Mutprobe in der Jobkrise - Peiniger Personalberatung GmbH
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Mutprobe in der Jobkrise - Peiniger Personalberatung GmbH
DEUTSCHLAND Mutprobe in der Jobkrise Millionen Deutsche bangen um ihre Existenz. Keiner weiß, wie schlimm es in den nächsten Monaten noch wird. Doch die Lage auf dem Arbeitsmarkt bietet auch Chancen. Experten verraten Strategien gegen die Angst 3,55 Mio. Arbeitslose Im Februar Hunderttausende Kurzarbeiter 200 780 Die Krise trifft sie alle. Die sechs größten Unternehmen Deutschlands versuchen dennoch, ihre Mitarbeiter mit Hilfe des Staates zu halten. 4600 Kurzarbeiter Bis April plant der Konzern 7400. 61 000 Volkswagen Kurzarbeiter Die Kurzarbeit war auf fünf Tage im Februar beschränkt. 50 000 Kurzarbeiter 17 000 Quellen: Bundesagentur für Arbeit, FOCUS-Recherche Die aktuelle Regelung läuft bis Ende März. Kurzarbeiter Das sind im Februar 2000 mehr als im Januar. etwa 20 000 Kurzarbeiter Ob die geplante Zahl erreicht wird, ist noch offen. 7000 Kurzarbeiter 24 939 1/08 Beschäftigte in Kurzarbeit 2/08 3/08 4/08 5/08 6/08 7/08 8/08 9/08 10/08 11/08 12/08 EXPLOSION Von Januar auf Februar 2009 hat sich die Zahl der angemeldeten Kurzarbeiter auf etwa 600 000 verdoppelt. Diese Zahl drückt nicht aus, wie viele tatsächlich kurzarbeiten 20 lötzlich war er da. Dieser Brief, der alles verändert. Die paar Zeilen, die Angst machen und das Gefühl auslösen, nicht mehr gebraucht zu werden. Carsten Spratte fand seine Kündigung in der Post, ausgerechnet zu Weihnachten. Als Erstes war da die Enttäuschung, vom Arbeitgeber mal eben aussortiert zu werden, sagt er. Der Düsseldorfer Vertriebs- und Marketingexperte hatte immer viel gearbeitet. Nun ging es der Firma schlechter. „Aber sie stand nicht kurz vor dem Bankrott. Die ehrgeizigen Gewinnziele waren nur schwerer zu erreichen.“ Nach der Enttäuschung kam die Sorge um die Zukunft. Spratte las jeden Tag in den Zeitungen, welche Unternehmen Beschäftigte entlassen wollen und dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt immer kritischer wird: „Bei all dem Krisengerede hatte ich die Extremvision im Kopf, dass gar nichts kommt.“ Und das mit 39 Jahren. Nur zwei Monate nach dem Kündigungsschock sitzt Spratte erstaunlich entspannt in seiner Düsseldorfer Wohnung. Er hat noch keinen neuen Job, aber die Angst ist weitgehend weg. Selbstbewusst und auch ein bisschen stolz erzählt er, wie er mit der Krise umgegangen ist. Einen „Generalangriff“ nennt er das. Er hat zum Beispiel eine Annonce in der Zeitung geschaltet: „Die Resonanz war groß.“ Plötzlich war sein Ehrgeiz wieder da. Bewusst stellte er sich der neuen Situation: „Ich war gespannt, was kommt.“ Jetzt hat er eine neue Stelle in Aussicht. Sein Zugeständnis in der Krise: geringeres Festgehalt, höherer Anteil von Provisionen. Der Mann mit den Stoppelhaaren ist ein Gesicht der Krise. Millionen Deutsche müssen wieder um ihre Jobs zittern, Hunderttausende werden ihn noch dieses Jahr verlieren. Knapp ein Drittel aller Unternehmen will Personal abbauen. Opel, Schaeffler, Schiesser, Märklin: Namhafte Traditionsfirmen taumeln oder brechen gerade zusammen. Für die schlechten Nachrichten ist wieder Frank-Jürgen Weise zuständig, Chef der Bundesagentur für Arbeit. Als es in den vergangenen Jahren auf dem Arbeitsmarkt besser lief, riet ihm seine Frau noch: Er solle doch auch mal lächeln, wenn er die Zahlen verkündet. Dazu besteht derzeit kein Anlass. Am vorigen Donnerstag meldete Weise: 3,55 Millionen Arbeitslose im Februar, 63 000 mehr in einem Monat. Keiner FFOCUS OCUS 10/2009 10/2009 Foto: O. Schmauch/FOCUS-Magazin P REZESSION Der Neustarter Carsten Spratte, 39, Marketingexperte D en Schock der Kündigung bekämpfte der Düsseldorfer nach einem ersten Durchhänger in der Weihnachtszeit mit Adrenalin. Er schaltete eine Zeitungsannonce und wandte sich an Personalberater. Spratte glaubt fest: „Wenn man sich reinhängt, kann man selbst in diesen Zeiten etwas finden. Natürlich spielen auch Aus- bildung und Berufserfahrung eine Rolle.“ Er hat über die Jahre aber auch beobachtet, dass das Berufsleben rauer geworden ist. Einer seiner früheren Arbeitgeber habe sich „von einer klassischen sozial orientierten deutschen Firma zu einem Unternehmen gewandelt, das sich mittlerweile knallhart am Aktienkurs orientiert“. ZU NEUEN UFERN Trotz Kündigung schaut Carsten Spratte optimistisch in die Zukunft: Eine neue Arbeitsstelle hat er schon anvisiert 21 Die Durchhalterin Melanie Nitz, 25, Zeitarbeiterin in Kurzarbeit M anchmal hilft Sitzenbleiben. Wie Melanie Nitz 2007 bei einer Info-Veranstaltung der Zeitarbeitsfirma Adecco in Köln. Als alle anderen gingen, blieb sie. Bis heute. „Ich war es satt, nach Hause geschickt zu werden.“ Ohne Job, verkündete die weiß, wie es weitergeht. Selbst Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) traut keiner Prognose mehr und kann die Gefühlslage vieler Arbeitnehmer verstehen: „Die Daten der Weltwirtschaft müssen alle besorgt machen“ (siehe Seite 36). Jochen Wagner* hat Angst. „Im März kann es schon wieder vorbei sein.“ Seit einem Jahr arbeitet der Berliner bei einem Medienunternehmen. Bei Vertragsabschluss war noch von Expansion die Rede. Nun stürzen die Werbeeinnahmen ab, kursieren Gerüchte über einen Verkauf der Firma. Der Multimedia-Fachmann rechnet schon durch, wie es nach einer Kündigung mit ihm, seiner Frau und den beiden Kindern weitergeht: „Wir müssten uns als Erstes wohl eine billigere Wohnung suchen.“ Sein momentanes Lebensgefühl: „Ich fühle mich wie auf einem Schleudersitz.“ Mit dem Job gerät für viele das Fundament ins Wanken. Wer seinen Lebensinhalt, seine Identität stark an Karriere und Einkommen gekoppelt hat, schlittert möglicherweise zusätzlich in eine 22 *Schutzname persönliche Krise. „Wenn jetzt die Familie nicht mitspielt und auch noch Druck aus dem Privatleben kommt, kann die Angst schon existenzbedrohend sein“, sagt Gerald Hüther, Hirnforscher an der Universität Göttingen. Der Wissenschaftler ergründet seit Jahren die Mechanismen von Stress und Angst. Allerdings schützen Persönlichkeitsmerkmale wie Souveränität und Unabhängigkeit davor, diese Angst überhaupt zu spüren. Wer fest verankert ist in einer Partnerschaft, Familie oder in Freundschaften, dem können die Bedrohungen wenig anhaben (siehe Interview Seite 30). Bloß keine Panik. Hinter den täglichen Schreckensnachrichten verbergen sich durchaus Chancen. Immer noch sind hierzulande etwa eine Million Stellen unbesetzt. Zahlreiche Branchen suchen weiterhin Fachkräfte. Und es gibt etliche Strategien in der Krise: Wie sichere ich meinen Job, oder wie qualifiziere ich mich am besten für eine neue Tätigkeit? Die richtige Einstellung zur Anstellung ist jetzt wichtiger denn je. Arbeits- und Wirtschaftspsychologe Christian Dor- mann von der Uni Mainz hat herausgefunden, dass Jobangst zunächst einmal Kräfte freisetzt. „Jeder will bei seinem Chef Eindruck schinden, verdoppelt oder verdreifacht sein Arbeitspensum“, so das Ergebnis seiner Befragungen. Hyperaktivität schadet allerdings nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Glaubwürdigkeit. Arnd Schumacher, Chef einer Berliner Zeitarbeitsfirma, wird misstrauisch, wenn sich Dauerdynamiker plötzlich andienen: „Wenn jemand überdreht, ist das immer verdächtig. Sagt mir einer: ‚Ich mache alles‘, dann ist das schon der Weg zum Scheitern.“ Viel lieber sind Schumacher Leute mit genau definierten Zielen. „Es gibt welche, die erzählen ausführlich, was sie schon alles gemacht haben. Denen sage ich immer: ,Erzählen Sie mir lieber, was Sie in der Zukunft tun wollen.‘“ Die beste Strategie, da sind sich die Experten einig, heißt: Ohne mich geht es nicht. Wer sich neue Kompetenzen und Aufgaben sucht, macht sich unentbehrlich. Solche Mitarbeiter erkennt Volkmar Wenzel, Personalchef der MedienFOCUS 10/2009 Fotos: O.Schmauch, M. Priske/beide FOCUS-Magazin, dpa zierliche Blondine, rühre sie sich nicht vom Fleck. Hauptschule ohne Abschluss, Aushilfe in Discos und Boutiquen, zu Hause eine kleine Tochter – so ging es nicht weiter. Nitz’ Motivation beeindruckte Niederlassungsleiter Stefan Umari. Er setzte sie erst in den Ford-Werken ein, danach im AdeccoBüro. Für Nitz ging’s aufwärts. Dann kam die Krise. Umari hatte für 600 Ford-Zeitkräfte keine Arbeit mehr, auch nicht für Nitz. Jetzt ist sie eine von 250 Adecco-Kurzarbeitern und nutzt die Zeit für eine Computerschulung. „Ich will und kann mich nicht hängenlassen.“ Scheich der Job-Nomaden Arndt Rubart, 41, Interimsmanager Unterschiedliche Gemütslage Û<a]Oajlk[`Y^lkcjak]& & & Aussagen in Prozent E in Zeitarbeiter de luxe auf eigene Rechnung ist Arndt Rubart. Er selbst nennt sich „Interimsmanager“, und seinen Job beschreibt er so: „In erster Linie sorge ich dafür, .. . dauert lngerÒ 82 keine Angaben 2 .. . wird in diesem Jahr berwundenÒ dass ich mich selbst anbiete und verkaufe.“ Und zwar für das Anpa- cken von Problemen in Unternehmen: sinkende Produktivität etwa oder hoher Krankenstand. Nach 14 Jahren in festen Stellen hatte der frühere Berufsschullehrer das Angestelltendasein satt und wurde zum selbstständigen Job-Hopper. Seit Januar hat er nichts. Aber die Krise macht ihm keine Angst: „Ich bin Pausen zwischen meinen Projekten gewöhnt. Dann knüpfe ich Kontakte. Wenn Sie durch die Weltgeschichte laufen und an sich zweifeln, dann strahlen Sie das auch aus. Damit beeindrucken Sie keinen.“ 16 OPTIMISTEN IN UNTERZAHL Viele Deutsche sind verunsichert und stellen sich mental auf eine Dauerkrise ein Bauwirtschaft Dienstleistungssektor Angestellte ffentl. Dienst Quellen: Politbarometer, Allensbacher Umfrage ÛKhj]fKa]afA`j]eMfl]jf]`e]fZ]j]alk 9mkoajcmf_]f\]jCjak]7Ê Automobilher76 % steller, -zulieferer Maschinenbau 59 % 30 % 25 % 9% GETEILTES LAND Je nach Branche fühlen sich Deutsche unterschiedlich betroffen, am wenigsten im öffentlichen Dienst anstalt Berlin-Brandenburg, daran, wie sie mit Konflikten umgehen. „Sie müssen gelernt haben, auch in negativen Dingen das Positive zu sehen, sich selber zu überwinden.“ Auch die meisten Künstler hätten, so Wenzel, „ihre größten Werke in einer Krise geschaffen“. Gute Mitarbeiter werden selbst in schlechten Zeiten gefördert. Wen ein Unternehmen unbedingt halten will, den bringt es jetzt mit einem Coaching in noch bessere Form. Im letzten Quartal 2008 stiegen solche Anfragen bei der Düsseldorfer Personalberatung von Rundstedt HR Partners um 116 Prozent. BOTE SCHLECHTER NACHRICHTEN Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, FrankJürgen Weise muss nach dem Spitzenjahr 2008 wieder steigende Arbeitslosenzahlen melden Häufiger Wunsch: Wie motiviert ein Abteilungsleiter sein völlig verunsichertes Team? „Man muss vor allem den Leistungsträgern zeigen, dass sie geschätzt werden“, empfiehlt die geschäftsführende Gesellschafterin Sophia von Rundstedt. Wenn Gehaltserhöhungen nicht drin sind, gilt es Lob oder Verantwortung zu verteilen. Die Agentur berät ebenso Manager mit Existenzängsten. Denn auch Leistungsträger sind nicht vor Hysterie gefeit. „Hochqualifizierte Leute, die beste Chancen haben, schnell wieder eine Stelle zu finden, haben seltsamerweise die größte Angst – selbst wenn ihr Job gar nicht konkret bedroht ist“, beobachtet Gabriele Arntz, Personalcoach in München. Ihre Erklärung: Wer bisher nur den Weg nach oben kannte, dem erscheint ein Karriereknick viel bedrohlicher als jenem, der nach einem Sturz schon mal aufstehen musste. Wen es erwischt hat, dem können die Personalberater von Rundstedt ebenfalls helfen. Ihre Experten justieren für hochqualifizierte Arbeitnehmer den Jobkompass neu. Die Kosten der Beratung von Abteilungsleitern und Bankern übernimmt im Normalfall der ehemalige Arbeitgeber. „Outplacement“ heißen solche Dienstleistungen, und sie nehmen rapide zu. „In den letzten drei Monaten 2008 hatten wir 18 Prozent mehr Aufträge für Führungskräfte, die sich neu orientieren mussten“, bestätigt von Rundstedt. „Bei Fachkräften waren es sogar 45 Prozent mehr.“ Rundstedt und ihre Mitarbeiter analysieren auch die Arbeitsmarktchancen von Einkäufern und Buchhaltern und versuchen, sie zu verbessern: Wer etwa jahrelang 23 Land- und Forstwirtschaft Dienstleistungen haben mehr Zukunft Anteile der Erwerbstätigen in den Sektoren 1,3 0,6 2,3 1,0 15,5 21,7 % warenproduzierendes Gewerbe 26,2 % 19,6 5,6 5,6 14,1 ¥ Landwirtschaft und Jagd ¥ Forstwirtschaft ¥ Fischerei und Fischzucht Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden (Auswahl) ¥ Kohlenbergbau, Torfgewinnung ¥ Gewinnung von Erdl und Erdgas ¥ Erzbergbau verarbeitendes Gewerbe (Auswahl) ¥ Ernhrungsgewerbe ¥ Holzgewerbe (ohne Herstellung von Mbeln) ¥ Verlagsgewerbe, Druckgewerbe, Vervielfltigung von Datentrgern ¥ Kokerei, Minerallverarbeitung, Herstellung und Verarbeitung von Spaltund Brutstoffen ¥ Herstellung von chemischen Erzeugnissen ¥ Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren ¥ Metallerzeugung und -bearbeitung ¥ Herstellung von Metallerzeugnissen ¥ Maschinenbau ¥ Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen ¥ sonstiger Fahrzeugbau ¥ Energieversorgung ¥ Wasserversorgung Die Top Ten der Stellenangebote Bei insgesamt 506 000* offenen Stellen wurden im Februar vor allem folgende Fachkräfte gesucht Verkufer, Warenkaufleute Altenpfleger, Sozialarbeiter, Erzieherinnen 22 000 20 000 Elektriker 19 000 Krankenschwestern, Sprechstundenhilfen, Masseure Brofachkrfte Werbe- u. a. Dienstleistungskaufleute Kellner, Gastwirte Datenverarbeitungsfachleute 18 000 17 000 15 000 13 000 11 000 Ingenieure 10 000 Installateure 10 000 DER VORTEIL Mitten in der Krise suchen Firmen weiter Beschäftigte. Der Nachteil: Viele der unbesetzten Jobs liegen im Niedriglohnsektor Quelle: Bundesagentur für Arbeit * Die Zahl bezieht sich auf die bei der Bundesagentur gemeldeten Stellen. Sie erfasst nicht alle Jobs. Baugewerbe 15,3 5,7 5,7 4,6 5,6 2,4 Gastgewerbe Verkehr und Nachrichtenbermittlung ¥ Landverkehr, Transport in Rohrfernleitungen ¥ Schifffahrt ¥ Luftfahrt ¥ Hilfs- und Nebenttigkeiten fr den Verkehr, Verkehrsvermittlung ¥ Nachrichtenbermittlung INGENIEURMANGEL Auch in Zeiten von Kurzarbeit, Zwangsurlaub und Stellenabbau fehlen in manchen Branchen weiter Fachkräfte Kredit- und Versicherungsgewerbe 3,1 unternehmensbezogene Dienstleistungen ¥ Grundstcks- und Wohnungswesen ¥ Vermietung beweglicher Sachen ohne Bedienungspersonal ¥ Datenverarbeitung und Datenbanken ¥ Forschung und Entwicklung ¥ wirtschaftliche Dienstleistungen 13,0 77,0 % Dienstleistungen 71,5 % 19,2 Handel u.a. ¥ Kraftfahrzeughandel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen, Tankstellen ¥ Handelsvermittlung und Gro§handel (ohne Handel mit Kraftfahrzeugen) ¥ Einzelhandel, Reparatur von Gebrauchsgtern Deutschland und seine Rezessionen 1175 Rezessionszeitraum 6,8 4,0 5,1 616 ffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung Erziehung und Unterricht 470 5,9 Abweichungen zu 100Prozent sind rundungsbedingt. 870 12,3 Gesundheits-, Veterinr- und Sozialwesen 6,5 sonst. Dienstleistungen (Auswahl) ¥ Abwasser- und Abfallbeseitigung und sonstige Entsorgung ¥ Interessenvertretungen sowie kirchliche und sonstige Vereinigungen ¥ Kultur, Sport und Unterhaltung 1,7 1,8 private Haushalte mit Hauspersonal 2005 2025 Stellenabbau in Tsd. 230 10,3 5,3 1973 76 80 83 92 93 95 97 02 04 UNSCHÖNE ERINNERUNG Den massivsten Stellenabbau erlebten die Deutschen zwischen Ende 1973 und Anfang 1976. 1 175 000 Beschäftigte verloren damals ihren Job Quelle: Deloitte SCHLECHTE PROGNOSE für das verarbeitende Gewerbe. Gute Aussichten bestehen im Gesundheits- und Sozialwesen Quelle: IAB 20-Prozent-Lobbyist Michael Huss, 49, Verwaltungsangestellter in Kurzarbeit M ichael Huss arbeitet nur noch vier statt fünf Tage die Woche in der Verwaltung der Schaeffler-Gruppe am Stammsitz Herzogenaurach. Seine Arbeitszeit ist um 20 Prozent reduziert, sein Einkommen um zehn. Der Ingenieur nutzt die neue Freizeit für Lobbyismus. „Ich mache jetzt Öffentlichkeits- arbeit, damit es weitergeht.“ Erst gab es beim Autozulieferer etliche, die stolz waren, dass ihre Firma den Mumm hatte, einen Dax-Giganten wie Continental zu stemmen. Jetzt, mitten in der Krise, kann Schaeffler kaum den eigenen Betrieb aufrechterhalten. Sollte es weitergehen mit der Kurzarbeit, will Huss seine Kenntnisse mit einer Schulung aufpolieren. Sein Vertrauen in die Chefin ist unerschütterlich: „Frau Schaeffler hat ihre ganzen Gewinne reinvestiert. Die Firmenleitung hat immer zum Wohle der Firmengruppe entschieden.“ nur mit einer speziellen Firmen-Software gearbeitet hat, muss zügig die aktuellen Programme erlernen. Darüber hinaus loten die Berater aus, ob jemand genug Unternehmergeist hat, um sich selbstständig zu machen. Den Sprung ins kalte Wasser mit Hilfe einer „Outplacement“-Agentur wagte der 46-jährige Robert Fischer*, bisher Pressereferent der Filiale eines internationalen Druckkonzerns. Als im Oktober Kuverts mit Abfindungsangeboten in den Postfächern lagen, griff er zu. Die Chemie mit dem neuen Chef stimmte ohnehin nicht. Der goldene Handschlag „sollte für ein Jahr reichen“, schätzt er. Die Agentur hilft Fischer, sich auf Glanzlichter aus 18 Berufsjahren zu besinnen und sie entsprechend zu präsentieren. Bisher stellte der Kommunikationsprofi nur die Stärken seiner Firma dar, bei den eigenen tut er sich schwer: „Meine Leistungen waren mir gar nicht so bewusst.“ Trotz bisher erfolgloser Bewerbungen bereut Fischer seine „Flucht nach vorn“ nicht. Man müsse sich Veränderungen aktiv stellen, „sonst wird die FOCUS 10/2009 *Schutzname SCHAEFFLERS STÜTZE Trotz Kurzarbeit setzt sich Michael Huss für seine Arbeitgeberin ein: „Wir wollen unsere Chefin unterstützen, damit sie eine Bürgschaft bekommt“ Situation immer verfahrener“. Der Mainzer Psychologe Dormann stellt klar: „Wer wartet und denkt, mich wird es schon nicht erwischen, dreht sich im Kreis und kann seine Angst nicht bekämpfen.“ Gut dran sind während der Flaute alle, die offen für Veränderungen und bereit zum Lernen sind. Wie Lena Fritsch*, Personal- und Organisationsentwicklerin eines Automobilzulieferers in Nordrhein-Westfalen. Seit Oktober schult sie Beschäftigte in Gruppenarbeit. Mitdenken und eigenständiges Handeln fallen da so manchem schwer, musste sie erfahren. Die 38-jährige Fritsch ist das Gegenmodell. Ihr Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Das schreckt sie nicht, sie kennt und will es nicht anders: „Ich arbeite projektbezogen, das ist ganz normal.“ Die Krise sollte ein Startschuss sein, sich selbst neu zu fordern und auch den berühmten Plan B zu überdenken. Zu einer Art inneren Inventur rät dabei Anke Peiniger, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Personalvermittlung (BPV), und benennt die zentralen Fragen: „Was habe ich gelernt? Wo Fotos: K. Heim/FOCUS-Magazin, dpa fühle ich mich stark? Wo kann ich noch zulegen? Und welche Kontakte habe ich?“ Bei der Suche nach Alternativen warnt sie jedoch vor wilder Panik: „Erzählen Sie den Leuten nicht: O Gott, o Gott, jetzt werde ich arbeitslos, wer kann mich retten? Aber fragen Sie ruhig auch im persönlichen Bekanntenkreis: Sag mal, was traust du mir eigentlich zu?“ Mit einem Plan B müssen sich vor allem diejenigen beschäftigen, die derzeit in Kurzarbeit sind. Und das werden immer mehr. Die Zahl der Anträge von Firmen bei der Bundesagentur für Arbeit wächst seit Oktober lawinenartig und nähert sich einer Dreiviertelmillion. „Qualifizieren statt entlassen“ verlangt Arbeitsminister Scholz nicht nur von den Bossen, sondern auch von den Kurzarbeitern – die von Millionen Beitragszahlern finanziell unterstützt werden. Doch für den 45-jährigen Peter Ruschel, Lackierer beim Chemieriesen BASF, steht eher der Freizeitaspekt im Vordergrund: „Ich habe dadurch ein längeres Wochenende.“ Er erhält 25 Die Stehauf-Frau Viktoria Masri, 36, Herstellungsleiterin von Printmagazinen S eit ihr Sohn eineinhalb Jahre alt ist, hat Masri in Teilzeit gearbeitet. Im September 2006 stieg sie zur Herstellungsleiterin am Münchner Standort einer internationalen Verlagsgruppe auf. Im April vorigen Jahres zog das Unternehmen in neue Räume um, für die ein 5-Jahres-Mietvertrag bestand, und noch im Sommer versicherte die Verlagsleitung, der Standort bleibe erhalten. Im November allerdings gab es eine zehnminütige Betriebsversammlung. Die Zeit reichte aus, um den 35 Mitarbeitern mitzuteilen: Die Produktion verschiedener Magazine werde eingestellt, der Standort München ge- schlossen. „Wir waren alle sprachlos“, erzählt Masri, „das war für uns absolut nicht absehbar.“ Sie unterstützt jetzt ihren Mann bei der Eröffnung eines Kindergeschäfts. Führungskräftebefragung ÛOa]oaj\\]jH]jkgfYdYZZYm cgeemfara]jl7Ê Mehrfachnennungen mglich persnl. Gesprche Betriebsratsversammlung Intranet E-Mail an die Mitarbeiter Pressemeldung Unternehmensblog 75 % 43 % 18 % 13 % 13 % 4% Quelle: Kienbaum SCHWACHER TROST Die Kündigung wird meist persönlich ausgesprochen Verteilung des Mitarbeiterabbaus auf die verschiedenen Hierarchieebenen in Prozent Produktion Hilfsarbeiter Spezialisten 25 24 14 8 Fhrungskrfte 29 Sachbearbeiter VERZICHT Ein Drittel der Kündigungen trifft Sachbearbeiter, knapp die Hälfte Hilfsarbeiter und Beschäftigte in der Produktion dafür bis zu 90 Prozent des normalen Nettogehalts. Auch Thorsten Zangerle, freigestellter Opel-Betriebsrat in Kaiserslautern und gerade mal 35 Jahre alt, hat mit dem Entwurf einer neuen Berufsperspektive so seine Probleme: „Wenn ich mich wieder bewerben müsste, hätte ich keine Chance.“ Wer nehme schon einen aktiven Gewerkschafter, der seit seiner Lehre als Industriemechaniker nicht mehr in seinem Beruf gearbeitet habe, klagt er. Wer willens und fähig ist, umzusatteln oder überhaupt erst vor der Berufsentscheidung steht, kann immer noch Branchen finden, in denen es brummt. Elektriker, Schlosser und Ingenieure sind weiter rar. Lehrer in naturwissenschaftlichen Fächern sind so knapp, dass Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) Spitzenkräfte der Wirtschaft in Schulen schicken will. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sieht an berufsbildenden Schulen Einsatzchancen für diejenigen, die sich aus jetzigen Krisenbranchen umorientieren müssen: Sie könnten etwa Metall- und Elektro- technik unterrichten. Allerdings brauche ein Quereinsteiger noch eine pädagogische Ausbildung von 18 Monaten. Und das Anfangsgehalt betrage nur 900 Euro im Monat: „Hier müsste man sich was ausdenken und einen Zuschlag einführen, vielleicht mit Hilfe der Bundesagentur für Arbeit“, fordert Kraus. Trotz Krise registriert mehr als die Hälfte der privaten Personalvermittler noch einen anziehenden oder gleich bleibenden Bedarf an Kräften mit einfacher und gehobener Qualifikation. Gefragt sind zum Beispiel Mitarbeiter für das Gesundheitswesen. In dieser Wachstumsbranche der alternden Wohlstandsgesellschaft arbeitet schon jeder zehnte deutsche Beschäftigte: 4,4 Millionen Menschen. Die Zeitarbeitsfirma Randstad etwa, die auch Medizin- und Pflegekräfte vermittelt, kann den Bedarf kaum decken. In diesem Bereich lassen sich allerdings oft keine Reichtümer anhäufen. Daniel Huckauf, Vermittler der Arbeitsagentur Potsdam, gibt zu bedenken: „Die Einkommensverhältnisse bei Arztund Zahnarzthelfern schmerzen schon, wenn man sieht, dass da Alleinerziehende 800 bis 900 Euro brutto im Monat verdienen.“ Eine positive Überraschung hält ausgerechnet der Finanzsektor bereit. Bei den Banken können Personalvermittler längst nicht alle Stellen für Kundenund Vertriebsberater besetzen – weder mit Zeitarbeitnehmern noch durch direkte Vermittlung, berichtet Bankpower-Chefin Melanie Reitz. „Gerade in der Krise“, so Reitz, gebe es eine hohe Nachfrage nach guten Beratern: „Nur wer von den Geldinstituten die besten und meisten Kunden hat, wird siegen.“ So unterschiedlich wie die Krise in den Branchen einschlägt, so ungleich überzieht sie das Land. Der Osten hat bessere Chancen für einen Neustart, der erfolgsverwöhnte Süden der Republik kämpft mit Auto-Flaute und Exporteinbruch. Am Rand des Schwarzwalds sind Spatenstiche für Christof Florus lieb gewonnene Routine. Der Oberbürgermeister von Gaggenau ist Vollbeschäftigung gewohnt. Allein Daimler garantiert 5000 Jobs in der 30 000-Seelen-Gemeinde. Florus ist mit seinem Dienst-Mercedes im Gewerbegebiet vorgefahren. Ein neues Garten- und Baumarkt-Center entsteht. Doch der 53-Jährige tut sich beim Schau-Schaufeln im steinhart Quelle: Kienbaum 26 Foto: W. Heider-Sawall/FOCUS-Magazin FOCUS 10/2009 Der Wandelbare INVESTITION VERTAGT Weil seine Berliner Druck- und Werbefirma floriert, hat Peter Rost gerade seinen zehnten Mitarbeiter eingestellt. Mit dem Kauf einer teuren Druckmaschine wartet er lieber FOCUS 10/2009 Michael Lohmann, 39, Fotograf G estern noch gut bezahlter Investmentbanker, heute auf dem harten Markt der freien Fotografie – Michael Lohmann aus Oberursel erlebte diesen Wandel. Bis Anfang 2009 beriet er für die Frankfurter Wertpapierbank Equinet Firmenkunden bei ihren Aktienanlagen. Als die Krise heraufzog, wappnete sich Lohmann mental: „Ich war auf den Arbeitsplatzverlust vorbereitet und bin nicht in die große Depression gefallen.“ Eine Alternative hatte er auch: Der leidenschaftliche Hobbyfotograf berät nun kleine Unternehmen und Selbstständige bei der optischen Gestaltung von Internet-Auftritten und Geschäftsberichten oder hält Firmenveranstaltungen mit der Kamera fest. Trotzdem strebt Lohmann wieder eine feste Anstellung an. Der Restrukturierungsexperte der Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers erinnert daran, dass in den neuen Ländern viel in moderne Betriebe investiert worden ist. „Hat ein Unternehmer die Wahl, wird er das neue Werk behalten und eher das alte schließen – und das liegt eben meist im Westen.“ Zwei weitere Standortvorteile in Krisenzeiten nennt Hartmut Bunsen, Sprecher der ostdeutschen Unternehmerverbände: „Der kleine Mittelstand hier ist weniger exportabhängig. Und er finanziert sich kaum über Großbanken, sondern eher über Sparkassen und Volksbanken.“ 20 Jahre nach dem Fall der Mauer kündigt sich offenbar wieder eine Wende an. Und eine Frau aus dem brandenburgischen Templin ist Bundeskanzlerin. Angela Merkel (CDU) will es bleiben. Die Sparguthaben aller Deutschen hat sie garantiert, ihre Jobs nicht. Die Krise wird auch über den der Kanzlerin entscheiden. Im zweiten Halbjahr, also mitten im Bundestagswahlkampf, werden die Arbeitslosenzahlen noch deutlicher steigen, da sind sich die Experten einig. Die Jahresprognosen liegen zwischen 250 000 und 700 000 Stellen, die die Krise frisst. Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) mahnt: Schon „in ein paar Monaten werden wir eine ganz andere politische Lage als heute haben“. Dann entscheidet der Wähler. Der ist in der Demokratie ein unerbittlicher Arbeitgeber. Er kann Politiker alle vier Jahre fristlos feuern. ■ H.-J. MORITZ/C. ELFLEIN/B. JOHANN/ N. MATTHES/K. V. RANDENBORGH/F. SCHWAB/ C. TUTT/H. WEBER/O. WILKE/S. ZISTL 29 Fotos: T. Wegner, M. Priske/beide FOCUS-Magazin gefrorenen Boden schwer und hofft, dass „die jetzige Schwächephase nicht so lange andauert“. Bei den versammelten Gemeinderäten ist noch keine Krisenstimmung angekommen. „Es geht runter, es geht auch wieder rauf“, ist ihr einhelliger Tenor. Otmar Zwiebelhofer, Chef der benachbarten Firma König Metall, erschüttert die Gelassenheit: „Die Automobilbranche ist abgestürzt“, konfrontiert er sie mit der Realität. Und bei seinem jüngsten Besuch in der Chefetage von Daimler konnte ihm keiner sagen, ob es „in diesem Jahr bereits wieder besser wird“. 700 Kilometer Richtung Nordosten ist die Stimmungslage etwas besser. Peter Rost, Chef einer Firma für Druck- und Werbetechnik sowie Messebau in Berlin-Adlershof, freut sich über volle Auftragsbücher. Gerade erst stellte er einen dringend gebrauchten zehnten Mann ein. Von Euphorie ist er aber weit entfernt. Den Kauf einer Digitaldruckmaschine für 250 000 Euro hat sich der 52Jährige abgeschminkt. „Ich warte erst mal ab, was noch passiert.“ In der Hauptstadt sind die Krisensymptome weniger ausgeprägt als im Süden. Die Abhängigkeit Berlins von Industrie und Außenhandel ist gering, 83 Prozent der Beschäftigten leben von Dienstleistungen. „Was bisher den massiven Aufschwung behindert hat, hilft im Abschwung durchaus“, bemerkt die Chefin der örtlichen Arbeitsagentur, Margit Haupt-Koopmann. Mit Regionen wie Hamburg könne sich die Hartz-IVMetropole aber nicht messen. Auch der scheidende Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) warnt vor verfrühtem Jubel: „Das Tourismusgewerbe und andere Dienstleistungsbereiche in der Hauptstadt werden nur etwas später vom Abschwung erfasst als die Industrie.“ Als Krisenprofiteur sieht hingegen Derik Evertz den gesamten Osten. DEUTSCHLAND Gerald Hüther Der 58-jährige Hirnforscher arbeitet an der Uni Göttingen. Gefühle und Gehirn Der Professor der Uniklinik für Psychiatrie erforscht die Entstehung von Stress und Angst. Buchautor „Biologie der Angst“, neu ab März: Hüther/Michels: „Gehirnforschung für Kinder – Felix und Feline entdecken das Gehirn“, mit Erklärungen für Eltern (Kösel, 12,95 Euro) NICHT ÜBERROLLEN LASSEN Hüther vermittelt, wie man die Angst stoppen kann INTERVIEW „Schimanski hatte nie Jobangst“ FOCUS: Herr Hüther, haben Sie als Angstforscher schon einmal richtig Angst gehabt? Hüther: Ja, als ich Ende der 70er-Jahre mit einem selbst gefälschten Visastempel aus Thüringen über mehrere Blockstaaten nach Jugoslawien und von dort aus in die BRD floh. Wenn heute im Zusammenhang mit der Krise von Existenzangst gesprochen wird, handelt es sich in Wahrheit um Furcht, Verunsicherung oder Sorge. FOCUS: Wann genau entsteht dann Existenzangst? Hüther: Eine lebensbedrohliche Situation, Krieg, Folter oder eine sehr schwere Krankheit können Existenzängste auslösen. Aus der Forschung wissen wir, dass es nicht das objektive Ereignis ist, 30 das bei allen Menschen in der gleichen Situation Angst auslöst. Vielmehr entscheidet die subjektive Bewertung, ob uns etwas Angst macht oder nicht. FOCUS: Das heißt, der eine Opel-Mitarbeiter gerät durch seinen möglichen Jobverlust in eine persönliche Krise, der andere nicht? Hüther: Es kommt maßgeblich darauf an, wie sehr jemand seine gesamte Existenz, seine Identität und seinen Lebensinhalt an seinen Job und sein Einkommen gekoppelt hat. Wenn das so ist, hat er ein Problem. FOCUS: Wie können wir uns vor einer solchen Situation schützen? Hüther: Es gibt Menschen, die neben ihrem Einkommen und ihrer Beschäftigung in einem Betrieb auch noch anderen Dingen im Leben eine große Bedeutung beimessen. So zum Beispiel dem Interesse an der Arbeit an sich. Wenn jemand Schlosser ist und entlassen wird, kann er trotzdem seine Arbeit lieben und zu Hause etwa Fahrräder reparieren. Eine lebendige Partnerschaft, Familie, Kinder, Freundschaften sowie die enge Anbindung an eine Gemeinschaft sind für diese Menschen wesentliche Teile des Lebens. Sie fühlen sich gebraucht und dazugehörig. So entstehen Unabhängigkeit und Stärke. FOCUS: Sind diese Menschen vor Jobangst gefeit? Hüther: Es betrifft sie nicht so stark. FOCUS: Wie erklären Sie als Hirnforscher die Immunität einiger MenFOCUS 10/2009 Fotos: S. Kröger/FOCUS-Magazin Der Hirnforscher Gerald Hüther erklärt, wie Existenzängste entstehen können und wie neue Erfahrungen, Vertrauen in sich selbst und in seine Freunde die Angst vertreiben schen gegen Stress und Angst? Sind das besondere Persönlichkeiten? Hüther: Sie sind souverän und authentisch. Sie lassen sich von außen nicht durch Katastrophenmeldungen verunsichern. Sie sind stressresistent. Stellen Sie sich eine gestandene Persönlichkeit wie zum Beispiel Götz George alias Schimanski vor. Glauben Sie, der hatte je Jobangst? FOCUS: Einige Menschen identifizieren sich aber mit dem Arbeitgeber. Hüther: Richtig. Ein VW-Arbeiter fühlt sicher eine große Zugehörigkeit, auch Mitarbeiter von Familienunternehmen mit einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl. Mit dem Jobverlust bricht ein Teil ihrer Identität weg. FOCUS: Was ist, wenn von meinem Einkommen eine ganze Familie abhängt? Hüther: Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder der Partner sagt, es ist nicht so schlimm, wir kämpfen uns da durch. Das Glück hängt nicht am Haus. Dann trägt dieses Gefühl. Oder aber die Familie gerät in Panik, wenn etwa auf dem Lebenskonzept mit einem bestimmten Lebensstil beharrt wird. Dann kann die Angst sehr groß werden. Ob der Verlust von Haus und Hof als existenziell erlebt wird, liegt nicht an der Arbeitslosigkeit. Vielmehr daran, wie viel Wert ich subjektiv dem Besitz beigemessen habe. FOCUS: Wie entstehen solche Denkstrukturen im Gehirn? Hüther: Jedes Gehirn ist individuell verschaltet. Erfahrungen, die wir schon als Kinder und später im Leben machen, werden in Form bestimmter Nervenzell32 verknüpfungen im Gehirn verankert. Damit brennt sich unser Verständnis von der Welt und von uns selbst ein. Es gibt Erfahrungen, die Menschen starkmachen: Wenn wir zum Beispiel erleben, dass wir etwas bewirken können, wenn wir in einer Gemeinschaft heranwachsen, in die wir eingebettet sind und in der wir als wertvolle Menschen erachtet werden. Oder wenn wir erfahren, dass das Leben in bestimmten Momenten zwar schwierig sein kann, dass es aber immer wieder weitergeht. Hindernisse und Herausforderungen, die wir gut bewältigt haben, machen uns stark. FOCUS: Wie entstehen denn nun Stress und Angst? Hüther: Stellen Sie sich das Gehirn als eine Zwiebel mit mehreren Schichten vor, die nacheinander erregt werden können. Es geht meistens damit los, dass die Realität nicht unseren Erwartungen entspricht. Diese Diskrepanz löst Verunsicherung aus. Wird sie zu groß, entsteht eine Übererregung in der äußersten Zwiebelschicht unseres Denkorgans, dem Frontalhirn, das für komplexe Aufgabenlösungen zuständig ist. Die zu starke Erregung in diesem Bereich hat zur Folge, dass wir keine komplizierten Aufgaben mehr lösen können. Jetzt geht es mit dem Fahrstuhl der Angst nach unten, Schicht für Schicht. FOCUS: Und die nächste Stufe der Angst? Hüther: Unser Verhalten wird dann von einer tieferliegenden Schicht gesteuert, die in der Kindheit geformt wurde, das sind die älteren Bereiche der Hirnrinde. Entsprechend dieser Kindheitsmuster schreien wir, stampfen mit Gerald Hüther den Füßen auf, verlieren die Kontrolle, rasten aus wie ein Vierjähriger. Je mehr tieferliegende Hirnschichten erregt werden, desto mehr Chaos entsteht, bis wir schließlich auf Stammhirnniveau angekommen sind. Dort übernimmt dann das archaische Notfallprogramm die Kontrolle. Das funktioniert immer. Erstens Angriff, zweitens Flucht, drittens Erstarrung. FOCUS: Wie kommt jemand aus diesem Angstzustand wieder heraus? Hüther: Er muss Vertrauen zurückgewinnen. Zum einen in die eigenen Fähigkeiten. Er müsste die Erfahrung machen, dass er doch etwas bewirken kann, auch dass ihm andere bei den Problemen helfen, die er nicht allein lösen kann. Und als Letztes müsste er auch darauf vertrauen können, dass es trotzdem immer wieder weitergeht, dass das Leben einen Sinn hat. FOCUS: Wie soll denn jemand, der in die Kurzarbeit geschickt wird, Vertrauen fassen? Hüther: Ich habe mit Männern gesprochen, die auf Grund ihrer Kurzarbeit jetzt wieder mehr mit ihren Kindern und ihrem Partner unternommen haben und plötzlich wieder ein engeres Verhältnis zu ihnen aufbauen konnten. Sie erleben sich als liebevollen Vater, der gebraucht wird und etwas Sinnvolles tut. Das mobilisiert enorme Kräfte. Ihr Leben erfährt – wenn auch erzwungenermaßen – eine neue Perspektive. Die Menschen stellen fest: Der Job ist nicht alles. Das macht sie angstfreier, gelassener – und dann ■ auch zufriedener im Leben. INTERVIEW: ULRIKE BARTHOLOMÄUS FOCUS 10/2009 Fotos: S. Kröger/FOCUS-Magazin „Souveräne und authentische Menschen lassen sich nicht von Katastrophenmeldungen verunsichern“ Die netten Jahre sind vorbei: Jobs vor Gericht Arbeitsrechtsexperten erwarten in der Krise eine zunehmende Zahl von Klagen gegen Entlassungen. Dabei kann wenigstens eine Abfindung herausspringen. Doch es fallen auch Kosten an ie Kündigung muss lange nicht das letzte Wort sein. Der Leipziger Arbeitsrechtsanwalt Roland Gross rät jedem, der sich zu Unrecht entlassen fühlt: „Kämpfen Sie. Sie haben eh nichts mehr zu verlieren.“ Er rechnet damit, dass die Zahl der Prozesse schon bald „schlagartig steigen“ wird. D ı Kündigungsschutz: Wenn eine Firma mit zehn oder mehr Beschäftigten Arbeitsplätze abbaut, muss sie die sogenannte Sozialauswahl beachten. Diese schützt umso stärker, je älter ein Mitarbeiter ist, je länger er zum Betrieb gehört und je mehr Familienmitglieder von seinem Einkommen abhängen. Ausnahme: Der Arbeitgeber kann engagierte Singles im besten Alter wegen besonderer Kenntnisse oder Leistungen zu unverzichtbaren Beschäftigten erklären. ı Eiserne Regel: Nichts ohne Rat eines Anwalts unterschreiben. Das gilt ganz besonders für „verhaltensbedingte“ Kündigungen, die Auftreten, Motivation und Leistung betreffen. Die Entscheidung für den Gang vor Gericht muss in den ersten drei Wochen nach der Entlassung fallen. Eine Fülle von Gründen kommt dafür in Frage: Formfehler Die Kündigung muss schriftlich vorliegen und korrekt unterschrieben sein. Ein Namenskürzel unter dem Entlassungsschreiben reicht nicht. Außerdem ist der Betriebsrat, wenn vorhanden, anzuhören und die Kündigungsfrist einzuhalten. Fehlende Vorwarnung Selbst einer fristlosen Kündigung muss in der Regel eine Abmahnung vorangehen. Ausnahmen sind jedoch auch hier möglich. Das Bundesarbeitsgericht lässt zum Beispiel „ausschweifende“ private InternetNutzung mit Besuch von Pornoseiten während der Arbeitszeit als besonderen Grund gelten. Keine Gnade fand vor den Bundesrichtern auch ein Arbeitnehmer, der krankgeschrieben in Skiurlaub ging und sich auch noch verletzte. Angeblicher Leistungsabfall „Das ist eines der schwierigsten Felder“, berichtet Gross. Ein Arbeitgeber, der jahrelang mittelmäßige oder schlechtere Abfindung nur für wenige So viele Gekündigte erhielten in Deutschland 2007 eine Abfindung: Chancen, eine Abfindung zu erhalten in Prozent bei Kndigung im Rahmen eines Sozialplans 61 bei spterer Klage gegen die Kndigung Wegen 1,30 Euro hat eine Berliner Supermarktkassiererin nach mehr als 30 Jahren ihren Job verloren. Die 50-Jährige soll zwei Pfandbons über 48 und 82 Cent unterschlagen haben. Sie verlor den Kündigungsschutzprozess jetzt auch in zweiter Instanz bei keiner Klage gegen die Kndigung bei Kndigung ohne Sozialplan und keiner Klage dagegen ı Kündigungsschutz hin oder her: „Jeder Arbeitgeber kann jede Entlassung durchsetzen“, weiß Heide Pfarr, Wissenschaftliche Direktorin bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Die Frage ist nur, welchen Aufwand er betreiben muss.“ ı Was eine Klage bringen kann: 2,6 Milliarden Euro werden jedes Jahr für Abfindungen fällig, pro Fall 12 000 Euro. Arbeitsrechtsexperten erwarten, dass in der Krise weniger rauszuholen ist. Bisher lagen Abfindungen nach einem Prozess im Schnitt bei 0,6 Monatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit. Aufhebungsverträge sind mit durchschnittlich einem Monatsgehalt etwas lukrativer. Wer sich darauf einlässt, muss in der Regel auf drei Monate Arbeitslosengeld verzichten. ı Was eine Klage kosten kann: 16 Prozent UMSTRITTENER FALL Leistung geduldet habe, könne sie nicht plötzlich zum Kündigungsgrund erklären: „Wenn so jemand trotzdem schon lange Zeit beschäftigt ist, dann ist das für seinen Anwalt exzellent. Denn sein Mandant ist ja immer schon schlecht gewesen.“ Leistungsträger in einer Formkrise seien stärker gefährdet: „Wenn ich den Eindruck habe, der bisher gute Mann war im letzten Jahr plötzlich schlecht, dann kann das ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung sein. Denn dann hat der Mitarbeiter Leistung zurückgehalten.“ 57 Die Anwaltshonorare trägt jede Prozesspartei selbst. Für Arbeitnehmer hängen sie vom Einkommen ab. Bei einem Bruttolohn von 2000 Euro können gut 1000 Euro zusammenkommen. Die Gerichtskosten zahlt, wer den Prozess verliert. Oft kommt ■ es aber zu Vergleichen. HANS-JÜRGEN MORITZ 10 7 TENDENZ NACH UNTEN Vor der Krise lagen Abfindungen im Schnitt bei 0,6 Monatsgehältern pro Jahr der Betriebszugehörigkeit FA K T E N A U F A B R U F Weitere Informationen zum Arbeitsrecht finden Sie im FOCUS-Faxabruf, siehe Seite 93. Quelle: Hans-Böckler-Stiftung 34 Foto: ddp FOCUS 10/2009 Der Hanseat Olaf Scholz, 50, ist seit November 2007 Bundesminister für Arbeit und Soziales. ı Anwalt für Arbeit Der in Hamburg aufgewachsene Sozialdemokrat ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. ı Berufspolitiker Von Mai bis Oktober 2001 war er Hamburger Innensenator, von 2002 bis 2004 SPD-Generalsekretär und von 2005 bis 2007 Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPDBundestagsfraktion. INTERVIEW „Mit offenen Karten“ Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) lobt die Arbeitgeber und schließt Pläne der Industrie für Massenentlassungen aus FOCUS: Herr Scholz, wie oft haben Sie schon Ihren Job verloren, und wie sind Sie damit umgegangen? Scholz: Ich hatte Glück und fing gleich nach meinem Studium in meinem Wunschberuf als Rechtsanwalt an. Das habe ich gemacht, bis ich in den Bun- DÜSTERE ZUKUNFT Tausende Beschäftigte von Opel bangen um ihren Arbeitsplatz. Ohne staatliche Hilfe steht das Unternehmen vor der Pleite, weil der US-Mutterkonzern GM in Existenznot geriet 36 destag kam. Seitdem hatte ich als Politiker mal mehr, mal weniger Erfolg. Es gehört für einen Politiker dazu, dass man Aufgaben nur auf Zeit übertragen bekommt. FOCUS: Existenzängste kamen bei Ihnen nie auf? Scholz: Nein. Und das empfinde ich als großes Glück, weil ich weiß, dass es vielen Bürgern ganz anders geht. FOCUS: Ist Ihnen klar, dass in Deutschland die Jobangst um sich greift? Scholz: Ja. Die Daten der Weltwirtschaft müssen alle besorgt machen. Es gilt jetzt zu handeln. Deshalb empfehle ich den Unternehmen zwei Strategien: Kurzarbeit nutzen und qualifizieren. Marschiert mit euren Mitarbeitern gemeinsam durch die Krise! Man soll später sagen können, dass Deutschland sie für einen Aufbruch genutzt hat. FOCUS: Hat jemand aus Ihrem Bekanntenkreis schon seine Arbeit verloren? Scholz: Es hat sich noch keiner bei mir gemeldet. Aber die weltweite Konjunkturkrise hat ja erst begonnen, sich auf dem Arbeitsmarkt niederzuschlagen. Allerdings: Wir haben frühzeitig gehandelt. Schon im vorigen Jahr, als das ganze Ausmaß der Krise noch gar nicht absehbar war, haben wir 18 Monate Kurzarbeit ermöglicht. Das und die beiden Konjunkturpakete werden dafür sorgen, dass die Arbeitslosenzahlen beherrschbar bleiben. FOCUS: Wie schlimm wird es? Scholz: Ich halte alle Prognosen inzwischen nicht mehr für seriös. FOCUS: Auch die, dass es nicht wieder zu fünf Millionen Arbeitslosen und mehr kommen wird? Scholz: Bisher gibt es keine Voraussage, die so weit geht. Aber man muss die Unsicherheit der Datenbasis zugeben. Ich würde keinem Politiker, der mit sicheren Zahlen durch die Gegend läuft, ein Stück Brot abkaufen. FOCUS: Wie ehrlich sind die Unternehmen zu Ihnen? Können Sie ausschließen, dass Entlassungspläne für den Sommer in den Schubladen liegen? Scholz: Es gibt bisher keine geheimen Schubladenpläne. Alle spielen bisher mit offenen Karten. Wir haben sehr vertrauensvolle Gespräche geführt. Die Dax-30-Unternehmen – und nicht nur die – haben versprochen, dass sie sich bemühen wollen, Entlassungen im großen Stil zu vermeiden. Das finde ich sehr weit gehend, weil die ihren Prognosen genauso wenig vertrauen können wie wir. Über die Krise kann man im Moment nur sagen, dass sie da ist – und dass man nichts Genaues weiß. Höchstens das: Es rechnet sich für die Firmen, durch Kurzarbeit und Qualifizierung auf massenhafte Kündigungen zu verzichten. FOCUS 10/2009 Fotos: Dieter Bauer/FOCUS-Magazin, dpa DEUTSCHLAND BEI DER ARBEIT Minister Scholz machte sich bei Mercedes-Benz in Berlin, wo Kurzarbeit angesagt war, ein Bild von der Stimmung im Werk „Ich empfehle den Unternehmen zwei Strategien: Kurzarbeit nutzen und qualifizieren. Marschiert mit den Mitarbeitern durch die Krise!“ Olaf Scholz FOCUS: Ist die Bereitschaft zur Weiterbildung unter den Mitarbeitern ausreichend vorhanden, oder nutzen sie die Kurzarbeit eher als zusätzliche Freizeit? Scholz: Mein Rat ist, die Zeit für Qualifizierung zu nutzen. Wir wissen über den Arbeitsmarkt der Zukunft alles. Es gibt zwei Szenarien für die Mitte des nächsten Jahrzehnts: genügend Fachkräfte und kaum Arbeitslosigkeit oder Fachkräftemangel und hohe Arbeitslosigkeit. Jetzt qualifizieren zahlt sich also bald aus. FOCUS: Haben die Betriebe den Ernst der Lage denn schon begriffen? Scholz: Es müsste mehr passieren. Bei den Ausbildungsplätzen haben wir in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Allerdings brauchen wir Lehrstellen für die weniger guten Schulabgänger. Die haben auch ihre Talente. Und mancher Unternehmer sollte doch einfach an die eigene Jugend zurückdenken. Dem einen oder anderen haben die Eltern womöglich gesagt: Aus dir wird nichts mehr. Und dann ist doch noch etwas aus ihm geworden. So geht es heute vielen jungen Leuten. 38 FOCUS: Sind die Kurzarbeiter von heute die Arbeitslosen von morgen? Scholz: Die These ist nicht plausibel. Die Voraussetzung für Kurzarbeit ist die Annahme, dass es nach einer Übergangsphase wieder weitergeht. Es gibt auch eine natürliche Missbrauchskontrolle: Ein Unternehmen, das sicher davon ausgeht, dass es später seine Beschäftigten entlassen muss, gibt für die Kurzarbeit dann doch zu viel Geld aus, denn sie ist ja nicht völlig umsonst zu haben. Gut ist: Wir können lange durchhalten, weil die Arbeitsagentur reichlich finanzielle Rücklagen dafür zur Verfügung hat. FOCUS: Wie lange? Scholz: Das hängt von der Entwicklung ab. Sollten die Mittel um die Mitte des nächsten Jahres verbraucht sein, springt der Bundeshaushalt ein. FOCUS: Dient die Kurzarbeit nicht eher dazu, die Arbeitslosenzahl für die Bundestagswahl zu schönen? Scholz: Nein. Wir haben bewusst einen sehr langen Zeitraum für die Kurzarbeit gewählt und können ihn – auch wenn wir das aktuell nicht planen – Foto: H.-C. Plambeck/laif noch auf 24 Monate verlängern. Wenn es schlecht läuft, kann die wirtschaftliche Krise 2009 und 2010 komplett umfassen. Und natürlich wird es in dieser Zeit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Wer etwas anderes erzählt, streut den Leuten Sand in die Augen. Aber der Anstieg wird durch unsere Maßnahmen geringer ausfallen als ohne sie. FOCUS: Muss der Staat sich an Unternehmen beteiligen, um Jobs zu retten? Scholz: Beschäftigungssicherung hat Priorität. Aber der Staat sollte nicht nach Unternehmensbeteiligungen streben. Und er sollte auch nicht überall, wo ihm das jetzt angetragen wird, als Unternehmer auftreten wollen. Wir würden uns völlig übernehmen. Und: Geschäftsmodelle, die nicht funktionieren, bekommen wir mit staatlichem Geld auch nicht zum Laufen. FOCUS: Gilt das auch für Opel? Scholz: Bei Opel gehe ich davon aus, dass wir etwas tun müssen. Aber man muss diskutieren, was notwendig ist. Da werden wir die Pläne genau studieren. Ziel muss sein, dass eine industrielle Struktur in Deutschland nicht kaputtgeht bloß wegen der Schwierigkeiten der amerikanischen Muttergesellschaft. FOCUS: Und Schaeffler? Scholz: Es gelten die gleichen Prinzipien wie sonst. Beschäftigungssicherung ist wichtig. Aber die Sicherung des Vermögens der Gesellschafter ist keine öffentliche Aufgabe. FOCUS: Wer ist zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit der wichtigste Mann im Kabinett: Arbeitsminister Scholz oder Wirtschaftsminister zu Guttenberg? Scholz: Am besten ist es, wenn die Regierung zusammenarbeitet und keiner so eitel ist, Ihnen diese Frage zu beantworten. FOCUS: Ist die Kanzlerin eine gute Krisenmanagerin? Scholz: Die Regierung arbeitet gut in ■ der Krise. INTERVIEW: HANS-JÜRGEN MORITZ/ HERBERT WEBER FOCUS 10/2009