06-15 Haie - Natürlich

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06-15 Haie - Natürlich
NATUR Haie – gejagte Jäger
Haie durchziehen die Ozeane seit über 400 Millionen Jahren
und sind unzweifelhaft die perfektesten Raubtiere im Meer.
Heute jedoch sind die Jäger hauptsächlich Gejagte und einige
Arten stehen bereits an der Schwelle zum Aussterben.
Text: Kurt Amsler, Thomas Vogel
Fotos: Kurt Amsler
E
in attraktiver Teenager mit langen blonden Haaren verlässt die
ausgelassene Strandparty, springt
ins Wasser und schwimmt dem
aufgehenden Mond entgegen. Dass jetzt
etwas Schreckliches passieren muss, erahnt der Kinobesucher schon an der
Musik, die sich zum Crescendo steigert.
Hart, rhythmisch, wie der Herzschlag
eines Menschen in Todesangst. Und dann
passiert es: Das Wasser spritzt, man hört
ein mahlendes Geräusch, das das Blut in
den Adern erstarren lässt, und die Schreie
des Mädchens, die in einem Gurgeln
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untergehen, als der Hai sein Opfer in die
Tiefe zieht. Das war 1975 die Eröffnungsszene des Filmes «Der Weisse Hai».
Damit wurde ein Image geprägt, das
die Haie als nimmersatte Fressmaschinen
darstellt, die nichts anderes tun, als die
Strände nach Menschenfleisch abzusuchen.
Haie haben den Menschen
zu fürchten
Den Haien brachte diese Popularität
nichts als Ärger. Sie wurden Freiwild
Haie – gejagte Jäger NATUR
Gejagter Jäger
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NATUR Haie – gejagte Jäger
Auf dem Weg zur Ausrottung: Für kulinarische Leckerbissen und die Apotheke verenden jährlich 200 Millionen Haie
von Hochseeanglern, verenden als Beifang der Hochseefischer, ihre Flossen
landen im Kochtopf oder sie bieten Stoffe
für die asiatische Apotheke.
Das Milliardengeschäft mit Haiflossen expandierte in erschreckendem Ausmasse: Geschätzte 200 Millionen Haie
ziehen Fischer jährlich für die asiatischen
Märkte an Land, schneiden ihnen die
Flossen ab und werfen den noch lebenden, aber nicht mehr schwimmfähigen
Hai zurück ins Wasser, wo er elendiglich
zugrund geht. Das sind etwa 500 000 Haie
pro Tag oder rund 20 000 jede Stunde.
Folge dieser Massaker: Je nach Quelle
stehen 30 bis 70 Haiarten bereits auf der
Roten Liste der bedrohten Tierarten.
Ein anderes Bild der angeblichen
«Bestie» Hai zeichnen die Zahlen der
Haiattacken auf Menschen: Obwohl dem
«International Shark Attack File» (ISAF)
in Florida weltweit jährlich zwischen 50
und 75 Haiangriffe auf Menschen gemeldet werden, enden nur gerade fünf bis
zehn davon tödlich. Und das obschon
jährlich über 20 Milliarden Menschen
zum Baden, Schwimmen, Schnorcheln,
Tauchen und Surfen in die Meere steigen.
Die Chance dabei von einem Hai
gebissen zu werden, liegt demnach bei
1:200 Millionen. An einem Haibiss zu
sterben sogar bei 1:2 Milliarden. Es ist
statistisch gefährlicher, sich unter einer
Kokospalme aufzuhalten, als in einer
Kostenloses Unterrichtsmaterial
Seit September 2006 können Schulen und Lehrer kostenloses Unterrichtsmaterial für alle
Schulstufen bei Sharkproject anfordern. Die Materialien sind sowohl für einzelne Unterrichtsstunden als auch für den Einsatz in Projektwochen geeignet. Der gesamte Lernstoff
wurde von Pädagogen geprüft und ist so aufbereitet, dass er in allen Altersstufen eingesetzt werden kann.
Ziel dieser Schulaktion ist gezielte Information von Schulkindern über Evolution,
Biologie, Sinnesorgane, Ökologie und die Bedeutung sowie die Gefährdung der Haie
und deren Wichtigkeit für das gesamte ökologische Gleichgewicht.
Das kostenlose Schul-Package beinhaltet:
18-minütigen Einstiegsfilm zum Thema Hai, Präsentation mit über 150 Bildern und
Grafiken, einen Leitfaden, der den Vortragenden durch die Präsentation führt und weiterführend Hintergrundinformationen vermittelt, ein Exemplar der Sharkproject-Zeitung
«Shark-News».
Weitere Exemplare der «Shark-News» sowie die DVDs «Mit Haien sprechen» und
«Angstzination» können zusätzlich vergünstigt bezogen werden bei:
Sharkproject e.V., Frankfurterstrasse 111b, D-63067 Offenbach, [email protected]
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von Haien bewohnten Meeresbucht zu
schwimmen. Immerhin erschlagen herabfallende Kokosnüsse jedes Jahr rund
150 Menschen.
Doch jedes Mal, wenn ein Taucher
oder ein Surfer von einem Hai angegriffen
wird, überschlagen sich die Medien mit
reisserischen Schlagzeilen und fordern
jeweils den schnellen Tod der Bestie.
900 000 Tonnen Hai jährlich
Im Gegensatz dazu steht das stille Sterben
der Haie – oder gar «Aussterben», wie
es der Schweizer Haiforscher Erich
Ritter nennt –, ohne dass die Medien
davon Notiz nehmen. Mehrere 100 Millionen Haie werden jährlich getötet. Umgerechnet auf die durchschnittlichen
Todesfälle durch Haibisse kommen auf
einen toten Menschen 20 Millionen von
Menschen getötete Haie.
Kein Wunder, haben doch nur gerade
acht Länder den privaten und kommerziellen Fang von einzelnen Haien reglementiert. Der bedrohte grosse Weisse Hai
zum Beispiel ist nur in England, Australien, Kanada, Neuseeland, Südafrika
und den USA geschützt. Und das erst, seit
wissenschaftliche Modelle die Fortpflanzung dieser Art in Frage gestellt haben.
Weltweit ist also die Jagd auf Haie
offen und davon wird reger Gebrauch
gemacht. Der weitaus grösste Markt
für Haiprodukte ist in den asiatischen
Ländern zu finden. An erster Stelle steht
Haie – gejagte Jäger NATUR
So helfen Sie dem Hai
Um Haien auch in Zukunft eine Chance zu
geben, ist ein Verzicht auf Produkte, die
ten Zahlen bekannt sind, besteht gleichwohl Einigkeit darüber, dass die heutige
Anzahl nicht mehr ausreicht, um die
Population aufrechtzuerhalten.
aus Haien gefertigt werden, ein Muss. Die
Unterstützung von Organisationen, die sich
für den Haischutz einsetzen, ist sicher
der effizienteste Weg, den gejagten Jägern
zu helfen. Schreiben kann man auch an
Reiseunternehmen, die Haifangtrips anbieten, und sie auffordern, sich nicht weiter
an der Ausrottung einer für das Ökosystem
des Meeres wichtigen Tierart zu beteiligen.
der Handel mit den Flossen. Sie werden
zu Potenz fördernden Mitteln, Medizin
und der Haiflossensuppe verarbeitet. Um
diesen Markt zu befriedigen, wurden
im Jahre 2004 über 900 000 Tonnen Hai
gefangen. Nicht eingerechnet in diesen
Statistiken der UN-Welternährungsorganisation (FAO) sind die Zahlen der weltweiten Fänge durch Sportangler.
Selbst Schutzgebiete
sind nutzlos
Die Fischereiindustrie geht hier mit einer
cleveren Strategie ans Werk: Dort wo die
Fangflotten selber nicht agieren können,
werden durch Agenten die einheimischen
Fischer zur Jagd auf Haie motiviert. Das
ist für die Einheimischen leicht verdientes Geld, mit viel weniger Arbeitsaufwand
und Kosten als der traditionelle Fischfang.
Von dieser Fischerei bleiben auch
die schönsten Naturparadiese und Tauchplätze der Welt nicht verschont. Das
Rote Meer, das grosse Barrierriff von Australien, Polynesien, der Pazifik, die Küsten Afrikas, die Karibik, Indonesien,
Philippinen, Taiwan, aber auch das
Ferienparadies Malediven, das zusammen mit Indien und Sri Lanka etwa
20 000 Tonnen Haiflossen exportiert.
Selbst in den Schutzgebieten der
Galapagos-Inseln fallen jedes Jahr eine
grosse Anzahl Haie der illegalen Fischerei
zum Opfer. Die berühmten HammerhaiSchulen bei den Inseln Wulf und Darwin
sind bedrohter denn je.
Wissenschafter schätzen, dass die
Bestände einiger Haiarten weltweit um
80 Prozent zurückgegangen sind. Obschon für den Weissen Hai keine exak-
Nach Thuna und Marlin
nun der Hai
Mitschuldig an der Dezimierung von
Haien sind auch die Sportangler und die
Reiseindustrie, die mit Erfolg Hai-Anglerreisen anbietet. So gilt der Hai an der
Angel vielerorts als ultimativer Nervenkitzel. Begonnen hat das eigentliche
Haijagdfieber in den 70er-Jahren, als die
Bestände der Thunfische, Marline und
Schwertfische zurückgingen. Schätzungen
zufolge haben sogenannte Sportfischer
die geschlechtsreifen Schwertfische des
Atlantiks in den letzten 15 Jahren um
zwei Drittel reduziert. «98 Prozent aller
Schwertfische, die momentan an Longlines gefangen werden, sind juvenil, also
noch nicht geschlechtsreif», heisst es dazu
in einem Bericht von Shark Info.
In den USA, wo die Sportfischerei seit
den 60er-Jahren boomt, wurden Haifangclubs gegründet und Hai-Turniere
veranstaltet, in denen es darum ging,
innert Rekordzeit ein möglichst grosses
Tier zu fangen. Da für die gelandeten
Haie kein weiterer Verwertungszweck
bestand, enden sie oft im Abfall. 1990
sollen Sportfischer allein an der Ostküste der USA 2,5 Millionen Haie gefangen haben, vor allem Blauhaie (Prionace
glauca) und Sandbankhaie (Carcharhinus
plumbeus). An der US-Westküste stellte
die Fischereibehörde ein Jahr später fest,
dass Sportfischer rund sechsmal mehr
Zebrahaie (Triakis semifasciata) fingen
als die Berufsfischer.
(K)ein lukratives Geschäft
Laut der amerikanischen Fischereibehörde verkauften Sportfischer Ende der
1990er-Jahre jährlich Haifleisch im Wert
von 1,3 Millionen Dollar. Dieser Betrag
steht jedoch in krassem Missverhältnis
zum Aufwand: Denn, um zu diesem Resultat zu kommen, investierten sie 200
Millionen Dollar für Boote, Mieten und
Gerätschaften.
Welche ökologischen Auswirkungen
das Sportfischen auf Haie haben kann,
zeigt das Beispiel des Weissen Hais in
Südaustralien. Weisse Haie fressen See-
Ultimativer Nervenkitzel: Je grösser der gefischte
Hai, desto grösser das Ego des Fischers
hunde und kontrollieren so deren Population. Weil Sportfischer den Weissen
Hai zu stark dezimierten, wuchs die
Seehundpopulation unkontrolliert. Sie
überfrassen deshalb die Fisch- und Krebsgründe und eliminierten ihre eigene
Nahrungsbasis. Fazit: Wildhüter mussten
Seehunde abschiessen.
Die Heilmittelindustrie hat im Hai
ebenfalls eine neue Einnahmequelle entdeckt. Seit einigen Jahren wird weltweit Haiknorpelpulver gegen Krebs und
Arthrose verkauft. Die Mittel sind bewiesenermassen nutzlos, doch der Glaube
der betrogenen Patienten verhilft den
Herstellern zu Milliardenumsätzen.
Fortsetzung auf Seite 12
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NATUR Haie – gejagte Jäger
Die zehn wichtigsten Haiarten
Indopazifischer Zitronenhai
(Negaprion brevirostris)
Die bis zu drei Meter messenden Zitronenhaie
sind weit verbreitet im Zentral- und im Westpazifik sowie im Indischen Ozean: Südafrika,
Mauritius, Seychellen, Madagaskar, Rotes Meer
ostwärts bis Pakistan, Indien, Sri Lanka, Vietnam,
Malaysia, Indonesien, Neuguinea, Australien
(Queensland, Westaustralien, nördliches Australien), Neukaledonien, Philippinen, Palau,
Marshall-Inseln, Tahiti.
Weisser Hai
Walhai
(Carcharodon carcharias)
Der wahrscheinlich mehr als sieben Meter Länge
erreichende Hai lebt weltweit in den Küstengewässern der meisten gemässigten und einiger
tropischer Regionen. Ostatlantik: Mittelmeer und
Madeira bis Südafrika. Westatlantik: Neufundland bis Kuba und nördlicher Golf von Mexiko,
Brasilien bis Argentinien. Indischer Ozean:
Südafrika, Seychellen. Westpazifik: Sibirien bis
Philippinen, Australien bis Neuseeland. Zentralpazifik: Marshall-Inseln und Hawaii. Ostpazifik:
Golf von Alaska bis Golf von Kalifornien, Panama
und Chile. Steht im Moment auf Liste drei, das
heisst lokal geschützt in Australien. Da der Hai
biologisch eigentlich schon als ausgestorben gilt,
wäre ein weltweiter Schutz des Tieres nur
eine späte Rechtfertigung – vielleicht aber auch
Rettung in letzter Sekunde. Lokal geschützt
werden die Tiere bereits auch partiell in Südafrika, Malta und den USA.
(Rhincodon typus)
Der mit bis 14 Meter Länge grösste lebende
Fisch ist zu finden auf den Seychellen, Thailand,
Christmas Island und in allen tropischen und
subtropischen Ozeanen der Welt, insbesondere
in dem tropischen Westaustralien. Ernährt
sich von Plankton.
Riesenhai
(Cetorhinus maximus)
Lebt in allen gemässigten und kalten Meeren.
Riesenhaie sind passive Planktonfresser, was bedeutet, dass sie das Wasser nicht aktiv einsaugen,
sondern lediglich über ihre Kiemen gleiten lassen.
Pro Stunde werden etwa 2000 Tonnen Wasser
filtriert. Können bis 12 Meter gross werden.
Grosser Hammerhai
(Sphyrna mokarran)
Global in tropischen und warm gemässigten
Meeren. Eine Haiart, deren Bestand sich in den
letzten Jahren drastisch reduziert hat. Ursachen
dafür sind Überfischung, Sportfischerei und
der sogenannte Beifang. Kann bis sechs Meter
lang werden.
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Haie – gejagte Jäger NATUR
Ammenhai
Blauhai
(Ginglymostoma cirratum)
Westlicher Atlantik: Rhode Island bis hinunter
ins südliche Brasilien, einschliesslich Bermuda,
Golf von Mexiko, Bahamas, Kuba und Karibik.
Ostatlantik: Kapverdische Inseln bis in das
tropische Westafrika und auch schon vor der
Atlantikküste Frankreichs gesichtet. Ostpazifik:
von Kalifornien bis Ecuador. Diese Art fehlt im
Mittelmeer.
Sehr häufig in den flachen Gewässern (ein Meter
Wassertiefe) der Karibik und den Florida Keys.
Erreicht maximal vier Meter Länge und kann
häufig in Aquarien gesehen werden. Liegt meist
bewegungslos am Boden.
(Prionace glauca)
Der wahrscheinlich am weitesten verbreitete
Knorpelfisch: global in allen tropischen und
gemässigten Meeren. Westatlantik: Neufundland
bis Argentinien. Zentralatlantische Inseln:
Azoren, St. Paul’s Rocks. Ostatlantik: Norwegen
bis Südafrika, Mittelmeer (bis in die nördliche
Adria, fehlt aber im Schwarzen Meer). Indischer
Ozean: Südafrika und südliches Arabisches Meer
(fehlt im Roten Meer und im Arabischen Golf ) bis
Indonesien, Japan, Australien, Neukaledonien
und Neuseeland. Zentralpazifische Inseln.
Ostpazifik: Golf von Alaska bis Chile. Kann
beinahe vier Meter lang werden.
Bullenhai
Gewöhnlicher Dornhai
Weissspitzen-Riffhai
(Carcharhinus leucas)
Der im Schnitt 2,25 Meter grosse Fisch lebt in
allen tropischen und subtropischen Meeren. Am
häufigsten ist er nahe an kontinentalen Küsten
und in Flussmündungen zu finden. Ostatlantik,
Mauretanien bis Südafrika. Kann sogar Hunderte
von Kilometern im Süsswasser flussaufwärts
schwimmen.
(Squalus acanthias)
Hält sich weltweit in antitropischen Gegenden
auf. Urvater der Schillerlocke und von «Fish and
Chips». Einst der häufigste Hai der Meere und
heute seltene und teure Delikatesse. Ein Schutz
des kleinwüchsigen nur gut einen Meter grossen
Tieres wäre dringend angebracht, damit sich
die Populationen erholen können.
(Triaenodon obesus)
Weit verbreitet in einem Grossteil des tropischen
Indopazifiks. Indo-West- und Zentralpazifik.
Südafrika und Rotes Meer bis Pakistan, Indien,
Sri Lanka, Burma, Indonesien, Vietnam, Taiwan,
Riukiu-Inseln, Philippinen, Australien (Queensland, Nord- und Westaustralien), Neuguinea. Weit
verbreitet bei den Inseln Ozeaniens (Polynesien,
Melanesien, Mikronesien), nördlich bis Hawaii
und südwestlich bis zur Pitcairn-Inselgruppe.
Ostpazifik: Cocos, Galapagos, Revilla, Gigedo,
Panama und Costa Rica. Meist nicht grösser
als 1,6 Meter.
Quelle: www.projectaware.org, www.hai.ch
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NATUR Haie – gejagte Jäger
Geschäftstüchtiger Forscher
«Sharks don’t get cancer» oder in der
deutschen Ausgabe «Warum Haie gegen
Krebs immun sind», lautete der Titel des
Buches von William I. Lane, das Anfang
der 1990er-Jahre den Run auf Haiknorpel
ins Rollen brachte. Wie der Biologe Alexander Godknecht, Präsident der Haischutzorganisation «Shark Foundation»
in einem Artikel ausführte, basiere das
Buch auf einer Untersuchung von Forschern des Massachusetts Institute of
Technology (MIT) von 1983. Die Studie
stellte fest, dass Knorpel von Kälbern und
Haien die Blutversorgung und somit –
indirekt – das Wachstum von Tumoren
beeinträchtige. Unter Zitierung nicht
immer lupenreiner Quellen pries Lane
Haiknorpel als Allheilmittel gegen Krebs.
Ein cleverer Schachzug des geschäftstüchtigen Agro-Biochemikers. Lane war
nämlich Präsident der amerikanischen
Fischmehl-Handelsvereinigung und untersuchte im Auftrag der damaligen
Reagan-Administration Investitionsmöglichkeiten in die Fischindustrie von
Guinea. Ein wirksames Krebsmittel versprach ein Milliardengeschäft – auch für
Lane, der selbst Inhaber einer der grössten Firmen für Haiprodukte war. Um
sicherzustellen, dass der Rubel weiter
rollt, schob er 1996 ein zweites Buch
nach: «Sharks still don’t get cancer» (Haie
kriegen immer noch keinen Krebs).
Doch bereits 1998 bewies ein unabhängiges Team von Krebsforschern der Cancer
Treatment Research Foundation in Arlington Heights, Illinois, in einer mehrere
Monate dauernden Studie, dass Haiknorpel
bei schwerkranken Krebspatienten weder
das Wachstum des Krebses verlangsamte
noch die Genesung positiv beeinflusste.
Dennoch verkaufen sich solche Präparate
immer noch glänzend.
Darum beisst ein Hai
Deshalb stirbt der Hai aus
Fischerei
Die Hai-Bestände an der Ostküste der USA sind in den letzten 15 Jahren massiv zurückgegangen.
Die Zahl der Hammerhaie sank um 89 Prozent, die der Fuchshaie um 80 Prozent, die der Weissen
Haie um 79 Prozent. Die Populationen der Ozeanischen Weissspitzenhaie, Tigerhaie, Blauhaie
und Makos sanken um 70, 65, 60 beziehungsweise 40 Prozent.
Kanadische Forscher melden einen Rückgang der Ozeanischen Weissspitzenhai-Population um
99 Prozent. Sie wurden in gewissen Regionen beinahe ausgelöscht.
Haie werden nicht nur aktiv für ihr Fleisch, ihre Flossen oder Knorpel befischt. Millionen Haie sterben, als unverwertbarer Beifang, in den Netzen und Longlines der schwimmenden Fischfabriken.
Finning
Finning wird das grausame Abschneiden der Flossen von Haien, oft noch bei lebendigem Leib, genannt. Der Rumpf des Haies wird dann als überflüssiger Ballast über Bord geworfen. Die Haiflossen
machen nur rund 14 Prozent des Gesamtgewichtes eines Haies aus, bringen aber auf dem internationalen Markt wesentlich mehr ein als Haifleisch, kostet doch ein Kilo Haiflossen in Asien im
Schnitt über 100 US Dollar. Hongkong und Festland China dominieren den Haiflossen-Markt.
50 Prozent der weltweit gehandelten Haiflossen gehen in diesen Markt. 80 Prozent der in Hongkong gelandeten Flossen gehen weiter auf das chinesische Festland. 2003 waren das 11 000 Tonnen mit jährlichen Zuwachsraten von 5 Prozent.
Umwelt
Während der über 400 Millionen Jahre ihrer Evolution kannten die Haie nur zwei Feinde — grössere
Haie und Krankheiten. Kleine und neugeborene Haie sind besonders gefährdet. Um zu vermeiden,
dass ihre Jungen grösseren Haien zum Opfer fallen, ziehen sich die meisten Haiweibchen zum
Gebären ins geschützte Flachwasser zurück. Diese Hai-«Kinderstuben» sind für grössere Haie
schwer zugänglich und somit sicher für die Haibabys und kleine Haiarten. Diese Hai-«Kinderstuben» werden durch die Zerstörung unserer Umwelt immer rarer. Zudem leben mehr als 80 Prozent aller Haiarten in Küstennähe und sind somit direkt den vielen Schadstoffen, die von unseren
Flüssen ins Meer eingebracht werden, ausgesetzt.
Knorpel und Knorpelpräparate
Haiknorpel soll angeblich gegen Krebs helfen. Dieser Glauben zementierte das Buch «Sharks don’t
get cancer» von William I. Lane. Heute ist bewiesen, dass Haie genauso Krebs bekommen wie der
Mensch. 42 Krebsarten sind inzwischen bei Haien und verwandten Arten registriert. – Zusätzlich
wird Hai-Knorpel auch als Nahrungsmittel-Zusatz verkauft – ohne jedoch bis heute den Nachweis
erbracht zu haben, dass Hai-Knorpel irgendeine bessere Wirkung als pulverisierte Schweinsohren
hat. Nur, Schweine sind nicht bedroht. – Bis heute ist aber keine seriöse wissenschaftliche Studie
bekannt, in der eine Haiknorpelkur nachweislich eine Wirkung auf menschlichen Krebs zeigte.
Vorurteile
Haie gibt es viel zu viele… Falsch: Viele Haiarten sind stark gefährdet und einige sogar vom Aussterben bedroht! Haie sind primitiv… Falsch: Haie sind nicht primitiv, sondern hochspezialisiert!
Haie sind böse… Falsch: Haie sind wilde Tiere wie Löwen oder Wildschweine! Haie sind gross…
Falsch: Die Mehrheit aller Haie ist eher klein! Haie fressen Menschen… Falsch: Menschen passen
nicht ins Nahrungsspektrum der Haie! Haie sind für das Ökosystem der Meere unwichtig… Falsch:
Haie sind enorm wichtig für das marine Ökosystem! Haie sind Fressmaschinen… Falsch: Haie fres(Quelle: Shark Foundation)
sen nicht mehr, sondern of weniger als andere Tiere!
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Mitleid mit der «Bestie» Hai kennt der
Mensch nicht. Und niemand findet etwas
dabei, die Haie zu dämonisieren. Das hat
der Mensch schon immer getan und Haie
schien es in unendlicher Zahl zu geben.
Und schon seit jeher gilt der grosse Weisse
Hai als Menschenfresser (siehe Erlebnisbericht auf Seite 14/15). Das Killerimage
ist seit dem Film «Der Weisse Hai» und
seinen drei Sequels endgültig nicht
mehr von ihm weg zu kriegen, auch wenn
weltweit jährlich nur gerade zwei bis
drei Menschen von ihm verletzt werden.
Weshalb Haie auch hin und wieder
einen Menschen anknabbern, versucht
der Haiforscher Erich Ritter herauszufinden. Und obwohl ihm bei seinen
Experimenten ein Bullenhai einen Teil
der linken Wade herausbiss – «ein Testbiss», wie Ritter sagte –, lässt der umtriebige Forscher nichts auf die grossen
Fische kommen.
Haie beissen seiner Ansicht nach nicht
grundlos in einen Menschen. Es sind mindestens drei von fünf auslösenden Faktoren nötig: Lärm, Beutegeruch wie Blut,
erhöhte Körperspannung, panikartige
Bewegungen oder starke Reflexion an
hellen Gegenständen. Gefährdet seien
deshalb vor allem verletzt im Wasser
treibende Menschen, Unterwasserjäger,
die ihre Beute am Gurt mitführen, oder
Surfer, die auf ihrem Brett paddeln und
vom Hai mit einer Robbe oder Meeresschildkröte verwechselt werden.
Das Zusammentreffen aller fünf Faktoren ist sehr selten und ist höchstens
bei einem Schiffsunglück oder einem Flugzeugabsturz ins Meer gegeben. In solchen
Situationen ist die Gefahr, von Haien verletzt zu werden, jedoch sehr gross.
Haie – gejagte Jäger NATUR
bedenklich, dass ein vom Menschen
geprägtes Image, gepaart mit einem
Suppenrezept und dem Glauben an heilende Kräfte, das Ende einer Tierart bedeuten könnte.
Die leider noch weit verbreitete Meinung, wir könnten auf die Haie verzichten, erweist sich nämlich als gefährlicher Bumerang. Erich Ritter hat es
auf den Punkt gebracht: «Wenn die Haie
sterben, stirbt das Meer und wenn das
Meer stirbt, sterben die Menschen.»
■
I N FO B OX
Material für Haiflossensuppe: Nur 14 Prozent eines Hais sind Flossen,
der Rest wird als Abfall entsorgt
Ein perfektes Raubtier
Dass sich Haie Booten nähern, hat demnach nichts mit Mordlust zu tun. Wir
wissen heute, dass elektrische Felder,
die durch Metall und Motoren erzeugt
werden, die Tiere anlocken. Ihre empfindlichen Sinnesorgane lassen sie vermuten, es gebe eine Beute. Denn Haie
sind mit Sinnesorganen ausgestattet, die
ihresgleichen suchen. Sie können Schallwellen über Distanzen von über fünf
Kilometer auffangen und die Lärmquelle
auf den Quadratmeter genau orten. Gerüche vermögen Haie selbst in homöopathischer Verdünnung aufzuspüren. Sie
riechen einen Tropfen Fischextrakt in
einem etwa tausend Quadratmeter grossen und zwei Meter tiefen Becken.
Haie reagieren sehr empfindlich auf
Druck und Wasserverschiebungen, was
in die Praxis umgesetzt einem perfekten
Tastsinn gleichkommt. Einzigartig in
der Tierwelt ist die Tatsache, dass Haie
in der Lage sind, die erhöhte Körperspannung eines verwundeten oder in
Panik geratenen Lebewesens zu registrieren, ja sogar dessen Herzschlag zu hören.
Geleitet von solchen Wahrnehmungen
findet der Hai seine Beute selbst bei
Dunkelheit oder trübem Wasser.
Sein Körper besteht nur aus Muskeln
und Knorpel, und dank seiner hydrodynamischen Körperform kann er mit
Geschwindigkeiten von über 60 Stundenkilometern durchs Wasser ziehen. Zahnprobleme kennen die Tiere nicht. Das
sogenannte Revolvergebiss kann aus
sechs bis sieben Reihen messerscharfer
Zähne bestehen. Bricht ein Zahn ab, rückt
automatisch der nächste nach. All das,
verbunden mit einer über 400 Millionen
Jahre langen Entwicklungszeit, macht
den Hai zum perfektesten Raubtier überhaupt. Er setzt aber seine Fähigkeiten
nur zum Nahrungserwerb ein und ist
weit davon entfernt, aus purer Mordlust
zu töten.
Die Gesundheitspolizei
des Meeres
Haie spielen im marinen Ökosystem eine
absolute Schlüsselrolle. Sie stehen am
Ende der Nahrungskette und kontrollieren ihrerseits andere Räuber, die sonst
den Fischbestand, der auch uns Menschen als Nahrung dient, ausrotten würden. Durch das Fehlen der Haie vermehren sich auch Fische unkontrolliert, darunter auch kranke und schwache Tiere,
deren Fortpflanzung jedoch für eine gesunde Population schädlich ist. Durch
das Wegbleiben ihrer natürlichen Feinde
sind auch im und am Wasser lebende
Säugetiere betroffen, wie die Beispiele in
Australien, aber auch Südafrika zeigen.
All das und vieles mehr beweist klar,
wie wichtig die Haie für die Meere, wie
auch für uns Menschen sind. Über 400
Millionen Jahre haben die Haie überlebt
und allen Veränderungen unserer Erdgeschichte getrotzt. Es ist mehr als nur
Haischutzorganisationen
• Shark Foundation, Dr. Alexander Godknecht
Blütenstrasse 4, 8057 Zürich
www.hai.ch, [email protected]
• Project Aware Foundation
Oberwilerstrasse 3, 8442 Hettlingen
Telefon 052 243 32 32, Fax 052 243 32 33
www.projectaware.org, [email protected]
• Sharkproject e. V., Internationale Initiative
zum Schutz und zur Erforschung der Haie e.V.,
Frankfurter Strasse 111 b
63067 Offenbach, Deutschland
Telefon +49 69 98 64 530
Fax +49 69 98 64 53 30
www.sharkproject.com, [email protected]
• Hailife-Kampagne, Postfach 16 74
55006 Mainz, Deutschland
Telefon +49 6704 609, Fax +49 6704 95 93 91
www.hai-society.org
[email protected]
Literatur
• Ritter: «Mit Haien sprechen»
Verlag Kosmos, 2004, ISBN: 3-440098-07-9,
Fr. 42.–
• Ritter: «Das Lächeln der Haie»,
Verlag Dr. Werner Steinert,
ISBN 3-931309-07-x, Fr. 31.70
• Ritter/Brunnschweiler: «Körpersprache
der Haie», Verlag Dr. Werner Steinert
ISBN 3-931309-08-8, Fr. 52.20
• Mojetta: «Haie – Biografie eines Räubers»
Jahr Verlag, 2004, ISBN 3-86132-745-7, Fr.17.50
• Hennemann: «Fischführer Haie und Rochen
weltweit», Jahr Verlag, 2001
ISBN 3861325845, Fr. 60.40
• Cunningham-Day: «Sharks in Danger – Global
Shark Conservation Status with Reference
to Management Plans and Legislation»
englisch, Verlag Universal Publishers, 2001
ISBN 1-58112-652-2, Fr. 45.–
Internet
• www.iucnredlist.org (englisch)
• www.sharkinfo.ch
• www.elasmo.de
• www.flmnh.ufl.edu/fish/sharks/isaf/
isafabout.htm (englisch, Internationale Stelle
für Statistiken über Hai-Unfälle)
• www.haiwelt.de
• www.haiseite.de
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Aug in Aug
mit dem
Foto: Kurt Amsler
Grossen Weissen
H
aai op die aas», ruft Andre Hartman in kehligem Afrikaans und
zeigt nach achtern, wo eine stahlgraue Rückenflosse die von Wind
und Wellen aufgewühlte Wasseroberfläche
durchschneidet. Sicher mehr als zwei Meter
dahinter schlägt das halbmondförmige Blatt
der Schwanzflosse und treibt den riesigen
grauen, leicht braun gescheckten Körper auf
uns zu.
Hai ans Boot heranführen
Mehr als drei Stunden lang haben wir in unserem kleinen Boot ausgeharrt und in regelmässigen Abständen immer wieder kleine
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zerriebene Stücke von Thunfischleber ins
Wasser geworfen. Niemand weiss, wie weit
der Geruch von der Strömung weggetragen
wurde, doch eines ist sicher; der Grosse
Weisse vor uns hat ihn irgendwann in seine
Nase bekommen und ist ihm auf direktem
Weg, wie ein Flugzeug dem Leitstrahl, zu
unserem Boot gefolgt. Jetzt gilt es, das Tier
nicht wieder zu verlieren. Dafür sorgt Andre,
sicher der grösste Experte im Umgang mit
Weissen Haien. Er kniet auf der kleinen
Plattform am Heck und wirft dem Tier vorsichtig ein grosses Stück Thunfisch vor die
Nase, welches an einer dicken Leine befestigt
ist. Langsam zieht er diese wieder ein, wobei
der Hai, total auf den Köder fixiert, langsam
aber sicher zum Boot folgt.
Hypnotiseur
des grössten Raubtieres
Jetzt, wo der grosse kegelförmige Kopf fast
den linken Motor berührt, taucht Andre
seine Hand ins Wasser. Es scheint, der Hai
realisiere erst jetzt die unmittelbare Nähe
des Bootes, denn er leitet ein abruptes
Bremsmanöver ein. Dadurch steigt sein
Kopf direkt vor mir aus dem Wasser und ich
blicke aus nur knapp einem Meter in sein
riesiges Maul. Mehr als deutlich kann ich
die spitzen Fangzähne des Unterkiefers und
Haie – gejagte Jäger NATUR
die grossen, messerscharfen Dreiecke des
heruntergeklappten Oberkiefers sehen. Sie
gaben dem Tier vor Jahren den Namen:
Carcharodon carcharius – der mit den gezackten Zähnen.
Andre wölbt die Hand um die Nase, als
wolle er ihn streicheln. Der Hai legt seinen
Kopf noch weiter zurück und verharrt in
dieser Stellung, als stünde er mit dem
Menschen in einer geheimnisvollen Verbindung. Es herrscht absolute Stille, das einzige
Geräusch kommt aus meiner Kamera, die
Bild für Bild einfängt, wie ein Mensch das
grösste Raubtier auf unserem Planeten hypnotisiert.
Bald ausgestorben
Der Augenblick scheint endlos. Tatsächlich
dauert die Szene aber nur wenige Sekunden,
bis Andre seinen Arm zurückzieht. Einige
Herzschläge lang schwebt der Hai in der
Luft, bevor er seitlich ins Wasser zurücksinkt. Noch kurz leuchtet sein weisser Bauch
auf, dann verschwindet er in der grünblauen
Tiefe. Diese Reaktion der Weissen Haie
stellen Wissenschafter vor neue Rätsel.
Ist es eine Art «tonische Immobilität»,
verursacht durch die Körperspannung des
Menschen, die von Haien millionenmal verstärkt spürbar ist? Überreizt das Magnetfeld des Menschen sein Gehirn oder ist er
ganz einfach verwirrt, weil seine Zähne
nicht zu fassen kriegten, was ihm so nah
erschien?
Mein Job ist es aber nicht, das herauszufinden: Mit geht es darum, mit Bildern
den Grossen Weissen ins rechte Licht zu setzen und sein Image als Killer zu zerstören.
Denn positive Werbung hat er dringend nötig. Sonst kann es sehr bald sein, dass
dieses Tier, das sechs Millionen Jahre unverändert überlebte, durch den Menschen
weiterdezimiert wird, sodass unsere Kinder
es in nicht einmal 50 Jahren nur noch im
Bilderbuch ansehen können.
Erlebnisbericht von Kurt Amsler
Natürlich | 2-2007 15