Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus

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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland
Lina Franken M.A., Finalversion, 28.04.2013
Inhaltsverzeichnis
1. Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen
Erzählwelten: von Märchenwald und Märchenstraße bis zu 3D-Film- und Freizeitpark
2
2
Kunsthandwerk am Beispiel Weihnachtsschmuck
10
Karneval und Fastnacht
15
Stadtfeste als Ausdruck der Karnevalisierung der Festkultur
22
Wandel der Bräuche im Jahreslauf am Beispiel Sankt Martin und Halloween
26
Berufsbedinge Bräuche am Beispiel der Bergmannsgesänge
36
Interkulturelle Imbisskulturen
42
Gärtnerkulturen vom Schrebergarten bis zum Urban Gardening
47
Wandern und Bergsteigen
57
Handwerk als Prinzip am Beispiel Orgelbau
64
2. Weitere Möglichkeiten von KAF in und aus Deutschland
71
3. KAF mit internationalem Bezugsrahmen
71
4. Bereits bestehende Vorschläge von Trägergruppen, Medien und Forschung
72
4.1 Vorschläge von Trägergruppen
72
4.2 Vorschläge und Beispiele in Medienberichten und Forschungsprojekten
73
Die kulturellen Ausdrucksformen (KAF) in und aus Deutschland sind kaum überschaubar.
Unzählige mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, darstellende Künste, gesellschaftliche Bräuche und Rituale, Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das
Universum sowie traditionelle Handwerkstechniken werden in Deutschland von den Menschen mit ihren Traditionen und Werten, ihrem Wissen und ihren künstlerischen und/oder
handwerklichen Fertigkeiten von Generation zu Generation weitergeben. Es existieren zahlreiche Träger der kulturellen Ausdrucksformen, welche diese leben und gestalten. Eine Auflistung der bestehenden Forschungen zu einzelnen KAF wäre uferlos.
Deshalb soll im Folgenden versucht werden, besonders exemplarische und innovative KAF
einer lebendigen, modernen Pflege des immateriellen Kulturerbes in und aus Deutschland
aufzuzeigen. Dies geschieht thematisch sortiert, um Gemeinsamkeiten und größere Kontexte
an modellhaften Beispielen ausführlicher darstellen zu können. Zudem werden bereits bestehende Vorschläge von Trägergruppen, Medien und Forschung in einem Überblick zusammengestellt.
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 1
1. Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen
Anmerkung: Es folgen ausführliche Darstellungen von kulturellen Ausdrucksformen, die
einen klaren Bezug zu Deutschland haben. Dabei werden bewusst sowohl sehr konkrete
Beispiele als auch allgemeinere Prinzipien dargestellt, um die Bandbreite der Möglichkeiten
aufzuzeigen.
Bezeichnung
Erzählwelten: von Märchenwald und Märchenstraße bis zu 3D-Film- und Freizeitpark
Quellenverzeichnis
Deutsche Märchenstraße1
Rölleke, Heinz (Hg.): Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm. Vollständige Ausgabe auf der Grundlage der dritten Auflage (1837). Frankfurt a.M. 1985.
Brednich, Rolf Wilhelm: Die Spinne in der Yucca-Palme. Sagenhafte Geschichten von heute. München 1990.
Brednich, Rolf Wilhelm: Die Maus im Jumbo-Jet. Neue sagenhafte Geschichten von heute.
München 1991.
Brednich, Rolf Wilhelm: Das Huhn mit dem Gipsbein. Neueste sagenhafte Geschichten von
heute. München 1994.
Brednich, Rolf Wilhelm: Die Ratte am Strohhalm. Allerneueste sagenhafte Geschichten von
heute. München 1996.
Brednich, Rolf Wilhelm: Pinguine in Rückenlage. Brandneue sagenhafte Geschichten von
heute. München 2004.
16.01.2013, Frankfurter Rundschau, Frederik Bombosch: Urbane Legenden. Kommt ein
Hund ins China-Restaurant...2
24.12.2012, Die Zeit, Stefan Beuse: Aschenbrödel. Hach!3
21.12.2012, Die Zeit, Heinz Rölleke: Brüder Grimm. Märchen über Märchen.4
20.12.2012, Der Stern, Video: Rapunzel, Frau Holle & Co. Grimm-Märchen feiern 200. Jubiläum.5
20.12.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Tilman Spreckelsen: 200 Jahre Grimms Märchen. Schlaffer Hänsel, taffe Gretel.6
20.12.2012, Frankfurter Rundschau: Fernsehprogramm Weihnachten. Drei Nüsse für die
Satellitenschüssel.7
1
http://www.deutsche-maerchenstrasse.com/de/
http://www.fr-online.de/kultur/urbane-legenden-kommt-ein-hund-ins-china-restaurant--,1472786,21468672.html
3
http://www.zeit.de/2012/52/Schloss-Moritzburg-Dresden-Aschenbroedel/komplettansicht
4
http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2012/04/Maerchen-Brueder-Grimm-Urspruenge/komplettansicht
5
http://www.stern.de/kultur/rapunzel-frau-holle-co-grimm-maerchen-feiern-200-jubilaeum1945179.html
6
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2
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19.12.2012, Frankfurter Rundschau, Cornelia Geissler und Kerstin Krupp: 200 Jahre Brüder
Grimm Es war einmal ...8
17.12.2012, Der Spiegel, Matthias Matussek: Zeitgeist. Die Angst vorm bösen Wolf.9
16.12.2012, Die Zeit, Christian Staas: Gebrüder Grimm. Weder deutsch noch Volk.10
14.12.2012, Frankfurter Rundschau, Judith von Sternburg: Brüder Grimm. Die MärchenBrüder.11
30.11.2012, Die Zeit, Christiane Peitz: Volker Schlöndorff. „Europa ist ein Geflecht von Geschichten“.12
25.10.2012, Die Zeit, KinderZEIT: 200 Jahre Grimmsche Märchen: Alte Schätze.13
29.09.2012, Die Welt, Kirsten Schiekiera: Erzählerin mit Zertifikat.14
31.05.2012, Die Zeit, Martin Schwickert: Film „Snow White and the Huntsman“. Schneewittchen ist keine Haushälterin.15
04.04.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sabine Börchers: Dieter Gring. Geschichtenerzähler mit Stand- und Spielbein.16
23.03.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Luise Glaser-Lotz: Brüder Grimm. MärchenJubiläum soll Touristen locken.17
21.03.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Hermann Kurzke:Es war einmal... Eine Geschichte gegen eine Tasse Kaffee.18
12.03.2012, Süddeutsche Zeitung, Wolfgang Schäl von Gamm: Wolfratshausen. Zwist am
Märchenwald.19
09.02.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Tilman Spreckelsen: Grimms Märchen. Aus
dem Haushalt einer Hexe.20
22.12.2011, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Tilman Spreckelsen: Weihnachtsmärchen im
ZDF. Und im Wald verschwinden die Menschen.21
14.11.2011, Süddeutsche Zeitung, Petra Markovic: Die Geschichtenerzählerin. Ein Leben
mit Mäuschen und Bratwürsten.22
7
http://www.fr-online.de/freizeittipps/fernsehprogramm-weihnachten-drei-nuesse-fuer-diesatellitenschuessel,1474298,21159252.html
8
http://www.fr-online.de/literatur/200-jahre-brueder-grimm-es-war-einmal----,1472266,21150962.html
9
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90157610.html
10
http://www.zeit.de/2012/50/Brueder-Grimm-Maerchen-Roelleke/komplettansicht
11
http://www.fr-online.de/literatur/brueder-grimm-die-maerchen-brueder,1472266,21119404.html
12
http://www.zeit.de/kultur/film/2012-11/europaeischer-filmpreis-volker-schloendorff/komplettansicht
13
http://blog.zeit.de/kinderzeit/2012/10/25/200-jahre-grimmsche-marchen-alte-schatze_12935
14
http://www.welt.de/print/die_welt/karriere/article109536437/Erzaehlerin-mit-Zertifikat.html
15
http://www.zeit.de/kultur/film/2012-05/snow-white-huntsman-rezension
16
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17
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18
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19
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/wolfratshausen/wolfratshausen-zwist-am-maerchenwald1.1303035
20
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21
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 3
19.02.2011, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Brüderpaar. Wilhelm Grimm war mehr als ein
„Bruder Grimm“.23
21.01.2011, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Florian Balke: Literaturland Hessen. Die
Schwester Grimm.24
09.12.2010, Die Welt, Jens Hinrichsen: Es war einmal, dreidimensional.25
19.10.2010, Süddeutsche Zeitung Moderne Märchen. Q33NY, 23 und der Teufel.26
14.09.2010, Der Stern: Cornelia Funkes neues Buch „Reckless“. Nach „Tintenherz“ nun die
Grimmsche Märchenwelt.27
10.05.2010, Süddeutsche Zeitung, Marco Eisenack: „Weltgeschichtentag“. Münchens neue
Mündlichkeit.28
06.01.2010, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Luise Glaser-Lotz:
Kulturzentrum. Demokraten, erste Germanisten, Märchensammler.29
Brüder-Grimm-
15.07.2009, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Luise Glaser-Lotz:
Märchenfestspiele. Mit Schaumstoff und Schminke zum Fabelwesen.30
Brüder-Grimm-
27.10.2008, Der Spiegel, Anke Dürr. Aufruhr im Märchenwald.31
12.05.2008, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Luise Glaser
Märchenfestspiele. Eine Lektion für die verwöhnte Prinzessin.32
Lotz:
Brüder-Grimm-
13.09.2006, Der Stern, Anja Lösel: Disney-Ausstellung. Cinderellas Schloss steht in Bayern.33
06.10.2005, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bert Rebhandl: Kino. Krawallmacher im deutschen Wald. [Film „Brothers Grimm“]34
06.10.2005, Der Stern: „Brothers Grimm“. In der Heimat ungeliebt.35
21.06.2005, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Unesco. Grimms Märchen sind Teil des Welterbes.36
02.07.2004, Der Stern: Freizeitpark Deutschland. Höher, schneller, weiter.37
22
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/die-geschichtenerzaehlerin-ein-leben-mitmaeuschen-und-bratwuersten-1.982738
23
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24
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25
http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article11496330/Es-war-einmal-dreidimensional.html
26
http://www.sueddeutsche.de/politik/moderne-maerchen-qny-und-der-teufel-1.930291
27
http://www.stern.de/kultur/buecher/cornelia-funkes-neues-buch-reckless-nach-tintenherz-nun-diegrimmsche-maerchenwelt-1603467.html
28
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/weltgeschichtentag-muenchens-neue-muendlichkeit1.671411
29
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http://www.spiegel.de/spiegel/kulturspiegel/d-61630093.html
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33
http://www.stern.de/kultur/kunst/disney-ausstellung-cinderellas-schloss-steht-in-bayern-570014.html
34
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35
http://www.stern.de/kultur/film/brothers-grimm-in-der-heimat-ungeliebt-547172.html
36
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37
http://www.stern.de/reise/deutschland/freizeitpark-deutschland-hoeher-schneller-weiter-526283.html
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 4
02.07.2001, Süddeutsche Zeitung: Münchner Filmfest. Weltbeste Märchenfilmer.38
28.02.1977, Der Spiegel: Märchen: Lebenshilfe für Kinder.39
Sekundärliteratur
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Bendix, Regina (Hg.): Hören, Lesen, Sehen, Spüren. Märchenrezeption im europäischen
Vergleich (Schriftenreihe Ringvorlesungen der Märchen-Stiftung Walter Kahn, Band 8).
Baltmannsweiler 2008.
Brednich, Rolf Wilhelm: Erzählkultur. Beiträge zur kulturwissenschaftlichen Erzählforschung.
Hans-Jörg Uther zum 65. Geburtstag. Berlin u.a. 2009.
Brunold-Bigler, Ursula (Hg.): Hören, Sagen, Lesen, Lernen. Bausteine zu einer Geschichte
der kommunikativen Kultur. Festschrift für Rudolf Schenda zum 65. Geburtstag. Bern u.a.
1995.
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2005.
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2004.
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Fachverbands für Volkskunde und des Vereins für Volkskunde in Wien. Wien 2009, S. 289298.
Lehmann, Albrecht: Reden über Erfahrung. Kulturwissenschaftliche Bewusstseinsanalyse
des Erzählens. Berlin 2007.
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Lüthi, Max; Rölleke, Heinz: Märchen. Stuttgart u.a. 2004.
Lüthi, Max: Das europäische Volksmärchen. Form und Wesen. Tübingen u.a. 2005.
38
39
http://www.sueddeutsche.de/kultur/muenchner-filmfest-weltbeste-maerchenfilmer-1.223851
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40941983.html
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 5
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Petzoldt, Leander: Einführung in die Sagenforschung. Konstanz 2002.
Pöge-Adler, Kathrin: Märchenforschung. Theorien, Methoden, Interpretationen. Tübingen
2007.
Pöge-Alder, Kathrin: Märchen als mündlich tradierte Erzählung des Volkes. Zur Wissenschaftsgeschichte der Entstehungs- und Verbreitungstheorien von Volksmärchen von den
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Schenda, Rudolf: Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe
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Schenda, Rudolf: Die Lesestoffe der Kleinen Leute. Studien zur populären Literatur im 19.
und 20. Jahrhundert. München 1976.
Schenda, Rudolf: Von Mund zu Ohr. Bausteine zu einer Kulturgeschichte volkstümlichen
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Schmitt, Christoph (Hg.): Homo narrans. Studien zur populären Erzählkultur. Münster u.a.
1999.
Sedlaczek, Dietmar: Von der Erzählerpersönlichkeit zum Alltäglichen Erzähler. Stationen
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Solms, Wilhelm: Die Moral von Grimms Märchen. Darmstadt 1999.
Uther, Hans-Jörg: Handbuch zu den „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm. Entstehung, Wirkung, Interpretation. Berlin u.a. 2008.
Uther, Hans-Jörg (Hg.): Märchen in unserer Zeit. Zu Erscheinungsformen eines populären
Erzählgenres. München 1990.
Wehse, Rainer (Hg.): Märchenerzähler - Erzählgemeinschaft. Kassel 1983.
Wohlfahrt, Thomas: Das Orale und die Literatur. Von der neuen Lust am Zuhören. In: Deutsche UNESCO-Kommission (Hg): UNESCO heute 1/2007: Immaterielles Kulturerbe, S. 4548.
Zimmermann, Harm-Peer (Hg.): Zwischen Identität und Image. Die Popularität der Brüder
Grimm und ihrer Märchen in Hessen (= Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung NF
44/45). Marburg 2009.
40
http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2012/0119/pdf/dnns.pdf
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 6
Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Erzählerpersönlichkeiten, Zuhörende, Medi- Deutschland mit regionalen Unterschieden
enproduzenten und -rezipienten
und Schwerpunkten
Mögliche Ansprechpartner:
Märchengesellschaft e.V.41
Europäische
Kurzbeschreibung
Die Erzählkultur hat in Deutschland lebendige gegenwärtige Ausdrucksformen. Es bestehen
nicht nur in den Familien und Erziehungseinrichtungen vielfältige Formen des Erzählens von
sagenhaften und märchenhaften Geschichten. Auch im öffentlichen Raum findet diese Erzählkultur statt, so etwa in Form von Märchenstunden professioneller Märchenerzähler, in
Märchenwäldern oder Theaterstücken sowie im alltäglichen Erzählen. Dabei greift die Erzählkultur auf eine lange Tradition zurück, waren doch schon im 19. Jahrhundert Märchen
und Sagen in und aus Deutschland nicht nur von den Brüdern Grimm gesammelt worden.
Gerade auch in vorindustrieller Zeit war die mündliche Weitergabe von Geschichten und
Neuigkeiten grundlegend für die Kommunikation. Heute haben sich die Erzählmuster verändert, Fantastisches und Außergewöhnliches steht stärker im Mittelpunkt. Dazu kommen
neue Formen der Vermittlung, in Film und Fernsehen sind die märchen- und sagenhaften
Erzählmuster ebenso präsent wie in Freizeitparks und Kultureinrichtungen.
Historische Entwicklung
Mündliches Erzählen hatte gerade in Zeiten geringer Literalität und Buchverbreitung eine
hohe alltagskulturelle Relevanz. Durch das Erzählen von Geschichten und Begebenheiten
wurden Neuigkeiten verbreitet, Normen und Werte vermittelt und lokale oder regionale Geschichte weitergegeben. Gerade vor Erfindung des Buchdrucks waren die handschriftlich
kopierten Bücher nur in kirchlichen Institutionen oder adligen, wohlhabenden Privathaushalten zu finden. Auch nach Erfindung des Buchdrucks blieb die Bibel das einzige Buch in den
meisten Haushalten, teilweise ergänzt durch praktische Anleitungsbücher wie beispielsweise die Bauernkalender. Umso zentraler war die Bedeutung von Geschichtenerzählern, die
im Mittelalter auch als Minnesänger Neuigkeiten und Musik verbanden. Die fiktiven Erzählungen von Sagen und Märchen hatten zudem wichtige pädagogische Funktionen.
So bestand in der Vormoderne eine lebhafte Erzählkultur gerade in den Mustern alltäglichen
Erzählens. In den heimischen Räumlichkeiten wurden Geschichten erzählt, auch bei Jahrmärken oder Festen war eine geübte Erzählpersönlichkeit häufig anzutreffen. Dabei ist insbesondere die jeweils spezifische Anpassung von Gehörtem oder Gelesenem an die eigene
Welt bedeutsam, die jedoch auch in Wechselwirklung mit der Veränderung der eigenen
Umwelt nach dem Gehörten oder Gelesenen steht. Orale Traditionen, mündlich weitergegebenes Erzählgut, waren damit ständigem Wandel unterzogen und wurden dem jeweiligen
Kontext angepasst. Es bestand etwa eine Vielzahl von Sagenmotiven, die in je unterschiedlichen lokalen Anpassungen an verschiedenen Orten erzählt und verändert wurden. Während Sagen ortgebunden sind und einen Bezugspunkt zur jeweiligen Gegenwart setzen sind
Märchen ahistorische Erzählmotive, die fantastische Elemente enthalten und ein positives
Ende haben. Diese sind damit losgelöst vom Alltag, Sagen hingegen berichten von scheinbar historischen Begebenheiten, die auch ein Indikator für das jeweilige Geschichtsver-
41
http://www.maerchen-emg.de/index.php/maerchenerzaehlen/maerchenerzaehler.html
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 7
ständnis oder den Aberglauben erzählen.
Im Zuge der Industrialisierung änderte sich an der Relevanz des alltäglichen Erzählens zunächst wenig, die Erzählmotive wurden jedoch der zunehmend verstädterten und durch
Fabrikarbeit geprägten Umwelt angepasst. Im 19. Jahrhundert machten sich die Romantiker, darunter frühe Volkskundler, auf die Suche nach Erzählungen, welche ihrer Einschätzung nach im Verschwinden begriffen waren und vor dem Vergessen gerettet werden sollten. Eine Vielzahl von lokalen und regionalen Sammlungen entstand, in denen die Erzählmotive verschriftlicht, damit aber in der Regel auch den Ansichten der Sammler angepasst
wurden. Hier, so glaubten die Sammler, hatte sich in den Erzählungen „uraltes“ Kulturgut
erhalten – eine Ansicht, die gerade für mündlich tradierte Erzählstoffe heute wiederlegt ist.
Die heute bekannteste dieser Sammlungen ist ohne Zweifel die der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, die mit ihren „Kinder- und Hausmärchen“ eine umfangreiche Zusammenstellung von pädagogisch bearbeiteten Märchen veröffentlichten, in welchen sie die „deutsche
Volksseele“ manifestiert sahen. Anders als von den Grimms selbst berichtet sind diese nicht
durch das Land gezogen, um die Menschen nach ihren jeweils eigenen und regional spezifischen Märchen zu befragen und diese Erzählungen zu verschriftlichen. Vielmehr hatten sie
nur wenige Gewährspersonen, die jeweils eine große Zahl von Märchen erzählten, zudem
übernahmen sie bekannte Erzählstoffe aus bestehenden Sammlungen. So wurde etwa das
Märchen des Franzosen Charles Perrault „Le Petit Chaperon rouge“ aus dem 17. Jahrhundert von den Grimms zum „Rotkäppchen“, welches in Sprache und Verlauf an deren romantische Vorstellungen des 19. Jahrhunderts angepasst wurde. Die Grimms fassten diese Texte in ihre eigene Sprache, die stark von einer Suche nach dem spezifisch Deutschen geprägt ist.
Schnell verbreiteten sich die Kinder- und Hausmärchen, es erschienen Erweiterungen und
Neuauflagen. Seither sind zahlreiche Neubearbeitungen sowohl aus künstlerischen wie aus
kommerziellen Interessen heraus entstanden. Dem kam eine zunehmende Literalisierung,
bedingt durch die staatliche Schulpflicht, sowie eine stärkere Verbreitung von Büchern auch
in der bürgerlichen Mittelschicht zur Hilfe, die eine breite Rezeption erst ermöglichte. Mit
Erfindung des Radios wurden orale Traditionen dann auch über technische Geräte einem
großen Publikum zugänglich gemacht, die Schallplatte ergänzte dies ab dem beginnenden
20. Jahrhundert. Auch der Film griff schon in seiner Frühzeit Märchenmotive auf, bereits im
Stummfilm wurden zahlreiche Märchenfilme gedreht. Bereits 1937 produzierte Walt Disney
den Zeichentrickfilm „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, dem seither zahlreiche Verfilmungen von Märchen wie „Aschenputtel“ oder „Dornröschen“, aber auch Erzählstoffe wie
„Robin Hood“ gefolgt sind. Spielfilme mit Märchenstoffen erfreuten sich auch in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts einer großen Beliebtheit. Bis heute wird etwa die deutschtschechische Produktion „Drei Haselnüsse für Aschenputtel“ von 1973 zu Weihnachten von
den öffentlich-rechtlichen Sendern ausgestrahlt, in welcher das schöne Mädchen Aschenputtel als selbstbewusst und stark darstellt wird.
Die Erzählungen der Märchen werden bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch in
Märchenwäldern darstellt. Dabei werden einzelne Szenen mit Figuren, meistens in einer
Hütte oder einem Haus, nachgestellt, das entsprechende Märchen wird in der Regel mit
einer Tonspur per Lautsprecher am Haus vorgetragen. Der Deutsche Märchenwald in
Odenthal-Altenberg besteht bereits seit 1931, seither ist eine Vielzahl von kleinen Märchenwäldern dazu gekommen Durch die Einbettung der fantastischen Geschichten in ein natürliExemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 8
ches Umfeld – der Wald, in dem viele Märchen auch spielen – wurden diese anders nachvollziehbar. Zunächst rein handwerklich hergestellt wurden die Puppen im Laufe der Zeit
immer mehr technisiert, so dass sich die Bewegungsabläufe verbesserten.
Doch auch das mündliche Erzählen märchenhafter Geschichten blieb nach der Verbreitung
von Buch, Radio und Film ungebrochen. Es verlagerte sich jedoch zunehmend in den privaten Raum, wurde zum pädagogischen Erzählen für Kinder, die noch nicht selbst lesen können. Märchen wurden moralisierend erzählt, in den 1970ern entfachte sich eine Diskussion
darüber, ob die teils gewalttätigen Geschichte mit klassischen Rollenzuweisungen nicht nur
der Geschlechter noch zeitgemäß seien. Während die Generation der Studentenunruhen
und antiautoritären Erziehung diese als reaktionär verurteilte verteidigten andere gerade die
pädagogischen Funktionen der Märchen. Gleichzeitig entwickelten sich neue fantastische
Erzählungen, welche andere Normen, wie etwa den Zusammenhalt und das Selbstbewusstsein von Kindern, zentral setzten. Große Bedeutung hatten auch weiterhin die sagenhaften
Erzählungen, die um kontemporäre sagenhafte Erzählungen erweitert wurden, die etwa
technische Geräte oder Fernreisen in die Geschichten einbauten.
aktuelle Ausübungsformen
Heute sind die Kinder- und Hausmärchen als UNESCO-Dokumentenerbe weltbekannt. Sie
sind ein zentraler Erzählstoff der Gegenwart und haben auch weiterhin eine hohe alltagskulturelle Relevanz, was sich nicht allein in den Auflagenzahlen zeigt. Immer wieder werden
die Erzählstoffe der Sammlung neu bearbeitet, ob als pädagogische Bearbeitung oder in
Form einer Anpassung an die heutigen Gesellschaftsstrukturen. Zudem werden märchenhafte Erzählstoffe heute nicht nur in schriftlicher bzw. vorgelesener Form weitergegeben.
Neben der medialen Vermittlung erfreuen sich Märchenerzähler in den letzten Jahren wieder zunehmender Beliebtheit, die ein Repertoire von Märchen oder auch anderen Geschichten frei vor Publikum erzählen. Diese Angebote werden teilweise auch gebündelt in Märchenfesten, so etwa in Hanau42 oder im Thüringer Märchen- und Sagenfest.43 Die Märchenwälder erfreuen sich regional weiterhin großer Beliebtheit, gerade bei Familien mit Kindern. Dies zeigt sich beispielsweise darin, dass der große Vergnügungspark Europapark
Rust erst 2011 einen Märchenwald als Teil der Anlage neu eröffnete.44 Durch diese Integration in größere Freizeitparks werden jedoch die lokalen Märchenwälder vermehrt als nicht
ausreichend angesehen, so dass sich die Nachfrage hier eher verringert. Damit werden
nicht nur die lokalen Formen der Darstellung, sondern auch die jeweils spezifische Herstellung und Pflege der einzelnen Schaubilder und Figuren gefährdet. Bestehende Märchenwälder kombinieren dieses Angebot deshalb häufig mit einem großen Spielplatz oder einem
Streichelgehege, um gerade für Familien weiterhin attraktiv zu sein.
Märchenmotive werden auch weiterhin in filmischen Bearbeitungen aufgegriffen. So produzierte etwa Disney zuletzt den Spielfilm „Snow White and the Huntsman“ (2012), in dem
neben dem Märchen „Schneewittchen“ auch Erzählstrukturen anderer Kinder- und Hausmärchen eingestreut sind. In anderen Produktionen wird der klassische Trickfilm mit Animationen auch in 3D aktualisiert. Gleichzeitig werden verstärkt unterschiedliche Erzählstränge
in einer Geschichte zusammengeführt, so dass die Motive nicht mehr eindeutig zuzuordnen
sind, sondern vom Publikum nur noch bei entsprechendem Vorwissen als Märchen ent42
http://www.hanau.de/kultur/grimm/
http://www.meiningen.de/Kultur/Feste_Festivals/M%C3%A4rchen_und_Sagenfest/
44
http://www.europapark.de/lang-de/Park-und-Attraktionen/Themenbereiche/Maerchenwald/c424.html
43
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 9
schlüsselt werden können. Doch bleibt die Funktion des Fantastischen erhalten, auch die
der Vermittlung von Normen ist weiterhin zentral.
Weitergabe und Gefährdung
Erzählkultur ist durch fortlaufenden Wandel geprägt, so dass eine Gefährdung der von den
Grimms festgeschriebenen Formen nicht kritisch gesehen werden muss. Die Erzählmotive
bleiben erhalten, werden jedoch an die aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen angepasst. Gerade in pädagogischen Kontexten bleiben die Kinder- und Hausmärchen zudem
weitestgehend in den Grimmschen Versionen bestehen, ob es sich dabei um das Vorlesen
der Sammlung oder um die Darstellung etwa in Märchenwäldern handelt. Gefährdet sind
hingegen die kleinen Märchenwälder, die vorrangig ein regionales Publikum anziehen. In
der Erlebnisgesellschaft können sich bewegende Puppen mit Audiospur kaum als Attraktion
gesehen werden. Da jedoch die Herstellung und Wartung mit handwerklichen Techniken,
Basteln und Tüfteln jeweils individuell erfolgt liegt hier eine besondere kulturelle Leistung.
Durch massenmedial verbreitete Märchenversionen werden die vormals regional und lokal
unterschiedlich erzählten Geschichten globalisiert und verlieren so ihre Vielfalt. Regionale
Erzählmuster verschieben sich allerdings in andere Zusammenhänge, wenn etwa kontemporäre sagenhafte Geschichten jeweils unterschiedlich erzählt werden. Hier liegt eine Chance der innovativen Erhaltung und Pflege des immateriellen Kulturerbes der mündlichen Erzählkultur, ebenso wie bei den Geschichtenerzähler, die als Träger dieses Erbes auch öffentlich auftreten.
thematische Bereiche
mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen
Bezeichnung
Kunsthandwerk am Beispiel Weihnachtsschmuck
Quellenverzeichnis
Website der Herrnhuter Sterne GmbH.45
21.12.2012, Die Zeit: Heiligabend. Meine Weihnachtskirche.46
20.12.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Platthaus: Leuchtwende. In oriente
lux.47
10.12.2012, rbb, Cosima Jagow-Duda: Von Sternen, Stollen und Weihnachtschören.48
29.10.2012, Radio PSR: 50 Dinge. Tag 42: Sterne-Manufaktur Herrnhut. Video.49
14.12.2011, Freistaat Sachsen: Weihnachtsland Sachsen - Zauber im Advent. Video.50
26.11.2011, Die Welt, Rita Schulze: Hier kauft der Weihnachtsmann.51
45
http://www.herrnhuter-sterne.de/
http://www.zeit.de/2011/52/Weihnachtskirche/komplettansicht
47
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
48
http://www.rbb-online.de/doku/programm/doku.f.10_12_2012.l.9154737582.html
49
http://www.youtube.com/watch?v=f-ubgc6xbsg
50
http://www.youtube.com/watch?v=MVg0gAs3cZo
4646
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 10
15.11.2011, Ostdeutscher Sparkassenverband: Video. Unternehmer des Jahres 2011 für
Sachsen. Die Herrnhuter Sterne GmbH.52
22.12.2010, Die Zeit, Angela Merkel: Wie verletzlich der Mensch ist.53
24.12.2009, Frankfurter Rundschau, Maurice Farrouh: Evangelische Stadtkirche. Ein Leuchten in der Nacht.54
29.12.2009, Deutsche Welle TV, Euromaxx: Weihnachtssterne aus Herrnhut.55
28.04.2008, Der Spiegel, Peter Wensierski: Christen. Aufschwung Jesu.56
10.12.2005, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Reiner Burger: Herrnhuter Weihnachtssterne.
Ein zackiges Geschäft.57
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„Christbaumschmuck“ im Rieser Bauernmuseum Maihingen, Weihnachten 1999. Karlsruhe
1998.
51
http://www.welt.de/print/die_welt/reise/article13736416/Hier-kauft-der-Weihnachtsmann.html
http://www.youtube.com/watch?v=7cqdLbecSww
53
http://www.zeit.de/2011/10/Angela-Merkel-Weihnachtsbotschaft
54
http://www.fr-online.de/offenbach/evangelische-stadtkirche-ein-leuchten-in-dernacht,1472856,3067396.html
55
http://www.youtube.com/watch?v=8oRqJxRlWOw
56
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-56756333.html
57
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
52
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Zentralverband des Deutschen Handwerks, Planungsgruppe „Kultur“: Handwerk als immaterielles Kulturerbe. Worin besteht das Prinzip Handwerk? Online-Publikation September
2008.58
Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Herrnhuter
Sterne)59
Herrnhut / Oberlausitz (Herstellung Sterne)
Brüdergemeine
(Herstellung
Deutschland und darüber hinaus (Verwendung Weihnachtssterne)
Kurzbeschreibung
Weihnachten ist zentraler Brauch im christlichen Jahreslauf. Als Fest der Geburt Jesu
kommt diesem in der Liturgie neben Pfingsten als dem Fest der Auferstehung hohe Bedeutung zu. In den letzten Jahren kommt es vermehrt zu einer Substituierung der christlichen
durch jahreszeitspezifische Symbole. Eine besondere Rolle spielen dabei Lichtsymbolik und
Sternform, sowohl für die dunkle Jahreszeit als auch im sakralen Kontext. Die bekannteste
handwerkliche Arbeit eines Sternsymbols ist der Herrnhuter Weihnachtsstern, welcher von
der evangelischen Brüdergemeine in Herrnhut / Oberlausitz bereits seit dem 19. Jahrhundert hergestellt wird. Die Sterne mit 25 Zacken in geometrischer Form sind meist aus Papierbögen gefertigt und werden in Einzelteilen verkauft. Der Zusammenbau erfolgt in vielen
Familien gemeinsam am ersten Adventssonntag und läutet die besinnliche Vorweihnachtszeit ein. Somit ist das handwerkliche Produkt mit einer alltagskulturellen Handlung verbunden. 1894 als Bastelbogen erstmals verkauft wurde die spezifische Sternform 1925 durch
Patent geschützt und in großer Stückzahl in Handarbeit hergestellt. Auch international erfreut sich der Herrnhuter Weihnachtsstern einer hohen Symbolkraft und entsprechender
Verbreitung. Die Herrnhuter Gemeinde produziert mit rund 60 Mitgliedern in der Manufaktur
heute etwa 240.000 Sterne jährlich, seit 2002 ist ein Besucherzentrum vorhanden. Das
Sternsymbol ist besonders geeignet, um kulturellen Wandel und Bedeutungsvielfalt der
weihnachtlichen Brauchhandlungen aufzuzeigen ist zugleich Ausdruck einer lebendigen
58
http://www.zdh.de/fileadmin/user_upload/themen/Gewerbefoerderung/kultur/200809%20Handwerk%20als%20immaterielles%20Kulturerbe%20-%20Papier.pdf
59
http://www.zeit.de/2011/10/Angela-Merkel-Weihnachtsbotschaft
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 12
Handwerkskunst.
Historische Entwicklung
Als zentraler Brauch des christlichen Jahreslaufes hat Weihnachten eine lange Geschichte,
die bisher jedoch in großen Teilen aus Perspektive der EE/VK/KA/EKW nicht untersucht
wurde. So bleibt eine allgemeine Darstellung bruchstückhaft und kann an dieser Stelle nicht
geleistet werden. Es kann jedoch allgemein festgestellt werden, dass sich Weihnachten von
einem besinnlichen, vorrangig christlich geprägten Brauchtermin, der bis ins 20. Jahrhundert
als Zeit der Einkehr und des Glaubens geprägt war, gewandelt hat hin zu einem medial
inszenierten und stark durch Konsum bestimmten Termin. Heute feiern auch Menschen
ohne christlichen Glauben, auf der anderen Seite hat sich die soziale Verbindlichkeit der
Teilnahme in Teilen auf die vorweihnachtliche Adventszeit mit Weihnachtsmärkten und
Weihnachtsfeiern unterschiedlichster sozialer Bezugsgruppen verschoben. Mit der zunehmenden Entsakralisierung des Brauchkomplexes Weihnachten gehen auch Verschiebungen
in der entsprechenden Symbolik einher: weniger die spezifisch christliche Symbolik, etwa in
Form von Engeln oder Krippen, als vielmehr die allgemein winterliche Symbolik steht bei
öffentlichen und privaten Dekorationen mittlerweile im Vordergrund. So sind Kälte und
Schnee, Licht und Wärme zu zentralen Motiven geworden.
Ein besonderes Symbol ist dabei der Stern, welcher zum Einen aus der christlichen Liturgie
als Weihnachtsstern übernommen ist, der die heiligen drei Könige nach Bethlehem führte,
zugleich aber der allgemeinen Lichtsymbolik entspricht. In der dunklen Jahreszeit wird der
beleuchtete Stern zu einem Symbol ohne spezifisch christliche Aufladung. Gleichzeitig bestehen handwerkliche Produktionen zur Herstellung von speziellen Weihnachtssternen, die
in der Folge als exemplarischer Ausschnitt des großen Brauchkomplexes Weihnachten dienen sollen.
Die weltweit bekannten Herrnhuter Weihnachtssterne werden von der evangelischen Brüdergemeine in Herrnhut / Oberlausitz in manueller Produktion hergestellt. 1821 bauten Lehrer des Herrnhuter Internats einen Stern zum Schmuck des Gemeinschaftsraums, da die
Sterne mit 25 Zacken gleichzeitig ein gutes Anschauungsobjekt für Geometrie im Mathematikunterricht waren wurde der Bau in den Mathematikunterricht der Vorweihnachtszeit übernommen. Die in den Internaten der Herrnhuter Bürgerschaft lebenden Kinder von Missionaren stellten die Sterne als Geschenk für ihre Eltern her und schmückten auch ihr Internat mit
ihnen. Schnell verbreiteten sich die handgefertigten Sterne in die Missionsorte der Brüderschaft und wurden dort in den Gemeinschafts- und Sakralräumen zum Advent aufgehängt.
Als Stern von Bethlehem blieb dieser bis zum Dreikönigsfest am 6. Januar hängen und
schloss somit den Weihnachtsfestkreis der Kirche.
1894 wurden erstmals Bastelbögen mit der spezifischen Sternform verkauft, die zum eigenen Aufbau in privaten Haushalten gedacht waren. Einige Jahre später entwickelten die
Herrnhuter einzelne Trapezformen, die sich zu einem Stern zusammensetzen lassen. Dabei
wurde gleichzeitig ein gemeinschaftsstiftendes Brauchelement der Familien im Advent initiiert, wo die Sterne am ersten Advent gemeinsam zusammengesetzt und aufgehängt wurden. 1925 wurde die Form durch Patentrecht geschützt, die Produktion erfreute sich wachsender Beliebtheit und auch in vielen Kirchen und öffentlichen Gebäuden hingen Herrnhuter
Sterne. Mit dem Zweiten Weltkrieg kam die Produktion zum Erliegen, konnte jedoch in der
DDR im VEB „Oberlausitzer Stern- und Lampenfabrik“ verstaatlicht wieder aufgebaut werExemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 13
den. Ungewöhnlich früh wurde der Betrieb 1969 an die Herrnhuter Brüderschaft rückbertragen, welche die Produktion seither als alleiniger Inhaber und seit 1991 unter der Marke
„Herrnhuter Sterne GmbH“ betreibt. Mittlerweile gibt es neben dem Papierstern auch eine
Version aus Kunststoff, welche für den Außenbereich gedacht ist. Die Produktion erfolgt
weiterhin im Manufaktur-Betrieb.
aktuelle Ausübungsformen
Die Herrnhuter Gemeinde produziert mit rund 60 Mitgliedern in der Manufaktur etwa
240.000 Sterne jährlich, seit 2002 ist ein Besucherzentrum vorhanden. Seit der Patentierung
ist die eigentliche Form und Herstellung unverändert geblieben, die Kunststoffsterne bedienen die zunehmende Nachfrage für weihnachtlichen Schmuck auch im Außenbereich, zudem sind Lichterketten mit den Sternen erhältlich. Die Produktion erfolgt auch weiterhin in
Handarbeit in der Manufaktur.
Der Stern als Symbol erfreut sich großer Beliebtheit in der winterlichen, oft von christlichen
Symbolen entfernten Dekoration. Als Zeichen für Licht und Glanz, aber auch für Unerreichbarkeit spielt er eine große Rolle insbesondere in der christlichen Liturgie. Der Stern als
Verbindung zwischen Himmel und Erde, als unerreichbares und nicht immer erkennbares
„Licht von oben“ symbolisiert er die Suche nach Licht und der göttlichen Ordnung. Dabei ist
der Herrnhuter Stern als eine spezifische Form weit verbreitet, in vielen evangelischen Kirchen ebenso wie in öffentlichen Gebäuden hängen Herrnhuter Sterne. Doch auch in den
Fenstern von Privathäusern sind im Advent zahlreiche Herrnhuter Sterne zu sehen. Allerdings verbreitet sich die allgemeine Form eines beleuchteten Sterns insgesamt, so dass
mittlerweile viele Nachbauten und an die Form angelehnte Sterne erhältlich sind, die nicht
aus der Herrnhuter Produktion stammen und oft industriell hergestellt werden.
In vielen Familien, gerade mit protestantischem Glauben, wird auch heute noch am ersten
Advent gemeinschaftlich ein Herrnhuter Stern zusammengebaut und im Wohnbereich aufgehängt, dort bleibt er in der Regel beleuchtet bis zum Ende des Weihnachtsfestes mit den
heiligen drei Königen hängen. Auch in einigen konfessionell gebundenen Kindergärten und
Schulen werden Herrnhuter Sterne gebastelt und aufgehängt. Zudem hat sich das Produkt
mittlerweile in der gesamten Welt verbreitet und wird aus Herrnhut in alle Welt verschickt,
aber auch von Touristen als Andenken mit nach Hause genommen.
Weitergabe und Gefährdung
Das Interesse an den Herrnhuter Sternen ist ungebrochen, nach wie vor erfolgt die Herstellung in der Manufaktur der Bruderschaft in reiner Handarbeit. Allerdings finden sich in den
vergangenen Jahren verstärkt auch andere Sternformen, die von innen beleuchtbar sind
und oft als industrielle Massenfertigung für wenig Geld angeboten werden. Damit ist das
Handwerk der Sternherstellung gefährdet. Die Herrnhuter Brüderschaft arbeitet jedoch
selbst offensiv und innovativ an der Erhaltung ihrer Manufaktur, etwa mit einem verstärkten
Einbezug der Öffentlichkeit durch ein Besucherzentrum.
thematische Bereiche
traditionelle Handwerkstechniken in Verknüpfung mit gesellschaftlichen Bräuchen, Ritualen
und Festen
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 14
Bezeichnung
Karneval und Fastnacht
Quellenverzeichnis
Anmerkung: Aufgrund der sehr umfangreichen Medienberichterstattung wurde exemplarisch für die Jahre 2012/2013 recherchiert.
Themenseiten des WDR.60
Themenseiten des SWR.61
Karneval im ZDF.62
05.02.2013, Frankfurter Rundschau: Karneval in Köln. Wagen für Rosenmontagszug vorgestellt.63
03.02.2013, Die Welt, Leon Scherfig: Karnevalsumzug. Närrischer Frohsinn mit Hindernissen [Karneval in Berlin].64
03.02.2013, Die Welt: "Fünfte Jahreszeit". Narrenpräsident will zurück zur Dorffastnacht.65
01.02.2013, Die Welt, Alexander Brüggemann: Kirchenhistorie. Kölner Erzbischöfe wollten
Karneval abschaffen.66
31.01.2013, Frankfurter Rundschau: Fastnacht Frankfurt. Narren laufen sich heiß.67
27.01.2013, Süddeutsche Zeitung: Faschingstest in München. Jeck ist anders.68
19.01.2013, Frankfurter Rundschau, Sigrid Aldehoff: Karneval. Offenbach. Till reimt und
stichelt.69
06.01.2013, Die Welt: Fastnacht. Endlich werden wieder Masken abgestaubt.70
11.11.2012, Süddeutsche Zeitung, Sebastian Pranz: Karneval Köln. Jeder Jeck ist anders.71
11.11.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Köln. Die Karnevalssaison hat begonnen.72
11.11.2012, Frankfurter Rundschau: Tausende Jecken feiern die fünfte Jahreszeit.73
26.10.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Denise Peikert: Karnevalsvereine. Wer will sich
60
http://www.wdr.de/tv/comedy/karneval/
http://www.swr.de/fastnacht/-/id=264914/qds5po/index.html
62
http://www.zdf.de/Karneval-im-ZDF/Karneval-im-ZDF-26298768.html
63
www.fr-online.de/panorama/karneval-in-koeln-wagen-fuer-rosenmontagszugvorgestellt,1472782,21647714.html
64
http://www.welt.de/regionales/berlin/article113352126/Naerrischer-Frohsinn-mit-Hindernissen.html
65
http://www.welt.de/regionales/stuttgart/article113352016/Narrenpraesident-will-zurueck-zurDorffastnacht.html
66
http://www.welt.de/regionales/koeln/article113299050/Koelner-Erzbischoefe-wollten-Karnevalabschaffen.html
67
http://www.fr-online.de/fastnacht-in-rhein-main/fastnacht-frankfurt-narren-laufen-sichheiss,11633356,21604134.html
68
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/faschingstest-in-muenchen-jeck-ist-anders-1.1584706
69
http://www.fr-online.de/offenbach/karneval-till-reimt-und-stichelt,1472856,21501716.html
70
http://www.welt.de/regionales/stuttgart/article112430545/Endlich-werden-wieder-Maskenabgestaubt.html
71
http://www.zeit.de/lebensart/2012-11/fs-sebastian-pranz-karneval-koeln/seite-1
72
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
73
http://www.fr-online.de/leute/tausende-jecken-feiern-die-fuenfte-jahreszeit,9548600,20841522.html
61
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 15
zum Narren machen?74
22.02.2012, Die Welt: Aschermittwoch. Wie der Karnevals-Zauber endet.75
21.02.2012, Süddeutsche Zeitung: Fasching in München – Rio auf dem Viktualienmarkt.76
21.02.2012, Die Welt: Fastnacht in München. Marktweiber, Schäffler und andere Narren im
Fasching.77
20.02.2012, Süddeutsche Zeitung, Bernd Graff: Karneval im TV. Witzischkeit kennt ihre
Grenzen.78
20.02.2012, Süddeutsche Zeitung, Lena Jakat: Gespräch über Karneval, Kinder und Kostüme. Herrlich schwarzweiße Welt.79
20.02.2012, Die Welt, Stefan Kaufmann und Rainer Morgenroth: Trainspotting. Pappnasen
feiern Pappmaché-Giganten.80
20.02.2012, Die Welt: Fulda und Herbstein. Narren feiern mit Hopserlauf und PersiflageWagen.81
20.02.2012, Die Welt: Rottweil. Tausende Zuschauer beim Narrensprung.82
20.02.2012, Der Spiegel, Benjamin Schulz: Sozialwissenschaftler über Karneval: „Sich endlich ungeniert öffentlich betrinken“.83
20.02.2012, Der Spiegel, Jörg Diehl: Kölner „Stunksitzung“: Der Anti-Karneval.84
20.02.2012, Die Welt: Alaaf, Helau, Bürokratie.85
18.02.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Denise Peikert: Karneval. Einmarsch, Helau,
Ausmarsch.86
16.02.2012, Der Spiegel, Frank Patalong: Rheinischer Karneval: „Et Pläsiersche vun jedem
dä nit doof eßß“.87
15.02.2012, Die Zeit, Matthias Stolz: Deutschlandkarte. Rosenmontags-Umzüge.88
74
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
http://www.welt.de/regionales/koeln/article13882185/Wie-der-Karnevals-Zauber-endet.html
76
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/fasching-in-muenchen-rio-auf-dem-viktualienmarkt1.1289726
77
http://www.welt.de/regionales/muenchen/article13879809/Marktweiber-Schaeffler-und-andereNarren-im-Fasching.html
78
http://www.sueddeutsche.de/medien/karneval-im-tv-witzischkeit-kennt-ihre-grenzen-1.1284260
79
http://www.sueddeutsche.de/leben/gespraech-ueber-karneval-kinder-und-kostueme-herrlichschwarz-weisse-welt-1.1287340
80
http://www.welt.de/regionales/koeln/article13878392/Pappnasen-feiern-Pappmache-Giganten.html
81
http://www.welt.de/regionales/frankfurt/article13878391/Narren-feiern-mit-Hopserlauf-undPersiflage-Wagen.html
82
http://www.welt.de/regionales/stuttgart/article13878136/Tausende-Zuschauer-beimNarrensprung.html
83
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/sozialwissenschaftler-ueber-karneval-sich-endlichungeniert-oeffentlich-betrinken-a-815968.html
84
http://www.spiegel.de/fotostrecke/koelner-stunksitzung-das-karnevalskollektiv-fotostrecke78857.html
85
http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13876898/Alaaf-Helau-Buerokratie.html
86
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
87
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/rheinischer-karneval-et-plaesiersche-vun-jedem-daenit-doof-essss-a-815182.html
75
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 16
12.02.2012, Die Zeit, Margit Stoffels: Heiter bis glücklich. Karneval.89
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Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Funktionsträger in Karneval und Fastnacht Deutschland, insbesondere Rheinland von
(organisiert in Vereinen), Brauchausübende Mainz bis zum Niederrhein (Karneval), Ba(Teilnehmende und Besucher)
den (Schwäbisch-alemannische Fastnacht)
Kurzbeschreibung
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 18
Schwäbisch-alemannische Fastnacht und Rheinischer Karneval sind weit über die Grenzen
Deutschlands bekannt. Als Fest vor Beginn der Fastenzeit entstanden und im 19. Jahrhundert institutionalisiert wandeln sich die Funktionen weg von religiösen Handlungen hin zu
einer Festivalisierung, welche auch in anderen Jahreszeiten und Regionen immer weiter
zunimmt.
Historische Entwicklung
Keinesfalls handelt es sich bei Karneval und Fastnacht um ein heidnisches Ritual zur Austreibung des Winters, vielmehr sind Bezüge und alltagskulturelle Relevanz von christlicher
Liturgie und Jahresfestkreis hier besonders deutlich: Der Termin des Brauchkomplexes richtet sich nach dem Osterfest, welches im christlichen Kalender auf den ersten Sonntag nach
dem ersten Vollmond nach Frühlingsbeginn festgelegt und somit variabel ist. Mit dem Epiphania-Fest am 6. Januar endet der Weihnachtsfestkreis, die bereits am 11. November
gestartete Narrenzeit steuert auf ihren Höhepunkt zu. Das christliche Fasten 40 Tage vor
Ostern beginnt am Aschermittwoch mit dem Ende der „tollen Tage“ von Weiberfastnacht bis
Veilchendienstag, damit beginnt auch eine Zeit der Enthaltsamkeit, in der weder Fleisch
gegessen noch (menschliches) Fleisch berührt werden darf. Deshalb mussten vor der Entwicklung der modernen Konservierungsmethoden alle verderblichen Lebensmittel vorher
verbraucht werden, weshalb verschiedenste Fett- und Eiergebäcke fest in das Brauchgeschehen eingebunden sind. Hieraus erklärt sich auch die große Bedeutung von Eiern zu
Ostern, welche in der Fastenzeit nicht gegessen werden durften und somit zu den Ostertagen in großer Zahl vorhanden waren.
In der Forschung der EE/VK/KA/EKW ist die Bedeutung der karnevalesken Formen umstritten. Während einige Fachvertreter, allen voran Dietz-Rüdiger Moser, die Bedeutung des
Brauchs als Ausdruck des lasterhaften Lebens (civitas diaboli) im Rahmen der christlichen
Zwei-Welten-Theorie und entsprechenden Liturgie als Gegensatz zur Gemeinschaft der
Gläubigen (civitas dei) als bestimmend bezeichnen sehen andere Forscher, wie Hans Moser und Hermann Bausinger, diese zeitliche und inhaltliche Beschränkung als nicht begründbar. Sie stimmen zwar der grundsätzlichen Bedeutung der Fastenzeit für die zeitliche
und inhaltliche Zuordnung zu, stellen aber die fehlende theologisch-didaktische Anleitung
durch die Kirche heraus. Karl Braun hat in jüngster Vergangenheit die Perspektive erweitert
und gefordert, alle Masken- und Festereignisse im europäischen wie außereuropäischen
öffentlichen Raum als karnevaleske Formen zu beachten. In der Folge werden zunehmend
unterschiedliche Formen der Festivalisierung in den Blick genommen.
Während der Begriff der Fastnacht als Bezeichnung des Vorabends der Fastenzeit bereits
seit dem 12. Jahrhundert belegt ist verbreitete sich das Wort Karneval erst im 17. Jahrhundert, es wurde aus den romanischen Sprachen als Bedeutung für die Fleischwegnahme
übernommen und hat damit ebenfalls einen direkten Bezug zur christlichen Fastenzeit. Faseln kann jedoch auch übersetzt werden mit der Bedeutung von gedeihen, fruchtbar sein
und Unsinn treiben.
Bereits seit dem 13. Jahrhundert sind Heischebräuche vor der Fastenzeit belegt, in Nürnberg fand seit dem ausgehenden Mittelalter der Schembartlauf statt, ein Maskentanz mit
Umzug und Schaulaufen, der im 16. Jahrhundert wegen unzüchtigem Verhalten der Brauchteilnehmer von der Obrigkeit verboten wurde. Um 1450 entstand ein klares Figurenrepertoire der Fastnacht, welches Negativgestalten wie der Teufel, der wilde Mann oder Verkörperungen der sieben Todsünden dominierten. Es fanden öffentliche Gelage mit Musik,
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Tanz, Spielen und auch Ausschweifungen statt, bei denen letztmals vor der Fastenzeit geschlachtet wurde und Reste verderblicher Speisen aufgebraucht wurden. Diese Bräuche
wurden zunächst durch die Kirchen beider Konfessionen als starker Kontrast zur Fastenzeit
abgelehnt. Insbesondere die Reformation bekämpfte die Fastnachtsbräuche im 16. Jahrhundert, in der Folge vollzog sich vor allem im katholischen Köln eine Umdeutung und neue
Wertschätzung des Festes, auch Klöster und wohlhabende Häuser feierten dieses nun. Ab
dieser Zeit entwickelte sich auch der Narr zur zentralen Figur, besonders in den katholischen Regionen entfaltete sich der Brauch immer mehr. Vermummte oder mit Mehl unkenntlich gemachte Gesichter zeigten erste Formen der Verkleidung, im 17. Jahrhundert
wurden durch den Einfluss des Barocks kunstvollere und dauerhaftere Masken sowie italienische Einflüsse in das Figurenrepertoire übernommen.
Im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus und der beginnenden Industrialisierung galten
die regionalen Formen von Karneval und Fastnacht zunehmend als unmodern und wurden
marginalisiert. Sie verlagerten sich in den privaten Raum, wurden zugleich jedoch auch
vermehrt in höfischen Kreisen in Form von Bällen ausgeübt. Wegen wiederholten Verstößen
gegen die kirchliche und weltliche Ordnung bestanden zudem immer mehr Verbote und Einschränkungen. Mit der französischen Herrschaft einher ging schließlich ein vollständiges
Verbot, das zu einem Traditionsabbruch führte.
Die Karnevals- und Fastnachtsbräuche kamen einige Jahre lang komplett zum Erliegen und
wurden erst nach dem Wiener Kongress durch die Romantik neu entdeckt. Die folgende
Erneuerung war demzufolge bürgerlich-romantisch, vorher bestehende Figurationen in Form
und Inhalt wurden zerstört. Gleichzeitig wurde der Brauch nun in geregelte Bahnen gelenkt:
1823 in Köln, 1825 in Düsseldorf, 1826 in Bonn, 1838 in Mainz und 1842 in Rottweil gründeten sich „Festordnende Komitees“, welche die Brauchelemente seither maßgeblich prägen.
Aufwendige historische Festzüge mit Motto wurden inszeniert, die alten Masken verschwanden fast vollständig. Um 1900 vollzog sich dann die Trennung zwischen den Brauchformen im Rheinland in Form von Sitzungskarneval und Umzügen und dem deutschen
Südwesten, wo eine eher konservative Brauchreorganisation stattfand. Im Folgenden kam
es in beiden Regionen zu einer jeweils unterschiedlichen Homogenisierung und Institutionalisierung.
Der rheinische Karneval von Mainz bis zum Niederrhein mit Motto-Umzügen und zunehmend aufwendig gestalteten Wagen entwickelte sich von einem Straßenspiel und einer Parodie des preußischen Militarismus zu einem feierlich zelebrierten pompösen, teils recht
ernsthaft betriebenen Brauch, der mit großem finanziellen Aufwand und entsprechenden
kommerziellen Interessen betrieben wird. Die nicht in entsprechenden Vereinen organisierte
Bevölkerung wurde in diesem Zusammenhang zu einem Publikum degradiert, welches
hauptsächlich zuschaut. Durch die im Rheinland starke Industrialisierung sind hier weniger
Bezüge zur regionalen, vormodernen Traditionen vorhanden.
Die schwäbisch-alemannische Fastnacht hingegen wird in einer weit weniger industrialisierten und mehr ländlich-kleinstädtischen Region gefeiert, hier waren Handwerker maßgeblich
an der Rückkehr zu „historischen“ Narrenkleidern und Masken beteiligt, im Zuge des Historismus kam es um 1900 zu einem verklärten Bild der mittelalterlichen Formen. So wurde der
Rottweiler Narrensprung, der seit dem 16. Jahrhundert belegt ist, 1903 wieder gegründet,
ab 1910 bildeten sich Narrenzünfte, die in Organisationsform und Namensgebung stark den
Handwerksbünden ähneln. Diese „Traditionsfastnacht“ erfreute sich schnell wachsender
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Beliebtheit und entsprechendem Zulauf, in der Folge entstand eine Vielzahl neuer Masken
nach alten Vorbildern. In den ersten Jahren der Weimarer Republik kam es immer wieder zu
Verbotsversuchen, die jedoch nicht durchgesetzt werden konnten, Im Gegenteil: in diese
Zeit fallen die Gründungen vieler Narrenzünfte und auch der ersten überregionalen Narrenverbände und -treffen. Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand weiterhin
ein starker Zulauf zu bestehenden Narrenzünften, neue wurden gegründet und Fastnacht
institutionalisierte sich auch in ehemals protestantisch geprägten Siedlungen.
Der bayrische Fasching hat im Vergleich zu Karneval und Fastnacht nur eine geringe alltagskulturelle Bedeutung, seit dem 13. Jahrhundert sind Feiern in Ballsälen, Maskenbällen
mit eher höfischem Charakter belegt, die heute auch in Verknüpfung mit dem Wintersport
festivalisiert werden.
aktuelle Ausübungsformen
Karneval, Fastnacht oder auch Fasching sind generalisierende Bezeichnungen von Kulturformen, die schon auf regionaler Ebene uneinheitliche Ereignisse zusammenfassen wollen.
Während im Rheinland Sitzungskarneval und Umzüge das Brauchgeschehen dominieren
sind in der schwäbisch-alemannischen Fastnacht mittelalterliche Formenvielfalt und hintersinniger Humor zu finden, im bayrischen Alpenvorland dominieren die Maskenbälle im Fasching. Doch in der multilokalen Gegenwart entstehen immer mehr Mischformen, so gibt es
auch außerhalb dieser Regionen mittlerweile entsprechende Feierlichkeiten.
In der schwäbisch-alemannischen Fastnacht wird verstärkter Bezug auf historische Traditionen genommen, welche Legitimation und ein gewisses Überlegenheitsgefühl gegenüber
dem rheinischen Karneval begründen. Auch hier existieren militärische Elemente wie
Trommeln, Pfeifen oder der Morgenstreich, es dominieren jedoch Holzmasken mit verschiedenen Typenausformungen. Tradition, Selbstbewusstsein und Stolz werden vorrangig durch
die Kostbarkeit der Maske ausgedrückt. Weitaus stärker als im Rheinland sind hier heute
jedoch Tendenzen der Historisierung, Ästhetisierung und auch Uniformierung in einer
scheinbaren Urtümlichkeit ausgeprägt. Heute hat das Fasten kaum noch Bedeutung für die
Brauchausübenden von Karneval und Fastnacht. Zudem kommt es zu Vermischungs- und
Verschiebungstendenzen zwischen den unterschiedlichen regionalen Formen.
Betrachtet man die regional unterschiedlichen Ausformungen des Karnevalesken, insbesondere im Rheinland und in Baden, so wird schnell deutlich, dass jeweils internationale
Anknüpfungspunkte bestehen. Doch die Kontakte vom Rheinland in die belgischen Karnevalsregionen sind vergleichsweise gering, stärker sind die Vernetzungen im ländlich geprägten Baden-Württemberg in die Schweiz. Da allerdings der Schweizer Fastnachtstermin eine
Woche nach den deutschen Festivitäten liegt findet vorrangig ein gegenseitiger Besuch und
Partizipation an den Brauchhandlungen der Nachbarn statt. Trotz global vorhandenen karnevalesken Formen – erinnert sei nur an den Karneval von Rio – haben die deutschen Formen eigene Spezifika, die sich gerade in einer Vernetzung mit den festivalisierten Formen
der Stadtfeste gut aufzeigen lassen.
Das Verkleiden als ein Grundbedürfnis des Menschen zur Herstellung von Unkenntlichkeit
und damit auch des Entzugs der Kontrolle der Obrigkeit ist fester Bestandteil aller karnevalesken Formen. Der Narr galt in der Liturgie als ein Symbol für Geistesblindheit und Gottesleugnung und als Prototyp der verkehrten Welt, was die christliche Entstehung wiederum
verdeutlicht. Auch die Narrenzahl Elf bezieht sich auf ein Überschreiten des Normalen, des
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Dekalogs der zehn Gebote. Die gesellschaftlichen Normen und Werte verwandeln sich während der Narrenzeit in ihr Gegenteil: Verbotenes ist erlaubt, Ordnung wird zu Unordnung,
oben dreht sich nach unten, Narren richten über Kluge. In diesem offenen, gesellschaftlich
anerkannten Rahmen kann mit der verkehrten Welt gespielt werden, Geselligkeit ausgelebt
werden. Die eigene Identität verschwindet temporär hinter einer Maske, was einen Rollenwechsel ermöglicht. Dieses Spiel mit der eigenen Identität weitet sich zunehmend aus der
engeren Narrenzeit aus und ist zu verschiedenen Terminen und Anlässen gesellschaftlich
akzeptiert oder sogar gewünscht.
Weitergabe und Gefährdung
Karnevaleske Formen sind heute profane Elemente, die christliche Symbole in einem
Synkretismus mit anderen Zusammenhängen, wie dem politischen, verbinden. Gefährdet
scheinen vor allem regional spezifische und ländliche Kulturmuster, welche durch die längst
vollzogene Homogenisierung kaum noch praktiziert werden. Doch finden karnevaleske
Formen ungebrochenen Zulauf, so dass eine Gefährdung nicht besteht. Zumindest eine
passive oder in Teilen aktive Teilnahme an den karnevalesken Formen ist ohne großes
Vorwissen oder eine organisierte Form möglich.
thematische Bereiche
gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste
Bezeichnung
Stadtfeste als Ausdruck der Karnevalisierung der Festkultur
Quellenverzeichnis
Anmerkung: Aufgrund der sehr umfangreichen Medienberichterstattung wurde exemplarisch für die Jahre 2012/2013 recherchiert.
02.10.2012, Süddeutsche Zeitung, Johan Schloemann: Zum ersten Mal auf dem Oktoberfest. Feingeist im Bierdunst.91
20.09.2012, Der Spiegel, Denis Krick: Wiesn 2012: Das verkannte Volksfest. Ein Plädoyer. 92
22.08.2012, Süddeutsche Zeitung, Lisa Sonnabend und Beate Wild: Oktoberfest 2011. Vorhang auf für den Wahnsinn!93
22.07.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bettina Dobe: Christopher Street Day. Ist hier
Karneval, oder was?
09.07.2012, Die Welt, Maximiliane Koschyk: Christopher-Street-Day 2012. CSD balanciert
zwischen Karneval und Emanzipation.94
91
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/zum-ersten-mal-auf-dem-oktoberfest-feingeist-im-bierdunst1.1484484
92
http://www.spiegel.de/reise/deutschland/oktoberfest-in-muenchen-plaedoyer-fuer-den-besuch-derwiesn-2012-a-855800.html
93
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/oktoberfest-vorhang-auf-fuer-den-wahnsinn-1.1144863
94
http://www.welt.de/regionales/koeln/article108128818/CSD-balanciert-zwischen-Karneval-undEmanzipation.html
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 22
23.06.2012, Der Stern: Hunderttausende beim "Christopher Street Day" in Berlin.95
27.05.2012, Die Welt: Karneval zu Pfingsten. So heiß kann Kultur in Berlin sein.96
27.05.2012, Die Zeit, Video: Berlin. Der Karneval der Kulturen zieht durch Berlin.97
27.05.2012, Der Stern, Video: Karneval der Kulturen: Die Welt trifft sich in Berlin.98
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Zanger, Cornelia; Kaminski, Sandra: Vom Rummel zum urbanen Stadtmarketingevent. Zur
Umdeutung von Stadtfesten. In: Gregor Benz, Ronald Hitzler, Michaela Pfadenhauer (Hg.):
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http://www.stern.de/news2/aktuell/hunderttausende-beim-christopher-street-day-in-berlin1845099.html
96
http://www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article106383289/So-heiss-kann-Kultur-in-Berlinsein.html
97
http://www.zeit.de/video/2012-05/1658795534001/berlin-der-karneval-der-kulturen-zieht-durch-berlin
98
http://www.stern.de/video/video-karneval-der-kulturen-die-welt-trifft-sich-in-berlin-1833137.html
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 23
Urbane Events. Wiesbaden 2011, S. 123-140.
Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Brauchausübende (Teilnehmende und Be- Städte und Ballungsregionen
sucher der Karnevalesken Feste), Schausteller
Kurzbeschreibung
Bei den Stadtfesten gilt insbesondere das Münchener Oktoberfest schon als Stereotyp des
Deutschen. Gemeinsam ist den im 19. Jahrhundert institutionalisierten Kulturmustern von
Karneval und Stadtfest, dass sie sich im Wandel hin zu einer Festivalisierung und Eventisierung befinden. Der Berliner Karneval der Kulturen oder der Christopher Street Day, aber
auch die Ausbreitung von Halloween sind Beispiele für das Entstehen neuer Ausdrucksformen im Rahmen dieser Veränderung. Doch die Funktion als Ventil im Gegensatz zur täglichen Alltagskultur, welches gleichzeitig eine Strukturierung des Jahreslaufes anbietet, ist in
vielen Bereichen ähnlich geblieben.
Historische Entwicklung
Stadtfeste und Umzüge greifen auf Traditionen der Vormoderne zurück, in der Kirmessen
das Jahr strukturierten und etwa als Termine für den Gesindewechsel oder für Fronabgaben
bedeutsam waren. Sie waren terminlich meist an ein religiöses oder lokal bedeutendes Datum gebunden und fanden jährlich an wiederkehrenden Orten statt. Mit der Industrialisierung
wurden Kirmessen und Feste verstärkt auch im urbanen Raum durchgeführt, sie knüpften
an bekannte Kulturmuster der aus dem ländlichen Raum migrierten Bevölkerung an und
veränderten diese. So waren Neues und Altes ineinander verstrickt. Um 1900 wurde Kritik
an den Kirmessen von Behörden, Unternehmern und Kirchen laut, die sich gegen die
Schausteller und ihre Unterstützer jedoch nicht durchsetzen konnte und der Beliebtheit von
Jahrmärkten und Kirmessen keinen Abbruch tat.
Haushaltswaren und Lebendvieh wurden auch im 19. und 20. Jahrhundert auf den angeschlossenen Märkten verkauft. Dieses Angebot wurde gerade dort intensiv genutzt, wo nach
rascher Bevölkerungszunahme lokale Geschäfte noch fehlten oder nur ein begrenztes Sortiment bereithielten. Neben Lebensmitteln aller Art fanden sich auf den Märkten auch Kleidung und Schmuck. Auf der Kirmes fanden Wettkämpfe statt, Schießbuden, Lotterien,
Fahrgeschäfte wie Schaukeln und erste Karussells boten Unterhaltung. In Schaubuden und
Panoptiken wurden andere Welten und „wissenschaftliche“ Erkenntnisse zugänglich. Die
örtlichen Wirte organisierten Tanzveranstaltungen, die mit polizeilicher Genehmigung oft nur
an Kirmestagen stattfanden.
In der Nachkriegszeit wurden in beiden Teilen Deutschlands die Stadt- oder Heimatfeste
wieder eingeführt, oft mit explizitem Bezug auf historische Traditionen. Dabei wurde eine
gemeinsame Identität betont, die früh auch die Zugezogenen einband. Große Stadt- und
Volksfeste wie der Cannstatter Wasen in Stuttgart, das Münchener Oktoberfest, die Größte
Kirmes am Rhein in Düsseldorf oder die Cranger Kirmes im Ruhrgebiet erlangten schnell
eine überregionale Bekanntheit und Anziehungskraft. Zunächst als politische Veranstaltungen entwickelten sich ab dem 1980ern auch in Deutschland die Christopher Street Days
(CSD) in verschiedenen Städten, die sich zunächst als Demonstrationen gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben wendeten. Benannt nach einem Aufruhr in der Christopher Street in New York fanden diese Veranstaltungen in Amerika und Europa schnell
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weite Verbreitung in den Städten. Doch in den 1990ern begann eine Festivalisierung, welche die CSDs zu Festen mit Umzugsparaden veränderte, an denen vermehrt auch Menschen teilnahmen, die sich nicht der homosexuellen Szene zugehörig fühlten. 1996 fand der
erste Karneval der Kulturen in Berlin statt, welcher das multiethnische Berlin zeigen will.
Bewusst wurde dabei von den Veranstaltern, einer städtischen Einrichtung zur Betreuung
von Migranten, dabei der Bezug zum Karneval gesetzt. Mit Musikformationen aus der ganzen Welt, aber auch mit entsprechenden Kostümen und Wagengestaltungen wird der zentrale Umzug seither immer größerer Anzugspunkt für die Bevölkerung ebenso wie für Touristen.
aktuelle Ausübungsformen
In der Gegenwart wird an immer mehr Orten das wohl berühmteste deutsche Stadtfest, das
Münchener Oktoberfest, gefeiert. In verschiedensten deutschen und internationalen Kleinund Großstädten finden im Herbst Festivitäten statt, die als Oktoberfest bezeichnet werden
und sich hauptsächlich durch die Verwendung von Stilmustern und Symbolen wie dem
Dirndl oder blau-weißer Dekorationselemente als bayrisch titulieren. Bei Oktoberfesten außerhalb Münchens ist anzunehmen, dass die Mehrzahl der Dirndl- und Lederhosentragenden diese „Tracht“ eher als Verkleidung denn als regional-historisch entstandene Kleidung
mit klarer Symbolhaftigkeit betrachten, zumal Dirndl und Lederhosen mittlerweile in Massenproduktion auch in Kostümläden zum Standardrepertoire gehören.
Auch in karnevalesken Formen wie dem Christopher Street Day wird gerade die Kostümierung aus dem engeren Kontext von Karneval / Fastnacht übernommen. Nicht nur die aktiven
Teilnehmer an den Umzügen – ein weiterer Bezugsrahmen zum Karnevalsken –, auch die
Zuschauenden sind zum großen Teil verkleidet. Das Fest, entstanden als Rückbezug auf
die gewalttätige Niederschlagung von Protesten für die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher
Liebe, findet heute nicht nur in der Szene lesbischer, schwuler, bi- und transsexueller Akteure großen Anklang, sondern wird verstärkt auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen als
Anlass zum Feiern wahrgenommen. Diese hybriden Formen zeigen die Vielfalt der Lebensrealitäten, betonen dabei jedoch stark das Positive und blenden gesellschaftliche Problemkontexte zumindest temporär aus.
In der Gegenwart zeigt sich eine um sich greifende Festivalisierung als Spiegel gesellschaftlicher Verfasstheit. Große Events, wie der Berliner Karneval der Kulturen, der in mehreren
Städten veranstaltete Christopher Street Day oder die Veränderungen in der Ausgestaltung
von Stadtfesten zeigen hybride Mischformen, die als karnevaleske Formen der Festkultur
bezeichnet werden können. Hier dominiert die kurzlebig verkehrte Welt als Gegenwelt zum
Alltag. Zentral ist ein Gefühl des Miteinanders mit offeneren Handlungsspielräumen und
eine Abkehr von der Zweckhaftigkeit des Seins. Es greifen die Mechanismen der Umkehrungen, Herabwürdigungen und Parodien, die Individualisierung wird temporär für ein Gemeinschaftsgefühl aufgehoben. Doch auch hier sind Ordnungsmechanismen vorhanden, es
findet eine Disziplinierung der Feier durch ordnende Instanzen statt, welche die verkehrte
Welt in einen geregelten Rahmen einbindet. Zudem nimmt die Eventisierung zu, welche
planmäßig erzeugte Großveranstaltungen als einzigartige Erlebnisse in der Regel aus
kommerziellen Interessen meint, die medial inszeniert wird. Die Straßenpartys entsprechen
gleichzeitig dem mobilen Leben der Postmoderne. Zumal ist die wirtschaftliche Bedeutung
karnevalesker Formen der Festivalisierung nicht zu unterschätzen. Allein im Kölner Karneval werden jährlich rund vier Milliarden Euro umgesetzt. Die Brauchformen werden dabei
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öffentlich und medial inszeniert und verlieren hierdurch zumindest in Teilen ihre regionalen
Spezifika.
Weitergabe und Gefährdung
Die Stadtfeste zeigen zunehmende Tendenzen von Festivalisierung. Besonders deutlich ist
dies in den an verschiedensten Orten stattfindenden Oktoberfesten, welche mit wenigen
Formen und Symbolen auf das Münchener Stadtfest Bezug nehmen, diese jedoch aus ihrem Kontext herauslösen. Gerade die hier beschriebenen verhältnismäßig neuen Formen
des Karnevalesken bringen ganz andere Bedeutungskontexte in den Festkontext ein: im
Karneval der Kulturen wird explizit auf die multiethnische Bevölkerung rekurriert, diese wird
als etwas explizit Positives und Bereicherndes eingebunden. Ähnlich gilt es für die Vielfalt
sexueller Identitäten im Christopher Street Day. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das
Bedürfnis nach einem Ausbruch aus dem Alltag, welcher zugleich eine Strukturierung des
Jahreslaufes bildet, gegeben zu sein.
thematische Bereiche
gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste)
Bezeichnung
Wandel der Bräuche im Jahreslauf am Beispiel Sankt Martin und Halloween
Quellenverzeichnis
09.11.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Britta Beeger: Martinstag. Der Gans geht es an
den Kragen.99
08.11.2012, Frankfurter Rundschau, Regine Seipel: Sankt Martin. Wo gibt's die beste
Gans.100
06.11.2012, Süddeutsche Zeitung, John Lambert: Mein Deutschland. Halloween früher und
jetzt.101
04.11.2012, Welt am Sonntag, Till-R. Stoldt: Sankt Martin war ein frommer Mann.102
03.11.2012, Frankfurter Rundschau, Elena Weidt: Halloween Ginnheim. Der Geisterspielplatz.103
31.10.2012, Die Welt: Happy Halloween. Hexen waren gestern – Der Trend geht zum Monster.104
31.10.2012, Frankfurter Rundschau, Clara Hebel und Annsophie Rohde: Halloween Frankfurt. Frankfurt, mach dich auf was gefasst!105
99
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
http://www.fr-online.de/ratgeber/sankt-martin-wo-gibt-s-die-beste-gans,1472794,20821244.html
101
http://www.sueddeutsche.de/service/mein-deutschland-halloween-frueher-und-jetzt-1.1515407
102
http://www.welt.de/print/wams/nrw/article110595969/Sankt-Martin-war-ein-frommer-Mann.html
103
http://www.fr-online.de/frankfurt/halloween-ginnheim-der-geisterspielplatz,1472798,20780694.html
104
http://www.welt.de/vermischtes/article110446075/Hexen-waren-gestern-Der-Trend-geht-zumMonster.html
105
http://www.fr-online.de/frankfurt/halloween-frankfurt-frankfurt--mach-dich-auf-was-gefasst,1472798,20752730.html
100
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 26
31.10.2012, Frankfurter Rundschau, Christina Franzisket: Domäne Mechtildshausen. Halloween echt amerikanisch.106
31.10.2012, Spiegel Online, Judith Horchert: Geeky Halloween: So wird der Kürbis zum
Todesstern.107
31.10.2012, Der Stern, Carsten Heidböhmer: Brauchtum Halloween. Warum es am Reformationstag Saures gibt.108
30.10.2012, Die Welt: Kürbis mit Stammbaum: Gute Gene für großen Nachwuchs.109
30.10.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Reiner Burger: Halloween Ein Nachbar zum
Gruseln.110
29.10.2012, Die Welt Kompakt: Das Geschäft mit dem Grusel.111
29.10.2012, Frankfurter Rundschau: Ob als Suppe oder Gnocchi: Kürbisgerichte zu Halloween.112
29.10.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Peter Lückemeier: Kommentar. Blutsuppe,
Kürbismatsch.113
28.10.2012, Welt am Sonntag: Süßes oder Saures?114
28.10.2012, Welt am Sonntag: Gruseliges Gemüse.115
17.10.2012, Frankfurter Rundschau: Halloween-Spektakel. Fratzen auf Burg Frankenstein.116
13.09.2012, Frankfurter Rundschau: Gruselige Kugeln aus dem Garten - Kürbisse ernten.117
09.11.2011, Die Zeit, Redaktion KinderZEIT: Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind.118
08.11.2011, Frankfurter Rundschau, Clemens Dörrenberg: Martinsumzüge. Santa Martina.119
08.11.2011, Frankfurter Rundschau, Sandra Busch: Martinsumzüge in Frankfurt. Wohin mit
meiner Laterne?120
106
http://www.fr-online.de/wiesbaden/domaene-mechtildshausen-halloween-echtamerikanisch,1472860,20756542.html
107
http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/halloween-der-geeks-ein-kuerbis-mit-dem-todesstern-a864473.html
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http://www.stern.de/lifestyle/lebensart/brauchtum-halloween-warum-es-am-reformationstag-sauresgibt-1745520.html
109
http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article110381927/Kuerbis-mit-Stammbaum-Gute-Genefuer-grossen-Nachwuchs.html
110
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
111
http://www.welt.de/print/welt_kompakt/koeln/article110337942/Das-Geschaeft-mit-dem-Grusel.html
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http://www.fr-online.de/verbraucher/ob-als-suppe-oder-gnocchi--kuerbisgerichte-zuhalloween,1473052,20734530.html
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Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
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http://www.welt.de/print/wams/nrw/article110319403/Suesses-oder-Saures.html
115
http://www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article110319307/Gruseliges-Gemuese.html
116
http://www.fr-online.de/kreis-gross-gerau/halloween-spektakel-fratzen-auf-burgfrankenstein,1473014,20616628.html
117
http://www.fr-online.de/wohnen/gruselige-kugeln-aus-dem-garten---kuerbisseernten,3242122,17240538.html
118
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119
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 27
01.11.2011, Die Zeit, Mark Spörrle: Das Halloween der Väter.121
31.10.2011, Spiegel Online, Frank Patalong: Halloween-Kürbisse: Spukgesichter zum
Fürchten.122
31.10.2011, Die Welt: Kürbis, Klum & Co. Was zum Teufel ist eigentlich Halloween? 123
31.10.2011, Die Welt: Trick or treat.124
31.10.2011, Süddeutsche Zeitung, Sarah K. Schmidt und Violetta Simon: Halloween. Kampf
der Kürbisse.125
31.10.2011, Der Stern, Carsten Heidböhmer: Halloween. Wie Deutschland das Gruseln
lernte.126
28.10.2011, Der Stern: Halloween 2011. Blut schmeckt meistens nach Erdbeere.127
27.10.2011, Die Welt: Christliche Feste. Kirche kämpft mit Luther-Bonbons gegen Halloween.128
22.10.2011, Spiegel Online:
pern.129
Halloween in Freizeitparks: Heulen, Kreischen, Zähneklap-
11.11.2010, Die Zeit, ZEITmagazin, Matthais Stolz: Deutschlandkarte. Martinsbräuche.130
05.11.2010, Frankfurter Rundschau, Alina-Louise Kramer: Feiern & Ausgehen. Martinszug.131
05.11.2010, Frankfurter Rundschau, Sandra Busch: Freizeit. Laterne, Laterne.132
31.10.2010, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sibylle Tönnies: 31. Oktober. In dieser Nacht
sind alle Grenzen offen.133
30.10.2010, Die Welt: Heidnische Tradition. Mißfelder sieht Christentum durch Halloween
bedroht.134
30.10.2010, Süddeutsche Zeitung, Isabel Meixner: Halloween-Partys in München. Rausch
der Angst.135
120
http://www.fr-online.de/frankfurt/-martinsumzuege-in-frankfurt-wohin-mit-meiner-laterne,1472798,11115810.html
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http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2011-11/familienglueck-kinder-halloween-2/komplettansicht
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 28
22.10.2010, Süddeutsche Zeitung, Marten Rolff: Geschmackssache: Saisongemüse. Der
Event-Kürbis.136
18.10.2010, Frankfurter Rundschau, Jan Paulin: Interview zu Halloween. „Keine Konkurrenz
zu christlichen Festen“.137
01.11.2009, Welt am Sonntag: Halloween ist auch eine Chance.138
01.11.2009, Spiegel Online: Halloween weltweit: Schweine, Gerippe und tote Popstars.139
30.10.2009, Die Zeit, Maxie Thielemann: Hexen an Halloween. Magische Selbstverwirklichungs-Gruppe.140
30.10.2009, Süddeutsche Zeitung, Ulrike Bretz: Zum Gruseln. Halloween scheidet die Geister.141
30.10.2009, Süddeutsche Zeitung, Willi Winkler: Pseudo-Brauchtum. Zur Hölle mit Halloween!142
30.10.2009, Süddeutsche Zeitung, Uwe Ritzer: Halloween. Alle wollen Kürbis.143
30.10.2009, Süddeutsche Zeitung, Joachim Käppner: NullAchtNeun. Von Kürbissen und
Gruselknirpsen.144
18.12.2008, Süddeutsche Zeitung, Matthias Drobinski: Halloween. Kirche gegen Kürbisköpfe.145
09.11.2008, Welt am Sonntag, Till-Reimer Stoldt: Irrational, asketisch, gewinnend: Sankt
Martin. Interview mit Manfred Becker-Huberti.146
04.11.2007, Welt am Sonntag, Robert Lücke: Die beste Gans der Welt.147
31.10.2007, Die Zeit, Jack O'lantern: Halloween. Karneval im Oktober.148
29.10.2007, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Michael Roth: Halloween. Gute Geschäfte mit
gruseligen Gestalten.149
12.11.2006, Die Welt, Robert Lücke: Die Gans ist wieder da.150
135
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/halloween-partys-in-muenchen-rausch-derangst-1.1017565
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http://www.sueddeutsche.de/leben/geschmackssache-saisongemuese-der-event-kuerbis1.1014857
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http://www.sueddeutsche.de/leben/zum-gruseln-halloween-scheidet-die-geister-1.141859
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http://www.sueddeutsche.de/panorama/pseudo-brauchtum-zur-hoelle-mit-halloween-1.856046
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http://www.sueddeutsche.de/leben/halloween-alle-wollen-kuerbis-1.523100
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http://www.sueddeutsche.de/muenchen/nullachtneun-von-kuerbissen-und-gruselknirpsen-1.143474
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 29
10.11.2006, Die Welt: Laterne, Laterne...Lichtblicke am Martinstag.151
10.11.2006, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Michael Hierholzer: Kommentar. Dort oben
leuchten die Sterne.152
31.10.2006, Der Stern: Halloween. Mit Angst und Grusel spielen.153
13.10.2006, Die Welt: Lust am wohligen Grauen.154
06.10.2006, Die Welt: Lutherbonbons sollen „Halloween“-Geister vertreiben.155
12.11.2005, Die Welt: St. Martin zu Ehren: Mit Laternen durch die Straßen.156
31.10.2005, Der Stern: Halloween. Einzelhandel im Kürbis-Rausch.157
30.10.2005, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Leitartikel. Bildung statt Lutherbonbons.158
30.10.2005, Spiegel Online, Sebastian Knauer: Halloween-Aktion: Lutschen für Luther.159
25.10.2005, Der Stern: Halloween-Einkauf. Leichenteile für jeden Geschmack.160
11.11.2004, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Martina Dreisbach: Sankt Martin. Gans und
gar.161
05.11.2004, Spiegel Online, Cornelia Höhling: Tours: Auf St. Martins Spuren.162
31.10.2004, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Gespensterfest. Der Markt zum Gruseln - Wirtschaftsfaktor Halloween.163
29.10.2004, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Kommentar. Halloween oder Reformation?164
27.10.2004, Der Stern: Halloween. Kürbis-Kult lässt Kassen klingeln.165
13.11.2003, Die Welt, Kathrin Spoerr: Glänzende Kinderaugen zur Martins-Nacht.166
11.11.2003, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Der elfte November. Ein Tag voller Traditionen.167
09.11.2003, Welt am Sonntag: Halloween verdrängt St. Martin.168
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 30
06.11.2003, Die Zeit: Halbe-halbe. [Rezension Manfred Becker-Huberti: Der heilige Martin]169
31.10.2003, Der Stern: Halloween. Gruseliges Geschäft.170
30.10.2003, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Theo Stemmler: Halloween. An jeder Ecke
lauerndes Leuchten.171
10.11.2002, Die Welt, Michaela Freund: Für Sankt Martin: Deutsche Mäster quälen Gänse
zu Tode.172
31.10.2002, Die Welt: Wenn Kürbisse leuchten.173
31.10.2002, Die Zeit, Tom Schimmeck: Der große Hallowahn174
31.10.2002, Die Zeit: Cooler Kürbis.175
12.10.2002, Die Welt: Grusel-Rausch im Kaufhaus.176
09.10.2002, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Eva Mayer-Wolk: Erntezeit. Mehr als nur Zierde: Der Kürbis.177
30.10.2001, Die Welt: Ein Geschäft zum Gruseln.178
30.10.2001, Frankfurter Allgemeine Zeitung: Stichwort: Halloween. So feierten und feiern
die Kelten, die Amerikaner, die Europäer.179
28.10.2001, Welt am Sonntag: Die Nacht der Kürbisse.180
25.10.2001, Die Welt: Geisterspuk zum keltischen Winteranfang.181
22.10.2001, Die Welt: Deutsche Gemüse-Bauern profitieren von Halloween.182
01.11.2000, Die Welt: Wo die Geister zu Hause sind.183
31.10.2000, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jens Meyer: Einzelhandel. Das Geschäft mit
der Geisterstunde.184
30.10.2000, Der Spiegel, Susanne Beyer: Feste. Germanen auf dem Horrortrip.185
168
http://www.welt.de/print-wams/article102631/Halloween-verdraengt-St-Martin.html
http://www.zeit.de/2003/46/Halbe-halbe
170
http://www.stern.de/wirtschaft/unternehmen/meldungen/halloween-gruseliges-geschaeft515066.html
171
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172
http://www.welt.de/print-wams/article122384/Fuer-Sankt-Martin-Deutsche-Maester-quaelenGaense-zu-Tode.html
173
http://www.welt.de/print-welt/article419196/Wenn-Kuerbisse-leuchten.html
174
http://www.zeit.de/2002/45/Der_grosse_Hallowahn
175
http://www.zeit.de/2002/45/Cooler_Kuerbis
176
http://www.welt.de/print-welt/article415969/Grusel-Rausch-im-Kaufhaus.html
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http://www.welt.de/print-welt/article541665/Wo-die-Geister-zu-Hause-sind.html
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169
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 31
30.10.2000, Die Welt: Halloween.186
09.11.1999, Die Welt: Von Martinsgänsen und anderen Bräuchen.187
29.10.1999, Spiegel Online, Sarah Sebhatu: Halloween: Kollektiver Kürbis-Wahn.188
Sekundärliteratur
Becker-Huberti, Manfred: Der Heilige Martin. Leben, Legenden und Bräuche. 2. Auflage
Köln 2004.
Becker-Huberti, Manfred: Lexikon der Bräuche und Feste. Über 3.000 Stichwörter mit Infos,
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Bimmer, Andreas: Brauchforschung. In: Rolf W. Brednich: Grundriß der Volkskunde. Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie. 3., überarbeitete und erweiterte
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Breuss, Susanne: Feiern, schenken konsumieren. Muttertag, Vatertag, Valentinstag, Halloween. In: Eva Kreissl, Andrea Scheichl, Karl Vocelka (Hg.): Feste feiern. Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung Stift Waldhausen 2002. Linz 2002, S. 197-190.
Brückner, Wolfgang: Brauchforschung tut not. In: Jahrbuch für Volkskunde NF 21 (1998), S.
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Gebhardt, Winfried; Hitzler, Ronald; Pfadenhauer, Michaela (Hg.): Events. Soziologie des
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Gebhardt, Winfried: Die Veralltäglichung des Festes. Bemerkungen zur Festkultur der Gegenwart. In: Michael Maurer (Hg.): Festkulturen im Vergleich. Inszenierungen des Religiösen und Politischen. Köln u.a. 2010.
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Moser, Dietz-Rüdiger: Bräuche und Feste im christlichen Jahresverlauf. Brauchformen der
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http://www.welt.de/print-welt/article589824/Von-Martinsgaensen-und-anderen-Braeuchen.html
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http://www.spiegel.de/panorama/halloween-kollektiver-kuerbis-wahn-a-49862.html
187
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Wolf, Helga Maria: Das neue Brauchbuch. Alte und junge Rituale für Lebensfreude und Lebenshilfe. Wien 2000.
Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Brauchausübende
Deutschland mit regionalen Spezifika
Kurzbeschreibung
Sankt Martin war in der Vormoderne ein Termin des Kirchenjahres, welcher eine wichtige
Rolle für die Alltagskultur spielte. So entstanden Brauchelemente wie das Martinsfeuer und
Heischegänge von Kindern, aber auch spezifische Speisen, allen voran die Martinsgans.
Heute hat dieser Termin an Bedeutung verloren, doch eine neue Brauchform hat sich in
globalisierter Form popularisiert: Halloween wurde seit den 1990ern aus den USA übernommen und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Hieran zeigt sich besonders deutlich die
Orientierungsfunktion von Brauchterminen im Jahreslauf, die in einer entsakralisierten Gesellschaft mit neuer Bedeutung belegt werden.
Historische Entwicklung
Bräuche sind kulturelle Totalphänomene und Grundbausteine unserer Kultur. Sie folgen
Regeln des sozialen Handelns in einem Kommunikationsprozess, bestehen in der Regel
aus mehreren Handlungselementen und haben dabei zeichenhafte Funktionen, welche die
Brauchausübenden kennen und deuten können. Ein Brauch erfordert eine bestimmte Regelmäßigkeit und Wiederkehr, etwa im Jahres- oder Lebenslauf, und eine den Brauch ausübende Gruppe, für welche das Handeln eine Bedeutung erlangt. Diese Kulturmuster befriedigen menschliche Grundbedürfnisse nach Orientierung, Struktur und Zeiteinteilung. Natur- und Kirchenjahr bestimmen zyklische Bräuche im Jahreslauf. Brauchhandlungen geben
tradiertes Wissen weiter, die Bräuche wandeln sich dabei ständig, können an Bedeutung
verlieren oder auch neu entstehen. Dabei besteht ein ständiges Wechselspiel zwischen
Tradition und Wandel, Beharrung und Anpassung sowie zwischen Statik und Dynamik. Die
meisten Bräuche sind regional spezifisch geprägt, durch die mobile Kommunikationsgesellschaft vollzieht sich jedoch eine zunehmend nationale und auch europäische Homogenisierung. Als Beispiel soll hier der Martinstag in Verbindung mit Halloween dienen.
Sankt Martin als Termin des Kirchenjahres war in der Vormoderne Termin für Fronabgaben,
den Abschluss von Pachtverträgen, aber auch für den Gesindewechsel. Am Patronatstag
des Heiligen Martin, dem 11. November, fanden Feste zum Abschluss der Ernte und Beginn
der Weihnachtszeit statt. Mit den Abgaben wurde oft auch das Winterschlachten verbunden,
gleichzeitig war die Weinlese zu dieser Jahreszeit beendet und der junge Wein konnte probiert werden. Vor Beginn der vorweihnachtlichen Fastenzeit mussten verderbliche Lebensmittel wie Eier und Milch verbraucht werden. Die Gans als Naturalabgabe wurde als MarExemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 33
tinsgans vielerorts als Braten zubereitet. Der Tag hatte im Alltag der Menschen eine große
Bedeutung, die er auch mit der Industrialisierung nicht verlor. Allerdings wandelte sich das
Geschehen am Martinstag. Der Heilige Martin, der seinen Mantel mit einem Armen teilt, war
für die bürgerliche Pädagogik gut geeignet, um das Teilen als kulturelle Norm an Kinder zu
vermitteln. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert fanden vor allem im Rheinland Martinsumzüge statt, in deren Rahmen die Geschichte des Heiligen erzählt wurde. Die Kinder gingen im Anschluss von Haus zu Haus, sangen Martinslieder und sammelten Gaben, ein so
genannter Heischebrauch. Mit selbst gebastelten Laternen wurde zudem an eine Lichtsymbolik angeknüpft, die in der dunklen Jahreszeit vor der Elektrifizierung große Bedeutung
hatte und durch ein abschließendes Martinfeuer noch verstärkt wurde.
Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wurde in terminlicher Nähe jedoch ein anderer Brauch
eingeführt, der aus den USA und vor allem aus den Medien übernommen wurde. Halloween
am Abend vor Allerheiligen (All Hallows Eve) greift bekannte Handlungsmuster wie das Heischen auf: auch hier gehen die Kinder von Tür zu Tür und bitten um Gaben. Allerdings wird
dieses nicht mehr verbunden mit einer Erzählung der moralischen Wertigkeit des Teilens,
sondern mit der Androhung von Sanktionen in Form des Spruchs „Süßes oder Saures“.
Gleichzeitig werden hier karnevaleske Formen sichtbar, denn das „gruselige“ Verkleiden ist
fester Bestandteil der Brauchausübung auch der Erwachsenen, welche sich vor allem in
Mottopartys zeigt. Bereits im 19. Jahrhundert war Halloween mit irischen Auswanderern in
die USA gelangt und hatte sich dort rasch etabliert, gleichzeitig jedoch in Form und Funktion
gewandelt. Erst hier entstanden heute verbreitete Motive wie der ausgehölte und mit Grimasse verzierte Kürbis, in welchen eine Kerze gesetzt wird. Seit den 1930er Jahren setzten
sich Heischebräuche von verkleideten Kindern durch, die mit Sprüchen wie „Trick or Treat“
Süßigkeiten in der Nachbarschaft sammelten. Mit amerikanischen Besatzungssoldaten, vor
allem aber mit den sich globalisierenden Medien und entsprechenden Thematisierungen
gewann Halloween auch in Deutschland zunehmend an Bekanntheit. Seit den 1990ern findet sich eine entsprechende Symbolik vermehrt in der Werbung sowie in speziellen Veranstaltungen zunächst von Irish Pubs, dann auch anderer Kneipen und Diskotheken. Gruselund Horrorkostüme sowie Kürbis- und Gespenstmotive in der Dekoration begleiteten diese
Veranstaltungen. Privathaushalte griffen die Motive auf und integrierten sie in herbstliche
Dekorationen, auch weil der Einzelhandel entsprechende Artikel schnell ins Sortiment integrierte. Damit einher ging eine zunehmende Verwendung des Nahrungsmittels Kürbis in der
Herbstzeit. Doch auch der Heischebrauch verbreitete sich schnell, so dass seit den späten
1990er Jahren immer mehr gruselig verkleidete Kinder am Abend des 31. Oktobers vor den
Haustüren standen.
Jedem Brauch liegt eine Regelmäßigkeit zugrunde, meist im Jahres- oder im Lebenslauf, so
dass eine Rhythmisierung in Alltag und Festtage bewirkt wird, der Orientierungsfunktion
zukommt. Dabei geben die Brauchhandlungen Aufschluss über den funktionalen Kontext
und über Motivation und Intention der Brauchausübenden im sozialen Kontext, aber auch
über die gruppenspezifischen kulturellen Wert- und Normstrukturen. In der pluralistischen
Gesellschaft kommt es zu einer Vervielfältigung der Brauchformen. Doch sind diese auch in
der Vergangenheit jeweils Übergangsformen gewesen, welche in der je gelebten Ordnung
stimmig waren und in einem dynamischen Prozess ständigem Wandel unterlagen. Solche
Bräuche befriedigen menschliche Grundbedürfnisse nach Orientierung, Struktur und Zeiteinteilung. Sie ermöglichen Aussagen zu Gruppenidentitäten, zur Strukturierung und zu Veränderungsprozessen der Alltagskultur. Die meisten Brauchformen sind regional spezifisch
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 34
geprägt, durch die mobile Kommunikationsgesellschaft vollzieht sich jedoch eine zunehmende nationale und auch europäische Homogenisierung.
aktuelle Ausübungsformen
Die Martinsumzüge in regionalen Formen werden in der Gegenwart in lokalen Zusammenschlüssen durchgeführt. In Kindergärten und Schulen werden die Umzüge vor- und nachbereitet, so ist das Basteln von Laternen fest in den Kunstunterricht des Herbstes integriert,
zudem werden entsprechende Lieder gemeinsam eingeübt und am Martinsabend gesungen. Die Umzüge finden meist nach Klassen aufgestellt statt und werden durch die örtlichen
Musikvereine, Feuerwehr und Hilfsdienste begleitet. Auch die Kirche spielt nach wie vor
eine Rolle, denn entsprechende Gottesdienste sind ebenfalls Bestandteil des Brauchkomplexes. Als Abschluss der Umzüge finden an zentralen Plätzen der Städte und Dörfer Martinsfeuer statt, danach wird der Heischegang, auch „schnörzen“ oder „krippschen“ genannt,
in Kleingruppen organisiert.
Sankt Martin hat sich zum Brauchtermin vorrangig für Kinder gewandelt, in der Alltagskultur
Erwachsener hat allein die Martinsgans in Form eines saisonalen Gerichts noch eine Bedeutung, wobei diese in der Regel nicht mehr mit dem Erntejahr in Verbindung gebracht
wird. Der Kürbis als vielfältig einsetzbares, zudem kalorienarmes Saisongemüse steht der
Gans jedoch an Bedeutung kaum noch nach. Das Kulturmuster Halloween setzt sich zunehmend und unabhängig von Altersgruppe oder regionaler Spezifika durch. Befördert
durch umfangreiche Medienberichterstattung finden seit einigen Jahren öffentliche und private Halloween-Partys statt, deren zentrales Spezifikum das Motiv des Grusels ist. Entsprechende Verkleidungen sind, ähnlich wie in der Karnevalssession, in Kaufhäusern erhältlich,
auch Getränke und Snacks werden mit Horror-Motiven angeboten. Kommerzielle Abendveranstaltungen werden durch den gesetzlichen Feiertag Allerheiligen am Folgetag begünstigt. Nicht nur von kirchlicher Seite wird Halloween kritisiert, die in beiden Konfessionen mit
dem Reformationstag am 31. Oktober bzw. Allerheiligen am 1. November um die schwindende Bedeutung religiöser Brauchtermine fürchtet. Auch in der Medienberichterstattung
wird die zunehmende Amerikanisierung und Globalisierung der Kultur immer wieder kritisch
betrachtet. Der Brauchtermin hat sich nicht nur in Deutschland, sondern in weiten Teilen
Europas fest etabliert. Viele Motive und Handlungselemente, wie der Heischebrauch der
Kinder, das Verkleiden oder die saisonal spezifische Speisenpalette sind aus anderen Kontexten bereits bekannt und setzen sich so schnell durch.
Wie Sankt Martin ist eine Vielzahl der Bräuche im Jahreslauf aus der christlichen Liturgie
und deren lebensweltlichen Bedeutung entstanden. In der entsakralisierten Gesellschaft
schwindet die religiöse Bedeutung von Bräuchen, dies kann zu einem Brauchsterben führen, alte Strukturen brechen weg. Daraus entsteht jedoch auch ein Popularisierungsschub
für neue Bräuche mit veränderten Funktionen. Dies führt zu einer Fülle weiterhin gelebter
Bräuche, bleibt doch die Orientierungsfunktion notwendig und wird durch nicht-religiöse Kulturmuster befriedigt. Christliche Symbole und Handlungsanleitungen bleiben häufig erhalten,
werden in ihrer christlichen Bedeutung jedoch nicht mehr entschlüsselt. Dieser tiefgreifende
Wandel vollzieht sich hin zu einer bewussten und zielgerichteten Inszenierung, denn
„Brauchfunktionäre“ ordnen das Geschehen und inszenieren dieses gleichzeitig, etwa für
den Tourismus.
Weitergabe und Gefährdung
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 35
Halloween als vergleichsweise junges Kulturmuster unterliegt keiner Gefährdung, denn der
Brauchtermin wird von Jahr zu Jahr populärer und von unterschiedlichen sozialen Gruppen
ausgeübt. Der Termin ist jedoch eng an kommerzielle Interessen geknüpft und unterliegt
damit der Gefahr, lediglich von der Wirtschaft gefördert zu werden. Sankt Martin hingegen
ist in den letzten Jahren aus der öffentlichen Aufmerksamkeit eher verschwunden, dem
Termin kommt medial und kommerziell kaum Bedeutung zu. Er wird aufrechterhalten durch
die pädagogischen Institutionen sowie die katholische Kirche. Gerade in Wandel und Zusammenhang beider Termine liegt jedoch eine Innovation und ein Prinzip, welches auch in
vielen anderen Kulturmustern sichtbar wird. Bekannte Elemente und Handlungen werden
dem veränderten Kontext angepasst und mit neuen Bedeutungen belegt. Hier zeigt sich
besonders der historisch bedingte Wandel auch in der Gegenwart.
thematische Bereiche
gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste
Bezeichnung
Berufsbedinge Bräuche am Beispiel der Bergmannsgesänge
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Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
190
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 36
geht zu Ende.196
14.12.2010, Die Zeit, Christoph Siemes: Liedkultur. Das Volk singt wieder.197
16.09.2010, Die Zeit, Christoph Siemes: Ruhr 2010. Hurra, wir machen etwas Großes!198
05.09.2010, Welt am Sonntag, Stefan Keim: Melodien für Millionen.199
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2010. „Komm zur Ruhr“.201
05.06.2010, WDR: Komm zur Ruhr (Herbert Grönemeyer), Chor bei !SING - DAY OF
SONG.202
05.06.2010, Westdeutsche Allgemeine Zeitung: Chorprojekt. Tausende geben der Kulturhauptstadt ihre Stimme.203
05.06.2010, Frankfurter Rundschau: Ruhr.2010. Das Revier singt.204
05.06.2010, Frankfurter Rundschau: Das Ruhrgebiet singt - «Day of song» gestartet.
31.05.2010, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Annika Fischer: Ruhr.2010. Day of Song tausend Stimmen für das Revier.205
17.05.2010, Süddeutsche Zeitung, Sonja Zekri: Interview mit Fritz Pleitgen. Ein langer Tisch
auf der A40.206
03.05.2010, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Annika Fischer: Ruhr.2010. Chor-Projekt
soll der Region aus der Singkrise helfen.207
10.04.2010, Der Stern: Kulturhauptstadt Ruhr.2010. Wann sich die Reise in den Kultur-Pott
lohnt.208
09.12.2009, Der Spiegel: Kulturhauptstadt Ruhr 2010: Licht im Schacht.209
22.10.2008, Westdeutsche Allgemeine Zeitung: Gelsenkirchen. Riesenchor auf Schalke
geplant.210
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 37
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Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Bergarbeiter, Knappenvereine, Singende
ehemalige Bergbauregionen in Deutschland,
v.a. Ruhrgebiet
Organisation „!Sing - Day of Song“: Ruhr
Tourismus GmbH (Nachfolgegesellschaft
Ruhr.2010 GmbH)
Kurzbeschreibung
Die historische Bindung der Handwerker an ihre Berufsstände ist hoch. Bereits im Mittelalter
in Zünften organisiert, blieben diese Organisationsformen in ihrer Struktur erhalten, wandelten sich jedoch in ihren Bedeutungen. Mit der Industrialisierung verlor das Handwerk seine
prägende Rolle, die Zahl der Arbeiter wuchs ständig. Die ehemals handwerklich ausgeübten
Tätigkeiten verlagerten sich in die industrielle Produktion, doch wurden viele der Organisationsformen und vor allem der berufsspezifischen Bräuche beibehalten. Dies gilt auch für den
Bergbau, wo zunächst Knappenvereine die Traditionen aufrechterhielten und weiterentwickelten. Im 21. Jahrhundert wird das industrielle Erbe beispielsweise in der ehemaligen
Bergbauregion Ruhrgebiet unter anderem durch eine aktive Singkultur insbesondere bergmännischer Lieder wie dem „Steigerlied“ weitergegeben.
Historische Entwicklung
In der Vormoderne wurde der Bergbau in kleinen Betrieben durchgeführt, in denen wenige
Bergleute mit großem Spezialwissen den Abbau von Rohstoffen wie etwa Erz im Erzgebirge, Salz im heutigen Niedersachsen oder Steinkohle im Saarland betrieben. Die Bergleute
waren in Knappschaften organisiert, die unter anderem Kranken- und Rentenversicherung,
aber auch das gesellschaftliche Leben organisierten. Mit der Industrialisierung wurden weitere Abbaugebiete vor allem im Ruhrgebiet erschlossen. Hier konzentrierte sich auch der
industrielle Steinkohleabbau, der innerhalb weniger Jahrzehnte Millionen von Menschen auf
der Suche nach Arbeit in die Region brachte. Die Knappschaften als Organisationsform verloren an Bedeutung und die Bräuche wandelten sich mit den veränderten Bedingungen.
Neue Gruppenidentitäten und eine andere Strukturierung der Alltagskultur ließen einige
Formen wegbrechen, andere gewannen an Relevanz.
Mit dem Aufstieg des Bürgertums begann im 18. Jahrhundert die Organisation gesellschaftlicher Gruppen mit gemeinsamen Interessen in Vereinen. Vom Lesezirkel über den Turnund Sportverein bis zu politischen und anderen unterschiedlichsten Vereinen prägt Deutschland seither ein äußerst reges Vereinsleben. Sowohl Organisationen mit mehr als hundertjähriger Tradition als auch neu gegründete, sowohl Vereine mit vielen Tausend Mitgliedern
als auch kleine Gruppen entstanden. Eine besondere Rolle spielten im Bergbau die Knap-
211
http://www.liederlexikon.de/lieder/glueck_auf_glueck_auf_der_steiger_kommt
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 40
penvereine, die nach der Liberalisierung des Bergrechts und Abschaffung der ständischen
Organisationsform Aufgaben der Knappschaften aufgriffen und sie den geänderten Bedingungen anpassten. Die Mitgliedschaft war hier nun freiwillig, doch im Rahmen des Vereins
wurden bekannte Verhaltensweisen und Bindungen aufrechterhalten. Die einzelnen Vereine
blieben oft auf eine Zeche beschränkt, die Mitglieder kannten sich von der Arbeit. Bis zur
Jahrhundertwende blieben hier ständische Formen in überkommenen, mehr und mehr sinnentleerten Symbolen und Handlungen erhalten. Vereinheitlichte Uniformen spiegelten ein
Bild des Bergmanns, was schon vor der Industrialisierung nur selten in der Praxis anzutreffen war, Vereinsfeste waren oft stark an religiöse Rituale gekoppelt. Zu den verschiedensten
Anlässen wurden Bergmannslieder gesungen, als bekanntestes Beispiel soll hier nur das
„Steigerlied“ mit dem Refrain „Glück auf, der Steiger kommt“ genannt werden, dessen Text
sich auf die Hierarchien unter Tage und die Kontrolle der Bergleute durch ihren Vorgesetzten, den Steiger, bezieht.
Auch im 20. Jahrhundert behielten die Knappenvereine ihre Relevanz im Ruhrgebiet, die
weiterhin stark durch Bergleute und ehemalige Bergleute geprägt waren. Gleichzeitig blieben auch die Bergmannsgesänge bedeutsam, auch beim Protest gegen Zechenschließungen in den 1960ern wurden diese immer wieder gesungen. Mit dem Strukturwandel wurden
die Knappenvereine mehr und mehr zu Organisationen, in denen vor allem ehemalige Bergleute ihren Bräuchen und Traditionen nachgingen. Die Mitgliederstruktur alterte und besteht
zu Beginn des 21. Jahrhunderts fast ausschließlich aus Rentnern.
aktuelle Ausübungsformen
Die Gesangstraditionen der Bergleute lebten jedoch in anderen Kontexten im Ruhrgebiet
weiter. Das Steigerlied wird etwa bei Heimspielen des Fußballclubs FC Schalke 04 vor
Spielbeginn im Stadion eingespielt. Herbert Grönemeyer, der wohl bekannteste Pop-Sänger
des Ruhrgebiets, stimmt bei Livekonzerten vor seinem Song „Bochum“ meist die erste Strophe des Steigerlieds an. Ähnliche Tendenzen gelten auch für das Saarland als zweiter Region Deutschlands mit starker Bindung an den Steinkohlebergbau sowie im Erzgebirge.
Auch hier sind die Knappen- oder Bergsmannsvereine stark überaltert, die Kultur der Bergmannsgesänge lebt jedoch weiter. Der Saarländische Rundfunk nutzte die Melodie des
Steigerlieds viele Jahre als Jingle des Senders, zahlreiche lokale und regionale Pop-Bands
haben dieses im Repertoire, es wird bei Stadtfesten gesungen und bei Tanzveranstaltungen
gespielt.
Mit der Ernennung Essens für das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt Europas 2010 gingen
zahlreiche Initiativen einher, um die Verbundenheit der Region mit dem Bergbau zu aktualisieren und in ihrer heutigen Relevanz aufzuzeigen. Nicht nur mit den „Schachtzeichen“212
wurde die Bedeutung der Zechen hervorgehoben, auch die Umnutzung vieler Industriebrachen zu Stätten des Kulturbetriebs steht in diesem Zusammenhang. Eine weitere Initiative
war der „!Sing - Day of Song“, der zum gemeinsamen Singen der Ruhrgebietsbevölkerung
aufrief. Die organisierende Institution Ruhr.2010 berichtet: „Über eine Million Menschen vernahmen am 5. Juni 2010 mit großer Spannung das landesweite Radiosignal, das zum Mitsing-Impuls für alle singbegeisterten Menschen wurde, ob auf Marktplätzen, auf Schiffen,
bei der Arbeit, im Auto oder im Krankenhaus. Alleine oder in der Gemeinschaft. Zwei Lieder
wurden nacheinander um 12.10 Uhr angestimmt: Das alte Steigerlied ‚Glück Auf‘ und die
212
http://www.schachtzeichen.de/
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 41
neue Hymne der Kulturmetropole: ‚Komm zur Ruhr‘ von Herbert Grönemeyer. GänsehautFeeling! Wir-Gefühl!“213 Hier zeigt sich, wie sehr die Bergmannsgesänge auch heute noch
die Gruppenidentität prägen. Ein innovativer Umgang mit der gewachsenen Tradition ermöglichte die Aktualisierung der Traditionen.
Die große Resonanz auf den „Day of Song“ zeigte sich schon im Kulturhauptstadtjahr
selbst, etwa wenn bei weiteren Großveranstaltungen wie dem „Still-Leben“ auf der Autobahn A40214 das Steigerlied von Teilnehmern an verschiedenen Stellen der Strecke gesungen wurde. Das gemeinsame Singen wurde auch von den Bildungseinrichtungen als Möglichkeit der kulturellen Bildung erkannt und in der Folge verstärkt praktiziert. 2012 fand eine
Folgeveranstaltung des „Day of Song“ mit über 50.000 aktiven Teilnehmern, verteilt über
das ganze Ruhrgebiet, statt.
Weitergabe und Gefährdung
Die Einbindung eines Liedes, welches für einen Großteil der Bevölkerung einer Region lange Zeit prägend war, in neue gesellschaftliche Bräuche und Rituale ist als vorbildliche Weitergabe und Weiterentwicklung zu sehen. Dabei wird Neues und Altes miteinander verbunden, denn nicht mehr Bergarbeiter singen das Steigerlied, sondern die gesamte Bevölkerung macht mit. Vielfalt und Kreativität sind dabei explizit gewollt. Ein gefährdetes Kulturmuster wird damit aktualisiert und mit neuer Bedeutung belegt. Das Vorgehen im Ruhrgebiet könnte modellhaft auch in andere Regionen mit ehemals hoher Prägekraft durch eine
Berufsgruppe übertragen werden.
thematische Bereiche
mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen in Verknüpfung mit gesellschaftlichen Bräuchen, Ritualen und Festen
Bezeichnung
Interkulturelle Imbisskulturen
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Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Imbissbetreiber und -personal; mögliche
Ansprechpartner wären etwa der Verein türkischer Dönerhersteller in Europa (ATDID)
oder das Deutsche Currywurst Museum Berlin, Imbiss-Konsumenten bzw. -Kunden
Deutschland mit Bezügen in die Herkunftsländer
Kurzbeschreibung
Nahrung vermittelt ein Gefühl der Identität, Geschmack wird kulturell gelernt. Als soziales
Totalphänomen ist Essen allgegenwärtig. Im Deutschland des 21. Jahrhunderts wird so viel
wie noch nie außer Haus verzehrt, das Essen unterwegs oder in Form eines Imbisses ist in
der mobilen Gesellschaft zum Mainstream geworden. Vor allem in der Folge von Migrationen hat sich eine interkulturelle Ernährungskultur ausgebildet, welche sich besonders in der
Imbisskultur zeigt. Seit den 1960er Jahren sind Pizza, Döner oder Gyros zunehmend feste
Bestandteile deutscher Nahrungskultur geworden. Gleichzeitig bestehen regionale Spezifika
in den Angeboten des Lebensmittelhandwerks, welche den Trend zum schnellen Essen
außer Haus aufgegriffen haben. Imbissformen wie Brat- und Currywurst oder Pommes Frites waren schon früher etabliert oder haben ihren Weg aus den Nachbarländern gefunden.
Insbesondere auch Mischformen und neuere Erscheinungen wie Sushi zeugen von der
Wandelbarkeit dieser kulturellen Ausdrucksform.
Historische Entwicklung
Aufbauend auf die bereits im 19. Jahrhundert existierenden Trinkhallen in Großstädten und
Arbeitervierteln entstand nach dem Zweiten Weltkrieg schnell eine Infrastruktur von Imbissbuden. Der Grund hierfür lag vor allem in einem veränderten Umgang mit der Verzehrsituation, ein Essen im Laufen wurde erst durch die Vorbildfunktion der alliierten Soldaten kulturell anerkannt und in der Folge in den eigenen Alltag übernommen. Das Angebot der oft
improvisierten Stände bestand zunächst aus Gerichten wie etwa Reibekuchen, die aus den
verfügbaren Lebensmitteln hergestellt wurden. Brühwürste kamen schnell hinzu, dann wurden aus den Niederlanden und Belgien die Pommes Frites übernommen. 1947 erfand laut
eigenen Angaben die Berlinerin Herta Heuwer die Currywurst aus den ihr im Mangel zur
Verfügung stehenden Zutaten. Auch ungarischer Gulasch war schon in den 1950er Jahren
als Imbiss erhältlich.
Der Durchbruch des interkulturellen Imbisses in den 1960ern kam jedoch mit dem Anwerben der ersten so genannten Gastarbeiter. Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und weiteren Ländern brachten zahlreiche Arbeitskräfte in die Bundesrepublik. Allen in der Folge auftretenden Imbissformen ist gemeinsam, dass die Speisen von
den Arbeitsmigranten mitgebracht und als ein Stück ihrer Heimat beibehalten wurden. Hier
zeigt sich besonders die Orientierungsfunktion von Nahrung, welche kulturell tradiert wird
und auch in unbekannten Situationen und Umgebungen ein Gefühl der Sicherheit und Kontinuität vermitteln kann. Schnell eröffneten einfache Gaststätten in Deutschland, die sich zu
Treffpunkten der Landsleute entwickelten und nach und nach auch deutsches Publikum
anzogen. Doch die Gerichte mussten an die erhältlichen Zutaten, Möglichkeiten der Zubereitung und den Geschmack der zunehmend auch deutschen Kundschaft angepasst werExemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 45
den. So wurde etwa der Döner Kebap, in der Türkei als Tellergericht mit Reis serviert, in ein
Fladenbrot verpackt und mit Salaten und Saucen ergänzt. Laut Medienberichten wurde diese Form 1972 von einem Gastarbeiter in Berlin erfunden, es gibt aber auch Berichte über
die Erfindung 1969 in Reutlingen. So war der Döner transportfähig und auch in kleinen Ladenlokalen verkäuflich. Etwa zeitgleich eröffneten erste Imbisse mit griechischem Gyros, der
in Griechenland ebenfalls als Tellergericht bekannt war. Auch chinesische Imbisse waren
seit den 1960er Jahren zunehmend zu finden, erste Restaurants hatten in Berlin bereits in
der Weimarer Republik bestanden. Die Pizza war in Italien bereits seit der Frühen Neuzeit
aus dem Straßenverkauf bekannt, sie verbreitete sich in Amerika und davon rückwirkend in
ganz Europa. Auch hier gaben die Arbeitsmigranten durch ihre Restaurants und Imbisse
den Ausschlag.
Diese Etablierung interkultureller Nahrungskomponenten wurde begünstigt durch zunehmende Urlaubsfahrten der Deutschen, welche auch Kontakte mit der Nahrungskultur des
Reiseziels mit sich brachten. Da diese Entwicklung mit der Massenmotorisierung und einer
Konsumwelle zusammenfiel, weckten die fremdländischen Imbissbuden und Restaurants
schnell das Interesse breiter gesellschaftlicher Gruppen. Ein Adaptions- und Innovationsprozess machte den Imbiss mit internationalen Speisen innerhalb weniger Jahre zum festen
Bestandteil der deutschen Nahrungskultur. Neben italienischen, griechischen und Restaurants weiterer Nationalitäten nahm gerade die Zahl der Imbisslokale, die dem Trend hin zu
einer schnellen und kostengünstigen Mahlzeit entsprachen, immer weiter zu. Die handwerklich arbeitenden Metzgereien sahen sich ab den 1980ern einem verstärkten Konkurrenzdruck durch Supermarktware ausgesetzt und erweiterten ihr Angebot auf Partyservice und
Imbissgerichte. Hier werden nicht nur Fleischprodukte wie Bratwurst und belegte Brötchen,
sondern auch Eintöpfe und insbesondere regionale Spezialitäten für den schnellen Verzehr
angeboten. So finden sich etwa die Mettwurst in Westfalen, der Labskaus in Norddeutschland oder das Leberkäs-Semmel im Süden. Diese Imbisse erfreuen sich seit den 1990ern
zunehmender Beliebtheit und haben sich teilweise zum Hauptgeschäft der Metzgereien
entwickelt. Dabei werden durch den starken Regionalbezug nicht nur touristische Bedürfnisse abgedeckt, sondern etwa für Alleinstehende ein Angebot von Speisen bereitgestellt, die
nur unter größerem Aufwand selbst zu kochen wären, in den Geschmackserinnerungen
jedoch fest verankert sind.
aktuelle Ausübungsformen
Heute bestehen zahlreiche Angebote der interkulturellen Imbisskultur. Die Pizza ist das in
Europa wohl am meisten verbreitete Gericht überhaupt und vom Tiefkühlprodukt bis zur
Sterneküche zu finden, sie ist aber auch in der Imbisskultur fest verankert. Anders verhält es
sich mit dem Döner, der weitestgehend auf den Imbissbereich begrenzt bleibt, sich hier jedoch größter Beliebtheit erfreut. Griechische Restaurants erlebten besonders in den
1980ern eine Konjunktur, heute ist der Gyros überwiegend als Imbiss erhältlich. Die Pommes Frites und alle Formen der Wurst, insbesondere als Curry- oder Bratwurst, sind ebenso
wie regionale Ausformungen der so genannten Hausmannskost in Metzgereien omnipräsent.
Neue Imbissgerichte wie etwa das Sushi entsprechen der Globalisierung insofern, als dass
nicht mehr Arbeitsmigranten ihre Geschmackserinnerungen aktualisieren, sondern ein internationaler Trend auf die deutschen Gegebenheiten angepasst wird. Je nach Migrationsbewegungen im 20. Jahrhundert und Ernährungsmustern der vorindustriellen und industriellen
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 46
Zeit existieren allerdings auch heute lokale und regionale Schwerpunkte im Angebot. Darüber hinaus bestehen Mischformen von verschiedenen Produkten, wie etwa die mit Döneroder Gyrosfleisch belegte Pizza. Zahlreiche Imbisse bieten Speisen aus unterschiedlichen
kulturellen Kontexten an, beispielsweise chinesische und italienische Gerichte auf einer
Speisekarte oder Pizzastücke in Metzgereiverkäufen. Innovationsprozesse verändern die
Gerichte, so dass sie mit dem aus der Heimat mitgebrachten Rezept oder der regionalen
Festspeise teils nur noch wenig gemeinsam haben.
Weitergabe und Gefährdung
Angesichts der unzähligen Imbissbetriebe und des durchgehend hohen Konsums kann von
einer Gefährdung der interkulturellen Imbisskultur keine Rede sein. Allerdings werden kleine
Betriebe mit eigenen Spezialitäten und frischer Zubereitung zunehmend von Fast-FoodKetten der Systemgastronomie verdrängt, die einheitliche Speisekarten global vermarkten.
Hierdurch sind regionale Spezifika, gewachsene Traditionen und Vielfalt des Speisenangebots gefährdet. Gleichzeitig finden Innovationen statt, so werden vegetarische Angebote
zunehmend auch im Imbiss zum Standard, hybride Formen ohne eindeutige Zuordnung der
nationalen Herkunft der angebotenen Speisen nehmen zu.
thematische Bereiche
gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste in Verknüpfung mit mündlich überlieferten Traditionen und Ausdrucksformen und traditionellen Handwerkstechniken
Bezeichnung
Gärtnerkulturen vom Schrebergarten bis zum Urban Gardening
Quellenverzeichnis
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09.07.2012, Der Stern: Urban Gardening. So ungesund ist das Stadtgemüse.239
15.06.2012, Die Zeit, Pia Volk: Mobile Gärten. Jäten und ernten auf dem Pick-up.240
10.06.2012,
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Erfahrungsbericht. Mein grünes Wunder.
Julia
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02.05.2012, Der Stern, Video-Beitrag, Sophie von Hoyningen-Huene: Grüne Stadtoasen.
Der Trend zum Kleingarten.243
20.04.2012, Der Stern, Katrin Schmermund: Urban Gardening. Wenn die Plastiktüte wieder
blüht.244
16.04.2012, Die Welt, Christin Bohmann: "Samenbombe". Wie Guerilla-Gärtner illegal Städte begrünen.245
11.11.2011, Die Welt, Maria Braun: Gemüse ernten in der Großstadt.246
08.11.2011, Die Welt, Roland Mischke: Schrebergarten. Warum immer mehr Deutsche
Hobby-Gärtner werden.247
28.08.2011, Die Welt am Sonntag, Stephanie Geiger: Münchens Hobbygärtner zieht es aufs
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31.07.2011, Die Welt, Stefan Kaufmann: Guerilla-Gardening. "Mobile Gärten sind auch soziale Projekte".249
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Verk, Sabine: Laubenleben. Eine Untersuchung zum Gestaltungs-, Gemeinschafts- und
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Laufendes Forschungsprojekt: „Gärten für alle - Gemeinschaftsgärten in Westfalen“, Volkskundliche Kommission für Westfalen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL)287
Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Gärtnernde
Deutschland mit regionalen und lokalen
Schwerpunkten
Mögliche Ansprechpartner: Bundesverband
Deutscher Gartenfreunde (BDG)288
Kurzbeschreibung
Der kleine Nutzgarten hinter dem Haus für den eigenen Bedarf ist in Städten und ländlichen
Regionen gleichermaßen nur noch selten zu finden. Schrebergärten hingegen haben ungebrochenen Zulauf, wie Wartelisten für mehrere Jahre im Voraus belegen. Doch abseits von
diesem organisierten Gärtnern breiten sich Formen des so genannten Urban Gardening
immer weiter aus. Brachflächen werden bepflanzt, kleine Balkone zu grünen Oasen gemacht und öffentliche Gärtnerflächen erfreuen sich regem Zulauf, sogar Äcker werden parzelliert angemietet. Diese Rückbesinnung auf die Ursprünge des Essens, die Herkunft unserer Konsumgüter und die freiwillige körperliche Tätigkeit im Rahmen des Anbaus sind Reflex
und Gegenbewegung auf die beschleunigte Welt gleichzeitig, sie knüpfen an bekannte Kulturmuster an und belegen diese mit neuer Bedeutung: die lästige Pflicht wird zum Freizeitvergnügen, sogar zum Prestigeobjekt.
Historische Entwicklung
Gärten zum Anbau von Nahrungsmitteln bestanden schon in den frühen Hochkulturen, bereits hier wurden die Nutzflächen auch mit Zierpflanzen bepflanzt. Gerade im ländlichen
287
288
http://www.lwl.org/LWL/Kultur/VOKO/Forschungsprojekte/Gemeinschaftsgarten
http://www.kleingarten-bund.de/
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 52
Raum blieb der Garten vor dem Haus zur Versorgung der Familie neben den landwirtschaftlichen Nutzflächen bedeutend. In den Städten blieb spätestens seit dem ausgehenden Mittelalter immer weniger Platz für diese privaten Flächen.
Im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert veränderte sich die Gartenkultur und -gestaltung
sich insgesamt weg von den geometrischen Linien der höfischen Gärten hin zu naturnahen,
eher bürgerlich geprägten Landschaftsarchitekturen. Damit einher ging auch die Entwicklung vom öffentlichen, einsehbaren Garten hin zum privaten Raum des Rückzugs und der
Entspannung. Die Grünfläche wurde jetzt nicht mehr nur zum Anbau von Obst und Gemüse
genutzt, sondern auch zur Erholung und Freizeitgestaltung. Die neue „Gartenlust“ führte zu
einem regelrechten Boom von Gärten auch bei den Stadtbewohnern. Enge, Arbeitsalltag
und strengen Verhaltensnormen konnte hier „hinaus in die Natur“ entflohen werden.
Dezidiert von der Wohnung getrennt angelegte innerstädtische Gärten entstanden erst im
19. Jahrhundert als Armen- oder Arbeitergärten konzipiert und sollten den kostengünstigen
Verzehr von frischem Obst und Gemüse fördern. Schrebergärten entstanden in der Folge
vorrangig als Instrument zur Verbesserung der Ernährungs- und Wohnsituationen armer
Bevölkerungsschichten, sie wurden von städtischen oder karitativen Institutionen gegründet
und waren Teil der Existenzsicherung. In seiner Geschichte wurde der Kleingarten jedoch
zunehmend vom nutzungs- zum freizeitorientierten Raum. Mit der zunehmenden Industrialisierung wurde der Platz für neue Gartenanlagen zunehmend knapper. Gleichzeitig wurden
gerade in den neuen Industrieregionen mit vielen Zuwanderern aus dem ländlichen Bereich
verstärkt Nutzgärten in unmittelbarer Nähe der Arbeiterwohnungen bereitgestellt, um die
knappen Löhne durch Subsistenzwirtschaft ergänzen zu können. So gehörte beispielsweise
in der Anwerbestrategie der Industriellen im Ruhrgebiet gerade die Existenz von Gärten und
Ställen in den Arbeiterkolonien zu den in den Herkunftsregionen der Arbeiter beworbenen
Vorteilen. Der Name des Schrebergartens stammt vom Leipziger Orthopäden Daniel Gottlob
Moritz Schreber, welcher die Gartenarbeit als Ausgleich für einseitige körperliche Belastungen propagierte. Sein Freund Ernst Innocenz Hauschild benannte 1864 nach dessen Tod
den ersten Schreberverein in Leipzig nach ihm. Hier waren Beete angelegt, aber auch
Spielplätze für Kinder auf den Gemeinschaftsflächen. Damit war das Motiv der Selbstversorgung um das Motiv der körperlichen Betätigung ergänzt.
Schon in dieser Zeit wurden Kleingartenkolonien elementarer Bestandteil der städtischen
Grünflächenplanung, denn neben den privaten Parzellen war die Nutzung der öffentlich zugänglichen Wege auch für Spaziergänge anderer Stadtbewohner vorgesehen. Die Bedeutung der Gärten auch in der öffentlichen Wahrnehmung dieser Zeit zeigt sich beispielsweise
darin, dass der Titel der wohl bekanntesten deutschen Zeitschrift des 19. Jahrhunderts „Die
Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt“ lautete. Titel und Inhalt bezogen sich auf das Private, das Innenleben der Familien: unterhaltsame Bildung in Form von Berichten, praktische
Anleitungen und Literatur waren an eine breite Leserschaft gerichtet, die Auflagenstärke lag
in der zweiten Jahrhunderthälfte weit über 100.000 Stück.
In der Weltwirtschaftskrise konnten sich Arbeitslose teilweise keine Wohnung mehr leisten
und die Laube wurde zur Behelfswohnung. Das soziale Zusammenleben war hier intensiver,
gerade durch die größere Offenheit der Gartengrundstücke und den geringen Platz in den
Innenräumen, doch auch die gemeinsame Not verband. Berthold Brecht stellte diesen Alltag
im Film „Kuhle Wampe oder wem geht die Welt“ 1932 anschaulich der Weltöffentlichkeit vor.
Gerade in Zeiten von Not und Mangel wurde die Funktion der existenzsichernden SubsisExemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 53
tenzwirtschaft in den Kleingärten immer wieder zentral, insbesondere während der beiden
Weltkriege und in der Nachkriegszeit. In den Städten, in welchen die Lebensmittelknappheit
besonders fatale Folgen hatte, war die Möglichkeit des eigenen Anbaus überaus wertvoll.
Lauben dienten dabei zudem abermals als Notunterkünfte. Gemüse- und Kartoffelanbau
war beispielsweise während der Berlin-Blockade 1948/49 ein verbreitetes Mittel der Selbsthilfe: nicht nur in den Schrebergärten, auch auf Balkons und Brachflächen sowie in öffentlichen Grünflächen wurden Lebensmittel angebaut, um den Hunger zu stillen.
Erst mit dem einsetzenden Wirtschaftswunder verlor die Existenzsicherung durch die Gartenparzelle wieder an Bedeutung. In den 1960ern kam es in der Folge zu einem Funktionswandel hin zu verstärkter Nutzung in Freizeit und Erholung. Dabei spielte auch die Kompensation fehlender Orte gerade für die einkommensschwachen Schichten eine zentrale Rolle.
Nach einem kurzen Einbruch der Zahlen gibt es seit den 1970ern wieder eine steigende
Zahl von Schrebergärten in Deutschland.
Eine besonders hohe kulturelle Wertschätzung kam dem Schrebergarten, der so genannten
Datsche, in der DDR zu. Hier konnte die Parzelle – anders als die Mietswohnung – individuell und nach außen sichtbar gestaltet werden, hier konnte gebaut und gewerkelt werden. Die
Grundstücke, insbesondere aber die darauf stehenden Gebäude wurden deshalb oft mit viel
Liebe und Leidenschaft ausgebaut und für die Abende, Wochenenden und Ferien hergerichtet. Gleichzeitig konnte das Nahrungsangebot durch eigenen Anbau ergänzt werden, viele
Gärtner verkauften ihre Produkte darüber hinaus sogar an den Handel. Dies war über den
staatlichen Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK) staatlich geregelt.
Galt die Datsche in den 1950ern noch als kleinbürgerliches Relikt, welches bald überwunden sein sollte, so entwickelten sich die Kleingärtner bald zu einem wichtigen Bestandteil
der Versorgungsstruktur für Obst und Gemüse. Die staatliche Planung sah immer weitere
Erschließungen von neuen Anlagen vor, dabei wurden kinderreiche Familien in der Regel
bevorzugt. Oft wurden diese Kleingartenkolonien in unmittelbarer Nähe zum Wohnraum,
etwa der Plattenbausiedlung, geplant, um eine tägliche und dementsprechend intensive
Nutzung zu ermöglichen. Andere Datschen lagen außerhalb der Städte und dienten eher
der Wochenendnutzung. Mit 2,6 Millionen Wochenendgrundstücken und fast einer Millionen
Kleingärten hatte die DDR die höchste Dichte an Gartengrundstücken in der ganzen Welt.
aktuelle Ausübungsformen
Der Trend auch der jüngeren Generation geht zum eigenen Garten in Form eines Schrebergartens. Gerade die Nachfrage von jungen Familien mit Kindern, welche sich in Städten nur
selten ein eigenes Haus mit Garten oder eine entsprechende Wohnung mieten können, ist
hoch. Dazu kommen Menschen mit Migrationshintergrund, die ein verstärktes Interesse
auch an der Subsistenzwirtschaft im eigenen Garten haben. Diese Nachfrage belegen unter
anderem die teils jahrelangen Wartelisten der Kleingartenvereine. Damit ändert sich auch
das verbreitete Stereotyp des Schrebergartens als Hort der Spießigkeit und der Gartenzwerge. Das Stereotyp des spießigen Gärtners mit Gartenzwerg wird kontrastiert durch den
hilfsbereiten und oft freundschaftlichen Umgang untereinander. Hier zeigt sich beispielhaft,
wie unterschiedlich Selbst- und Fremdbilder sein können. Die Sozialstruktur der Pächter
ändert sich, der Altersdurchschnitt sinkt. Mittlerweile werden rund die Hälfte aller Schrebergärten an Familien mit Kindern verpachtet. Derzeit gibt es mehr als eine Millionen Kleingärten in Deutschland, Tendenz steigend.
In den Schrebergärten galten und gelten feste Regeln, die Gärten sind in Vereinsform orgaExemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 54
nisiert. Gartenordnungen regeln die Nutzung bis in Details, so muss etwa ein bestimmter
Prozentsatz der Parzelle tatsächlich mit Nutzpflanzen bepflanzt werden. Dafür sind die Parzellen jedoch vergleichsweise günstig zu mieten. Es wird zwar in den einzelnen Parzellen
gegärtnert und gelebt, doch der Verein organisiert auch gemeinsame Aktivitäten vom Vereinshaus bis zu großen Gartenfesten.
Das Grundstück im Schrebergarten und das dort befindliche Gartenhaus nivellierten und
nivellieren soziale Unterschiede: jeder Pächter erhält eine Parzelle, die Bauten folgen einheitlichen Vorschriften. Nach außen gerichtet, nur als Rückzugsraum und Abstellgelegenheit
konzipiert, sind die Gartenhäuser und -lauben offener gehalten als Wohnräume, große
Fenster und Glasflächen sind einfacher möglich, da in der Regel nicht geheizt wird.
Der Kleingarten in einer Großstadt bildet ein Subsystem innerhalb des Städtischen, welches
spezifische Aneignungen ermöglicht, er ist ein rein städtisches Phänomen. Die Kleingärtner
werden oft mit der Gruppe der Dauercamper verglichen, denn beiden wird zugeschrieben,
dass sie mit ihrer Parzelle die heimische Wohnform durch ein provisorisches, temporäres
Wohnumfeld kompensieren und ungezwungen Zeit in der Natur verbringen möchten. Beide
Gruppen verorten sich zudem in einem sozialen Raum und legen sich auch geografisch
relativ langfristig fest. Die meisten Kleingartenparzellen werden von Menschen aus dem
unmittelbaren Nahraum gepachtet, so dass der Garten ohne große Fahrwege in den Alltag
integriert werden kann.
Die eigene Ernte ermöglicht neben dem sichtbaren Erfolg der eigenen Arbeit auch die Erfahrung geschmacklicher Unterschiede, welche zu einer höheren Wertschätzung des
Selbstangebauten führen. Neben der äußeren Form des Gärtnerns kommen weitere Aspekte hinzu, die den Alltag im Garten von dem im weiteren Umfeld unterscheiden: die Kleidung
ist legerer, die Umgangsformen informeller. Auch die Nahrungsgewohnheiten werden auf
die oft nur begrenzten Kücheneinrichtungen angepasst, häufig kommt dem Grill eine hohe
Bedeutung zu. Ähnliches gilt auch für die Schlaf- und Hygienestellen. Dazu kommt das beständige Leben unter freiem Himmel.
Die soziale Lage wird in der Kleingartenanlage zunächst einmal nivelliert - alle erhalten die
gleiche Parzellengröße, alle sind Mitglied im selben Verein, für alle gilt die gleiche Gartenordnung. Gleichzeitig wird der Raum klar nach außen abgegrenzt, etwa durch Hecken und
Tore. Aber durch die individuelle Ausstattung und Pflege des Grundstücks setzen sich die
Gärtner trotz einer vereinheitlichenden Gestaltungssatzung wiederum voneinander ab, hier
greifen Symbole und Zuschreibungen ähnlich wie in Nachbarschaften. Auch die Flächen der
Schrebergärten werden für spezifische, wiederum private Freizeitaktivitäten genutzt. Eine
Sitzecke mit Grill, ein Schwimmbereich oder Sportgeräte sind dabei nur einige Möglichkeiten. Dieser private Raum zur freien Gestaltung entfällt beim Urban Gardening weitestgehend. Verschiedene Projekte haben zwar Gemeinschaftsflächen unterschiedlicher Größe
und Nutzungsintensität installiert, private Räume ohne die primäre Nutzung als Anbaufläche
gibt es jedoch in der Regel nicht.
Gärten bedürfen kontinuierlicher Pflege, da sie bereits nach kurzer Vernachlässigung beginnen zu verwildern. Sie sind somit mit der mobilen Gegenwartskultur nur bedingt zu vereinbaren. Diesem Problem kommen Konzepte wie das Urban Gardening entgegen: hier wird
nur temporär gegärtnert, oft in gemeinschaftlichen Aktionen. Für Zeiten der Abwesenheit
kann, unkomplizierter als für die großen Schrebergarten-Flächen, eine Vertretung organisiert werden. So werden beispielsweise die Freiflächen des ehemaligen Flughafens TemExemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 55
pelhof in Berlin auch durch öffentliche Gärten des Stadtteilzentrums genutzt. Andere Städte
geben Flächen für Projekte des interkulturellen Gärtnerns frei, bei denen explizit Menschen
mit unterschiedlichen Herkunftsländern angesprochen werden, die hier gleichzeitig kostenlos Gemüse anbauen, neue Sozialkontakte knüpfen und interkulturelle Kompetenzen erwerben können.
Guerilla Gardening unterscheidet sich in seiner Form von den anderen Gärten darin, dass
es nicht auf hierfür vorgesehenen Flächen stattfindet: die Subkultur nutzt brachliegende
Fläche auf noch so engem Raum, um dort illegal Samen zu streuen oder Blumen einzupflanzen. Hier spielen keine Selbstversorgung oder Sozialkontakte eine Rolle, vielmehr geht
es um eine politische Inanspruchnahme der öffentlichen Flächen, die als zu wenig grün bezeichnet werden. Mit „Saatbomben“ werden auch auf kleinen Erdflächen, wie Baumeinfassungen oder Lücken im Straßenpflaster, Grünpflanzen gesät, die meist Blüten tragen und so
in den Sommermonaten deutlich sichtbar sind. Doch auch die bürgerlichere Form des Bepflanzen und Pflegens etwa der Baumumrandung vor der eigenen Haustür nimmt in den
letzten Jahren deutlich zu.
Während in den 1980ern und 1990ern Kleingärtner weiterhin vorwiegend den mittleren und
niedrigen Einkommensschichten entsprachen, gibt es heute auch den Trend der Besserverdienenden zum Schrebergarten als einer Form der „Rückkehr zur Natur“. Doch Schrebergärten werden weiterhin eher von Geringverdienern gepachtet. Denn es muss auch Zeit
vorhanden sein, um den eigenen Garten zu pflegen und zu nutzen. Dem kommen Konzepte
entgegen, bei denen Teile der Arbeit durch professionelle Landwirte erledigt werden. So gibt
es mittlerweile Anbieter, die ein vorbepflanztes Stück Acker in Stadtnähe für eine Saison
verpachten, so dass nur noch gejätet und geerntet werden muss. Diese flexiblen Lösungen
kommen auch der mobilen Gesellschaft entgegen, in der die langfristige Bindung an einen
Schrebergarten eher sesshaften Bevölkerungsgruppen wie Familien möglich ist.
In den letzten Jahren kommt es zu einem regelrechten Boom sowohl von klassischen als
auch von neuen Formen des „Gardening“, entsprechend viele Medienberichte lassen das
öffentliche Interesse erkennen.
Weitergabe und Gefährdung
Von einer Gefährdung der Gärtnerkulturen kann angesichts des aktuellen Booms nicht die
Rede sein. Mit den heute unterschiedlichen Gartenkulturen werden ländlich-agrarische Elemente in die Stadt übertragen. Sie ermöglichen so die Partizipation am Anbau auch für
Menschen, die sonst nur schwer einen direkten Bezug zur ihren Nahrungsmitteln erhalten
könnten. Hier liegt auch ein Potential der Gärtnerkulturen: sie fördern die aktive Auseinandersetzung mit der umliegenden Natur und ermöglichen so erfahrungsbasierte Lernprozesse, welche zu einem nachhaltigeren Verhalten des Einzelnen führen können. Auch für die
formalen Bildungsprozesse bieten sich hier Vermittlungsmöglichkeiten. Das zweite Potential
der Gärtnerkulturen liegt in der Kommunikation der Gärtner untereinander: in informellen, oft
kurzen Gesprächen entstehen Kontakte zwischen Menschen unterschiedlicher sozialer
Gruppen, die etwa im Wohnraum so nicht zustande kommen würden. Gerade Projekte wie
Stadtteilgärten oder interkulturelle Gärten sind hier als exemplarisch zu nennen. Die Funktion der Subsistenzwirtschaft wird somit abgelöst durch das Ausgleichen von Defiziten auch
sozialen Umfelds, der Naherholung ohne Konsum, des direkten Bezugs zur eigenen Nahrung und der Gemeinschaftsorganisation.
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 56
thematische Bereiche
Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum
Bezeichnung
Wandern und Bergsteigen
Quellenverzeichnis
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30.12.2012, Welt am Sonntag, Friederike Gehlenborg: Damit der Aufstieg zum Gipfel gelingt.290
30.12.2012, Welt am Sonntag: Geld für die Schutzhütten.291
15.10.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Antonia Mauersberg: Frankfurter Alpenverein
Dort oben geht es nicht mehr weiter.292
28.09.2012, Die Welt, Holger Kreitling: Zum Gipfel, zur Freiheit.293
26.09.2012, Die Zeit, Manuel Andrack: Auf dem Vormarsch.294
16.09.2012, Süddeutsche Zeitung, Christian Sebald: Modesport Wandern. Trend nach
oben.295
06.09.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Lesti: Bergsteiger-Posse. Das ist der
Gipfel, oder ist er es nicht?296
01.09.2012, Die Welt, Sören Kittel: „Berge wollen nichts von uns, sie sind einfach da“. Interview mit Reinhold Messner.297
26.07.2012, Die Zeit, Till Hein: Wanderzeiten. Wann bin ich endlich da?298
19.07.2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Melanie Mühl: Moderner Alpinismus. Wenn der
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09.07.2012, Der Spiegel: Bergsteigen. Absolut trittsicher sein.300
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 57
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19.05.2012, Die Welt, Matthias Pieren: Zug um Zug ins Panorama.302
15.05.2012, Süddeutsche Zeitung, Dominik Prantl:
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Kritik
an berühmten Extrem-
22.12.2011, Die Zeit, Roland Knauer: Von Hütten und Menschen.304
30.09.2011, Die Welt, Holger Kreitling: In den Bergen ist das Staunen allen gleich.305
29.08.2011, Der Spiegel: Extrembergsteigen. Große Leistung.306
08.08.2011, Die Welt, Holger Kreitling: Wandervereine suchen Mitglieder.307
05.08.2011, Die Welt, Holger Kreitling: Deutsche nehmen Wandern ernst – anders als Italiener.308
04.07.2011, Der Spiegel: Bergsteigen. Auf allen Gipfeln.309
21.04.2011, Der Spiegel, Ralph Müller-Gesser: Bergwandern: Wie die Höhe den Körper
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17.04.2011, Welt am Sonntag, Axel Heuber: „Wir hängen am Leben“.311
31.01.2011, Die Zeit, Manuel Andrack: Mit dem Klemmbrett ins Unterholz.312
25.11.2010, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bernd Steinle: Extrembergsteigen. Eisiger
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13.10.2010, Die Zeit: Tourismus-Studie. Wandern ist der Deutschen Lust.314
27.09.2010, Der Spiegel: Extrembergsteigen. Vater Morgana.315
05.09.2010, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Stephanie Geiger: Klettersteige. Auf tausend
Stufen ins Blaue hinein.316
08.08.2010, Welt am Sonntag, Stephanie Geiger: Immer schön am Stahlseil entlang.317
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 58
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17.05.2010, Süddeutsche Zeitung, Hans Gasser: Wandern in Deutschland. Müllers Lust.319
17.05.2010, Süddeutsche Zeitung, Stefan Herbke: Bergsteiger-Träume. Einmal auf einen
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17.05.2010, Süddeutsche Zeitung, Karl Forster: Gipfelkonferenz. „Wer in die Berge geht,
braucht ein Konzept“.321
17.05.2010, Süddeutsche Zeitung, Dominik Prantl: Kommerzielles Bergsteigen. Rückzug
vom Gipfel.322
11.05.2010, Süddeutsche Zeitung, Katharina Bromberger: Bergsteigen. Mit Geld auf den
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11.05.2010, Süddeutsche Zeitung: Sparzwang. Der Weg ist nicht mehr das Ziel.324
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20.08.2009, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Maximilian Lüderwaldt und Laura Schöffel:
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10.02.2009, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Johanna Stöckl: Extremklettern. Auf den Spitzen des Eisbergs.327
07.08.2008, Die Welt: Die Berge, die Sportler und der Tod.328
07.08.2008, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Michaela Seiser: Kommerzialisiertes Bergsteigen. Das Geschäft mit dem Höhenrausch.329
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Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
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Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 59
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334
http://www.zeit.de/1999/06/Des_Wanderers_Wandlung
http://www.welt.de/print-welt/article635766/Kilometerfresser-Schnellgeher-Muessiggaenger.html
336
http://www.zeit.de/1990/12/der-weg-ist-das-ziel/komplettansicht
337
http://www.wanderverband.de/conpresso/_data/Geschichte_des_DeutschenWanderverbandes.pdf
335
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 60
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Lauterbach, Burkhart: Tourismus. Eine Einführung aus Sicht der volkskundlichen Kulturwissenschaft. 2. Auflage Würzburg 2008.
Lipp, Wolfgang: Alpenregion und Fremdenverkehr: Zur Geschichte und Soziologie kultureller Begegnung in Europa, besonders am Beispiel des Salzkammerguts. In: Zeitschrift für
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Pöttler, Burkhard (Hg.): Tourismus und Regionalkultur. Referate der Österreichischen
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1987.
Spode, Hasso: Zur Geschichte des Tourismus. Eine Skizze der Entwicklung der touristischen Reisen in der Moderne. Starnberg 1987.
Tschofen, Bernhard: Atmosphären der Gastlichkeit. Konstruktion und Erfahrung kultureller
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Tschofen, Bernhard: Berg, Kultur, Moderne: Volkskundliches aus den Alpen. Wien 1999.
Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
Wandernde, Bergsteigende
Deutschland und Europa
Mögliche Ansprechpartner: Deutscher Wanderverband339, Deutscher Alpenverein340
Kurzbeschreibung
Wandern und Bergsteigen hat sich im Verlauf der letzten beiden Jahrhunderte zu einem
Massenphänomen entwickelt, welches in engem Zusammenhang zur Naturwahrnehmung
und -wertschätzung steht. Mit der Industriellen Revolution wandelte sich die Wahrnehmung
der Natur von einer Bedrohung hin zu einem Ort der Erholung. Mit der Fortbewegung zu
Fuß wird zugleich eine sportliche Betätigung ausgeübt, wo zuvor eine beschwerliche Reise
notgedrungen auf sich genommen wurde. Auf der Reise werden zudem interkulturelle Kontakte sowohl unter den Reisenden als auch mit der gastgebenden Bevölkerung vor Ort hergestellt.
Historische Entwicklung
Mit der Romantik änderte sich im 19. Jahrhundert auch die Vorstellung von Natur. War diese in der vorindustriellen Zeit vorrangig als Bedrohung und zugleich als Grundlage der
Landwirtschaft gesehen worden, so entwickelte sich mit der Industrialisierung auch eine
touristische Erschließung der Natur. Erst mit der Trennung in Arbeits- und Freizeit war eine
338
http://www.ieg-ego.eu/de/threads/europa-unterwegs/tourismus/burkhart-lauterbach-der-berg-ruftalpentourismus-und-kulturtransfer-seit-dem-18-jahrhundert
339
http://www.wanderverband.de/
340
http://www.alpenverein.de/
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 61
als solche wahrgenommene Reise möglich geworden, die zuvor nur wenigen Mitgliedern
des Adels vorbehalten war. Die verbesserte Erreichbarkeit der touristischen Ziele, vor allem
mittels des neuen Verkehrsmittels Eisenbahn, war hierfür eine zentrale Bedingung.
Die Fußreise war in der frühen Neuzeit vor allem mit Last und Mühsal in Verbindung gebracht worden: nur, wer sich kein anderes Fortbewegungsmittel leisten konnte wählte den
Weg zu Fuß. Nicht nur Handwerksgesellen, auch Hausierer, Schausteller und Arme legten
so ihre Wege zurück, ebenso viele Bauern mit ihren Waren. Das Reisen war dabei zweckgerichtet und diente keineswegs dem Vergnügen, vielmehr wurde es als Last und Gefahr
angesehen. Auf schlechten Wegen, ohne Kartenmaterial oder Wegweiser war die Wanderung zudem sehr beschwerlich. Dies galt auch für die Überquerung der Alpen, welche aus
militärischen Erwägungen und für Pilgerfahrten notwendig war.
Um 1800 begann sich dieses Bild, maßgeblich beeinflusst von der Aufklärung, zu wandeln.
Die Fortbewegung durch die Landschaft wurde zunehmend zu einer Erfahrung, zu einer
Wahrnehmung auch der Natur. In Literatur und Kunst nahmen Reisebeschreibungen und
Landschaftsmalerei immer weiter zu. „Land und Leute“ bei der Fußreise kennen zu lernen
und zu beschreiben wurde zu einem Diktum bürgerlicher Kultur. Der Spaziergang, als kurze
Reise auch in der heimischen Umgebung umsetzbar, wurde ebenfalls von der notwendigen
Fortbewegung hin zu Erholung und Kontemplation umgedeutet. Das Bürgertum, zunehmend
auch die Arbeiter, machten sich in ihrer freien Zeit auf den Weg in die nahegelegenen
Grünanlagen und Promenaden.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann, von England ausgehend, das Bergsteigen und Wandern gerade in den Alpen immer mehr an Popularität. Nachdem in den Jahrzehnten zuvor vor allem die erstmalige Erkundung der Berge im Mittelpunkt des Interesses
gestanden hatte, gewann nun die Freizeitorientierung und sportliche Betätigung immer mehr
an Bedeutung. In der Folge wurden in ganz Europa Alpenvereine gegründet: 1857 in England, 1862 in Österreich, 1863 in der Schweiz, 1867 in Italien, 1869 in Deutschland, 1874 in
Frankreich. Die Mitglieder entstammten zum größten Teil dem Bürgertum, welches sowohl
über die zeitlichen als auch die entsprechenden ökonomischen Ressourcen verfügte, um
einen Wanderurlaub zu unternehmen. 1883 wurde auch der Dachverband der deutschen
Gebirgs- und Wandervereine als Zusammenschluss verschiedener regionaler Vereine gegründet. Das Wandern und Bergsteigen wurde dabei stets in Gruppen ausgeübt. Die gemeinsame Erfahrung war zentraler Bestandteil der Reise, welche oft in Form von Reiseberichten verschriftlicht wurde.
Mit dem beginnenden Massentourismus veränderte sich auch die Alpenregion als solche.
Nicht nur, dass immer mehr Einheimische zumindest in den Sommermonaten als Bergführer
eine Verdienstmöglichkeit fanden oder Gästezimmer vermieteten, zunehmend wurden auch
Hinterlassenschaften der Bergsteiger sichtbar: Abfall und verlorene Gegenstände blieben
zurück, gleichzeitig entwickelten sich immer mehr Routen, die von den Reisenden häufig
genutzt wurden und dementsprechend das Landschaftsbild veränderten. Kritik wurde laut an
der Dominanz wirtschaftlicher Interessen, Übererschließung und Zersiedelung, Umweltbelastung und ästhetischen Verschandelung sowie der Zunahme von Naturkatastrophen wie
etwa durch Menschen verursachte Lawinen. Dem gegenüber standen der wirtschaftliche
Nutzen, welcher für die strukturschwachen Regionen enorm war, und das zunehmende Interesse der Reisenden.
Um 1900 war der Deutsche Alpenverein auf rund 100.000 Mitglieder angewachsen. Neben
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 62
der Herausgabe einer Zeitschrift wurden die Aktivitäten vor allem auf den Ausbau von Wanderwegen und -hütten konzentriert, so dass sich ein zunehmend erschlossenes Netz in den
Bergen entwickelte. Für andere Wanderregionen übernahm der Deutsche Wanderverband
die Aufgaben der Wegeführung und Ausschilderung sowie den Bau von Aussichtstürmen
und Wanderhütten. Schon seit den 1920ern setzten sich beide Verbände auch für den Naturschutz ein. Nachdem sich im Nationalsozialismus vor allem die Mitgliederstruktur hin zu
„arischen“ Bergsteigern gewandelt hatte wurden Alpenverein und Wanderverband bereits
1950 für Westdeutschland neu gegründet, nach 1989 bildeten sich neue Sektionen auch in
Ostdeutschland. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rückten Jugendarbeit und Naturschutz weiter in den Fokus der Aktivitäten. Auch im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert
blieb der Massentourismus dabei auf bestimmte Regionen und Jahreszeiten beschränkt.
Die Natur als ästhetischer Genuss, als Sehnsuchtsort des Bürgertums und die freie Entfaltung in der Natur standen und stehen im Zentrum des Interesses der Bergsteiger und Wanderer.
aktuelle Ausübungsformen
Touristisches Verhalten zielt darauf ab, eine Gegenwelt zum Alltag zu erschaffen und sucht
das Außergewöhnliche. Gleichzeitig ist es stark ritualisiert und rekonstruiert die eigene Alltagswelt in anderen Kontexten. Durch Tourismus findet ein Austausch statt, der Horizont
wird erweitert. Auf Reisen werden dabei vorrangig das Außergewöhnliche, das Grenzenlose
und das Erlebnis gesucht. Gerade bei der fußläufigen Durchquerung der Landschaft in Form
von Wandern oder Bergsteigen ist das Motiv der Naturerfahrung zentral: die Einzigartigkeit
des Erlebnisses und die Schönheit der Natur sind in der Regel entscheidend für die Wahl
einer solchen Reise, hinzu kommen sportliche oder gesundheitliche Aspekte. Auch der Tourismus zu den extremen Höhen dieser Welt hat sich mit insgesamt wachsender Mobilität
und Risikobereitschaft zu einem Massenphänomen entwickelt. Immer neue Herausforderungen werden in den Bergen der ganzen Welt gesucht. Immer wieder kommt es in diesem
Zusammenhang zu Unglücken auch mit tödlichen Folgen.
Mit dem Wandern und Bergsteigen ist jedoch eine weitere wichtige Funktion verbunden:
jene des interkulturellen Austausches. Auf den Wanderwegen, aber auch in den Hütten und
Gaststätten, treffen Wanderer und Bergsteiger unterschiedlicher Nationalitäten und Gesellschaftsschichten aufeinander. Sie alle sind aus ihrem Alltag ins Außergewöhnliche aufgebrochen, um neue Perspektiven und Erholung zu finden. In der langsamen Bewegung bleibt
genug Zeit für den Austausch. Durch die gemeinsame Unterbringung verlieren soziokulturelle Unterschiede temporär an Bedeutung, Kontakte werden neu geknüpft. Gerade
durch das Wandern und Bergsteigen in Gruppen wird dieser Austausch noch gefördert, sind
doch ohnehin mehrere Menschen gemeinsam unterwegs. Gleichzeitig lernen die Reisenden
im Kulturkontakt die Lebensstile und -bedingungen der Einheimischen kennen.
Der Tourismus ist heute auch ein bedeutender Wirtschaftszweig. Gerade in den Alpen und
den deutschen Mittelgebirgen sind große Teile der Bevölkerung vom Gastgewerbe wirtschaftlich abhängig. Im ländlichen Raum ist der Tourismus deshalb mit der Schaffung von
Arbeitsplätzen und Infrastruktur auch ein wichtiger Faktor regionaler Entwicklung. Daraus
entsteht eine spezifische Kultur der Gastlichkeit, aber auch der Inszenierung von regionalen
Spezifika, wie sie sich etwa auf Speisekarten oder in Heimatmuseen zeigt. Als Gegenbewegung zielen Konzepte des sanften Tourismus seit den 1990er Jahren darauf ab, die kulturellen Spezifika der jeweiligen Region zu erhalten und zugleich ein naturnahes Reisen ohne
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 63
Umweltschäden zu ermöglichen.
Wandern und Bergsteigen erfreut sich großer Beliebtheit, was sich nicht nur in den Mitgliederzahlen der Vereine zeigt; so hat etwa der Deutsche Alpenverein mittlerweile rund eine
Million Mitglieder. Dieser ist auch heute zentraler Träger der Infrastrukturen vor Ort, gleiches
gilt für den Deutschen Wanderverband in den Wanderregionen außerhalb der Alpen. Instandhaltung und Ausbau von Wegenetz und Hüttenwesen sind neben der sportlichen Organisation Aufgaben, die im engen Zusammenhang mit einem Schutz der Naturräume gesehen werden.
Weitergabe und Gefährdung
Wandern und Bergsteigen werden jährlich von tausenden Menschen praktiziert, eine Gefährdung des Kulturmusters ist also nicht gegeben. Durch die organisierte Jugendarbeit von
Alpenverein und Wanderverband wird auch die Weitergabe sichergestellt. Dennoch unterliegt diese Kulturform grundlegenden Veränderungen gerade durch die Mediennutzung.
Waren bis vor wenigen Kartenmaterial und Wegweiser die einzige Ausrüstung, welche in
der Natur zur Orientierung eingesetzt werden konnten, so ist es heute jedem Wanderer und
Bergsteiger möglich, seine aktuelle Position etwa mittels eines GPS-Senders zu ermitteln.
Dadurch verändern sich Wahrnehmung der Landschaft und die Orientierung in der Natur.
Damit gerät auch ein Wissen um die Natur und räumliche Begebenheiten zumindest teilweise in Vergessenheit, welches in den vergangenen Jahrhunderten eine Wertsteigerung erfahren hatte. Es entstehen jedoch auch neue Ausübungsformen, wenn etwa ein bewussterer Umgang mit der Natur im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung im Wertekanon der
Wandernden und Bergsteigenden weit verbreitet ist.
thematische Bereiche
Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum
Bezeichnung
Handwerk als Prinzip am Beispiel Orgelbau
Quellenverzeichnis
Die Datenbank der Gesellschaft der Orgelfreunde listet umfangreiche Bestände zu Handwerk des Orgelbaus, darunter ein Großteil Quellenmaterial.341
European Organ Symposium, Varazdin 2000: Resolution Varazdin 2000 [Orgel als europäisches Kulturgut]. Online-Publikation, 2000.342
European Organ Symposium, Göteborg 2001: Göteborg Resolution [Orgel als Ausdruck der
europäischen Identität und Musikkultur]. Online-Publikation, 2001.343
Janke, Reiner: Die Orgel. Infos über Intonation und Forschung. Online-Publikation [ausführliche Website eines Orgelbauers} 1996-2012.34409.03.2012, Hörzu Wissen, Kai Riedemann:
Kirchenmusik. Orgelbau.345
341
Vgl. http://www.gdo.de/recherchen/literaturdatenbank.html
www.zhdk.ch/?pid=41177
343
http://goart.gu.se/gioa/eos/resoluti/eosresen.htm
342
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 64
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zum Sprechen.346
04.09.2011, Der Spiegel: Orgelbauer. Tüfteln am perfekten Klang.347
14.07.2011, Die Welt: Führende Werkstatt.348
22.04.2011, WDR/arte, André Schäfer: Himmelstöne. Die Orgelbau-Dynastie Klais.349
19.11.2010, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Jugend schreibt, Lara Büchner LeiningerGymnasium, Grünstadt: Kirchenmusik. Karriere in der Kantorei.350
13.11.2010, Die Welt, Christina Petrick-Löhr: Neue Wege im Orgelbau.351
31.01.2010, ARD, Sendung mit der Maus: Eine Orgel wird gebaut.352
10.01.2010, Deutsche Welle TV, Die Klangwerker, Folge 6: „Klais“, Orgeln.353
13.11.2009, Die Welt, Tong-Jin Smith: Vorhang auf für den guten Klang.354
07.09.2008, Die Welt, Andreas Fasel: Orgeln für die ganze Welt.355
02.10.2007, Die Welt: 150 Jahre Orgelbau Sauer: Tradition mit gutem Klang.356
20.05.2006, Die Zeit, Reiner Luyken: Mein Leben mit Musik (19). Ich litt an Orgeln.357
10.01.2006, Die Welt, Imke Hendrich: Hochbetrieb bei Orgelbauer Schuke.358
22.12.2004, Der Stern, Birgitt Pötzsch: Konzert-Weltrekord. Musik für die Ewigkeit.359
14.07.2001, ARD, Wissen macht Ah!: Reportageauftag für Ralph: Orgelbauer.360
21.12.1997, MDR: Eine Orgel für Tokio.361
10.12.1993, Die Zeit, Johannes Pausch: Eine Gruppe von Musikliebhabern unterwegs im
Oberwallis, betreut von einem Spezialveranstalter. Theo und die Orgeln.362
20.07.1950, Der Spiegel: Orgelbau. Elektrisch gesteuert. [Titelstory]363
Sekundärliteratur
344
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http://www.hoerzu.de/wissen-service/ostern-2011/orgelbau
346
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
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http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/orgelbauer-tuefteln-am-perfekten-klang-a-783884.html
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http://www.welt.de/print/welt_kompakt/vermischtes/article13485905/Fuehrende-Werkstatt.html
349
http://programm.ard.de/TV/arte/2011/04/22/himmelstoene/eid_287246410987440?list=main
350
Alle Artikel der FAZ sind online nur kostenpflichtig erhältlich.
351
http://www.welt.de/print/die_welt/finanzen/article10903965/Neue-Wege-im-Orgelbau.html
352
http://www.youtube.com/watch?v=0FP1V30DT8c
353
http://www.youtube.com/watch?v=oL474ZumK4U
354
http://www.welt.de/welt_print/vermischtes/article5195516/Vorhang-auf-fuer-den-guten-Klang.html
355
http://www.welt.de/wams_print/article2406945/Orgeln-fuer-die-ganze-Welt.html
356
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357
http://www.zeit.de/online/2006/21/leben-mit-musik-19/komplettansicht
358
http://www.welt.de/print-welt/article189913/Hochbetrieb-bei-Orgelbauer-Schuke.html
359
http://www.stern.de/kultur/musik/konzert-weltrekord-musik-fuer-die-ewigkeit-534116.html
360
http://www.youtube.com/watch?v=WoHVbc2czeI
361
http://www.herrmannfilm.com/front_content.php?idart=188
362
http://www.zeit.de/1993/50/theo-und-die-orgeln/komplettansicht
363
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44449017.html
345
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 65
Anmerkung: Es existieren musikwissenschaftliche Werke zum Klang des Instruments bzw.
zur Nutzung durch einzelne Komponisten und Musiker. Zudem sind zahlreiche touristische
Werke zu berühmten Orgeln in Deutschland und weltweit auf dem Markt. Die Orgelbauer
selbst bezeichnen das Instrument in den letzten Jahren zunehmend als Kulturgut und veröffentlichen entsprechende Beiträge in ihren Fachzeitschriften. Ansätze der EE/VK/KA/EKW
zur alltagskulturellen Bedeutung der Orgelmusik in Vergangenheit und Gegenwart sind jedoch nicht zu finden.
Der Volkskundler Alois Döring hat in den 1990ern eine Filmdokumentation zum Orgelbau in
der Firma Klais geplant, welche in der Abteilung Volkskunde des Landschaftsverbands
Rheinlands jedoch nicht umgesetzt werden konnte. Er könnte als Experte für die kulturwissenschaftliche Perspektive angesprochen werden.364
Ax, Christine; Horchler, Dieter: Handwerk und immaterielles Kulturerbe. In: Deutsche UNESCO-Kommission (Hg): UNESCO heute 1/2007: Immaterielles Kulturerbe, S. 50-53.
Bossert, Christoph; Kaufmann, Michael Gerhard (Hg.): Die Orgel als europäisches Kulturgut. Kongressbericht 10. bis 17. September 2000 Varaždin (Kroatien). Öhringen 2007.
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Klotz, Hans: Das Buch von der Orgel. Über Wesen und Aufbau des Orgelwerkes, Orgelpflege und Orgelspiel. Kassel u.a. 1998.
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Rensch, Klaus: Die Orgel - ein zentrales Kulturgut. In: International Society of Organbuilders
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Seggermann, Günter: 500 Jahre Orgelbau in Hamburg. Ein ruhmreiches Kapitel hamburgi364
Dr. Alois Döring ist zum 01.01.2013 in den Ruhestand getreten. Er ist privat unter [email protected] oder über den LVR erreichbar, für Anfragen offen und zudem aktives Mitglied im UNESCOClub Region Bonn e.V. Er wurde von der Verfasserin bisher nicht angesprochen oder informiert, da er
gut vernetzt ist und eine Vertraulichkeit nicht sichergestellt ist.
365
online verfügbar unter http://www.orgel-info.de/Intonation.htm
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 66
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Voigt, Markus: Orgelbewegung in der DDR. Betrachtung eines konträren wirtschaftlichen,
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Zentralverband des Deutschen Handwerks, Planungsgruppe „Kultur“: Handwerk als immaterielles Kulturerbe. Worin besteht das Prinzip Handwerk? Online-Publikation September
2008.366
Träger der kulturellen Ausdrucksform
geographische Verortung
ca. 170 Orgelbauer in Deutschland, Organis- Deutschland (und europäische Nachbarlänten der Kirchen
der, allerdings besondere Orgelbautradition
in Deutschland)
Ansprechpartner/Dachorganisationen: Bund
Deutscher Orgelbaumeister e.V. (BDO, gegründet 1895, Berufsverband)367, Gesellschaft der Orgelfreunde e.V. (GdO, gegründet 1951, Publikations- und Tagungsverband)368
Kurzbeschreibung
Die traditionellen Handwerkstechniken in und aus Deutschland sind zahllos. Doch der Orgelbau verbindet das traditionelle, ganzheitliche Herstellen von der Idee bis zum Ergebnis
mit einer Musikkultur, die weltweit geschätzt wird. Dabei wird mit aufwändigen Handwerkstechniken ein Instrument produziert, das von Wolfgang Amadeus Mozart als Königin der
Instrumente bezeichnet wurde und wiederum immaterielles Kulturerbe hervorbringt: die Orgelmusik. Die vorrangig in katholischen und evangelischen Kirchen stehenden Orgeln werden von Organisten mit großer Präzision gespielt und entfalten in den Kirchenschiffen oder
Konzerthallen ihren einmaligen Klang. Durch die Entwicklung von elektronischen Orgeln
wird der handwerkliche, aufwendige Orgelbau jedoch teilweise verdrängt und im musikalischen Bewusstsein breiterer Bevölkerungsschichten mit digitalen Aufnahmen vermischt.
Durch die gleichzeitige Säkularisierung verliert auch die kirchliche Orgelmusik zunehmend
an Bedeutung.
Historische Entwicklung
Die Geschichte des Orgelbaus reicht bis ins alte Ägypten zurück, auch die griechische Antike kannte bereits Vorläufer des Instruments. In Europa wurden die ersten Orgeln im 9.
Jahrhundert erbaut, um die Jahrtausendwende wurden die Instrumente vermehrt in Kirchen
und Klöstern errichtet und gespielt. Aufgrund der großen Kirchenschiffe, die mit Klang gefüllt
werden mussten, gewannen auch die Orgeln an Größe. Im Verlauf des Spätmittelalters
prägten sich dann Bauformen und Spieltechniken immer weiter aus, es entstanden Instru366
http://www.zdh.de/fileadmin/user_upload/themen/Gewerbefoerderung/kultur/200809%20Handwerk%20als%20immaterielles%20Kulturerbe%20-%20Papier.pdf
367
Vgl. http://deutscher-orgelbau.de/
368
Vgl. http://www.gdo.de/
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 67
mente mit mehr und mehr Pfeifen und Manualen. Dabei vollzog sich auch eine regionale
Differenzierung der Handwerkskunst, denn Orgelbauer waren nur in einem verhältnismäßig
kleinen Umkreis tätig und brachten ihre eigenen persönlichen Fähigkeiten und Vorstellungen ein.
Nach der Reformation wirkten auch die konfessionellen Unterschiede in den Orgelbau hinein, durch die unterschiedlichen Liturgien waren der Orgel je andere Rollen im Gottesdienst
der beiden großen christlichen Konfessionen zugewiesen. Hausorgeln, kleinere Varianten
die meist in Schrankform gebaut werden, waren in der frühen Neuzeit in wohlhabenden
Haushalten zu finden. Auch mit der Industrialisierung blieb die Orgel bestimmendes Instrument der Kirchen, die Verwendung weitete sich jedoch aus dem sakralen Raum aus: in
Konzertsälen wurden Orgeln in die klassische Musik integriert. Auf Jahrmärkten und Kirmessen wurden mobile, kleinere Orgeln als zusätzliche Attraktion gespielt, in einigen Kinos
standen Kinoorgeln für die musikalische Begleitung der Stummfilme.
Mit der zunehmenden Säkularisierung verloren die Kirchenräume gleichzeitig ihre Relevanz
für den Alltag vieler Menschen. Orgelmusik, häufig begleitet vom Gesang der Gemeinde,
war noch bis ins 20. Jahrhundert, vor der Verbreitung von Radio und Schallplatte, für den
größten Teil der Bevölkerung die einzige Musik, welche sie regelmäßig hörten. Selbstverständlich existierten Musikinstrumente und entsprechende Repertoires in den Gemeinschaften, doch konnte der imposante Klang einer aufwendig produzierten Orgel durch die Instrumente der Hausmusik nicht erreicht werden. Auch Jahrmarktorgeln oder Leierkästen, welche ebenfalls mit Pfeifen betrieben werden, haben ganz andere Klangfarben und -volumina.
Dies förderte, gemeinsam mit der Bildervielfalt in katholischen Kirchen, die Relevanz des
Kirchgangs auch als kulturellen Input.
In den 1970ern wurden aus bereits bestehenden Vorläufern elektronische Orgeln entwickelt,
welche die kosten- und raumintensiven Orgelpfeifen durch synthetische Töne ersetzen. Zunächst wurden die Orgelklänge in den so genannten Hammond-Orgeln durch elektrischen
Wechselstrom in Sinuskurven erzeugt. In der Folge setzten sich kleinere Varianten mit
Transistortechnik durch, die so genannten Heimorgeln, welche Platz in den Wohnzimmern
fanden. Das Gegenstück hierzu stellen die Konzertorgeln dar, welche digitale Orgelklänge in
hochwertiger Qualität erzeugen. Diese Orgeln ergänzen die Keyboards und simulieren die
Klänge durch digitale Tonerzeugung, indem in der Produktion aufgenommene Einzeltöne
durch Tastendruck abgespielt werden. Die elektronischen und digitalen Orgeln entwickelten
sich schnell zum beliebten Instrument der Jazz-, Rock- und Popmusik gerade der 1970er
Jahre und werden seitdem zunehmend auch bei klassischer Musik eingesetzt. Gerade
durch die Popmusik erreichen Orgelklänge seither breitere Hörerschichten, welche an klassischer, vornehmlich kirchlicher Orgelmusik wenig Interesse zeigen. Damit schwindet jedoch
auch die Wertschätzung der handwerklich hergestellten Orgeln, da das Ohr an den Klang
der elektronischen Entsprechungen gewöhnt ist.
aktuelle Ausübungsformen
Die Orgelbauer bewahren außerordentlich viel handwerkliches Spezialwissen, welches
durch sie weitergegeben wird. Deutsche Orgelbau-Dynastien wie die Familien Stumm, Silberberg, Grüneberg oder Scherer exportierten ihre Handwerksstücke seit dem 16. Jahrhundert. Einige der bestehenden Orgelbau-Betriebe, wie beispielsweise die Firma Johannes
Klais in Bonn, blicken bereits auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurück und bau-
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 68
en Orgeln in der ganzen Welt.
Am Bestimmungsort der Orgel spielen der Raum, Raumklima und -klang eine entscheidende Rolle, so dass jede Produktion individuell angepasst wird. Damit ist jede Orgel ein Einzelstück, welche auf ihren Standort abgestimmt wird. Unterschiedliche Gewerke, insbesondere Architekt, Orgelbauer, Schreiner und Musiker müssen sich bei einem Neubau auf Augenhöhe begegnen, um gemeinsam das beste Ergebnis erzielen zu können. Gerade das
Zusammenspiel von Orgelbauer und Organist kann produktiv genutzt werden, auch wenn
die Vorstellungen bei Bau und Nutzung sich häufig deutlich unterscheiden. Auch in die Architektur eines Neubaus kann die Orgel sehr bewusst eingefügt werden und nicht nur klangliche Akzente setzen. Ein Orgelbau dauert in der Regel mehrere Jahre von der ersten Planung bis zur Fertigstellung. Um die jeweils passende Orgel zu bauen, benötigen Orgelbauer
ein ausgezeichnetes musikalisches Gehör und klangliche Vorstellungskraft, aufwendige
Planungen sind notwendig.
Technisch gesehen ist das Instrument eine Mischung aus Blas- und Tasteninstrument. Die
Arbeitsschritte für die Produktion einer neuen Orgel sind aufwendig, ziehen sich in der Regel über mehrere Jahre und werden von verschiedenen Orgelbaumeistern arbeitsteilig, jedoch im gleichen Betrieb erledigt. Dazu gehören Planung und Konstruktion, die Herstellung
von Orgelpfeifen, Gehäuseteilen sowie der technischen Anlage. Das Respektieren von Traditionen, wie etwa dem Fällen des Holzes nach dem Mondkalender, wird dabei sehr wichtig
genommen. In der eigentlichen Herstellung werden oft mehrere tausend Metall- und Holzpfeifen in Handarbeit einzeln gearbeitet, einige davon bis zu zwölf Meter hoch. Dazu kommen Gestelle und Gehäuse sowie der so genannte Spieltisch, von welchem das Instrument
bedient wird. Die Arbeit an den einzelnen Teilen der Orgel hat dabei stets Bezug zum Ganzen, zum späteren fertigen Produkt, die eigentlichen Handwerkstechniken sind seit Jahrhunderten die gleichen. Der anschließende Aufbau- und Stimmvorgang am endgültigen
Standort dauert allein oft mehrere Monate. Mit dem Intonieren erfolgt schließlich die wichtigste Arbeit zum Abschluss vor Ort am Standort der Orgel: jede der Pfeifen wird durch Anspielen und Korrektur von minimalsten Feinheiten an den Pfeifen gestimmt. Eine wichtige
Aufgabe ist auch das Reinigen, Warten und Stimmen der Instrumente sowie die Restaurierung von teils jahrhundertealten Orgeln der Kirchenbestände.
Organisten erfüllen die Aufgabe, das komplizierte Instrument zu spielen, dabei werden am
Spieltisch mehrere der Klaviertastatur ähnliche Manuale sowie Fußpedale bedient. Über das
Register kann die Klangfarbe Musikstück und Anlass angepasst werden. Hierdurch wird
eine vieltönige Musik geschaffen, ein einzelnes Instrument erzeugt ein umfassendes Klangbild. Vorrangig sind Organisten in der Begleitung der regulären Gottesdienste eingesetzt, es
finden in vielen Kirchen jedoch auch spezielle Orgelkonzerte statt. Zudem bestehen in
Deutschland mehrere Orgelfestivals, so etwa die Internationalen Orgeltage in Trier und die
Internationale Orgelwoche Nürnberg. Auch in größeren Konzertsälen stehen Orgeln, die im
Rahmen von Orchester- oder Solistenkonzerten genutzt werden.
Weitergabe und Gefährdung
Der Orgelbau in Deutschland blickt auf eine lange und reiche Tradition zurück. Auch aktuell
gibt es eine rege nationale und internationale Nachfrage. Dabei wird das eigentliche Handwerk als ganzheitliches Schaffen in den kleinen bis mittelständischen Betrieben von insgesamt rund 2.000 Orgelbauern weitergegeben. Eine Verdrängung aus dem sakralen Raum
ist nicht zu erwarten, gerade weil die erhaltenen historischen Orgeln einer fortlaufenden
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 69
Wartung und Restaurierung bedürfen. Allerdings sind durch die digitalen Möglichkeiten in
Konzertsälen, aber auch in Kirchen und Andachtsräumen, vermehrt elektronische Orgeln
und Synthesizer im Einsatz, die kostengünstiger industriell hergestellt werden können.
Gleichzeitig sinkt die Identifikation mit kirchlichen Ritualen bei großen Teilen der Bevölkerung, so dass eine Integration der Orgelmusik in den Glaubensalltag abnimmt. Die Orgelbauer sind zudem eine kleine Berufsgruppe mit sehr stark ausgefächertem Spezialwissen,
welches nur durch jahrelange Tätigkeit erlernt werden kann. Das duale Ausbildungssystem
legt hier nur einen Grundstein, auf welchen Gesellen in der Berufspraxis weiter aufbauen
müssen. Insbesondere sind der Austausch zwischen Handwerkern nicht nur im Rahmen der
Ausbildung sowie die Weitergabe der Handwerkstraditionen in Familienbetrieben hier bedeutsam.
Orgeln sind Ausdruck des Zeitgeistes, gerade weil sie so aufwendige Instrumente sind manifestieren sich in ihnen nicht nur die Handwerkskunst, sondern auch äußere und musikalische Gestaltungsvorlieben der jeweiligen Zeit. Jede Generation von Orgelbauern, Organisten und auch Zuhörern bringt eine eigene, andere Klagvorstellung ein. Aufgrund der Langlebigkeit der Instrumente ist der Orgelbau mit seiner musikalischen Umsetzung als Gesamtkomplex ein ideales Beispiel auch für die Gleichzeitigkeit von Kontinuität und Wandel.
thematische Bereiche
traditionelle Handwerkstechniken in Verknüpfung mit Wissen im Umgang mit der Natur und
dem Universum, gesellschaftlichen Bräuchen, Ritualen und Festen sowie darstellenden
Künsten
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 70
2. Weitere Möglichkeiten von KAF in und aus Deutschland

Weitere Handwerke: Bäcker, Bierbrauer, Messerwaren, Glasmacher, Weihnachtsschmuck aus dem Erzgebirge, Kuckucksuhren, Trachtenherstellung, Reetdachdeckerei,
Porzellanmanufakturen

Weitere Bräuche im Jahreslauf, insbesondere regionale und lokale Bräuche oder religiöse Bräuche

Vereinskultur, weitere Beispiele: Sportvereine, Gesangs- und Musikvereine, religiöse
Vereine, Karnevalsvereine, Tierschutzvereine, Umweltschutzvereine, Sammlervereine,
Alpenvereine, Bürgerinitiativen als Vereine

Nahrungskultur: regionale Spezialitäten

Dialekte

maritime Kultur, etwa am Beispiel des Morsens

Eisenbahnkulturen und Modellbau

Der lokale Marktplatz als Ort der Kommunikation

Städtische Theater- und Kabarettkultur

Ingenieurswesen als Prinzip

Trauerkultur

Schenken von Brot und Salz zum Einzug in die neue Wohnung

Deutsche Erinnerungskultur und Umgang mit der NS-Vergangenheit

Integration von Migranten-, Flüchtlings- und Vertriebenenkulturen
3. KAF mit internationalem Bezugsrahmen
Anmerkung: Diese KAF weisen eindeutige internationale Bezüge auf und werden deshalb
hier nicht weiter berücksichtigt.

Fußballfankultur

Puppenspiele (z.B. Augsburger Puppenkiste)

Chortraditionen

Gruppentänze, Ballett, Tanztheater

Weinbau, inkl. Traditionen in Weinbaugebieten (z.B. das Ausstecken von Buschenschenken/Besenwirtschaften, Wahl von Weinkönigin)

Handwerk, Walz (z.B. Papierschöpfen, Schmieden)

Genossenschaften

(Kinder-)Spiele

Forstwirtschaft

Glockenspiel und Glockenguss
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 71

Falknerei (vgl. bestehende internationale kulturelle Ausdrucksform)

Indigo-Blaufärben

Deutsch-Chinesische Medizin

Maultrommelspielen

Umgang mit Katastrophen (z.B. Lawinen im Alpenraum)
4. Bereits bestehende Vorschläge von Trägergruppen, Medien und Forschung
Anmerkung: Diese Liste enthält Beispiele kultureller Ausdrucksformen, die in den Medien
und in Forschungsarbeiten genannt oder von Trägergruppen bereits als IKE deklariert werden.
4.1 Vorschläge von Trägergruppen

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks möchte das deutsche Handwerk im
Ganzen nominieren.369

Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks führt ein Brotregister mit fast
3.000 Sorten, Bäckereien haben die Möglichkeit ihr Rezept einzutragen.370 Für die Anerkennung des deutschen Brots als IKE setzt sich auch Verbraucherschutzministerin Ilse
Aigner ein.371

Der Deutsche Schaustellerbund setzt sich für eine Auszeichnung der Volksfeste ein.372

Der Bundesverband für Gesundheitsförderung und Prävention (Bund Kneipp) möchte
das Gesundheitskonzept nach Sebastian Kneipp auszeichnen lassen.373

Der Bundesrat für Niederdeutsch möchte die Auszeichnung des Niederdeutschen Dialekts erreichen.374

Die Stadt Bad Hersfeld in Hessen bemüht sich um die Auszeichnung des dortigen Lullusfestes, welches sie als ältestes Volksfest Deutschlands bezeichnet.375

Der Leiter des 2010 geschlossenen Thüringer Kloßmuseums Heichelheim setzte sich für
die Thüringer Klöße als IKE ein.376
369
Vgl. http://www.zdh.de/gewerbefoerderung/kultur/handwerk-immaterielles-kulturerbe.html
Vgl. http://www.brotregister.de/
371
Vgl. Pressemitteilung vom 22.05.2011,
http://www.bmelv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2011/105-AI-BesuchBaeckerinnung.html;jsessionid=A4AE1495B32F31954F253B83A9DA56A0.2_cid242
372
Vgl. http://www.dsbev.de/meldungen/meldungen/detail/article/232/Anerkennung-der-Volksfeste-alsimmaterielles-Kulturerbe/?tx_wtgallery_pi1[cat]=1&cHash=71fddf522e30860d58897dd7d131eab1
373
Vgl. http://www.kneippbund.de/no_cache/aktuelles/eintrag/gesundheitskonzept-nach-sebastiankneipp-als-kulturerbe/aktuelles/
374
Vgl. http://www.bundesraatnd.de/index.php?option=com_content&view=article&id=104%3Aunesco&lang=de
375
Vgl. http://www.fr-online.de/kultur/unesco-die-kloesse-als-weltkulturerbe,1472786,11124820.html;
vgl. auch http://www.hersfelder-zeitung.de/nachrichten/kreis-hersfeld-rotenburg/bad-hersfeld/lullusfestsoll-kulturerbe-werden-1434998.html
370
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 72

Der Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU) nennt die Beispiele Märchen,
Handwerkskunst und Jahrmarktskultur.377

Die Landsmannschaft Ostpreußen Landesgruppe NRW e.V. schreibt vom Kulturellen
Erbe der Ostpreußen.378

Die Bayernpartei setzt sich für den Schutz des bayrischen IKE ein.379
4.2 Vorschläge und Beispiele in Medienberichten und Forschungsprojekten

Das Deutschlandradio nennt in der Berichterstattung Rheinischen Karneval, Oktoberfest,
Skatspiel, Musik von Johann Sebastian Bach, deutsches Reinheitsgebot, Chöre und die
Handwerksausbildung als Beispiele.380

Die Zeit nennt in einem Artikel die Beispiele norddeutsche Grünkohl-und-Pinkel-Fahrt,
Weihnachtsmarkt und deutsche Treuherzigkeit.381

Über die Möglichkeiten zur Aufnahme des deutschen Biers bzw. der Brauereikultur in die
Liste bestehen Medienberichte.382

Das Münchner Oktoberfest wird in verschiedenen Medienberichten genannt, der SPDStadtrat Helmut Schmid hat sich bereits gegen eine Nominierung ausgesprochen, er befürchtet eine zusätzliche Kommerzialisierung des Festes.383 Auch ein Artikel der Süddeutschen Zeitung argumentiert gegen den Vorschlag.384

Dieter Offenhäußer, DUK, nennt im Interview mit der Deutschen Welle die Trachten der
Sorben.385

Als mögliches immaterielles Kulturerbe von Bayern nennt der Tourismusökonom Volker
Letzner u.a. die Festspiele Oberammergauer Prozession, Drachenstich in Furth i.W.,
Landshuter Hochzeit und Dinkelsbühler Kinderzeche sowie die Alphorntradition und lokale Brauchformen. Oktoberfest, Christkindlmarkt, Bier- und Weinkultur schätzt er als zu
kommerziell für die IKE-Konvention ein.386

Das EU-Projekt „Cultural Capital Counts“ an der TU Cottbus listet für die Region Ostelbien folgende kulturellen Ausdrucksformen jeweils mit ausführlicher Beschreibung:
Ostelbische Bauernmarkt-Produkte, Bierbrauen in Ostelbien und Werdau, Hegegemein-
376
Vgl. Sammlung von Presseberichten unter http://klossmuseum.homepage.tonline.de/Riopresse.html
377
Vgl. http://www.bhu.de/bhu/content/de/resolutionen/pages/1309856064.xml; vgl. auch die Pressemitteilung vom Dezember 2012, http://igbauernhaus.de/uploads/media/2012-1203_PM_Immaterielles_Kulturerbe_BHU.pdf
378
Vgl. http://www.ostpreussen-nrw.de/Geschichte/Kulturelles-Erbe.htm
379
Vgl. http://landesverband.bayernpartei.de/2012/bayerisches-kulturerbe-schuetzen
380
Vgl. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1936816/
381
Vgl. http://www.zeit.de/2010/48/Kulturerbe-Franz-Essen/komplettansicht
382
Vgl. http://www.welt.de/lifestyle/article13396166/Bier-soll-zum-Weltkulturerbe-erklaert-werden.html;
vgl. auch http://www.globalmalt.de/deutschland-deutsches-bier-soll-immaterielles-kulturerbe-werden/
383
Vgl. http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_muenchen/article13586898/Weltkulturerbe-Neindanke.html
384
Vgl. http://www.sueddeutsche.de/muenchen/nullachtneun-wiesn-und-weltkultur-1.484009
385
Vgl. http://www.dw.de/unesco-schutz-f%C3%BCr-immaterielles-kulturerbe/a-15607908
386
Vgl. Letzner, Volker: Immaterielles Kulturerbe in Bayern. In: Tourismus Management Passport
2010, S. 70-73, hier S. 71f.
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 73
schaft Ostelbien, Beilroder Heimatlied, Jagdhornbläsergruppe Falenstruth, Kirchliche
Traditionen und Feste, Kranzreiten, Merinoschaf-Zucht, Heimatfest Beilrode, Kohlrübenessen, Federnschleißen, Brotbacken in Kathewitz, Orts- und Flurnamen slawischen Ursprungs, Zempern, Ostelbische Sagen und Erzählungen, Ziegelbrandtechnik - Ringbrandofen Großteben, Beilroder Mühlenfest, Grünlandaufzucht und Jungherdenaufzucht
von Pferden im Gestüt Graditz, Schmiedetradition in Nichtewitz, Beilroder Jägerfest. 387
Es bestehen analoge Listen auch für die anderen europäischen Regionen im Projekt.
387
Vgl. http://www.culturalcapitalcounts.eu/index.php/de/immaterielleskulturerbe?area=9&category=0&country=0&search_string=&sent=1
Exemplarische kulturelle Ausdrucksformen in und aus Deutschland - Lina Franken M.A. - Seite 74