Glaube - Freiheit - Diktatur in Europa und den USA
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Glaube - Freiheit - Diktatur in Europa und den USA
Glaube - Freiheit - Diktatur in Europa und den USA Festschrift fiir Gerhard Besier zum 60. Geburtstag Herausgegeben von Katarzyna Stoklasa und Andrea Striibind Vandenhoeck & Ruprecht 2001- Zwischen Religionsfreiheit und Eindammung des Islams. Religionspolitik in der amerikanischen AuBenpolitik Hubert Seiwert Spatestens seit den terroristischen Angriffen vom 11. September 2001 auf <las World Trade Center und <las Pentagon gilt der ,,internationale Terrorismus" als groBte Bedrohung der Sicherheit der Vereinigten Staaten. Unter der Chiffre ,,Krieg gegen den Terrorismus" verbfrgt sich leicht erkennbar ein Kampf gegen lokal wie global agierende islamistische Gruppen, die sich dem auf okonomische und militarische Macht gestiitzten Dominanzanspruch der westlichen Zivilisation widersetzen und dabei auch nicht vor massiver Gewaltanwendung zuriickschrecken. Anders als im Falle Chinas oder Russlands, deren Rivalitlit mit den USA auf den traditionellen Feldern internationaler Politik ausgefochten wird, lasst sich der Konflikt mit dem militanten Islamismus nicht in den Kategorien der klassischen AuBenpolitik erfassen. Der Islamismus agiert nicht als staatlicher Akteur auf der internationalen Biihne, sondern seine diffuse Macht leitet sich vor allem aus einem wachsenden Mobilisierungspotential ab, <lessen ideologische Grundlage der Islam ist oder genauer: die Bereitschaft, die islamische Grundlage der gesellschaftlichen. Ordnung gegen das Vordringen des westlichen Sakularismus zu verteidigen. Auch wenn dieser Konflikt mit den Mitteln terroristischer und militarischer Gewaltanwendung ausgetragen wird, so ist er doch zugleich und vermutlich in seinem Kern ein ideologischer Konflikt. Es geht dabei um unterschiedliche Modelle sozialer und politischer Ordnung, deren legitimatorische Basis einerseits in der sakularistischen Rechtstradition des Westens und andererseits in der religiosen Rechtstradition des lslams liegt. Indem im ausgehenden 20. Jahrhundert der Rekurs auf den Islam zur ideologischen Grundlage global agierender politischer Akteure wurde, veranderte sich das Koordinatensystem des modernen Systems internationaler Politik. Die bislang ausschlieBlich in sakularen Kategorien bestimmten internationalen Beziehungen wurden um den Faktor Religion erweitert. Jedoch ist zu vermerken, <lass nicht nur <lurch die politische Bedeutung des Islams Religion zu einem Element der AuBenpolitik wurde. Vielmehr haben auch die Vereinigten Staaten den Faktor Religion explizit in die internationalen Beziehungen eingefiihrt, indem die weltweite Durchsetzung von Religionsfreiheit zu einem vorrangigen Ziel der amerikanischen AU.Benpolitik erklart wurde. Die gesetzliche Grundlage dafiir wurde mit der Verabschiedung der International Religious Freedom Act (IRFA) <lurch den Kongress im Jahre 1998 geschaffen. 476 Hubert Seiwert Zwischen Religionsfreiheit und Eindii.mmung des Islams Die Bedeutung von Religion und Religionspolitik bei der Entwicklung des Systems internationaler Beziehungen hat bislang in der Politikwissenschaft nur geringe Beachtung gefunden 1• Ich werde im Folgenden nur einen Aspekt der internationalen Religionspolitik behandeln: den Versuch der amerikanischen AuBenpolitik, Religionsfreiheit weltweit durchzusetzen, und den gegenlaufigen Versuch, den Einfluss des Islams als Mittel der politischen Mobilisierung zu begrenzen. Dabei werde ich mich auf einige religionswissenschaftlich interessante Punkte konzentrieren. land einige religiose Minderheiten, darunter die Scientology Church, benachteiligt wiirden. Fur die zwischenstaatlichen Beziehungen der Vereinigten Staaten zu befreundeten Demokratien in Westeuropa haben die Berichte keine nennenswerte Bedeutung, wenn man von gelegentlichen leichten Irritationen absieht. Allerdings spielen Deutschland und Westeuropa unter den fast 200 in den Reports erwahnten Staaten nur eine untergeordnete Rolle. Das Hauptinteresse gilt Uindern, in denen massive Beeintrachtigungen der Religionsfreiheit verzeichnet werden. In der Praxis handelt es sich dabei in erster Linie um Staaten in Asien und Afrika. Dort ist die offentliche Wahrnehmung der Berichte zum Teil starker als in Europa und entsprechend auch die offentliche Kritik und Ablehnung7 • Obwohl die IRFA vom Kongress einstimmig beschlossen wurde und in der amerikanischen Offentlichkeit auf breite Zustimmung traf, blieben das Gesetz und seine praktische Umsetzung nicht von Kritik verschont. Es waren iiberwiegend Wissenschaftler, die aus verschiedenen Griinden sei es die Zielsetzung, sei es die politische Anwendung der IRFA kritisierten8 • Ich werde auf drei wesentliche Kritikpunkte kurz eingehen: (1) den Vorwurf, es gehe bei der Umsetzung der IRFA <lurch das State Department weniger um die internationale Religionsfreiheit als vielmehr um die Verfolgung auBenpolitischer Interessen der USA; (2) die Kritik, mh dem Gesetz werde <lurch die Hervorhebung der Religionsfreiheit eine Hierarchisierung der Menschenrechte etabliert, <lurch die andere Menschenrechte als weniger schlitzenswert erschienen, (3) der Verdacht, die Intention des Gesetzes sei in erster Linie der Schutz des Christentums und der christlichen Mission und nicht der allgemeine Schutz von Religionsfreiheit. 1. Die International Religious Freedom Act von 1998 und ihre Kritiker Der einstimmigen Verabschiedung der International Religious Freedom Act (IRFA) durch den amerikanischen Kongress im Jahre 1998 gingen mehrere Jahre politischer Diskussion und Lobbyarbeit voraus, deren Hauptakteure vor allem den Schutz verfolgter christlicher Minderheiten im Sudan und anderen mehrheitlich muslimischen Landern im Sinn batten. Im Gesetzestext der IRFA wurde diese Einengung jedoch iiberwunden, indem grundsatzlich die Freiheit aller Religionen zum Gegenstand gemacht wurde 2 • Zu den wichtigsten Vorschriften des Gesetzes gehOren (a) die Einrichtung eines Amtes fiir internationale Religionsfreiheit im AuBenministerium, <las unter der Leitung eines Sonderbotschafters steht3 , (b) die Verpflichtung des AuBenministeriums, jahrlich einen Bericht iiber internationale Religionsfreiheit (International Religious Freedom Report) vorzulegen, in dem auf alle Staaten der Ertle (mit Ausnahme der USA) eingegangen wird4, (c) die Einrichtung einer Kommission fiir Internationale Religionsfreiheit, die Empfehlungen fiir die Regierung ausarbeiten soll5 , und (d) die Verpflichtung des Prasidenten, geeignete politische MaBnahmen zur Durchsetzung der internationalen Religionsfreiheit zu ergreifen. Der MaBnahmenkatalog reicht von diplomatischen Demarchen iiber Beschrankungen des kulturellen Austauschs und Entzug der Wirtschaftshilfe bis zu wirtschaftlichen Sanktionen und Embargos in Fallen besonders schwerer und dauerhafter Verletzungen der Religionsfreiheit6 . In der deutschen und europaischen Offentlichkeit wurde die IRFA kaum zur Kenntnis genommen, obwohl in den jiihrlichen Berichten zur internationalen Religionsfreiheit mit einer gewissen RegelmaBigkeit erwahnt wird, dass in Deutsch- 2 3 4 5 6 Vgl. dazu Jonathan Fox, Religion as an overlooked element of international relations, in: International Studies Review 3 (2001), 53- 73. Zur Entstehung und Verabschiedung des International Religious Freedom Act vgl. T. Jeremy Gunn, Die Vereinigten Staaten und ihr Einsatz fiir die Religions- und Glaubensfreiheit, in: Religion - Staat - Gesellschaft 3 (2002), 235-263, hier: 239-249. International Religious Freedom Act of 1998 (H.R. 2431) (im Folgenden zitiert als IRFA), sec. 101. AaO., sec. 102. AaO., sec. 201-206. AaO., sec. 405 (a). 477 l.l Instrument der nationalen Interessen Nach der Veroffentlichung des ersten Jahresreports zur Internationalen Religionsfreiheit (1999) klassifizierte das State Department fiinf Staaten als Countries of Particular Concern (CPC), d. h. als Lander, in denen es zu besonders schwerei1 Verletzungen der Religionsfreiheit kommt9 : China, Iran, Irak, Sudan und Birma 1o. In den folgenden Jahren wurde diese Liste mehrfach verandert und erweitert, woFiir offentliche Reaktionen in Indien vgl. Laurie Gozad, The United States' imposition of religious freedom: the International Religious Freedom Act and India, in: India Review 4 (2005) 1, 59-83. Zu einer Antwort auf die verschiedenen Kritiken siehe Jeremy T. Gunn, A preliminary response to criticism of the International Religious Freedom Act of 1998, in: Brigham Young University Education and Law Journal 2000, 841 ff. (lnternetausgabe: Academic Search Premier, EB ESCO host, letzter Zugriff am 7. 5. 2007). IRFA, aaO. (Anm. 3), sec. 402 (Presidential Actions in Response to Particularly Severe Violations of Religious Freedom) sieht als eine der MaBnahmen die Erklarung von Staaten zum Country of Particular Concern for Religious Freedom vor, woraus sich dann die Moglichkeit weitreichender Sanktionen ergibt. Cf. Eugenia Relaiio Pastor, The flawed implementation of the International Religious Freedom Act of 1998: A European perspective, in: Brigham Young University Law Review (2005), 711-746; hier: 726. Hubert Seiwert Zwischen Religionsfreiheit und Eindiimmung des Islams bei die Regierung nicht immer den Empfehlungen der Commission on International Religious Freedom 11 folgte. So wurde im Report von 2001 zwar Nordkorea der Liste der CPC hinzugefiigt, nicht jedoch Pakistan, Saudi-Arabien, Turkmenistan und Usbekistan, obwohl die Kommission fiir diese Staaten ebenfalls besonders schwere Verletzungen der Religionsfreiheit konstatiert hatte 12 • Erst nach dem Report von 2004 wurde aufgrund erheblicher offentlicher Kritik auch Saudi-Arabien vom State Department zum CPC erklart 13 • Es erscheint offensichtlich, <lass das AuBenministerium, das im Namen des Prasidenten fiir die Ausfiihrung der IRFA zustandig ist, bei verschiedenen Landern unterschiedliche MaBstabe anwendet. Peter G. Danchin kommt bei seiner Analyse der Umsetzung der IRFA zu dem Schluss, <lass die Scharfe der okonomischen Sanktionen und politischen StrafmaBnahmen gegen Staaten, in denen gravierende Verletzungen der Religionsfreiheit verzeichnet werden, proportional zu den strategischen und okonomischen Interessen der Vereinigten Staaten in den betreffenden Landern abnehme. Die Reaktionen seien am scharfsten bei den Staaten, die aus verschiedenen historischen und ideologischen Griinden als ,,Schurkenstaaten" angesehen werden, wie im Falle von Iran, Irak (vor dem Sturz Saddam Husseins), Nordkorea und Sudan. ,,In other words, in the conduct of foreign policy towards states that are severe violators of religious freedom, principle will.likely be trumped by realpolitik where significant U.S. economic, security, and strategic interests are at stake." 14 In der Tat sieht das Gesetz ausdriicklich vor, <lass der Prasident davon absehen kann, die vorgeschriebenen MaBnahmen zur Durchsetzung der Religionsfreiheit zu treffen, wenn dies im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten liegt 15 . Dies Iasst den Schluss zu, <lass die Forderung der internationalen Religionsfreiheit weniger ein Ziel der amerikanischen AuBenpolitik darstellt als vielmehr ein Mittel, <las zur Verfolgung anderer auBenpolitischer Ziele eingesetzt werden kann. dem die Religionsfreiheit gleichsam als <las wichtigste Menschenrecht bestimmt 16 werde . Immerhin umfasst die Allgemeine Erkliirung der Menschenrechte insgesamt 30 Artikel, von denen <las Recht auf Freiheit des Denkens, Gewissens und der Religion (Art. 18) nur einer ist. Andere Menschenrechte erscheinen nicht weniger wichtig und man kann deshalb fragen, ob ihre weltweite Durchsetzung nicht den gleichen Nachdruck verdiene wie die Durchsetzung von Religionsfreiheit. Vor diesem Hintergrund wird darauf hingewiesen, <lass insbesondere <lurch die BushAdministration im Zusammenhang mit dem ,,Krieg gegen den Terror" einige elementare Menschenrechte beschrankt und verletzt wiirden 17 , so <lass in Verbindung mit der formalen Sonderstellung des Rechts auf freie Religionsausi.ibung der Eindruck entsteht, der Schutz anderer Freiheitsrechte sei von geringerer Bedeutung. In der Tat ist schwer zu begriinden, <lass ,, torture or cruel, inhuman, or degrading treatment" oder ,,prolonged detention without charge" 18 nur dann Anlass zu politischer Aktion geben, wenn davon Personen betroffen sind, die einer Religion angehOren. 478 1.2 Hierarchisierung der Menschenrechte In der wissenschaftlichen Literatur wurde die Verabschiedung und Anwendung der IRFA auch aus anderen Grunden kritisiert. So wird moniert, <lass <lurch IRFA faktisch eine Hierarchisierung der Menschenrechte vorgenommen werde, in11 Durch IRFA wurden einige neue Institutionen in der US-Regierung geschaffen: 1. Of fice of International Religious Freedom mit einem Ambassador at Large im AuBenministerium (sec. 101), 2. die neunkopfige Commission on International Religious Freedom (sec. 202) 3. ein Special Adviser to the President on International Religious Freedom im National Security Council (sec. 301 ). 12 Vgl. Pastor, aaO. (Anm. 10), 730. 13 14 15 AaO., 736. Peter D. Danchin, U.S. unilateralism and the international protection of religious freedom: the multilateral alternative, in: Columbia Journal of Transnational Law 33 (2002/2003), 33-135; hier: 63. IRFA, aaO. (Anm. 3), sec. 407 (3). 479 1.3 Schutz des Christentums Von keiner Seite wird die Bedeutung der Religionsfreiheit als eines elementaren Menschenrechts bestritten. Die Kritik richtet sich vielmehr dagegen, <lass die IRFA und die darauf gegri.indeten Aktionen einseitig den Interessen der Vereinigten Staaten dienten und versaumt werde, Religionsfreiheit <lurch multilaterale Vereinbarungen zu fOrdern 19 . Bei der Frage, worin <las einseitige Interesse der Vereinigten Staaten bestehe, wird in der Regel auf die Rolle christlicher Gruppen und Lobbyisten bei der Entstehung der IRFA verwiesen. Denn es war vor allem die Verfolgung von Christen weltweit, die Mitte der neunziger Jahre den AnstoB zu Forderungen nach Verabschiedung eines Gesetzes zu ihrem Schutz gab20 • Auch wenn die IRFA im Unterschied zu vorhergehenden Gesetzesentwiirfen dem Christentum keine explizite Sonderstellung einraumt 21 , sondern die Freiheit aller Religionen schi.itzen will, ist gleichwohl unverkennbar, <lass eines der zentralen Motive fiir die Verabschiedung des Gesetzes der Schutz christlicher Minderheiten und · christlicher Mission war. Dem scheint zu entsprechen, <lass die jahrlichen Berichte der Verfolgung von Christen iiberproportional breiten Raum geben22 • 16 Vgl. Danchin, aaO. (Anm. 14), 104-106. 17 Vgl. Pastor, aaO. (Anm. 10), 740 f.; Natasha Fain, Human rights within the United States: the erosion of confidence, in: Berkeley Journal of International Law 21 (2003), 607-630; hier: 616-626. 18 IRFA, aaO. (Anm. 3), sec. 3 (11) (A-B). 19 Cf. Danchin, aaO., (Anm. 14), 115-123. 20 Cf. Cozad, aaO. (Anm. 7), 62-65; Gunn, aaO. (Anm. 2), 239-243. 21 Vgl. jedoch IRFA, aaO. (Anm. 3), sec. 2 (a) (7), wo auf friihere Beschliisse des Kongresses zum Schutz verfolgter Christen verwiesen wird. 22 Vgl. Cozad, aaO. (Anm. 7), 66. Fiir eine Antwort auf diesen Vorwurf siehe Gunn, aaO. (Anm. 8), 17. 480 Hubert Seiwert 2. Voraussetzungen des westlichen Begriffs von Religionsfreiheit In der Form, in der das Gesetz schlieBlich verabschiedet wurde, stellt es einen Kompromiss unterschiedlicher Interessen und Ziele dar, und es ware deshalb vermutlich falsch, darin den Ausdruck einer kohiirenten auBenpolitischen Strategie zu sehen. Ohne Zweifel entspricht das Eintreten fiir Religionsfreiheit der in der amerikanischen Gesellschaft tief verwurzelten Uberzeugung, dass die Freiheit des religiosen Glaubens und der Religionsausiibung zu den Grundvoraussetzungen eines freiheitlichen Staatswesens gehoren. Diese Uberzeugung ist aus der historischen Erfahrung Amerikas und Westeuropas seit der Reformation und den Glaubenskriegen der friihen Neuzeit erwachsen. Insbesondere in den Vereinigten Staaten ist der Schutz religioser Minderheiten vor Verfolgung ein wesentliches Element des staatlichen Selbstverstiindnisses und Bestandteil des nationalen Griindungsmythos. Dies erkliirt die hohe Bedeutung, die der Religionsfreiheit im amerikanischen Rechtssystem und in der Politik beigemessen wird und damit auch die einhellige Unterstiitzung des Kongresses fiir die International Religious Freedom Act. Das weltweite Eintreten fiir Religionsfreiheit wird als Teil der amerik.anischen Mission zur Verbreitung von Freiheit und Demokratie verstanden. Dass dieses Sendungsbewusstsein nicht die ungeteilte Unterstiitzung der internationalen Gemeinschaft findet, erkliirt sich einerseits <lurch den Unilateralismus, mit dem die Vereinigten Staaten ihrem Verstiindnis von Religionsfreiheit weltweit Geltung zu verschaffen suchen. Andererseits griindet diese Politik in einem Weltbild, das die historischen Erfahrungen Amerikas generalisiert. Damit wird ein spezifisch amerikanisches Verstiindnis von Religionsfreiheit als universal gilltig vorausgesetzt, ohne zu beriicksichtigen, dass dieses das Ergebnis einer singuliiren Entwicklung ist. Zentrales Element dieses Begriffs von Religionsfreiheit ist die strikte Trennung von Religion und Staat. Daraus ergeben sich nicht nur ein spezifisches, siikularistisches Staatsverstiindnis, sondern auch ein bestimmtes Verstiindnis von Religion. Diese Voraussetzungen des der IRFA zugrunde liegenden Verstiindnisses von Religionsfreiheit sind in vielen Gesellschaften, insbesondere der islamischen Welt, nicht in gleicher Weise gegeben. Die Durchsetzung von Religionsfreiheit nach amerikanischem Muster verlangt in solchen Fiillen nicht weniger als eine Anderung der Staatsverfassung und der Religion im Sinne des modernen westlichen Verstiindnisses. Die strikte Trennung von Religion und Staat beruht auf historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die in Westeuropa und Nordamerika in der Neuzeit entstanden sind. Dazu gehoren die Herausbildung von Nationalstaaten mit siikularen Verfassungen, die Entwicklung des Kapitalismus als nur der okonomischen Rationalitiit gehorchende Wirtschaftsform und schlieBlich eine weitgehende Siikularisierung offentlicher Institutionen wie des Bildungswesens und der Rechtsordnung. Es ist bekannt, class dieser Siikularisierungsprozess insbesondere in den katholischen Liindern Europas keineswegs konfliktfrei verlief. Gleichwohl besteht heute in Westeuropa wie auch in Nordamerika eine Situation, in der die Trennung von Religion und Staat gegeben ist. Die damit vollzogene "Privatisierung" von Reli~ Zwischen Religionsfreiheit und Eindiimmung des Islams 481 gion bedeutet nicht zwingend einen Riickzug aus dem offentlichen Leben, wohl aber einen formalen Verzicht auf institutionell begriindete politische Einflussnahtne23. Der historische Widerstand der als Staatskirchen privilegierten Religionen gegen diesen Prozess der Sakularisierung und den damit verbundenen Verlust an gesellschaftlichem Einfluss blieb erfolglos, weil die Rationalisierung anderer Lebensbereiche - Wirtschaft, Politik und Wissenschaft - eine Eigendynamik entfaltete, die religiose Intervention nicht mehr gestattet. Im Prozess der europiiischen und nordamerikanischen Moderne etablierte sich der nur seiner eigenen politischen Logik und der Logik des kapitalistischen Marktes unterworfene autonome Staat, in dem Religion in die Sphiire des Privaten und der individuellen Lebensfiihrung verwiesen ist. Erst unter dieser Bedingung ist es fiir den Staat moglich, alle Religionen gleich zu behandeln. Der Preis, den die etablierten Kirchen fiir die allgemeine Religionsfreiheit zu zahlen batten, ist die Sakularisierung der staatlichen und rechtlichen Ordnung. Religionsfreiheit bedeutet in diesem Zusammenhang die Freiheit des Glaubens und der religiosen Betiitigung als individuelles und kollektives Recht, soweit damit nicht der siikulare Charakter des Staates in Frage gestellt wird. Die in den modernen westlichen Gesellschaften und in Sonderheit in den Vereinigten Staaten vollzogene Trennung von Religion und Staat, durch die Religion als Privatangelegenheit definiert wird, ist die Voraussetzung dieser Form von Religionsfreiheit. Denn our ein sakularer Staat kann sich gegeniiber allen Religionen neutral verhalten. Die Forderung nach Religionsfreiheit in diesem Sinne schlieBt deshalb unausgesprochen auch ein bestimmtes Staatsverstandnis ein. Das westliche Modell des siikularen Staates wird ebenso zur generellen Norm erhoben wie das westliche Modell privatisierter Religionen. 2.l Sakularer Staat Im Selbstverstiindnis der westlichen und insbesondere der nordamerikanischen Moderne nimmt die Trennung von Religion und Staat in der Tat eine Schliisselrolle ein24 • Der Siikularismus der westlichen Moderne, der eine religiose Begriindung des Rechts und der staatlichen Ordnung ablehnt, fand in den Vereinigten Staaten eine spezifische Form, indem mit der Trennung von Religion und Staat zugleich eine weitgehende Autonomie der Religionen etabliert wurde. Das in der Bill of Rights als Erster Zusatz zur Verfassung festgeschriebene Yerhot einer Staatskirche und die Garantie der freien Religionsausiibung wurden zum Ausgangspunkt einer verfassungsrechtlichen Entwicklung, die zu einer ,,wohlwollenden Neutralitat" des Staates gegeniiber Religion und einer starken Betonung des Rechts auf Vgl. dazu Jose Casanova, Private and public religions, in: Social Research 59 (1992), 18-57. Vgl. Hubert Seiwert, Religion in der Geschichte der Moderne, in: Zeitschrift fiir Religionswissenschaft 3 (1995), 91-101. "- 482 Hubert Seiwert Zwischen Religionsfreiheit und Eindiimmung des Islams Religionsfreiheit In der in der International Religious Freedom Act zum Ausdruck gebrachten Deutung erscheint Religionsfreiheit als ein Pfeiler der amerikanischen Nation und damit gleichsam als Fundament einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaftsordnung. Aus diesem Verstandnis leitet sich die Legitimation ab, dem amerikanischen Gesellschaftsmodell universale Geltung zu verschaffen. Entsprechend beginnt das Gesetz mit der Feststellung: ,,The right to freedom of religion undergirds the very origin and existence of the United States. Many of our Nation's founders fled religious persecution abroad, cherishing in their hearts and minds the ideal of religious freedom. They established in law, as a fundamental right and as a pillar of our Nation, the right to freedom of religion. From its birth to this day, the United States has prized this legacy of religious freedom and honored this heritage by standing for religious freedom and offering refuge to those suffering religious persecution. " 26 Diese Verklarung der Religionsfreiheit als Basis der amerikanischen Nation ist, wie die Religionswissenschaftlerin Winnifred Sullivan bemerkt, nicht Geschichte, . sondern ein Mythos 27 • Die Geschichte der Vereinigten Staaten kannte und kennt · durchaus Falle religioser Diskriminierung, etwa von Indianern, Katholiken, Mormonen und anderen religiosen Minderheiten28 • Auch der Erste Zusatz zur Verfas- · sung, der die Trennung von Religion und Staat festschreibt, war nicht Ausdruck eines allgemeinen Konsens iiber die Bedeutung der Religionsfreiheit, sondern vielmehr ein Kompromiss angesichts konkurrierender Bestrebungen von Kongregationalisten und Unitariern, ihre eigene Religion als Staatsreligion zu etablieren29 ; Die auch im Vergleich zu westeuropaischen Staaten gegenwartig sehr weitgehende Auslegung des Rechts auf Religionsfreiheit in den Vereinigten Staaten kann deshalb nicht als Ausdruck einer immerwahrenden Rechtsauffassung angesehen ·· werden. Zwar ist die verfassungsrechtliche Grundlage dieser Form der Beziehung von Staat und Religion der Erste Zusatz zur US-Verfassung. Jedoch ist dessen Irr terpretation Gegenstand einer umfangreichen und kontroversen Rechtsgeschichte sowie der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Hinzu kommen weitere Bundes- und Staatsgesetze wie etwa die Religious Freedom Restoration Act voti; 1993 30 . Allein diese komplexe und kontrovers diskutierte Rechtslage macht deut~ • lich, dass das gegenwartige amerikanische Verstandnis von Religionsfreiheit in hohem MaB das Ergebnis spezifischer historischer Entwicklungen und politischer Konstellationen ist, das kaum universelle Geltung beanspruchen kann. fiihrte 25 . 25 26 27 28 29 30 Vgl. Robert T. Miller/Ronald B. Flowers (Hgg.), Toward benevolent neutrality: church, state, and the Supreme Court, Waco, Tx. 5 1998. · IRFA, aaO. (Anm. 3), sec. 2 (a) (1). Winnifred Fallers Sullivan, Exporting religion: where the Religious Freedom Act fails, in: Commonweal 26 (1999), 10-11; hier: 11. Vgl. auch Gunn, aaO. (Anm. 8), 3. Vgl. auch James T. Richardson, Religion in public space: a theoretical perspective and comparison of Russia, Japan, and the United States, in: Religion - Staat - Gesellschaft 7 (2006), 45-62; hier: 46 f. i James T. Richardson, The sociology of religious freedom. A structural and socio-legal , analysis, in: Sociology of Religion 67 (2006), 271-294; hier: 273. Vgl. James T. Richardson, The Religious Freedom Restoration Act: a short-lived expeJ riment in religious freedom, in: D. E. Guinn/C. Barrigar/K. K. Young (Hgg.), Reli~ on and law in the global village, Atlanta, Ga. 1999, 143-164; Gary Gildin, A blessing~ in disguise: protecting minority faiths through State religious freedom non-restoration] acts, in: Harvard Journal of Law and Policy 23 (2000), 411-485. 483 2.2 Privatisierte Religion Die im modernen westlichen Verstandnis von Religionsfreiheit vorausgesetzte Trennung von Religion und Staat impliziert nicht nur einen Sakularismus, der die Autonomie des Staates und der allgemeinen Rechtsordnung gegeniiber den normativen Vorgaben jedweder Religion behauptet. Sie verlangt zugleich die Bereitschaft der Religionen zur Selbstbegrenzung, namlich den Supremat des sakularen Staates und seiner Gesetze iiber die Geltungsanspriiche der eigenen Normen und Glaubensmaximen anzuerkennen. Religion wird zur Privatsache, und Religionsfreiheit bedeutet dann die Freiheit, die eigene Religion zu wahlen, zu praktizieren und offentlich zu bekennen. Eine solcherart privatisierte Religion verzichtet darauf, allgemeine Geltung zu beanspruchen. Nur unter dieser Bedingung ist ein religioser Pluralismus, der alien Religionen gleiche Rechte gibt, moglich. Nicht alle Religionen sind zu einer solchen Selbstbeschrankung bereit. Der Prozess der Sakularisierung von Staat und Gesellschaft verlief in Europa nicht konfliktfrei und die Anerkennung gleicher Rechte fiir alle Religionen st6Bt auch heute noch auf Widerstand, insbesondere vieler orthodoxer Kirchen in Osteuropa. · A.her auch in den Vereinigten Staaten fehlt es nicht an Versuchen, religiose iiherzeugungen zur Grundlage staatlicher Politik zu machen31 • Der sakulare Char~akter des Staates ist deshalb auch unter den Bedingungen der Moderne nicht :, selbstverstandlich, so wenig wie der Verzicht von Religionen auf politische Ein: pussnahme und Instrumentalisierung des Staates. Dies gilt in besonderem MaBe fur Religionen, die - wie der Islam vielerorts - nicht die historische Erfahrung · ~iner weitgehenden Sakularisierung der Gesellschaft gemacht haben. Die Privati~ierung religioser Uberzeugung und die Anerkennung der rechtlichen Gleich&.tellung aller Religionen erfordert einen bestimmten Typus von Religionen, der ebenso das Produkt historischer Konstellationen ist wie der Sakularismus des modernen westlichen Staatsverstandnisses. Eswird aus dem Text der IRFA und mehr noch aus denjahrlichen Reports deutUch, dass Religionsfreiheit sich nur auf solche Formen religiosen Glaubens und ligioser Betatigung bezieht, die die Trennung von Religion und Staat und damit a,µch den sakularen Charakter des Staates respektieren. Geschiitzt werden die Frei-~eit des religiosen Bekenntnisses und der Religionsausiibung in Form von Gottesdiensten, Predigten und Gebeten, der Besitz und die Verbreitung religioser Schriften einschlieBlich der Bibel und das Recht, seine Kinder entsprechend der eigenen Zurn Einfluss christlicher Gruppen auf die amerikanische AuSenpolitik vgl. Walter Russell Mead, Gods country? in: Foreign Affairs 85 (2006) 5, 24-43. Zurn allgemeinen Einfluss vgl. James E. Wood/Derek H. Davis (Hgg.), The role of religion in the making of public policy, Waco, Tx. 1991. Hubert Seiwert Zwischen Religionsfreiheit und Eindiimmung des Islams Religion zu erziehen32 . Religionsfreiheit gilt also fiir eine Form von Religion, die weitgehend dem modernen christlich-protestantischen Religionsverstandnis entspricht33. Dieses Religionsverstandnis setzt nicht nur eine klare Trennung der Spharen des Religiosen und Politischen, des individuellen Glaubens und der rechtlichen Normen voraus, sondern eben auch den prinzipiellen Vorrang der Gesetze des Staates vor denen der Religion. Damit besteht ein Legitimitatsproblem des sakularen Staates, <lessen Vorrangstellung begriindungsbediirftig ist. In der westlichen Moderne wurde dieses Problem <lurch demokratische Verfassungen zu losen versucht, die von der rechtlichen Gleichheit aller Burger ausgehen und die Legitimitat der staatlichen Institutionen und Gesetze durch allgemeine Wahlen begriinden. Die Anerkennung einer staatlichen Herrschaft als legitim ist eine der Voraussetzungen fiir die Bereitschaft der Religionen, sich der sakularen Ordnung des Staates zu unterwerfen. Freilich zeigt die historische Erfahrung, class die Sakularisierung des Staates keineswegs ein Garant fiir die Legitimitat seiner Herrschaft ist. Der Staat kann zum Herrschaftssystem mutieren, <lessen fragwiirdige Legitimitat sich allein aus der politischen Macht der Herrschenden ableitet. Europa hat im 20. Jahrhundert diese Wende zur Diktatur nicht nur in Deutschland erfahren. Auch in Asien gibt es geniigend Beispiele fiir die Verbindung von Sakularismus und Diktatur. Modernisierung und Sakularisierung bringen nicht notwendig auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In dem MaBe, in dem die Legitimitat einer sakularen Herrschaft nicht gegeben oder nicht allgemein anerkannt ist, muss sich der Staat zur Sicherung seiner Macht auf Gewaltanwendung und Repression stiitzen. Wo Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fehlen, kann sich gesellschaftliche Opposition in der Regel nicht in verfassungsmaBigen Institutionen des Staates artikulieren - in Parlamenten und Parteien - , sondern ist auf vorstaadiche Formen der Organisation und Mobilisierung verwiesen. In Asien und Afrika hat die mit Entkolonialisierung und Modernisierung verbundene Bildung von Nationalstaaten oft nur schwache staatliche Strukturen geschaffen. Die mit der Modernisierungstheorie verbundene Erwartung, dass eine sich herausbildende Identifizierung mit dem Nationalstaat die ,,urwiichsige" Identifizierung mit traditionellen lokalen, religiosen, ethnischen oder sprachlichen Gemeinschaften ersetzen wiirde, hat sich vielfach nicht erfiillt34 . Unter diesen Bedingungen sind es nicht selten religiose Gruppierungen und Institutionen, in denen sich die gesellschaftliche Opposition artikuliert. Religion ist dann nicht auf den politikfreien Bereich individueller Sinnstiftung beschrankt, sondern Religion und Politik sind auf hochst komplexe Weise verflochten. Besonders deutlich wird dies im Islamismus, d. h. politischen Bewegungen, die auf der Grundlage des Islams eine Umgestaltung der sozialen und politischen Ordnung betrei- hen. Wie sollten Religion und Politik hier getrennt werden? Der Religionsbegriff, der der International Religi,ous Freedom Act zugrunde liegt, erweist sich als offensichtlich unzureichend, wenn es um Religionen geht, die nicht bereits den Supremat des sakularen Staates akzeptiert haben. Die Loyalitat gegeniiber der eigenen Religion und ihren Gesetzen kann groBeres Gewicht besitzen als die Loyalitatsanforderungen sakularer Staaten, deren Politik als unterdriickerisch und ungerecht erfahren wird. Aus der Sicht vieler Muslime entbehrt der moderne Sakularismus mit seinem allgemeinen Geltungsanspruch jeder Legitimation und wird als Bedrohung einer durch Tradition und Religion begriindeten gesellschaftlichen Ordnung wahrgenommen. Nicht die religiose Begriindung der Gesetze gilt dann als Abweichung von der Norm, sondern der Versuch, die Gesetze von den Interessen und Zielen der Herrschenden abhangig zu machen. Entsprechend erscheint die Riickkehr zu einer religiosen Fundierung der gesellschaftlichen Ordnung als Korrektur von Fehlentwicklungen unter dem Einfluss des westlichen Sakularismus und Riickkehr zum Regelfall sozialer Verhaltnisse 35 . Die Eingrenzung von Religion in den Bereich privaten Glaubens und religioser Praxis ignoriert, class in vielen muslimisch gepragten Gesellschaften Religion weit mehr ist als eine Privatangelegenheit. Ein Begriff von Religionsfreiheit, der die Trennung von Religion und Staat und damit auch die Privatisierung von Religion voraussetzt, kann deshalb zu einer ideologischen Sicht von Religionen fiihren, in der zwischen guten, d. h. durch den Staat domestizierten, und schlechten, sich dem Dominanzanspruch des Sakularismus verweigerlllen Religionen unterschieden wird. Wahrend jene zu schiitzen sind, waren diese <lurch staatliche MaBnahmen in ihrem Einfluss zu begrenzen. Religionsfreiheit kann dann nur fiir die Religionen gelten, die dem Typus privatisierter Religionen entsprechen. 484 32 Siehe IRFA, aaO. (Anm. 3), sec. 3 (13) (A). 33 Vgl. Sullivan, aaO. (Anm. 27), 10 f. 34 Vgl. Charles F. Keyes/Helen Hardacre/Laurel Kendall, Contested visions of community in East and Southeast Asia, in: dies. (Hgg.), Asian visions of authority: Religion and the modern states of East and Southeast Asia, Honolulu 1994, 1-18; hier: 4. 485 3. Verzerrte Wahrnehmung des Islam Welche Probleme <lurch ein derart verki.irztes Verstandnis von Religion auch fiir die praktische Politik auftreten konnen, soil an einigen Beispielen erlautert wer.den. Eine der intellektuellen Wurzeln des Islamismus liegt in der Bewegung der Muslimbruderschaft, die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Agypten entstand. Ihr Ziel war die Erneuerung der agyptischen Gesellschaft und der muslimischen Gemeinschaft auf der Grundlage des Islams und seiner Gesetze, um den Einfluss des Westens zu begrenzen und zuriickzudrangen. Nachdem zunachst eine Politik schrittweiser Reformen <lurch islamische Erziehung der Jugend und die Bildung karitativer Netzwerke verfolgt wurde, entwickelten sich in den vierziger Jahren in Teilen der Bewegung Gewaltbereitschaft und militante Opposition. Nach einem gescheiterten Anschlag auf Prasident Nasser setzte eine Politik massiver staatlicher Repression ein, in deren Verlauf Saiyid Qutb, einer der 35 Maha Azzam, Islamism revisited, in: International Affairs 82 (2006), 1119-1132; hier: 1120. Hubert Seiwert Zwischen Religionsfreiheit und Eindiimmung des Islams Vordenker der Muslimbri.ider, verhaftet und schlieBlich hingerichtet wurde36 • Fi.ir Qutb standen die islamischen Prinzipien von Bri.iderlichkeit und sozialer Gerechtigkeit im Gegensatz zu Diktatur, Verfolgung und Materialismus, wie sie durch die auf den Sicherheitsapparat gestiitzte Tyrannei des Staates unter Nasser reprasentiert wurden 37 • Es ist kaum m6glich zu entscheiden, ob die Unterdri.ickung der Muslimbruderschaft in Agypten und Syrien als Akt religioser Verfolgung oder Unterdri.ickung einer politischen Bewegung anzusehen sei. Die Freiheit der Religionsausiibung lasst sich schwerlich auf Gebete und Koranlektiire beschranken, sondern schlieBt wohl die Verteidigung des Glaubens gegen politische Unterdriickung ein. Natiirlich ist Gewaltanwendung nicht <lurch das Recht auf Religionsfreiheit geschiitzt, aber auch nach westlichem Rechtsverstandnis besteht zumindest eine Grauzone, wo es sich um Widerstand gegen eine Diktatur handelt. In Agypten formierten sich die Muslimbriider schlieBlich in einer politischen Partei, die eine gemaBigte Politik auf islamischer Grundlage vertritt und bei den Wahlen 2005 19 Prozent der Stimmen gewann38 • Das amerikanische Verstandnis einer Trennung von Religion und Staat erweist sich als hinderlich, wenn es darum geht, die Bedeutung von Religion in muslimisch gepragten Gesellschaften richtig wahrzunehmen und darauf auBenpolitisch zu reagieren. Die ideologisch begriindete Weigerung, religi6se Gruppierungen und Institutionen als Teil des politischen Prozesses anzuerkennen, fi.ihrt zu Fehleinschatzungen, die einer erfolgreichen AuBenpolitik im Wege stehen. Im Falle der agyptischen Muslimbruderschaft hat dies dazu gefi.ihrt, class die Vereinigten Staaten gegenwartig keine Moglichkeit haben, mit dieser bedeutenden Oppositionsbewegung direkte Kontakte zu unterhalten und damit auch Einfluss auf sie auszuiiben39 • Thomas Farr, ein friiherer Direktor des Amtes fi.ir Internationale Religionsfreiheit im US-AuBenministerium, verweist darauf, dass ahnliche Pehler bereits in den 1970er Jahren begangen wurden, als das politische Gewicht religiOser Gruppen im Iran unterschatzt wurde. Derartige Fehleinschatzungen seien freilich nicht auf den Einfluss christlich-evangelikaler Gruppen auf die amerikanische Politik zuriickzufi.ihren, sondern auf einen Sakularismus, der nicht in der Lage sei zu erkennen, dass die Bedeutung von Religion in anderen Gesellschaften eine andere sei als in der amerikanischen. Dies gelte insbesondere fi.ir die islamische Welt 40 . Das von Farr erwahnte Scheitern der amerikanischen AuBenpolitik gegeni.iber dem Iran, das nach der islamischen Revolution von 1979 zu einer bis heute andauernden Konfrontation und einem weitgehenden Verlust des amerikanischen . Einflusses gefi.ihrt hat, ist das vielleicht deutlichste Beispiel fiir eine Fehleinschatzung der Bedeutung von Religion als politischem Faktor. Die Unterstiitzung der Vereinigten Staaten fiir die am Westen orientierte Politik von Schah Mohammad Reza Pahlavi ignorierte die mangelnde Legitimation dieser Herrschaft und die Dynamik der religiosen Krafte als Tell des Widerstands dagegen. Unter der auf den Terror der Geheimpolizei gestiitzten Herrschaft des Schahs fehlten staatliche Strukturen, in denen sich die politische Opposition artikulieren und organisieren konnte. Der Widerstand gegen die Regierung des Schahs, die <lurch einen von der CIA gesteuerten Coup etabliert worden war und i.iber keine demokratische Legitimation verfi.igte, umfasste ein weites politisches Spektrum von linksgerichteten Nationalisten, Basar-Handlern, Studenten, Klerikern und modernen Eliten. Gegen die am Westen orientierte Modernisierungspolitik, die die traditionellen okonomischen und sozialen Strukturen zu zerst6ren drohte, wurde als Alternative die Vorstellung einer idealisierten islamischen Gesellschaft gestellt. Einer der Gri.inde, weshalb die Opposition gegen den Schah und seine Modernisierung schlieBlich in einen islamischen Diskurs transformiert wurde, lag darin, dass die einzige gesellschaftliche Subkultur, die den politischen Terror i.iberlebte, die Institutionen des schiitischen Islam waren41 • Der islamische Charakter der Revolution und der neuen Republik wurde also nicht zuletzt durch den Mangel an demokratischen Strukturen und die Unterdriickung politischer Alternativen provoziert42 . Es gehort zu den Ironien der Geschichte, class die formale Religionsfreiheit unter der sakularen Herrschaft des Schahs, die die Unabhangigkeit der schiitischen Institutionen tolerierte, zu einer religios legitimierten Herrschaft fiihrte, die sich gegen westliche Modelle von Sakularisierung und Modernisierung wendete. Es scheint, dass eine ahnliche Fehleinschatzung aufgrund der Weigerung, die politische Rolle von Religion anzuerkennen, auch die gegenwartige amerikanische Nahostpolitik begleitet. Nach Meinung von Farr ist diese Haltung Ausdruck einer "secularist orthodoxy" 43 , die in der politischen Rolle von Religion eine Bedrohung der Demokratie sehe. Diese Sichtweise mag vor dem Hintergrund des amerikanischen Verstandnisses der Funktionen von Religion und Staat plausibel sein, ihre Generalisierung beschrankt jedoch die Fahigkeit, die Besonderheiten anderer Ge-sellschaften und anderer Religionen richtig zu erkennen. Die Trennung von Religion und Staat ist keine Voraussetzung fiir eine demokratische Verfassung44, genauso wenig wie sie ein Garant fiir Religionsfreiheit ist45 • 486 36 Vgl. Guido Steinberg/Jan-Peter Hartung, Islamistische Gruppen und Bewegungen, in: Werner Ende/Udo Steinbach (Hgg.), Der Islam in der Gegenwart, Milnchen 5 2005, 681-695; bier: 683-685. · 37 Azzum, aaO. (Anm. 35), 1122. 38 AaO., 1126. 39 Thomas F. Farr, The diplomacy of religious freedom, in: First Things 163 (2006), 1720; bier: 19. 40 AaO., 17. 487 Ali Mirsepassi, Intellectual discourse and the politics of modernization: negotiating modernity in Iran, Cambridge 2000, 74-76. Vgl. Eliszabeth Shakman Hurd, The international politics of secularism: U.S. foreign policy and the Islamic Republic of Iran, in: Alternatives 29 (2004), 115-138; bier: 124126. Farr, aaO. (Anm. 39), 19. Vgl. Jonathan Fox, Do democracies have separation of religion and state? in: Canadian Journal of Political Science/Revue canadienne de science politique 40 (2007), 125. So wurden z. B. <lurch die sakularistische Ba'th Regierung Syriens muslimische Gruppen verfolgt. Vgl. Eva Zisser, Syria, the Ba'th regime and the Islamic movement: stepping on a new path, in: Muslim World 95 (2005), 43-65; hier: 44-48. 488 Zwischen Religionsfreiheit und Eindiimmung des Islams Hubert Seiwert 489 rismus erscheint aus der Sicht des Islams ebenso als Bedrohung wie ein globaler Anspruch des Islams aus der Sicht des sakularen Westens. Die Konstellation ahnelt in manchem dem Konflikt zwischen Religionen innerhalb einer Gesellschaft. Es gibt historisch verschiedene Modelle zur Minimierung religioser Konflikte. Eines davon ist <las moderne westliche Modell der Regulierung von Religion <lurch den Staat mit der Gleichberechtigung aller Religionen. Es setzt die Bereitschaft der einzelnen Religionen voraus, auf gesamtgesellschaftliche Geltung zu verzichten. Wenn wir dieses Modell auf die globale Ebene des Konfliktes zwischen Ideologien - seien sie nun religios oder sakular - iibertragen, wird deutlich, dass auch hier eine Gleichberechtigung nur durch Verzicht auf globale Geltung erreicht werden kann, also die Bereitschaft, einen globalen Pluralismus der Religionen, Weltanschauungen und Lebensfiihrungen zu akzeptieren. Hier wie dort - auf der internationalen Ebene wie innerhalb einer Gesellschaft ist der Konflikt der Weltanschauungen und Religionen jedoch ein Gemenge aus ideologischen, okonomischen und machtpolitischen Interessen, das sich leicht in ein explosives Gemisch verwandelt. Was im Speziellen den Antagonismus zwischen westlichem Sakularismus und Islam betrifft, ist jedenfalls nicht auszuschlieBen, <lass er sich zu einem Glaubenskrieg entwickelt, der erst mit der militarischen Niederlage einer Seite oder der Erschopfung beider Seiten sein Ende finden wird. Ein Begriff von Religion, der ihre politische Bedeutung verkennt und Religion als Privatangelegenheit definiert, ist eine normative Fiktion. Deshalb geht auch eine Politik der Religionsfreiheit, die einen solchen Religionsbegriff zugrunde legt, von falschen Voraussetzungen aus. Religiose Uberzeugungen und Loyalitaten lassen sich nicht durch staatliche Politik und Gesetze abschaffen. Sie stehen prinzipiell in Konkurrenz zu den Geltungsanspriichen eines Sakularismus, der Staat und Gesellschaft allein nach der Rationalitat politischer und okonomischer Interessen gestaltet. Wo die Geltungsanspriiche des sakularen Staates nicht anerkannt werden, fehlt diesem die gesellschaftliche Legitimation. Die Sakularisierung des Staates ist nicht aus sich bereits ein Garant fiir Freiheit, auch nicht fiir Religionsfreiheit. Vielmehr bedarf es dazu funktionsfahiger demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen, die nicht nur die Legitimitat der Herrschaft, sondern auch die Sicherheit und Rechte der Burger gewahrleisten. Religionsfreiheit bedeutet auch die Freiheit, entsprechend dem eigenen Gewissen auf der Basis religioser Oberzeugungen zu handeln. Dies schlieBt auch politisches Handeln ein46 • Wenn es Muslime als ihre religiose Pflicht ansehen, sich aus ihrer Sicht illegitimer Herrschaft zu widersetzen und fiir die Herstellung einer den Gesetzen des Islams entsprechenden Gesellschaft einzutreten, muss dies deshalb unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit als legitim gelten. Damit gerat die amerikanische AuBenpolitik in ein Dilemma, well der Kampf gegen islamistische Stromungen und Staaten - wie den Iran - im Widerspruch zum Eintreten fiir Religionsfreiheit steht. Dieser Widerspruch ist unauflosbar, solange der Sakularismus universale Geltung beansprucht, indem er seine eigene historische Bedingtheit ver- 4. Religionsfreiheit und internationale Politik kennt. Ein Sakularismus, der offensiv und militant globale Geltung verlangt, gerat notwendig in Konflikt mit jeder anderen Ideologie, die ihm ihre eigenen Geltungsanspriiche entgegenstellt. Da er sein Selbstverstandnis gerade aus der Ablehnung von Religion als Grundlage staatlicher und rechtlicher Ordnung bezieht, sieht er sich durch Religionen, die diese Beschrankung nicht akzeptieren, herausgefordert. So sind es gegenwartig vor allem islamische Gruppen und Bewegungen mit ihrer Forderung, religiOses und staatliches Recht in Einklang zu bringen, die den Sakularismus in Frage stellen. In diesem Konflikt der Ideologien geht es um konkurrierende Formen der Legitimation. Die Begriindung der sakularen Verfasstheit J westlicher Staaten leitet sich aus der neuzeitlichen Rechtstradition des Westens ab,J wahrend die Begriindung einer islamischen Gesellschaftsordnung sich auf die eige-J ne religiose und rechtliche Tradition beruft. Diese konkurrierenden Legitimations- '~ verfahren werden jedoch erst konflikttrachtig, wenn ihre Abhangigkeit von histcr rischen Voraussetzungen ignoriert wird und sie mit dem Anspruch auf universelle j Geltung vertreten werden. Ein globaler Geltungsanspruch des westlichen Sakula- 1 46 Vgl. Stephen V. Monsma, When sacred and secular mix: religious nonprofit organizations and public money, Lanham, Md. 1996, 19: ,,Freedom of conscience is the freedom h1 to follow the dictates of conscience that has been molded in a community or associati- '. on. It implies being rooted in a social structure that compels a response to a given si-J tuation, not a freedom to make individual choices." Der amerikanische Versuch, mit der International Religious Freedom Act Religionsfreiheit zu einem Ziel der AuBenpolitik zu machen, scheint also in einem gewissen Widerspruch zu dem anderen auBenpolitischen Ziel zu stehen, den politischen . Einfluss islamischer Gruppen und Bewegungen zu beschranken. Dieser Wider, spruch lost sich auf, wenn beriicksichtigt wird, <lass nach der Intention der IRFA .~ nicht jede Form des religiosen Glaubens und religioser Betatigung geschiitzt werden soll, sondern nur solche, die den sakularen Charakter des Staates und der Rechtsordnung anerkennen. Der Versuch, diesem Verstandnis von Religionsfreiheit weltweite Geltung zu verschaffen, kann deshalb als Versuch gedeutet werden, eifi sakularistisches Verstandnis von Staat und Recht zu propagieren und damit ifugleich die religiosen Krafte, die sich diesem Versuch widersetzen, sakularer Kon;trolle :z;u unterwerfen. Angesichts der zunehmenden Dynamik des religiosen Widerstandes in muslifnischen Gesellschaften gegen eine Sakularisierung nach westlichem Muster ist ein Erfolg dieser Politik nicht sehr wahrscheinlich. Die <lurch die IRFA und ihre Umetzung gegebene Verquickung von Religionsfreiheit und auBenpolitischen Inte.essen konnte sich so als kontraproduktiv erweisen. Das Dilemma, das sich aus em widerspriichlichen Ziel ergibt, die Freiheit einiger Formen von Religion schiiten und die anderer dagegen begrenzen zu wollen, Iasst sich schwer auflosen. Damit verliert jedoch das Ziel, das Menschenrecht auf Religionsfreiheit interational zu schiitzen und die Verfolgung und Diskriminierung religioser Minder- 490 Hubert Seiwert heiten zu achten, nicht an Bedeutung. Nicht das Ziel ist problematisch, sondern die mit der IRFA gewahlten Mittel einer unilateralen Politik, die sich dem Verdacht aussetzt, die Verteidigung der allgemeinen Religionsfreiheit zur Verfolgung partikularer auBenpolitischer Interessen zu instrumentalisieren. Die in der IRFA genannten Formen besonders schwerer Verletzungen der Religionsfreiheit (particularly severe violations of religious freedom), namlich Polter und unmenschliche Behandlung, langere Haft ohne Anklage, heimliche Verhaftung und Entfiihrung und die Verletzung des Rechts auf Leben, Freiheit und korperliche Unversehrtheit, sind eklatante VerstoBe gegen allgemeine Menschenrechte, die auch dann nicht toleriert werden diirfen, wenn die Opfer nicht aus religiosen Grunden misshandelt werden. Die internationale Verteidigung dieser Menschenrechte und Sanktionen gegen ihre Verletzung kann nicht <lurch nationales Recht, sondern nur <lurch internationale Vereinbarungen legitimiert und durchgesetzt werden. Dann freilich miissten auch die Vereinigten Staaten bereit sein, auf den globalen Geltungsanspruch der eigenen Rechtsauffassung zu verzichten und sich dem Supremat einer internationalen Rechtsordnung zu unterwerfen. The Establishment of Opus Dei in Finland Mikko Ketola In the following, I shall take a look at the activities of one of the most controversial Catholic religious organizations of the last few decades: Opus Dei. It was founded in Spain in 1928 by the priest Josemaria Escriva. In 1982 Opus Dei gained the position of a personal prelature of the Catholic Church - so far the only one of its kind. Escriva was canonized in 2002. The organization has around 90.000 members worldwide and is active in more than 60 countries. The focus will be on the establishment of Opus Dei in Finland but it is both necessary and interesting to take into account also Sweden, Estonia and Russia, because Opus Dei came to Finland via Sweden and expanded its work to Estonia and Russia via Finland. The analysis will start from the early 1970s when personal contacts first began to appear between the prelature and Catholics in Sweden and Finland. Looking at Opus Dei's history in Finland involves looking at the Catholic Church in a diaspora situation. In Finland - as well as Sweden, Estonia and Russia - Opus Dei was no longer on its own familiar turf; the milieu was now either traditionally and strongly Lutheran or Orthodox, secular, or some sort of combination. The Catholic Church is a marginal, minority church in all of these c.ountries. Researching Opus Dei's work in the late 20th century is challenging for the hist9rian .. It is hard - if not impossible - to gain access to the archives of Catholic organizations and institutions, especially when the subject is so controversial. Therefore, one has to rely primarily on written and oral sources. In this case, most of µle people I wanted to interview were willing to talk, but many only under the congltion of confidentiality. So far, there has been very little literature on Opus Dei 'that could be described as objective. Supposedly serious academic studies on the ': ~µbject by non-Opus Dei members are generally a baffling mixture of valid criti~sm and blatant prejudice. Books written by Opus Dei members have tended to well documented but at the same time rather hagiographic. The best recent book about Opus Dei is undoubtedly the one written by the American Catholic journalist John L. Allen 1• be John L. Allen, Opus Dei: Secrets and Power Inside the Catholic Church, London 2005.