Warum stirbt Recha nicht, oder die familiären

Transcription

Warum stirbt Recha nicht, oder die familiären
Universiteit Gent
Academiejaar 2009-2010
Warum stirbt Recha nicht, oder die
familiären Beziehungen in Lessings Miß
Sara Sampson, Emilia Galotti und
Nathan der Weise.
Promotor: Prof. Dr. J. De Vos
Verhandeling voorgelegd aan de
Faculteit Letteren en Wijsbegeerte
voor het behalen van de graad van
Master in de Taal- en Letterkunde:
Duits-Engels
door
Judith Penning
5
Ich möchte allen danken, die mir bei der Erstellung dieser Magisterarbeit geholfen
haben.
Zuerst danke ich Prof. Dr. Jaak De Vos. Seine konstruktive Kritik hat mir in dieser
Arbeit sehr geholfen. Ich möchte ihm auch danken, weil er mir geholfen hat, zu allen
nötigen Büchern zu gelingen.
Zweitens danke ich den Dozenten des Fachbereichs Deutsch, für die gute Ausbildung
und Betreuung.
6
Inhalt:
1. Einleitung
5
2. Aufklärung
7
3. Miß Sara Sampson
3.1 Sara und Sir William
3.2 Vater/Gott-Beziehung
3.3 Egoismus
3.4 Mellefonts Familie
3.5 Wiedervereinigung
3.6 Zwei-Väter-Familie
3.7 Zeitgeist
13
13
16
18
20
25
26
28
4. Emilia Galotti
4.1 Fabel
4.2 Tugend
4.3 Erziehung
4.4 Religion
4.5 Der abwesende Vater
4.6 Mord
4.7 Besitzdenken
4.8 Hof
4.9 Apianni
4.10 Negatives Frauenbild
31
31
31
35
39
39
42
44
45
48
50
5. Nathan der Weise
5.1 Vater-Tochter-Liebe
5.2 Religion
5.3 Erziehung
5.4 Eindringlinge
5.5 Saladin
5.6 Besitzdenken
5.7 Ende
5.8 Ringparabel
5.9 Frauen
52
52
53
56
60
61
63
64
65
66
6. Synthese
69
7. Bibliographie
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur
76
76
76
7
1. Einleitung
Wie die Vater-Tochter-Beziehung in Lessings Nathan der Weise sich darstellt,
habe ich bereits in meiner Bachelorarbeit untersucht. Für meine Magisterarbeit möchte
ich zusätzlich tiefer eingehen auf die familiären Beziehungen – im Besonderen auf die
Vater-Tochter-Beziehung – in noch zwei anderen Dramen von Lessing, nämlich: Miß
Sara Sampson und Emilia Galotti. Nathan der Weise ausgenommen sind die anderen
zwei Werke Tragödien, insbesondere Familientragödien. In Miß Sara Sampson und
Emilia Galotti wird die Tragödie vor allem dadurch verursacht, dass die Väter die
Tugend ihrer Töchter zu stark betonen. Beide Frauen sterben denn auch am Ende des
Dramas: die eine (Sara) hat ihre Tugend aufgegeben, die andere (Emilia) stirbt, weil sie
Angst hat, sonst ihre Tugend aufzugeben. Auf den ersten Blick sieht es so aus, dass Miß
Sara Sampson und Emilia Galotti mehr mit einander gemeinsam haben, als mit Nathan
der Weise. Aber ist dem auch wirklich so? Das möchte ich in dieser Magisterarbeit
herausfinden.
Alle Dramen sind an einem verschiedenen Ort situiert, aber das zeitliche Setting
ist analog. Nathan der Weise ist zum Beispiel scheinbar im Mittelalter situiert, denn
Lessing wollte auf diese Weise im Stande sein, Kritik an dem eigenen Zeitalter zu üben.
Ich habe mich für diese drei Dramen entschieden, weil sie einen unterschiedlichen
Blick auf eine Familienbeziehung darstellen. Alle handeln sie über Väter, die versuchen
– in Bezug auf ihre Töchter – moralisch gut zu handeln und darin scheitern.
Zuerst möchte ich sozial-historisch untersuchen, wie die Familie in der Zeit der
Aufklärung gebildet war und wie sich die Familienmitglieder zu einander verhielten.
Ich interessiere mich besonders dafür, wie die Erziehung der Kinder organisiert war.
Bekamen auch die Töchter eine gute Erziehung? Und wie stand es in dem Zeitalter der
Mündigkeit und der Aufklärung mit der Mündigkeit der Frauen?
Dann werde ich in chronologischer Abfolge auf jedes Werk tiefer eingehen, um zu
überprüfen, ob Lessings Darstellung der Familie auch mit der Wirklichkeit des
achtzehnten Jahrhunderts übereinstimmt oder davon abweicht.
Danach werde ich in der Synthese versuchen eine Antwort auf die Initialfrage dieser
Magisterarbeit zu formulieren. Leitfragen sind dabei: Gibt es einen Unterschied in der
8
Art und Weise, wie die Eltern mit den Kindern umgehen, und macht es einen
Unterschied, ob sie die biologischen oder Adoptiveltern sind?
Ich habe auch bemerkt, dass die Muttergestalten in diesen Dramen ziemlich negativ
anmuten. Wir sollen uns fragen, aus welcher Perspektive die Mütter als negativ
dargestellt werden. Ist es Lessings Sichtweise? Oder die der autoritären Väter?
9
2. Aufklärung
In der Aufklärung war man davon überzeugt, dass eine gute Erziehung nützlich
war. Die Bildung sollte vor allem den Personen ermöglichen, auf rationelle Weise mit
sich selbst und der Welt umzugehen.1 Fiedel betrachtet die Erziehung so: “Das Ziel ist
also, das Kind zu einem selbständigen, handlungs- und entscheidungsfähigen
Erwachsenen zu erziehen und man hatte erkannt, daß dies durch eine konsequente aber
sanfte Führung besser möglich ist als durch eine straffe, unnachgiebige Erziehung.”2
Man will also aus dem Kind auf sanfte Weise einen denkenden Erwachsenen bilden.
Wurst bemerkt innerhalb der Familie eine Verschiebung von physischer nach
psychischer Gewalt durch den Vater, um seine Autorität gelten zu lassen: “Auch wenn
die Durchsetzung seines Willens nicht mehr durch Schläge, sondern durch
psychologische
Motivierung
erfolgt,
so
ist
und
bleibt
doch
sein
Wille
ausschlaggebend.”3
Eine andere wichtige, doch sehr absolute Sicht der Erziehung, finden wir bei Kant: “Der
Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was Erziehung aus
ihm macht.”4 Kant behauptet, dass der Mensch erst Mensch wird, indem er sich bildet.
Aber hatten Männer und Frauen damals dieselbe Chance auf eine Erziehung?
Es fällt nämlich beim Lesen der Sekundärliteratur auf, dass die Erziehung, welche die
Frauen bekamen, der Bildung der Männer untergeordnet war. Heidi Ritter äußert sich
deshalb ziemlich negativ über die “weibliche” Erziehung: “Die Bildung der Frau ist
sekundär, sie ist ihr zugestanden vom Mann als Ausdruck der von ihm erreichten
Humanität, er bestimmt deshalb auch das Ausmaß dieser Bildung und ihre Formen”5.
Die Frauen können also doch eine Erziehung erhalten, aber was und wie viel sie lernen
1
Braeckman, Johan: Historisch Overzicht van de wijsbegeerte. Universiteit Gent: Academiejaar 20052006, S. 101
2
Fiedel, Simone: Familie und Vertrauen in Lessings Dramen. Emilia Galotti, Nathan der Weise und Miß
Sara Sampson. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller 2008, S. 21-22
3
Wurst, Karin: Familiale Liebe ist die ‘wahre Gewalt’. Die Repräsentation der Familie in G.E. Lessings
dramatischem Werk. Amsterdam: Rodopi 1988, S. 49
4
Kant, Immanuel: “Über Pädagogik.” Hg. v.d Friedrich Theodor Rink (1803). In: Werke in sechs Bänden.
Hg. von Wilhelm Weischedel. Bd. 6 Darmstadt 1966, S. 699
5
Ritter, Heidi: “Der Diskurs über die Tugendhaftigkeit des Weibes. Frauenbilder und
Weiblichkeitsmuster in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Aufklärung und Spätaufklärung.” In:
Aufklärung nach Lessing. Beiträge zur gemeinsamen Tagung der Lessing Society und des LessingMuseums Kamenz aus Anlaß seines 60jährigen Bestehens. Hg. von Wolfgang Albrecht, Dieter Fratzke
und Richard E. Schade. Kamenz: Schriftenreihe des Lessing-Museums Kamenz 1992 S. 58
10
können, wird immer von Männern bestimmt. Laut Ritter war es aber auch nicht die
Absicht, dass Frauen vieles Wissen besaßen, denn “[d]er Beruf des Weibes dagegen
liege im häuslichen Zirkel: dort ist sie Gattin, Mutter, Hausfrau.”6 Dafür brauchten sie
nicht dieselbe Kenntnis wie die Männer. Die Männer sind aber nicht nur Väter, sie
haben daneben auch noch einen Beruf: “Im patriarchalisch orientierten 18. Jahrhundert
war der Vater wohl das Bindeglied, das die Familie und die Außenwelt gleichsam
zusammenführte. Er war ja der einzige, der die – vermeintliche – Geborgenheit der
Familie zeitweilig hinter sich ließ.”7 Die Frauen brauchen also – nach Männersicht –
nur häusliche Kenntnisse. Die Männer gingen davon aus, dass die Frauen, die das Haus
nur kaum verließen, auch keine außerhäuslichen Kenntnisse benötigten. Mit diesen
unterschwelligen Gedanken ist es leicht verständlich, dass die Frauen nicht sehr
mündig, ja sogar unmündig waren.
Über die Unmündigkeit hat Kant folgendes geschrieben:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu
bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am
Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne
Leitung eines andern zu bedienen.8
Wenn man unmündig ist, ist das also nicht, weil man dumm ist, sondern weil man es
einfach nicht wagt, für sich selbst zu sprechen und nachzudenken. Wie das auf Frauen
zutrifft, verdeutlicht ein anderes Zitat von Kant:
Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den
Schritt zur Mündigkeit außer dem, daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte:
dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich
genommen haben.9
Weil der Vater als Einziger Kontakt mit der Außenwelt hat, ist es nicht verwunderlich,
dass er in diesem patriarchalischen Zeitalter der Vormund und Wortführer der Tochter
ist. Die Töchter können also schon den Verstand haben (obwohl sie – wie oben gesagt –
6
Ritter, S. 61
Dalemans, Jacques: Bild und Rolle des Hausvaters im frühen deutschen bürgerlichen Drama unter
besonderer Berücksichtigung von Gellerts Zärtlichen Schwestern (1747) und Lessings Miss Sara
Sampson (1755). Vrije Universiteit Brussel: Academisch Jaar 1982-1983, S. 131
8
Kant, Immanuel: “Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?” In: Was ist Aufklärung. Thesen und
Definitionen. Hg. von Ehrhard Bahr. Stuttgart: Reclam 1994, S. 9
9
Kant, S. 9
7
11
nur eine geringe Bildung erhalten), aber sie wagen es nicht, für sich selbst zu sprechen.
Christa Kersting betont dies auch in ihrem Beitrag Höhere Mädchenbildung und Staat
in Deutschland vom 18. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert: “Geist blieb Privileg des
Mannes.”10
Erstaunlich genug finden wir diese Einschränkung auch bei Kant wieder. Kant,
der sich öfters mit der – seiner Meinung nach – idealen Bildung beschäftigt hat, hat sich
in seiner erzieherischen Theorie (im Jahre 1803 erschienen) hauptsächlich an Männer
gerichtet: “The individual for whom he [Kant] lays down rules positively is the boy.”11
Dies ist doch merkwürdig, denn laut Kant hatten die Frauen Schuld an der eigenen
Unmündigkeit, weil sie nicht für sich selbst dachten. Aber wie hätten sie das machen
sollen, ohne Erziehung?
In seiner Einleitung zur erzieherischen Theorie Kants verdeutlicht Edward Franklin
Buchner, weshalb Kants Ideen nicht auf Frauen Beziehung haben: “Kant’s failure
properly to conceive of, and to discuss, the education of girls is closely connected with
his conception of woman. As early as 1764 we find expression of his idea of the nature
of woman, and outlines of what the education of girls should be. “The fair sex has
understanding, just the same as the masculine; it is only a beautiful understanding; ours
[of the men] should be a deep understanding.” ”12
Kant wirft den Frauen also vor, dass sie nicht ihre eigene Vernunft verwenden (und
folglich in der Unmündigkeit stecken bleiben), während er seine Theorie nur an Männer
richtet. Christiane Bohnert kritisiert im folgenden Zitat mit Recht die doppelte Haltung
der Aufklärer über die Stellung der Frau im achtzehnten Jahrhundert:
Die Aufklärung ist schließlich das Eiserne Zeitalter der Heuchelei, als die schreibende Elite
an der Oberfläche Humanität und Toleranz fordert, während sie auf einer tieferen Ebene im
Sinne des weißen, heterosexuellen Mannes Anderssein unterdrückt, die Anderen seien
Frauen oder Minderheiten.13 (Meine Hervorhebungen)
10
Kersting, Christa: “Höhere Mädchenbildung und Staat in Deutschland vom 18. bis zum
beginnenden 20. Jahrhundert ”. In: Staat und Erziehung in Aufklärungsphilosophie und Aufklärungszeit.
Hg. Von Fritz-Peter Hager und Dieter Jedan. Bochum: Winkler 1993, S. 125
11
Buchner, Edward Franklin: Introduction zu The educational theory of Immanuel Kant. Hg. von
Edward Franklin Buchner. New York: AMS Press 1971, S. 84
12
Buchner, S. 85
13
Bohnert, Christiane: «“Wer käme schon ohne seinen Kant aus?” Praktische Vernunft in den achtziger
Jahren. In: Aufklärung nach Lessing. Beiträge zur gemeinsamen Tagung der Lessing Society und des
Lessing-Museums Kamenz aus Anlaß seines 60jährigen Bestehens. Hg. von Wolfgang Albrecht, Dieter
Fratzke und Richard E. Schade. Kamenz: Schriftenreihe des Lessing-Museums Kamenz 1992, S. 194
12
Sie geht weiter:
Der aufklärerische Diskurs über Frauen, Juden und Minderheiten war diskriminatorisch
insofern, als selbst von denen, die das Recht dieser Gruppen auf Gleichberechtigung
anerkannten, die Ausübung dieses Rechts von einem zunächst zu erzielenden Grad an
Aufklärung abhängig gemacht wurde, d.h., die Mitwirkung hing nicht an der Anerkenntnis
von Anderssein durch die Aufklärer, sondern an der Anpassung der Anderen an die
Aufklärer.14
Bohnert wirft den Aufklärern eine doppeldeutige Haltung vor: einerseits geben die
Männer den Frauen die Schuld daran, dass sie nicht nachdenken; andererseits geben sie
den Frauen nicht die Gelegenheit, zu lernen und den eigenen Geist zu entwickeln.
Folglich waren nur Männer in der Möglichkeit sich aufzuklären.
Inge Stephan pflichtet Bohnerts These bei: “Spätestens am Ende des 18. Jahrhunderts
zeigte es sich, daß z. B. die Gleichheitsforderung nicht für alle galt, nicht für die
unteren Volksschichten und nicht für die Frauen. Diese waren in die Formel vom freien
und mündigen Bürger nicht eingeschlossen.”15 (Meine Hervorhebung)
Nicht nur blieben die Frauen unmündig, sie hatten auch in der öffentlichen Welt
(und meistens auch zu Hause) keine Macht. Susan Cocalis führt die Idee in ihrem
Beitrag Der Vormund will Vormund sein: zur Problematik der weiblichen
Unmündigkeit im 18. Jahrhundert aus: “Da auch in der Bibel steht, daß die Frau
schwach und von Affekten beherrscht sei (Sündenfall), wurde sie für unmündig
gehalten, und ihre Interessen mußten in der Öffentlichkeit von ihrem Vater, Mann oder
Vormund vertreten werden.”16
Wenn wir Cocalis’ Aussage lesen, bemerken wir, wie real das familiäre Bild ist, dass
Lessing uns in Miß Sara Sampson und Emilia Galotti präsentiert: “Denn nirgends im
18. Jahrhundert kommt man darüber hinweg, das Weib als jemand zu sehen, der sich
dem Urteil, wenn nicht dem Befehl, ihres Vaters oder ihres Mannes fügen mußte.”17
14
Bohnert, S. 194
Stephan, Inge: ““So ist die Tugend ein Gespenst” Frauenbild und Tugendbegriff im bürgerlichen
Trauerspiel bei Lessing und Schiller.” In: Lessing Yearbook XVII Hg. Von Richard E. Schade Detroit:
Wayne State University Press 1986, S. 6. Auf: http://books.google.com/books?id=K5zxyikoEbgC&pg=
PA1&dq=inge+stephan+lessing&hl=nl&cd=1#v=onepage&q=inge%20stephan%20lessing&f=false
16
Cocalis, Susan L.: “Der Vormund will Vormund sein: Zur Problematik der weiblichen Unmündigkeit
im 18. Jahrhundert.” In: Gestaltet und Gestaltend. Frauen in der deutschen Literatur. Hg. von Marianne
Burkhard. Amsterdam: Rodopi N.V. 1980, S. 36-37
17
Cocalis, S. 49
15
13
Anz und Kanz ergänzen: “Auch im juristischen Sinne waren sie [die Frauen] von
Vätern, Ehemännern, Brüdern oder anderen männlichen Vormundgestalten abhängig”18.
Jetzt möchte ich näher eingehen auf die Art und Weise, wie die Eltern, und vor
allem die Väter, mit den Kindern umgingen. So lesen wir mehrfach, dass in dieser
Erziehung sowohl Frauen als auch Männer den Eltern (und vor allem dem Vater)
untergeordnet waren:
Mit religiöser Fundierung der Familie bei LESSING ist eigentlich eine strukturell
lutherische gemeint, in der es eine strenge Hierarchie gab, in der der Vater sich an der
Spitze, die Kinder sich an der Grundlinie der Pyramide befanden, genau wie der König sich
am positivsten Zeigerende, und die Bürger sich am negativsten Ende der gesellschaftlichen
Wertschätzungsskala ansiedelten. Kind wie Bürger waren ihrem jeweiligen Herrn
Gehorsam verschuldet.19 (Meine Hervorhebung).
Die Kinder sollen nicht nur Gehorsam üben, sie sollen auch immer erkennen, dass der
Vater der Patriarch ist: “Es war also der pater familias, der auf empfindsame Weise
versuchte, näher auf die Probleme seiner Kinder einzugehen, der es aber nicht duldete,
daß seine Kinder entgegen dem patriarchalischen Prinzip eigenen Spielraum zur Lösung
ihrer Probleme eroberten.”20 Der empfindsame Aspekt der väterlichen Liebe, dem wir in
diesem Kapitel schon begegnet sind, war also ziemlich zu vernachlässigen. Auch
Sørensen hat diese doppeldeutige Haltung bemerkt: “Hinter dem Schleier von Rührung
und Zärtlichkeit blieb aber nach wie vor die Herrschaft des Hausvaters unangetastet.”21
Es ist also klar, dass die Familie in dem achtzehnten Jahrhundert durch den
Patriarchalismus gekennzeichnet wird, so bestätigt auch Lorey: “Dabei gehört die
strenge patriarchalische Gliederung der Familie der sozialen Wirklichkeit an.”22
Nicht nur hatten die Männer in der realen Welt den Vorteil der Mündigkeit, auch
die Art und Weise, wie sie in der Literatur charakterisiert wurden, war positiver, als die
der Frauen. Frauen spielten selten eine wichtige Rolle in der Literatur, “[v]or allem
18
Kanz, Christine; Anz, Thomas: “Familie und Geschlechterrollen in der neueren deutschen
Literaturgeschichte. Fragestellungen, Forschungsergebnisse und Untersuchungsperspektiven” (Teil I +
Biographie). In: Jahrbuch für Internationale Germanistik 32 2000, S. 26
19
Dalemans, S. 49-50
20
Dalemans, S. 51
21
Sørensen, Bengt Algot: Herrschaft und Zärtlichkeit. Der Patriarchalismus und das Drama im 18.
Jahrhundert. München: Verlag C. H. Beck 1984, S. 40
22
Lorey, Christoph: Lessings Familienbild im Wechselbereich von Gesellschaft und Individuum. Bonn:
Bouvier Verlag 1992, S. 16
14
dann nicht, wenn sie im Zentrum von Texten männlicher Autoren, und erst recht nicht,
wenn sie im Zentrum des Familiendramas stehen.”23 Gustafson bestätigt diese Aussage:
“Lessing insists in the Hamburgische Dramaturgie that titles are not the “Küchenzettel”
[bill of fare] that outline the major themes or characters of a play”24. Dass Lessing ein
Stück Emilia Galotti nennt, bedeutet nicht, dass sie deshalb die wichtigste Figur sein
wird, denn irgendwie weiß Lessing unsere Aufmerksamkeit immer auf die Vaterfiguren
zu lenken.
Van Laecke betont, dass der Mann dem Leser als tugendhaft, zart und gut präsentiert
wird.25 Auch wird seine Beziehung zu seiner Tochter von zarter Liebe und Sorge
gekennzeichnet, während die Beziehung zwischen Mutter und Tochter negativ
dargestellt wird.26 Wolff hebt das damalige schlechte Bild der Mütter hervor: “„Es
geschiehet nämlich oft, daß Kinder auf die Mütter nicht so viel geben, als auf die Väter,
weil sie aus großer Liebe die Schärffe, wo es nöthig ist, aus den Augen setzen, auch sich
unterweilen mit ihnen gar zu gemein machen, ingleichen ihre Fehler in einem und dem
andern blicken lassen, und was dergleichen Ursachen mehr sind“ (Chr. Wolff §159).”27
Weil die Mutter eine sehr negative Figur in der Literatur des achtzehnten Jahrhunderts
ist, wird sie vielfach aus den Dramen gewehrt. Über die Abwesenheit der Mütter in den
Dramen sagt Gail K. Hart folgendes: “Though one might expect sentimental plays that
deal with the private realm of the family to feature mothers more prominently, this is
not the case in bürgerliches Trauerspiel and other family-oriented pieces of the
period.”28 Dies scheint mir nicht verwunderlich, denn in diesem Zeitalter glaubte man,
dass Väter die Tugend verkörperten, während die Mutterfiguren durch ihr verwerfliches
Benehmen die Töchter davon entfernten. Ich werde auf diese zeitgebundenen Ansichten
in der Einzelanalyse der drei Dramen tiefer eingehen.
23
Kanz; Anz, S. 29
Gustafson, Susan E., Absent Mothers and Orphaned Fathers. Narcissism and Abjection in Lessing’s
Aesthetic and Dramatic Production. Detroit: Wayne State University Press 1995, S. 143
25
Van Laecke, Ellen: De representatie van het vrouwbeeld in het achttiende eeuws burgerlijk drama. Een
analyse van de vrouw in een patriarchale structuur zoals deze gepresenteerd wordt binnen de teksten van
Georges Lillo, Denis Diderot en Gotthold Ephraim Lessing. Universiteit Gent: Academiejaar 2002-2003,
S. 88-89
26
Van Laecke, S. 64
27
Wolff, Christian: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Die fünfte
Auflage, 1740. Zitiert bei Sørensen, S. 17
28
Hart, Gail K: Tragedy in Paradise. Family and Gender Politics in German Bourgeois Tragedy. 17501850. Columbia: Camden House 1996. S. 1. Auf: http://books.google.com/books?id=F5i5nDS3tKYC&
printsec=frontcover&dq=tragedy+in+paradise &lr=&hl=nl#v=onepage&q=&f=false
24
15
3. Miß Sara Sampson29
In Miß Sara Sampson begegnen wir zwei Vater-Tochter-Konstellationen –
einerseits Sir William und Sara, andererseits Mellefont und Arabella – die sich mit dem
Tod der beiden Geliebten (Sara und Mellefont) in einer neuen Vater-TochterGruppierung lösen, nämlich Sir William und die von ihm angenommene Tochter
Arabella. Bevor ich mich mit der Fragestellung dieses Kapitels auseinandersetze,
möchte ich zuerst kurz den Inhalt des Stückes skizzieren.
Am Anfang des Stückes kommt Sir William, um seine Tochter aus dem Wirthaus,
wo sie mit ihrem Verführer Mellefont lebt, zurückzuholen. Mellefonts ehemalige
Geliebte (und Mutter seines Kindes) Marwood hat Sir William erzählt, wo er seine
Tochter finden könnte, in der Hoffnung, dass Sara nach Hause geht und Mellefont
wieder zu ihr kommen wird. Nach vielen Konflikten wird Sara durch Marwood vergiftet
und verübt Mellefont Selbstmord. Sir William wird letztendlich mit Mellefonts Tochter
Arabella eine neue Familie gründen.
Man bemerkt in diesem Stück, dass sowohl Sir William als auch Mellefont ihre
Töchter lieben; aber doch kann man sich bei der Art und Weise, wie sie mit ihren
Kindern umgehen, Fragen stellen. Ich werde beide Vater-Tochter-Beziehungen
besprechen und auch Marwoods Haltung ihrer Tochter gegenüber. Weiter will ich mich
auch auf einige Aspekte, wie unter anderem die Beziehung zu Gott, den Egoismus und
den Zeitgeist konzentrieren, weil diese wichtig sind um ein richtiges Bild der VaterTochter-Beziehung zu bekommen.
3.1 Sara und Sir William
Zuerst soll hervorgehoben werden, dass die erste Begegnung zwischen Sir
William und Sara in diesem Drama zugleich auch die letzte ist. Aber weshalb kommt es
nur zu einer Begegnung? Wenn man diese Geschichte das erste Mal gelesen hat, fällt
vor allem die große Vater-Tochter-Liebe ins Auge. Aber gibt es wirklich so eine
idyllische Beziehung zwischen beiden?
Karin Wurst gibt einen Ansatz zu diesem Problem: “Die Tatsache, daß die
Störung von außen [durch Marwood] artifiziell anmutet, läßt darauf schließen, daß
29
Ich werde für meine Masterarbeit folgende Ausgabe benutzen: Lessing, Gotthold Ephraim: Miß Sara
Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Stuttgart: Reclam 1975.
16
Lessing nicht in erster Linie an dieser äußeren Lösung interessiert war, sondern daß das
Vater-Tochter Verhältnis allein im Vordergrund steht.”30 Nicht nur wird auf diese
Beziehung fokussiert, es ist auch gerade in dieser Vater-Tochter-Beziehung, dass sich
die wirkliche Störung befindet, die von Mellefont und Marwood nur verschlimmert
wird.
Aber obwohl es in der Beziehung zwischen Sara und ihrem Vater manchmal
schief geht (vor allem Sir Williams Egoismus und Tugendrigorismus verursachen die
Zerstörung), lieben sie einander sehr, denn sowohl Sara als auch ihrem Vater tut es
Leid, die andere Person verletzt zu haben. Sara bedauert, ihren Vater verlassen zu
haben, und als Mellefont verspricht, dass er sie in Frankreich heiraten und dort mit ihr
zusammenzuleben wird, sagt sie: “So soll ich mein Vaterland als eine Verbrecherin
verlassen?” (MSS, I, 7; S. 16; meine Hervorhebung). Das Vaterland bekommt hier eine
besondere Bedeutung, weil sie vom Vater allein aufgezogen ist. Für Sara ist es aber
noch schlimmer sich als Verbrecherin zu betrachten, weil das einfach nicht in ihrem
Tugendsystem passt.
Stephan betont, dass Sara sich mit ihrem Vater verbunden fühlt, auch nachdem sie ihn
verlassen hat: “In Situationen der Verzweiflung ruft sie zuerst nach dem fernen Vater
und nicht nach dem nahen Liebhaber.”31
Auch die Tatsache, dass Sara sogar im Moment des Sterbens noch betont, wie gut ihr
Vater ist: “eine[r] großmütig[e], eine[r] zärtlich[e] Vater” (MSS, V, 9; S. 89) beweist,
dass die Beziehung zwischen beiden sehr zärtlich ist. Sørensen betont, dass die Familie
vor dem Eintritt Mellefonts eine kleine Entität formte: “Vor der Verführung Saras
hatten er [Sir William] und Sara in ländlicher Stille [...] ein harmonisches Leben
miteinander geführt.”32 Meiner Meinung nach stimmt Sørensens Zitat nicht ganz: er
betrachtet die Vater-Tochter-Beziehung zu harmonisch und idyllisch. Sir William und
Sara haben in der Tat vor Mellefonts Eintritt keine Probleme gehabt. Sir William hat
seine Tochter aber niemals gelehrt, wie sie sich in der Nähe von Männern benehmen
sollte. Der Eintritt von Mellefont trägt deshalb bei zu der Zerstörung der Vater-TochterBeziehung. Ich werde später darauf tiefer eingehen.
Sir William versucht das Verbrechen seiner Tochter schlimmer zu machen, in der
30
Wurst, 1988, S. 104
Stephan, S. 12
32
Sørensen, S. 77-78
31
17
Hoffnung, weniger Leid davon zu empfinden. So sagt er am Anfang des Stückes zu
seinem Bedienten Waitwell: “sage, daß Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht
aufgehört hat, es zu sein; sage, daß sie mich nie geliebt, weil sie mich heimlich
verlassen hat.” (MSS, I, 1; S. 6). Auch Sara benützt eine ähnliche Taktik, sie hofft, ihr
Vater habe sie vergessen, oder sei sehr böse; alles ist für sie besser als zu vernehmen,
dass sie ihren Vater verletzt hat. Sara kann/will deshalb auch den Brief ihres Vaters
nicht lesen, wenn sie wüßte, dass er ihr verzeiht, so sagt auch Keil: “Nur einem
zornigen Vater könne sie gegenübertreten, denn Vergebung würde ihre Schuld noch
vermehren und ihr ein weiteres glückliches Leben unmöglich machen.”33 Nur nachdem
Waitwell sie über den Inhalt des Briefes belügt, liest sie ihn. Sofort nachdem Sara die
Vergebung ihres Vaters erfahren hat, ändert sie die Art und Weise, wie sie ihren
Fehltritt formuliert. So behauptet auch Eibl: “Zwar hat Sara die Verzeihung ihres Vaters
erlangt, spricht sie nicht mehr von ihrem „Verbrechen“, sondern von ihrem „Irrtum“”.34
Sir William fühlt sich letztendlich mitschuldig an der Verführung seiner Tochter:
“Ich habe selbst den größten Fehler bei diesem Unglücke begangen. Ohne mich würde
Sara diesen gefährlichen Mann nicht haben kennenlernen.” (MSS, III, 1, S. 38).
Offensichtlich hat Sir William seine Tochter nie gelehrt, wie sie mit Männern umgehen
sollte. Jacques Dalemans beschreibt Sara mit Recht als eine “in Unkenntnis weltlicher
Verführungen erzogene[n] Tochter.”35 Dalemans findet es dann auch nicht
verwunderlich, dass Sara sich so schnell in Mellefont verliebt hat: “denn es erscheint
uns verständlich, daß der Körper gegen eine Krankheit, gegen die er keine Antitoxine
aufgebaut hat, keinen Widerstand leisten kann”36. Er beschreibt diese Liebe treffend mit
einem Krankheitsbild. Sir William erkennt (noch) nicht seine eigenen Erziehungsfehler
darin; er glaubt nämlich, dass die Tochter einfach die Haltung ihres Vaters kopiert hat.
In einem Gespräch mit seinem Diener Waitwell sagt er deshalb:
Es war natürlich, daß ihm die dankbare Aufmerksamkeit, die ich für ihn bezeigte, auch die
Achtung meiner Tochter zuziehen mußte. Und es war ebenso natürlich, daß sich ein
Mensch von deiner Denkungsart durch diese Achtung verleiten ließ, sie zu etwas Höherm
zu treiben. (MSS, III, 1; S. 38-39).
33
Keil, Natascha: Entwicklung der Titelfiguren aus Lessings Stücken “Miß Sara Sampson”, “Philotas”,
“Minna von Barnhelm” und “Emilia Galotti” bezüglich ihrer Handlungsaktivität. Norderstedt Germany:
GRIN Verlag 2004, S. 7
34
Eibl, Karl : Gotthold Ephraim Lessing: Miss Sara Sampson. Ein bürgerliches Trauerspiel. Frankfurt
am Main: Athenäum Verlag 1971, S. 157
35
Dalemans, S. 193
36
Dalemans, S. 195
18
Sir William hat offensichtlich keine allzu große Menschenkenntnis, denn er erkennt zu
spät, dass er Mellefont besser nicht allein in der Nähe seiner Tochter gelassen hatte. Er
gesteht Waitwell, dass er nach ihrer Flucht aber zu streng gewesen sei: “Wenn ich
meine zu späte Strenge erspart hätte, so würde ich wenigstens ihre Flucht verhindert
haben.” (MSS, III, 1; S. 39). Sir William bedauert folglich nicht, streng gewesen zu
sein, nur, dass er damit zu spät war.
Waitwell erzählt Sara bei ihrer Begegnung, dass Sir William diese Strenge bedauert:
“Und vielleicht ein aufrichtiges Bedauern, daß er die Rechte der väterlichen Gewalt
gegen ein Kind brauchen wollen, für welches nur die Vorrechte der väterlichen Huld
sind.” (MSS, III, 3; S. 43). Saras Tugend und Güte werden hier hervorgehoben.
Sørensen schreibt als Kommentar zu diesem Zitat: “Die „Rechte der väterlichen
Gewalt“ werden nicht verurteilt, sondern als durchaus legitim hingestellt – sonst wären
sie ja keine „Rechte“ – nur sollten nach Waitwell in diesem Fall, bei einer so zärtlichen
Tochter wie Sara, bloß die „Vorrechte der väterlichen Huld“ Anwendung finden.”37
Waitwell versucht so die Beziehung zwischen Sara und ihrem Vater wieder
herzustellen.
Obwohl die Vater-Tochter-Beziehung nicht immer perfekt ist, bemerken wir doch
auch die Liebe zwischen beiden. Diese Liebe wird durch den gemeinsamen Glauben
noch verstärkt, in dem öfters eine Verbindung zwischen Gott und der Vaterfigur
gemacht wird.
3.2 Vater/Gott-Beziehung
Jetzt möchte ich mich also konzentrieren auf einen besonderen Aspekt der VaterTochter-Beziehung, nämlich das Aufeinanderbeziehen von dem biologischen Vater (Sir
William) und dem himmlischen Vater (Gott) in – vor allem – Saras Denken. Den beiden
gegenüber hat sie gesündigt. Ihre Sünde dem Vater gegenüber liegt darin, dass sie von
ihm geflohen ist, ihre Sünde Gott gegenüber, unverheiratet zusammenzuleben. Deshalb
fragt sie Mellefont so oft, ob er sie heiraten wird. Diese Heirat würde sie beruhigen,
weil sie dann weiß, dass sie zumindest ihre Schuld gegen Gott eingelöst hat. Mit Recht
hat Fiedel bemerkt: “Daß sie diese Rechtfertigung und Billigung der Beziehung durch
Gott so dringend wünscht, zeigt uns, daß Er ebenso wie ihr Vater eine wichtige Instanz
37
Sørensen, S. 79
19
für Sara darstellt.”38
Diese Verschlingung von Vater und Gott geht sogar sehr weit, denn als Sara ihren
Vater im Moment des Sterbens sieht, sagt sie: “Er ist es doch? Oder ist es eine
erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel, der den Starken
zu stärken kam? – Segne mich, wer du auch seist, ein Bote des Höchsten, in der Gestalt
meines Vaters, oder selbst mein Vater!” (MSS, V, 9; S. 88). Später sagt Sir William
Ähnliches über seine Tochter: “Nicht mehr meine irdische Tochter, schon halb ein
Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen Geist, auf welchen
alle Segen des Himmels herabströmen?” (MSS, V, 10; S. 92). Wir können also
bemerken, dass in Miß Sara Sampson die Worte “Vater” und “Gott” einander sehr nahe
stehen.
Mellefont hat zuerst Vater und Tochter von einander getrennt, jetzt ist es der Tod
(oder Gott), der Sara zu sich nehmen wird. Sara hat aber keine Angst zu sterben. Fick
betont: “Das Fortleben nach dem Tod ist bei Lessing aus dem Prozeß der
Vervollkommnung nicht hinwegzudenken.”39 In der christlichen Glaubenslehre, der
sowohl Sara als Sir William angehören, glaubt man, dass man im Jenseits weiterlebt.
Sara empfindet das Sterben – christlich erzogen wie sie ist – folglich sehr ruhig: Sie
geht einfach von dem irdischen Vater zu einem höheren: Gott. Sara verzeiht Marwood
sogar: “Ich sterbe und vergeb es der Hand, durch die mich Gott heimsucht.” (MSS, V,
10; S. 91; meine Hervorhebung). Dies zeigt wiederum Saras moralisches System: sie
nimmt alle Schuld an sich und verzeiht sogar ihrer Mörderin. Doch sagt Sara zu ihrem
Vater und Mellefont: “Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie
noch mein Vater sollen ihre Ankläger werden.” (MSS, V, 10; S. 91). Sie vertraut darauf,
dass Gott eine passende Strafe für Marwood finden wird.
Sara ist sehr gläubig und ist sicher davon, dass alles passiert, weil es Teil vom
göttlichen Plan ausmacht. Deshalb ist sie auch im Stande Marwood zu vergeben. Sir
William glaubt auch an Gott, doch er ist nicht immer so tugendhaft wie seine Tochter:
sein Benehmen kann mehrmals als egoistisch umschrieben werden.
38
Fiedel, S. 29
Fick, Monica: Lessing-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage.
Stuttgart: Verlag J.B Metzler 2004, S. 132
39
20
3.3 Egoismus
Manchmal scheint es doch, als ob Sir William nicht von der Liebe getrieben wird,
um sich mit seiner Tochter wieder zu vereinen, sondern weil er sie auf egoistische
Weise nötig hat: “Ich kann sie länger nicht entbehren; sie ist die Stütze meines Alters,
und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versüßen hilft, wer soll es denn
tun?” (MSS, I, 1; S. 6; meine Hervorhebung). Diese Aussage klingt besonders
egozentrisch. Wurst kommentiert dieses Zitat: “Das Subjekt dieser Aussage ist Sir
William, das Objekt, an das er Bedingungen und Erwartungen stellt und von dem er
fordert, ist seine Tochter. Die Versöhnung wird nicht um der Tochter Willen angestrebt,
sondern die Einsamkeit des Vaters ist das auslösende Moment.”40
Marwood spielt auch auf die egoistischen Gedanken des Vaters an, in der
Hoffnung, dass Mellefont sich schuldig fühlen wird und Sara heimkehren lässt:
Allein, daß Sie einem alten Vater sein einziges Kind raubten; daß Sie einem rechtschaffnen
Greise die wenigen Schritte zu seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; daß Sie
Ihrer Lust wegen die stärksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das können sie
nicht verantworten. [...] Geben Sie dem weinenden Alter seine Stütze wieder, und schicken
Sie eine leichtgläubige Tochter in ihr Haus zurück (MSS, II, 4; S. 30).
Doch enthält dieses Zitat einige Wahrheiten. Wir können zum Beispiel sehr gut
annehmen, dass Sara in der Tat leichtgläubig ist. Wir können auch davon ausgehen,
dass sie bevor sie Mellefont kannte, noch nicht sehr viel erlebt hatte und folglich nicht
viel Erfahrung mit Männern hatte. Jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass Marwood all
dies nun auch aus eigenem Interesse erwähnt. Es ist ebenso in ihrem Interesse, dass sie
Sir William anvertraut hat, wo er seine Tochter finden könnte, damit dieser seine
Tochter mitnehmen, und so Mellefont für Marwood lassen sollte. Für Marwood ist Sir
William aber ein “zu guter alter Narr” (MSS, IV, 4; S. 64), sobald sie bemerkt, dass er
auch Mellefont in seine Familie aufnehmen will. Sie respektiert die Sampson-Familie
offensichtlich doch nicht so sehr, wie es ihre früheren Aussagen vermuten lassen.
Wir finden in dem obengenannten Zitat das egoistische Element wieder: Sara soll einzig
die Stütze ihres Vaters sein. Von Liebe wird wiederum nicht geredet. Gustafson
bemerkt dieses egozentrische Benehmen auch: “His [Sir William] greatest fear is to
become a father without, without a daughter to mirror and adore him.”41 Sie fährt fort:
“As his daughter, she exists as a gift from God to gratify, entertain, treasure, and care
40
41
Wurst, 1988, S.111
Gustafson, S. 123
21
only for him.”42
Am Ende des Stückes denkt Sir William über sein egoistisches Benehmen nach:
“Soll ein Vater so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben?”
(MSS, V, 9; S. 89). Er betont also seine Fehler, mit denen er selbst auch die VaterTochter-Beziehung zerstört hat. Als er Mellefonts Angst um die vergiftete Sara gesehen
hat, versucht er doch die Liebe zwischen Sara und Mellefont auf eine objektive Weise
zu betrachten. Diesmal kann er ohne bittere Gefühle sprechen, wenn er zu seiner
Tochter sagt: “Nun weiß ich es, daß er dich aufrichtig liebet; nun gönne ich dich ihm.”
(MSS, V, 9; S. 89).
Sir William muss am Ende des Dramas aber erkennen, dass er zu spät kommt.
Wiederum hat er Schuld, denn er hätte verhindern können, dass seine Tochter der
Marwood begegnete. Sir William bedauert seine Trägheit: “Warum vergab ich dir nicht
gleich? Warum setzte ich dich in die Notwendigkeit, mich zu fliehen?” (MSS, V, 9; S.
89) Sowohl Sara (denn auch sie wartet, weil sie keine Antwort auf seinen Brief schreibt)
als auch Sir William wollen, dass die andere Person den ersten Schritt macht. Weil
beide auf den/die Andere/n gewartet haben, hat auch niemand Saras Tod verhüten
können. Sir William ist bei keinem der Attentate auf seine Tochter anwesend: nicht als
sie mit Mellefont flieht und nicht als Marwood sie vergiftet.
Er beklagt deshalb sein Benehmen:
Und noch heute, da ich dir schon vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von
dir zu erwarten? Itzt könnte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich
zugleich deinen Umarmungen zugeeilt wäre. Ein heimlicher Unwille mußte in einer der
verborgensten Falten des betrognen Herzens zurückgeblieben sein, daß ich vorher deiner
fortdauernden Liebe gewiß sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. (MSS, V,
9; S. 89).
Er sieht ein, dass er egoistisch gewesen sei: “ich sahe mehr auf meine Freude an dir als
auf dich selbst.” (MSS, V, 9; S. 89). Aber auch wenn er dies erkennt, ist er bis zum
letzten Moment doch egozentrisch vorgegangen.
Die Vater-Tochter-Beziehung ist durch Saras Tugendrigorismus und Sir Williams
Egoismus überhaupt nicht perfekt. Doch schaffen sie es am Ende, als Sara stirbt, wieder
eine enge Beziehung zu bekommen, wo Sir William Sara öffentlich seine Fehler
eingesteht.
42
Gustafson, S. 126
22
3.4 Mellefonts Familie
Nicht nur Sir Williams Familie ist auseinandergefallen, sondern auch Mellefonts
ursprüngliche Familie. Es sieht erst so aus, als ob Marwood einzig Mellefonts alte
Geliebte wäre. Erst indem Marwood Arabella dazu ruft, um Mellefont zu überzeugen,
wieder zu seiner alten Familie zurückzukehren, stellt sich heraus, dass er mit ihr auch
ein Kind hat. So erfahren wir ebenso, dass Marwood keinen Zugang zu dieser Tochter
hatte, und sie fast aus London “geraubt” hat.
Aber ist Marwood wirklich die schlechte Mutter, für die sie gehalten wird?
Weshalb darf Marwood, schon vor ihrer Gräueltat, nicht für das Kind sorgen? Mellefont
hat Marwood von dem Kind abgeschlossen, weil er sie eine Erziehung bieten konnte,
und Marwood offensichtlich nicht.
Schnell bemerken wir aber, dass Marwood ihre Tochter nicht nur als emotionelles
und psychologisches Druckmittel benützt (Marwood nennt es die “Sprache des Bluts”
[MSS, II, 1; S. 20]), um Mellefont wieder für sie zu gewinnen43, sondern dem Kind
gegenüber auch sehr grob ist: “Schweig, kleine Närrin!” (MSS, II, 5; S. 31) und “Sei
doch nur Stille-” (MSS, II, 5; S. 32). Marwood weiß wohl, dass Mellefont ihr nichts
verweigern kann, wenn sie das Kind bei sich hat. Auffallend ist aber, dass Marwood
sich lange nicht um das Kind gekümmert hat, nur wenn sie ihn zurückgewinnen will,
kann das Kind dabei helfen. Als sich aber herausstellt, dass ihr Plan nicht die
erwünschten Resultate zeitigt, zeigt sie sich rasend, wie eine “neue Medea” (MSS, II, 7;
S. 34). Sie versucht erst Mellefont zu töten. Später will sie auf Medea-Weise ihr Kind
umbringen, erzählt Mellefont auch wie sie das Kind töten wird, so dass er aus Angst
wieder zu ihr kommen würde:
Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden ähnlichen Zug, den es von dir
hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied
von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das kleinste derselben auch da noch
nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein
empfindungsloses Aas. (MSS, II, 7; S. 35).
Letztendlich kann Mellefont den Mord verhindern. Laut Gustafson ist “[h]er pleasure in
the fantasy of Arabella’s torturous death [...] a celebration of the mutilation of the father
across or through the body of his daughter”44. Marwood fühlt sich offenbar nicht mit
ihrer Tochter verbunden, denn Arabellas Tod wurde laut ihr nur Einfluss auf Mellefont
43
44
Ebenso betont von Fiedel, S. 40-41
Gustafson, S. 153
23
haben. Marwood fühlt sich nur mit Mellefont verbunden, wie folgender Dialog beweist:
Marwood. Wenn es nicht das beste, das getreuste Herz wäre, würde ich mir wohl so viel
Mühe geben, es zu behalten?
Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich Ihnen.
Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch.
Mellefont. Marwood, wenn ich wüßte, daß Sie auch nur noch eine Faser davon besäßen, so
wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus meinem Leibe reißen.
Marwood. Sie würden sehen, daß sie meines zugleich herausrissen. (MSS, II, 3, S. 23).
Nachdem Marwood Sara vergiftet hat, wird die Medea in ihr wieder wach. Sie
flieht mit Arabella in ihrer Kutsche und droht das Kind zu töten, wenn man ihr folgt.
Sara empfiehlt Mellefont, Marwood fliehen zu lassen und so seiner Tochter das Leben
zu retten. Eigentlich kümmert Marwood sich nicht um Arabella wie es einer Mutter
passt, denn wenn sie problemlos im Hafen kommt, wird sie das Kind dort lassen.
Man kann aber auch Mellefont keinen perfekten Vater nennen, denn auch er
benimmt sich nicht immer, wie es einem liebenden Vater passt. Er hat Arabella einer
Erzieherin in London anvertraut, während er mit Sara irgendwo anders ist. Er kommt
also seinen väterlichen Aufgaben auch nicht nach. Er würde ohne Arabella nach einem
anderen Land gezogen sein, um Sara zu heiraten. Auch will er nicht, dass sie Sara
begegnet: “Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglückliche, der man
nichts vorwerfen kann, als ihre Mutter.” (MSS, V, 4; S. 83). Der Leser bemerkt also
schnell, dass Freiheit und Liebe für die Eltern wichtiger sind, als sich um das Kind zu
kümmern. Arabella läuft ihren Eltern folglich vor die Füße. Offensichtlich glaubt
Mellefont, dass die einzige väterliche Aufgabe ist, dem Kind eine gute Bildung zu
geben. Aber er vergisst, dass Kinder auch die Liebe und Anwesenheit ihrer Eltern
brauchen, wie es in Nathan der Weise ständig betont wird. Arabella liebt ihren Vater
aber sehr, und das ist offenkundig auch gegenseitig. So sagt Marwoods Dienerin
Hannah über Arabella: “sie ist sein kleiner Abgott” (MSS, II, 1; S. 20). Das Kind
bewundert ihn auch sehr: “Er ist ja so gut, so gut - -” (MSS, II, 5; S. 31). Aber weshalb
lässt er dann diesen kleinen “Abgott” zurück? Man muss also erkennen, dass Mellefonts
Benehmen paradox ist, er liebt dieses Kind, aber eigentlich nur, wenn es ihm passt.
Mellefont will aber vor allem verhüten, dass seine Tochter von ihrer Mutter
gepflegt wird. Marwood protestiert, als sie vernimmt, dass sie ihre Tochter nie wieder
zu sehen bekommen sollte: “Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß
24
sie ihr auch die Mutter nehmen wollen.” (MSS, IV, 4; S. 64). Marwood verweist darauf,
dass auch er nicht in der Nähe der Tochter lebt. Mellefont erwidert aber gleich: “Ich
kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben.” (MSS, IV, 4; S. 64). Jedoch soll seine
Tochter weit von ihm von einer Fremden erzogen werden. Erst nachdem Sara sagt, dass
das Töchterchen für sie nicht verborgen bleiben soll, will er seine Erziehungstaktik
ändern. Indem Sara Arabella annimmt, wird sie selbst zur Mutter und bildet sie sich
eine Familie zusammen. Als Grund für die Adoption gibt Sara an: “Sie läuft Gefahr, in
den Händen ihrer Mutter ihres Vaters unwürdig zu werden.” (MSS, V, 4; S. 83).
Als einzigen Wunsch hat Sara vor ihrem Tod noch diesen: “Wenn ich hoffen dürfte,
liebster Vater [Sir William], daß sie einen Sohn, anstatt einer Tochter annehmen
wollten! Und auch eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn sie Arabellen
dafür erkennen wollen.” (MSS, V, 10; S. 91). Und so wird Arabella – wie Sir William
es nennt – “ein Vermächtnis meiner Tochter” (MSS, V, 11; S. 94). So bekommt
Arabella einen festen Platz in einer Familie. Dalemans beschreibt die Adoption wie
folgt: “Durch diese Tat, die gewissermaßen den Lernprozess des Vaters und seiner
Tochter bekrönt, bekommt Sir William die große Chance, den Schaden, den er seinen
Tochter zugefügt hat, wiedergutzumachen, bzw. zu vermeiden.”45 An diesen Moment
ist Sara noch nicht tot und hofft Sir William noch immer auf eine Wiedervereinigung
mit seiner geliebten Tochter. Die Frage ist aber, ob er es letztendlich mit Arabella
richtig machen wird, und in dieser neuen Vater-Tochter-Beziehung nicht egoistisch
vorgehen wird.
Das Verhältnis zwischen Mellefont und Arabella ist nicht durch Egoismus (wie
bei Sir William), sondern durch Patriarchalismus gekennzeichnet: Marwood beschreibt
Mellefont als “Beschützer” (MSS, II, 4; S. 28). Jedoch sollen wir auch bemerken, dass
sie ihn auch als “Freund” (MSS, II, 4; S. 28) vorstellt. Das Kind begegnet dem Vater
aber mit patriarchalischen Formeln, wie “Herr” (MSS, II, 4; S; 28), auch redet Arabella
ihn ständig mit “Sie” an. Doch wird auch die Mutter von Arabella mit den Worten
“Madam” und “Sie” (MSS, II, 4; S. 28) angeredet. Hier herrscht eine gewisse Distanz
zwischen Eltern und Kind. Das Kind ist von den Eltern verfremdet, weil sie beide schon
lange nicht gesehen hat. Wir müssen aber auch diese Situation zeitgemäß betrachten.
45
Dalemans, S. 204-205
25
So schreibt Christoph Bördlein folgendes: “Eltern duzten in der Regel ihre
minderjährigen Kinder (Hingegen galt zumindest vom höheren Bürgertum aufwärts,
daß Kinder ihre Eltern zu siezen hatten).”46 Sara und ihren Vater dagegen duzen
einander, was – meiner Meinung nach – auf eine sehr enge Beziehung zwischen Vater
und Tochter weist.
Nicht nur gibt es eine Distanz zwischen Arabella und ihren Eltern, sondern auch
zwischen Marwood und Mellefont. Sie können nicht mehr auf eine höfliche Weise mit
einander umgehen und streiten sich ständig. Lorey schreibt über den Zank zwischen
Mellefont und Marwood folgendes: “nachdem Mellefont selbst vor den Augen des
Kindes den Beleidigungen und Demütigungen kein Ende bereitet, [...], fängt die
Beleidigte, nicht ohne die Tochter wegzuschicken, zu rasen an.”47 Marwood hält sich
noch zurück, weil das Kind da ist, Mellefont nicht. Wir erfahren, dass das negative Bild
der Marwood durch die Augen von Mellefont hergestellt wird. Deshalb findet Sara
auch, dass Marwood eine Buhlerin ist, denn diese Idee hat sie einfach von ihrem
Geliebten übernommen. Sara urteilt also, bevor sie einer Person selbst begegnet ist, sie
ist voller Vorurteile.
Lorey bemerkt aber zutreffend, dass es nicht Marwood ist, die die Verbindung
zwischen Mellefont und Sara zerstört:
Es ist nämlich nicht die Marwood, die die Heiligkeit zärtlicher Familienbande zerstört und
verhindert: es ist Mellefont, der sie seit Jahren immer wieder hinausschiebt und der mit
seinen ständigen Ausflüchten, Lügen und Erbgeschichten ein harmonisches Familienleben
48
für die Marwood, Arabella und nun auch Sara unmöglich macht.
Auch Gustafson schätzt Mellefont nicht sehr positiv ein: “He deceives Sara with the
same stories of financial hardship in order to postpone their marriage and cannot free
himself from the pattern of enticement that marks his own abject behavior.”49 Mellefont
hat Sara nämlich erzählt, dass er durch eine Heirat mit einer Anverwandten eine riesige
Erbschaft bekommen kann, wodurch er Sara nicht sofort heiraten kann. Wir bekommen
aber niemals Sicherheit darüber, ob die Heirat mit dem Familienmitglied, um das Geld
46
Bördlein, Christoph: Anredeformen im Deutschen des 18.Jahrhunderts am Beispiel von Christian
Fürchtegott Gellert: Die Betschwester (1745) Jakob Michael Reinhold Lenz: der Hofmeister(1774) und
Emmanuel Schikaneder: Die Zauberflöte. Diplomarbeit. Im Studiengang Germanistik In der Fakultät
Sprach- und Literaturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, S. 16 Auf:
http://www.boerdlein.gmxhome.de/seiten/pdf/anrede.pdf
47
Lorey, S. 157
48
Lorey, S. 158
49
Gustafson, S. 142
26
einer Erbschaft zu bekommen, eine Lüge ist, oder Wirklichkeit.
Mellefont ist sogar eine negativere Figur als Marwood. Denn was Mellefont heimlich
tut, das macht Marwood dann doch öffentlich. Mellefont erkennt seine Schuld erst, als
Sara stirbt. Aber verübt er deshalb Selbstmord? Gail K. Hart schreibt über diesen
Selbstmord: “Mellefont’s suicide is the most obvious indication of this inability to
transcend authoritarian patriarchy.”50 Nicht nur kann Mellefont seine eigenen
väterlichen Aufgaben nicht aufnehmen, er will (offensichtlich) auch eine andere
väterliche Autorität nicht akzeptieren.
Über Mellefonts Beziehung zu seinen eigenen Eltern erfahren wir nicht viel, nur,
dass er schon sehr jung die beiden verloren hat. Lorey sagt über ihn: “Ganz
offensichtlich kennt Mellefont, durch den frühen Verlust seiner Eltern, nicht die
familiale Geborgenheit, von der ihm Sara vorträumt.”51 Das könnte auch erklären,
weshalb Mellefont seine Verantwortlichkeiten nicht aufnimmt; nicht in seiner alten
Familie mit Marwood und Arabella, und nicht in der Familie, die er mit Sara stiften
will.
Während Sara sich mehrmals sehr passiv benimmt, kann das gar nicht von
Marwood behauptet werden. Sie ist durchaus tatkräftig. Wie Marwood die Gelegenheit
bekommt, Sara zu vergiften, nutzt sie diese Chance.
Melanie Konrad sieht doch auch Ähnlichkeiten zwischen Marwood und Sara:
“Verbunden werden diese beiden Charaktertypen durch den gemeinsamen Wunsch nach
einer familialen Lebensgemeinschaft mit demselben Mann und der Bereitschaft für
diesen die unbürgerliche Lebensform der Geliebten zu führen.”52 Beiden gelingt es aber
nicht, mit Mellefont eine wirkliche beständige Familie zu gründen. Auch Fiedel sieht
Parallelen zwischen Sara und Marwood: “Ebenso wie Sara hat die Marwood ihre Liebe
höher gestellt als ihr Ansehen, ihre Ehre und ihre Tugend. Sara sieht diese Parallele
bereits in ihrem Traum, zieht sie aber nicht bewußt.”53 Obwohl beide Frauen auf
sozialer Ebene in einer niedrigen Position geraten sind, ist Marwood doch ziemlich
selbständig. Dies hat auch Stephan bemerkt: “Sie [Marwood] setzt sich selbst als
50
Hart, S. 8
Lorey, S. 151-152
52
Konrad, Melanie: Frauenfiguren in Lessings “Miss Sara Sampson” – Sara und Marwood – zwei
völlige Gegensätze? Norderstedt Germany: GRIN Verlag 2005 S. 28. Auf: http://books.google.be/books?
id=cb1eU0v5jRoC&printsec=frontcover&source=gbs_v2_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
53
Fiedel, S. 42-43
51
27
autonomes, vom Mann unabhängiges Wesen, das frei über die eigene Sexualität verfügt
und die doppelte Moral der Männer durchschaut”54 Jedoch ist sie sozial nicht sehr
unabhängig, denn zehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit Mellefont kann sie noch
immer nicht ohne ihn leben.
Mellefont ist ganz und gar nicht tatkräftig. Genau wie er seine eigene Tochter nicht vor
seiner früheren Geliebten schützen konnte, hat er auch Sara nicht vor Marwood
bewahrt. Mellefont fehlt, als Marwood in London die Tochter abholt und ist abwesend,
als Sara vergiftet wird. Wie Sir William ist er bei Attentaten auf die Geliebten immer
abwesend.
Indem Mellefont nicht kann verhüten, dass die eifersüchtige Marwood Sara aus
Rache vergiftet, so wird deshalb die Wiedervereinigung von Sara und ihrem Vater
zerstört.
3.5 Wiedervereinigung
Sir William will am Ende Mellefont in seiner Familie willkommen heißen: “Er
will kommen und seine Kinder selbst zurückholen. Seine Kinder, Waitwell! [...] Er sagt,
derjenige verdiene nur allzu wohl sein Sohn zu sein, ohne welchen er keine Tochter
haben könne.” (MSS, III, 3; S. 48). Sara sieht dies wie Großmut ihres Vaters, aber
meiner Meinung nach zeigt dies nur Sir Williams Egoismus. Sir William weiß sehr gut,
dass Sara nicht zurückkommen wird, wenn er Mellefont nicht in seine Familie
aufnimmt. Er braucht die Liebe seiner Tochter als eine Art Selbstbestätigung. Für ihn
deuten seine Aussagen wahrscheinlich auf eine große Liebe, wie folgendes Zitat zeigt:
“Ich würde doch lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein
wollen.” (MSS, I, 1; S. 6). Aus seiner Sicht weist das wohl auf seine große
Vergebungskraft; für die Leser ist es aber deutlich, dass es sich hier um eine einseitige
und egozentrische Bitte um Liebe handelt.
Sobald die Familie in Richtung Wiedervereinigung geht, fängt auch Mellefont an,
seinen neuen “Vater” zu preisen: “Ach, Miß, warum haben wir so einen göttlichen
Mann betrüben müssen? Jawohl, einen göttlichen Mann” (MSS, III, 5; S. 52; meine
Hervorhebung). Wiederum finden wir die Divinisierung der Vaterfigur. Er nennt Sir
William jetzt auch Vater. Sir William sagt dann auch zu ihm, nach Saras Tod: “Laß dich
54
Stephan, S. 1
28
umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte!” (MSS, V, 10; S. 93). Diese
Aussage klingt doch ziemlich bitter. Offensichtlich erfährt Mellefont es auch so, denn
tief verschämt, die Tochter eines so edlen Mannes verführt zu haben, sagt er: “Diese
blühende Schönheit, über die Sie allein ein Recht hatten” (MSS, V, 10; S. 93). Auf
diese Weise pflichtet Mellefont der patriarchalischen Idee dieser Zeit bei. Weil
Mellefont sich für Saras Tod strafen will, ersticht er sich und stirbt. Im Leben kann er
die väterliche Autorität weder an- noch aufnehmen. Nur im Augenblick des Todes kann
er zu Sir William sagen: “Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als
diesem die Hand drücken, so sterb ich zufrieden.” (MSS, V, 10; S. 93).
3.6 Zwei-Väter-Familie
Sara hat ihre Mutter nie gekannt, denn die starb im Wochenbett. Sara beschreibt
es so: “Mein Leben war ihr Tod.” (MSS, IV, 1; S. 57). Sara gesteht Mellefont: “eine
Mutter würde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert haben” (MSS, IV, 1; S. 58;
meine Hervorhebung). Die Tyrannei der Liebe kann auf eine große Bekümmernis
zeigen. Meiner Meinung nach ist es doch ein negatives Wort, denn es weist zugleich auf
eine sehr erstickende Liebe, die meine These bestätigt, dass die Mütter in Lessings
Dramen öfters negativ charakterisiert werden.
Weil ihre Mutter im Wochenbett starb ist Sara also von ihrem Vater und Waitwell
erzogen geworden. Sara gesteht, dass ihr Vater gut für sie gesorgt hat: “einen Vater, der
mich noch nie nach einer Mutter seufzen lassen” (MSS, IV, 1; S. 58). Sara hat aber
Angst, dass sie nicht nur einen (unbeabsichtigten) Muttermord, sondern auch einen
Vatermord begangen hat. Als Waitwell ihr den Brief ihres Vaters überreichen will,
denkt sie, dass ihr Vater gestorben sei, aus Kummer, weil sie ihn verlassen hat. Wurst
kommentiert: “Das Bewußtsein über ihren Übergriff auf das Wohl ihres Vaters führt zu
den massiven Schuldgefühlen, die sie das Leben kosten.”55 Ich glaube, dass diese
Aussage etwas zu weit geht, denn Sara stirbt nicht durch Schuldgefühle, sondern weil
sie vergiftet wird. Es hat aber beigetragen zu ihrem Tod, denn Sara leidet, weil sie ihren
Vater verlassen hat.
Waitwell versucht Sara und Sir William zu versöhnen: “ein Vater, dächte ich, ist
doch immer ein Vater; und ein Kind kann wohl einmal fehlen, es bleibt deswegen doch
55
Wurst, 1988, S. 112
29
ein gutes Kind.” (MSS, III, 3; S. 46). Waitwell betont auch, was für ein Vergnügen es
ist, jemandem zu vergeben:
ist denn nicht Vergeben für ein gutes Herz ein Vergnügen? Ich bin in meinem Leben so
glücklich nicht gewesen, daß ich dieses Vergnügen oft empfunden hätte. Aber der wenigen
Male, die ich es empfunden habe, erinnere ich mich noch immer gern. Ich fühlte so etwas
Sanftes, so etwas Beruhigendes, so etwas Himmlisches dabei, daß ich mich nicht
entbrechen konnte, an die große, unüberschwengliche Seligkeit Gottes zu denken, dessen
ganze Erhaltungen der elenden Menschen ein immerwährendes Vergeben ist. (MSS, III, 3;
S. 47; meine Hervorhebungen).
Wir können hier bemerken, dass auch Waitwell öfters auf Gott verweist, wahrscheinlich
weil er weiß, dass Sara dann auf seine Aussagen hören wird.
Meiner Meinung nach können wir Waitwell in der Sampson-Familie, neben seiner
Stelle als Diener, auch wie einen zweiten Vater für Sara betrachten. Auffallend ist, dass
Sara dem “zweiten” Vater Waitwell öfter begegnet im Stück, anders als dem
biologischen Vater. Es fällt auf, dass beide eine “innige Beziehung”56 zueinander haben.
Er hat Sara sofort vergeben, anders als ihr biologischer Vater. An einem bestimmten
Moment sagt Sara: “Lieber alter Vater, ich glaube, du hast mich überredet.” (MSS, III,
3; S. 47), während es Waitwell ist, mit dem sie redet. Nennt Sara Waitwell Vater, weil
er sich wie ein echter Vater benimmt? Oder verweist sie nur darauf, dass sie jetzt
gewillt ist, den Brief des Vaters zu lesen? Diese Aussage ist nicht eindeutig, auch weil
Sara von den zwei “Vätern” erzogen worden ist. Wurst schreibt Folgendes über
Waitwell: “Waitwell, the male “mother figure,” takes care of the emotive and physical
work usually done by the mother in the bourgeois household. He is the one who holds
her as a child and who admires her smiles and first sounds (267).”57 Waitwell hat also
die Mutterrolle auf sich genommen. Wurst sagt weiter:
Das Mitglied dieser idealen humanen Gemeinschaft besitzt die Weisheit, im Angesicht der
Schwächen und der essentiellen Schwachheit des Menschen Verständnis, Geduld und
Vergebung aufzubringen und damit sich und den anderen und somit die Gesellschaft auf
einen höheren Grad der Vervollkommnung zu bringen.58
Wurst lenkt diese Beschreibung auf Sir William, während sie meiner Meinung nach
besser bei der Figur von Waitwell passt. Auch Karl Eibl betont den aufgeklärten
Charakter Waitwells: “Gerade das Verhalten Waitwells ist eine dem Werk immanente
Kritik am Verhalten Saras. Nicht nur daß er, der Diener, als Vertreter des ‚gesunden
56
Siehe auch Fiedel, S. 26
Wurst, Karin A.: “Gender and Identity in Lessing’s Dramas”. In: A Companion to the works of
Gotthold Ephraim Lessing. Hg. von Barbara Fischer und Thomas Fox. Rochester (N.Y.) : Camden
House 2005, S. 241
58
Wurst, 1988, S. 108
57
30
Menschenverstandes’ auftritt, ist bezeichnend, sondern auch wie er das tut.”59
Wir haben also gesehen, dass Waitwell (ein Diener!!) viel aufgeklärter ist, als sein
Meister und Saras biologischen Vater, Sir William. Weshalb kommt dies? Können wir
eventuell eine Lösung für diese Frage im damaligen Zeitgeist finden?
3.7 Zeitgeist
Sir William Sampson steht als erster auf der Personenliste; er redet auch die ersten
und letzten Worte des Dramas. Er wird folglich am meisten aufgeführt, wir lesen am
meisten, wie er über die Sachen denkt. Seine Sehweise ist ziemlich autoritär, sonst
wären Sara und Mellefont nicht geflohen. Er verteidigt sich selbst gegen seinen Diener
(MSS, III, 1): er habe nicht streng sein wollen, aber er musste. Schon im Kontext des
achtzehnten Jahrhunderts war sein Verhalten sehr normal, denn der Vater herrschte über
seine Familie.
In der Sekundärliteratur findet man oft die Ansicht zurück, Sir William hätte aus
den Ereignissen gelernt, sich in seiner Liebe nicht mehr eigennützig zu benehmen. So
schreiben Fischer und Fox, dass Saras Tod aus Sir William einen humaneren Menschen
gemacht habe: “Through the tragedy of Sara’s passing, her father Sir William Sampson
becomes capable of unconditional love for humanity. He learns to overcome the barriers
that separate people, including family members, by shedding his own role of
authoritarian patriarch in order to become a prime example of bourgeois virtue.”60 Aber
während Sara, schon sterbend, Sir William zu Füßen fallen will, sagt er: “Ein andermal,
bei mehrern Kräften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie umfassen sehen.”
(MSS, V, 9; S. 88). In diesem Zitat erkennen wir wieder Sir Williams Egoismus und
seinen Trieb nach Selbstbestätigung. Weiter können wir lesen, dass Sara als Modell und
Warnung für Arabella dienen will. So billigt sie letztendlich die autoritäre Erziehung
ihres Vaters. Sara kann deshalb auch sehr schwer die Vergebung ihres Vaters
annehmen. Sie ist immerhin mit dem Konzept des autoritären, strengen Vaters
aufgewachsen, und hat folglich Schwierigkeiten dem aufgeklärten, lieben Vater zu
begegnen.61 Auch Sørensen bemerkt dies: “Daß es Sara so schwer fällt, die Vergebung
59
Eibl, S. 152-153
Fischer, Barbara und Fox, Thomas: “Lessings Life and Work”. In: A Companion to the works of
Gotthold Eprhaim Lessing. Hg. von Barbara Fischer und Thomas Fox. Rochester (N.Y.): Camden House
2005, S. 23
61
Siehe auch Hart, S. 9
60
31
des Vaters zu begreifen und anzuerkennen, hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß sie
in den von ihr einseitig ausgelegten Kategorien der allgemeinen familialen
Verhaltensnormen denkt.”62 Auch Wurst betont dies mit Recht: “Nicht die direkte
Macht des Vaters trägt die Schuld an ihrem Untergang, sondern sein in ihrem
Gewissen--in ihrem Über-Ich-- fest verankertes Moralsystem”63.
Wir sehen also Zeichen, dass die Familie (Sir William und Arabella) wieder in
ihre autoritären Normen zurückkehrt, auch nach dem Tod der geliebten Tochter. Denn
ohne diese Autorität wäre Saras Liebe für Mellefont niemals falsch gewesen, und wäre
sie nicht gestorben. Elena Tresnak hat also Recht, wenn sie sagt, dass in Miß Sara
Sampson zumindest teilweise eingesehen wird, dass der Tugendrigorimus unhaltbar
geworden ist64: Sir William bedauert sein Benehmen. Aber auch wenn man die
Unhaltbarkeit davon einsieht, bedeutet das nicht, dass er den Tugendrigorismus auch
völlig aufgegeben wird. Man kann sich also fragen, ob Sir William am Ende wirklich so
aufgeklärt ist, denn meine Untersuchung wurde das verneinen.
Wir können den Zeitgeist nicht nur im väterlichen Benehmen erkennen, sondern
auch im Misslingen von Saras Beziehung zu Mellefont. Dalemans behauptet mit Recht,
dass Saras “Beziehung zu ihrem Geliebten weder gesetzlich noch moralisch
abgesichert”65 ist. Monika Fick führt diesen Gedankengang aus: “Saras Untergang
besitze darin eine innere Logik, daß ihr der Übergang von der Herkunftsfamilie in die
Zeugungsfamilie nicht gelinge, sie sich deshalb in einem gesellschaftlichen Vakuum
bewege.”66 Dies zeigt gewissermaßen, wie es auch für Marwood sein muss. Sara hat
nicht mehr den Schutz von der Familie, die sie mit ihrem Vater bildete, und nicht den
Schutz von einer Familie mit Mellefont, da die einfach noch nicht gebildet worden ist.
Dieses Drama soll als Lernprozess dienen, sowohl für die Figuren als auch für die
Zuschauer. Sir William erkennt dan auch, dass er in seiner Beziehung zu Sara egoistisch
vorgegangen ist. Doch wird er, meiner Meinung nach, in seiner Beziehung zu Arabella
62
Sørensen, S. 75
Wurst, 1988, S. 118
64
Tresnak, Elena: Weiblichkeitsentwürfe und empfindsame Moral in G.E. Lessings ‘Miß Sara Sampson’
und ‘Emilia Galotti’. Magisterarbeit. Grin Verlag: Norderstedt Germany 2006, S. 12. Auf:
http://books.google.be/books?id=zoydvUmCxUQC&printsec=frontcover&source=gbs_v2_summary_r&c
ad=0#v=onepage&q&f=false
65
Dalemans, S. 42
66
Fick, S. 125
63
32
wenig ändern. Waitwells Benehmen zu Sara ist dagegen ein überzeugender Beweis,
dass auch Männer Kindern eine liebevolle Erziehung geben können.
33
4. Emilia Galotti 67
4.1 Fabel
Das Setting dieses Stückes ist die Heirat von Emilia mit dem Grafen Appiani. An
diesem Tag wird Emilia aber entführt, im Auftrag des Prinzen, der sich in sie verliebt
hat. Appiani wird beim Überfall ermordet. Emilia, die sich in dieser – für sie neuen –
höfischen Welt unfähig fühlt, ihre Tugend zu bewahren, bittet ihren Vater, sie zu töten.
Odoardo erfüllt diesen Auftrag und zerstört auf diese Weise seine Familie.
4.2 Tugend
Das zentrale Problem lässt sich in mehrere Teilbereiche auffächern. Wenn erst mit
dem Tugendsystem anfangen wird, so aus dem Grund. Das Stück Emilia Galotti wird
durch
ein
Tugendbewusstsein
gekennzeichnet,
das
eigentlich
besser
als
Tugendrigorismus beschrieben werden sollte. Bevor wir aber mit diesem Kapitel
anfangen, ist es sinnvoll, die Idee “Tugend” zu definieren. Wenn wir Duden68
nachschlagen, finden wir:
1 [...] Tugendhaftigkeit [...]
2 sittlich wertvolle Eigenschaft (eines Menschen)[...]
3 [...] (veraltet) a) Keuschheit
b) Jungfräulichkeit
Bevor wir aber tiefer eingehen auf die Art und Weise, wie Lessing die Tugend in
diesem Werk gestaltet hat, ist es ebenso nützlich, nach der Bedeutung der Tugend im
achtzehnten Jahrhundert zu fragen. Inge Stephan schreibt darüber: “Während sie [die
Tugend] in der Frühaufklärung eine gesellschaftlich gefaßte Eigenschaft war, die für
Männer und Frauen gleichermaßen gefordert wurde, wird sie nun zunehmend verengt
zu einer moralischen Kategorie. Tugend wird immer stärker identisch gedacht mit
weiblicher Unschuld.”69 (Meine Hervorhebung)
Beim Lesen von Emilia Galotti werden wir vor allem Tugend in der Bedeutung von
Keuschheit benützen, weil von Emilia erwartet wird, dass sie ihre Jungfräulichkeit
schützt. Es ist also wichtig, dass wir beim Lesen des Stückes darauf achten, wie Emilias
67
Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Stuttgart: Reclam 1996
Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 6., überabeitete und erweiterte Auflage. Mannheim:
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG 2007 S. 1717
69
Stephan, S. 7
68
34
Tugend von sich selbst und anderen betrachtet wird.
Emilias Tugend wird besonders durch Odoardo mit Argusaugen beobachtet: sie soll ihre
Tugend bewahren. Obwohl Emilia sehr fromm und tugendhaft ist, zweifelt Odoardo
daran. Sogar an ihrem Heiratstag kommt er, um sie zu kontrollieren.
Dass Odoardo keine sympathische Figur ist, hat auch Ter-Nedden bemerkt. Er hat eine
Zusammenfassung von Odoardos Mängel gemacht, wo uns vor allem das Wort
“Tugendrigorismus” auffällt. Das Wort ist nämlich die ideale Umschreibung von zu
weit getriebener Tugend.
Das Sündenregister Odoardos stellt am vollständigsten Ter-Nedden (1986) zusammen. Die
gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind: Sein Mißtrauen Frau und Tochter gegenüber, die er
entmündigt, seine Egozentrik (er denkt mehr an seine Ehre als an das Wohl der Tochter),
seine Unbesonnenheit, sein Jähzorn [...], und immer wieder: sein Tugendrigorismus, dem
er das ›Leben‹ opfert, sein weltanschaulicher Stoizismus, der auf Ausmerzung der Gefühle
dringt.70 (Meine Hervorhebung)
Diese Mängel haben einen Effekt auf seine Vaterrolle. Laut Fiedel ist Odoardo “ein
strenger, aber dennoch schwacher Vater.”71 Der schwache Vater weiß, dass er nur durch
seine Strenge seine Gewalt gelten lassen kann und er sich nur auf diese Weise in der
patriarchalischen Welt aufrechthalten kann. Seine Schwäche veranlasst ihn auch dazu,
an seinen Tugendprinzipien festzuhalten. Wurst kommentiert ihn so: “Likewise, her
father is driven by passion. His blind, rigid morality and rage both cloud his judgment
and cause him to neglect his duties, that is, to protect his family from harm and
dissolution. He thus fails in his masculinity.”72 (Meine Hervorhebung) Wurst betont auf
diese Weise auch Odoardos Schwäche.
Odoardos Tugendrigorismus wird mehrmals von den anderen Figuren ausgenützt.
Orsina, die vormalige Geliebte des Prinzen, versucht ihn für ihre Sache zu gewinnen
indem sie ihm sagt “Ihnen wird sie nicht fehlen, diese Gelegenheit [den Prinzen zu
ermorden], und Sie werden sie ergreifen, die erste, die beste – wenn Sie ein Mann
sind.” (EG, IV, 6; S. 64; meine Hervorhebung). Sie hetzt ihn außerdem auf, indem sie
ihm die Geschichte erzählt, weshalb Emilia entführt worden ist, so betont auch Prutti73.
70
Ter-Nedden, Gisbert: Lessings Trauerspiele. Der Ursprung des modernen Dramas aus dem Geist der
Kritik. Stuttgart 1986. Zitiert bei Fick, S. 327
71
Fiedel, S. 81-82
72
Wurst, 2005, S. 244
73
Prutti, Brigitte: Bild und Körper: Weibliche Präsenz und Geschlechterbeziehungen in Lessings Dramen
Emilia Galotti und Minna von Bernhelm. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann GmbH 1996, S.
116. Auf http://books.google.be/books?id=XBJ0ubLVq QEC&pg=PP1&dq=prutti+brigitte#v=onepage
&q= &f=false
35
Hier kommt Odoardo, weil er zweifelt, Orsina einigermaßen entgegen, bis er seine
Fassung wiederfindet und sagt: “Was hat die gekränkte Tugend mit der Rache des
Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten.” (EG, IV, 8; S. 68). Ironisch ist aber,
dass Odoardo die Waffe benützt, die eigentlich dient um die Ehre der Orsina zu rächen,
um die Ehre seiner Tochter zu retten.
Auch Marinelli und der Prinz nutzen diesen Zweifel über die Tugendhaftigkeit seiner
Tochter aus und flüstern Odoardo ein, dass seine Tochter vielleicht am Attentat beteiligt
gewesen sei:
Marinelli. Man hat Verdacht, daß es nicht Räuber gewesen, welche den Grafen angefallen.
Odoardo. (höhnisch). Nicht? Wirklich nicht?
Marinelli. Daß ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege räumen lassen.
Odoardo. (bitter) Ei! Ein Nebenbuhler?
Marinelli. Nicht anders.
Odoardo. Nun dann – Gott verdamm’ ihn, den meuchelmörder’schen Buben!
Marinelli. Ein Nebenbuhler, und ein begünstigter Nebenbuhler –
Odoardo. Was? ein begünstigter? – Was sagen Sie?
Marinelli. Nichts, als was das Gerüchte verbreitet.
Odoardo. Ein begünstigter? von meiner Tochter begünstiget? (EG, V, 5; S. 72).
Odoardo gerät dadurch sehr leicht aus der Fassung, denn er glaubt, dass seine fromme,
liebe Tochter Teil des Komplotts ist: “Aber – (Pause) wenn sie mit ihm sich verstünde?
[...] Wenn sie es nicht wert wäre, was ich für sie tun will?” (EG, V, 6; S. 75). Er macht
also genau, was Marinelli und der Prinz wollen. In dem Lessing-Handbuch finden wir
aber
eine
mögliche
Erklärung
für
Odoardos
Benehmen:
“Vor
allem
in
Heiratsangelegenheiten steht die Gehorsamspflicht auf dem Prüfstand. Wo die Liebe der
Kinder eigene Wege geht, wird dies als Auflehnung gegen die Eltern verstanden.”74
Wenn Emilia in der Tat an dem Attentat auf Appiani beteiligt wäre, bedeutete das auch,
dass sie die Heiratswahl ihrer Eltern (Appiani) ablehnte und sich folglich von den Eltern
absetzte.
Nicht nur Leute aus dem außerfamilialen Raum zwingen Odoardo, seinen eigenen
Tugendprinzipien nachzukommen. Sogar seine eigene Tochter erpresst ihn später, mit
seiner eigenen Tugendsprache dazu, sie zu töten um ihre Ehre zu bewahren: “Oder Sie
sind nicht mein Vater.” (EG, IV, 7; S. 76). Obwohl es am Ende klar ist, dass Odoardos
74
Fick, S. 127
36
Stellung als Herr und Meister seiner Familie und sein – auf Emilia übertragener –
Tugendrigorismus für ihren Tod verantwortlich sind, wendet Emilia sich nicht von ihm
ab: “Auffallend ist in dem letzten Gespräch zwischen Vater und Tochter, daß sie ihn
immer wieder mit „mein Vater“ anspricht, in achtzehn Äußerungen verweist sie ebenso
häufig auf seine Vaterrolle.”75 Emilia bleibt also auch im Moment des Sterbens ihrem
Vater loyal, wie auch Prutti bemerkt: “Emilia selbst deklariert sich noch im Augenblick
ihres Todes als alleinigen väterlichen Besitz”76. Sie ist so durch ihren Vater
indoktriniert, dass sie diesen Tod normal findet. Wosgien behauptet, dass für Odoardo
“der Verlust der Unschuld seiner Tochter für Odoardo schlimmer als der Tod [ist]”77.
Offensichtlich teilt Emilia diese Sehweise.
Odoardo hat aber Unrecht, nicht an die Tugend seiner Tochter zu glauben, so
behauptet Fick: “Offenkundig zweifelt Emilia nicht an Sinn und Inhalt der »Tugend«
und ist selbst tugendhaft, dennoch fühlt sie sich von ihrem »Blut« und ihren »Sinnen«,
d.h. von ihrer Sexualität bedroht.”78 Sie will sterben, bevor sie eben gesündigt hat.
Hieraus bemerken wir, dass Emilias Glaube an ihre eigene Tugend, durch Odoardos
Misstrauen immer geringer wird. Außerdem betont Lorey mit Recht: “Die
Verantwortung und der Druck, die in diesem Idealbild auf der Frau haften bleiben, sind
nicht zu unterschätzen.”79 Emilia weiß, dass auch wenn sie an ein und demselben Tag
von dem Prinzen bedrängt und in seinem Auftrag entführt wird, sie dieses Idealbild
hochhalten soll. Emilia ist fast immer ängstlich und unsicher, weil sie fürchtet, ihre
Tugend aufzugeben. Sie weiß, dass sie ihre Tugend vor diesem Mann schützen soll, sie
hat aber nur die Kraft nicht mehr, es zu tun. Wenn sich herausstellt, dass auch ihr Vater
nicht im Stande ist, sie vor diesem Mann zu schützen, sieht sie nur in dem Tod noch
eine Lösung. Das Tugendideal, das Emilia von ihrem Vater gelernt hat, macht Emilias
Leben unhaltbar, denn jeder Tritt kann zum Fehltritt werden. Sogar ohne schuldig zu
sein, fühlt sie sich schuldig, weil sie es einfach so gelernt hat. In Miß Sara Sampson
bemerken wir dasselbe Phänomen. Diese (unerträgliche) Tugend trägt bei zu dem Tod
75
Fiedel, S. 55
Prutti, S. 130
77
Wosgien, Gerlinde Anna: Literarische Frauenbilder von Lessing bis zum Sturm und Drang. Ihre
Entwicklung unter dem Einfluß Russeaus. Frankfurt am Main: Lang 1999, S. 221. Zitiert bei Keil, S. 29
78
Fick, S. 318
79
Lorey, S. 11
76
37
der beiden Protagonistinnen.
In der Sekundärliteratur wird auch öfters auf diese unerträgliche Tugend
hingewiesen, und meistens findet man in Emilias Erziehung den Grund für ihre Angst,
ihre Tugend zu verlieren. Auch Gerd Hillen hat dies bemerkt: “Emilia erscheint nicht
mehr als Opfer fürstlicher Willkür, sondern als Opfer einer Erziehung, in der jede
sinnliche Regung als ›Sünde‹ gilt.”80
4.3 Erziehung
Einen Grund für Emilias Tugendrigorismus können wir also in ihrer Erziehung
vorfinden. In diesem Stück wird mehrmals über ihre Bildung gesprochen, so dass wir
eine ziemlich gute Idee davon bekommen. So zweifelt Odoardo, ob eine Erziehung in
der Stadt wirklich so gut ist für seine tugendhafte Tochter. Deshalb sagt er zu seiner
Frau Claudia:
Du möchtest meinen alten Argwohn erneuern: – daß es mehr das Geräusch und die
Zerstreuung der Welt, mehr die Nähe des Hofes war als die Notwendigkeit, unserer Tochter
eine anständige Erziehung zu geben, was dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben –
fern von einem Manne und Vater, der euch so herzlich liebet. (EG, II, 4; S. 22-23).
Gustafson bestätigt Odoardos Sehweise: “The mother’s longing for the illicit culture of
the city life subverts the unity of the family structure, separating the daughter from her
father and exposing her to the lust that would prove most deadly to her father.”81 Wurst
vertritt aber eine entgegengesetzte Meinung, bei der ich mich eher anschließe: “Yet a
closer inspection reveals that regarding her [Claudia] as a self-serving character without
morality would be to adopt Odoardo’s problematic perspective.”82 Odoardos
Perspektive ist problematisch, insofern, dass seine Tugendideale nicht realisierbar sind.
Deshalb erscheint fast jeder in dieser Sicht tugendlos und unmoralisch, wie zum
Beispiel seine Frau Claudia. Inge Stephan teilt diese Meinung: “Das Mißtrauen der
Väter und Geliebten überträgt sich auf die Zuschauer und Leser”83. Doch übernehmen
wir fast gedankenlos Odoardos Perspektive. Wir müssen darauf achten, objektiv zu
bleiben und nicht direkt Lessings Textstrategie zu übernehmen.
Während Emilia sich auf dem Lustschloss des Prinzen befindet, kritisiert Odoardo
80
Hillen, Gerd: “Die Halsstarrigkeit der Tugend. Bemerkungen zu Lessings Trauerspielen.” In: Lessing
Yearbook 2 (1970). Zitiert bei Fick, S. 327
81
Gustafson, S. 174
82
Wurst, 2005, S. 247
83
Stephan, S. 9
38
seine Frau: “Nun, Claudia? Nun, Mütterchen? – Haben wir nicht Freude erlebt!” (EG,
IV, 7; S. 63). Er wirft ihr deutlich die städtische Erziehung und die Gefährdung der
tugendhaften Tochter vor. Als Claudia ihrem Mann begegnet, kommt sie ihm mit den
folgenden Worten entgegen: “Ah, unser Beschützer, unser Retter!” (EG, IV,8; S. 65).
Claudia versucht zuerst ihren Mann mit dieser Begrüßung zu schmeicheln. Sobald sie
bemerkt, dass es nicht wirkt, behauptet sie unmittelbar, dass sowohl sie als auch die
Tochter unschuldig seien: “Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter
ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!” (EG, IV, 8; S. 65).
Aber ist Claudia wirklich unschuldig? Oder hat sie doch auch Schuld an diesem
Konflikt, weil sie Emilia empfohlen hat, die Begegnung mit dem Prinzen in der Kirche
vor ihrem Verlobten und ihrem Vater zu verschweigen? Soll Emilia das als zukünftige
Ehefrau Appiani nicht erzählt haben? Vielleicht hätte Appiani dann dafür gesorgt, dass
die Kutsche, die sie von der Stadt auf das Land brachte, mehr Begleitung hatte. Ist
Claudia folglich nicht mitschuldig an dem Tod ihres “Sohnes”? Das würde aber auch
Emilia mitschuldig machen, denn sie hat letztendlich zugestimmt, Appiani und dem
Vater den Vorfall zu verschweigen. Odoardo soll als pater familias alles wissen, denn
sonst kann er seine Familie nicht gegen Eindringlinge schützen. Wie Claudia ihrem
Mann dann kurz vor der Heirat erzählt, dass Emilia dem Prinzen bei einer Begegnung
sichtbar gefallen hat, nennt Odoardo Claudia eine “eitle, törichte Mutter!” (EG, II, 4; S.
24). Claudia wird in der Tat durch mehrere Figuren als eitel betrachtet, so beweist auch
die folgende Aussage von Marinelli: “es ist doch einmal die Mutter, die wir auf unserer
Seite haben müssen. – Wenn ich die Mütter recht kenne – so etwas von einer
Schwiegermutter eines Prinzen zu sein, schmeichelt die meisten.” (EG, III, 6; S. 45).
Jedoch ist Claudia nicht mehr zu schmeicheln, nachdem sie die ganze Intrige entdeckt
hat. Auf einmal sehen wir eine ganz andere Mutter, die sogar gegen Marinelli (einen
Vertreter des Hofes!!) in Wut ausbricht:
Es ist klar! – Ist es nicht? – Heute im Tempel! vor den Augen der Allerreinesten! in der
nähern Gegenwart des Ewigen! – begann das Bubenstück, da brach es aus! (Gegen den
Marinelli.) Ha, Mörder! feiger, elender Mörder! Nicht tapfer genug, mit eigner Hand zu
morden, aber nichtswürdig genug, zu Befriedigung eines fremden Kitzels zu morden!
morden zu lassen! – Abschaum aller Mörder! – Was ehrliche Mörder sind, werden dich
unter sich nicht dulden! Dich! Dich! – Denn warum soll ich dir nicht alle meine Galle, allen
meinen Geifer mit einem einzigen Worte ins Gesicht speien? – Dich! Dich Kuppler! (EG,
III, 8; S. 47-48).
Nach ihrem emotionalen Ausbruch macht Claudia einen Vergleich mit der Tierwelt:
39
“Was kümmert es die Löwin, der man die Jungen geraubt, in wessen Walde sie
brüllet?” (EG, III, 8; S. 48). Claudia benützt hier eine harte Sprache, die zugleich auch
ihre Liebe für ihre Tochter zeigt. Claudia fällt aber eben so schnell wieder in die alte
Mutterrolle zurück, wenn der Prinz auf die Bildfläche erscheint. So sagt Marinelli zu
seinem Meister: “und wie zahm sie auf einmal ward, bei dem ersten Anblicke von Ihnen
[dem Prinzen]” (EG, IV, 1; S. 49).
Wir bemerken, dass beide Eltern offenkundig ein anderes Bild von der idealen
Erziehung haben: während Odoardo seine Tochter weit von der Stadt und dem Hof
halten will, hat sie gerade in der Stadt (und in der Nähe des Hofes) ihre Erziehung
bekommen. Emilias Bildung ist nicht nur inkonsistent, sondern sie verursacht auch ihre
Verunsicherung. Weil Emilias Eltern immer so besorgt um ihre Tochter sind, sieht ihr
Benehmen fast wie Misstrauen gegen die Tochter aus. Deshalb ist es für Emilia schwer
Selbstvertrauen zu haben. Für Odoardo ist “Einer [der wenigen Schritte, die sie zur
Kirche machen muss] ist genug zu einem Fehltritt!” (EG, II, 2; S. 19). Auffallend ist
jedoch, dass obwohl Odoardo einen Fehltritt fürchtet, er lieber seinen Schwiegersohn
Appiani besucht, als auf seine Tochter zu warten. Dadurch enttäuscht er seine Tochter,
die dadurch wieder unsicher wird.
Außerdem wird die Familie ständig von Odoardo überwacht, obwohl er nicht mit ihr
zusammenlebt. Er will immer wissen, was passiert ist und warum. In diesem
überwachenden Klima hat Emilia auch niemals eine normale Beziehung zu Männern
entwickeln können. Es ist dann auch nicht verwunderlich, dass sie nicht weiß, wie sie
sich in der Nähe des Prinzen benehmen soll. Hier muss aber doch erwähnt werden, dass
auch Appiani ein adliger Mann ist. Jedoch missbraucht er nicht seine Macht um Emilia
für sich zu gewinnen.
Ich glaube, dass es gerade die fehlende Kenntnis höfischer Sitten und Bräuche ist,
wodurch Emilia sich nicht fähig fühlt, dem Prinzen gegenüberzustehen und ihn
abzuweisen. Weil sie seine Avancen nicht abweisen kann, so muss sie sie akzeptieren
und folglich ihre Tugend aufgeben.
Wir merken hier, dass der ganze Konflikt eigentlich durch das Fehlen höfischer Sitten
und Bräuche verursacht wird. Saße beschreibt die Wichtigkeit einer richtigen Bildung in
40
diesem Drama:
Emilia sei durch ihre Rolle als Tochter definiert. Eine doppelte Botschaft habe ihr ihre
Erziehung vermittelt: Zum einen, daß die Welt außerhalb der Familie lasterhaft sei, zum
anderen, daß sie selbst als Frau des Schutzes der Familie bedürfe, um ihre Unschuld zu
bewahren, daß sie allein dazu nicht fähig sein werde. Emilia habe nicht gelernt, sich
außerhalb des Familienverbandes zu behaupten. Ausweglos werde ihre Situation dadurch,
daß der Vater seine Rolle als Familienoberhaupt nicht mehr erfülle, daß er sie nicht mehr
vor dem Prinzen beschütze. Indem Emilia ihn dazu aufstachele, sie zu töten, überwinde sie
dessen Handlungsohnmacht und bringe ihn dazu, seiner Rolle als Beschützer ihrer Tugend
erneut gerecht zu werden84
Saßes Einsichten überzeugen, bis auf seine Meinung, dass Odoardo wieder der
Beschützer der Familie wird, als er seine Tochter tötet. Im Gegenteil: dann zeigt er erst,
dass er sie wegen Mangel an Schutz tötet. Er nimmt seine Rolle als Beschützer nicht
auf, er verlässt sie gerade. Diese These wird im Kapitel “Mord” erörtert.
Lorey ergänzt die Beschreibung von Emilias Erziehung: “Wesentlicher Bestandteil der
Erziehung ist selbstverständlich das Gesetz der bedingungslosen Befolgung der
christlichen Normen und Tugenden, wobei auch hier das Familienoberhaupt die
dominierende Instanz auf dem Gebiet der Morallehre darstellt.”85 Indem Emilia
Odoardos Tugendlehre verkörpert und dadurch immer an sich selbst zweifelt, ist sie
sehr unsicher geworden. Über Odoardos Erziehung schreibt Fiedel mit Recht: “Er übt
also seine Rolle als pater familias nicht aus. Emilia wird nicht in ausreichender Weise
auf die Welt vorbereitet und steht den Werbungen des Prinzen vollkommen hilflos
gegenüber.”86 Auch sagt sie, dass er “der gehorsamen Tochter eine übermäßige Angst
vor der Schwachheit an[erzieht].”87
Emilia hört meiner Meinung nach aber zu viel auf ihre Eltern. So sagt sie einmal
zu ihrer Mutter: “Ich habe keinen Willen gegen den Ihrigen.” (EG, II, 6; S. 28). Aber
hat Emilia wohl einen eigenen Willen? Oder wird alles, was sie tut, durch den
widersprüchlichen Rat ihrer Eltern bestimmt? Ihre Ideen von Tugend und Sünde sind
sehr befremdlich gebildet, denn für Emilia ist “sündigen wollen auch sündigen.” (EG,
II, 6; S. 25). Sie mischt den Wille und die Tat in einander über.
Nur ihr Glaube bietet ihr noch einen Halt. Die Religion stellt für Emilia auch die
84
Saße, Günter: Die aufgeklärte Familie. Untersuchungen zu Genese, Funktion und Realitätsbezogenheit
des familialen Wertsystems im Drama der Aufklärung. Tübingen 1988. Zitiert bei Fick, S. 324
85
Lorey, S. 17-18
86
Fiedel, S. 24
87
Fiedel, S. 53
41
Lösung des Konflikts dar: “Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die
Fluten und sind Heilige!” (EG, V, 7, S. 77).
4.4 Religion
Emilias Erziehung ist – wie oben gesagt – auch eng mit ihrem Glauben
verbunden. Fick betont deshalb auch die Wichtigkeit der Religion in Emilias Leben:
“Emilias »Schwachheit« ist das Produkt, das Resultat ihrer (religiösen) Erziehung.”88
Emilia hat sowohl Angst vor dem irdischen als auch dem himmlischen Vater.
Odoardo ist aber nicht nur Emilias irdischer Vater, er benimmt sich sogar wie eine
Art Gott: er entscheidet, dass ihr Leben vorbei ist, worüber in der christlichen Lehre nur
Gott zu entscheiden hat. Odoardo geht dadurch, selbst in seinem absoluten
Tugendglauben, viel zu weit. In der Sekundärliteratur wird nicht oft auf Odoardos GottBenehmen verwiesen, aber wir lesen öfters, dass Odoardo Gott als eine Entschuldigung
für seine Tat (der Mord an seiner Tochter) benützt: “Ah! er will meine Hand, er will
sie!” (EG, V, 6; S. 75; meine Hervorhebung). Bevor er diese Aussage macht, lesen wir
in der Regieanweisung “(Gegen den Himmel.)” (EG, V, 6; S. 75). Doch finde ich es
befremdlich, dass ein gläubiger Mensch wie Odoardo erlaubt, dass die “er” von Gott
nicht großgeschrieben wurde.
Wenn es Emilia klar wird, dass ihr Vater eine Waffe hat und diese benützen wird
um den Prinzen und Marinelli zu töten, legt sie ein Veto dagegen ein: “Dieses Leben ist
alles, was die Lasterhaften haben.” (EG, V, 7, S. 77). Emilia weiß, dass sie, als
Gläubige, wohl ein zweites Leben nach dem Tod haben wird, auf das sie auch in ihrer
Virginia-Geschichte verweist: “ihr zum zweiten Male das Leben gab.” (EG, V, 7; S.
78).
Odoardo hat seine Tochter als tugendhafte, fromme Frau geformt, die aber so unsicher
ist, dass der Tod die einzige Lösung bildet, sobald ihre Tugend bedroht wird. Sie
vertraut aber darauf, dass es nach diesem Leben noch ein zweites Leben gibt.
4.5 Der abwesende Vater
Im Gegensatz zu Miß Sara Sampson und Nathan der Weise haben wir in Emilia
88
Fick, S. 338
42
Galotti am Anfang die einzige “vollzählige” Familie: Vater, Mutter und Tochter.89 Aber
wirklich vollzählig ist sie auch dann nicht, denn während Odoardo auf dem Land lebt,
leben Mutter und Tochter zusammen in der Stadt. Wir können uns fragen, weshalb die
Familie von dem pater familias getrennt lebt. Können wir Odoardo noch als Teil der
Familie Galotti betrachten, wenn er nicht zusammen mit Frau und Kind lebt? Odoardo
ist also nicht da, um seine Familie zu schützen. Außerdem ist es doch in diesem
Zeitalter auf soziologischer Ebene gesehen auffallend, dass Claudia, als Mutter und
Frau, offensichtlich selbst entscheiden kann, wo sie mit ihrem Kind lebt. Es ist fast, als
ob Odoardo darüber nicht viel zu sagen hat. Das kann dann auch erklären, weshalb der
Vater so froh ist, dass Emilia mit dem Grafen in “väterlichen Tälern” (EG, II, 4; S. 22)
leben wird. Was ihm nicht gelingt, sollte Appiani wohl gelingen.
Obwohl Odoardo nicht mit seiner Familie zusammenlebt, gelingt es ihm doch, sie
ständig zu kontrollieren. Lorey beschreibt Odoardo zutreffend als “Patriarch[en] voller
Mißtrauen”90. Während Odoardo, der abwesende Vater, deshalb eher unsympathisch
erscheint, wird er doch von vielen Figuren bejaht. Der Graf spricht von Odoardo als
dem “Muster aller männlichen Tugend” (EG, II, 7; S. 29). Obwohl Appiani Emilia noch
nicht geheiratet hat, benimmt er sich als ob er schon Teil ihrer Familie wäre. So sagt er
zu Claudia: “Ah, meine Mutter, und Sie können das von Ihrem Sohne argwohnen?”
(EG, II, 8; S. 31; meine Hervorhebungen). Andere Figuren versuchen auch in die
Familie einzudringen, wie Gräfin Orsina und der Prinz. Fast alle wollen sie, dass
Odoardo ihr Vater wird. So preist Orsina ihn: “Was gäbe ich darum, wenn Sie auch
mein Vater wären!” (EG, IV, 7; S. 62).
Laut Sørensen “dient [die mehrfache Benennung von Odoardo als Vater] aber vor allem
der Profilierung Odoardos als der eigentlichen und einzigen Vatergestalt dieses
Dramas.”91
Doch mutet es ziemlich fremd an, dass diese Personen Odoardo als Vaterfigur
anerkennen wollen, während er nicht einmal seine eigene Tochter schützen kann. Oder
liegt gerade darin die Ironie, dass jeder ihn auf seiner Vaterrolle anspricht, während er
den väterlichen Aufgaben nicht nachkommt? Auch Fiedel beschreibt diese Ambivalenz:
89
Siehe auch Gustafson, S. 170
Lorey, S. 195
91
Sørensen, S. 88
90
43
“Die scheinbare Geborgenheit durch Halt und Sicherheit innerhalb der Familie bricht
auf und ihre eigentliche Schutzlosigkeit durch ihre Abhängigkeit und Unselbständigkeit
wird offenbar.”92
Wir müssen aber auch darauf achten, nicht nur Odoardo die Schuld zu geben an
der Entführung und dem Tod seiner Tochter. Denn auch ihre Mutter spielt darin eine
wesentliche Rolle. Claudia lässt ihre Tochter nämlich gewisse Geschehnisse (so wie die
erste und zweite Begegnung mit dem Prinzen) vor Odoardo und Appiani verheimlichen,
wodurch sie die väterliche Autorität doppelt beleidigt. Als Tochter ist Emilia
verpflichtet, alles ihrem Vater zu sagen und als zukünftige Frau verpflichtet, Appiani
nichts zu vorenthalten. Sørensen betont auch Claudias Fehler:
Als Claudia dann unmittelbar nach dem Gespräch mit Odoardo Emilia dazu überredet, die
aufdringliche Annäherung des Prinzen in der Kirche zu verschweigen, verstößt sie noch
einmal [das erste Mal, war das Verschweigen der Begegnung des Prinzen in der Veghia] –
und diesemal gröber – gegen die Pflicht der Offenheit und der Berichterstattung, die im
patriarchalischen System als Vorbedingung der hausväterlichen „Wachsamkeit“
vorgesehen war.93
Sørensen verteidigt Claudia doch auch einigermaßen: “Claudia, die bei der ersten
Begegnung auf der Bühne ihren Mann zuerst mit „Sie“ anredet, während er sie duzt,
fürchtet den leicht erregbaren Zorn des Hausvaters”94. Sie fürchtet ihn mit Recht, denn
in seiner Wut ist er sogar im Stande (und macht es letztendlich auch), die Tochter zu
töten.
Aber obwohl Claudia auch Fehler gemacht hat, trägt Odoardo doch die größte
Verantwortung für den Tod seiner Tochter, denn er lässt seine Familie bis zum Schluss
im Stich. Odoardo ist nämlich immer so aktiv, dass er nie da ist, seiner Tochter zu
helfen. Odoardos Geschäftigtun hat kein Ziel, er tut als ob er handelt, vermeidet aber
wirklich zu handeln. Wenn er aber von Anfang an bei Emilia gewesen wäre, wäre es
nicht notwendig gewesen, am Ende seine Tochter umzubringen.
Jetzt möchte ich versuchen wie man Emilias Tod (Mord? Selbstmord? Diktierter
Mord?) definieren soll.
92
Fiedel, S. 57
Sørensen, S. 83
94
Sørensen, S. 82
93
44
4.6 Mord
Odoardo vermeidet das ganze Stück lang zu handeln, indem er rasch nach da,
rasch nach dort soll. Als Odoardo seiner Tochter im Lustschloss des Prinzen begegnet,
ist schon so viel passiert, dass er nur noch einen Ausweg sieht: die Tochter töten, so
dass der Prinz sie nicht mehr genießen kann. Nach Prutti wird Odoardo erst nach einem
Gespräch mit seiner Tochter über ihren Tod entscheiden: “Die Äußerung Odoardos in
dem dieser Begegnung mit der Tochter vorangehenden Monolog- “Das Spiel geht zu
Ende. So, oder so!”(V,6)- kann als Hinweis aufgefaßt werden, daß die Konfliktlösung
wesentlich davon abhängen wird, wie sich die dialogische Auseinandersetzung
zwischen Vater und Tochter entfaltet.”95 Odoardo wird entweder den Prinzen (die eine
“so”), oder seine Tochter (die andere “so”) töten. Was aber für ihn dann schon sicher
ist, ist das jemand sterben wird.
Emilia, die Odoardos Tugendlehre so massiv absorbiert hat, ist sofort mit einer
Tötung (um ihre Ehre zu bewahren) einverstanden, sie schlägt es sogar selbst vor! Um
ihren Vater zu zwingen, sie zu töten, erinnert sie ihn an die Virginia-Geschichte. Wir
sollen uns nicht fragen, wer ihr die Geschichte erzählt hat... denn wir kennen die
Antwort: Odoardo!
Am Ende ist es sehr schwer auszumachen, ob Emilias Tod ein Mord, ein
Selbstmord oder ein von ihr diktierter Mord war. Objektiv gesehen, haben wir es hier
mit einem Mord zu tun, denn Odoardo hat sie mit einer Waffe umgebracht. Der Mord
ist aber auch insoweit ein Selbstmord, als Emilia zuerst Selbstmord verüben wollte, bis
Odoardo ihr den Dolch wegnahm. Und es kann ebenso wie ein diktierter Mord
betrachtet werden, weil Emilia ihren Vater dazu auffordert, indem sie ihn mit der
Aussage, er sei ihr Vater nicht mehr, wenn er sie am Leben lasse, aufhetzt.
Hier sollen wir uns dann fragen, ob Emilias Aussagen nicht schon seit langem von
Odoardo in ihre Seele gepflanzt worden sind. Darüber wurde schon mehr in meinem
Tugend-Kapitel ausgesagt.
Ritchi glaubt, dass Emilias Tod eine Art Selbstmord ist, weil Odoardo “zwar den
Dolch führte, doch die wirkende Hand am Dolch nicht er selbst, sondern seine Tochter
war.”96 Ich bin mit Ritchis Aussage gar nicht einverstanden, denn Emilias eigene Worte
95
Prutti, S. 104 -105
Ritchi, Gisela F.: Der Dichter und die Frau. Literarische Frauengestalten durch die drei Jahrhunderte.
Bonn: Bouvier 1989, S. 45. Zitiert bei Keil, S. 30
96
45
und die Antwort ihres Vaters machen deutlich, dass Odoardo Emilias Tod als Mord
beobachtet:
Emilia. Nicht Sie, mein Vater – Ich selbst – ich selbst –
Odoardo. Nicht du, meine Tochter – nicht du! - Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt.
Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater! (EG, V, 8; S. 78-79;
meine Hervorhebungen).
So wird meine Meinung von Odoardo selbst unterstützt. Er hat Emilia von klein auf
gelehrt, wie wichtig die Tugend (für eine Frau!) war und wie schlimm es ist, wenn man
diese Tugend verliert.
Ich habe schon vorher betont, dass Odoardo seine Tochter wegen seines
Tugendrigorismus töten muss. Emilia bleibt aber sterbend noch ihrem Vater loyal. Sie
reicht ihm sogar eine Formel dar [“Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.”
(EG, V, 7; S. 78)], durch die er seine Tat dem Prinzen gegenüber rechtfertigen kann.
Erst in Moment von Emilias Sterbens wird die Kluft des Misstrauens zwischen
Vater und Tochter überbrückt, so bemerkt auch Fiedel: “Bedauerlicherweise erst in
diesem Tod sind sich Tochter und Vater so nah und so einig wie nie zuvor.”97
Odoardo ist sicher von seiner Tat, erscheint jedoch danach sehr erschüttert: “Gott,
was hab ich getan!” (EG, V, 7; S. 78). Es ist aber nicht deutlich, ob er damit seine Tat
bedauert oder einfach Gott anruft. Irgendwo hat Odoardo doch eine Art
Schuldbewusstsein: “Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens. Ich gehe und
liefere mich selbst in das Gefängnis. Ich gehe und erwarte Sie als Richter.” Dann aber
fängt er wieder an, dem Prinzen zu drohen: “Und dann dort - erwarte ich Sie vor dem
Richter unser aller!” (Beide: EG, V, 8; S. 79). Wie auch Prutti98 bemerkt, will Odoardo
am Ende seine Verantwortlichkeit fliehen. Prutti schreibt: “Mit Emilias Tod ändert sich
augenblicklich Odoardos Tonfall, und die Klage über den Verlust seiner Tochter wird
zu einer wortgewaltigen Anklage gegenüber dem Prinzen”99. Odoardo schiebt dem
Prinzen die Schuld in die Schuhe, dem dann wieder Marinelli alles vorwirft. Beide tun
alles, um keine Verantwortlichkeit zu tragen.
Dieser Mord hängt aber auch sehr eng mit meinem nächsten Kapitel
“Besitzdenken” zusammen, denn verübt Odoardo diesen Mord auch nicht, weil sie seine
97
Fiedel, S. 55
Prutti, S. 105
99
Prutti, S. 127
98
46
Tochter ist? Aber nicht nur Odoardo, sondern auch andere Figuren benützen eine
Sprache, die Emilia objektiviert.
4.7 Besitzdenken
Obwohl Emilia ein Mensch ist, wird über sie mehrmals in merkantilen
Begriffen100 geredet. So behauptet Inge Stephan mit Recht über Odoardo: “Wie ein
Kaufmann seine Ware, so bewacht der Vater die Tugend seiner Tochter.”101 Niemand
soll in die Beziehung zwischen Vater und Tochter eindringen. Er sagt deshalb zum
Prinzen: “Prinz, die väterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern.” (EG, V, 5, S. 71).
Um ihre Tugend zu bewahren, will er seine Tochter sogar in einem Kerker einschließen,
so dass sie für keinen zugänglich ist. Odoardo geht sehr possessiv mit seiner Tochter
um, wie auch seine Aussage dem Prinzen gegenüber beweist: “Sie soll mit mir.” (EG,
V; 3; S. 69; meine Hervorhebung).
Aber nicht nur Odoardo betrachtet Emilia als eine Art Objekt, sondern auch
Marinelli: “Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben kann, kauft man aus der
zweiten: - und solche Waren nicht selten aus der zweiten um so viel wohlfeiler.” (EG, I,
6; S. 16). Wenn man dies liest, kann man sich fragen, ob der Prinz Emilia wirklich liebt
oder sie nur wie ein Objekt besitzen will. Meiner Meinung nach sieht er sie einfach wie
ein Ding, denn wenn er mit Marinelli und Odoardo über Emilias Schicksal verhandelt,
wird Emilias Meinung nicht berücksichtigt; sie ist nicht einmal bei der Besprechung
anwesend: “Diese Entscheidung wird ohne Zustimmung von Emilia getroffen, sie wird
dadurch wieder in die Passivität gedrängt.”102, betont Keil.
Der Prinz benutzt also öfters ein Besitzdenken in seinem Diskurs über Emilia. Er
benimmt sich sogar, als ob Emilia ein Objekt sei, das er kaufen kann:
Dich hab ich für jeden Preis noch zu wohlfeil. – Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr,
das ich dich besitze? – Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der Natur! – Was Sie
dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur! – Am
liebsten kauft’ ich dich, Zauberin, von dir selbst! (EG, I, 5; S. 11; meine
Hervorhebungen).
Keil schreibt das Besitzdenken des Prinzen nicht seiner Liebe für Emilia zu: “[D]ie
Motivation des Prinzen, für die späteren Ereignisse ist nicht Liebe, sondern das
100
Siehe auch De Vos, Jaak : Geist der Goethezeit.Uneinheitlichkeit einer einheitlichen Periode.
Universiteit Gent : Academiejaar 2007-2008, S. 30-31
101
Stephan, S. 13
102
Keil, S. 28
47
Verlangen, Emilia zu besitzen”103. Gustafson schreibt über diese Szene: “Emilia [...] is
the object the prince hopes to extract from her parents through monetary means”104.
Und, in der Tat, die “ehrliche Mutter” könnte Claudia sein, während der “alte[r]
Murrkopf” dann Odoardo wäre.
Auch Stephan bemerkt, dass die Personen Emilia als Objekt betrachten:
In der Verständigung zwischen Odoardo und Appiani kommt Emilia nur als
Tauschgegenstand vor, sie ist die Prämie, mit der das Bündnis zwischen den beiden
Männern besiegelt wird. Auch in der Auseinandersetzung zwischen Odoardo und dem
Prinzen kommt Emilia als lebendige Person nicht vor, sie ist das Faustpfand des Vaters, mit
dem er sich gegen die Libertinage und Willkür des feudalen Herrschers auflehnt.105
Der Prinz aber glaubt, dass die Liebe, die er für Emilia empfindet, sein Benehmen
geändert hat. Seine jetzigen Gefühle sind sehr anders, als diejenigen, die er für seine
frühere Geliebte Orsina hatte: “Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so fröhlich,
so ausgelassen. – Nun bin ich von allem das Gegenteil. – Doch nein; nein, nein!
Behäglicher oder nicht behäglicher: ich bin so besser.” (EG, I, 3; S. 7). Es ist auch diese
Liebe, die ihn dazu bewegt, sich in ernsthaften Angelegenheiten lässig zu benehmen. Er
unterschreibt zum Beispiel ein Todesurteil “[r]echt gern” (EG. I, 8; S. 18). Diese Liebe
veranlasst ihn ebenso, Marinelli freie Hand zu lassen, weil er selbst nicht im Stande ist,
mit diesen Gefühlen umzugehen und folglich nicht mehr logisch nachdenken kann.
Auch Fiedel betont dies: “Hettore Gonzaga, der Prinz, stellt sich von Anfang an als ein
Mann dar, der sich von seinen Gefühlen treiben läßt und unberechenbar ist.”106
Während Fiedels Beschreibung noch ziemlich zart ist, wird sich rasch herausstellen,
dass die Galottis den Hof wirklich fürchten sollen...
4.8 Hof
Dass diese Familie sich einem Prinzen widersetzen muss, macht die ganze
Verwicklung in Emilia Galotti noch schlimmer. Wie schwer das ist, bemerken wir
sofort, sobald Odoardo in das Lustschloss eintritt: er benimmt sich dem Prinzen
gegenüber sehr unsicher und unterwürfig. Claudia, Odoardo und Emilia sind aber keine
schwachen Figuren. Sie werden das erst, wenn sie mit einer höheren Macht – wie dem
103
Keil, S. 26
Gustafson, S. 172
105
Stephan, S. 16
106
Fiedel, S. 48
104
48
Prinzen – konfrontiert werden. Die Etikette des Hofes fordert natürlich die Höflichkeit
von Untergebenen gegenüber Vorgesetzten. Diese Höflichkeit und die Tatsache, dass
sie dort untergeordnet sind, macht sie verwundbar. Oder wie Odoardo es ausdrückt, als
er vernimmt, dass Emilia dem Prinzen begegnet hat: “Das gerade wäre der Ort, wo ich
am tödlichsten zu verwunden bin! – Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt.” (EG, II,
4; S. 24). Hinzu kommt noch, dass Odoardo noch immer in einem ungelösten Konflikt
mit dem Prinzen verwickelt ist. Deshalb ist er auch so froh, dass seine Tochter noch
denselben Tag Appiani heiraten und nach anderen Orten (weit von seinem Gegner, dem
Prinzen, entfernt) ziehen wird. Die Tochter soll so schnell wie möglich die Stadt, wo sie
ihre Erziehung bekommen hat, verlassen, um auf dem Land zu wohnen. Odoardo ist
davon überzeugt, dass auf dem Land seine Tochter weniger Verführung bedrohen kann
als in der Stadt. Ironischerweise finden die zwei Attentate auf seine Tochter an Orten
statt, den für Odoardo als sicher galten. Zuerst wird Emilia in der Kirche von dem
Prinzen bedrängt. Fiedel bemerkt auch die besondere Bedeutung dieses Ortes:
Ein weiterer Ort der Sicherheit neben der Familie, auch in ideologischer und emotionaler
Hinsicht, ist für Emilia die Kirche. In diesen Ort der Sicherheit bricht der Prinz nun relativ
früh im Verlauf des Dramas ein, noch bevor er in ihre Familie eindringt und ihr so auch in
diesen Räumen die Sicherheit und den Halt raubt.107
Auch Gustafson betont, dass die Kirche “[the] ultimate symbol of patriarchal-Symbolic
virtue”108 ist, wiederum ein Ort, wo Odoardo zu verwunden ist.
Etwas später lesen wir auch, dass ein Keim der Vernichtung der Familie sich
sogar in dem Haus der Familie befindet, denn ihr Diener Pirro gibt den Mördern
nützliche Informationen über die Kutsche und deren Insassen mit. Die Familie ist sogar
im eigenen Haus nicht sicher.
Als Emilia dann letztendlich entführt wird, passiert dies auf dem Weg zum Haus des
Vaters, auf dem o so sicheren Land...
Odoardo hat geglaubt, dass Emilia auf dem Land fern von dem Hof und also sicher sein
würde. Das erweist sich als Fehleinschätzung, denn gerade auf dem Land wird sein
geliebter Schwiegersohn ermordet und seine Tochter einer Verführung ausgesetzt. Die
Familie meinte, auf dem Land vor dem Prinzen fliehen zu können, aber auch so weit
reicht seine Macht.
107
108
Fiedel, S. 50-51
Gustafson, S. 199
49
Obwohl Odoardo sich zu Hause deutlich wie ein Patriarch benimmt, ändert sein
Benehmen sich unmittelbar am Hof. Während Odoardo sich in der höfischen
Umgebung befindet, kann er nichts anders als eine unterwürfige Haltung annehmen.
Auch Lorey hat die Diskrepanz zwischen dem Patriarchen und dem unterwürfigen
Galotti bemerkt: “Das Bücken und Kriechen nach außen, eindeutig Zeichen der
Submission, läßt sich kaum vereinbaren mit dem Bild des autoritären Alleinherrschers
nach innen.”109 Das Problem der Galottis ist, dass sie die Leute am Hof verachten, zu
gleicher Zeit aber auch für sie kriechen. Wie erwarten sie, dass Emilia dann lernen
kann, wie sie sich in der Nähe der Adligen bewegen soll? Wir müssen aber doch die
Situation betrachten, worin Odoardo sich so unterwürfig benimmt. Der Prinz ist nämlich
sein Feind und seine Tochter war in Gefahr.
Odoardo geht in seinem Benehmen aber wohl sehr extrem vor, denn seine Tat am
Ende ist eine sehr unterwürfige: er tötet nicht den Wollüstling, der die Tugend seiner
Tochter vernichten will, sondern die Unschuldige (Emilia hat noch nicht gesündigt).
Odoardo vernichtet auf diese Weise seine Familie, sozusagen um sie zu retten. Doch
können wir Odoardo nicht ausschließlich als kalten Unmenschen betrachten, denn am
Ende des Dramas zweifelt er noch immer, ob er die Tochter töten soll. Er sagt dann zu
Emilia: “Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.” (EG, V, 7; S. 77), worauf Emilia
erwidert: “Und nur eine Unschuld!” (EG, V, 7; S. 77). Emilia zwingt ihren Vater, sie zu
töten, obwohl sie ihre Unschuld objektiv gesehen [ihrer Meinung nach hat sie aber
schon ihre Tugend verloren] noch nicht verloren hat.
Ich finde es dann doch auch befremdlich, dass Emilia offensichtlich auf eine normale
Weise mit dem Prinzen kommuniziert. Sobald sie aber ihren Vater sieht, wird sie
scheinbar wieder in die Angst, ihre Tugend zu verlieren, zurückversetzt. Ist es nur
Odoardos Anwesenheit, die diese Angst verursacht? Oder kann Emilia nur einige
Augenblicke in der Umgebung des Prinzen verbleiben, wenn sie tugendhaft bleiben
will? Emilia gesteht ihrem Vater, dass sie wochenlang gebetet hat um wieder zu sich
selbst zu kommen, nachdem sie in dem Haus der Grimaldis gewesen ist. Die Tatsache,
dass Emilia Angst hat, tugendlos zu werden, impliziert doch, dass Emilia etwas für den
Prinzen empfinden muss, denn soll man fürchten, die Ehre zugunsten einer Person
aufzugeben, für den man nichts empfindet?
109
Lorey, S. 198
50
Wir können uns hier denn auch fragen, weshalb Emilia (die fast geheiratet hatte) sich so
benimmt? Liebt sie Appiani nicht?
4.9 Appiani
Wir finden eigentlich nur positive Umschreibungen über Appiani, auch am Hof,
wie wir im folgenden Zitat lesen: “bei alledem ist er doch ein sehr würdiger junger
Mann, ein schöner Mann, ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre.” (EG, I, 6; S. 13).
Wenn er Emilia heiratet, soll er aber einen gewissen Lebensstil aufgeben: “Der Zirkel
der ersten Häuser ist ihm von nun an verschlossen” (EG, I, 6; S. 14). Wir können also
folgern, dass er diese Emilia sehr lieben muss. Aber ist es wirklich seine Liebe für
Emilia, die ihn dazu veranlasst, oder eher die Liebe, die er für seinen Schwiegervater
empfindet?
Die Liebe (oder besser gesagt, Bewunderung) zwischen Odoardo und Appiani ist
nämlich gegenseitig. Es sieht fast so aus, als ob Appiani versucht über Emilia zu
Odoardo zu gelingen. Man kann sich deshalb auch fragen, ob Appiani wirklich in
Emilia verliebt ist. Fast ist es, als ob Odoardo und Appiani mehr für einander
empfinden, als Emilia und Appiani. Auffallend ist aber, dass wir keine direkte
Begegnung von Appiani und Odoardo vorfinden, wir haben nur Beschreibungen ihrer
gegenseitigen Liebe. Die Männer loben einander mehrmals: Odoardo wird von dem
Grafen “[d]as Muster aller männlichen Tugend” (EG, II, 7; S. 29) genannt, und Odoardo
gesteht: “Kaum kann ich’s erwarten, diesen würdigen jungen Mann meinen Sohn zu
nennen. Alles entzückt mich an ihm.” (EG, II, 4; S. 22). Als Odoardo die Nachricht vom
Tod des Grafen vernimmt, sagt er: “Sie brechen mir das Herz.” (EG, IV, 7; S. 63), was
auf seine große Zuneigung zu seinem Schwiegersohn weist.
Gustafson schreibt denn auch: “Appiani’s priorities in marrying Emilia are clear.
First and foremost, he desires to be Odoardo’s son, and secondarily, to be Emilia’s
husband.”110 In dem Stück können wir dafür in Appianis eigenen Worten Beweise
finden: “Und womit sonst als mit der Erfüllung dieses Entschlusses kann ich mich der
Ehre würdig machen, sein Sohn zu heißen – der Ihrige zu sein, meine Emilia?” (EG,
II, 7; S. 29; meine Hervorhebungen).
Der Graf ist auch der Grund, weshalb Odoardo abwesend ist, als seine Tochter
110
Gustafson, S. 175
51
nach dem ersten Anschlag durch den Prinzen wieder nach Hause kommt. Auch Fiedel
bemerkt, dass “die Beziehung zwischen den beiden Männern [...] inniger und herzlicher
[ist] als die zwischen den Brautleuten.”111 Vielleicht mag Odoardo Appiani so, weil sie
einander so ähneln. Wurst beschreibt Appiani dann auch treffend als “[t]he younger
version of the father”112.
Vermutlich ist die nicht so starke Liebe zwischen Emilia und dem Grafen auch
der Grund, weshalb sie so außer sich ist, als ein anderer Mann (der Prinz) Gefühle für
sie zeigt. Emilia hat nämlich nie gelernt, wie sie mit einem verliebten Mann umgehen
soll. Emilia und Appiani fühlen anscheinend doch eine gewisse Zuneigung zu einander,
aber Appiani ist nicht ihre erste Priorität nach dem Attentat. Emilia fragt nach ihrer
Entführung immer erst oder nur nach ihrer Mutter113: “Meine Mutter ist noch in der
Gefahr.” (EG, III, 4; S. 42) und “Wo sind sie? Wo ist meine Mutter?” (EG, III, 5; S.
43; meine Hervorhebungen). Es wird also klar, dass die Liebe, die sie für ihre Mutter
empfindet, größer ist, als die für ihren Verlobten. Wir können uns also fragen, ob die
Ehe von Emilia und Appiani nicht eine Art Vernunftehe, ohne wirkliche Liebe, ist. Was
die Ehe von Emilia betrifft, können wir bei Lorey eine Erklärung finden: “Da die
Ehebindung meist von den Eltern diktiert wurde und generell von ihnen genehmigt
werden mußte, verfügten die Kinder selbst bei der Familienneugründung über wenig
individuelle Entscheidungsfreiheit.”114 Das kann auch erklären, weshalb die Liebe
zwischen den Brautleuten nicht sehr passioniert ist.
Emilias Heirat wurde aber für ihre Lage nichts ändern, denn sie wird von der
einen autoritären Beziehung in die andere gehen, so betont auch Lorey: “da sie allein
von der väterlichen Gewalt in den Machtbereich des Ehemannes tritt, der
wahrscheinlich ebenso über sie wachen und ihr Mißtrauen entgegenbringen wird, wie es
ihr Vater tut.”115
Erst nach Appianis Tod kommt Odoardo seiner Tochter näher: “Und deine Sache
– mein Sohn! mein Sohn! – Weinen konnt’ ich nie – und will es nun nicht erst lernen –
Deine Sache wird ein ganz anderer zu seiner machen! Genug für mich, wenn dein
111
Fiedel, S. 58
Wurst, 2005, S. 246
113
Siehe Fiedel, S. 51
114
Lorey, S. 8
115
Lorey, S. 202
112
52
Mörder die Frucht seines Verbrechens nicht genießt.” (EG, V, 2; S. 68). Hier verliert
Appiani zum ersten Mal an Bedeutung, da es für Odoardo in diesem Moment wichtiger
ist, seine biologische Tochter (sein Fleisch und Blut) zu rächen als seinen (vielfach
bewunderten) Sohn.
4.10 Negatives Frauenbild
Während die Figuren aus Emilia Galotti Männer wie Odoardo sehr stark bejahen,
werden die Frauen aber ziemlich negativ beschrieben. Lessing lässt in diesem Drama
Gräfin Orsina philosophieren über die Unmündigkeit der Frauen: “Ist es wohl noch
Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding lieben, das, ihm
zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das denkt, ist ebenso ekel als ein
Mann, der sich schminket.” (EG, IV, 3; S. 55-56; meine Hervorhebungen). Weiter sagt
sie auch noch: “Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der Schöpfung, ob wir arme
Geschöpfe gleich nicht mitdenken dürfen.” (EG, IV, 3; S.56). Orsina erklärt also, dass
die Frauen nur schön sein sollen und lieber in der Unmündigkeit stecken bleiben sollen.
Gustafson bemerkt mit Recht zu dieser Szene: “Orsina asserts that the female/feminine
subject who philosophizes, who reasons, is considered abject.”116 Orsina will ihre
Meinung geben, aber gleichzeitig erkennt sie, dass es nutzlos ist, denn keiner hört ihr
zu. Orsina hat, mit Rücksicht auf das Zeitalter, mit ihrer Aussage recht, denn die
Männer dachten wirklich so über denkende Frauen. Ich habe diese These schon in
meinem Kapitel über die Aufklärung besprochen.
Marinelli kränkt sie mutwillig, wenn er sie verrückt nennt. Er hat nämlich Angst,
dass sie Odoardo den wahren Hergang hinter dem Attentat erzählen wird. Aber indem
Marinelli sie verletzt, wird sie gefährlicher, als er je denken könnte. Außerdem ignoriert
ihr Geliebter, der Prinz, sie und hat keine Zeit für sie. In einem Moment wird sie von
Geliebter nach Nichtswürdiger in seinen Augen degradiert. Als Rache hetzt sie Odoardo
auf und gibt ihm einen Dolch, mit dem er den Prinzen ermorden könnte. Odoardo
benützt den Dolch aber für seine eigene Tochter...
Auffallend ist aber, dass Odoardo diese Frau als eine Ebenbürtige behandelt, er ist sogar
höflicher zu Orsina als zu seiner eigenen Frau. Er spricht Orsina immer mit “Sie” an,
116
Gustafson, S. 206
53
während er seine eigene Frau mit “du” anredet. Wir sollen aber darauf achten, dass
Orsina eine Fremde für ihn ist, und dass er deshalb so höflich ist gegen sie.
Die zweite negative weibliche Figur finden wir dann in Claudia, der einzigen
lebenden biologischen Mutter (in den drei von mir gewählten Dramen). Odoardo
versucht nämlich sie immer ferne von seiner Tochter zu halten. Auch Gustafson betont,
dass die Mutter die Tochter dem Verlangen preisgibt und so eine Gefahr für die Familie
(und vor allem den Vater) bildet: “The mother appears as the originary site of illicit
desire [...], which rends the family unit apart and threatens to destroy both daughter and
father.”117
Auffallend ist aber, dass diese zwei negativ betrachteten und geringschätzten Frauen als
erste die Intrige durchschauen.
Meiner Meinung nach sind die Frauen nicht wirklich negativ und begegnen wir in
diesem Stück nur negativen Darstellungen von diesen Frauen.
Emilia wird an dem Tag ihrer Heirat mit Appiani im Auftrag des Prinzen entführt.
Weil sie so unsicher ist, und die Religion, ihre Bildung und der Tugendrigorismus ihr
keinen Halt bieten, um ihre Tugend in der höfischen Welt zu bewahren, sehen sie und
Odoardo nur noch einen Ausweg: der Tod.
117
Gustafson, S. 177
54
5. Nathan der Weise118
Als Lessing Nathan der Weise schrieb, war er mit dem Hamburger Hauptpastor
Goeze über Religionsfragen119 in Konflikt geraten und durfte nichts mehr zum Thema
Religion publizieren. Im Anlauf zu Nathan der Weise schrieb er: “Ich muß versuchen,
ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater, wenigstens noch ungestört wird
predigen lassen.”120
Nicht nur der Religionskonflikt ist bestimmend für dieses Drama, sondern auch der Tod
von Lessings Frau und Kind. Kuschel schreibt über diese Periode: “Der Schmerz über
den Verlust der beiden geliebten Wesen sitzt tief in Lessing. Einsamkeit prägt von nun
an noch mehr sein Leben; die Krankheiten verschlimmern sich. Der „Nathan“ entsteht
in dieser Situation und Stimmung.”121
In diesem Drama begegnen wir zwei amputierten Familien: einerseits gibt es
Nathan, seine Adoptivtochter Recha und ihre Gesellschafterin Daja, und andererseits
Sultan Saladin und seine Schwester Sittah, die um den Tod ihrer Schwester und den
Verlust ihres Bruders Assad trauern. Während des Stückes fangen diese zwei Familien
an, ineinander überzugehen, und nehmen auch neue Menschen, wie den Tempelherrn,
darin auf.
Ich möchte hier einige Aspekte der Vater-Tochter-Liebe besprechen. So werde ich
näher eingehen auf die Liebe, die Recha und Nathan für einander empfinden. Ich
möchte auch die Sichtweise auf Religion und Erziehung näher betrachten. Weiter will
ich herausfinden, wie sich die Familie gegenüber Eindringlingen benimmt. Was ist
genau die Rolle von Saladin in diesem Stück? Benützt er Besitzdenken? Eine andere
Frage ist, wie man das Ende und die Ringparabel betrachten muss. Zuletzt möchte ich
näher auf die Betrachtungsweise auf Frauen und Daja insbesondere eingehen.
5.1 Vater-Tochter-Liebe
In Nathan der Weise sind Rechas und des Tempelherrn biologische Eltern längst
118
Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen. Stuttgart:
Reclam 1993
119
“Zu Lessings »Nathan der Weise«”. In: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Stuttgart:
Reclam 1976, S. 141
120
“Zu Lessings »Nathan der Weise«”. S. 141
121
Kuschel, Karl-Josef: Jud, Christ und Muselmann vereinigt? Lessings “Nathan der Weise”. Düsseldorf:
Patmos 2004, S. 196
55
verstorben. Beide sind folglich bei Surrogateltern aufgewachsen. Es ist wichtig zu
wissen, dass Nathan Recha nicht erzählt hat, dass sie seine Adoptivtochter ist.
Nathans enge Beziehung zu Recha lässt sich erklären, wenn wir die Umstände
ihrer Adoption etwas näher betrachten. Er hat Recha angenommen, kurz nachdem er
seine biologische Familie in einem angezündeten Feuer verloren hatte. Als er vernimmt,
dass er seine Adoptivtochter an ihre biologische Familie abtreten soll, fällt es ihm
schwer, dieses letztes Kind (Recha) auch aufgeben zu müssen: “Ob der Gedanke mich
schon tötet, daß / Ich meine sieben Söhn’ in ihr aufs neue / Verlieren soll: – wenn sie
von meinen Händen / Die Vorsicht wieder fodert, – ich gehorche!” (NdW, IV, 7; S.
111). Er soll sie nur gehen lassen, unter der Bedingung, dass sie ihn selbst darum bittet.
Außerdem findet er, dass wer mit ihm um Recha kämpft, “frühere [Rechte] zum
mind’sten haben” muss (NdW, IV, 7; S. 111). Saße erklärt Nathans Aussage wie folgt:
“Die »früheren Rechte« der biologischen Verwandtschaft begründen in den Augen
Nathans zwar kein »größeres« Vaterrecht als das seine, das er »allein / [...] der Tugend
[dankt]« (I, 35f.), sehr wohl aber einen faktischen Rechtsanspruch, dem er sich nicht
widersetzen will (s. V, 301-302).”122
Dass die Liebe zwischen Nathan und Recha groß ist, bemerkt auch Lorey: “Als Nathan
sie im Hause des Sultans wiederfindet -[...]-, durchbricht er die Etikette der Höflichkeit
und geht nicht dem Sultan, sondern Recha zuerst entgegen”123.
Als Nathan sie dann fragt: “bist doch meine Tochter noch?” (NdW, V, 8; S. 134),
antwortet sie unmittelbar: “Mein Vater!...” (NdW, V, 8; S. 134). Die Liebe zwischen
Vater und Tochter bleibt, trotz des Geheimnisses, selbstverständlich.
Was diese Vater-Tochter-Beziehung (außer der Adoption) von den zwei anderen
Dramen unterscheidet, ist, dass Vater (Jude) und Tochter (Christin) einer anderen
Religion angehören. Wie diese Tatsache die Beziehung beeinflusst, werde ich im
folgenden Kapitel besprechen.
5.2 Religion
Während die Religion für Emilia und Sara einen Halt bietet und sie mit den Eltern
122
Saße, Günter: Die aufgeklärte Familie. Untersuchungen zur Genese, Funktion und
Realitätsbezogenheit des familialen Wertsystems im Drama der Aufklärung. Tübingen: Max Niemeyer
Verlag 1988, S. 245
123
Lorey, S. 234
56
vereint, bildet die Religion für Nathan und Recha einen kritischen Punkt, denn wegen
der Religionsunterschiede versuchen die anderen Figuren (wie z.B. Daja) Vater und
Tochter von einander zu trennen. Der jüdische Nathan verschweigt Recha, einer
geborenen Christin, dass sie nicht seine biologische Tochter ist. Das ist Daja, ihrer
christlichen Erzieherin, ein Dorn im Auge; sie kennt dieses Geheimnis, aber will doch
aus Recha gerne wieder eine Christin machen. Sie droht Nathan deshalb damit, Recha
dieses Geheimnis zu verraten. Obwohl Nathan sie besticht, erzählt sie das Geheimnis
weiter. Daja erkennt aber nicht, dass sie damit Nathan in Gefahr bringt. Als sie es dem –
in Recha verliebten – Tempelherrn erzählt, ist der erzürnt, dass der tolerante Nathan
offenbar doch nicht so tolerant ist.
Der Tempelherr wollte nämlich Teil dieser Familie sein und nannte Nathan sofort
“Mein Vater!” (NdW, II, 9; S. 80). Nathan weist dies aber ab, weil er die Herkunft des
Tempelherrn nicht kennt. Nur wenn sich herausstellt, dass er Rechas biologischer
Bruder ist, will Nathan diesen Namen “Vater” annehmen. Weil der Tempelherr dies als
eine Abweisung seiner Heiratsabsicht sieht, geht er zum Patriarchen, sobald sich
herausstellt, dass Recha eigentlich eine geborene Christin ist. Er erzählt das Geheimnis
dem Patriarchen, der als Strafe für Apostasie den Scheiterhaufen in Aussicht stellt:
Nathan soll, wegen des Verbrechens, eine Christin nicht christlich erzogen zu haben,
verbrannt werden. Saße betont, dass es sich “nicht um die harmlose Drohung eines
machtlosen Patriarchen [handelt], sondern um die Bekanntgabe der Rechtslage. Auf
Apostasie steht der Scheiterhaufen.”124 Saße betont auch noch, dass wir den Patriarchen
sehen sollen “als Repräsentant[en] der bestehenden Rechtsordnung, der den Einzelfall
korrekt unter das einschlägige Gesetz subsumiert.”125 Damit gefährdet der Tempelherr
nicht nur Nathan, sondern auch Recha, wie Wurst beschreibt: “The rigidity of moral
norms is embodied in the negatively portrayed quintessential patriarchal authority – the
Patriarch, who would rather see Recha dead than brought up in a Jewish household –
which, in his estimation, will result in her eternal damnation.”126 Nachdem der Patriarch
auch noch vernimmt, dass Nathan Recha alle Religionen kennengelernt hat, steigert sich
noch seine Wut. Laut dem Patriarchen sind “Alle bürgerliche Bande / [...] aufgelöset,
[...] zerrissen, wenn / Der Mensch nichts glauben darf.” (NdW, IV, 2; S. 94). Wenn man
124
Saße, S. 226
Saße, S. 226
126
Wurst, 2005, S. 257
125
57
ein Kind nicht in einem gewissen Glauben erzieht, wird das von dem Patriarchen sofort
als Atheismus betrachtet. Es ist wichtig zu wissen, dass Atheismus damals nicht
akzeptiert war. Der Templer schreckt vor dem Fanatismus des Patriarchen zurück und
gelingt so zur Einsicht, dass er sich zu viel von seinen Emotionen und zu wenig von
seiner Vernunft hat führen lassen. Der einzige positive Aspekt der Religion, liegt darin,
dass Recha und der Tempelherr die positiven Seiten von Vernunft erkennen, indem sie
negative Kontakte mit Fanatikern erleben. So lernen sie vernünftiger mit
Andersgläubigen umzugehen. Sie übernehmen Nathans Einstellung, um Personen als
Menschen und nicht als Gläubigen zu begegnen.
Doch benimmt der Tempelherr sich während des ganzen Dramas immerhin als ein
Christ. So sagt er sofort, als Nathan offenbart, dass Recha eigentlich Blanda heißt: “Ihr
verstoßt / Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder! / Verstoßt sie meinetwegen!”
(NdW, V, 8; S. 139). Wahrscheinlich sagt er dies, weil Nathan auf diese Weise Recha
ihre christliche Identität zurückgibt, aber ich glaube, dass von einer wirklichen
Verstoßung nicht die Rede sein kann. Nathan will Recha überhaupt nicht abtreten.
Die Christen, in den Figuren von Daja, dem Patriarchen und dem Tempelherrn,
werden also sehr negativ dargestellt. So kritisiert Sittah: “Ihr Stolz ist: Christen sein;
nicht Menschen.” (NdW, II, 1; S. 35). Wir dürfen aber nicht vergessen, dass als Lessing
dieses Stück geschrieben hat, er in einen Konflikt mit dem hamburgischen Pastor
Goeze127 geraten war.
Obwohl Nathans Geheimnis eine Fehleinschätzung war, sollen wir auch
bemerken, dass was Nathan für Recha getan hat, außergewöhnlich ist: er adoptiert als
Jude eine Christin in religiöser Kriegszeit. Dass Nathans Familie kurz vorher von
Christen ermordet worden ist, macht diese Tatsache noch außerordentlicher. Doch
verkehren Nathan und Recha miteinander wie Gleichgesinnte, weil er sie als seine
eigene Tochter betrachtet. Tolerant wird Nathan erst, indem er Recha adoptiert.
Zusammen bilden sie eine neue, tolerante Familie.
Weil Nathan ein Jude ist, wird er anfangs von vielen Figuren so angeredet. Er
wird aufgrund seines Glaubens missachtet, aber auch gebraucht, denn Juden haben den
Ruf, den Leuten Geld zu leihen. Die Menschen empfinden ihn nicht als einen Menschen
127
“Zu Lessings »Nathan der Weise«”. S. 141
58
wie sie selbst, sondern wie eine niedrigere Person. Nur wenn Saladin und den
Tempelherrn mit ihm reden, sehen sie den Menschen im Juden.
Doch wird Nathan öfters gepriesen für seine Vaterrolle und erziehende Funktion.
Der Klosterbruder lobt die Erziehung von Recha, was die Religion betrifft:
Ei freilich, klüger hättet Ihr getan;
Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand
Als Christin auferziehen lassen: aber
So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
Wär’s eines wilden Tieres Lieb’ auch nur,
In solchen Jahren mehr, als Christentum.
Zum Christentume hat’s noch immer Zeit. (NdW, IV, 7; S. 109-110).
Dem Klosterbruder nach ist es wichtiger, Kinder zu lieben, als sie von Anfang an zur
“richtigen” Religion zu erziehen. Recha kann noch immer eine Christin werden, der
Mangel an Liebe ist für immer.
5.3 Erziehung
Nicht nur der Klosterbruder preist Nathans erzieherische Methode, sondern auch
Sittah. In einem Gespräch mit Recha über Nathan, gerät Sittah in Bewunderung für
Nathan: “O was ist dein Vater für / Ein Mann!” (NdW, V, 6; S. 129). Weiter betont sie
“Wie nah er immer doch / Zum Ziele trifft!” (NdW, V, 6; S. 129). Sittah stimmt auf
diese Weise Nathans Erziehungsmethode zu. Es stellt sich also heraus, dass Recha als
Frau aus dem achtzehnten Jahrhundert128 doch große Kenntnisse vermittelt bekommen
hat, denn Sittah gesteht Recha: “Was du nicht alles weißt!” (NdW, V, 6; S. 128).
Obwohl man Nathan seinen Vater-Titel wegnehmen kann, kann man die Spuren der
Erziehung, die er in ihrer Seele gelegt hat, niemals von ihr entfernen. Gustafson hat also
Recht, wenn sie Nathan Rechas “cultural father”129 nennt.
Sittah möchte wissen, wie Recha so eine große Kenntnis bekommen hat. Stolz
antwortet Recha, dass sie alles “allein aus seinem [Nathans] Munde” (NdW, V, 6; S.
129) weiß. Wir bemerken hier, dass Recha Nathan als Lehrer gehabt hat. Dies ist aber
128
Obwohl dieses Stück im Mittelalter situiert ist, geht es eigentlich um das achtzehnte Jahrhundert.
Lessing benutzte diese Methode um ungestraft Kritik auf dem eigenen Zeitalter zu äußern. Ich bitte den
Leser um während der weiteren Lektüre dieses Nathan der Weise Kapitels diese Transformation
unterschwellig zu behalten.
129
Gustafson, S. 257
59
kein außergewöhnliches Phänomen, wie auch van Laecke bestätigt. Sie berichtet, wie es
im achtzehnten Jahrhundert durchaus üblich war, dass die Kinder im engen Kreis der
Familie ihre Erziehung bekamen.130
Jedoch ist diese Erziehung nicht vollständig. Nathan hat seiner Tochter nämlich
nicht erlaubt, auch Bücher zu lesen, um ihre Kenntnis zu vergrößern. Nach
aufklärerischer Auffassung soll man jedermann erlauben, sich auf allen Gebieten zu
bilden.131
Als Rechtfertigung für die Abwesenheit von Büchern, sagt Recha: “Mein Vater liebt /
Die kalte Buchgelehrsamkeit, die sich / Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt, / Zu
wenig.” (NdW, V, 6; S. 128). Bücher werden hier also ziemlich negativ dargestellt; dies
ist aber besser zu verstehen, wenn wir folgendes Zitat lesen: “Vor uns steht ein reich
gewordener Geschäftsmann, der – wie wir durch seine Tochter Recha erfahren – die
„kalte Buchgelehrsamkeit, die sich / Mit toten Zeichen ins Gehirn nur drückt“ (V/6)
überhaupt nicht liebt, was eine deutliche Orthodoxie-Kritik mit ihrer exklusiven
Fixierung auf das Buch (Tora, Talmud) bedeutet.”132 Nathan hält seine Tochter auf
diese Weise fern von dogmatischen Büchern, weil er ihr einen Einblick in mehrere
Religionen gönnen will.
Recha muss außerdem auch gestehen, dass sie kaum lesen kann. Doch glaube ich, dass
wir, trotz Rechas unvollständiger Bildung, erkennen müssen, dass Nathan seine Tochter
mehr gelehrt hat, als damals in der Bildung einer Frau (!) üblich gewesen war. Obwohl
wir es also gewissermaßen verstehen können, weshalb ihre Kenntnis gehemmt und
limitiert wird, bleibt es fremd, dass Nathan, der die Aufklärung beinahe personifiziert,
doch offensichtlich auch findet, dass Weisheit und Kenntnis hauptsächlich Männern
vorbehalten sein sollen.
Wir sollen aber unsere Besprechung über Rechas Bildung nicht auf tatsächliche
Kenntnis beschränken. Ebenso wichtig ist die soziale Kenntnis, die Nathan seiner
Tochter vermittelt hat. So hat er Recha mehrmals gezeigt, dass er Vertrauen zu ihr hat.
Folglich hat Recha Selbstvertrauen entwickelt. Über Vertrauen schreibt Fiedel:
130
Van Laecke, S. 91
Braeckman, S. 101
132
Kuschel, S. 84
131
60
Dieses Urvertrauen bettet das Kind zunächst in seine Familie ein, es fühlt sich in ihrem
Rahmen sicher und gut aufgehoben. Es ruht in ihr, denn es weiß, daß es dort immer
Rückhalt findet. Von dort ausgehend kann es auch an im Laufe der Zeit immer weiter
außerhalb Stehende sein Vertrauen verschenken, denn es hat die Gewißheit, in der Familie
immer wieder aufgefangen zu werden, sollte sein Vertrauen enttäuscht werden.133
Nathan hat Recha gelehrt, wie sie mit Menschen umgehen soll, und er geht davon aus,
dass sie das in die Praxis umsetzen wird, auch wenn er nicht anwesend ist. Fiedel hat zu
Nathans Erziehung folgendes bemerkt: “Nathan hat also gewissermaßen nachgeholt,
was die Familie in der Erziehung zur Aufgabe hat, nämlich die Kinder zu mündigen und
guten Menschen zu erziehen und sie auf die Welt vorzubereiten.”134 Obwohl es Nathan
nicht gelingt, Recha wirklich zu “mündigen”, bereitet er sie doch auf die Welt und
Kontakte mit anderen Personen vor.
Nathan versucht folglich auf allen Ebenen Recha zu einer vernünftigen Frau zu
bilden. Er akzeptiert doch auch, dass sie Gefühle hat. Nathan ist, anders als Sir Sampson
oder Odoardo, weniger bekümmert über die Tatsache, dass seine Tochter einen Mann
lieben könnte. Nathan ahnt schon früh, dass seine Tochter den Tempelherrn liebt und
bespricht seine Annahme mit ihr: “Auch wenn ich wüßte, daß in deiner Seele / Ganz
etwas anders noch sich rege.” (NdW, II, 4; S.45). Nathan zeigt hier wiederum Vertrauen
zu seiner Tochter, bittet sie aber auch, ihm zu vertrauen: “Was auch in deinem Innern
vorgeht, ist / Natur und Unschuld. Laß es keine Sorge / Dir machen. Mir, mir macht es
keine. Nur / Versprich mir: wenn dein Herz vernehmlicher / Sich einst erklärt, mir
seiner Wünsche keinen / Zu bergen.” (NdW, II, 4; S. 45). Indem Nathan so offen mit
seiner Tochter redet, ist sie auch nicht geneigt, heimlich ihren Vater zu verlassen um
ihrem Geliebten zu folgen.
Obwohl Nathan die Gefühle seiner Tochter respektiert, herrscht seiner Meinung nach
doch die Vernunft vor.
Als Nathan zu Hause kommt, vernimmt er von Daja, dass sein Haus (mit Recha
darin) fast abgebrannt wäre. Ein Tempelherr hat Recha gerettet. Wie Nathan bemerkt,
dass seine Tochter sich unter Einfluss von Daja zu viel von ihren Gefühlen leiten lässt
und folglich aus dem Tempelherrn einen Engel macht, greift er ein. Weil dieses
Benehmen für Nathan nicht zulässig ist, erzählt er seiner Tochter eine Geschichte. Der
133
134
Fiedel, S. 13
Fiedel, S. 79
61
Tempelherr soll krank geworden sein, denn weil seine Tochter an einen Engel glaubte,
hat sie ihm keine Geschenke als Dank für ihre Rettung angeboten. Weil sie ihm keine
Geschenke gegeben hat, könne dieser Engel vielleicht sterben. Recha wird nach dieser
Geschichte ganz emotional, fängt aber auch an zu denken. Folglich beendet sie die
Schwärmerei, die ihr von Daja eingeflüstert wurde, wie diese Szene zeigt: “und schon
dein Engel, / Wie wenig fehlte, daß er mich zur Närrin / Gemacht? – Noch schäm ich
mich vor meinem Vater / Der Posse!” (NdW, III, 1; S. 59-60).
Hier wird deutlich gemacht, dass Recha öfters einfach den Diskurs und die Worte der
anderen Figuren übernimmt. Deshalb bittet sie Nathan, in ihrer Nähe zu bleiben, so dass
sie nur noch den richtigen Diskurs übernehme: “Ah, / Mein Vater! laßt, laßt Eure Recha
doch / Nie wiederum allein!” (NdW, I, 2; S.16). Recha denkt nicht für sich selbst. Auch
Lorey hat das bemerkt: “doch hört sie [Recha] aufmerksam die Argumente des Vaters,
dessen Vernunft sie sich zu eigen macht.”135 Wenn wir Kants Behauptung über
Unmündigkeit aus einem vorigen Kapitel weiter verfolgen, hat Recha folglich an ihrer
eigenen Unmündigkeit Schuld, weil sie ihrem Vater einfach nachredet, ohne selbst
nachzudenken.
Nathans erzieherische Methode ist stark von der Aufklärung und dem Gebrauch
der Vernunft geprägt. Wir können sogar weiter gehen, denn die Weise, wie Nathan den
anderen Menschen begegnet, ähnelt dieser der Freimaurerei. In einem Interview mit Leo
Apostel beschreibt der Journalist Filip Verhoest es so: “Het is geen ontmoeting van
vrienden, gelijkgezinden, van aanhangers van dezelfde overtuiging, wel van mensen die
fundamenteel van elkaar verschillen omdat alleen een konfrontatie van aan elkaar
tegenovergestelde ideeën een verrijking brengt.”136 (Meine Hervorhebungen). Dies ist
genau, was Nathan in seinen Freundschaften mit Saladin und dem Tempelherrn sucht.
Zuerst stehen beide Männer Nathan sehr argwöhnisch gegenüber, aber sobald sie
Nathans interessanten Gedankengang erkennen, wollen sie sich mit Nathan anfreunden.
Apostel selber sagt: “Je kunt bij je tegenstander altijd iets diepmenselijks, iets
135
Lorey, S. 235
Verhoest, Filip: “„Ritueel in loge-werkplaats verloopt als in droom“. Gentse filozoof professor
emeritus Leo Apostel schrijft testament van dertig jaar vrijmetselarij. ” In: De Gentenaar. 12 maart 1993,
S.13
136
62
waardevols ontdekken, als je maar goed zoekt.”137 Nathan versucht bei jeder Begegnung
immer wieder vorbei Religion, Herkunft und Äußeres zu sehen.
Nicht nur Nathans erzieherische Methode wird von den anderen Figuren bejaht,
sondern auch sein Charakter. Sogar der Tempelherr anerkennt letztendlich Nathans
Erziehung von Recha, denn ohne das, “was / Allein ihr [Recha] so ein Jude geben
konnte” (NdW, V, 3; S. 118), würde er nichts für Recha empfinden.
Auch Sittah, die einer anderen Religion angehört, lobt sein aufklärerisches Benehmen:
“wie frei von Vorurteilen / Sein Geist; sein Herz wie offen jeder Tugend, / Wie
eingestimmt mit jeder Schönheit sei.” (NdW, II, 3; S. 43). Nathan inkarniert fast die
Aufklärung.
Obwohl Nathan für viele Figuren ein Beispiel der Aufklärung ist und als guter
Vater gilt, wollen einige in seine Familie eindringen und ihn von seiner Tochter
entfernen.
5.4 Eindringlinge
Genau wie in Miß Sara Sampson und Emilia Galotti wird auch hier die Tochter
von ihrem Vater entfernt. Fast jede Figur dieses Dramas will Recha in ihre Familie
aufnehmen.
Der Tempelherr kann seinen Fehler – dem Patriarchen von Nathans Geheimnis
erzählt zu haben – zu seinem Vorteil lösen: er will Recha heiraten und sie
folgendermaßen vor dieser Gefahr schützen. Oder wie er selbst sagt:
Er [der Patriarch] kann Euch ja das Mädchen
Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer.
Er kann sie doch aus Euerm Hause nur
Ins Kloster schleppen. – Also – gebt sie mir!
[...]; und laßt ihn kommen. Ha!
Er soll’s wohl bleibenlassen, mir mein Weib
Zu nehmen. (NdW, V, 5; S. 124).
In Nathan der Weise ist die Heirat als ein negativer Gegenstand dargestellt, denn sie
dient zur Trennung von Vater und Tochter. Indem der Tempelherr Recha zu seiner Frau
macht, wird sie auch wieder eine Christin. Der Tempelherr geht aber zu weit in seinem
137
Verhoest, S. 13
63
Streben, um Recha zu seiner Frau zu machen: er will sie sogar von dem Adoptivvater
und dem – dann noch unbekannten – biologischen Bruder trennen. Er schlägt Nathan
vor, Recha niemals die Wahrheit (über ihre Adoption) zu erzählen: “Gönnt's ihr doch,
daß sie Euch nie / Mit andern Augen darf betrachten! Spart / Ihr die Entdeckung doch!”
(NdW, V, 5; S. 125).
Der Tempelherr ist aber nicht die einzige Figur, die Recha von Nathan entfernen
will, denn auch Saladin und Sittah wollen Recha zum Teil ihrer Familie machen:
“Sobald der Väter zwei / Sich um dich streiten: – laß sie beide; nimm / Den dritten!”
(NdW, V, 7; S. 133) sagt Saladin zu Recha, wobei er deutlich gerne der dritte Vater sein
möchte. Er sagt sogar explizit: “Nimm dann mich zu deinem Vater!” (NdW, V, 7; S.
133). Sittah will auch nichts lieber, denn sie ruft ermutigend: “O tu’s! o tu’s!” (NdW, V,
7; S. 133).
Sittah versucht außerdem noch die Mutterrolle zu erfüllen. Sie sagt zu Recha: “Nenn /
Mich Sittah, – deine Freundin, – deine Schwester. / Nenn mich dein Mütterchen!”138
(NdW, V, 6; S. 128). Recha übernimmt all diese Namen, außer Mutter, wie diese
Aussage deutlich zeigt: “Du sollst vergebens dich zu meiner Freundin, / Zu meiner
Schwester nicht erboten haben!” (NdW, V, 6; S. 129). Sittahs Versuch, eine Mutter für
Recha zu sein, wird folglich abgelehnt.
Nathan und Recha sind die einzigen Figuren in diesem Stück, die sorgfältig mit
den Namen “Vater” und “Tochter” umgehen. Die anderen Figuren wie der Tempelherr,
Saladin und Sittah gehen sehr unbesonnen mit diesen Namen um.
Wir sollen aber bemerken, dass obwohl alle Bedrohungen inner- und außerfamiliär sind,
sie nicht einen wirklichen Bruch zwischen Vater und Tochter verursachen.
5.5 Saladin
Jetzt möchte ich etwas näher auf einen dieser Eindringlinge eingehen: Saladin. Er
hat eine doppelte Funktion in dieser Geschichte: er ist Herrscher, aber auch
Familienmitglied. Diese beiden Funktionen bestimmen denn auch sein Handeln. Auch
Sigrid Suesse-Fiedler hat dies bemerkt: “Das[s] Saladin neben Familienoberhaupt auch
Landesvater ist.”139 In dieser Zuständigkeit wirkt er als eine Art Richter: er entscheidet,
138
Siehe auch Gustafson, S. 254
Suesse-Fiedler, Sigrid: Lessings “Nathan der Weise” und sein Leser: Eine wirkungsästhetische Studie.
Stuttgart: Akademischer Verlag Hans-Dieter Heinz 1980, S. 158
139
64
wer lebt und wer stirbt. Saladin ist außerdem eine egoistische Figur, wie auch SuesseFiedler betont: ihrer Meinung nach “benutzt er [Saladin] seine Rolle als Herrscher, um
seinen Bedürfnissen als Mensch, seinen familiären Bedürfnissen – ohne Rücksicht auf
die Bedürfnisse Nathans als Menschen – Genüge zu tun.”140 Er missbraucht also seine
Rolle als Herrscher. Er benimmt sich auch in familiären Beziehungen als Sultan: für ihn
ist nur seine eigene Familie heilig.
Die Liebe, die er für seine Schwester empfindet, ist sehr groß: So verliert er
absichtlich ein Schachspiel um Sittah glücklich zu machen. Ihrerseits bezahlt sie dann
monatelang – ohne sein Wissen – seine Kosten mit ihrem eigenen Geld, weil er kein
Geld mehr hat. Doch veranlasst diese große Liebe Saladin nicht dazu, seine Schwester
wie eine gleichwertige Person zu behandeln: Sittah darf nur unsichtbar anwesend sein,
wenn Saladin sich mit anderen Männern unterhält.
In familialen Gegenständen ist Sittah aber gleichwertig, denn wenn Saladin nicht seine
Rolle als Herrscher ausübt, verbringen beide viel Zeit mit einander. In der
Sekundärliteratur wird mehrmals betont, wie klug Sittah ist. Wie viele Frauen spielten
Schach (doch ein schwieriges Spiel) in dem achtzehnten Jahrhundert?
Obwohl Saladin sehr gut für seine eigene Familie sorgt, zeigt er doch sehr wenig
Respekt anderen Familien gegenüber. Auch nachdem er sich mit Nathan befreundet hat,
schmiedet er noch immer Pläne, Vater und Tochter von einander zu trennen. Außerdem
versucht er auch in seiner Eigenschaft als Herrscher Nathan mit der Frage nach dem
richtigen Glauben in die Falle zu locken, während er eigentlich nur Geld will.
Saladin entspricht auch vieles, schon bevor er über alle Entwicklungen weiß. Als
Recha den Sultan fragt: “Aber macht denn nur das Blut / Den Vater? nur das Blut?”
antwortet er: “das Blut, das Blut allein / Macht lange noch den Vater nicht! macht kaum
/ Den Vater eines Tieres!” (Beide: NdW, V, 7; S. 133). Als er aber entdeckt, dass er
(durch das Blut) mit Recha verbunden ist, entscheidet er sich doch wider diese Aussage,
und meint auf einmal, dass das Blut die wirkliche Bedingung ist für die Vaterschaft.
Als Nathan am Ende das Wort ergreifen will, sagt Saladin – auf diese Weise auch
Nathans gute Vaterschaft anerkennend – : “Unstreitig, Nathan, kömmt / So einem
Pflegevater eine Stimme / Mit zu!” (NdW, V, 8; S. 136). Erneut löst Saladin sein
140
Suesse-Fiedler, S. 289
65
Versprechen nicht ein, denn er entscheidet, dass der Tempelherr und Recha seine
Kinder werden sollen.
Hier können wir Saladins Besitzdenken erkennen. Er ist aber nicht der Einzige, der
dieses Denken benützt...
5.6 Besitzdenken
Nathan zeigt öfters ein Besitzdenken auf, das sich schwer mit seinem aufgeklärten
Geist vereinen lässt. In einem Dialog mit Daja wird deutlich, dass Nathan Recha als
sein Eigentum betrachtet: “O Recha! / O meine Recha!” (NdW, I, 1; S. 6). Daja erwidert
kritisch auf diese Aussage: “Eure? Eure Recha?” (NdW, I, 1; S. 6). Weiter sagt sie:
“Nennt Ihr alles, / Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte / Das Eure?” (NdW, I, 1; S.
6), worauf Nathan antwortet: “[...] Alles, was / Ich sonst besitze, hat Natur und Glück /
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein / Dank ich der Tugend.” (NdW, I, 1; S. 6). Nathan
macht also einen Unterschied zwischen materiellem Eigentum und seiner Tochter. Das
materielle Eigentum hat er zugeteilt bekommen, und ist deshalb nicht sein Verdienst.
Recha verdankt er nur seiner Tugend. Letzteres Eigentum ist wichtiger, weil es sein
eigenes Verdienst ist.
Wir finden ein ähnliches Besitzdenken bei dem Tempelherrn wieder. Kurz nach
seinem ersten Gespräch mit Nathan, kommt Daja ihm und Nathan entgegen.
Unmittelbar fragt er Nathan: “Unsrer Recha ist / Doch nichts begegnet?” (NdW, II, 5;
S. 50; meine Hervorhebung). Es wird klar, dass der Tempelherr sich benimmt, als ob er
schon Teil dieser Familie sei, und schon Anspruch erhebt auf Recha. Dieses Denken
wird im Laufe des Dramas von Saladin kritisiert: “Was du gerettet, ist / Deswegen nicht
dein Eigentum.” (NdW, V, 8; S. 135).
Trotzdem befolgt Saladin seine eigenen Prinzipien nicht. Obwohl Saladin selbst
(dann noch) kein Recht auf Recha hat, verspricht er sie dem Tempelherrn: “Wär' um das
Mädchen dir / Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!” (NdW, IV, 4; S. 102). Als
Verteidigung für sein Benehmen sagt Saladin: “Was hätte Nathan, / Sobald er nicht ihr
Vater ist, für Recht / Auf sie? Wer ihr das Leben so erhielt, / Tritt einzig in die Rechte
des, der ihr / Es gab.” (NdW, IV, 4; S. 103). Er benutzt seine Rechte als Fürst, um zu
entscheiden was mit Recha passiert.
66
Als sich dann später herausstellt, dass der Tempelherr und Recha die Kinder seines
Bruders sind, sagt er zum Tempelherrn: “Nun mußt du doch wohl, Trotzkopf, mußt
mich lieben!” (NdW, V, 8; S. 140; meine Hervorhebung). Auch Recha wird auf eine
ähnliche Weise gezwungen, Saladin zu lieben: “Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot?
/ Magst wollen, oder nicht!” (NdW, V, 8; S. 140; meine Hervorhebung). Saße sieht
hierin den Ausdruck “einer pflichtgemäßen Liebe”.141 Er betont aber auch, dass die
Blutsverwandtschaft ein “unabweisbares Zugehörigkeitskriterium”142 sei. Wenn wir
dies zeitgebunden betrachten, ist es normal, dass Recha nicht gefragt wird, wie sie diese
Vaterwahl empfindet. Auffallend ist aber, dass auch den Tempelherrn (ein Mann!) nicht
gefragt wird, ob er mit dieser Vaterwahl einverstanden ist.
Nathan dagegen hat dem Tempelherrn noch die Wahl gelassen, ob dieser ihn als Vater
anerkennen will: “Denn meiner Tochter Bruder wär' mein Kind / Nicht auch, – sobald er
will?” (NdW, V, 8; S. 139). Nathan kann nur versuchen, die Kinder als seine eigenen
Kinder anzunehmen, solange die Blutsverwandtschaft mit Saladin unbekannt ist. Als
bekannt wird, dass Recha und der Tempelherr Verwandte von Saladin sind, versucht
Nathan doch für seine neugewonnenen Kinder zu kämpfen, wie seine Aussage zu
Saladin zeigt: “Noch wissen sie von nichts! Noch steht’s bei dir / Allein, was sie davon
erfahren sollen!” (NdW, V, 8; S. 140). Nathans Versuch misslingt aber, denn Saladin
will sie als seine Kinder...
Aber verliert Nathan wirklich alles im Augenblick, in dem der wahre Hergang
bloßgestellt wird?
5.7 Ende
Während Nathan auf die Suche nach Rechas Vater geht, wird er von dem
Tempelherrn gewarnt: “Der Blick des Forschers fand / Nicht selten mehr, als er zu
finden wünschte.” (NdW, II, 8; S. 53). Und was der Templer vorhersagt, passiert auch,
denn Nathan muss Recha an ihre Blutsverwandten abtreten. Suesse-Fiedler fasst dieses
Dilemma so zusammen: “Die Schranken, die Nathan mit Hilfe grundlegender Werte der
bürgerlichen Tugendlehre (Vorrang des Menschen, gesellschaftliches Miteinander und
tätige Nächstenliebe) auf religiösem und politischem Gebiet eingerissen hatte, werden
141
142
Saße, S. 223
Saße, S. 223
67
durch die natürlichen Bindungen (Blutsverwandtschaft) wieder legitimiert”143. Weil
Saladin nicht von seiner Blutsverwandtschaft mit Recha weiß, darf Nathan noch Rechas
Vater sein. Sofort die Blutbande deutlich werden, sind diese wichtiger als die
aufklärerischen Ideen.
Nathan, der jeden gelehrt hat, human zu sein, scheint am Ende des Stückes doch
gewissermaßen vergessen zu werden. Nicht er, sondern Saladin spricht die letzten
Worte des Dramas. Saladin hat also als Vormund, figürlich und buchstäblich, das letzte
Wort in dieser Sache, er ist der neue pater familias. Vielleicht ist dies auch der Grund,
weshalb Saladin in der Personenliste des Dramas an erster Stelle steht. Doch gibt es
keinen einzigen Grund zu denken, dass Nathan nicht an den “allseitige[n]
Umarmungen” (NdW, V, 8; S. 140) am Ende des Stückes teilnimmt. Auf
aufklärerischer Ebene hat Nathan am Ende des Dramas aber sehr viel gewonnen: es ist
ihm gelungen, sehr verschiedene Menschen mit einander zu verbinden. Persönlich
verliert er alles, denn seine Kleinfamilie ist auseinandergefallen. Nathan wird vielleicht
als Vater beiseitegeschoben, er verdient jedoch in dieser Großfamilie – die verschiedene
Religionen und Familienkonstellationen umfasst – einen Platz.
5.8 Ringparabel
Nathan erzählt Saladin die Ringparabel als Antwort auf Saladins Frage, welche
die richtige Religion ist. Diese Frage ist aber ein Fallstrick von Saladin, der hofft, dass
Nathan diese Frage nicht beantworten kann. Dadurch könnte er dann Nathan zwingen,
ihm Geld zu borgen.
Die Ringparabel erzählt von einem Vater, der einen wunderbaren Ring besitzt.
Wer diesen Ring hat, ist Herr des Hauses. Der Vater soll sich entscheiden welchen
seiner Söhne er am meisten liebt. Der auserwählte Sohn bekommt vom Vater dann den
Ring. In unserer Geschichte kann der Vater sich aber zwischen seinen drei Söhnen nicht
entscheiden. Deshalb lässt er drei identische Ringe herstellen. Nachdem versuchen die
drei Söhne herauszufinden, wer sich den rechtmäßigen Erben des Vaters nennen darf.
Diese Geschichte dient um Saladin zu zeigen, dass es ebenso schwer ist für einen Vater
seine Erben zu wählen, wie die richtige Religion zu finden.
143
Suesse-Fiedler, S. 291
68
Sowohl die Ringparabel als auch das Drama erzählen über einen familialen Konflikt.
Ein Zitat aus der Ringparabel kann auf den beiden Geschichten bezogen werden: “Nun,
wessen Treu und Glauben zieht man denn / Am wenigsten in Zweifel? Doch der
Seinen? / Doch deren Blut wir sind? doch deren, die / Von Kindheit an uns Proben ihrer
Liebe / Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo / Getäuscht zu werden uns heilsamer
war?” (NdW, III, 7; S. 73). Dieses Zitat kann sich nicht nur auf den richtigen Glauben
beziehen, sondern auch auf Nathans Liebe für seine Tochter. Nathan hat immer gezeigt,
dass er sie liebt, hat ihr wahrscheinlich nur das Geheimnis vorenthalten (“getäuscht”)
um sie zu schützen. Weil Recha auch glaubte, dass sie Nathans biologische Tochter
war, hat sie auch niemals an ihm oder seiner Liebe gezweifelt.
Die Ringparabel zeigt, meiner Meinung nach, dass der Verlust des einen Ringes
scheinbar zu Chaos führt. Gleichermaßen zwingt es die Söhne, um über ihre Position
nachzudenken. Sie sollen die Position, in der sie sich befinden, nicht mehr Gott, sondern
dem eigenem Benehmen (indem sie gut und liebevoll zu den Mitmenschen sind) zu
verdanken haben.
Obwohl Saladin nach dieser Geschichte Nathan seine Freundschaft anbietet,
verstößt er am Ende des Dramas gegen die Moral, indem er den einen Ring wählt und
so die Blutsverwandtschaft mit den Kindern geltend macht. Er akzeptiert nicht, dass
Nathan ohne “gültigen” Ring seine Familie zusammenhält, und hält an dem Konzept
des einen Ringes fest, um seine Familie zu regieren.
5.9 Frauen
Sowohl das Drama Nathan der Weise als auch die Ringparabel werden von
Männern dominiert: Nathan, Sultan Saladin, der Patriarch, der Tempelherr, der
Klosterbruder, der Derwisch und die Männer der Ringparabel. In der Ringparabel gibt
es sogar keine einzige Frau! In dem Stück selbst gibt es keine biologischen Mütter, und
die Mutterfiguren, die übrig bleiben, sind negativ. Recha und Nathan brauchen in der
Vater-Tochter-Beziehung keine Mutter, auch Sittah wird von Recha nicht anerkannt.
Die drei Frauenfiguren des Dramas (Recha, Sittah und Daja) werden als negativer als
Männer betrachtet.
69
Vor allem Daja wird in diesem Drama als eine sehr negative Figur dargestellt.
Verwunderlich ist doch, dass auch Recha sie auf diese Weise betrachtet. Im Drama
bemerken wir, dass Recha immerhin mehr Wert auf die Aussagen ihres Vaters legt, als
auf die von Daja. Indem Recha eine andere Frau (in diesem Fall Daja) für unfähig hält,
interessante Gedanken hervorzubringen, trägt sie zu der Unmündigkeit der Frauen bei.
Doch ist Rechas Attitüde im achtzehnten Jahrhundert nicht so ungewöhnlich. Ellen Van
Laecke bestätigt, wie man die Frau für unfähig hielt nachzudenken und selber
Meinungen zu bilden.144 Meiner Meinung nach, ist es aber schlimm, dass Frauen das
von ihren Artgenossen glauben können.
Obwohl Daja unverkennbar Teil dieser Familie ist, wird sie doch aus der intimen
Vater-Tochter-Beziehung gewehrt. Recha fragt sie mehrmals, weshalb Daja sie von
ihrem Vater trennen will:
Was tat er dir, mir immer nur mein Glück
So weit von ihm als möglich vorzuspiegeln?
Was tat er dir, den Samen der Vernunft,
Den er so rein in meine Seele streute,
Mit deines Landes Unkraut oder Blumen
So gern zu mischen? – Liebe, liebe Daja,
Er will nun deine bunten Blumen nicht
Auf meinem Boden! – Und ich muß dir sagen,
Ich selber fühle meinen Boden, wenn
Sie noch so schön ihn kleiden, so entkräftet,
So ausgezehrt durch deine Blume; fühle
In ihrem Dufte, sauersüßem Dufte,
Mich so betäubt, so schwindelnd! (NdW, III, 1; S. 59; meine Hervorhebung).
Rechas Aussagen sind ziemlich frech, denn Nathan wird mit Vernunft gleichgesetzt,
während sie Dajas Ideen mit Unkraut vergleicht. Wiederum handelt es sich nicht
wirklich um dasjenige, was Recha denkt, denn in dem Gesagten ist Nathans Einfluss
spürbar. Sie spricht erst davon, dass Nathan (!!) die “Blumen” nicht will, bevor sie über
ihre eigenen Gefühle redet.
Doch betrachtet Recha Daja manchmal positiv, denn diese hat ihr “eine Mutter /
So wenig missen lassen!” (NdW, V, 6; S. 130). Rechas Umschreibung “gute böse Daja”
144
Van Laecke, S. 64
70
(NdW, V, 6; S. 130) zeigt aber deutlich, dass die Beziehung zwischen den zwei Frauen
sehr doppeldeutig ist. Daja liebt Recha sehr, aber Daja ist ihr Glaube (und vor allem
Recha wieder in den richtigen Glauben zu führen) wichtiger als Rechas Glück.
Auffallend ist, dass Daja zusammen mit Nathan Recha erzogen hat. Recha
bemerkt denn auch die Diskrepanz zwischen der gemeinsamen Erziehung und Dajas
Benehmen: “Liebe Daja, / Das hat mein Vater uns so oft gesagt; / Darüber hast du selbst
mit ihm so oft / Dich einverstanden: warum untergräbst / Du denn allein, was du mit
ihm zugleich / Gebauet?” (NdW, III, 1; S. 60).
Daja wird deshalb auch von Nathan negativ bewertet. Als er Daja besticht, damit sie das
Geheimnis bewahrt, spricht er zu ihr in Imperativen: “Nimm du so gern, als ich dir geb:
– und schweig!” (NdW, I, 1; S. 7; meine Hervorhebungen). Er behandelt aber nur die
böse Mutter Daja auf diese Weise. Daja hat diese Behandlung doch sich selbst zu
verdanken, denn als sie Nathans Geheimnis weiter erzählt und doch sein Geld annimmt,
ist sie ziemlich unverlässig, undankbar und opportunistisch. Nathan behandelt seine
Tochter und Daja auf eine verschiedene Art und Weise. Als Recha Dajas Reden
übernimmt, tadelt Nathan Recha dann immer auf lieblichste Weise.
In diesem Plädoyer für Toleranz haben wir dem aufgeklärten Juden Nathan
begegnet. Es gelingt ihm sich mit sehr verschiedenen Menschen zu befreunden,
ungeachtet ihrer Religion. Obwohl seine Beziehung zu seiner Tochter liebevoll und
positiv ist, bekommt Recha eine neue Familie, denn ihre Blutsverwandten sind entdeckt
worden.
Das Ende von Nathan der Weise zeigt dem Publikum also den Triumph des
Aufklärungsgedankens: alle Menschen sind Brüder. Dieser Triumph ist für Nathan aber
bittersüß: er hat seine Kleinfamilie abtreten müssen und dafür doch recht wenig im
Tausch gekommen.
71
6. Synthese
Ich habe in dieser Magisterarbeit die Vater-Tochter-Beziehung in Lessings Miß
Sara Sampson, Emilia Galotti und Nathan der Weise untersucht. Während meiner
Suche bin ich nachgegangen, wie das Leben im achtzehnten Jahrhundert aussah, wie die
Familie gebildet war und ob Frauen auch eine wirkliche Erziehung bekamen. Es stellte
sich heraus, dass die Frauen weniger gesellschaftliche Chancen bekamen als die
Männer. Die unmündigen Frauen wurden auf den Haushalt vorbereitet.
Nach dieser sozial-historischen Skizze, habe ich in allen Dramen separat die VaterTochter-Beziehung und damit einhergehende Aspekte betrachtet.
Ein meiner Ausgangspunkte bei der Forschung dieser Magisterarbeit war diese Frage:
“Warum stirbt Recha in Lessings Nathan der Weise nicht?” Jetzt möchte ich versuchen
eine Antwort auf diese Frage zu formulieren.
Einen ersten Hinweis für die Lösung dieser Frage finden wir in der Gattung der
ersten zwei Stücke: Miß Sara Sampson und Emilia Galotti sind nämlich beide
Tragödien, während Nathan der Weise ein “dramatisches Gedicht” ist. Es ist
charakteristisch für die Gattung der Tragödie, dass eine (oder mehrere) Figur(en) am
Ende des Stückes sterben, in diesem Fall Sara und Emilia.
Zweitens möchte ich hier näher auf die Tatsache eingehen, dass Recha nicht
Nathans biologische Tochter ist. Die Weise, wie Nathan sie liebt, ist anders, als die, wie
man die biologischen Kinder liebt. In den Familien, die auf Blutsverwandtschaft
basieren, gibt es einen größeren Zwang der Liebe als in den Adoptivkonstruktionen, wo
man die Mitglieder selbst über das Maß der Liebe entscheiden lässt. Diese Verhältnisse
können wir in den Dramen vorfinden: In Miß Sara Sampson und Emilia Galotti finden
wir den patriarchalischen/autoritären Zwang der Liebe, in Nathan der Weise und am
Ende von Miß Sara Sampson erkennen wir die zarte Liebe, eigen an der Adoptivfamilie.
Doch kommt dieser Zwang der Liebe auch in Nathan der Weise vor. Wie sich
herausstellt, dass Saladin den Kindern biologisch verwandt ist, zeigt auch er seine
Autorität, um Recha und den Tempelherrn zu zwingen, seine Vaterrolle anzunehmen.
Wie schon gesagt, gehen die biologischen Eltern, wie Sir William und Odoardo, anders
mit ihren Töchtern um. Saße nach, handelt es sich bei Blutsverwandtschaft um “eine[r]
72
pflichtgemäße[n] Liebe”145. Die Liebe zwischen Nathan und Recha ist viel freier als
diese zwischen biologischen Verwandten. So behauptet Fiedel mit Recht: “Nathan ist
als nichtleiblicher, sondern geistiger Vater als einziger in der Lage, eine wirkliche
tragfähige Familie aufzubauen.”146 Meiner Meinung nach stimmt diese Aussage nur
teilweise. Nathan ist, in der Tat, der einzige, der versucht, seine Tochter liebevoll und
vernünftig zu erziehen. Durch sein Geheimnis wird seine Familie aber doch
auseinandergezogen.
Die folgende Ursache für den Tod der beiden tugendhaften Töchter, hängt meiner
Meinung nach auch mit der Tatsache zusammen, dass sowohl Sara als auch Emilia
einen lebenden biologischen Vater haben.
Saras und Emilias Tod wird auch dadurch verursacht, dass ihre autoritären Väter zu viel
Wert auf die Tugend legen. Sowohl Sara als auch Emilia können den Druck – die
Tugend zu bewahren – nicht bewältigen. Die Autorität des Vaters verschlimmert noch
durch die Abgrenzung der Familie von der Außenwelt. Dadurch übernehmen die
Töchter nicht nur die Ideen der Eltern (vor allem die des Vaters), sie werden außerdem
auch weit von anderen Männern entfernt gehalten. Weil sie nicht wissen, wie sie sich in
der Umgebung von Männern zu verhalten haben, kennen die Dramen auch die
tragischen Folgen. In Emilia Galotti ist die Familie so exklusiv, dass auch die Bedienten
daraus gewehrt werden. Waitwell, der Diener von Sir William, ist aber doch ein Teil der
Familie. Auch Nathan hat auf die Familienbildung eine ganz andere Sicht: so ist seine
Dienerin Daja Teil der Familie, und versucht er seine kleine Familie auch mit Freunden,
wie zum Beispiel dem Derwisch, zu erweitern.
Ein anderes Problem ist, dass die Eltern nicht viel Vertrauen zu den Kindern haben.
Dieser Mangel an Vertrauen bewirkt in der Familie Sampson und Galotti die eigentliche
Katastrophe und das Ende der Familie. Doch vertraut Nathan offensichtlich seine
Tochter auch nicht ganz, denn sie weiß nicht, dass sie nicht seine biologische Tochter
ist. So wird auch diese Beziehung mit Trennung bedroht. Doch hat Nathan – davon
abgesehen – Vertrauen zu seiner Tochter. Zusammen reden sie viel über ihre Gefühle.
In den zwei anderen Familien wird aber wenig über die Gefühle der Töchter
gesprochen, wodurch eine gewisse Trennung zwischen Vater und Tochter entsteht.
145
146
Saße, S. 223
Fiedel, S. 81
73
Wenn man die Tochter für unzuverlässig und nicht vertrauenswürdig hält, wird die
Trennung nur größer, bis letztendlich die Katastrophe unvermeidlich ist. Außerdem sind
die Töchter nicht sehr mündig: die Eltern halten sie klein, in der Hoffnung, die Töchter
so bei sich zu behalten. Wenn dies misslingt, vergrößert die Katastrophe nur. Außerdem
haben sowohl Sara als auch Emilia eine minimale Erziehung bekommen, wo sie nicht
gelernt haben, mit anderen Leuten umzugehen. Sie sind genau so leicht verführbar, weil
ihre Kontakte mit Männern durch die Eltern aufs Minimum beschränkt wurden. Die
Erziehung dieser beiden jungen Frauen (Sara und Emilia) bildet die wirkliche Tragik.
Hätten die Eltern den Kindern mehr Freiheit und Erziehung gegeben, so wären Sara und
Emilia nicht frühzeitig in den Tod gegangen. Dieses possessive Verhältnis zwischen
Familienmitgliedern ist also auch teilweise verantwortlich für die Zerstörung der
Familie.
Wenn Lorey behauptet, “daß gerade in den Trauerspielen die Katastrophe
hauptsächlich auf die gestörten Familienverhältnisse zurückgeführt werden kann”147,
können wir ihm nur beipflichten. Das bemerken wir vor allem in Miß Sara Sampson
und Emilia Galotti. Aber auch in Nathan der Weise – sei es auch in geringerem Maß –
können wir gestörte Familienverhältnisse wiederfinden. Die Probleme werden in Miß
Sara Sampson und Emilia Galotti durch den Tugendrigorismus verursacht, und in
Nathan der Weise durch das Geheimnis. Der Keim der Vernichtung liegt also innerhalb
der Familie.
Es ist außerdem auffallend, dass Sara und Emilia dem Vater nur in der letzten
Szene zum ersten und letzten Mal im Drama begegnen. Ich glaube, dass es gerade
bezeichnend ist für die Liebe zwischen Vater und Tochter, dass sie einander nur einmal
begegnen. Die Liebe ist irgendwo da, aber sie wird nicht genügend gezeigt. Beide Väter
zweifeln zu lange, ob sie die Tochter sehen wollen, und wenn sie sich dazu im Stande
fühlen, ist der dramatische Konflikt so weit vorangekommen, dass sie nur noch
rechtzeitig da sind, um die Tochter sterben zu sehen. Auch Fick behauptet Ähnliches:
“indem die Figuren über ihre Empfindungen reflektierten, versäumten sie eben die
emotionsgesteuerten Handlungen, durch die die Katastrophe hätte vermieden werden
147
Lorey, S. 2
74
können”148. Sowohl Sir William als auch Odoardo haben an der Tugendhaftigkeit ihrer
Tochter gezweifelt, und gerade dieses Denken hat sie im Handeln gehemmt. Während
Sir William und Odoardo zu stark auf eine Eigenschaft (wie z.B. Tugend) fokussieren,
versucht Nathan zwischen verschiedenen Eigenschaften ein Gleichgewicht zu finden.
Weil er seiner Tochter ausgeglichen begegnet, ist er der bessere Vater.
Während Sir William seinen Tugendrigorismus letztendlich bedauert, verursacht
Odoardos Tugendrigorismus – noch gerade bevor Emilia ihre Tugend hätte aufgegeben
können – den Tod seiner Tochter. Odoardo zeigt nach dem Tod Emilias auch kein
Bedauern, dass er sie wegen seiner Angst, dass Emilia sonst ihre Tugend aufgeben
würde, getötet hat.
In Miß Sara Sampson erkennt Sir William außerdem letztendlich, dass er in seiner
Liebe sehr eigennützig gewesen ist. Diese Erkenntnis positioniert ihn näher zu Nathan
als zu Odoardo. Denn Odoardo findet am Ende des Stückes noch immer, dass er richtig
gehandelt hat. Er bedauert den Tod seiner Tochter, aber nicht aus dem richtigen Grund.
Er ist mit seinem Tugendbegriff zu weit gegangen, als dass er sich leicht von diesem
Tugendrigorismus
wieder
entfernen
könnte.
Nathan,
nicht
so
streng
in
Tugendprinzipien, verliert auch seine Tochter, sie bleibt aber am Leben. Obwohl Recha
die Trennung von ihrem Vater furchtbar findet, denkt sie logisch darüber nach. Deshalb
weiß sie auch Saladin und Sittah von ihrer Liebe für ihren Vater zu überzeugen. Sara
und Emilia sind emotional, sie denken wenig nach, und können folgendermaßen
niemanden von ihrer Meinung überzeugen. Beide stützen sich auf die Religion, die mit
dem Herzen und nicht mit dem Kopf ausgeübt wird.
Nathan ist die einzige Figur, die seine Tochter bedingungslos liebt. Er erwartet
auch nicht, dass sie sich uneinhaltbaren Tugendprinzipien unterwirft. Nathan ist also im
Vergleich zu den anderen Vätern am wenigsten tyrannisch. Folgende Umschreibung
von Lorey lässt sich auf Nathan beziehen: “Die familiale Gemeinschaft muß auf einer
bedingungslosen Liebe beruhen, die sich nicht nach der Bestätigung der Tugend und
dem hiermit verbundenen “Wert” der Individuen richtet.”149 Er versucht seine Familie
mit Liebe zusammen zu halten, was ihm auch gewissermaßen gelingt, denn er ist (und
das ist auffallend!) der einzige Vater, der seine Tochter nicht durch den Tod verliert.
Meiner Meinung nach ist Nathan der vollkommenste Vater der drei Dramen. Diese
148
149
Fick, S. 126
Lorey, S. 168
75
Meinung teilt auch Fiedel: “Anders als die beiden Väter der anderen Dramen vereinigt
er das Liebevolle mit der Strenge, die Weichheit und Emotionalität mit der nötigen
Härte”150.
Sowohl in Miß Sara Sampson als auch in Emilia Galotti wird am Ende aber die
patriarchalische Vaterfigur noch immer anerkannt. Beide Töchter erkennen nicht oder
wollen nicht erkennen, dass ihr Tod – an erster Stelle – durch den Patriarchalismus
verursacht wird. Sørensen bemerkt hier mit Recht: “Diesen beiden Töchtern [Sara und
Emilia] sind auch die letzten, unmittelbar vor dem Sterben gesprochenen Worte
gemeinsam: „– mein Vater!“”151. Sogar im Moment des Sterbens betonen die Töchter
noch die “Richtigkeit” der Väter.
Diese drei Gründe sind die wichtigsten für den Tod von Sara und Emilia. Doch
gibt es auch noch andere, wie die Eindringlinge. In allen Dramen finden wir eine
Erweiterung der Familie, erwünscht oder unerwünscht. Die Eindringlinge sind vor
allem Figuren, die sich nicht in einer familialen Verbindung befinden, die Teil der
Hauptfamilie ausmachen wollen. Obwohl die Eindringlinge meistens den Wert der
Familie betonen, zeigen sie diesen Familien gegenüber doch wenig Respekt. Der
Mangel an Respekt kommt daher, dass die Bedränger der Töchter andere familiale
Wertvorstellungen haben. So hat Mellefont vor keiner Familie Respekt, nicht vor seiner
ehemaligen Familie und nicht vor der Vater-Tochter-Beziehung von Sara und Sir
William. Prinz Gonzaga ist es gewohnt, immer zu bekommen, was er will, und benimmt
sich auch in seinem Verhältnis zu Emilia auf diese Art. Der Tempelherr, letztendlich,
setzt seine Religion, genau wie Daja, höher als die zarte Beziehung zwischen einem
Vater und seiner Tochter.
Ich möchte näher eingehen auf zwei dieser Eindringlinge, weil sie (mehr als die
anderen) beteiligt sind an dem Tod der beiden Töchter: die Liebhaberinnen. Nicht nur
sind sie an deren Tod beteiligt, sondern sie wirken zugleich als Spiegel. Sie sind eine
Warnung vor dem Schicksal, das Sara und Emilia erwartet, wenn sie bei diesen
Männern bleiben. Auch Lorey hat dies bemerkt: “Ähnlich wie die Marwood in Miss
Sara Sampson wird die Orsina zum Spiegel des bevorstehenden Schicksals von Emilia
150
151
Fiedel, S. 64
Sørensen, S. 82
76
in den Händen des Prinzen”152 (Meine Hervorhebung).
Marwood und Orsina werden doch in scharfen Kontrast zu den tugendhaften
Töchtern Emilia und Sara gesetzt. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass diese Frauen
auch einmal tugendhaft gewesen sind, bis sie dem Verführer begegneten. Desto
merkwürdiger, ist, dass der Verführer vom Leser als eine bessere Person empfunden
wird als die verführte Frau.
Auffallend ist, dass Marwood und Orsina Ausnahmen von dem Frauenbild des
achtzehnten Jahrhunderts sind. Sie sind starke Frauen, die sich nicht das Stillschweigen
auferlegen lassen. Wenn sie betrogen werden, wollen sie sich rächen. Doch können wir
die beiden Frauen auch als schwach betrachten, denn sie können die vergangene Liebe
nicht aufgeben. Dies ist vielleicht aus finanziellen Gründen zu erklären.
Marwood und Orsina sind aber tätiger als Sara und Emilia, denn sie wollen sich rächen.
Auffallend ist, dass beide verführte Frauen nicht mehr unter dem Schutz eines Vaters
stehen. Inge Stephan schreibt darüber:
So sind die Marwood und die Orsina nicht nur die Verkörperung einer negativ gefaßten
Weiblichkeit, sondern sie sind auch verzerrte Nachklänge eben jenes Typus der weltklugen,
selbständigen, nach Autonomie strebenden Frau, der als Ideal in der Frühaufklärung
ausgebildet wurde.153
Doch werden sie negativ bewertet, so auch bei Stephan: “Am Leben bleiben die
Mätressen [...], also die Frauen, die dem Gebot der Reinheit so gar nicht
entsprechen.”154
Der Leser bekommt – durch die Augen von Mellefont und Gonzaga hergestellt – ein
sehr negatives Bild von Marwood und Orsina, noch bevor wir ihnen zum ersten Mal
begegnet sind.
Obwohl diese Dramen in dem Zeitalter des Patriarchalismus geschrieben werden,
ergreift die Position der Frau mich sehr. Sie wird als negativ betrachtet, auch durch ihre
Artgenossen, was mich erstaunte.
Auffallend ist, dass sowohl Sara als auch Emilia positiv betrachtet werden, aber nur
wenn sie die von ihren Vätern auferlegten Tugendvorstellungen verfolgten. In Nathan
der Weise finden wir keine so strengen Tugendprinzipien. Wir begegnen denn auch
152
Lorey, S. 212
Stephan, S. 5
154
Stephan, S. 10
153
77
zwei ziemlich klugen Frauen, nämlich Recha und Sittah. Es gelingt ihnen auch nicht,
sich von ihrer Unmündigkeit zu befreien und sich auf vollwertige Weise an der
Gesellschaft zu beteiligen.
78
7. Bibliographie
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