt er sich, sein Gewerbe bei dem
Leistungsträger abzumelden. Tatsächlich bemüht er sich weiter um Aufträge.
9
Sein Bedarf beläuft sich auf 382,00 € (Regelleistungen) und 350,00 € (Kosten
für Unterkunft und Heizung). Würde er Leistungen nur für die Zeit von drei
Monaten beziehen, ergäbe sich die folgende Rechnung:
Regelleistung
382,00 €
Unterkunftskosten
350,00 €
Einkommen 4.500,00 € : 3 =
1.500,00 €
Freibetrag I
100,00 €
Freibetrag II (100,00 € - 900,00 €)
180,00 €
Freibetrag III (900,00 € - 1.200,00 €) 30,00 €
1.190,00 €
0,00 €
In den übrigen Monaten erhielte er jeweils 732,00 € (382,00 € + 350,00 €), für
neun Monate also 6.588,00 €
Bei der Abrechnung für sechs Monate ergäbe sich die folgende Rechnung:
Regelleistung
382,00 €
Unterkunftskosten
350,00 €
Einkommen 4.500,00 € : 6 =
750,00 €
Freibetrag I
100,00 €
Freibetrag II
130,00 €
520,00 €
212,00 € x 6 = 1.272,00 €
In den anderen sechs Monaten erhielte er jeweils 720,00 € x 6 = 4.320,00 €;
zuzüglich 1.272,00 € ergäbe dies eine Jahreszahlung in Höhe von 5.592,00 €.
Daher ist jede Betriebsaufgabe kritisch darauf zu überprüfen, ob sie wirklich endgültig ist.
III. Ermittlung des Einkommens
Der Antragsteller hat die Daten so aufzulisten, dass eine Gewinn- und Verlustrechnung
nachvollziehbar werden lässt. Eine Vorlage von nicht nach Einnahme- und Ausgabegruppen
geordneten Belegen reicht hierzu nicht aus.15 Die Einnahmen und Ausgaben müssen
vollständig und nachvollziehbar sein, damit sie (zunächst) einer Plausibilitätsprüfung
standhalten.16 Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann auch ohne eine solche
Aufstellung zu Gunsten des Antragstellers entschieden werden, wenn ein Bedarf nur
glaubhaft gemacht ist.17
1. Begriff des Einkommens
Gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Alg II-VO wird der Begriff des Einkommens aus selbständiger Arbeit,
Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft dahin definiert, dass von den
Betriebseinnahmen auszugehen ist. Betriebseinnahmen sind gem. § 3 Abs. 1 S. 2 Alg II-VO
alle aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielten
Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen. Gem. Nr. 11.25 der
Fachlichen Hinweise finden steuerrechtliche Regelungen keine Anwendung mehr.
15
LSG Hessen, Beschluss vom 27.06.2011 – L 7 AS 262/10 B ER Rdn. 31 – juris
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 46 – juris
17
Vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 25.08.2008 – L 11 B 560/08 AS ER Rdn. 7 – juris.
16
10
a) Einkommen bei gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen
Besonderheiten des Einkommens gelten bei dem Einkommen einer Gesellschaft. Hier neigt
die Rechtsprechung dazu, die gesellschaftsrechtliche Konstruktion unbeachtet zu lassen und
das Einkommen der Gesellschaft direkt dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
zuzuordnen. So gilt das Einkommen einer Kommanditgesellschaft als Einkommen des
erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn er – etwa als alleiniger GesellschafterGeschäftsführer – gesellschaftsrechtlich unabhängig vom Willen des anderer über
Entnahmen entscheiden kann.18
Wird bei einer GmbH die Gewinnausschüttung ausgeschlossen, kann dieser Beschluss
sittenwidrig und damit unbeachtlich sein, wenn er darauf abzielt, trotz eigener
Erwerbsquellen zu Ansprüchen auf Sozialhilfe zu gelangen.19
b) Einkommensneutrale Einnahmen
Einkommensneutrale Rechtsgeschäfte stellen kein Einkommen im Sinne des § 3 Abs. 1 Alg
II-VO dar, so z.B. ein Darlehen.20 Dies bedeutet umgekehrt, dass Rückzahlungen auch nicht
als Ausgaben zu werten sind.
2. Einkommen „aus“ selbständiger Tätigkeit
Die selbständige Tätigkeit muss nach Inhalt und Umfang beschrieben werden. Erst wenn
eine selbständige Erwerbstätigkeit vorliegt, kann eine Prüfung der Einkommensverhältnisse
erfolgen.21
Gem. § 3 Abs. 1 S. 2 Alg II-VO ist nur das als Einkommen zu berechnen, was „aus“ der
selbständigen Tätigkeit resultiert. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Einkommen in einem
objektiven wirtschaftlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit dem Betrieb steht22 bzw.
wenn es durch die selbständige Tätigkeit veranlasst ist.23 Ein subjektiver
Verwendungszweck, der nach Belieben des Darlehensnehmers vorgegeben und geändert
werden kann, ist nicht geeignet, eine verbindliche Zuordnung zu der selbständigen Tätigkeit
herzustellen.24
In diesem Sinne zählen nicht als Einkommen „aus“ selbständiger Tätigkeit

Einnahmen aus einem „privaten Darlehensvertrag“25
18
LSG Bayern, Urteil vom 21.03.2012 – L 16 AS 789/10 Rdn. 49 – juris.
SG Leipzig, Beschluss vom 16.02.2011 – S 15 AS 4182/10 ER Rdn. 25 – juris.
20
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 41 – juris; dagegen LSG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.11.2010 – L 19 AS 1754/10 B ER Rdn. 13 – juris; Geiger in:
LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 11 Rdn. 52.
21
Vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 41 – juris
22
BFH, Urteil vom 22.07.1988 – III R 175/85.
23
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52.
24
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 36 – juris.
25
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 39 – juris.
19
11


Einnahmen aus einem Gründungszuschuss (§ 57 SGB III)26
Anrechnungsfreies Einkommen, das der Selbständige für seine Tätigkeit einsetzt
(Privateinlage)27
3. Beispiele für Einkommen






Einkommen der Tagesmütter gem. § 23 SGB VIII ist gem. Nr. 11.27a der Fachlichen
Hinweise seit dem 01.01.2012 als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit zu
berücksichtigen.
Erlöse aus dem Verkauf des Betriebsvermögens zählen zu den Betriebseinnahmen28
Der Privatanteil der Nutzung eines dem Betriebsvermögen zugeordneten PKW ist dem
Einkommen zuzurechnen; die Höhe des Einkommens ist zu schätzen, wenn sie nicht
konkret zu ermitteln sind.29
Dagegen kann in Restaurantbetrieben nicht ohne weiteres eine Pauschale für
Eigenverbrauch als Einkommen zugerechnet werden. Die Berücksichtigung der Tabelle
des Bundesministeriums für Finanzen widerspricht dem Grundsatz, dass nur tatsächliche
Einnahmen anzusetzen sind.30 Dagegen hält das LSG Sachsen-Anhalt die Anwendung
der Tabelle für statthaft (Lebens- und Genussmittel aus einem Bistro).31
Umstritten ist, ob Zahlungen aus dem Verkauf eines zum Betriebsvermögen gehörenden
Kfz als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 2 SGB II oder als Einkommen in sonstigen
Fällen gem. § 4 Abs. Alg II.VO gilt.32
Investitionen aus nicht privilegiertem Einkommen bzw. Vermögen33
4. Höhe des Einkommens
Vom Einkommen sind gem. Nr. 11.29 der Fachlichen Hinweise zunächst die Absetzbeträge
gem. § 11b SGB II nicht abzuziehen, da sie erst bei der Bereinigung des Einkommens
abgezogen werden.
Das voraussichtliche Einkommen ist bei der laufenden, regelmäßig vorläufigen, Bewilligung
zu schätzen. Die Prognose bzw. Schätzung ist eine dem Hilfebedürftigen zumutbare
26
SG Duisburg, Beschluss vom 12.02.2008 – S 10 AS 121/07 ER Rdn. 28 – juris. Vgl. auch LSG
Bayern, Beschluss vom 22.02.2011 – L 7 AS 86/11 B ER Rdn. 15 – juris.
27
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52.
28
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 m.w.N. – juris.
29
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2011 – L 19 AS 1111/11 B ER Rdn. 23 m.w.N.
(BFH, Beschluss vom 18.02.2008 – XI B 185/07) – juris.
30
SG Berlin, Beschluss vom 25.01.2011 – S 201 AS 328/11 ER Rdn. 9 – juris; Geiger in: LPK-SGB II,
4. Auflage, § 11 Rdn. 52 unter Verweis auf LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08.11.2010 – L 5 AS
200/10 B ER.
31
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 68 – juris.
32
Für sonstiges Einkommen i.S. des § 4 Alg II-VO Geiger, ZFSH/SGB 2009, 9; offengelassen von
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris; Beschluss
vom 07.07.2010 – L 19 AS 582/10 B Rdn. 4 – juris.
33
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52.
12
Mitwirkungshandlung.34 Der Antragsteller hat die Angaben über das voraussichtliche
Einkommen gem. Nr. 11.45 der Fachlichen Hinweise so weit wie möglich zu plausibilisieren,
wozu die folgenden Unterlagen herangezogen werden können:




Berechnung des Einkommens für den vorangegangenen Bewilligungszeitraum
Nachweise über Einnahmen und Ausgaben der vorangegangenen sechs Monate
Einnahme-Überschuss-Rechnung für das vorangegangene Kalenderjahr
Aktuelle betriebswirtschaftliche Auswertungen
Die Mitwirkung besteht vor allem in der Ausfüllung der Anlage EKS (tabellarische Angaben
zu geschützten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach unterschiedlichen
Kostenpositionen)35 (vgl. auch Nr. 11.45 der Fachlichen Hinweise) bei der Ermittlung und
Bewertung von Einkünften;36 eine entsprechende Mitwirkungspflicht bei der Ausfüllung der
Vordrucke ergibt sich aus § 60 Abs. 2 SGB I.
Die Verwaltung hat die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten und
erkennbaren Umstände fehlerfrei zu ermitteln.37 Im gerichtlichen Verfahren ist nur noch zu
prüfen, ob die bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens bekannten und erkennbaren
Umstände und die Angaben des Antragstellers im Leistungsantrags berücksichtigt worden
sind. Im Klageverfahren vorgebrachte Umstände sind dagegen nicht zu berücksichtigen.38
Eine endgültige Bewilligung unter Abschlag von der Leistungshöhe aufgrund einer
prospektiven Schätzung von Einkommen ohne rechtliche Befugnis ist rechtswidrig.39 Auch
die Schätzung ist rechtlich gebunden. Eine Hinzuschätzung von Betriebsmitteln zur
Eigennutzung gem. § 162 AO soll nur statthaft sein, als eine Mitwirkung zum genauen
Hinweis nicht geleistet wird.40 Unzulässig ist z.B. die Schätzung des Einkommens aus einem
Nagelstudio, abgeleitet aus den Kosten für die Anschaffung von Feilen und Nagellack, da
sich aus der Art und Menge der Warenbestellungen jedenfalls nicht ohne weitere
Ermittlungen Rückschlüsse auf deren Verbrauch und damit auf die Einnahmen ziehen
lassen.41
Wird in einer GmbH eine Gewinnausschüttung untersagt, soll dies sittenwidrig im Sinne des
§ 138 Abs. 1 BGB sein und gegen den Selbsthilfegrundsatz gem. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II
verstoßen.42
34
LSG Sachsen, Urteil vom 07.07.2011 – L 3 AS 638/10 Ls – juris. Unter Verweis auf LSG Bayern,
Urteil vom 30.07.2010 – L 7 AS 12/10 Rdn. 17 – juris: § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I. Ebenso SG Lüneburg,
Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris.
35
LSG Bayern, Urteil vom 30.07.2010 – L 7 AS 12/10 Rdn. 17 – juris
36
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 21 – juris
37
BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R Rdn. 42 m.w.N. – juris
38
BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R Rdn. 41 m.w.N. – juris
39
BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R Rdn. 16 – juris unter Verweis auf BSG, Urteil vom
02.06.2004 – B 7 AL 58/03 R Rdn. 15 – juris, BSGE 93, 51.
40
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52.
41
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08.11.2010 – L 5 AS 200/10 B ER Rdn. 31 – juris.
42
SG Leipzig, Beschluss vom 16.02.2011 – S 15 AS 4182/10 ER Rdn. 25 f. – juris
13
IV. Ermittlung der Abzüge
Die Abzüge sind individuell und individuell gewichtet zu ermitteln (Notwendigkeit). Dies
erfordert komplizierte Überlegungen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob nicht
die frühere Regelung in § 3 Nr. 3 b Alg II-VO i.d.F. vom 20.10.2004 lebensnäher war,
wonach bei Einkommen aus selbständiger Erwebstätigkeit die mit der Erzielung des
Einkommens verbundenen Betriebsausgaben in Höhe von 30 % der Betriebseinnahmen
abzusetzen waren, soweit der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht höhere notwendige
Ausgaben nachwies.43
Missverständlich ist die Auffassung,44 in einer GbR stünde einem Antragsteller zwar ein
prozentualer Anteil (hier: ein Drittel) der Einnahmen zu, er müsse sich aber nicht zu einem
Drittel auch am Verlust der GbR beteiligen, weil die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten
bei der Ermittlung des Einkommens weder in § 11 Abs. 2 SGB II noch in der Alg II-VO
vorgesehen sei. Es sollte zunächst klar sein, welche Einkünfte vorliegen. Sie sind nach den
vertraglichen Vereinbarungen zu ermitteln. Die selben vertraglichen Vereinbarungen sind
aber bei der Ermittlung der Abzüge zu berücksichtigen. Sie können nicht als Schulden
gelten. Allenfalls könnte man die Ausgaben gem. § 3 Abs. 3 Alg II-VO auf einen
„angemessenen“ Teil reduzieren. Das Argument, die GbR erziele finanzielle Vorteile, weil der
Leistungsträger Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung übernehme, so dass
die GbR sie nicht übernehmen müsse,45 ist falsch. Denn solche Ausgaben gehören in der
Regel zu den Privatausgaben jedes Gesellschafters.
Eine Klage, die darauf gerichtet ist, bestimmte Betriebsausgaben als berücksichtigungsfähig
festzustellen, ist als sog. Elementfeststellungsklage unzulässig.46 Vielmehr ist der gesamte
Anspruch zu prüfen.
1. Einkommensneutrale Abzüge
Rückzahlungen auf ein Darlehen sind als Kehrseite eines einkommensneutralen
Rechtsgeschäfts nicht als Betriebsausgabe in Ansatz zu bringen.47
Gem. § 3 Abs. 3 S. 4 Alg II-VO sind Ausgaben nicht abzusetzen, soweit der Leistungsträger
für sie Darlehen oder Zuschüsse nach dem SGB II erbracht hat oder der erwerbsfähige
Leistungsberechtigte zu deren Finanzierung betriebliche Darlehen aufgenommen hat. Gem.
§ 3 Abs. 3 S. 5 Alg II-VO gilt dies auch für Ausgaben, soweit zu deren Finanzierung andere
Darlehen verwandt wurden. Sinn dieser Regelung ist, dass schon der Zufluss nicht als
Einnahme berücksichtigt wird; in diesem Fall soll auch die Ausgabe nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden.
43
Vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 44/07 R Rdn.15 – juris.
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 42 – juris unter Verweis auf
BSG, Urteil vom 19.09.2008 – B 14/7b AS 10/07 R Rdn. 25 – juris.
45
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 43 – juris.
46
LSG Bayern, Beschluss vom 07.12.2009 – L 11 AS 689/09 B ER Rdn. 16 – juris
47
LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012 – L 9 AS 757/11 Rdn. 42 – juris.
44
14
a) Leistungen nach dem SGB II
Mit Leistungen nach dem SGB II sind gem. Nr. 11.34 der Fachlichen Hinweise Darlehen oder
Zuschüsse nach § 16c SGB II gemeint.
b) Betriebliche Darlehen
Gem. Nr. 11.30a der Fachlichen Hinweise sind betriebliche Darlehen neutral zu behandeln.
Sie werden gem. § 11 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht als Betriebseinnahme angesetzt.
Umgekehrt werden die mit dem Darlehen getätigten allgemeinen Betriebsausgaben oder
Investitionen bis zur Höhe des gewährten Darlehens gem. § 3 Abs. 3 S. 4 Alg II-VO nicht als
Betriebsausgabe anzuerkennen. Dies gilt gem. Nr. 11.30a der Fachlichen Hinweise auch für
die Finanzierung betrieblicher Ausgaben oder Vornahme von Investition mit anderen als
betrieblichen Darlehen ohne ausdrückliche Zweckbestimmung.
Gem. Nr. 11.30a S. 4 der Fachlichen Hinweise sind dagegen Zins- und Tilgungsbeträge in
voller Höhe als Betriebsausgabe anzuerkennen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die
Ausgaben für die mit dem Darlehen getätigten Anschaffungen wegen fehlender Notwendigkeit nicht anzuerkennen sind.
Dazu kann auch die Umsatzsteuer gehören, weil sie an das Finanzamt abzuführen ist. 48
Umsatzsteuer und Vorsteuer ist für Selbständige nur ein Durchlaufposten und daher bei der
Ein- und bei der Ausgabenseite abzusetzen.49
2. Nur tatsächlich geleistete Ausgaben
Gem. § 3 Abs. 2 Alg II-VO (vgl. auch Nr. 11.30 der Fachlichen Hinweise) sind nur tatsächlich
geleistete Ausgaben absetzbar. Deshalb dürfen Rückstellungen für künftige Ausgaben – z.B.
für Umsatzsteuerzahlungen – nicht angerechnet werden.50
Damit sind steuerrechtliche (rein rechnerische) Abzüge wie Abschreibungen oder
Forderungsausfälle von Kunden nicht abzugsfähig, allerdings steuerrechtlich relevante
Betriebseinnahmen wie der Erlass einer Verbindlichkeit (Sanierungsgewinn) ebensowenig.51
48
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 67 – juris
berücksichtigt die Einkünfte ohne Umsatzsteuer.
49
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 70 – juris. Dagegen
offenbar SG Lüneburg, Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris, dass die
Vorsteuer wohl als Ausgabe anerkennen will, wobei es prüft, ob eine Vorsteuer aufgrund der
Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG vermeidbar ist. Vgl. auch Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage,
§ 11 Rdn. 52. Zum Fall der Umsatzsteuererstattung aus höheren Startinvestitionen und der
Problematik des verkürzten Berechungszeitraums Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52.
50
51
LSG Bayern, Urteil vom 21.03.2012 – L 16 AS 789/10 Rdn. 51 – juris
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 53 m.w.N.
15
3. Nur notwendige Ausgaben
Gem. § 3 Abs. 2 Alg II-VO sind nur notwendige Ausgaben zu berücksichtigen. So können
Ausgaben für drei Räume auf Ausgaben für einen Raum gekürzt werden, wenn sie nicht
notwendig sind.52 Es könnte aber auch eine Kürzung gem. § 3 Abs. 3 Alg II-VO
vorgenommen werden.
4. Art der Ausgaben (§ 3 Abs. 2 S. 1 Alg II-VO)
Gem. § 3 Abs. 2 S. 1 Alg II-VO sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum
tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II
abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Dies
bedeutet, dass die notwendigen Ausgaben und die abzusetzenden Beträge gem. § 11b SGB
II getrennt zu ermitteln sind.
a) Notwendige Ausgaben
Eine Systematisierung der notwendigen Ausgaben ist angesichts der Fülle der
unterschiedlichen selbständigen Tätigkeiten nur schwer möglich. Daher sollen nur einige
Ausgaben genannt werden, die gerichtlich anerkannt wurden:
Kosten für Wareneinkauf53
Betriebsbedingte Versicherungen54
Betriebliche Steuern,55 u.U. auch Vorsteuer (wenn die Umsatzsteuer als Einnahme behandelt
wird)56
Fortbildungskosten57
Werbe- und Reisekosten58
Rechts- und Beratungskosten59, insbesondere Steuerberatungskosten60
Bürobedarf61
Telefonkosten62
Miete für Gewerberäume63
Aufwendungen für Tierfutter bei Betrieb einer Tierzucht64
52
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 23 – juris
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris.
54
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris.
55
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris.
56
Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris.
57
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris.
58
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 71 – juris.
59
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris.
60
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris.
61
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris.
62
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 27 – juris.
63
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.03.2010 – L 19 B 303/09 AS Rdn. 3 – juris.
64
SG Gießen, Beschluss vom 20.03.2009 – L 29 AS 3/09 B ER Rdn. 46 – juris.
53
16
b) Einzelfälle
aa) Verpflegungsmehraufwendungen
Kosten für Verpflegungsmehraufwendungen sind nur als Pauschale zu berücksichtigen und
daher nicht als Ausgaben zu berücksichtigen.65
bb) Kosten für die Krankenversicherung
Kosten für Krankenversicherung sind keine Ausgaben, sondern dienen der Absicherung
gegen allgemeine Lebensrisiken. Sie sind nur über die private Vorsorge im Rahmen der
Absetzung nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 3 SGB II zu berücksichtigen.66
cc) Privatentnahmen
Privatentnahmen können dann berücksichtigt werden, wenn sie aus den laufenden
Jahreseinnahmen erfolgen. Denn für die Gewinnermittlung des laufenden Jahres kann es
keinen Unterschied machen, ob die Einnahmen bis zum Jahresende beim Betriebsvermögen
verbleiben und sodann im Rahmen der Steuerfestsetzung als Gewinn berücksichtigt werden
oder ob sie zuvor entnommen und über § 4 Abs. 1 EStG dem Gewinn zugerechnet werden
müssen. Nur wenn in zurückliegenden Jahren entsprechender Gewinn beim Betrieb
verblieben ist und dessen Vermögen bildet, ist die Privatentnahme lediglich
Vermögensverzehr und nicht dem Gewinn zuzurechnen.67
dd) Kraftfahrzeuge
Bei Kraftfahrzeugen ist eine gemischte Nutzung (gewerblich und privat) die Regel. Gem. Nr.
11.31 und Nr. 11.32 der Fachlichen Hinweise ist zunächst zu entscheiden, ob ein BetriebsKfz oder ein Privat-Kfz vorliegt. Zur Angabe der Kosten ist ein Fahrtenbuch zu führen.68 Als
tatsächlich geleistete notwendige Ausgaben für das Kraftfahrzeug gelten – entgegen den
Fachlichen Hinweisen Nr. 11.31 S. 4? – nur die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte.69
(1) Betriebs-Kfz
Ein Kraftfahrzeug gilt als Betriebs-Kfz, wenn es überwiegend betrieblich genutzt wird. Dies ist
gem. Nr. 11.31 S. 3 der Fachlichen Hinweise der Fall, wenn der betriebliche Nutzungsanteil
65
LSG Bayern, Beschluss vom 24.10.2011 – L 7 AS 96/11 NZB Rdn. 10. – juris
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2011 – L 19 AS 1111/11 B ER Rdn. 28 - juris unter
Verweis auf Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 55.
67
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2011 – L 19 AS 1304/11 B Rdn. 9 – juris unter
Verweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2008 – L 19 B 128/07 AS ER und
Geiger, ZFSH/SGB 2009, 9. Vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.2008 – L 7 AS
5626/07 ER-B Rdn. 7 – juris.
68
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 25 – juris
69
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.11.2011 – L 5 AS 464/10 Rdn. 16 f. – juris noch zu § 3
Abs. 1 Nr. 3b AlgII-VO a.F. bzw. § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 SGB II.
66
17
bei mindestens 50 % liegt. Bei dieser Berechnung gelten die Fahrten von der Wohnung zur
Betriebsstätte und zurück gem. Nr. 11.31 S. 4 der Fachlichen Hinweise als Privatfahrten.
Bei einem Betriebs-Kfz sind gem. Nr. 11.31 S. 1 der Fachlichen Hinweise die Kosten für ein
Betriebs-Kraftfahrzeug (Versicherung, Steuer, Betriebsstoffe) in tatsächlicher Höhe als
Ausgabe abzusetzen. Gem. Nr. 11.31 S. 2 der Fachlichen Hinweise sind die Ausgaben um
0,10 € je gefahrenen Kilometer zu vermindern.
(2) Privat-Kfz
Gilt ein Kfz als privat, sind gem. Nr. 11.32 der Fachlichen Hinweise für ausschließlich
betriebliche Fahrten Kosten in Höhe von 0,10 € für jeden gefahrenen Kilometer abzusetzen.
Der erwerbsfähige Leistungsberechtigte kann höhere Kosten nachweisen. Dies könnten sein
anteilige Versicherung, anteilige Steuer, anteilige Reparaturen und tatsächlich aufgewandte
Kosten für Benzin.
5. Korrektur
Die Ausgaben werden nicht notwendigerweise in der angegebenen tatsächlichen Höhe
anerkannt, sondern nach unten korrigiert. Der Antragsteller soll gem. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II
verpflichtet sein, „die Führung seiner Geschäfte so auszurichten, dass die von ihm
ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit ausreichende Erträge sowohl für seinen
Geschäftsbetrieb als auch für seinen Lebensunterhalt einbringt.“70 Auch gem. Nr. 11.36 der
Fachlichen Hinweise ist es möglich, mit der leistungsberechtigten Person in einer
Eingliederungsvereinbarung festzulegen, dass Ausgaben gesenkt oder – wenn sie nicht
sofort erforderlich sind – aufgeschoben werden. Wenn sie diese Vorgaben nicht befolgt,
sollen die Ausgaben zu vermindern sein, wobei die leistungsberechtigte Person auf diese
Möglichkeit hinzuweisen ist.
Damit wird die unternehmerische Freiheit des erwerbsfähigen Selbständigen eingeschränkt.
Allerdings sind dies Maßstäbe (Anpassung an die Lebensumstände, Vermeiden eines
offensichtlichen Missverhältnisses zu den jeweiligen Erträgen), die ohnehin jeder
wirtschaftlich denkende Bürger beachte.71 Damit soll es der grundsätzlich zu respektierenden
unternehmerischen Entscheidung des Selbständigen überlassen sein, anhand einer
nachvollziehbaren Beurteilung der Geschäftsentwicklung Investitionen zu tätigen. Die
Leistungserbringer haben nur ein nachgehendes Prüfungsrecht, ob die Ausgabe im
Zeitpunkt des Geldabflusses gerechtfertigt war oder nicht. Anderenfalls würde die
nachträgliche Kürzung von tatsächlich erfolgten Ausgaben zur Anrechnung fiktiven
Einkommens führen.72
70
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn. 21 – juris; vgl. auch LSG
Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 48 – juris.
71
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 44 – juris; vgl. auch LSG
Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 80 – juris.
72
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 57.
18
Jede (auch prognostizierte) Ausgabe ist wenigstens auf Plausibilität zu prüfen, ob sie auch
betrieblich notwendig im Sinne des § 3 Abs. 2 Alg II-VO ist.73
Die Korrektur der Ausgaben (nach unten) erfolgt in dreierlei Hinsicht:



Die Korrektur erfolgt, wenn Ausgaben ganz oder teilweise vermeidbar waren, § 3 Abs. 3
S. 1 Alg II-VO
Die Korrektur erfolgt, wenn die Ausgaben offensichtlich nicht den Lebensumständen
während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entspricht,
§ 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO
Die Korrektur erfolgt, wenn das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in
einem auffälligen Missverhältnis steht, § 3 Abs. 3 S. 3 Alg II-VO
Eine vorherige Klärung der Notwendigkeit der Ausgaben soll nicht statthaft sein. Die Frage
der Anschaffung von Gütern für betriebliche Zwecke obliegt allein der Verantwortung des
Leistungsempfängers, und der Leistungsträger hat lediglich ein nachgehendes
Prüfungsrecht, ob die getätigten Investitionen anzuerkennen sind. Der Antragsteller habe
damit das „Privileg aber auch das Risiko der Festlegung“74
a) vermeidbare Ausgaben § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO
Die Sozialgerichte haben bisher nicht näher definiert, nach welchen Kriterien
Betriebsausgaben ganz oder teilweise vermeidbar sein. Ein großer Teil der
Leistungsansprüche wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt. Die Gerichte
lehnen in diesen Fällen eine Stellungnahme mit der Begründung ab, eine Klärung müsse im
Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erfolgen.75 Als Maßstab könnte gelten, was ein
wirtschaftlich denkender Bürger in Kauf nehmen würde.76
Zur Frage der Vermeidbarkeit führen die fachlichen Hinweise Nr. 11.33 S. 2, 3 aus:
Die leistungsberechtigte Person muss ihre Hilfebedürftigkeit auch
durch die Möglichkeit der Kostenvermeidung und –optimierung bei
ihrer Tätigkeit vermindern. Damit wird Leistungsmissbrauch
vermieden, der entstehen kann, wenn betriebliche Ausgaben für
überteuerte oder Luxusartikel ungeprüft als Ausgaben abgesetzt
werden.
Fraglich ist hierbei, ob die Leistungsträger den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
zunächst beraten und ihm Abhilfemöglichkeiten einräumen müssen oder die vermeidbaren
Ausgaben sofort auf einen „unvermeidbaren“ Teil reduzieren dürfen. Nach diesseitiger
Ansicht muss zunächst eine entsprechende Beratung erfolgen. Bei einem so komplexen
Begriff wie der Vermeidbarkeit ist nicht sicher prognostizierbar, wo der Leistungsträger die
73
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn. 47 – juris
LSG Bayern, Beschluss vom 07.12.2009 – L 11 AS 690/09 B ER Rdn. 19 – juris
75
Vgl. etwa LSG Bayern, Beschluss vom 16.04.2012 – L 11 AS 189/12 B ER Rdn. 18 – juris.
76
SG Lüneburg, Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris.
74
19
Grenze setzt. Daher wäre eine Absetzung bereits tatsächlich erbrachter Zahlungen als
„vermeidbar“ überraschend. Dass vorher Hinweise zu erfolgen haben, ergibt sich aus Nr.
11.36 der Fachlichen Hinweise, wonach die Senkung von Ausgaben in einer Eingliederungsvereinbarung beschlossen werden kann und die Kosten bei Nichtbefolgung vermindert
werden können.
Dieser Differenzierung tragen die Fachlichen Hinweise im Beispiel zu Nr. 11.34 Rechnung,
indem sie darauf abstellen, wann Kosten entstanden sind. So soll ein Hochleistungscomputer für einfache Schreibarbeiten nicht notwendig sein. Die Kosten für diesen Computer
(Ratenzahlungen) sind aber anzuerkennen, wenn die Anschaffung zu einem Zeitpunkt
erfolgte, zu dem mit dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit nicht zu rechnen war.
Die Frage, ob Ausgaben vermeidbar sind, soll eine Rechtsfrage sein, die nicht durch einen
Sachverständigen beantwortet werden kann.77
aa) Kfz-Kosten
Kfz-Kosten sind u.U. vermeidbar, wenn sie für mehr als ein Kfz anfallen. Es muss auch
zwischen Kosten für gewerbliche und private Fahrten unterschieden werden, u.U. auch
durch Führung eines Fahrtenbuchs.78 Auch Kosten für ein Leasing-Fahrzeug können
vermeidbar sein, wenn sie für ein Bistro mit dem Transport von Waren im Wert von 100,00 €
monatlich anfallen.79 Dagegen können sie – als Kosten für einen PKW der gehobenen
Preisklasse – z.B. bei Handelsvertretern mit einer beruflich bedingten Vielzahl von
Jahreskilometern anzuerkennen sein.80
bb) Gesetzliche soziale Aufwendungen für den Geschäftsführer einer GmbH
Vermeidbar sollen gesetzliche soziale Aufwendungen für Geschäftsführer einer GmbH, wenn
die Vermutung besteht, dass sie selbständig und geringfügig und damit versicherungsfrei
tätig sind.81
cc) Personalkosten
Personalkosten können nur dann einkommensmindernd herangezogen werden, wenn sie
zwingend notwendig sind oder wenn der Geschäftserlös diese Ausgaben trägt. Im Rahmen
einer Wohnungsverwaltung können Kosten für Mitarbeiter abgesetzt werden, die als
Hausmeister in den einzelnen Gebäuden tätig sind. Ansonsten ist der Selbständige gehalten,
Leistungen möglichst in Person zu erbringen, um eine Verbesserung der betrieblichen
Situation zu erreichen.82
77
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 25 – juris
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn.22 – juris
79
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 83 – juris.
80
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 81 – juris.
81
SG Leipzig, Beschluss vom 16.02.2011 – S 15 AS 4182/10 ER Rdn. 30 – juris
82
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn. 23 – juris
78
20
Kosten für eine Aushilfskraft in einem Blumenladen, die 14 % der Summe der
Betriebseinnahmen ausmacht, sind angesichts der Tatsache, dass eine Unterstützung im
Betrieb notwendig ist, nicht unvermeidbar.83
dd) „Verlustausgleich“ zwischen zwei selbständigen Tätigkeiten
Zu den vermeidbaren Ausgaben sollen auch Verluste aus einer zweiten selbständigen
Tätigkeit gehören, wenn aus der ersten Gewinne erwirtschaftet werden. Gem. Nr. 11.34 ist
es einer leistungsberechtigten Person zuzumuten, die zweite „unwirtschaftliche“ selbständige
Tätigkeit aufzugeben; ein „Verlustausgleich“ aus mehreren selbständigen Tätigkeit soll nicht
möglich sein. Dies gilt auch, wenn eine Person der Bedarfsgemeinschaft aus der
selbständigen Tätigkeit Gewinne erzielt und die andere Person Verluste.84 Gem. § 5 S. 2 Alg
II-VO darf ein Einkommen nicht u Ausgaben einer anderen Einkommensart vermindert
werden.
Fraglich ist nur, wann wirklich eine „unwirtschaftliche“ Tätigkeit vorliegt. Nahezu bei jeder
selbständigen Tätigkeit entstehen anfangs hohe Kosten, die über den Einnahmen liegen.
Daher muss eine bestimmte „Vorlaufzeit“ eingeräumt werden. Wenn ein Verlustausgleich
nicht möglich wäre, würde u.U. das langfristige Ziel der selbständigen Tätigkeit aus dem
Blick verloren, nämlich den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten, §
2 Abs. 1 S. 2 SGB II; auch der Leistungsträger hat seine Leistungen gem. § 1 Abs. 2 S. 4 Nr.
1 SGB II u.a. darauf auszurichten, dass „durch eine Erwerbstätigkeit Hilfebedürftigkeit
vermieden oder beseitigt … wird“. Dieses gesetzgeberische Ziel erfordert auch mittel- bis
langfristige Überlegungen, so dass sich kurzfristige „panische“ Entscheidungen verbieten.
b) Offensichtliche Abweichung von den Lebensumständen § 3 Abs. 3 S. 1 Alg II-VO
Gefordert ist eine „offensichtliche“ Abweichung von Lebensumständen während des Bezugs
der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eine entsprechende Vorschrift zur
Maßgeblichkeit der Lebensumstände findet sich in § 12 Abs. 3 S. 2 SGB II.
Es soll nur ein strenger Maßstab gelten.85 Dagegen spricht aber, dass nur eine
„offensichtliche“ Abweichung von den Lebensumständen zur Kürzung berechtigt. Die
folgenden Einzelfälle sind bisher behandelt worden:

Es entspricht offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs von
Leistungen nach dem SGB II, wenn für den Betrieb eines Schnellrestaurants
Personalkosten in Höhe von monatlich etwa 2.000,00 € ohne den Arbeitgeberanteil zur
Sozialversicherung entstehen, wozu u.a. eine Grafikerin für ein Schnellrestaurant
eingestellt worden war.86
83
SG Lüneburg, Beschluss vom 26.07.2011 – S 45 AS 282/11 ER Rdn. 30 – juris
LSG Sachsen, Urteil vom 24.11.2011 – L 3 AS 190/08 Rdn. 40 – juris.
85
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 223/09 B ER Rdn.48 – juris unter Verweis auf
Geiger, ZFSH/SGB 2009, 9 (12).
86
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 22 – juris.
84
21


Die Kosten für das Leasen eines PKW der gehobenen Mittelklasse (BMW 525 d)
entsprechen offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs von
Leistungen nach dem SGB II, weil Maßstab der Grundsicherung für Arbeitsuchende die
Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums und Ermöglichung eines bescheidenen
finanziellen Auskommens, angelehnt an die untersten Einkommensgruppen ist.87
Ausgaben für Geschenke, Dekoration und Bewirtungskosten können i.d.R. nicht
berücksichtigt werden, weil sie allenfalls in besonderen Ausnahmefällen den
Lebensverhältnissen während des Leistungsbezugs entsprechen.88
c) Auffälliges Missverhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen § 3 Abs. 3 S. 3 Alg IIVO
Ein auffälliges Missverhältnis liegt gem. Nr. 11.35 der Fachlichen Hinweise vor, wenn der
Leistungsberechtigte Einnahmen nicht erzielt oder offensichtlich nicht angibt oder zu hohe
Ausgaben entstehen, weil die selbständige Person Teile ihres Warenbestandes für sich
selbst oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen entnommen hat.
Besonders aufmerksam soll dies in der Gastronomie oder im Einzelhandel beobachtet
werden. Als Beispiel wird angeführt:
Ein Kioskbesitzer erzielt aus dem Verkauf von Zigaretten
durchschnittlich monatlich 4.000,00 €. Aus dem Wareneingang ergibt
sich aber, dass die Zahl der eingekauften Zigaretten weit über der
Zahl der verkauften Zigaretten liegt. Daraus ergibt sich ein Hinweis
auf einen hohen Eigenverbrauch.
Die Frage, ob Ausgaben in einem auffälligen Missverhältnis zu den jeweiligen Erträgen
stehen, ist eine Rechtsfrage, die nicht durch einen Sachverständigen beantwortet werden
kann.89
Ein auffälliges Missverhältnis ist bei Kosten für ein Leasing-Fahrzeug in Höhe von 839,62 €
monatlich bei durchschnittlichen Einnahmen von 1.851,25 € („annähernd die Hälfte“).90 Eine
allgemeine Formel kann daraus nicht hergeleitet werden.
V. Absetzungen von dem Gewinn
Von dem Gewinn sind die Ausgaben gem. § 11b Abs. 1 SGB II absetzbar. Dazu gehört
insbesondere der Erwerbstätigenfreibetrag gem. § 11b Abs. 3 SGB II.
1. Ausgangspunkt
Das LSG Nordrhein-Westfalen ermittelt den Erwerbstätigenfreibetrag ausgehend von dem
Gewinn.91 Zum gleichen Ergebnis kommt das LSG Bayern, wenn es den Freibetrag vom
87
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 82 – juris.
LSG Sachsen, Beschluss vom 14.06.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH Rdn. 24 – juris
89
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14.04.2011 – L 7 AS 426/10 B Rdn. 25 – juris
90
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn. 88 – juris.
88
22
Bruttoeinkommen abziehen will und das Bruttoeinkommen als Einkommen aus selbständiger
Tätigkeit abzüglich der notwendigen Ausgaben (§§ 3 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 S. 3 Alg II-VO)
definiert.92 Nach Nr. 11.37 der Fachlichen Hinweise wird der Freibetrag von dem
„monatlichen Bruttoeinkommen“ ermittelt (wohl Einnahmen abzüglich Ausgaben). Denkbar
wäre auch, den Erwerbstätigenfreibetrag von der Summe der Einnahmen vor Abzug der
Ausgaben zu ermitteln.
Beispiel:
A hat einen Umsatz in Höhe von durchschnittlich 2.000,00 € monatlich und
einen Gewinn in Höhe von durchschnittlich 1.000,00 € monatlich.
Freibetrag I (bei Umsatz 2.000,00 €)
Grundfreibetrag
100,00 €
Freibetrag 100,00 € - 1.000,00 € (20 %)
180,00 €
Freibetrag 1.000,00 € - 1.200,00 € (20 %) 20,00 €
Summe Freibetrag
300,00 €
Anzurechnendes Einkommen: 1.000,00 € - 300,00 € = 700,00 €
Freibetrag II (bei Gewinn 1.000,00 €)
Grundfreibetrag
100,00 €
Freibetrag 100,00 € - 1.000,00 € (20 %)
180,00 €
Summe Freibetrag
280,00 €
Anzurechnendes Einkommen: 1.000,00 € - 280,00 € = 720,00 €
Dies ist nach dem Wortlaut des § 11b Abs. 3 S. 1 SGB II nicht ausgeschlossen. Dort ist der
Erwerbstätigenfreibetrag „von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit“
abzusetzen. Gleichwohl gehen – soweit erkennbar – alle Gerichte bei selbständiger Tätigkeit
von dem Gewinn aus,93 ohne die Problematik zu diskutieren. In der Literatur wird dies damit
begründet, dass sich das dem Arbeitnehmereinkommen vergleichbare Bruttoeinkommen
nach Abzug der Ausgaben von den Betriebseinnahmen ergibt.94
2. Berechnung
Die Berechnung erfolgt in der Weise, dass folgende Beträge abgezogen werden:95




Freibeträge gem. § 11b Abs. 3 SGB II
Nicht betrieblich bedingte Aufwendungen für die private Vorsorge gem. § 11b Abs. 1 Nr.
3 SGB II
Fahrtkosten von der Wohnung zur Arbeitsstätte gem. § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II i.V. mit §
6 Alg II-VO
Eventuell Aufwendungen für Unterhalt gem. § 11b Abs. 1 Nr. 7, 8 SGB II
91
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2011 – L 19 AS 1303/11 B Rdn. 8 – juris (ohne
Begründung); SG Berlin, Beschluss vom 25.01.2011 – S 201 AS 328/11 ER Rdn. 8 – juris
92
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 32 – juris. So auch LSG
Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.2008 – L 7 AS 5626/07 ER-B Rdn.9 m.w.N. – juris.
93
So auch Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 51: Der Gewinn ist Berechnungsgrundlage für
die Freibeträge.
94
Söhngen in: jurisPK-SGB II, 3. Auflage, § 11 Rdn. 50.
95
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 51.
23
Der Grundfreibetrag in Höhe von 100,00 € gem. § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II ist anstelle der
Einzelbeträge gem. § 11b Abs. a S. 1 Nr. 3 bis 5 SGB II96 abzusetzen.
Der Grundfreibetrag von 100,00 € ist nicht anzuwenden, wenn die Ausgaben gem. § 11b
Abs. 2 S. 2 SGB II höher sind als 100,00 €. In diesem Falle sind aber eine
Versicherungspauschale von 30,00 € und der nicht betrieblich anerkannte Teil der KfzHaftpflichtversicherung anzusetzen.97
Gefordert ist hier eine Vergleichsberechnung zwischen beiden Berechnungsmethoden.
a) Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen etc. gem. § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3
SGB II
Ausgaben für eine Kapitallebensversicherung können gem. § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3b SGB II
vom Einkommen abgesetzt werden, wenn der Antragsteller von der gesetzlichen
Rentenversicherung befreit ist.98 Gleiches dürfte seit dem 01.01.2011 gelten, da jetzt
Empfänger von Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gesetzlich rentenversichert sind.
b) Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung etc. gem. § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB
II
Im Fall der privaten Krankenversicherung soll lediglich maximal 50 % des Basistarifs in der
privaten Krankenversicherung berücksichtigungsfähig sein, nicht dagegen ein höherer
Beitrag.99
Der nicht gem. § 26 SGB II bezuschusste Teil des Beitrags zum Versorgungswerk der
Architektenkammer ist als Ausgabe gem. § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 b SGB II abzusetzen.100
c) Mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben § 11 Abs. 2 S. 1
Nr. 5 SGB II
Dazu sollen die an das Finanzamt gezahlten Umsatzsteuerbeträge gehören.101 Wenn die als
Einkommen anzusehenden monatlichen Betriebseinnahmen mehr als 400,00 € betragen, ist
nach § 11 Abs. 2 S. 2, 3 SGB II nicht der Grundfreibetrag von 100,00 € monatlich, sondern
der tatsächliche Betrag der Zahlungen anzusetzen.102
96
Vgl. zum alten Recht LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.06.2009 – L 5 AS 143/09 B ER Rdn.
102 – juris.
97
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 31 – juris.
98
LSG Bayern, Beschluss vom 11.05.2010 – L 7 AS 232/10 B ER Rdn. 31 – juris.
99
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.09.2011 – L 19 AS 1111/11 B ER Rdn. 42 – juris.
100
BSG, Urteil vom 30.07.2008 – B 14 AS 44/07 R Rdn. 12 – juris zu § 11 Abs. 2 Nr. 3 b SGB II a.F.
101
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 27 m.w.N. – juris
102
LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.12.2012 – L 6 AS 611/11 Rdn. 27 – juris
24
VI. Verwaltungsentscheidungen
1. Bewilligung von Leistungen
a) Vorläufige Leistungen
Gem. Nr. 11.27 der Fachlichen Hinweise sind Leistungen „in aller Regel“ vorläufig nach § 40
Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V. mit § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III zu bewilligen, da das Einkommen
jedenfalls zunächst nicht klar ist.
Dabei darf mangelnde Amtsermittlung niemals Grund für eine nur vorläufige
Leistungsbewilligung sein.103 Kommt es auf eine Schätzung für künftige Zeiträume an und ist
zweifelhaft, ob aufgrund des Einkommens Bedürftigkeit besteht, darf nur die vorläufige
Leistungserbringung abgelehnt werden, nicht dagegen die endgültige Leistungserbringung.104
b) Endgültige Bewilligung
Gem. Nr. 11.35 der Fachlichen Hinweise können nachgewiesene Einnahmen bei der
abschließenden Entscheidung angemessen erhöht werden, wenn anzunehmen ist, dass die
nachgewiesene Höhe der Einnahmen offensichtlich nicht den tatsächlichen Einnahmen
entspricht. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die leistungsberechtigte
Person möglicherweise aufgrund der vorläufigen Entscheidung eine beabsichtigte Ausgabe
tatsächlich realisiert hat und deshalb in diesem Umfang hilfebedürftig geworden ist. Daher
muss bereits bei der vorläufigen Entscheidung darauf geachtet werden, welche Ausgaben im
Bewilligungszeitraum beabsichtigt sind. Eine Erhöhung ist nur statthaft, soweit der
Selbständige nicht mitwirkt und soweit die Schätzung aufgrund bestimmter Anhaltspunkte
und nicht pauschal erfolgt. Nur mit dieser Einschränkung ist § 3 Abs. 3 S. 2 Alg II-VO noch
ermächtigungskonform i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 SGB II.105
Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ist bei unklarer Höhe des Einkommens aufgrund
einer Folgenabwägung zu entscheiden.106
Fraglich ist, ob das Einkommen eher niedrig oder eher hoch geschätzt wird:


Wird es eher hoch geschätzt, verbleibt dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
(zunächst) relativ wenig Geld. Dies kann er u.U. jedenfalls teilweise über die
Erwerbstätigenfreibeträge ausgleichen.
Wird das Einkommen eher niedrig geschätzt, erhält der erwerbsfähige
Leistungsberechtigte (zunächst) relativ viel Geld, das er aber bei endgültiger
Berechtigung zurückzahlen muss. Der Leistungsträger ist gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
S. 1 SGB II befugt, in Höhe von 30 % der Regelleistung aufzurechnen. Dies kann den
103
BSG, Urteil vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R Rdn. 16 – juris
LSG Bayern, Beschluss vom 25.08.2008 – L 11 B 560/08 AS ER Rdn. 7 – juris.
105
Geiger in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 11 Rdn. 52.
106
LSG Bayern, Beschluss vom 25.08.2008 – L 11 B 560/08 AS ER Rdn. 7 – juris.
104
25
erwerbsfähigen Leistungsberechtigten stark belasten, so dass das Einkommen eher zu
hoch als zu niedrig geschätzt werden sollte.
Dies gilt um so mehr, als bei Verfehlung der Prognose im Prognosezeitraum ein neuer
(vorläufiger) Bescheid erlassen werden muss.
Gem. Nr. 11.46 der Fachlichen Hinweise sollen die endgültigen Leistungen möglichst zügig
nach Ablauf des Bewilligungszeitraums ermittelt werden. Dazu hat der Antragsteller erneut
den Vordruck EKS auszufüllen und die Angaben für den abgelaufenen Bewilligungszeitraum
nachzuweisen.
Kommt der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten innerhalb von zwei Monaten nach Ende
des Bewilligungszeitraums nicht nach, kann der Leistungsträger das Einkommen gem. § 3
Abs. 6 Alg II-VO bzw. gem. Nr. 11.47 der Fachlichen Hinweise schätzen. Der Antragsteller ist
über diese Rechtsfolgen zu belehren und vor einer Schätzung des Einkommens erneut
anzuhören.
Wird der Schätzungsbescheid bestandskräftig und weist der Antragsteller dann sein
Einkommen nach, ist eine Neuberechnung gem. Nr. 11.48 der Fachlichen Hinweise
ausgeschlossen.
2. Aufhebung von Leistungen
Die Aufhebung von Leistungen unterscheidet sich danach, ob vorläufige Leistungen oder
endgültige Leistungen gewährt wurden.
a) Vorläufige Leistungen
Vorläufige Leistungen können gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V. mit § 328 Abs. 3 SGB III
relativ leicht aufgehoben und erstattet werden. § 329 Abs. 3 SGB III ist eine gegenüber § 50
SGB X spezielle Vorschrift. Die Geltendmachung der Erstattung erfolgt ohne Ausübung von
Ermessen, ohne dass der erwerbsfähige Leistungsberechtigte Vertrauensschutz geltend
machen kann und ohne das § 40 Abs. 4 SGB II angewendet werden kann. Zur Vermeidung
von Härten kann allenfalls geprüft werden, ob der Erstattungsanspruch gem. § 44 SGB II
erlassen werden kann.107 Der Leistungsträger darf gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 SGB II
mit 10 % der Regelleistung gegen den Anspruch des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
aufrechnen.
b) Endgültige Leistungen
Endgültige Leistungen können nur unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X
aufgehoben werden; die Erstattungspflicht ergibt sich aus § 50 SGB X. Unabhängig davon,
107
Conradis in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 40 Rdn. 8.
26
ob eine Überzahlung verschuldet war oder nicht, kann auch hier gem. § 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs.
2 S. 1 SGB II eine Aufrechnung mit 10 % der Regelleistung erfolgen.108
Gericht
BSG
LSG Baden-Württemberg
LSG Bayern
LSG Berlin-Brandenburg
LSG Hessen
LSG Niedersachsen-Bremen
LSG Nordrhein-Westfalen
LSG Rheinland-Pfalz
LSG Sachsen
LSG Sachsen-Anhalt
SG Berlin
SG Leipzig
SG Gießen
SG Duisburg
108
Datum
30.07.2008
06.04.2011
21.06.2011
21.06.2011
04.04.2008
25.08.2008
07.12.2009
07.12.2009
11.05.2010
30.07.2010
22.02.2011
24.11.2011
21.03.2012
16.04.2012
16.07.2012
03.05.2012
27.06.2011
14.04.2011
23.04.2012
01.02.2008
10.03.2010
07.07.2010
08.09.2011
08.09.2011
21.09.2011
19.12.2012
14.06.2010
14.06.2010
07.07.2011
24.11.2011
26.06.2009
09.11.2009
08.11.2010
25.01.2011
16.02.2011
20.03.2009
12.02.2008
Aktenzeichen
B 14 AS 44/07 R
B 4 AS 119/10 R
B 4 AS 22/10 R
B 4 AS 21/10 R
L 7 AS 5626/07ER-B
L 11 B 560/08 AS ER
L 11 AS 689/09 B ER
L 11 AS 690/09 B ER
L 7 AS 232/10 B ER
L 7 AS 12/10
L 7 AS 86/11 B ER
L 7 AS 96/11 NZB
L 16 AS 789/10
L 11 AS 189/12 B ER
L 11 AS 323/12 B ER
L 18 AS 813/12 B PKH
L 7 AS 262/10 B ER
L 7 AS 426/10 B
L 9 AS 757/11
L 19 B 127/07 AS ER
L 19 B 303/09 AS
L 19 AS 582/10
L 19 AS 1303/11 B
L 19 AS 1304/11 B
L 19 AS 1111/11 B ER
L 6 AS 611/11
L 7 AS 223/09 B ER
L 7 AS 163/10 B PKH
L 3 AS 638/10 Ls.
BSG B 4 AS 42/12 R
L 3 AS 190/08
L 5 AS 143/09 B ER
L 5 AS 464/10
L 5 AS 200/10 B ER
S 201 AS 328/11 ER
S 15 AS 4182/10 ER
S 29 AS 3/09 ER
S 10 AS 121/07 ER
Verwendbar
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
ja
ja
ja
nein
Ja
Ja
Ja
Ja
Noch nicht
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Vgl. Conradis in: LPK-SGB II, 4. Auflage, § 43 Rdn. 12.
27
SG Dresden
SG Lüneburg
07.03.2008
26.07.2011
S 5 AS 990/08 ER
S 45 AS 282/11 ER
Nein
Ja
28