Dinosaurier Leseprobe

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Dinosaurier Leseprobe
DER GROSSE
DINOSAURIERRAUSCH
Der Anfang des 20. Jahrhunderts
geriet zum globalen Goldenen Zeitalter der Dinosaurierfunde. Angetrieben von der Nachfrage nach spektakulären Museumsschaustücken,
machten Teams von Fossilienjägern
in Kanada und den USA erstaunliche
Entdeckungen. So fand man neben
zahlreichen gehörnten und mit Kämmen ausgestatteten Pflanzenfressern den Riesen-Raubsaurier Tyrannosaurus. Auch die Erkundung Afrikas und Asiens führte zu bedeutenden Funden. Die neuen Museumsstücke versetzten die Menschen in
Staunen und ließ sie erschaudern.
Illustrationen und Fotos dieser Arten
wurden zu Ikonen.
Gegenüber: Barnum Brown, eine Schlüsselfigur des Dinosaurierrauschs zu Anfang
des 20. Jhs. Hier 1934 bei Grabungen in den Big Horn Mountains, Wyoming.
Der Forscher entdeckte zahlreiche Dinosaurier der Kreidezeit, darunter Tyrannosaurus
und Ankylosaurus.
Der große Dinosaurierrausch
KANADA
GROSSBRITANNIEN
KANADA
Isle of Wight
Red Deer River
Trossingen
Little Sandhill Creek
Red Deer River
Heilongjiang (Laiyang), Shandong
Shabarakh Usu, Wüste Gobi
Wyoming
Colorado
Berry Creek
Tolman Ferry
MONGOLEI
Hateg-Becken
Montana
Morin
Sandhill Creek
Tsagan Nor Basin, Wüste Gobi
Oklahoma
Dead Lodge Canyon
CHINA
New Mexico
Baharija-Oase
Ningxiachou, Shandong
Jabalpur, Madhya Pradesh
INDIEN
AFRIKA
Tendaguru
DAS FRÜHE
SÜDAMERIKA
Mwakasyunguti, Malawi
Clutha, Queensland
20. JAHRHUNDERT
AUSTRALIEN
Durham Downs, Queensland
Lightning Ridge, New South Wales
Eastern Cape
Mount Fletcher, Kapprovinz
Oben: In den ersten
Jahrzehnten des 20. Jhs.
fand man in den Felsen
der Oberkreide im westlichen Nordamerika zahlreiche neue Gattungen
von Dinosauriern, so auch
diesen Corythosaurus.
1902 Brown entdeckt
Tyrannosaurus
1902 Nopcsa
beschreibt den später
so benannten Zalmoxes
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1900
1902
1903 Der gigantische Brachiosaurus aus Colorado wird benannt
1905 Osborn benennt den Tyrannosaurus
1904
1906
1907 Entdeckung von Tendaguru,
Lagerstätte mit Dinosaurierfossilien
1908
1910
1912
1908 Der gepanzerte Riesendinosaurier
Ankylosaurus, benannt von Brown
1908 C. M. Sternberg entdeckt
den »mumifizierten« Edmontosaurus
1912 Markgraf entdeckt Spinosaurus
1913 Brown benennt die »fast-größteEchse« Hypacrosaurus
1913 Lambe benennt den stacheligen
Styracosaurus
1914
1914 Corythosaurus von Brown benannt
1915 Stromer benennt den
langstacheligen Spinosaurus
1916
1918
In dieser Zeit erhielt der berühmteste Dinosaurier seinen Namen – Tyrannosaurus rex aus der
Oberkreide Nordamerikas. Seine Entdeckung
kann als Fortsetzung der Feldforschung von
Barnum Brown gelten. Brown erhielt 1897
von Henry Osborn vom American Museum of
Natural History den Auftrag, im Juragebirge
von Wyoming und in den Oberkreidefelsen
von Montana Fossilien zu sammeln. Zwischen
1910 und 1915 erkundete Brown die Region
um den Red Deer River in Alberta und stieß
auf viele neue kanadische Arten. Zeitgleich
gruben in Kanada Charles H. Sternberg und
seine drei Söhne George, Charles M. und Levi
Provinz Neuquén
Spektakuläre Dinosaurierfunde in den 70er-, 80er- und
90er-Jahren des 19. Jhs. im Mittleren Westen Nordamerikas rückten den Kontinent in den Fokus der Entdeckung
bisher unbekannter urzeitlicher Arten. Diese goldene Ära
der Dinosaurier-Funde in Nordamerika hielt bis Anfang
des 20. Jhs. an.
Provinz Río Negro
Provinz Chubut
1926 Von Huene veröffentlicht zum Plateosaurus
1923 Das Team der AMNH
entdeckt in der Mongolei Eier
und andere Fossilien
1923 Psittacosaurus und
Protoceratops werden
benannt
1920
1922
1924
1926
1928
1922 Der röhrenbekrönte Hadrosaurier
Parasaurolophus, von Parks benannt
1924 Osborn benennt Velociraptor
und Oviraptor
1929 Erster Dinosaurier aus
China wird Euhelopus benannt
ebenfalls Dinosaurier aus. Auf ihrer Fossilienjagd entlang dem Red Deer River benutzten
Brown und die Sternbergs Flöße und Motorboote.
Die Afrika-Verbindung
Auch in Afrika wurden zu Beginn des 20. Jhs.
spektakuläre Funde gemacht. 1907 entdeckte
man in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania)
eine besonders reichhaltige Lagerstätte mit Dinosaurierfossilien.
Dort, auf dem Tendaguru-Hügel, führte
das Berliner Museum für Naturkunde einige
Expeditionen durch. 1914 benannte Werner
1947 Coelophysis (Ghost Ranch,
New Mexiko) wird entdeckt
1931 Stromer benennt den
Carcharodontosaurus
1930
1932
1934
1936
1932 Von Huene beschreibt den
rumänischen Zwerg-Sauropoden
Magyarosaurus
1938
1940
1942
1944
1946
1948
1950 Sternberg benennt
Pachyrhinosaurus
1950
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Das frühe 20. Jahrhundert
Gegenüber, oben: Brown und sein Ausgrabungsteam
bereiten den Abtransport der Knochen des Tyrannosaurus
aus der Hell-Creek-Formation, Montana, vor.
Gegenüber, unten: 1923 entdeckte ein Team des American
Natural History Museum in der Wüste Gobi diese Eier. Das
Gelege wurde damals als das eines Protoceratops identifiziert.
Janesch die dort entdeckten Sauropoden
Dicraeosaurus und Brachiosaurus brancai. Ebenfalls gefunden wurden Stegosaurier, Ornithopoden und Theropoden.
Die Funde belegten, dass die afrikanische
Fauna des späten Jura weitgehend der Fauna
Nordamerikas glich. Ebenfalls in Afrika, in ElBaharija in der ägyptischen Sahara, gruben der
Sammler Richard Markgraf und der Paläontologe Ernst Stromer von Reichenbach Dinosaurier aus der späten Kreidezeit aus. Zu den Funden, die Stromer 1914–1936 beschrieb, gehörten der gigantische Spinosaurus und der Carcharodontosaurus.
Über diese spektakulären Funde in
Deutsch-Afrika und El-Baharija hinaus gab es
auch in den 1920er-Jahren Berichte über afrikanische Entdeckungen aus Malawi (damals
Nyasaland) und Südafrika.
deutenden Theropoden-Funden aus der späten
Kreidezeit berichtet.
Die asiatische Grenze
Auch in Asien stieß man auf Dinosaurierfossilien. Teams des American Museum of Natural
History unternahmen Expeditionen in die
Wüste Gobi – allerdings war man dort auf der
Suche nach fossilen Säugetieren. Henry Osborn vermutete in der Mongolei die Wiege des
Homo sapiens.
Geleitet wurde das Team
von Roy Chapman Andrews,
einem privaten Forscher, der
sich vor allem für Säugetiere interessierte.
1923 stieß die Gruppe auf die »kleinen«
Theropoden Velociraptor und Oviraptor und
die frühen Ceratopsier
Psittacosaurus und Protoceratops. Letzerer war ein
enger Verwandter der Vorfahren
der großen nordamerikanischen Ceratopsier,
während die kleinen Theropoden eine neue vogelähnliche Gruppe mit unklarer Verwandtschaft bildeten. Ebenfalls spektakulär war die
Entdeckung von Nestern mit Dinosauriereiern.
In Indien entdeckte man in den 1860er-Jahren
entsprechende Überreste. 1933 wurde von be-
Nachlassendes Interesse
Nach den erstaunlichen Entdeckungen in den
ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. erlahmte die
Dinosaurier-Forschungsaktivität für längere
Zeit. Die Paläontologie der Wirbeltierer konzentrierte sich auf Säuger wie Pferde oder Nager. In den 50er-Jahren kam die Dinosaurierforschung fast zum Erliegen. Nach dem Boom
gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jhs.
schien Nordamerikas Potenzial zur Entdeckung neuer Dinosaurier erschöpft.
Die Nachfrage nach spektakulären Schaustücken wie einem Tyrannosaurus oder Diplodocus in Nordamerika und Europa erlosch.
Gerhard Heilmann hatte 1926 zur Genugtuung vieler Forscher belegt, dass die Vorfahren
der Vögel nicht zu den Dinosauriern gehörten
– eine Ansicht, die Huxley in den 1860er-Jahren vertreten hatte.
Die Dinosaurierforschung galt jetzt allgemein als Sackgasse der Evolutionsforschung
ohne großes wissenschaftliches Interesse.
Unten: Dieser mumifizierte Edmontosaurus –
1908 von George und
Levi Sternberg in Wyoming entdeckt – war eine
von mehreren Hadrosauriermumien, gefunden
während der Hochzeit der
Saurier-Entdeckungen.
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Der große Dinosaurierrausch
Die Königstyrannenechse
DIE KÖNIGSTYRANNENECHSE
ENTDECKUNGSPROFIL
Unten: Barnum Brown
entdeckte mehrere Fossilien des T. rex. Das abgebildete Exemplar, das
er 1908 fand, ist noch
immer eines der besten
Beispiele der Art und ist
heute in New York ausgestellt.
Im Jahr 1905 beschrieb Henry Fairfield Osborn eine Kreatur, die bald zum
bekanntesten aller Dinosaurier wurde. Die neue Art – ein Theropode – war
von einer von Barnum Brown angeführten Expedition des American Museum of Natural History entdeckt worden. Osborn hatte Brown auf die
Suche nach einem Triceratops nach Montana geschickt. Der entdeckte
Riesen-Raubsaurier versetzte Osborn und seine Kollegen in Staunen.
KÖRPERHALTUNG
Die Paläontologen des frühen 20. Jhs. glaubten fälschlicherweise, dass
Theropoden und andere Dinosaurier aufrecht gingen und den Schwanz
am Boden hielten. Damalige Darstellungen von Tieren in Bewegung zeigen allerdings auch horizontal ausgerichtete Körper und Schwänze. Während unter Henry Fairfield Osborns Aufsicht Rekonstruktionen und Skelettmontagen des Tyrannosaurus rex, des »Königs der Tyrannenechsen«, in
Diagonalstellung entstanden, zeigen beispielsweise Erwin Christmans detaillierte Zeichnungen einen fast horizontalen Verlauf von Wirbelsäule und
Schwanz.
Osborn nannte die Art Tyrannosaurus rex –
»König der Tyrannenechsen« – und schätzte
ihre Länge auf 12 und ihre »Standhöhe« auf
6 m. Dabei stellte er sich vor, dass die Wirbelsäule des Tieres im Stehen diagonal verlief und
der Schwanz sich dem Boden annäherte. Obwohl der Schädel noch präpariert wurde, während er an seiner Veröffentlichung arbeitete,
machte Osborn über und vor den Augen flache
runde Hörner aus. Ebenso wies er auf einen
großen langen Oberarmknochen hin, der neben den Resten des Raubsauriers gefunden
worden war. Während Brown ihn dem Tyrannosaurier zuordnete, war Osborn skeptisch.
Tatsächlich stellte sich später heraus, dass es
der eines Pflanzenfressers war.
Weitere Riesenknochen
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Fossilien von Riesentheropoden vom Ende der
Kreidezeit waren bereits im Westen der Rocky
Mountains aufgetaucht, allerdings handelte es sich nur um Fragmente mit
unklarer Verwandtschaft. 1896
benannte Marsh anhand verschiedener Knochen aus
Wyoming Ornithomimus
grandis. 1892 hatte Cope
anhand zweier riesiger
Rückenwirbel Manospondylus gigas benannt. Heute
gelten diese Wirbel als Knochen des T. rex. Das dürftige
Material rechtfertigt es kaum, die
Namen O. grandis oder M. gigas
durch Tyrannosaurus rex zu ersetzen.
Links: Mit einer Länge
von 12 m und einem
Gewicht von 10 t war der
Tyrannosaurus ein robust
gebautes Schwergewicht. Die Funktion der
kurzen Arme und der
beiden Finger bleibt
umstritten.
Name: Tyrannosaurus rex
Entdeckung: Montana, USA; Barnum Brown, 1902
(Fragmente bereits in den 1890er-Jahren)
Beschreibung: Henry Osborn, 1905
Bedeutung: erste Entdeckung eines echten RiesenTheropoden
Klassifizierung: Saurischia, Theropoda, Coelurosauria,
Tyrannosauroidae
In seinem Artikel von 1905 beschrieb Osborn nicht nur den Tyrannosaurus rex. Als einen weiteren riesigen Theropoden benannte er
Dynamosaurus imperiosus anhand von Fossilienfragmenten, die 1900 am Cheyenne River in
Wyoming geborgen worden waren. Dieser unterschied sich von T. rex durch unregelmäßige
Knochenplatten auf dem Rücken und an den
Flanken. Wegen dieser Unterscheidungen wurden Tyrannosaurus und Dynamosaurus in unterschiedliche Gattungen eingeordnet.
Heute ist klar, dass die Platten zu einem
Ankylosauriden gehörten. Da sie kleine Krater
aufweisen, die Bissspuren eines Tyrannosaurus
ähneln, könnten sie zum Mageninhalt des
Raubsauriers gehört haben.
1906 erkannte Osborn, dass Dynamosaurus
und Tyrannosaurus derselbe Saurier waren,
glaubte aber immer noch, dass Letzterer Panzerplatten hatte.
Die Theorie der Evolutionslinien
Tyrannosaurus ist aus historischer Sicht besonders interessant, weil Osborn mit ihm seine
Hypothese zur Evolution, die so genannte Orthogenese, stützte. Demnach verläuft das Leben nach einem vorgezeichneten Weg auf ein
bestimmtes »Ziel« zu. Eine Art entwickelt sich
dadurch weiter, indem sie ein dominantes
Merkmal weitergibt. So standen die großen
Raubsaurier – Megalosaurier, Allosaurier und
Tyrannosaurier – in einer gemeinsamen Linie,
deren »Endpunkt« in der Entwicklung zu immer gewaltigeren Größen der Tyrannosaurus
bildet. 1917 beschrieb ihn Osborn in einem
Artikel als »das stattlichste fleischfressende Lebewesen unter den Landwirbeltieren, das räuberische Zerstörungskraft und Geschwindigkeit auf sich vereint. Es bildet die Klimax in
der Entwicklung einer Serie«.
Allerdings merkte Osborn auch an, dass
Tyrannosaurus den kleineren, weitaus leichter
gebauten Straußensauriern ähnelte. In seiner
Rekonstruktion war Tyrannosaurus mit drei
Fingern ausgestattet, während die Entdeckung
einer zweifingrigen Hand des Gorgosaurus (der
dritte Finger ist nur rudimentär und nur der
Mittelhandknochen vorhanden) dafür sprach,
dass auch T. rex nur zwei Finger besessen hatte.
Bestätigt wurde dies 1988 durch den Fund
eines Exemplars mit vollständig erhaltenen
Armknochen.
Unten: Osborn sah
Tyrannosaurus mit diagonal verlaufender Wirbelsäule und nachgeschlepptem Schwanz.
Browns TyrannosaurusExemplar von 1908
wurde Jahrzehnte in dieser Position ausgestellt.
Der große Dinosaurierrausch
»GEPANZERTE«
RIESENECHSE
Während einer Expedition des American Museum of
Natural History zur Hell-Creek-Formation, Montana,
entdeckte Peter Kaisen 1906 den Schädel und das
Skelett eines ganz neuen gepanzerten Dinosauriers. Barnum Brown beschrieb das Tier 1908 und nannte es Ankylosaurus magniventris. Es war groß, bis zu 9 m lang, und ähnelte
in der Form einem Schützenpanzer.
Oben: Knochenplatten
des Ankylosaurus wie
diese sind keilförmig und
oval. Sie überzogen in
Reihen den Rücken, die
Flanken und den
Schwanz.
Unten: Der Ankylosaurus
war mit 9 m Länge, mit
Dornen, Knochenplatten
und Hörnern ein spektakuläres Tier.
Barnum Brown hielt den Ankylosaurus für eine
neue Stegosaurier-Art. Das Exemplar war so
vollständig, dass er das Tier rekonstruieren
konnte, wenn auch mit fehlerhaften Details.
Bei den Ausgrabungen des Tyrannosaurus war
Brown bereits auf Fossilien von Ankylosaurus
gestoßen.
Der Forscher verglich dessen Platten mit
den von Osborn beschriebenen des Tyrannosaurus, entdeckte jedoch große Unterschiede:
Die des Theropoden waren weitaus dicker,
eher unregelmäßig und hatten eine andere
Oberflächenstruktur. Browns Schlüsse sollten
sich als falsch erweisen. Die bei T. rex entdeckten Platten stammten in der Tat von einem
Ankylosaurus.
ELEFANTENÄHNLICHE GESTALT
Brown fiel auf, dass der Schädel des Ankylosaurus symmetrisch angeordnete Hohlräume ähnlich den luftgefüllten Nasenhöhlen heutiger Elefanten
zeigte. Bei den Dickhäutern mindern diese
das Gewicht des massigen Schädels.
Bei Ankylosaurus ist ihre Funktion
noch heute ein Rätsel.
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Eindrucksvoller Panzer
Kaisens Fund bestand aus einem Schädel, Extremitätenknochen, dem Schultergürtel, Rippen, Wirbeln und Panzerplatten. Von oben gesehen ist der Schädel breit, fast dreieckig und
mit kleinen Knochenplatten bestückt. Hinten
und an den Seiten stehen kleine hörnerartige
Höcker ab. Brown verwies zudem auf einige
Ähnlichkeiten der Zähne des Ankylosaurus mit
dem einzelnen Troondon-Zahn, den Joseph
Leidy 1856 beschrieben hatte – schwache und
rein zufällige Ähnlichkeiten, wie sich herausstellte.
Die massiven, kurzen und breiten Wirbel
und langen Rippen wiesen Ankylosaurus als ein
stämmiges Tier mit breitem Rumpf aus. Die
dicken Knochen des Schultergürtels deuteten
auf robuste Gliedmaßen hin. Ein ungewöhnliches Skelettmerkmal waren die starren Rippen
hinten am Brustkorb, die mit den benachbarten Wirbeln verwachsen waren. Ankylosaurus war mit Reihen von
ovalen Knochenplatten
gepanzert, die den
Großteil der Rückenpartie überzogen. Brown
beschrieb die unterschiedlichen Formen, die
sich vermutlich aus der Zugehörigkeit zu den
verschiedenen Körperteilen erklärten. Manche
haben ein umgedrehtes V als Querschnitt, andere sind größer und fast flach. Zwei sind an
einer Kante verwachsen. Hier vermerkte
Brown eine Ähnlichkeit mit einer kragenartigen Struktur am Hals von Stereocephalus, den
1902 Henry Ostborn und Lawrence Lambe
benannt hatten. Ihm zufolge könnten den
Schwanz Ringe von Panzerplatten umgeben
haben – ähnlich wie bei Glyptodonten, einer
an Gürteltiere erinnernden, fossilen Säugetiergruppe.
Eine neue Familie
Ankylosaurus erschien als ein so besonderes
Fossil, dass ihn Brown der neuen Familie der
Ankylosauridae zuordnete. Diese gelten heute
als eine von mehreren Arten innerhalb der Ankylosaurier, während sie damals zu den Stegosauriern zählten. In Browns Artikel von 1908
ist die Gattung deshalb als Stegosaurier bezeichnet. Die Klassifizierung hielt sich bis
1923 – bis Henry Osborn den Ankylosauriern
den Status einer eigenen Art von gepanzerten
Pflanzenfressern zuerkannte.
Brown erkannte, dass der Stereocephalus
ebenfalls ein Vertreter der Ankylosauriden war
und sah in ihm einen Vorfahr von Ankylosau-
rus. 1910 benannte Lambe Ersteren in Euoplocephalus um, weil Stereocephalus bereits als
Name für ein Insekt verwendet wurde. Heute
gelten Euoplocephalus und Ankylosaurus als
enge Verwandte.
Links: Barnum Browns
ursprüngliche Rekonstruktion: Der Ankylosaurus
erscheint mit kurzem
Schwanz, gekrümmtem
Rücken und dem Beckengürtel eines Stegosaurus.
Die Rekonstruktion des
Ankylosaurus
Durch Kombination aller beobachteten anatomischen Details erENTDECKUNGSPROFIL
stellte Brown eine
Skelettrekonstruktion
Name: Ankylosaurus magniventris
(s. o.), die der besseEntdeckung: Montana, USA; Peter Kaisen, 1906
ren VeranschauliBeschreibung: Barnum Brown, 1908
chung und bis in die
Bedeutung: das erste gut erhaltene Fossil eines
1980er-Jahre als
Ankylosauriden
Grundlage für DarKlassifizierung: Ornithischia, Thyreophora, Ankylosauria,
stellungen des lebenAnkylosauridae
den Tiers diente.
Einige Details erwiesen sich später allerdings als falsch. Da
Brown von einer Zugehörigkeit zu den Stegosauriern ausging, hatte er nicht belegte Skelettteile mit deren Merkmalen ergänzt. So zeigte er
Ankylosaurus mit besonders robusten vorderen
Gliedmaßen und einem Becken mit einem
Hüft- und einem Schambein, die in langen
schlanken Spornen auslaufen. Zudem ergänzte
er einen kurzen abfallenden Schwanz mit bloßer Spitze. Spätere Funde widerlegten dieses
59
Bild erheblich (siehe S. 78 f.).