Nachtkerzenöl - Guten Pillen, schlechte Pillen

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Nachtkerzenöl - Guten Pillen, schlechte Pillen
www.gp-sp.de GPSP 4/2013
Nachtkerzenöl
Gegen Hauterkrankungen?
Der Leidensdruck bei chronischen Ekzemen
ist groß. Der quälende Juckreiz stresst. Salben
und Cremes mit Glukokortikoiden helfen
zwar, schädigen mit der Zeit jedoch die Haut,
die durch das „Kortison“ häufig dünner und
verletzlicher wird. Kein Wunder, dass viele
Menschen pflanzliche Präparate ausprobieren, etwa Nachtkerzensamenöl, auch Nachtkerzenöl genannt.
Das Öl des Samens der Nachtkerze (gelbe Rapunzel) wird seit den 1980er Jahren bei Hauterkrankungen wie Neurodermitis (atopisches Ekzem)
und anderen Ekzemen empfohlen. Die Einnahme
des Öls zu propagieren, beruhte auf theoretischen
Überlegungen: Man ging davon aus, dass Menschen
mit Neurodermitis einen Mangel an Gamma-Linolensäure haben. Daher erschien die Empfehlung
plausibel, Nachtkerzenöl zu schlucken. Es ist reich
an dieser Fettsäure. Mit der gleichen Begründung
wird auch Borretschöl verwendet. Ein positiver
Einfluss dieser Öle ist allerdings unwahrscheinlich. Schon in den 1990er Jahren ergab eine vom
britischen Gesundheitsministerium veranlasste
Auswertung von 20 Studien keine Belege für eine
Wirksamkeit.1 2002 hat Großbritannien folgerichtig die Zulassung von Nachtkerzenöl als Arzneimittel zum Einnehmen widerrufen. Damit verschwand
dort erstmals ein Medikament vom Markt, weil
Wirksamkeitsbelege fehlten, die heutigen Anforderungen genügen.2 In Deutschland ist man laxer,
denn bis heute sind Kapseln mit Nachtkerzenöl
(Epogam®, Neobonsen®) zur Linderung von Neurodermitis – insbesondere des Juckreizes – als Arzneimittel zugelassen.
nicht erkennen, dass das Öl einem Plazebo überlegen ist – weder nach Einschätzung der Patienten
und Patientinnen noch in der Beurteilung der behandelnden Ärzte.3
Teure Hautpflege
Einen positiven Effekt könnte Nachtkerzenöl allerdings haben: Die Haut scheint bei größeren Dosierungen mit der Zeit etwas weicher zu werden. Dafür ist das Mittel jedoch mit Kosten bis zu 3 € pro
Tag 4 zu teuer – zumal sich ein gleicher Effekt mit
wirkstofffreien Hautcremes und Salben erzielen
lässt. Angenehme Effekte von Nachtkerzenöl-haltiger Creme dürften ebenfalls eher auf die Creme
selbst und nicht auf spezifische Wirkstoffe des Öls
zurückzuführen zu sein.
Eingenommenes Nachtkerzenöl kann manchmal allergische Hautreaktionen auslösen, aber
auch Magenschmerzen, Übelkeit und andere
Magen-Darm-Störungen. Für diverse andere Anwendungsbereiche von Nachtkerzenöl als Nahrungsergänzungsmittel gibt es ebenfalls keine
Nutzenbelege. Beschwerden wie prämenstruelles
Syndrom, Verdauungsstörungen, Asthma oder
Allergien gehören dazu. Wir raten deshalb davon
ab, solche Produkte einzunehmen.
Nicht nur als Medikament
Als Nahrungsergänzungsmittel dürfen Nachtkerzenöl-Präparate ohnehin – auch in Großbritannien
– verkauft werden. Aber eindeutige Anwendungsgebiete anzugeben, ist den Anbietern verboten. Solche Aussagen (Health Claims) müssten belegt und
von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA
1 Evans, I. u.a. (2013) Wo ist der Beweis? Plädoyer für eine
abgesegnet sein (GPSP 1/2011, S. 12).
evidenzbasierte Medizin. Bern: Verlag Hans Huber, S. 51
Aber: Auch die neueste zusammenfassende Auswertung von inzwischen 27 Studien aus zwölf Ländern, in denen Nachtkerzenöl bzw. Borretschöl mit
einem Scheinmedikament verglichen wurde, lässt
2 arznei-telegramm (2002) 33, S. 107
3 Bamford, J.T.M. u.a. (2013) Oral evening primrose oil
and borage oil for eczema. The Cochrane Collaboration
2013, Issue 4
4 Wenn jeweils 6 g am Tag als Arzneimittel eingenommen
werden.
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