Eine feine Arbeit krönt den 30. Geburtstag

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Eine feine Arbeit krönt den 30. Geburtstag
20 KULTUR
NORDWESTSCHWEIZ
FREITAG, 5. DEZEMBER 2014
Aargauer Künstler arbeiten
mit viel Lust am Experiment
Kunst Die «Auswahl 14» im Aargauer Kunsthaus zeigt einheimisches Schaffen auf der Höhe der Zeit
VON SABINE ALTORFER
Wenn Neugier und Experimentierlust
geschickt mit einigermassen sicheren
Kunstpfaden kombiniert werden, entsteht das, was Freude macht. So neu,
dass uns nicht langweilig, so abgesichert, dass wir nicht überfordert sind.
Die «Auswahl 14» schafft das, ist also
ein guter Jahrgang. Mit der einzigen
Einschränkung, dass es nicht viel gibt,
das uns wirklich ins Staunen oder gar
in Euphorie zu versetzen mag.
Malerei, Videoarbeiten, Zeichnungen
und ganz viel Fotografisches präsentieren uns die Aargauer Künstlerinnen
und Künstler. Typisch aargauisch ist es
nicht. Kunstgrenzen sind hinfällig geworden und was im Aargau oder von
ehemaligen Aargauern geschaffen wird,
ist längst nicht mehr Provinzkunst. Diese Kunst hat in vielen Fällen den Weg in
die nationale oder internationale Szene
gefunden – oder ist bei Jungen auf dem
Weg dorthin.
Jung und alt
Fotografische Vielfalt
Was die Generationen verbindet, ist
die Experimentierlust. Am schönsten
zeigt sich das im weiten Feld der Fotografie. Dazu gehören nicht nur klassische Aufnahmen, wie sie Andreas Seibert mit malerischen Szenen oder Georg Aerni mit Architektur aus Asien in
den Aargau zurückbringen, sondern
auch Lorenz Olivier Schmids irritierend
schöne Bilder von Fett-, Staub- und
Farbspuren, die getrocknete Pflanzen
auf Gläsern hinterlassen haben.
Den technischen Experimenten von
Eva Maria Gisler und Beat Brogle
kommt man erst dank den Angaben auf
der Bildbeschreibung im handlichen
Katalögli auf die Schliche. Die poetisch
vor dunklem Hintergrund schwebenden 3-D-Modelle von Gisler sind Foto-
Aufblasbare und gut transportierbare Monumentalkunst: Beat Zoderers «Baloon 1 /14».
gramme – raffinierte Direkt- und Mehrfachbelichtungen mit unglaublicher
Präsenz und Präzision. Wie verwischte
Zeichnungen dagegen präsentieren sich
Brogles Stühle, Kreuze und Handtaschen. «Generative Fotografie, internetbasiert» lesen wir dazu. Er überlagert
Hunderte von Bildern aus dem Internet. Jedes zeigt eine Handtasche etwas
anders, aber aus der Fülle der Modelle
schält sich doch eine allgemeingültige
Form heraus.
Video-Arbeiten sind die Zeitfresser
bei einem Ausstellungsrundgang. Kalkulieren Sie Zeit ein, es lohnt sich! Das
Duo Fromherz persifliert Begrüssungsrituale mit bestem Unterhaltungseffekt.
Myrien Barth spielt gekonnt mit Bild-,
Tagebuch und Musikfragmenten in einer subtilen, persönlichen Arbeit. Max
Treier dagegen plagt uns mit Verkehrslärm, blendendem Gegenlicht auf der
Autobahn beim Baregg und Auszügen
über Baubewilligungen aus dem Amtsblatt. Das hat die Jury der «Auswahl 14»
zu Recht nicht davon abgehalten, ihn
als Gast 2015 einzuladen.
Erstaunlich viele monumentale Objekte seien dieses Jahr eingeliefert worden, stellt Kurator Thomas Schmutz
fest. Etwa vom Gast 2014, René Fahrni.
Rad und Rakete bastelt er aus Pappmaché und Gips und als Symbol für unser
unstetes Unterwegssein stellt er eine
Tanksäule ins Kunsthaus. Beat Zoderer
macht einen Riesenballon zum Träger
einer dreidimensionalen Lichtzeichnung und Andreas Marti bastelt aus
Kupferdrähten eine ratternde Zeichenmaschine. Eine Bohrmaschine treibt sie
an – ein unermüdliches Spiel, das man
aber nicht als Dekonstruktion des
Kunstbetriebes lesen soll.
Auswahl 14. Aargauer Kunsthaus, bis 4.
Januar. Vernissage: Fr 5. 12., 18 Uhr.
Gleichzeitig zeigt das Kunsthaus
«An der Grenze» Werke von Gertrud
Debrunner und Sammlung. Buchvernissage Debrunner: So 7. 1., 11 Uhr.
DAVID AEBI/KUNSTHAUS
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Fangen wir bei den Jüngsten an: Mit
Jahrgang 1997 macht Balz Buri tatsächlich Kunst, die so jung wirkt, wie der
Urheber ist: krude, comicartige Filzstiftzeichnungen. Den Jahrgang von Roberta Müller – es ist 1990 – möchte ich
nicht schätzen müssen. Ihre skulpturale Raumzeichnung aus einem Tau und
Metallhülsen, die sowohl weiche Kurven wie streng-gerade Strecken aufweist, sich an den Wänden aufbäumt,
ist mit ihrer formalen Perfektion und
Schlichtheit nicht einer Generation zuzuordnen.
Den ganz Jungen kann man aber getrost die Arbeiten der Erfahrenen gegenüberstellen: Jürg Stäubles (*1948)
raffinierte Türme aus Styropor, Max
Matters (*1941) weiss-schwarze ornamentale Zeichnungen, Ursula Mumenthalers (*1955) irritierende, arrangierte
Stadt-Fotos: Sie wirken so frisch wie die
Werke der Jungen.
PREISE
Geld und Ehre für acht Künstler
S
treng ist die Selektion zur
«Auswahl 14»: 191 Künstlerinnen und Künstler wollten dabei sein, 56 wurden von den beiden
Jurys akzeptiert – und acht bekommen zusätzlich Anerkennungen.
Max Treier (*1974): Der Videokünstler wird Gast 2015, darf dannzumal
also einen eigenen Raum bespielen.
Roberta Müller (*1990): Sie erhält
für ihre skulpturale Raumzeichnung
aus einem Tau und Metallhülsen den
diesjährigen NAB-Förderpreis.
Die Jahresausstellung ist wieder ein
Joint Venture von Kunsthaus und
Aargauer Kuratorium. Beide setzen
eine Jury ein, das Kunsthaus für die
Auswahl, das Kuratorium auch, um
seine alljährlichen Werkbeiträge zu
vergeben. Sechsmal 25 000 Franken
wurden gesprochen.
Peter Fischer (*1968): Er baut Projektionsmaschinen mit Unterhaltungswert. Diesmal erscheint sein Gesicht
auf einem beweglichen Kugelarm.
Philippe Frentz (*1969): Er zeigt Ölmalerei getränkt von der Tradition, gebrochen wie in der Moderne, erzählerisch, wie wirs mögen.
Thomas Galler (*1970): Die App «Cats
Rock» belädt er mit revolutionären
Phrasen und lockt uns mit hungrigen
Katzen aus Kairo auf die falsche Spur.
Eva Maria Gisler (*1983): Ihre Fotogramme bestechen durch Idee, Handwerk und Wirkung.
Camille Hagner (*1961): Darf man bei
diesen Tableaus hier von 3-D-Malerei
sprechen oder sind es Stillleben?
Stefan Wegmüller (*1984): Seine Fotoarbeiten täuschen und erzählen
gleichzeitig ein schönes Roadmovie. (SA)
Eine feine Arbeit krönt den 30. Geburtstag
Tanz Brigitta Luisa Merki
stellt mit «haiku flamenco» ihr
jüngstes Werk mit Flamencos
en route im Badener ThiK vor.
VON ELISABETH FELLER
Flamenco gehört zu Spanien. So unverrückbar erscheint dies Brigitta Luisa
Merki, Gründerin von Flamencos en
route, aber wohl nicht. Denn jetzt lässt
sie den Flamenco – das rhythmisch
strengen Regeln unterworfene Zusammenspiel von Tanz, Gesang und Musik –
nach Japan reisen. In ein Land, das den
Haiku – mit nur drei Zeilen die kürzeste
Gedichtform – perfektioniert. Diese
wird weltweit gepflegt, auch vom Uru-
guayer Mario Benedetti, dessen HaikuGedichte nun als Flamencogesänge Einzug halten in Merkis Choreografie.
Japanische Schriftzeichen
Auf knappstem Raum ganz viel ausdrücken: Wo lässt sich das packender
realisieren und hautnaher erleben als
im Theater im Kornhaus (ThiK)? In diesem Kleintheater haben zahlreiche Produktionen von Flamencos en route ihre
Uraufführung erlebt.
Nun gesellt sich die jüngste Arbeit
hinzu, die Brigitta Luisa Merki zum 30Jahr-Jubiläum ihrer Compagnie geschaffen hat. Japanische Schriftzeichen
leuchten blassgrün an der Stirnwand
der Bühne. Nicht sie (allein) nehmen gefangen, sondern drei Podeste, auf denen drei Paar Schuhe stehen, in die drei
Fächer gesteckt sind – ein durch und
durch komponiertes, auf das Wesentliche reduziertes Bild.
Man muss es einsickern lassen; muss
auch Stille aushalten können. Denn
noch schweigen die seitlich sitzenden
Gitarristen Juan Gomez, Pascual de Lorca; die Sänger Rocio Soto und Pedro
Obregon sowie der Perkussionist Fredrik Gille. Erst nach geraumer Zeit setzt
die Musik behutsam ein. Drei Tänzerinnen (Carmen Angulo, Carmen Iglesias,
Raquel Lamadrid) nehmen die Bühne in
Besitz. Anfänglich zögernd, dann immer
beherzter umkreisen sie die Podeste,
auf die sie sich schliesslich setzen und
ihre Schuhe anziehen.
Was danach folgt, ist Poesie. Die Fächer
erweisen sich in den Händen des Trios als
wunderbare Requisiten, die als Verlänge-
rung der Arme die Gestik noch prägnanter hervortreten lassen. Fürwahr, die Verknappung der technischen Mittel steigert
den künstlerischen Ausdruck.
Bezaubernde Choreografie
Natürlich gibt es auch in «haiku flamenco» die strahlend-selbstbewussten
Soli und die Staccato-Gewitter wirbelnder Füsse, die Eloy Aguilar, Alvise Carbone und Ricardo Moro mit atemberaubender Meisterschaft einsetzen. Aber: Es gibt
zugleich Schritte, die auf kleinstem Raum
lediglich angedeutet oder – vor ihrer vollen Entfaltung – gestoppt werden.
Und noch etwas gibt es: Humor. Hinreissend etwa dann, wenn Riccardo Moro seine Füsse immer schneller und
schneller tanzen lässt. Dann zeigt ihm
Alvise Carbone, was Füsse auch machen
können: nur den Boden antippen. Mehr
muss nicht (immer) sein. So nimmt in
Merkis Choreografie einer den anderen
in die Pflicht, indem er augenzwinkernd
hin und wieder «Haiku» raunt. Ein Zauberwort, das am Ende noch einmal mit
aller Macht Magie entfaltet.
Da wird die von Merki angestrebte
Verdichtung auf die Spitze getrieben.
Drei Paare steigen auf drei Podeste und
zeigen, was selbst auf knappstem Raum
möglich ist: packender Tanz. Dass die
Frau den Mann oder der Mann die Frau
schubst, um Platz für sich zu haben, gehört zum vergnüglichen Spiel, vielmehr
zu einer Choreografie, die vor allem eines ist: bezaubernd.
ThiK Baden 4., 5., 10. (Zusatzvorstellung); 11., bis 13. Dezember.