Saddam und die USA

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Saddam und die USA
Saddam und die USA
Vom Partner zum Schurken
Autor: Frank Unger
Datum: 02. Januar 2007
Saddam Hussein ist noch in den letzten Tagen des Jahres 2006 hingerichtet
worden, und Präsident George W. Bush sieht das als »einen Meilenstein auf dem
Weg zur Demokratie«. Die seriöse deutsche Presse berichtete darüber
gleichmütig. In den unvermeidlichen Kommentaren wird meist
tiefschürfend-ahnungslos erörtert, ob damit dem Frieden im Irak wirklich
gedient sein wird oder nicht, mit dem Gestus des Weltgeistes werden Zensuren
vergeben, die zu gleichen Teilen von beflissener Wichtigtuerei und realer
Interesselosigkeit gekennzeichnet sind. Christoph von Marschall z. B. treibt
seine Einschätzung im Berliner »Tagesspiegel« auf folgenden Höhepunkt zu:
»Irak hat die Chance vertan, allen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen
und so Schiiten, Sunniten und Kurden im Bewusstsein zu einen, dass sie
gemeinsam unter Saddam gelitten haben«. Die Frage, wer eigentlich in diesem
Satz der »Irak« ist und worin er sich von Schiiten, Kurden und Sunniten
unterscheidet, ist so banal, dass niemand sie sich zu fragen traut, oder anders
gesagt: der Satz ist so nichtssagend, dass er beinahe von einem Politiker
stammen könnte. Aber warum schreiben bei uns Journalisten, wie Politiker
reden? Das ist umso ärgerlicher, als die Hinrichtung des irakischen »Diktators«
ein wunderbarer Anlass gewesen wäre, anhand eines Rückblicks auf das Leben
Saddams die Geschichte der amerikanisch-irakischen Beziehungen noch
einmal zu rekapitulieren. Holen wir also nach, was für deutsche Journalisten
außerhalb des minoritären Sektors der ausgesprochenen Linkspresse
offensichtlich zu schwierig oder zu heikel ist: Die erste Ironie bei Saddams
Hinrichtung ist, dass er als politischer Führer in gewisser Weise stets als ein
irakischer bzw arabischer Nationalist galt. Genau das hatte ihn ursprünglich für
die amerikanischen Nahoststrategen interessant gemacht. Andere geschätzte
Qualitäten waren seine stets aktive Beteiligung bei der gewaltsamen Verfolgung
von Kommunisten sowie seine Bereitwilligkeit, die schiitischen Feinde der USA
im Iran mit Krieg zu überziehen. Als er diese Bereitwilligkeit schließlich in die
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Tat umsetzte, haben die USA ihn dabei in vielfacher Weise unterstützt, bis hin
zu aktiver Waffenhilfe durch die US-Marine.Jahrzehntelang also teilten die
US-Regierung und Saddam Hussein die gleichen Feinde. Seine politische
Karriere begann er als Mann fürs Grobe der Baath-Partei. 1961 wurde er nach
einem gescheiterten Attentatsversuch gegen den damaligen Staatschef Abdul
Karim Quassim – einen linksorientierten General, der mit Unterstützung der
irakischen Kommunisten regierte – beinahe gefasst und konnte knapp nach
Ägypten entkommen. Sein ägyptysches Exil endete 1963, nachdem die
Baath-Partei im Irak die Macht übernommen hatten – mit tatkräftiger
Unterstützung der CIA!Einmal an der Macht, verfolgte Saddam dann in der Tat
eine verhalten nationalistische Politik, die in den USA manches Mal Ärgernis
erregte, z. b. als er die Ölvorkommen Iraks nationalisierte. Da gingen denn die
USA schon mal vorbeugend dazu über, die Kurden vertraulich auf die
Möglichkeit des bewaffnetem Freiheitskampfes aufmerksam zu machen und
durch Waffenlieferungen zu seiner Umsetzung zu animieren. Aber als dann
Ende der siebziger Jahre der Iran des Schah, bis dahin Washingtons engster
Verbündeter und wichtigster Klientenstaat im Nahen Osten neben der
Musterdemokratie Saudi-Arabien, in die Hände der schiitischen Mullahs fiel,
war das alles vergeben und vergessen.Zunächst war es durchaus nicht klar,
dass Saddam den schiitischen Gottesstaat Iran mit Krieg überziehen würde.
Denn die schiitischen religiösen Führer in seinem Land waren von Hause aus
keine große Gefahr für ihn gewesen. Die schiitischen Massen orientierten sich
traditionellerweise an der kommunistischen Partei. Erst nachdem er die
Kommunisten zerschlagen und ihre Kader vernichtet bzw. vertrieben hatte,
stießen nun folgerichtig die irakischen Mullahs in das wohlfeile politisches
Vakuum und reklamierten mit einem gewissen Erfolg die Führerschaft über die
politisch »verwaisten« schiitischen Massen. Damit wurde der politische
Islamismus plötzlich auch für Saddam im eigenen Lande gefährlich, und
angesichts seiner Stärke im Nachbarland Iran galt das umso mehr. Um dieser
Gefahr zu begegnen, ordnete er 1980 den »vorbeugenden Angriff« gegen den Iran
an, insgeheim ermuntert von den USA. In dem insgesamt achtjährigen Krieg
zwischen dem Irak und dem Iran wurde Saddam Hussein kontinuierlich und
ohne Unterbrechung von den Vereinigten Staaten unterstützt, und das trotz
seines damals in der westlichen Welt wohlbekannten und ausführlich
publizierten Gebrauchs von Giftgas nicht nur gegenüber dem Gegner, sondern
auch gegenüber seinem eigenen VolkDer Charakter der Beziehungen zwischen
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den USA und Saddam Hussein während dieser Zeit des Iran-Irak-Krieges ist am
prägnantesten überliefert in einem telegraphischen Memo des damaligen
Secretary of State, George Shultz, an seinen Mitarbeiter Donald Rumsfeld, den er
kurz zuvor als Abgesandten der US-Regierung nach Bagdad geschickt hatte. Die
USA hatten gerade offiziell den Gebrauch von Giftgas durch die irakische Armee
verurteilt, der just zu diesem Zeitpunkt international bekannt geworden war.
Shultz instruierte Rumsfeld nun, wie er sich angesichts dieser Tatsache zu
verhalten habe: Er solle auf diese Giftgasgeschichte nicht näher eingehen und
die offizielle Verurteilung eher herunterspielen. Sie sei mehr »pro forma« zu
verstehen; das wirkliche Interesse der Vereinigten Staaten sei, einen Sieg des
Iran zu verhindern. Die Politik der USA, die bilateralen Beziehungen mit dem
Irak zu verbessern, und zwar in einem vom Irak selbst gewählten Tempo, sei
davon vollkommen unberührt. Dies möge Rumsfeld bitte in seinen Gesprächen
ausdrücklich betonen. Die kontinuierliche Unterstützung durch die USA
verleitete den welt-unerfahrenen und sich selbst grandios überschätzenden
Saddam zu der naiven Annahme, sie würden ihm 1990 gestatten, das Emirat
Kuwait, dessen Unabhängigkeit der Irak erst 1963 offiziell anerkannt hatte, heim
in den irakischen Staat zu holen. Selbst nach diesem unerhörten Akt der
Eigenmächtigkeit gegenüber der absehbar einzig verbliebenen Supermacht
begnügten sich die USA zunächst damit, die Wirtschaft des Irak systematisch
durch Sanktionen zu ruinieren; ihn selbst ließen sie im Amt, weil sie ihn trotz
der von ihnen selbst kontinuierlich betriebenen Schwächung seiner Position
weiterhin als Bollwerk gegen den Iran und die militanten Schiiten im Irak für
nützlich hielten.Erst mit der Machtübernahme durch die Neocons änderte sich
die widersprüchliche Politik Washingtons gegenüber Saddam. Statt wie bisher
Klientenstaaten verschiedener Intensität gegeneinander auszuspielen und
versteckt bzw. durch Dritte diejenigen zu bekämpfen, die sich offen einer
Einbindung in die »Neue Weltordnung« widersetzen, wechselte die Regierung
Bush/Cheney unter rhetorischer Ausnutzung des Angriffs vom 11. September
nun zu einer Politik der direkten militärischen Aktion und der offenen
politischen Offensive. Ein wichtiger Anlass dazu war eine wachsende Sorge um
den kontinuierlichen Ölnachschub für den American Way of Life. Hinzu kam
die unwiderstehlich verlockende Chance enormer Gewinne für private Firmen
durch Abschöpfung eines zu Kriegszeiten stets spendierfreudigen, ja
willenlosen Staatshaushalts. Damit waren Saddams Tage gezählt. Die von
Washington bis dahin gefürchteten »islamistischen« Schiiten im Irak wurden
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nun plötzlich zu Verbündeten Washingtons im Kampf um die »Demokratie« im
Irak, eine wahrhaft groteske Demonstration des Zynismus, aber auch der
Einfältigkeit amerikanischer Machtpolitik!Mit all dem hätte Saddam eigentlich
rechnen können. Wenn er sich nämlich während seiner Zeit als irakischer
»Staatsmann« nicht damit begnügt hätte, mit Ausnahme von zwei kurzen
Waffenkauf-Trips nach Paris und Moskau bloß in seinem Bagdader Palast
herumzusitzen, statt sich ein wenig mit der realen Lage der Welt auch
außerhalb seines Herrschaftsgebiets vertraut zu machen, dann wäre ihm nicht
verborgen geblieben, dass nach der Abdankung der Sowjetunion in der nun
unipolaren Welt ein pompiger kleiner Herrscher sich nicht ungestraft dem
Willen der einzigen verbliebenen Supermacht widersetzen kann, schon gar
nicht, wenn er auf einem See von Öl sitzt.Allerdings konnte der ehemalige
Herrscher über den Irak seinen letzten Gang zum Schafott mit der Genugtuung
antreten, dass er seine verräterischen Ex-Freunde, die ihm so in den Rücken
gefallen waren, schließlich mit dem Irak-Krieg in weltpolitische
Schwierigkeiten gebracht hat, die zukünftigen Historikern seinen Namen als
bedeutender erscheinen lassen werden, als er es in Wirklichkeit je war.
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