Verwaltungsgericht Dresden Beschluss

Transcription

Verwaltungsgericht Dresden Beschluss
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
Az.: 5 K 1573/00 5
K 1576/00
Verwaltungsgericht Dresden
Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
G.,
D.,
-Antragsteller-
prozessbevollmächtigt:
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum,
Bautzner Str. 105, 01099 Dresden
gegen
Freistaat Sachsen,
vertreten durch das Regionalschulamt
Dresden, Großenhainer Str. 92, 01127
Dresden,
-Antragsgegner-
wegen vorläufiger Zulassung zur mündlichen Abiturprüfung (Antrag nach § 123
VwGO) und Nichtbestehen des Abiturs wegen Täuschung in einem besonders schweren Fall (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO)
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Dresden durch die Vorsitzende Richterin
am Verwaltungsgericht C., den Richter am Verwaltungsgericht Dr. J. und den
Richter am Verwaltungsgericht S. am 05. Juli 2000
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
beschlossen:
I. Die Verfahren 5 K 1573/00 (Antrag nach § 123 VwGO) und 5 K 1576/00
(Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO) werden unter dem Aktenzeichen 5 K 1573/
00 verbunden.
II. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 22.
Juni 2000 gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses des Gymnasiums Dresden-Plauen vom 19. Juni 2000 wird
wiederhergestellt.
III. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den
Antragsteller im laufenden Prüfungszeitraum (Schuljahr 1999/2000)
zur mündlichen Abiturprüfung am Gymnasium Dresden-Plauen im Fach Geografie
vorläufig zuzulassen.
IV. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
V. Der Streitwert wird auf insgesamt 8.000.- DM festgesetzt.
Gründe:
Die Verbindung der Verfahren, die unanfechtbar ist (§ 146 Abs. 2 VwGO), beruht auf § 93
Satz 1 VwGO. Sie ist angezeigt, weil sich die auf die Abiturprüfung des Antragstellers
bezogenen Eilverfahren auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt erstrecken (vgl. Sachs.
OVG, Beschl. v. 29.06.2000 - 2 BS 169/00).
Die Anträge, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22. Juni 2000 gemäß § 80
Abs. 5 Satz 1, Alt. 2 VwGO wiederherzustellen und den Antragsgegner im Wege der
einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, den
Antragsteller im laufenden Prüfungszeitraum des Schuljahres 1999/2000 zur mündlichen
Abiturprüfung im 4. Prüfungsfach (Grundkurs P4, § 27 Abs. 2 Nr. 4 OAVO) vorläufig
zuzulassen, sind zulässig und begründet.
Der Antragsteller begehrt mit seinen Anträgen im Ergebnis die einstweilige Zulassung zur
mündlichen Abiturprüfung im vierten Prüfungsfach gemäß § 27 Abs. 2 Ziffer 4 der
Oberstufen- und Abiturprüfungsverordnung (OAVO) vom 15. Januar 1996 (SäGVBl. 1996, S.
26), zuletzt geändert am 06. Juli 1999 (SäGVBl. 1999, S. 403). Um dieses Rechtsschutzziel
zu erreichen, war es für den Antragsteller geboten, zunächst gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Alt. 2
VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die in
den Ziffern 1 und 2 enthaltenen und für sofort vollziehbar erklärten Regelungen, wonach die
schriftliche Abiturprüfung im Grundkurs Mathematik gemäß § 40 Abs. 1 OAVO wegen
Täuschung ohne Beurteilung der in der Klausur erbrachten Leistung mit 0 Punkten bewertet
und gemäß § 40 Abs. 2 OAVO wegen Vorliegen eines besonders schweren Täuschungsfalles
die Abiturprüfung insgesamt für nicht bestanden erklärt wurde, zu beantragen. Die
Aufrechterhaltung der Anordnung
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
des Sofortvollzuges hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 des Bescheides würde bewirken,
dass der Antragsteller für die Prüfung im mündlichen Prüfungsfach (P4) Geografie
(P4) gesperrt wäre. Wäre dagegen nur die Regelung in Ziffer 1 des Bescheides (0
Punkte in Biologie) für sofort vollziehbar erklärt worden, käme eine mündliche Prüfung
in Biologie (vgl. § 27 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 OAVO) und im mündlich zu prüfenden
Grundkursfach (P4; Geografie) in Betracht. Neben der Suspendierung der vorgenannten
Regelungen bedarf es für die von dem Antragsteller begehrte Zulassung zur mündlichen
Prüfung im vierten Prüfungsfach (Grundkursfach P4) im laufenden Prüfungszeitraum
eines dahingehenden Antrages nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Der Prüfungsmaßstab der Anträge nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Alt. 2 und § 123 Abs. 1
Satz 2 VwGO ist im vorliegenden prüfungsrechtlichen Eilverfahren mit Ausnahme des
Erfordernisses des grundsätzlichen Verbotes der Vorwegnahme der Hauptsache und
dessen Ausnahmen bei § 123 VwGO identisch.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Alt. 2 VwGO stellt das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung dann wieder her, wenn bei der Abwägung der Interessen das Suspensivinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt.
Hierbei sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes vor allem dann, wenn
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen.
An der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes
besteht nämlich kein öffentliches Interesse. Diese Wertung ergibt sich u. a. aus der aus
der gesetzlichen Regelung des ähnlich gelagerten Falles in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
Auch das Gewicht des öffentlichen Vollzugsinteresses hängt davon ab, inwieweit der
Bescheid der im Eilverfahren gebotenen rechtlichen Überprüfung standhält. Erscheint
der angegriffene Verwaltungsakt nach der im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Alt. 2 i. V. m. § 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO abzulehnen, weil in diesem Falle das öffentliche Interesse
an der sofortigen Vollziehung das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt. Die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs können allerdings im Eilverfahren regelmäßig
nicht abschließend beurteilt werden. Während das Gericht Rechtsfragen grundsätzlich
auch im Eilverfahren klären kann und muss, scheidet eine abschließende Aufklärung
der Sachlage bei komplexen, strittigen oder nicht hinreichend gesicherten Sachverhalten zumeist schon wegen der Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung aus. Sind
die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei summarischer Prüfung
als offen einzustufen, ist die Entscheidung aufgrund einer Güterabwägung zwischen
den betroffenen Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Suspendierung des
Verwaltungsaktes und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorzunehmen. Hierbei sind die Interessen abzuwägen, die für oder gegen die Dringlichkeit
der angeordneten sofortigen Vollziehung sprechen. Unter Berücksichtigung von Art. 19
Abs. 4 GG sind dabei die Gesichtspunkte, die für eine sofortige Vollziehung des
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
Verwaltungsaktes sprechen, abzuwägen mit den Nachteilen, die dem Antragsteller im
Falle des Sofortvollzuges drohen.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur
Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Dazu sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO
i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO der durch die einstweilige Anordnung zu schützende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen, d.h. mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit
darzutun (Sachs. OVG, Beschl. v. 06.03.1997 - 4 S 135/97 - DtZ 1997, 235). Nimmt
der Erlass der einstweiligen Anordnung, wie hier, die Hauptsache - wenn auch nur
vorläufig - vorweg, sind an die Prognose der Erfolgsaussichten in der Regel besondere
Anforderungen zu stellen. Denn mit dem Antrag auf einstweilige Anordnung darf
grundsätzlich nicht etwas begehrt oder zugesprochen werden, was als Vorgriff auf den
im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden Anspruch anzusehen ist (Sachs. OVG,
Beschl. v. 10.05.1996 - 2 S 253/96). Die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs
sind im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache nur glaubhaft gemacht, wenn eine sehr
hohe Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens in der Hauptsache besteht (Sachs. OVG Beschl. v. 04.08.1994 - 2 S 231/94). Andererseits muss die Anwendung des § 123
VwGO unter Beachtung der betroffenen Grundrechte und des Erfordernisses des
effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG erfolgen (BVerfG, Beschl. v. 25.07.
1996 - 1 BvR 638/96 - NVwZ 1997, 479). Sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs als offen einzustufen, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (Sachs.
OVG, Beschl. v. 29.06.2000 - 2 BS 169/00). Aber auch dabei müssen grundsätzlich
gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das Rechtsmittel in der Hauptsache erfolgreich sein könnte (vgl. Sachs. OVG, DtZ 1997, 235, 236). Hierbei ist allerdings zu
berücksichtigen, ob auf der Antragstellerseite besonders schützenswerte Rechtspositionen betroffen sind, denen ein Schaden droht, der nicht wieder rückgängig gemacht
werden kann. Aufgrund der hohen Bedeutung der durch die Entscheidung über die
einstweilige Zulassung zur mündlichen Abiturprüfung betroffenen Grundrechte und des
Gebotes der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19
Abs. 4 GG) ist hierbei auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach Möglichkeit
zur Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine eingehende Prüfung der
Sach- und Rechtslage aufgrund der glaubhaft gemachten Tatsachen vorzunehmen (vgl.
BVerfG, Beschl. v. 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 - NVwZ 1997, 479; Sachs. OVG Beschl. v. 30.06.1996 - 2 S 502/96; VG Dresden, Beschl. v. 22.10.1996, 5 K 3139/96).
Ist diese Prüfung nicht möglich oder sind die Erfolgsaussichten des Antragstellers im
Hauptsacheverfahren als offen einzustufen, ist eine Entscheidung aufgrund einer
Folgenabwägung geboten.
Die somit im Rahmen der Anträge nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Alt. 2 und § 123 Abs. 1
Satz 2 VwGO gebotene Prüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs vom 22. Juni
2000 ergibt im vorliegenden Fall, dass die Erfolgsaussichten in Anbetracht der Kürze
der zur Verfügung stehenden Zeit und der Prüfung der vorgelegten Unterlagen und des
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
Vortrags der Beteiligten als offen einzustufen sind. Die unter Berücksichtigung des
Gebotes des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vorzunehmende Folgenabwägung ergibt hier, dass es zur Vermeidung schwerer Nachteile für die Berufsausbildung des Antragstellers geboten ist, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom
22. Juni 2000 wiederherzustellen und den Antragsteller einstweilen zur mündlichen
Abiturprüfung zuzulassen.
Die Regelung in Ziffer 1 des Bescheides vom 19. Juni 2000, die im schriftlichen Abitur 2000 erbrachte Grundkursklausur im Fach Mathematik mit 0 Punkten zu bewerten,
beruht auf § 40 Abs. 1 OAVO. Nach dieser Vorschrift ist ein Teil der Prüfung (hier
Klausur im Grundkurs Mathematik) mit 0 Punkten zu bewerten, wenn ein Prüfungsteilnehmer unerlaubte Hilfsmittel benutzt bzw. bereithält oder auf andere Weise eine
Täuschung oder einen Täuschungsversuch unternimmt. In besonders schweren Fällen
kann der Prüfungsausschuss die gesamte Abiturprüfung des täuschenden Prüfungsteilnehmers für nicht bestanden erklären.
Im vorliegenden Fall hat der Prüfungsausschuss des Gymnasiums Dresden-Plauen mit
der Begründung, dass sich aus den auf Grund fehlender oder unzureichender Lösungswege nicht erklärbaren Übereinstimmungen der Ergebnisse in der Klausur des Antragstellers im Grundkurs Mathematik mit dem vorgegebenen „Erwartungsbild“ für die
Prüfer ergebe, dass der Antragsteller vorab Kenntnis von dem „Erwartungsbild“ gehabt
und daher eine Täuschung begangen habe, die vorgenannte Klausur mit 0 Punkten bewertet und darüber hinaus wegen der Annahme eines besonders schweren Falles der
Täuschung die gesamte Abiturprüfung für nicht bestanden erklärt. Bei der Lösung der
Aufgaben seien logische Widersprüche aufgetreten, die auch durch den Einsatz eines
als Hilfsmittel zugelassenen GTR-Taschenrechners nicht zu erklären seien. Aus den
vorgenannten Regelungen des Bescheides, die für sofort vollziehbar erklärt wurden,
ergibt sich die Beendigung des Prüfungsverfahrens. Für die Erfolgsaussichten des Widerspruchs vom 22. Juni 2000 kommt es daher darauf an, ob sich im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund der vorhandenen Unterlagen hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Täuschung durch den Antragsteller ergeben. Dies
ist trotz der vom Antragsgegner vorgetragenen Anhaltspunkte für das Vorliegen von
Unregelmäßigkeiten unter Berücksichtigung der beim Antragsgegner liegenden Beweislast für die Annahme einer Täuschung und der zu berücksichtigenden Grundsätze
des Anscheinsbeweises (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.02.1984 - 7 B 109.83) nicht der
Fall. Die Frage, ob von einer Täuschung auszugehen ist, kann hier erst im
Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Aus den von dem Erstkorrektor der Arbeit, dem zuständigen Referenten des Kultusministeriums und dem Fachberater Mathematik festgestellten Übereinstimmungen zwischen den Bearbeitungen verschiedener Aufgabenstellungen der Klausur durch den
Antragsteller mit den „Hinweisen für den prüfenden Fachlehrer“ im Grundkurs Mathematik - dem so genannten „Erwartungsbild“ - einerseits und logischen Widersprüchen bei der Lösung der Prüfungsaufgaben andererseits ergibt sich trotz der vom
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
Antragsgegner vorgetragenen Anhaltspunkte für das Vorliegen von
Unregelmäßigkeiten nicht zweifelsfrei, dass der Antragsteller bei der Anfertigung
seiner schriftlichen Prüfungsarbeit Kenntnis von dem „Erwartungsbild“ hatte. Hierbei
ist zu berücksichtigen, dass die Frage, ob eine Täuschung vorlag, gerichtlich voll
nachprüfbar ist, das Gericht sich hierzu, soweit es auf die Beurteilung von
Lösungswegen ankommt, erforderlichenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigen
die nötige Sachkunde verschaffen muss (z. B. bei der Frage, ob es möglich ist,
Programme aus dem Internet auf den GTR-Taschenrechner herunterzuladen und damit
ohne die Aufstellung bestimmter Gleichungen die in der Klausur erreichten Ergebnisse
zu erzielen) und sich nicht ohne die erforderliche eigene Sachkunde auf die Aussagen
der beteiligten Prüfer und Referenten verlassen darf, die im Hauptsacheverfahren als
Zeugen in Betracht kommen. Ein nicht nachprüfbarer Bewertungsspielraum dieser
Fachleute besteht nicht, soweit es um die Frage des Vorliegens einer Täuschung geht.
In diesem Zusammenhang kommt im Eilverfahren der Glaubhaftmachung durch
eidesstattliche Versicherung des Antragstellers, er habe bei Anfertigung der Klausur
keine Kenntnis von dem „Erwartungsbild“ gehabt, besonderes Gewicht zu, weil die im
Bescheid vertretene Auffassung nicht die einzig denkbare bzw. allein wahrscheinliche
Alternative ist. Der Antragsgegner hat bisher auch keine schlüssige Erklärung dafür
geliefert, wie der Antragsteller in den Besitz der amtlichen Lösungsskizze
(„Erwartungsbild“) gekommen sein könnte. Die Klausuren wurden laut
Prüfungsprotokoll am Prüfungstag aus dem versiegelten, unversehrten Umschlag
entnommen. Zur Klärung der Frage, ob entgegen der eidesstattlichen Versicherung des
Antragstellers eine Täuschung vorlag, bedarf es gegebenenfalls einer Beweiserhebung
im Hauptsacheverfahren, erforderlichenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigen.
Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient demgegenüber der einstweiligen
Sicherung von Rechten bei der Gefahr nicht mehr wieder gut zu machender
wesentlicher Nachteile.
Nach dem Ergebnis der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung sind deshalb die Erfolgsaussichten in der
Hauptsache hier als offen anzusehen. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Zunächst war von der Aufgabenstellung her für die Prüflinge vorgegeben, die
„Lösungswege mit Begründungen, Nebenrechnungen und (bei Konstruktionen) Hilfslinien deutlich erkennbar in gut lesbarer Form“ darzustellen.
Im Vorspann des „Erwartungsbildes“ (Hinweise für den prüfenden Fachlehrer) war u.
a. vorgegeben, dass bei der Bewertung die im Vorwort der Handreichung des Sächsischen Staatsinstituts für Bildung und Schulentwicklung „Abiturähnliche Aufgaben zu
Geometrie/Algebra und Stochastik“ (erschienen 1998 - Handreichung) gegebenen
Hinweise zur Lösungsdarstellung bei der Nutzung grafikfähiger Taschenrechner zu berücksichtigen seien. Im „Erwartungsbild“ wird weiter ausgeführt, dass der Erstkorrektor
den Zweit- und Drittkorrektoren als Sachinformation die von den Prüfungsteilnehmern
verwendeten GTR-Typen mitzuteilen habe.
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
Im „Erwartungsbild“ wird unter „Erwartungsbild und Bewertungsmaßstab“ (Hinweise
für den prüfenden Fachlehrer) weiter ausgeführt, dass das Erwartungsbild nur ausgewählte Ergebnisse enthalte. Auf die Angabe von Zwischenergebnissen, Graphen von
Funktionen und Zeichnungen sei im „Erwartungsbild“ verzichtet worden, auch wenn
diese zu bewerten seien.
In den Hinweisen zur Vorbereitung auf die Abiturprüfung 2000 an allgemein bildenden
Gymnasien, Abendgymnasien und Kollegs im Freistaat Sachsen (Az: 35-6615.30/292)
vom 28. Mai 1998 (Ministerialblatt des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus
1998, S. 207, 209 - Hinweise) wird ausgeführt, dass hinsichtlich der Möglichkeiten des
GTR-Einsatzes in der Abiturprüfung 2000 auf die nachstehenden Handreichungen des
Sächsischen Staatsinstituts für Bildung und Schulentwicklung abzustellen sei, die an
den Gymnasien den Freistaates Sachsen vorlägen. In den Hinweisen wird Bezug genommen auf die Handreichungen ,,Abiturähnliche Aufgaben zur Analysis“ (erschienen
1997) und „Abiturähnliche Aufgaben zu Geometrie/Algebra und Stochastik“ (erschienen 1998).
Der Erstkorrektor, der zuständige Referent des Kultusministeriums und der Fachberater
Mathematik gehen bei ihren Feststellungen davon aus, dass die vom Antragsteller bei
einigen Aufgaben in der Klausur gefundenen Ergebnisse, die mit dem
„Erwartungsbild“ übereinstimmen, ohne die Kenntnis des „Erwartungsbildes“ nicht gefunden werden konnten, weil Lösungswege, Gleichungen und Ansätze unvollständig
bzw. nicht zielführend gewesen seien bzw. ganz gefehlt hätten. Dies sei auch nicht mit
dem Einsatz eines GTR-Rechners (Grafikfähiger, programmierbarer Taschenrechner
ohne Computer-Algebra-System) und den dazu erhältlichen Programmen zu erklären.
Der Antragsgegner beruft sich zur Begründung des Täuschungsvorwurfs auf die Bewertung der festgestellten Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten zwischen der Klausurbearbeitung durch den Antragsteller und dem so genannten „Erwartungsbild“. Betroffen sind insoweit insbesondere die Aufgaben A-a, A-c, A-d, A-e, B-a, B-b, B-c,
Dl-b. Bei Würdigung der bisher vorliegenden Unterlagen und Stellungnahmen, steht
nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit fest, dass sich im Hauptsacheverfahren
nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises eine Täuschung des Antragstellers in
der Form ergeben wird, dass er Vorkenntnis von dem „Erwartungsbild“ hatte. Bisher ist
dieser Beweis trotz der auffälligen Übereinstimmungen zwischen Erwartungsbild und
Bearbeitung zur Überzeugung der Kammer nicht erbracht worden.
Der Erstkorrektor hat festgestellt, dass die Klausur des Antragstellers in den gefundenen Ergebnissen eine Vielzahl von Übereinstimmungen mit dem Erwartungsbild aufzeige. Dies sei auffällig, weil die erforderlichen Ansätze fehlten oder falsch seien.
Auch das Konzept enthalte keine Hinweise auf die Gedankengänge des Schülers, die
belegten, wie die Ergebnisse entstanden seien. Bei der Aufgabe A-a seien die Extrempunkte mit einer identischen Dezimalstellenangabe bezeichnet und angegeben worden.
Gleiches treffe für die Wendepunkte zu. Bei der Aufgabe A-c könne der GTR bei dem
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
vom Prüfling gefundenen falschen Ansatz den angegebenen Wert nicht liefern. Bei den
Aufgaben A-d und A-e könne der Schüler Lösungen nur dann erzielen, wenn er die
gegebenen Ansätze schriftlich weiterverarbeite. Bei der Aufgabe A-d hätte der Antragsteller dazu die Werte f (xp) und f (xp) einsetzen müssen. Bei der Aufgabe A-c sei
die Angabe des zu lösenden Gleichungssystems erforderlich gewesen. Beides sei nicht
erfolgt. Bei der Aufgabe B-a müsse der Antragsteller die parameterfreie Ebenengleichung mit einem eigenen Programm im GTR gelöst haben. Ein Hinweis hierauf fehle
jedoch. Lösungsansätze ergäben sich auch nicht aus dem Konzeptpapier (Konzept).
Der Punkt Pa könne nur auf einem schriftlichen Rechenweg berechnet werden oder
durch aufwendiges Probieren. Dies sei nicht ersichtlich. Bei der Aufgabe B-b sei die
Lösung für einen Punkt F gefragt worden. Der Schüler habe in seiner Arbeit ohne erkennbaren Ansatz die Lösungen aller Punkte angegeben. Im Konzept liege nur eine
Skizze vor, die nicht aussagekräftig sei. Ohne Rechnung sei diese Aufgabe jedoch
nicht zu bewältigen gewesen. Bei der Aufgabe B-c sei zur Berechnung des Flächeninhalts weder die benötigte Höhe ha noch die Länge der Strecke AB angegeben. Trotzdem habe der Antragsteller das richtige Ergebnis gefunden. Bei der Aufgabe Dl-b habe
der Schüler ohne klaren Ansatz die Lösung für b gefunden.
Die Lösung der Aufgabe A-a wurde von dem Referenten im Kultusministerium und
dem Fachberater Mathematik im Hinblick auf die Begründung eines Täuschungsvorwurfs nicht mit herangezogen.
Herr Teichmann, der Referent im Kultusministerium, hat als Ergebnis seiner Oberprüfung der fraglichen Mathematikklausur des Antragstellers festgehalten, dass sieben
Auffälligkeiten vorlägen, die nur durch Kenntnis der entsprechenden Auszüge aus dem
Erwartungsbild vor dem schriftlichen Fixieren der Lösungswege erklärbar seien. Im
übrigen befinde sich an keiner der fraglichen Stellen ein Hinweis auf einen evtl. GTREinsatz. Beim Lösungsversuch zur Aufgabe A-c herrsche ein logischer Widerspruch
zwischen falschem Ansatz für den Flächeninhalt und dem - erwartungsbildgerechten Ergebnis. Beim Lösungsversuch zu Aufgabe A-d erscheine trotz lückenhaften Ansatzes
und fehlenden Rechenweges in der Reinschrift das - erwartungsbildgerechte - Ergebnis. Beim Lösungsversuch zu Aufgabe A-e erscheine trotz fehlender 1. Ableitung
das - erwartungsbildgerechte - Ergebnis. Beim Lösungsversuch zu Aufgabe B-a erscheine trotz fehlenden Ansatzes für die parameterfreie Ebenengleichung das - erwartungsbildgerechte - Ergebnis. Der - erwartungsbildgerechte - Parameterwert liege trotz
eines nicht zutreffenden Ansatzes vor. Bei der Aufgabe B-b erschienen ohne Ansatz
und Rechenweg nicht nur die - erwartungsbildgerechten - Koordinaten eines gesuchten
Punktes F, sondern noch drei weitere mögliche Lösungen (sogar noch in der gleichen
Anordnung wie im Erwartungsbild). Beim Lösungsversuch zur Aufgabe B-c erscheine
trotz fehlenden Ansatzes für den Flächeninhalt des Parallelogramms das - erwartungsbildgerechte - Ergebnis. Beim Lösungsversuch zu Aufgabe Dl-b erscheine trotz unklaren Vorgehens für den Parameterwert das - erwartungsbildgerechte - Ergebnis.
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
Herr Dr. Heinrich, der vom Regionalschulamt hinzugezogene Fachberater Mathematik,
stellte bei der Durchsicht der Arbeit des Antragstellers verschiedene Auffälligkeiten
fest. Er kam dabei zu dem Schluss, diese Auffälligkeiten ließen sich nur dadurch erklären, dass der Schüler vor der Anfertigung der Arbeit das „Erwartungsbild“ zumindest
teilweise gekannt habe oder dass das „Erwartungsbild“ dem Schüler während der Arbeit
zur Verfügung gestanden habe. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
auszuschließen, dass ein Schüler, der die Lösungswege nicht kenne, 7 Ergebnisse richtig erraten könne. Die Kenntnis des Erwartungsbildes sei daher die einzig mögliche
Erklärung. Bei der Aufgabe A-c sei ein Ansatz für den zu berechnenden Flächeninhalt
gewählt worden, der nicht zum Ziel fuhren könne. Trotzdem sei der Antragsteller zum
richtigen Ergebnis gelangt und habe dieses genau in der im Erwartungsbild genannten
Form aufgeschrieben. Der Hinweis des Antragstellers auf den Einsatz des GTR sei
nicht nachvollziehbar, weil sich beim niedergeschriebenen Rechenweg (Ansatz) des
Schülers unter Einsatz des GTR eine andere Lösung ergeben müsste.
Bei der Aufgabe A-d habe der Antragsteller zunächst die Zielfunktion in nicht spezifizierter Form aufgestellt. Dann sei die 1. Ableitung falsch gebildet worden. Folglich
habe bei Beschreiten dieses Weges nicht das im Erwartungsbild ausgewiesene richtige
Ergebnis für Extremstelle und Extremwert ermittelt werden können. Aus dem Konzept
werde eindeutig sichtbar, dass der Schüler die Aufgabe aufgrund mehrerer Rechenfehler nicht gelöst habe. Er habe im Konzept eine falsche Gleichung ermittelt, diese gelöst
und dann ohne vernünftigen Grund wieder durchgestrichen. In der Reinschrift seien
dann ausschließlich die Ergebnisse lt. „Erwartungsbild“ angegeben worden. Es sei generell möglich eine Extremwertaufgabe mit GTR zu lösen, allerdings müsse dann eine
richtige Gleichung der Zielfunktion gefunden werden. Hieran habe es jedoch gefehlt.
In der Aufgabe A-e seien zwei eindeutig bestimmte Parameter zu ermitteln gewesen.
Es sei mathematisch nicht möglich, aus nur einer linearen Gleichung zwei Lösungen
zu ermitteln. Der Schüler habe nur eine Gleichung gefunden und diese zutreffend vereinfacht. Eine zweite Gleichung habe er nicht gesucht. Der Antragsteller habe sodann
die richtigen Ergebnisse der ersten Gleichung wieder durchgestrichen und die im
„Erwartungsbild“ vorgegebenen Lösungen aufgeschrieben. Deren Ermittlung sei jedoch ohne die Aufstellung einer zweiten Gleichung nicht möglich. In Aufgabe B-a seien der richtige Wert des Parameters a und die richtigen Koordinaten des Punktes P angegeben worden, obwohl der Ansatz falsch gewesen sei. Es existierten zwar in der
Literatur und im Internet Programme, die die Lösung ermöglichten, allerdings gebe
keines dieser Programme den Parameter a an, da dieser nur intern verwendet werde
und bei der Nutzung der Punktkoordinaten den Nutzer nicht interessiere. In der Aufgabe
B-b seien die Koordinaten eines Punktes F zu bestimmen gewesen. Da es hierfür
prinzipiell 4 Lösungen gebe und der Rechenaufwand zur Ermittlung aller 4 Punkte erheblich sei, seien alle Punkte im Erwartungsbild vorgegeben gewesen, jedoch sei von
den Schülern nur die Angabe einer Lösung verlangt worden. Der Antragsteller habe
ohne jeglichen Rechenweg alle 4 Punkte zutreffend angegeben. In der Aufgabe B-c
habe der Schüler trotz fehlenden Ansatzes den richtigen Flächeninhalt ermittelt. In
Aufgabe Dl-b sei der Flächeninhalt falsch ermittelt worden. Ohne die richtige
Ermittlung
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
10
dieses Zwischenergebnisses könne jedoch der Parameter b nicht ermittelt werden. Der
Schüler sei trotz falschen Zwischenergebnisses und ohne erkennbaren Lösungsweg zur
richtigen Lösung gelangt.
Trotz dieser Auffälligkeiten und der Weglassung von Lösungswegen, die nach der
Aufgabenstellung zur Lösung gehörten und zu bewerten waren, ist im vorliegenden
Eilverfahren angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und der
Glaubhaftmachung durch den Antragsteller, er habe nicht getäuscht, mittels einer
eidesstattlichen Versicherung, nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Strafbarkeit
der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung, mit der gebotenen Sicherheit
eine Täuschung nicht feststellbar. Ob entgegen der eidesstattlichen Versicherung eine
Täuschung vorlag, wird erst im Hauptsacheverfahren unter Berücksichtigung der
Aussagen des Antragstellers in der Anhörung und in der eidesstattlichen Versicherung
und unter Klärung der konkreten Einsatzmöglichkeiten des GTR-Rechners zu klären
sein, wo gegebenenfalls eine ausführliche Beweisaufnahme erfolgen kann.
Der Vortrag des Antragstellers, er habe mit seinem programmierbaren Taschenrechner
im wesentlichen die Ergebnisse ermittelt, ist danach gegenwärtig mangels eigener
Sachkenntnis des Gerichts nicht voll nachprüfbar, so dass der Ausgang der Hauptsache
als offen einzuschätzen ist. Einerseits sind im Fach Mathematik individuelle Lösungen
zu erarbeiten, die Zweifel an der Lösbarkeit allein mit dem GTR-Rechner bzw. ohne
erkennbare Lösungswege durch einen Grundkursteilnehmer mit Vornoten zwischen
„befriedigend“ und „ausreichend“ aufkommen lassen. Andererseits muss der Vortrag
des Antragstellers gewichtet werden, der durch eine eidesstattliche Versicherung, die
Arbeit nicht in Kenntnis des „Erwartungsbildes“ gefertigt zu haben, untermauert worden ist. Ob der Antragsteller einen solchen Taschenrechner benutzt hat, ob es die von
ihm geschilderten Programme gibt und ob er die Sachkunde besitzt, diese anzuwenden,
wird gegebenenfalls erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden können. Der Antragsgegner hat im Eilverfahren die Einsatz- und Programmierungsmöglichkeiten des
GTR-Rechners und dessen Verwendungsmöglichkeiten in der Prüfung bisher nicht in
nachvollziehbarer Weise erläutert. Trotz der Vorgaben im Erwartungsbild hat der Antragsgegner offensichtlich keine Feststellungen darüber getroffen, welche GTRRechner in der Prüfung zum Einsatz gekommen sind. Dass der Antragsteller den GTREinsatz bei der Lösung der Aufgaben nicht kenntlich gemacht hat, belegt noch nicht,
dass er keinen GTR-Rechner benutzt hat.
Der Antragsteller hat seinen Einsatz des GTR-Rechners bisher abstrakt beschrieben,
eine Nachprüfung ist derzeit nicht möglich. Der Antragsteller hat vorgetragen, dass es
möglich sei, in der Aufgabe A-c mit dem Taschenrechner sowohl die Fläche der Funktion als auch die Fläche der Tangente, die mit der x-Achse eingeschlossen werde, graphisch darstellen zu lassen. Der Flächeninhalt werde dann vom Taschenrechner ausgegeben. Durch Subtraktion der beiden Flächen voneinander werde sodann der eingeschlossene Flächeninhalt ausgegeben. Zur Lösung der Aufgabe A-d habe der Antragsteller, nachdem seine schriftliche Lösung der Extremwertaufgabe auf dem
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
11
Konzeptpapier fehlgeschlagen sei, ein spezielles Extremwertberechnungsprogramm für
Dreiecke im Grafikmenü seines Taschenrechners vollzogen. Diese Art von
Programmen sei erhältlich für alle denkbaren Körper- und Flächenformen. Damit sei
der Umgang mit zweidimensionalen und auch dreidimensionalen Koordinatensystemen
möglich. Quelle sei das Internet, wo „alle nur denkbaren Programme kostenfrei
heruntergeladen“ werden könnten. Die Aufgabe A-e sei ebenfalls mit einem
Taschenrechnerprogramm zu lösen. Der Antragsteller hat eidesstattlich versichert, er
habe die Integralbestimmungen im Grafikmenü benutzt und sei somit zur richtigen
Lösung gekommen. Nicht bei jeder Aufgabe sei ein Lösungsweg gefordert gewesen.
Bei der Aufgabe B-a seien für die Ermittlung des Parameters a und der zutreffenden
Koordinaten des Punktes P unter Zuhilfenahme eines speziellen Programms nur die
Angabe der Parametergleichungen der Ebene D nötig gewesen. In der eidesstattlichen
Versicherung hat der Antragsteller hierzu angegeben, mit Hilfsprogrammen ließen sich
die geforderten Gleichungen ohne entsprechende Rechenwege mit sämtlichen
Parametern aufzeigen. Bei der Aufgabe B-b habe der Antragsteller wiederum Gebrauch
von einem speziellen Taschenrechnerprogramm gemacht.
Sonderberechnungsprogramme gebe es für alle möglichen Körper- und Flächenformen
im Internet. Hier sei ein Programm zur Berechnung von Trapezen zum Einsatz
gekommen. Erforderlich sei lediglich die Angabe dreier Eckpunkte sowie der
Eigenschaften der Seiten gewesen. Die Aufgabe B-c könnte unter Zuhilfenahme
verschiedener Programme gelöst werden, die die Darstellung eines Ansatzes entbehrlich machten. Bei der Lösung der Aufgabe Dl-b sei dem Antragsteller vermutlich ein
Tippfehler unterlaufen. Deshalb sei vermutlich ein falsches Ergebnis ausgeworfen
worden. Der Ansatz sei jedoch seiner Auffassung nach zutreffend gewesen. Die Abweichung liege in einem marginalen Bereich. Durch die nochmalige Berechnung der
Fläche im Grafikmenü habe der Antragsteller diese dann richtig ermittelt. Mit Hilfe eines grafischen Taschenrechnerdisplays sei eine Augenmaßeinschätzung vorgenommen
worden. Nach Einfügung einer Linie im grafischen Display könne der Rechner den
Flächeninhalt automatisch ermitteln. Durch die Methode „trial and error“ habe der
Antragsteller die Hälfte der ermittelten Fläche festgestellt und so den geforderten Wert
auf der x-Achse ermitteln können. Sämtliche genannten Operationen könnten mit dem
Taschenrechner des Antragstellers durch den Antragsteller vorgeführt werden. Der
Antragsteller hat in der eidesstattlichen Versicherung ausgeführt, dass der Taschenrechner Lösungswege vollzogen habe, die aus Zeitgründen auf dem Papier nicht wiedergegeben worden seien. Im übrigen seien bei der Lösung der Extremwertaufgaben
spezielle Extremwertprogramme benutzt worden. Dass der graphische Taschenrechner
bei falschem Ansatz nicht den richtigen Wert liefern könne treffe nur im „Run-Menü“
zu, nicht jedoch in dem von ihm benutzten „Grafik-Menü“. Letzteres hat der Antragsteller eidesstattlich versichert. Die aus dem Internet heruntergeladenen Programme
habe der Antragsteller vor der Klausur über eine Kabelverbindung in den Taschenrechner eingespeist. Der Antragsteller hat zum Beleg der Möglichkeiten, für seinen
GTR-Rechner Casio CFX-9850G Programme aus dem Internet herunterladen zu können, drei Kopien beigefügt, die Auskunft über den Internetzugang geben.
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
12
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass sich aus den geschilderten Auffälligkeiten
ein Anscheinsbeweis dafür ergebe, dass der Antragsteller bei der Erstellung der Klausur
zumindest teilweise das „Erwartungsbild“ gekannt habe. Ein atypischer Geschehensablauf, der den Anscheinsbeweis entkräften könnte, liege nicht vor.
Ob eine Täuschung vorlag, kann indes trotz der durch den Antragsgegner aufgezeigten
Ungereimtheiten nicht in der Weise beurteilt werden, dass der Verwaltungsakt vom 19.
Juni 2000 als offensichtlich rechtmäßig eingeschätzt werden könnte. Es kann nicht abschließend geklärt werden, ob der Antragsteller in der Lage war, im Kopf oder mit dem
GTR-Rechner die Aufgaben zu lösen. Eine Täuschung durch Verwendung der internen
Lösungshinweise ist derzeit mit der zur Führung eines Anscheinsbeweises erforderlichen Eindeutigkeit hinsichtlich des Geschehensablaufs nicht dargetan. Ob es möglich
ist, dass der Antragsteller (teilweise) von einem Mitprüfling abgeschrieben haben
könnte, kann derzeit u. a. deswegen nicht beurteilt werden, weil die Klausuren der
Mitprüflinge der Kammer nicht vorliegen. Im Falle einer derartigen Täuschung würden
im übrigen ernsthafte Zweifel an der zu treffenden Ermessensausübung im Rahmen
des § 40 Abs. 2 OAVO bestehen (vgl. Sachs. OVG, Beschl. v. 29.06.2000 - 2 BS
169/0).
Die somit vorzunehmende Güterabwägung ergibt hinsichtlich der Zulassung zur mündlichen Abiturprüfung im 4. Prüfungsfach, dass angesichts des Gebotes des effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und des betroffenen Grundrechts der Berufsausbildungsfreiheit (Art. 12 GG) der Antragsteller vorläufig zur mündlichen Prüfung zuzulassen ist, weil die Nichtzulassung mit einer einjährigen Ausbildungsverzögerung
und somit mit schweren Nachteilen für das berufliche Fortkommen des Antragstellers
verbunden wäre, die im Falle des Obsiegens in der Hauptsache nicht mehr rückgängig
gemacht werden könnten, während die vorläufige Zulassung zur mündlichen Abiturprüfung im Falle des Unterliegens des Antragstellers in der Hauptsache rückgängig
gemacht wird. Der Antragsteller wird nur vorläufig zur Abiturprüfung zugelassen und
erhält nach Bewertung sämtlicher Abiturprüfungen auch nur ein vorläufiges Abiturzeugnis. Auch die Erteilung dieses Zeugnisses kann nicht zu irreparablen Zuständen
fuhren. Die Teilnahme an der Abiturprüfung erfolgt auf eigenes Risiko des Antragstellers (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.07.1996 - 1 BvR 638/96 - DVB1. 1996, 1367; Sachs.
OVG, Beschl. v. 29.06.2000 - 2 BS 169/00).
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der besonderen Eilbedürftigkeit. Die Beendigung
der Abiturprüfungen steht unmittelbar bevor.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 1, § 20 Abs. 3 und § 13 Abs. 1
Satz 2 GKG. Da es sich hierbei um einen einheitlichen Lebenssachverhalt handelte, auf
den sich die Eilanträge beziehen, ist insgesamt nur ein Streitwert festzusetzen (vgl.
Sachs. OVG, Beschl. v. 29.06.2000 - 2 BS 169/00).
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
forum-bildungsrecht.de
VG Dresden, Beschl. v. 5.7.2000 – 5 K 1573/00
13
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss (Ziffern II. bis IV.) können die Beteiligten Antrag auf Zulassung der Beschwerde durch das Sächsische Oberverwaltungsgericht stellen. Der Antrag
ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Verwaltungsgericht Dresden, Blüherstraße 4, 01069 Dresden, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu stellen. Der Antrag muss den angegriffenen Beschluss bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe darzulegen, aus denen
die Beschwerde zuzulassen ist.
Für das Antragsverfahren besteht Vertretungszwang. Jeder Beteiligte muss sich danach
durch einen Rechtsanwalt oder durch einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule
als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts
und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum
Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwerts (Ziffer V.) ist die Beschwerde an das
Sächsische Oberverwaltungsgericht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 100,- DM übersteigt. Sie ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder sich das Verfahren anderweitig
erledigt hat, beim Verwaltungsgericht Dresden; Blüherstraße 4, 01069 Dresden,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
C.
Rechtsanwalt Dr. Christian Birnbaum, Köln
Dr. J.
S.
forum-bildungsrecht.de