Erklär mir Pop: David Bowies „HEROES“

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Erklär mir Pop: David Bowies „HEROES“
40 kolumne
Erklär mir Pop:
Udo Dahmen
Viele Popsongs werden über Generationen hinweg gehört und geliebt – sie haben Popgeschichte geschrieben. Doch kennen wir jeweils die Hintergründe der Entstehung, den musikalischen Aufbau
oder die Rezeptionsgeschichte? Udo Dahmen stellt in seiner Kolumne „Erklär mir Pop“ jeweils einen Song und Künstler aus der
Popmusikszene vor – mit freundlicher Unterstützung des SWR, der
die gleichnamige Hörrubrik seit Anfang des Jahres 2013 ausstrahlt.
Udo Dahmen studierte klassisches
Schlagzeug an der Musikhochschule für
Musik und Tanz in Köln. Bevor er von
1983 bis 2003 Dozent an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg war, arbeitete er als Musikpädagoge und freiberuflicher Musiker. Seit
2003 ist er künstlerischer Direktor, Geschäftsführer und Professor der Popakademie Baden-Württemberg.
David Bowies „HEROES“
David Bowie gilt als einer der erfolgreichsten und wandlungsfähigsten Künstler der Popgeschichte. Er erfindet sich
mit einem Alter Ego (z. B. Ziggy Stardust)
immer wieder neu und macht vor allem
die androgyne und intersexuelle Position
seiner Figuren im Glamrock in den
70iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf der Basis der Ideen im Umfeld
von Andy Warhols Factory bekannt und
gesellschaftlich hoffähig. „Heroes“ von
David Bowie ist mit Sicherheit einer der
Songs, der mit der deutschen Geschichte
aufs Engste verwoben ist. Entstanden als
Teil der sogenannten „Berliner Trilogie“
der Alben Low, „Heroes“ und Lodger, aufgenommen im Juli und August 1977 im
Berliner Hansa Studio 2, bilden sich um
die Entstehung sowohl des Textes als auch
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der Musik von Anfang an Legenden. David Bowie zieht 1976 nach Berlin, angezogen und beeinflusst unter anderem von
den Bands Cluster, Neu, Can und Kraftwerk, um in der Berliner Situation neue
Inspirationen zu erhalten und um Musik
aufzunehmen, die fernab von kommerzieller Verwertung im Wesentlichen experimentellen Charakter haben soll. Das Album und der Song „Heroes“ wird unter
anderem mit der Unterstützung von Brian Eno (Co-Komponist von „Heroes“) und
Tony Visconti als Producer sowie des Gitarristen Robert Fripp von der englischen
Band King Crimson, der für seine Soundexperimente bekannt ist, aufgenommen.
Schon das erste Album der Berliner Trilogie Low hatte aus Soundexperimenten
und Songfragmenten sowie Instrumentals
bestanden. Die Arbeit im Soundlabor
wurde bei „Heroes“ konsequent fortgesetzt.
„Heroes“ ist nach Aussage von David Bowie von der Situation an der Berliner
Mauer inspiriert. Das Hansa Tonstudio,
das im ehemaligen Meistersaal eingerichtet war, wurde von vielen bekannten
Popkünstlern genutzt, u. a. von U2, Depeche Mode und REM, und befand sich
direkt an der Mauer. Im Text wird ein Liebespaar beschrieben, das sich täglich auf
einer Bank an der Mauer unter den
Wachtürmen trifft. Es wird eine Liebe
unter widrigen persönlichen und politischen Umständen dargestellt, die sich
nur als „Helden für einen Tag“ definieren
kann und sich in den wenigen glücklichen Stunden des Treffens der Gemein-
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© Masayoshi Sukita
Das Werk „Heroes“ Contact Print (Piece No. 32), 1977
ist bei der David-Bowie-Ausstellung im Berliner MartinGropius-Bau ausgestellt.
samkeit vergewissert. David Bowie hat
diese pathetische Überhöhung u. a.
durch die dazu arrangierte Musik begrenzt und den Titel in Anführungszeichen gesetzt. Gleichermaßen hat ihn die
Liebe in der Ausnahmesituation zu diesem Text angeregt. Er selbst hat dazu als
weitere Inspirationsquelle Otto Muellers
Bild von 1916 Liebende zwischen Gartenmauern genannt.
Der Song ist in der Anlage ein konventioneller Rocksong, der jedoch durch verschiedene Arrangement- und Produktionsdetails sehr interessante Bereicherungen erfährt und damit in der damaligen
Produktionsweise alternative Aufnahmetechniken einführte. Dazu legte Brian Eno
verschiedene Geräuschspuren mit Synthesizern übereinander, um so eine Ge-
räuschkulisse zum Song zu addieren. Robert Fripp nutzte u. a. ein beständiges Gitarrenfeedback als Geräuschquelle. Auf
dieser Folie entwickelt sich der Gesang in
einem stetigen Crescendo von einer sehr
ruhigen und leisen bis zu einer extrem
lauten und aggressiven Ausdrucksweise.
David Bowie schafft damit eine weitere
Ausdrucksebene zum Text, die im ersten
Vers eher distanziert wirkt und damit den
Text konterkariert und zum Schluss des
Songs in wütender und verzweifelter
Ausdrucksweise die Situation der Liebenden wiedergibt. Um dies entsprechend
einzufangen, hatte Tony Visconti im Aufnahmeraum verschiedene Mikrofone in
unterschiedlichen Entfernungen gestaffelt, um so einen Raumsound zu erhalten, der im Song unterschiedlich verwen-
det werden konnte. In Deutschland erschien der Song ab dem dritten Vers in
deutscher Sprache. Philip Glass hat seine
„Heroes“-Symphony, auf der Basis der Bowie-Komposition geschrieben. Durch
den Film Christiane F. – Wir Kinder vom
Bahnhof Zoo von 1981 wurde der Song
verstärkt wahrgenommen. Im Jahr 2004
wurde er auf Platz 46 der Bestenliste des
Magazins Rolling Stone der 500 besten
Songs aufgenommen.
Die Hörrubrik Erklär mir Pop des SWR2 mit Udo Dahmen ist immer samstags um 15 Uhr zu hören.
David-Bowie-Ausstellung im Berliner Martin-GropiusBau: Die vom Londoner Victoria and Albert Museum
kuratierte Ausstellung präsentiert vom 20. Mai bis
zum 10. August 2014 die außergewöhnliche Karriere
der Pop- und Stilikone im Rahmen einer multimedialen Inszenierung. Weitere Informationen finden Sie
unter www.davidbowie-berlin.de.
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