Dresdner Kulturmagazin 07/12, Torsten König / 30 June
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Dresdner Kulturmagazin 07/12, Torsten König / 30 June
Literatur Literatur Loslassen: Die Kunst des Alter(n)s Im »Land der roten Steine« transzendiert Kappacher mystische Augenblicke Homo sacer in Algerien Bernd Cailloux schlägt dem Leser mit seinem Roman »Gutgeschriebene Verluste« ein Schnippchen ◼ Felicitas Hoppe ist damit groß rausgekommen. Elogen wurden auf ihren pseudo-autobiographischen Roman mit der blutleeren Selbsttitelung »Hoppe« verfasst. Die Verleihung des Büchnerpreises scheint die positive Kritik zu bestätigen. Die ganze Sache geht aber auch völlig anders. Weniger vordergründig und mit mehr Stil. Bernd Cailloux beweist das mit seinem Roman »Gutgeschriebene Verluste«, dessen ironierüchiger Titel er sinnigerweise mit dem Zusatz »Roman mémoire« adelt: Ein ausgefuchst erdachter fiktiv-autobiographischer Text, der sich das Authentizität schaffende Deckmäntelchen der Erinnerung umhängt und den Leser mit sicherer Hand aufs Glatteis führt. Das ist, wie Cailloux so treffend sagt, der Unterschied zwischen Kunstbetrieb und Kunst. Ein namenloser Protagonist, mit Anfang sechzig gleichen Alters wie der Autor, reflektiert die abrupt beendete Beziehung zu einer Frau namens Ella (eine Frau, mit der kein Mann auch nur einen Tag verbringen möchte, eine Nacht dafür aber durchaus) und streut locker mittels Bemerkungen über die Vergangenheit Erklärungsversuche für die Gegenwart ein: als Säugling von der Mutter frühzeitig verlassen, hedonistische Genusssuche in der Berliner Subkultur der 68er-Phase, wiederholter Ortswechsel in Zusammenhang mit Frauengeschichten etc. Dieser Blick zurück fällt angenehm ohne jegliche Melancholie oder Larmoyanz aus und erstarrt trotzdem nicht in unterkühlter Distanz. Immer wieder ertappt man sich dabei, den Buchklappentext mit dem Autorenportrait aufzuschlagen, um in jenem Gesicht Legitimationen für die Auflösung des Konfliktes zwischen Fiktion und biographischen Fakten zu finden. Dieses Unterfangen ist so verständlich wie sinnfrei. Und doch genießt man dieses Spiel. Es ist nichts Geringeres als pures Lesevergnügen, den Reflexionen des Bohémiens alter Schule und vergeistigten Konsumverweigerers zu folgen, der als Beziehungsideal das der »Besuchsehe« favorisiert. Entsprechend fein geschnitten ist die Ironie, die nicht selten in einem genussvollen Manierismus gipfelt, der in seiner Leichtigkeit seinesgleichen sucht. Eine erzählerische Distanz, die an Süffisanz nichts zu wünschen übrig lässt und doch gleichzeitig eine große Intimität aufweist. Dadurch gerinnt der Text zu einem Genussmittel: Zur Lektüre dieses Buches versteht sich ein Glas erlesenen Rotweines als Begleitung des eigenen amüsierten Lächelns von selbst. Kein Zufall, dass der Protagonist bekennender Weintrinker ist und Anhänger einer längst untergegangenen Kaffeehauskultur. Böse Zungen bezeichnen ihn als einen »Übriggebliebenen«. Was damit negativ gemeint ist, muss nur mit entsprechender Perspektive versehen werden: Wer übrig geblieben ist gehört zu jenen, die noch immer da sind. Und diese Tatsache will mit gebührendem Respekt betrachtet sein. Für den Erzähler ist dieser Text deshalb Selbstvergewisserung, Selbstbejahung, bleibt aber nicht bloßer Selbstzweck, sondern zeigt, wie man sich mal schnell und vermeintlich mühelos eine ideale Biographie stricken kann. i Bernd Cailloux, Gutgeschriebene Verluste: Roman mémoire, Suhrkamp 2012, 21,95 Euro. DRESDNER [ 16 ] K U LT U R M A G A Z I N S.R. JÉRÔME FERRARI Selbstvergewisserung, Selbstbejahung ◼ Algerien 1957. In einem Vorort von Algier foltern Angehörige eines Spezialkommandos der französischen Armee in einer Villa mutmaßliche Aufständische, um Informationen zu erhalten. An keinem der Soldaten geht ihr tägliches Geschäft, die gezielte Misshandlung der Körper ihrer Feinde, spurlos vorüber. Hauptmann Dégorce, der Leiter des Kommandos, ist von Zweifeln an der moralischen Rechtfertigung seiner Mission zerfressen. Er sucht Halt in einer Logik, die nach seinem Dafürhalten durch die Notwendigkeit des Krieges diktiert wurde. Von ihr versucht er die Legitimität seiner Tätigkeit abzuleiten. Sie kann jedoch seine Scham angesichts der ihn umgebenden Entmenschlichung nicht verdrängen. Keine Zweifel hat dagegen Leutnant Andreani, sein Gegenspieler, der nur die zynische Logik der von ihm als menschliche Natur verstandenen Gewalt kennt, der mit Gegengewalt zu begegnen sei. Er akzeptiert das Blut an seinen Händen. Der Konflikt zwischen beiden bricht hervor, als Tahar, der Kopf der Rebellen, gefangen genommen wird. Während Dégorce, der sich durch die Handlungsmotivationen mit dem Rebellen als dessen Verwandter fühlt, Tahar einen fairen Prozess garantieren will, plädiert Andreani dafür, ihn zu behandeln wie alle anderen Terroristen. Die Erzählung setzt sich aus mehreren Stimmen zusammen. Ein langer, suggestiver innerer Monolog Andreanis, adressiert an Dégorce, wechselt mit Passagen, die einerseits die Ereignisse im Folterkeller schildern, andererseits die Gespräche zwischen dem Hauptmann und seinem Gefangenen inszenieren. Wie ein Leitmotiv zieht sich die Nacktheit der geschundenen Körper durch den Text. Es sind Körper, die auf ihre biologische Existenz reduziert sind, jeglicher Rechte beraubt. Sie gleichen der Figur des »Homo sacer« aus der römischen Rechtsphilosophie, die Giorgio Agambens philosophische Überlegungen zum Verhältnis von totalitären Staatsstrukturen und Individuum populär machte. Die große Kunst von Ferraris polyperspektivischer Erzählung besteht indes darin, keine Simplifizierung und Und meine Seele ließ ich zurück Jérôme Ferrari erzählt von der Aufhebung der Zivilisation im Ausnahmezustand Roman Schwarz-Weiß-Malerei zuzulassen. Er zeichnet die fließende Grenze zwischen Opfern und Tätern. Dégorce und Andreani haben am Ende des Indochinakrieges als Gefangene in einem Internierungslager jene Nacktheit der von ihnen Verhörten am eigenen Leibe erfahren. Der Suspens der Rechtsordnung im Ausnahmezustand wird durch Ferraris zutiefst humanistischen Roman als Aufhebung der Zivilisation schlechthin denunziert. Dégorce muss erkennen, dass es im Ausnahmezustand keine Logik gibt, die menschlich ist. Es verwundert nicht, dass Ferraris hochaktuelle philosophische Erzählung über Schuld, Erinnerung und Moral, die mit der Universalität der Thematik weit über die historische Situation der stofflichen Grundlage hinausweist, in Frankreich von der Kritik gefeiert und mit zahlreichen Preisen gewürdigt wurde. Bleibt nur zu hoffen, dass er hierzulande die gleiche Aufmerksamkeit erfährt, was nicht zuletzt für das Engagement des jungen Züricher »Secession Verlag« gilt. TORSTEN KÖNIG i Jérôme Ferrari, Und meine Seele ließ ich zurück, Secession Verlag für Literatur Zürich 2011, 19,95 EUR. KURZ&KNAPP O Wertpapier. Die virtuellen Fortschrittsoptimisten proklamieren schon seit langer Zeit den Tod des gedruckten Wortes. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger, zumal das Material, auf dem die Buchstaben gedruckt oder geschrieben werden, sich nicht so einfach aus der Welt in den virtu- ◼ Für Michael Wessely beginnt der letzte Abschnitt seines Lebens. Durch den Tod seiner Verwandten und Freunde steht der nunmehr pensionierte Provinzdoktor fast gänzlich allein in der Welt. Eigentlich könnte Michael Wessely all das tun, was er während seines Arbeitslebens aufschob. Aber er muss feststellen, dass hinter der letzten Lebensschwelle keineswegs das Reich der Freiheit herrscht, in dem all jene Möglichkeiten realisiert werden könnten, die das Arbeitsleben einst verhinderten. »Sein künftiges Leben hatte jetzt einen weiten Raum«, in dem Orientierung indes kein Leichtes ist. Die Orientierungslosigkeit spiegelt sich in der narrativen Form des Eröffnungskapitels »Vita Nouva«, in der der unscheinbare Büchnerpreisträger Walter Kappacher seinen unaufgeregten Helden einführt. Verwirrung entsteht zunächst darüber, wer die Geschichte erzählt. Nur lose sind die sprunghaften Erinnerungsfragmente durch die auktoriale Instanz verknüpft, die immer wieder von tagebuchartigen und briefförmigen Berichten durchbrochen wird. Die wilde Bricolage der Fragmente reflektiert Wesselys Bemühen, Ordnung und Distanz zur Vergangenheit, vor allem zu einer Erfahrung zu gewinnen, die ihm auf seiner Reise ins »Land der roten Steine« widerfuhr. Kurz vor der Pensionierung verbrachte er in Begleitung eines Indianers, der sich von der Zivilisation lossagte, um zu den Ursprüngen seiner Herkunft zumindest ansatzweise zurückzukehren, einige Tage in der Kargheit des CanyonlandNationalparks. In der heiligen Einsamkeit der labyrinthischen Landschaft, deren Pfade nur das eingeweihte Auge kennt, schaute er für einen kurzen Moment ein Sein, dessen metaphysische Intensität sich den Worten entzieht, die es beschreiben wollen: »Es zu schauen, war wohl das höchste an Glücksgefühlen gewesen, was er je erlebt hatte, [...] und er wünschte sich heftig, diese Erinnerung kehre irgendwann wieder, er war sich sicher, dies würde ihm helfen zu dem ›neuen Leben‹ zu gelangen, das er sich so sehr wünschte.« Sein Verlangen motiviert die Niederschrift der Reise, die als zweites Romankapitel über das schöne, aber illusionsartige Leben handelt. Konsequent durch die Stimme des Protagonisten erzählt, entfaltet es die Landschaft zu einem beeindruckenden Panorama des Erhabenen, in dessen Zentrum die Epiphanie eingezeichnet ist, deren Wieder- ellen Raum der Nullen und Einsen wegdigitalisieren lassen will. Das Papier ist tief in den Kulturen der Welt verankert, so tief, dass wir selbst in der digitalen Welt Seiten umblättern und das Rascheln der Blätter im Papierkorb hören. Die »Epoche des Papiers« ist nicht zu Ende, falls sie denn überhaupt kehr ihm schließlich zum guten Leben verhelfen soll. Aber der metaphysische Spalt bleibt geschlossen. Angesichts der zeitlosen Unendlichkeit versagt die vergängliche Schrift ihren Dienst, sie verhilft indes dazu, die Erfahrung zu archivieren. Unter der Hand avanciert das Schreiben zum Akt des Loslassens, der zur Einsicht führt, gleiches sowohl mit den Verlusten und Schuldgefühlen als auch mit den Hoffnungen und Erwartungen zu tun: »Ohne vor und ohne nach muss der Mensch stehen, der die höchste Wahrheit empfangen will.« In dieser scheinbar leichten Handlung des Loslassens kondensieren die Unendlichkeit der Vergangenheit und Zukunft zu dem unscheinbaren Punkt des gegenwärtigen Lebens. In ihr besteht die Kunst des Alter(n)s und des guten Lebens, den untergründigen Romanthemen des profanen Mystikers und tiefsinnigen Philosophen Kappa- endet. Von ihm geht nach Lothar Müller eine »Weiße Magie« aus, die immer wieder zum Schreiben verführt. Den besten Beweis dafür liefert Müller mit seiner klugen und illustren Kultur- und Mediengeschichte (Hanser 2012, 24,90 Euro). DRESDNER HÖR cher, der sie in der Sprache eines unscheinbaren Lebens erzählt, das gleich den meisten Leben unaufgeregt, unspektulär und dennoch, in manchen Momenten, aufwühlend verläuft. i KAI-UWE REINHOLD Walter Kappacher, Land der roten Steine, Hanser 2012, 17,90 Euro. 14. & 15. Juli 2012 www.hoerspielfest-altzella.de SPIELFEST ALTZELLA VERLOSUNG: Filmpremiere »Bis zum Horizont, dann links!« am 4. Juli zu den Filmnächten am Elbufer O Regisseur Bernd Böhlich und seine renommierten Darsteller Angelica Domröse und Robert Stadlober stellen den Film persönlich vor. In der herzerfrischenden Komödie über eine Gruppe Senioren, die vom Alltag im Heim genug haben und Reißaus nehmen, sind die Leinwandgrößen Otto Sander, Angelica Domröse, Ralf Wolter, Herbert Köfer, Herbert Feuerstein, Marion van de Kamp, Monika Lennartz, Tilo Prückner, Us Conradi, Robert Stadlober und Anna Maria Mühe in den Hauptrollen zu sehen. »Bis zum Horizont, dann links« ist als Vorpremiere am 4. Juli bei den Filmnächten zu sehen. Der Film startet am 12. Juli bundesweit im Kino und wird in Dresden in der Schauburg, im Pk Ost und der ufa anlaufen; weitere Infos unter www.biszumhorizontdannlinks.de DRESDNER Kulturmagazin verlost: 2 x 1 Sachertorte – das Original aus Wien. Bitte bis zum 6. Juli eine Postkarte mit Angabe der E-Mail-Adresse und dem Stichwort » biszumhorizontdannlinks« an den Verlag senden. [ 17 ] K U LT U R M A G A Z I N