Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit und die
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Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit und die
Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit und die Supervision - oder: Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben? Günter Rütz-Lewerenz l. Worum geht es eigentlich bei den „Neuen Steuerungen"? Dieser Artikel unternimmt den Versuch einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussionen um die „Neuen Steuerungen" zu leisten und die fast schon babylonische Sprachverwirrungen, die sich um diesen ominösen Begriff rankt, zu beenden. Es geht - unbestritten - zunächst um Spar-, Rationalisierung-, Ab- und Umbaumaßnahmen in der öffentlichen Verwaltung und damit auch um das künftige Verhältnis zu den freien Trägern der Jugend- und Sozialarbeit. „Nun tauchen genau in dieser Situation die Unternehmensberater auf, gerufen von Politikern und Verwaltungsspitzen, die mit immer geringeren Budgets dem Wahlvolk zeigen müssen, daß sie noch einigermaßen handlungsfähig sind. Und da wird allzu häufig durch die Herangehensweise dieser Unternehmen leichtfertig alles über einen Kamm gebürstet; man glaubt den sozialen Bereich organisieren zu können wie das Einwohnermeldeamt... Doch fraglos haben im Rahmen dieser Diskussion die originären Adressaten sozialer Arbeit, nämlich die Armutsbevölkerung, eine beachtliche Karriere gemacht: waren sie zunächst schlichtweg Klienten, so wurden sie später zu Hilfebedürftigen, das KJHG machte sie zu Anspruchsberechtigten, dann wurden sie Bedarfsträger und seit einiger Zeit nennt man sie „Kunden". Die Sozialarbeiter, so sagt man, seinen nun Kundenberater, der Kunde solle König sein, und die Sozialarbeiter helfen ihm durch unerbittlich freundliches Verhalten bei seinen Problemen. Da stellt sich die Frage: ist das noch soziale Arbeit? Oder wird sie im Rahmen einer marktorientierten Konzernstrategie bis zur Unkenntlichkeit verbogen?" (Hinte, 1995, S. 87) Aber: es geht auch um Qualitätssteigerung und -Sicherung, um Transparenz, um Mitgestaltung und Selbstverantwortung. Und hier liegen die besonderen und faszinierenden Herausforderungen für die Supervisoren, hier werden sie bei ihrem Berufsethos gepackt. Angesichts leerer öffentlicher Kassen erscheint es schwierig, über die neuen Steuerungsmodelle in der Jugend- und Sozialarbeit in einen sachlichen Diskurs einzutreten. Zu offenkundig erscheint - vordergründig - den Ansatz dafür in den Haushaltslöchern zu finden und nicht im Versuch über Neue Steuerungsmodelle auch den Einstieg in eine (notwendige) Qualitätsentwicklung zu vermuten und denjenigen, die diese Arbeit als Sozialarbeiterinnen zu leisten und als Supervisoren zu begleiten haben, den Gestaltungsrahmen zu gewähren, den nur sie kompetent zu füllen vermögen. „Schuster bleib bei deinem Leisten" mag da so mancher Sozialarbeiter denken und sich verstört zurücklehnen - oder: selber einen Therapeuten/Supervisor konsultieren 402 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE wollen. Wobei er dann aber verkennt, daß er tatsächlich wieder „bei seinem Leisten" angekommen ist und dieses - sein (!) - Werkzeug den Verwaltungsbürokraten endlich (!) aus den Händen nehmen kann, bevor die noch mehr Unfug damit anrichten. Handwerkliche Unterstützung dabei soll dieser - zweifelsfrei provokante - Diskussionsbeitrag ein Stück weit bieten. Welche Ansprüche stellt die Praxis an die Supervision im Rahmen der neuen Steuerungen? Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter formulierte im November 1996 in einem Grundlagenpapier „Das Fachkräftegebot des Kinder- und Jugendhilfegesetzes" seine Vorstellungen wie folgt: „Gerade in einer Zeit, in der sowohl die Arbeitsweise wie die Leistungsfähigkeit der Jugendhilfe aufgabenkritisch betrachtet werden (Verwaltungsmodemisierung, Neue Steuerung) kommt der Qualifikation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine hohe Bedeutung zu. Ganz abgesehen von sozialen und menschlichen Folgen kann sich .Sparen4 bei den Personalkosten in diesem Bereich betriebswirtschaftlich als Bumerang erweisen, wenn eine unzureichende fachliche Befähigung zu einer Fehlentscheidung führt. So erfordern z.B. die gegenüber stationären Hilfen in der Regel kostengünstigeren ambulanten Hilfen eine anforderungsgerechte Ausstattung und Besetzung der sozialen Dienste. Grundlegende Fähigkeiten im Bereich der Kommunikation, Konzeptentwicklung, Planung, Kooperation und Öffentlichkeitsarbeit erhalten in der Jugendhilfe zunehmend Bedeutung. Die entsprechenden Befähigungen sind im Rahmen der Ausbildung nicht umfassend sicherzustellen. Sie sollen vielmehr durch Fortbildung und Supervision vermittelt, weiterentwickelt und in fortlaufenden Prozessen kritischer Selbstüberprüfung aktualisiert werden. Verantwortliche Tätigkeit in der Jugendhilfe setzt deshalb die Bereitschaft voraus, sich aktiv um Fortbildung und Supervision zu bemühen. Dies schließt Eigenfortbildung durch Verfolgen der Fachdiskussion und der Fachliteratur ein." Wolfgang Weigand schreibt im Vorwort der Werbebroschüre der Deutschen Gesellschaft für Supervision „Supervision - professionelle Beratung durch Qualitätssicherung am Arbeitsplatz": „Supervision verfolgt ein dreifaches Ziel: - aktuelle Konfliktlagen am Arbeitsplatz, vor allem Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ihren Klienten, Kunden und Vorgesetzten zu bearbeiten; - Organisation und Unternehmen besser in die Lage zu versetzen, die ihnen gesetzten Aufgaben zu erledigen und ihre eigentlichen Zielsetzungen zu erfüllen; - Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Führungskräfte im Sinne der Weiterbildung beruflich zu qualifizieren. Supervision ist in der Form der Einzel- oder Gruppensupervision, der Leitungsberatung, Teamsupervision und Organisationssupervision ein effektiver Weg, um Probleme und Konflikte im Arbeitsalltag wahrzunehmen und verstehen zu lernen, um dann angemessene Veränderungsmöglichkeiten zu finden." Damit treffen sich die Bedürfnisse der Kunden von Supervision mit dem, was die Berufsorganisation der Supervisoren verspricht. Doch was ist Theorie, was ist Realität, was ist Produktehrlichkeit? Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 403 Sozialabbau oder Qualitätssteigerung/-sicherung und Qualitätskontrolle? - Das ist hier die Frage! In einem sind sich die Sozialarbeiterinnen, Supervisoren und deren Kunden/Klienten zur Zeit vollkommen einig: die Neuen Steuerungen dienen dem Umbau des Sozialsystems und haben nur einen tieferen Sinn: sparen... sparen... sparen...Eine alte Weisheit sagt: auch Unwahrheiten werden durch gebetsmühlenartige Wiederholungen nicht wahr. Es werden Legenden um die sogenannten „Neuen Steuerungen" gebildet und auf diesen Legenden soll dann die Arbeit aufbauen. Das gilt auch für die begleitenden Supervisionsprozesse, die dann aber auf wackligen Füßen stehen. Weil es an dieser Legendenbildung scheinbar ein hochrangiges Interesse gibt, kommt es zu einem Bündnis gegen die Organisation (sprich: Obrigkeit). Häufig trifft sich die tendentielle Organisationsfeindlichkeit der Sozialarbeiterinnen mit derjenigen der Supervisoren und beide treffen sich dann mit ihren ebenfalls organisations-/obrigkeitsfeindlichen Klienten. Es gibt einen „natürlichen" Widerspruch zwischen Organisation und Sozialarbeit, der sich aus den berechtigten Arbeitnehmerinteressen der Sozialarbeiter herleitet. Dieser Tatsache eingedenk ist tendentielle Organisationsfeindlichkeit in diesem Kontext ansatzweise begründet, jedoch im Zusammenhang mit der Diskussion um die „Neuen Steuerungen" fehl am Platze. Die Koalition aus Sozialarbeit, Supervision und Klienten vergißt dabei nur zu gerne, daß die soziale Organisation nicht nur im Sinne einer „Einbahnstraße": durch Vorgabe ökonomischer und struktureller Rahmenbedingungen die Sozialarbeit beeinflußt, sondern, daß umgekehrt auch die Strukturen, die Identität und die Priorität der sozialen Organisation durch eine klientenspezifische Sozialarbeit (durch Sozialarbeiter, Supervisoren und deren Klienten, die sie ja vertreten) mit den „Neuen Steuerungen" veränderbar geworden sind! (vgl. Rütz-Lewerenz/Mochmann 1995, S. 112) Es ist in der Tat ein mehr als unglücklicher „Zufall", daß die Umsetzungsphase für die Neuen Steuerungen in eine Zeit fällt, wo das Sparen in den öffentlichen Haushalten zu einem zentralen und dringlichen Thema wurde. Wichtig ist aber zu wissen, daß die Entwicklung der „Neuen Steuerungen" schon vor geraumer Zeit begann (als die öffentlichen Kassen noch mehr als gut gefüllt waren!) und die Verwaltungsreform schon ewig auf der Agenda steht (seit es Verwaltungen gibt werden sie reformiert - oder: sollten es werden!). Geht der Supervisor von der Prämisse „Sozialabbau von oben" aus, dann wird er in seinen Beratungsprozessen immer haarscharf am eigentlichen Thema vorbeirauschen. Für den Supervisor ist es daher eine Frage des Berufsethos, sich mit den anstehenden Veränderungen auseinanderzusetzen. Bei dieser Auseinandersetzung hat er sich zunächst in Erinnerung zu rufen, was Berufsethos für Supervisoren bedeutet: „Berufsethos meint: - das persönliche Wertgefüge, das bei der Ausübung der Beruf s Vollzüge zur Geltung kommt. - das Gesamt der normativen Begriffe, Auffassungen und Einstellungen bzw. der Werte eines bestimmten Berufsstandes, die bei der Ausübung dieses Berufes von diesen Berufstätigen beachtet werden (deskriptiv) bzw. beachtet werden sollten (normativ). 404 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE Der Berufsethos des Supervisors ist bestimmt von: - den allgemeinen gesetzlichen Vorgaben, - den konkreten vertraglichen Verpflichtungen (Kontrakt), - den Pflichten des (professionellen) Berufsstandes (Berufsordnung und professionelles Berufsverständnis) nach Richtigkeit und Klugheit des Vorgehens, - dem eigenen Gewissen. Zum Berufsethos des Supervisors gehört darüber hinaus die Fähigkeit und die Bereitschaft die unterschiedlichen Interessenebenen zwischen Organisation und Sozialarbeitern von einem kompetenten und professionellen Standpunkt ausgehend zu vermitteln. Da die Pflichten, die sich aus Recht, Kontrakt und Berufsordnung ergeben, allgemeine sind, müssen sie in der konkreten Situation nach bestem Wissen und Gewissen vom Berufstätigen angewandt werden. Die Fähigkeit, im konkreten Berufsvollzug mit den Widersprüchen, Spannungen und Konflikten, die bei dieser Konkretisierung notwendig auftreten, umzugehen und eine richtungsweisende Entscheidung zu fällen, gehört zur Grundkompetenz eines/r jeden Professionellen. (Buer 1997a) Dies bedeutet für den Supervisor im Bereich der Neuen Steuerungen konkret, daß er eine (seine) „Haltung" gegenüber seinen Auftraggebern, der Supervisionsgruppe und dem Arbeitsfeld, in welchem er tätig wird, entwickeln muß. Er hat zu überprüfen, ob sein Angebot zur Erreichung der Zielsetzung - angemessen ist (effizient)? - wirksam für die Entwicklung der Organisation (effektiv)? - die Ergebnisse der Supervision evaluiert werden, - die Kontraktgestaltung sorgfältig ist, - ein Interessenausgleich zwischen der Supervisionsgruppe und dem Auftraggeber beachtet wird. (vgl. Buer 1997b) Um sich also „angemessen" zu verhalten und nicht (fast) zwangsläufig in ein Bündnis mit den Supervisanden „abzugleiten" ist es angezeigt zu überprüfen, welche persönlichen Präferenzen der Supervisor in Organisationen hat, in welcher „Kultur" und in welchen Beziehungsmodi er sich ganz persönlich zu Hause fühlt? Von der Behörde zum Dienstleistungsunternehmen: die Einführung der „Neuen Steuerungen" und anderer Beziehungsmodi Nichts hat die deutsche Sozialarbeit so sehr durcheinander gewirbelt, wie die Diskussion um die Neuen Steuerungen - aber auch die Diskussion um Supervision und Organisationsentwicklung innerhalb dieser Neuen Steuerungen. Einhergehend mit dem beabsichtigten Wechsel (von der Behörde zum Dienstleistungsuntemehmen) ist auch ein „Umstieg", eine Veränderung in den bisherigen Beziehungsmodi, die weiter oben dargestellt wurden. Dem muß der Supervisor im Sinne einer Ausbalancierung unterschiedlicher Interessen und Ziele Rechnung tragen, diese Prozesse muß er moderieren und harmonisieren. Soziale Dienstleister sollen zugleich und zeitgleich Rationalisierer, Traditionsvermittler und Pioniere sein, damit stehen sie außerhalb der „gelernten" und bisher als positiv erlebten Beziehungsmodi. Eine Neubalancierung der Muster muß zwischen allen beteiligten Parteien ausgehandelt und verankert werden. Dabei kann sich professionelle Su- Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 405 pervision nicht an unbegründeten oder auch traditionellen Herrschaftsinteressen orientieren, sondern muß für eine Mischung eintreten, die der professionellen Aufgabenerfüllung eines modernen, kostenbewußten und effizienten sozialen Dienstleisters förderlich ist. „Bei der Realisierung dieser Prämissen kommt der Supervision eine zentrale Rolle zu: Im Sinne innerer Qualitätssicherung kann sie durch Team-Supervision und Leistungsberatung das Angebotsprofil deutlicher herausarbeiten. Femer werden mit den Beteiligten institutionelle Schwachstellen diagnostiziert." (Pühl 1998, S. 152) Es bleibt aber nicht bei der Diagnose, sondern es geht um die Entwicklung konkreter Umsetzungsmöglichkeiten für die Praxis. Geschichte und Geschichten 1985 begann die holländische Stadt Tilburg mit der Veränderung ihrer Verwaltungsstrukturen. Es gab eine klare Trennung zwischen Politik und Verwaltung, wobei die Verwaltung in Form einer Holding organisiert wurde (glückliches Holland!) und ihre Aufgaben im Rahmen von Budgets und Kontrakten managte (zum Beispiel durch Kontraktmanagement). Dieses erfolgreiche Modell wurde publik, alle Welt sprach über die Revolution in der Verwaltung der Kommune Tilburg und die entwickelte sich zu einem Mekka für die Kämmerer deutscher Städte, deren Stadtsäckel zunehmend schrumpfte. Sollte dort in Tilburg der „Stein der Weisen" gefunden worden sein? Später begann die Kommunale Gemeinschaftsstelle (KGST) für Verwaltungsvereinfachung dieses niederländische Erfolgsmodell auf deutsche Verhältnisse zu übertragen.1 Mit dem Bericht Nr. 5/1993 initiierte die KGST die Diskussion in den Amtsstuben der deutschen Kommunen. Mit dem Bericht Nr. 9/1994 unter dem Stich- und Reizwort „output-orientierte Steuerung in der Jugendhilfe" wurde der Versuch unternommen, die Vorstellungen und Modelle konsequent in die Denk-, Handlungs- und Verwaltungsstrukturen der deutschen Jugendhilfe zu übertragen. Ein Widerspruch: Verwaltungsreform bei (fast) leeren Stadtsäckeln? Unglücklicherweise kommt dieser - im Prinzip begrüßenswerte Anstoß! - nun in die Zeit des Sparens bei den Kommunen und paart sich mit dem Versuch, neoliberale Politikkonzepte auf die Sozialpolitik zu übertragen - oder: ihr überzustülpen. „Verschärft werden die Veränderungstendenzen durch gewandelte ökonomische Rahmenbedingungen. Längerfristig betrachtet ist die ökonomische Belastung in Folge der deutschen Einigung gewiß geringer, wenn man die Konstanz der krisenhaften Erscheinungen rund um den Erdball, die Grenzen des Wachstums, die Umweltprobleme in den Blick nimmt und darüber nachdenkt, welche Ressourcen wir in Zukunft zur Lösung dieser globalen Aufgaben aktivieren müssen. Vielleicht wird die Relevanz politisch vermittelter Lösungen sozialer Probleme abgelöst von der Relevanz der politischen Sicherung des Überlebens." (Nikles, 1998, S. 8/9) Dies ist zu beachten, sollte aber nicht von den sinnvollen Ansätzen ablenken und zu einer - zwangsläufig - unnötigen und kontraproduktiven Polarisierung in der Diskussion und in den Auseinandersetzung um die „Neuen Steuerungen" führen. l Siehe hierzu auch den Beitrag von U.B. Meyer „Supervision in Verwaltungsorganisationen Der Hrsg. 406 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE Verwaltungsreformen, das Aufbrechen alter Strukturen, Denken in neuen Modellen und Arbeitsformen ist notwendig, das Vorhandene bedarf immer wieder einer kritischen Überprüfung und Reflexionen über die Wirksamkeit und den Erfolg, denn das Festhalten an den gewohnten und vertrauten Strukturen schläfert ein, verhindert Innovation und die notwendigen neuen Denk- und Arbeitsansätze. Die Abbildung l versucht die „Marktveränderungen" in Sozialarbeit und Supervision in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge zu stellen: Marktveränderungen für Supervision Globalisierung Neue Steuerungen und ein europäischer Weg? Auswirkung auf die EU-Ebene und nationale Politik = veränderte Finanz- und W irtschaftspolitik auf EU-Ebene = keine verbindlichen Regelungen der Sozialpolitik auf EU-Ebene (Sozialcharta) Rückführung des Staatsanteils Spaltung der Sozialpolitik teilhabende: hoher sozialpolitischer Anteil ausgegrenzte: geringer sozialpolitischer Anteil Ordnungspolitik Minimalversorgung Entertainment Konsequenzen für Wohlfahrtsverbände/Staat/Wirtschaft Angleichung von Organisationsstrukturen Kräften (s. Kin(Betriebswirtschaft) Betriebliche Selbstorganisation in flexiblen Projekteinheiten flexible und schnell agierende Projekte und Firmen Arbeit mit weniger qualifizierten dergärten) Wohltätigkeitsveranstaltungen soziales Gewissen Fachkräfte Konsequenzen für die Supervision Organisationssupervision Riesiger Bildungsbedarf SA/SP) OE (Organisationsentwicklung) Teamentwicklung Projektmanagement Coaching Strategieentwicklung Konzeptentwicklung (sehr unterschiedliche Settings in Form/Dauer/Kontrakt) Professionssupervision Supervision der Führungskraft (Dipl. Stabilisierung der Hilfskräfte (Dauerhafte Prozesse) Markt = unklar Ob es die Supervisoren sind, wird sich zeigen" sind es" Markt = geklärt Die Supervisoren Organisationen fragen Organisationen an Der typische Einzelkämpfer Für den Supervisor ist es wichtig zu wissen, daß die Neuen Steuerungen ein fast „flächendeckendes" System von Veränderungen beinhalten. Jede Verwaltung entwickelt die Neuen Steuerungen nach ihren Gegebenheiten „vor Ort". Von daher sind die Neuen Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 407 Steuemngsmodelle in den einzelnen Kommunen extrem unterschiedlich, sie sollen/müssen variabel auf die Bedürfnisse und Besonderheiten der regionalen Strukturen aufbauen. Deshalb kann eine Analyse (auch diese!) immer nur nach der Formel vorgenommen werden: wie geht die Stadt X im Verhältnis zur Stadt Y mit „ihren" Neuen Steuerungen um, wo gibt es vergleichbare Ansätze, wo liegen die Unterschiede? Dabei gibt es in der Regel eine vergleichbare Systematik, die an dieser Stelle dargestellt werden soll: In den Verwaltungen kommt es zu einem Paradigmenwechsel - weg von der hoheitlichen (bürgerfeindlichen!) Verwaltung (!) - hin zur bürgernahen und bürgerfreundlichen Kundenorientierung (= Verwaltung vs. Kunden/Bürgerorientierung). Dabei sollte sich jede Verwaltung, jeder politische Verantwortungsträger und jede/r in die Neuen Steuerungsmodelle involvierte Mitarbeiterin der Sozialarbeit zunächst die folgenden Fragen stellen: - „Was sind die strategischen Ziele und Aufgaben? - Wer ist (sind) die Zielgruppe(n)? - Bieten wir die richtigen Leistungen an? - Stimmt die Qualität der Leistungen? - Wie hoch sind die Kosten der Leistungserbringung" - Werden die Leistungen zuverlässig und wirtschaftlich erbracht? - Erreichen die Leistungen ihr Ziel? - Wie kann den Erwartungen der Bürger und Bürgerinnen noch besser entsprochen werden? - Ist die Leistungserbringung ausreichend flexibel? - Werden die Fähigkeiten und die Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausreichend genutzt und gefördert?" (KGST-Bericht Nr. 9/94, S. 9 f.) (Im übrigen könnten die Supervisoren diese Fragen auch gut und gerne auf ihre eigene Arbeit übertragen...) Aus diesen Grundfragen leitet sich logischerweise dann eine Veränderung der Verwaltungsstrukturen ab. Dabei werden folgende Schwerpunkte gesetzt: „Wichtig ist vor allem: - die Ergebnis- und Ressourcenverantwortung auf Fachbereichs- bzw. Amtsebene zusammenzuführen ; - Kompetenzen im Rahmen vereinbarter- Leistungs- und Finanzziele auch auf die S achbearbeitungsebene zu delegieren; - nicht zwingend notwendige Zwischeninstanzen in Informations- und Entscheidungsverfahren abzubauen; - das Personalmanagement durch Personalentwicklung, Mitarbeitergespräch(e) u.v.m auf die veränderten Bedingungen einzustellen; - die technikunterstützte Informationsverarbeitung zu verbessern." (KGST-Bericht Nr. 9/1994, S.14) Unter den Aspekten Effektivität und Effizienz werden die Aufgaben der Verwaltung durchleuchtet. Effektivität bedeutet: ist das Handeln für die Qualität förderlich? Effizienz: stehen Aufwand und Kosten in einem vertretbaren Verhältnis zu den Wirkungen? Ausgehend von der Annahme das Verwaltungen dem Dienstleistungssektor zuzuordnen sind, werden diese in Produktbereiche eingeteilt. Jeder Bereich erhält sein eigenes Budget (Budgetierung), Produktbereiche werden unterteilt in Produktgruppen und 408 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE Produkte, die wiederum einzelne Leistungen erbringen. Leistungen werden durch Leistungsbeschreibungen definiert und durch interne und externe Qualitätskontrollen gesichert, d.h. Inhalt, Art und Umfang werden dokumentiert (Dokumentation). Doch Sozialabbau durch die Hintertür der „Neuen Steuerungen^? Auch wenn gewisse Formulierungen, wie beispielsweise „Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung durch Kostenbegrenzung", den weiter oben beschriebenen Zusammenhang („Sozialabbau ") ziemlich nahe legen, gilt es andererseits festzuhalten: „aller- dings bedeutet eine Unterstützung für eine ...Verwaltungsmodemisierung keineswegs eine Zustimmung zu einer weiteren Einsparung auf Kosten der Ärmsten und Schwächsten dieses Landes". (Marquard 1998, S. 4). Koalition zwischen vergleichbaren Interessen? Wie kommt es nun zu diesen Bündnissen zwischen Supervisor und seinen Kunden? Die Neuen Steuerungen verändern Begriffe, Denkstrukturen aber auch die Organisationskultur. Die Beziehungsmodi drohen sich zu verändern: die als Gemeinschaft (Kennzeichen: Motiv/Treue, Stil/unkonventionell) und Bund (Kennzeichen: Motiv/Engagement, Stil/ spontan) dominierten sozialen Arbeitsfelder verändern sich eher zur Gesellschaft (Kennzeichen: Motiv/Nutzen, Stil/kalkuliert, rationell (vgl. Buer, 1997: siehe weiter oben). Gemeinschaft und Bund sind eher die Kulturen, die wir in Wohlfahrtsverbänden, aber auch in den sozialarbeiterischen Teilorganisationen der öffentlichen Verwaltung finden. Ich gehe also davon aus, daß sich in den Handlungssequenzen jeglicher Inszenierung in Organisationen, seien es kurze Vignetten oder ganze Dramenzyklen, diese drei Handlungsmuster als geheime Steuerungslogiken wiederfinden lassen. Ob eine Arbeitsorganisation ihre Aufgaben erfüllen kann oder nicht, hängt auch davon ab, ob die Mischung dieser drei Muster stimmt und ob die auflösenden Seiten dieser Muster durch ihre stabilisierenden Seiten kompensiert werden. Abbildung 2: Organisation als interaktive Inszenierung Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 409 Diese drei Muster verstehe ich als für unsere Gesellschaft charakteristische Typisierungen von Tele-Beziehungen, wie Moreno sie in seiner soziodynamischen Theorie annimmt. Daher gibt es auch traditionell ein Mißtrauen (unkontrollierbar, was machen die denn?) in der Verwaltung der Sozialarbeit gegenüber aber auch umgekehrt. Nicht zu vergessen ist femer, daß die Supervisoren aus genau diesen Kontexten kommen. Die „Neuen Steuerungen" fordern eine veränderte Kultur. Etwas zu verändern was sowohl Supervisoren wie Sozialarbeiter als wertvoll erachten ist ein sensibler Prozeß, der ständig von beiden - Sozialarbeiter und Supervisor - ein hohes Maß an Selbstreflexion fordert. Mit dieser Veränderung haben aufgrund ihrer Geschichte beide Gruppen traditionell Probleme und damit eine größere Nähe zueinander. Aber genau diese „Kulturveränderung" ist ein zentrales Thema in Supervision und Organisationsentwicklung. Chancen sehen und nutzen Das die Neuen Steuerungen für die Supervision neue Handlungsfelder eröffnen, daß sie endlich Ernst machen mit Einwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, Eigenverantwortung, Kooperation, Qualitätssicherung2, Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen Sozialarbeit/Supervision, Verwaltung/Bürokratie und Politik, diese Möglich- keiten werden von zu vielen Supervisoren leider (noch) nicht gesehen und schon gar nicht wahrgenommen. Die Supervisoren sollten die sich bietenden Chancen im Rahmen der Neuen Steuerungen unbedingt nutzen und dabei müssen sie nicht einmal befürchten, sich die Finger schmutzig zu machen und schon gar nicht korrumpiert zu werden (von der Verwaltungsebene) oder die Interessen ihrer Klienten zu „verraten". Das dies geht und auch wie, soll im folgenden Praxisbeispiel dokumentiert werden. 2. Supervision und/oder Organisationsentwicklung -ein Praxisfall In der Stadt X soll die Einführung Neuer Steuerungen durch Supervision begleitet werden. Darum: Anruf eines Koordinators im Jugendamt aus dem Bereich Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). Anfrage nach Supervisoren mit dem Hinweis: uns ist wichtig, daß der künftige Supervisor sich in den Neuen Steuerungen bereits auskennt. Aufgabe und Auftrag sollte es sein „Teamsupervision mit dem Schwerpunkt: wie werden wir den Anforderungen durch die Neuen Steuerungen gerecht?" Und auch noch: „Fallsupervision über besondere Fälle aus der Alltagspraxis". Der Hinweis, daß die Supervision nur dann übernommen werden könne, wenn die Entwicklung der neuen Organisationsstrukturenvon besonderem Gewicht und Interesse sei, es dazu natürlich notwendig wäre ein Gespräch mit dem verantwortlichen Amtsleiter zu führen, der wurde zwar zur Kenntnis genommen - aber mehr auch nicht! Doch auch so: die Supervision kam zustande. 2 410 Siehe hierzu den Beitrag von T. Floeth.zur Qualitätssicherung. - Der Hrsg. 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE Eine neue Aufgabe: Kompetenz und Fachlichkeit gefordert Bei der Vorstellung präsentierte sich ein junges, profiliertes und kompetentes Team: Die Mitarbeiterinnen machten sehr schnell deutlich, daß sie nicht gewillt seien ihre Zeit dazu zu nutzen, um den Supervisor erst einmal in die Systematik und Begrifflichkeit der Neuen Steuerungen einzuführen (!). Es war die Erwartung da, daß die notwendige Feldkompetenz vorhanden sein müsse. Durch eine externe Beratungsfirma waren die Projektbeschreibung und Zuordnungen bereits vorgenommen worden. Ein Teil des Teams war bereits in ein Stadtteilbüro ausgegliedert worden; dieses Team war im Rahmen der Beratung einer ebenfalls beteiligten Fachhochschule auf eine gemeinsame Stadtteilarbeit orientiert und auch verpflichtet. Die Mitarbeiterinnen nahmen durchweg an Fortbildungen in Familientherapie, Gesprächstherapie und Beratung bei sexuellem Mißbrauch teil. Eher ungewöhnlich und auffällig war, daß der ehemalige ASD-Leiter Mitglied der Supervisions-Gruppe sein sollte, wiewohl er Koordinator eines anderen „Produkt"bereiches geworden war, dies, so der Hintergrund, aus „Schnittstellengründen". Junges Team mit alten Zöpfen Interessant war außerdem, daß die Termini im Team noch immer die „alten" waren. Die Gruppe sprach von „ASD" und nicht vom Produktbereich „Erzieherische Hilfen", sicherlich ein Hinweis darauf, daß neue Strukturen zwar definiert - vom Team aber noch lange nicht akzeptiert waren. Es kam zum Kontrakt. In der ersten Sitzung wurden die Anforderungen an die Supervision wie folgt konkretisiert: 1. Fallsupervision mit dem Schwerpunkt „Erlernen einer Fallbesprechungsstruktur", die es den Mitarbeiterinnen besser ermöglichen soll, ihre Fälle effektiv zu bespre- chen und hieraus Entscheidungen abzuleiten. 2. Fallsupervision für diejenigen Fälle, die ohne ein Ergebnis im Team besprochen worden waren. 3. Prozessuale Begleitung in den Neustrukturierungsprozessen. Diese Schwerpunkte und Inhalte wurden mit dem Amtsleiter (jetzt Fachbereichsleiter Jugend und Soziales) abgesprochen. Hierbei wurde auch vereinbart, daß gemeinsame Auswertungen möglich sind. Diese Verabredungen wurden dem Team natürlich zurückgemeldet. Guter Wille zeigt nicht immer den besten (richtigen) Weg Deutlich wurde, daß aufgrund der Umsetzungsprobleme der Neuen Steuerungen häufig ad hoc und damit für die Mitarbeiter chaotisch entschieden wurde. Ein weiteres Problem für das Team lag auch darin, daß das Beratungsuntemehmen den Prozeß bis zur „Produktentwicklung'4 begleitet hatte, aber in der Umsetzung keine Beteiligung der externen Berater mehr vorgesehen war, dies sollte nun die Supervision leisten. Damit wurde klar, daß es häufig zu „Schnittstellen " zwischen Supervision und Organisationsentwicklung kommen würde. Oder - anders formuliert - daß in diesem Kontrakt nicht nur die Person, deren berufliche Rolle, sondern insbesondere die Organisation - und Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 411 deren Veränderungsprozesse - im Focus stehen würden. Für einen organisationsunerfahrenen Supervisor wären bei diesem Kontrakt schon alle möglichen Hindernisse und Fallen im Weg gestanden. Als sinnvollen Arbeitsansatz zum Einstieg in die Arbeit bot sich die soziometrische Methode des Spektrogramms: die Gruppe stellte sich in die Pole „Wie stehe ich zu den Neuen Steuerungen?" In Aktion konnte dann weitergehend erarbeitet werden, was passieren oder sich verändern muß, damit eine andere Position besetzt werden kann? Hier wurden dann die Bedingungen der Gruppe zur Mitarbeit sehr deutlich, also erste positive Ansätze für eine gemeinsame Arbeit mit den Neuen Steuerungen. Zielvorgaben, die Ängste freisetzen. Was wirkt dagegen? Zielvorgabe für das Team war u.a., daß weitere Stadtteilbüros eröffnet werden sollen. Diese Planungsabsicht löste Ängste aus: Probleme der Vertretungsdienste, auch die Frage, wie können Teams noch so groß bleiben, daß eine effektive Fallbesprechung möglich ist? Ein besonderes Problem war es, daß die anderen Mitarbeiterinnen das Konzept des bereits bestehenden gemeinwesen-orientierten Stadtteilbüros nicht mittrugen. Diese Mitarbeiterinnen wiederum entwickelten die Angst, sich erneut und immer wieder verändern zu müssen.3 Mit Hilfe der Techniken „Psychodrama" und „Soziometrie" wurden u.a. folgende Fragen einer Klärung zugeführt: - wer geht mit wem in einen Stadtteil? - welche Stadtteilteams wiederum bilden zusammen ein Team, das die Vertretungen regelt und wo die Fälle gemeinsam besprochen werden, wo die Mitarbeiterinnen Entscheidungen im Team (und nicht einsam!) treffen können? In einem Boot: Sozialarbeit und wirtschaftliche Jugendhilfe Schnell wurde klar: wenn die Teams wirkliche Entscheidungen für die Hilfe zur Erziehung treffen, daß dann die wirtschaftliche Jugendhilfe mit am Tisch sitzen muß, deshalb wurde beschlossen, daß diese Mitarbeiterinnen auch künftig an der Supervision teilnehmen sollen. Der Koordinator wurde beauftragt, dies mit dem Fachbereichsleiter und den zuständigen Mitarbeiterinnen zu besprechen. Ergebnis: künftig nahmen die Mitarbeiterinnen, die das Geld verwalten, an der Supervision teil und wurden, nach soziometrischer Wahl, den beiden neu entstandenen Teams direkt zugeteilt. Ein fachlicher Dissens blieb während des gesamten Prozesses bestehen und wird auch künftig noch zu bearbeiten sein: was bedeutet für den Produktbereich Hilfen zur Erziehung der Ansatz einer „Sozialraumorientierung"? Ist es die Fortschreibung der Gemeinwesenarbeit? Um gemeinsam weiter arbeiten zu können wurde eine Brückendefini- tion entwickelt, mit der zur Zeit alle Teams mehr oder weniger gut leben und arbeiten können: Sozialraumorientierung heißt demnach: für den Klienten alle Angebotsmöglichkeiten eines Stadtteil aktivieren, die im Erziehungsprozeß hilfreich sein können (z.B. Integration in einen Sportverein o.a.). Deutlich ist jedoch, daß dies ein einzelfall-bezogener Ansatz ist. Der (verdeckte) Wunsch der Politik, damit ein offenes Stadtteilangebot zu etaMit dem Thema „Veränderungswiderstand" setzt sich U.-H. Thiel in seinem Beitrag auseinander. - Der Hrsg. 412 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE blieren, wurde aus fachlicher Sicht verworfen. Es wurde aber auch deutlich, daß die Gruppe unter einer schweren Hypothek zu leiden hatte. Das Organisationsgutachten stellte die „schlichte" Behauptung auf, je mehr die ASD-Mitarbeiter zu Sozialmanagem des Stadtteils würden, um so stärker würden die Fallzahlen sinken. So schlicht - so dumm. Alte Zöpfe abschneiden? Oder: in das neue „Outfit" einflechten? Ein weiterer Punkt wurde für die Supervisionsgruppe zu einer wichtigen Auseinandersetzung: die Beteiligung des „alten"ASD-Leiters. Nachdem dieses Thema angesprochen war, wurden die Schnittstellen „offen" gemacht: - Überblick über die externen Angebote der Jugendhilfe; - „Service"-Pädagogik, d.h., Entwicklung neuer und maßgeschneiderter Angebote; - Prüfung von Pflegefamilien. Die Gruppe übernahm die Bereiche externe Angebote und Überprüfung der Pflegefamilien. Für die Servicepädagogik wurden klare Vereinbarungen darüber getroffen, wie ein künftiges Verfahren auszusehen hat. Damit war eine Verabschiedung von beiden Seiten mit einer klaren Perspektive möglich, was darüber hinaus die Struktur klärte, aber auch die Position des neuen Koordinators stärkte. Die Prozesse wurden immer wieder durch gegenläufige Entwicklungen blockiert teilweise auch konterkariert. Von den Mitarbeiterinnen wurde der Wunsch geäußert mehr Zeit zu haben und die Entwicklungen verbindlicher zu machen. Es kam eine Zieldiskussion darüber auf, wie denn das Profil des Produktbereiches künftig aussehen könne und damit der Arbeitsbereich eines jeden einzelnen? Zur Klärung dieser und anderer Fragen standen als „Techniken" zur Verfügung: - eine klare Diagnose, - die Produktaufteilung und Struktur, erarbeitet von einem externen Beratungsunternehmen. Was jetzt noch fehlte war, das Gerüst ausfüllen und mit „echtem" Leben zu versehen. Zusätzliche Mittel für einen Workshop: Vom Leitfaden zum Leitbild In Form eines Diskussionsentwurfs wurde der Supervisionsgruppe ein Leitfaden zur Entwicklung eines Leitbildes vorgelegt. Der Koordinator „erzieherische Hilfe" beantragte einen eintägigen Workshop unter Beteiligung des Fachbereichsleiters zur Entwicklung dieses Leitbildes, die Moderation wurde dem Supervisor übertragen, er strukturierte den Ablauf vor: In Kleingruppen wurden verschiedene Themen vorbereitet, dazu gab es als Vorlage jeweils ein Flip-Chart, auf dem bereits eine beispielhafte Formulierung vorbereitet war. Ergebnis dieses Workshops war ein Leitbild des Produktbereiches und eine Aufbau- und Ablauforganisation für die konkrete Umsetzung der Neuen Steuerungen. Die erarbeitete Vorlage bestand aus folgenden Schwerpunkten zum Thema „Leitbild des Produktbereiches erzieherische Hilfen und Aufbau- und Ablauf Organisation" : 1. Organisationsstruktur 2. Profil Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 413 3. Ziel Vereinbarungen 4. Hilfeleistungen Beratung Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren Erzieherische Hilfen übergreifende Leistungen 5. Ablauforganisation 6. Jugendhilfeplanung und Controlling 7. Stellenübersicht des Produktbereiches Erzieherische Hilfen 8. Besprechungsstruktur 9. Organigramme Gesamtverwaltung Fachbereich 4 Produktbereich Erzieherische Hilfen Hier nun die auszugsweise zitierten Aussagen der Mitarbeiterinnen im Sinne von „Leitbildern" als Ergebnis des Workshops: „ Wir verstehen uns als Serviceorganisation der Bürger, die kurz-, mittet- oder langfristige Hilfen benötigen, um ein gemeinsames Leben in der Familie zu ermöglichen. Unsere oberste Priorität ist die Hilfe bei Krisen in Familien und der Schutz von Kindern und Jugendlichen bei Gefahr. Wir sorgen hier für eine geeignete Unterstützung ohne die bisherigen Lebenssysteme zu vernachlässigen. Wir versuchen in den Stadtteilen hilfreiche Netzwerke zu schaffen, die den Menschen die Möglichkeit eröffnen, sich selbst zu helfen." Es wurden also deutliche Prioritäten für die Arbeit gesetzt und eine klare Zieldefinition für die daraus abzuleitende Praxis entwickelt. Durch diese Klarheit wird auch für die Partner - die freien Träger der Jugendhilfe - deutlich, welche Erwartungen an sie gestellt werden. Und daraus leitet sich folgende Frage an die freien Träger ab: wollt ihr unter diesen Prämissen und in diesem Kontext mitarbeiten? Ein freier Träger muß also (auch!) seine Prioritäten neu und anders setzen. Der Anspruch der Mitarbeiter an sich selbst wurde ebenso klar und deutlich formuliert: - Wir arbeiten in Teams, denn nur der fachliche Austausch verhindert Fehlentscheidungen und mögliche Fehlentwicklungen. - Wir haben den Anspruch, uns weiterzuqualifizieren und uns modernen Formen sozialen Managements zu offnen. - Wir arbeiten kostenbewußt, d.h. wir achten auf Effektivität und Effizienz der Hilfen." Die Ergebnisse des Workshops wurden von einer Redaktionsgruppe überarbeitet und zusammengestellt. In der folgenden Supervisionssitzung wurde das Ergebnis abschließend diskutiert. Wichtig ist anzumerken, daß hier auch festgeschrieben wurde, daß künftig im Rahmen eines Budgets die Teams selbst die Entscheidung über die kostenintensiven Formen der Hilfen zur Erziehung treffen. Damit wird deutlich, daß dieser Prozeß - bei allen Brüchen - dazu geführt hat, daß die Mitarbeiterinnen die Bereitschaft zu hoher Eigenverantwortung ausdrücklich bejahen. Das Ergebnis aus dem Workshop wurde dem Fachbereichsleiter als Arbeitspapier zur Unterschrift übergeben. Von dort wurde es zur Prüfung an das Personalamt weitergeleitet, dort mitgezeichnet und abschließend auch noch vom Stadtdirektor unterschrieben. Der Jugendhilfeausschuß und der Rat der Stadt 414 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE haben dieses Dokument mittlerweile verabschiedet. Im Beschluß enthalten ist eine Aufstockung der Stellen für die sozialraum-orientierte Arbeit. „Neue Steuerungen": neue und ungeahnte Chancen zur eigenverantwortlichen Mitgestaltung innerhalb der „eigenen" Organisationskultur Dies alles zeigt: wenn die Mitarbeiterinnen wollen, dann können sie - dank der „Neuen Steuerungen" - einen erheblichen Einfluß auf ihre berufliche Rolle in einer (ihrer) Organisation nehmen, sie gestalten aktiv mit (auch an ihrer beruflichen Perspektive!), sie werden ernst genommen, die Politik und Bürokratie akzeptiert sie als (neue) Partnerinnen innerhalb ihrer Organisationskultur. Konzept- und Fallsupervision: das Team hat seine Mitwirkungsmöglichkeiten gut genutzt Als nächstes stand die Konzeptsupervision (Thema Sozialraumorientierung) an und die Begleitung des Aufbaus der Stadtteilteams und deren Kommunikations- und Besprechungsstruktur. Dieser Prozeß lief über ein Jahr mit einem klaren Ergebnis. Die Supervision wurde von der institutionellen Seite zunächst sehr kritisch beargwöhnt, dann auch die Bürokratie ist lemfähig! - sehr positiv und zustimmend angenommen. Das gesamte Team beantragte die Mittel für eine zeitliche Verdichtung der Supervision. Die Verwaltung genehmigte daraufhin 3 Sitzungen zusätzlich und stellte die dafür notwendigen Mittel bereit (!). Parallel liefen auch die Fallsupervisionen weiter. Dort ist mittlerweile der Punkt erreicht, an dem eine „grobe" Rahmenstruktur für die Fallbesprechungen in den Teams „gelernt" ist: 1. Darstellung des Falles durch die/den verantwortliche/n MitarbeiterIn (z.T. Visualisierungen auf Flip-Charts wie: „das soziale Atom des Klienten"); 2. Rückfragen zum Fall; 3. Einfälle, Statements, Kommentare zur Diagnose; 4. Rückmeldung hierzu durch den Fallverantwortlichen; 5. Beratung einer gemeinsamen Einschätzung; 6. Entscheidung und Festlegung für das Hilfeplanverfahren. Die Arbeit mit dieser Methode muß noch weiter trainiert werden, damit sie im vorgegebenen Zeitrahmen effektiv eingesetzt werden kann. Dann bleiben künftig für die Supervision nur noch die Bereiche, in denen aufgrund von Teamunklarheiten, diagnostischen Fragestellungen u.a. gelagerten Problemen die Kleinteams noch zu keinen befriedigenden Ergebnissen kommen. Ein verantwortungsbewußter Supervisor muß auch „loslassen" können Abschließend läßt sich an diesem Beispiel sehr gut verdeutlichen, daß Supervision mit den Elementen aus der Organisationsentwicklung „leben" kann, wenn diese konsequent und klar umgesetzt werden. Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 415 Der Supervisor muß aber überzeugt davon sein, daß Organisationen sich positiv weiterentwickeln lassen und prinzipiell auch bereit sind, sich notwendige Fachkompetenz anzueignen. Weitere Themen der Supervision im Rahmen der „Neuen Steuerungen": Fach- und Ressourcenverantwortung: • Veränderung von Hierarchien • Veränderung von Rollen • Veränderung der Erwartungen an die Mitarbeiter • Erhöhung von Entscheidungsfreiheiten Budgetierung • Verantwortlicher Umgang mit Finanzen • Verknüpfung von Fachlichkeit und Ressourcen • Transparenz Kundenorientierung • Bedürfnisorientierung • Aufgabe der „ordnungspolitischen" Sichtweise • Einbeziehung der Klienten • Kreative Antworten auf Einzelfallprobleme Produktorientierung • Klare Leistungsdefinition • Differenzierte Diagnosen • Überprüfung der bisher angebotenen Leistungen • Umgang mit dem Begriff „Qualität" Der 3er-Kontrakt zwischen Team/Supervisor und Leitung Viele Supervisoren verstehen hierunter ein Anfangsgespräch, vielleicht eine Auswertung. Das Verständnis des Verfassers geht weit darüber hinaus: in dem dargestellten Beispiel wurde jeder wichtige Arbeitsschrift schriftlich fixiert und der Fachbereichsleitung zum Abzeichnen vorgelegt. Damit war immer klar, daß nichts ins „Luftleere", sondern mit einem hohen Maß an Verbindlichkeit geplant wurde. Nur wenn der 3erKontrakt wirklich ernst genommen wird, kann er als Steuerungsinstrument dienen. 3. Zum Umgang mit „hard-facts" (z.B. Aufbau- und Ablauforganisation) in organisationsbezogener Supervision Modem ist heute der Begriff der systemischen Sichtweise in der Supervision. Diese Begrifflichkeit greift aber zu kurz, wenn die Strukturen von Organisationen zum Thema der Supervision gemacht werden sollen. Es muß mit „hard-facts" umgegangen werden und hier scheinen die Organisationsentwickler den Supervisoren gegenüber im Vorteil und die Supervisoren bleiben scheinbar in der „Beziehungsecke" stecken. Hard facts in diesem Sinne sind: Gesetze, Richtlinien, Dienstanweisungen u.a., die den Ar- 416 3. Kapitel: Innovation durch Supervision und OE beitsprozeß strukturieren; Soft facts in diesem Sinne meint: Kultur, Umgangsformen, Beziehungen in Organisationen, die sich auf die inneren Arbeitsstrukturen auswirken. Hier sollten die Supervisoren ihr Licht nicht schamhaft unter den Scheffel stellen, gegenüber den „reinen" Organisationsentwicklem zeichnen sie sich dadurch aus, daß sie Hard facts und deren Auswirkungen auf die konkrete Arbeitssituation berücksichtigen, andererseits aber auch die Soft facts nie aus ihrem Focus aussparen: diese Verknüpfung ist organisationsbezogene Supervision. 4. Fazit Die Neuen Steuerungen sind keine bloße Modeerscheinung (trendy!), sondern haben positiv betrachtet - einen deutlichen Hintergrund: sie eröffnen die Chance mehr Einfluß auf den eigenen Arbeitsplatz zu bekommen, mehr Verantwortung zu übernehmen und eine höhere Professionalität zu erwerben. Hier können sich die Ansprüche der Auftraggeber von Supervision und diejenigen der Supervisoren decken. Es gilt also die Aufgabe zu erweitem: Öffnung der Supervision durch die Einbeziehung von Elementen der Organisationsentwicklung. Dies kann erfolgreich umgesetzt werden. Ein Supervisor, der sich in solche Prozesse einläßt, braucht sehr viel mehr als nur „Erlebnisse" in Organisationen: er muß Organisationserfahrung besitzen und die Bereitschaft aufbringen auch mit „hard facts" umzugehen. Eine weitere Notwendigkeit liegt darin eine Haltung zu den Veränderungsprozessen zu entwickeln, da sonst - monetär angereizt - die Gefahr besteht, die gleichen Worthülsen zu verkaufen, wie sich dies in vielen Organisationsgut(schlecht!)-achten diverser Firmen niederschlägt. Der Supervisor steht in einer sozialpolitischen Verantwortung für sein Handeln. Aber er steht auch in der Gefahr zahnlos und beißgehemmt zu werden wegen seiner Nähe zur Kultur der Supervisanden, wie hier ausführlich dargestellt. Dies gilt es für ihn immer wieder zu reflektieren, ansonsten versinkt er - gemeinsam mit „seiner" Gruppe - ein einer tiefen und gemeinschaftlich erlittenen Depression angesichts der bösen neuen Welt, die geprägt ist von den Neuen Steuerungen. Auch die Arrangements stellen andere Ansprüche an seine Arbeit: Dokumentation, Entwicklung schriftlicher Konzepte sind gefragt. Wenn Wittenberger (1998, S. 128) auch etwas übertreibt, so werden sich doch Ansprüche verändern: „Qualitätssicherung meint aber auch, Supervision ökonomisch zu gestalten; Kurzinterventionen, schnelle und billigere Prozesse. Alles was länger als 5 Sitzungen dauert ist unökonomisch. Hierbei wird Su- pervision unter dem Kriterium der Effizienz überprüft oder verändert. Effizienz von Supervision bedeutet, Qualität unter den Bedingungen einer Kosten-Nutzen-Relation zu erbringen. Erst eine so gesicherte Form von Supervision könnte sich als gesellschaftlich legitimiert ausgeben." Einen herausragenden Aspekt möchte ich an den Schluß dieser Überlegungen stellen, er ist sozusagen die wichtigste „Klammer" für alle Diskussionen, Aktionen und Handlungen im Zusammenhang mit sozialer Arbeit: „Soziale Arbeit ist Menschenrechtsprofession" (vgl. Silvia Staub-Bemasconi 1996). Günter Rütz-Lewerenz: Neue Steuerungen in der Jugend- und Sozialarbeit 417 Literatur Buer, F. (1977a): Glossar zur Ethik, Unveröffentlichtes Seminarmanuskript Buer, F. (l 9770): Aspekte des Berufsethos eines/r Supervisors/in, Unveröffentlichtes Seminarmanuskript Hinte, W. (1995): Soziale Dienste und ihre neuen Herausforderungen - was tun mit den Unternehmensberatern?, in: Demokratische Gemeinde, 9/1995. KGST(1993): Nr. 5/1993 KGST(1994): Nr. 9/1994 Marquard, P. (1998): Wie frei sind freie Träger?, in: Schlaglichter 1/98 Moreno, J.L. (1954): Die Grundlagen der Soziometrie, Opiaden Nikles, B. (1998): Steuerung der Jugendhilfe - Perspektiven und Anfragen, in: Max-Traeger-Stiftung, Neue Steuerungsmodelle in der Jugendhilfe, 2/98 Pühl, H. (1998): Teamsupervision - von der Subversion zur Institutionsanalyse, Göttingen Rütz-Lewerenz, G./Mochmann, S. (1995): Sozialmanagement als unverzichtbare Komponente sozialer Arbeit, in Theorie und Praxis der sozialen Arbeit 3/95 Staub-Bernasconi, S. (1996): Thesen zur sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession, unveröffentlichtes Manuskript, Zürich Wittenberger, G. (1998): Supervision und Qualitätssicherung - ein quergedachter Beitrag zum 3. Deutschen Supervisionstag, in Forum Supervision 2/98