Gespenster
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22.04.2014 Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen Gespenster Warnungsinflation Wer glaubt noch an Gespenster? Ausgerechnet in einer Zeit, in der sich das von der Wirtschaft am meisten gefürchtete Gespenst der Inflation im Zuge von Globalisierung und weltweiter Konvergenz vermeintlich für immer verabschiedet hat? Offensichtlich mehr Leute, als mancher denken mag. Obwohl Deflation in den letzten Dekaden nie ein Thema war, warnt selbst der oberste Währungshüter in Europa inzwischen vor der Gefahr einer Deflation. Doch warum eigentlich? Im März 2014 lag die Teuerung im Euroraum bei 0.5% im Jahresvergleich, die Kerninflation, das ist die Rate ohne Saisonprodukte und Energie, betrug sogar 0.7%. In Deutschland lagen die entsprechenden Raten bei 1% bzw. 1.5%. Auch in Frankreich oder in Italien liegt die Inflation noch im positiven Bereich. Keine Spur von Deflation, auch wenn in Spanien (-0.2%) oder Portugal (-0.4%) die Raten leicht unter null lagen. Es herrscht faktisch Preisniveaustabilität und viel besser können die Hüter der Preisniveaustabilität ihren Job eigentlich gar nicht erledigen. Trotzdem ist ein Unwohlsein spürbar und unzählige Ökonomen warnen vor einem Deflationsgespenst. Das ist nur schwer nachvollziehbar, denn selbst in Griechenland, wo der schmerzliche Anpassungsprozess schon recht weit fortgeschritten ist, konnte eigentlich nie von einer gefährlichen Deflation die Rede sein. Die höchste deflationäre Bewegung war im Oktober letzten Jahres zu verzeichnen, als die Jahresteuerung bei minus 2.9% lag. Deflation: ein bisschen wäre erwünscht Das war und ist schmerzhaft, aber nicht katastrophal. Vor allem aber ist es genauso notwendig wie erwünscht, dass Griechenland Fortschritte in Bezug auf seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit macht. Und wie sonst, wenn nicht über eine negative Lohnpreisspirale, sollte dies geschehen? Das Gleiche gilt für manch anderes klamme Land in Europa. Für Europa als Ganzes bedeutet dies: Wir werden uns an tiefe Inflationsraten gewöhnen müssen, aber kaum an negative. Eine schwache Deflation in Europa ist schliesslich der bequemste Weg für die Politik, einen sonst viel schmerzlicheren Anpassungsprozess einzuleiten und durchzuziehen. Eine ernst zu nehmende Deflation mit Negativraten von 2-3% oder mehr würde den Anpassungsprozess zwar beschleunigen, aber die Wiederwahl der Regierungen verunmöglichen. Zu viel Deflation liegt demnach weder im Interesse der allgemeinen Politik, noch im Interesse der Geldpolitik im Speziellen. Der Deflationsalarm in Europa ist ein Unding, weil er Geister heraufbeschwört, die gar nicht existieren. Jahrzehntelang haben die Zentralbanken die Inflation bekämpft und den grössten Feind des Geldwertes endgültig besiegt. Und Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen Raiffeisen Economic Research [email protected] Tel. +41 (0)44 226 74 41 nun soll sozusagen aus dem Hinterhalt die neue Gefahr der Deflation drohen? Das ist seltsam, aber nicht ganz so neu. Mitte der Neunzigerjahre war das Thema der Deflation auch in der Schweiz besonders aktuell. In der Retroperspektive wissen wir, dass in der zweiten Jahreshälfte 1994 lediglich viel Rauch um nichts erzeugt wurde. Auch in der Schweiz trugen Mitte der Neunzigerjahre Reformen zur Vitalisierung der Schweizer Wirtschaft zu tiefen Inflationsraten bei. Exakt dies ist nun auch in Europa der Fall, ein bisschen Deflation ist demnach besser als gar keine. Dennoch raucht es kräftig in Europa. Ausgerechnet in Deutschland, wo man noch weit von negativen Inflationsraten entfernt ist, hat gemäss GoogleSuchstatistik das Interesse an Deflation überdurchschnittlich zugenommen. Da noch von einem Siegeszug der verbalen Geldpolitik zu sprechen, grenzt an Blasphemie. Den Warner geht’s ums Warnen Wieso wird eigentlich an allen Ecken und Ende gewarnt? Die Geldhüter, die Regierungen, die OECD oder der Internationale Währungsfond sowie Haderer aus den verschiedensten Lagern warnen in regelmässigen Abständen vor bestehenden Gefahren oder neu aufkeimenden, die der Wirtschaft drohen. Der Währungsfond etwa wittert mehr oder weniger überall Gefahr, bei Inflation, Deflation, der Schuldenkrise, bei Chinas Banken, bei Japans Ungleichgewichten oder einer globalen Wachstumsverlangsamung. Es ist schon paradox, dass sich in einer Zeit, in der die Politik die Märkte fest im Griff hat, die einzige Inflation im ständigen Alarmzustand aufbaut. Wirtschaftswissenschaftler sowie Aufseher, Regulatoren, Finanzpolitiker und Geldhüter, welche die Märkte unter Kontrolle halten, warnen davor, dass trotzdem etwas schief laufen könnte. Das ist kein wirklich überzeugender Vertrauensbeweis und lässt Zweifel aufkeimen, ob mit weiteren unkonventionellen Massnahmen die mannigfaltigen Gefahren wirklich reduziert werden. Aber so wichtig ist das alles gar nicht. Hauptsache man muss sich nicht wieder vorwerfen lassen, nicht gewarnt zu haben. Für Märkte kontraproduktiv Die Märkte ignorieren die chronischen Alarme mittlerweile. Viele seit Lehman ausgesprochene Warnungen sind ja auch entweder vom Winde verweht worden oder sie erwiesen sich als übertrieben. Das schafft zunehmend eine Stimmung der Ignoranz an den Märkten, die sich darin manifestiert, dass bad news weniger heftig eingepreist werden als good news. Das ist sogar der Fall, wenn es sich bei den good news nur um vage Hoffnungsschimmer handelt, wie die aktuelle Lage zeigt. Allein schon dass sich in der Ukraine die Lage nicht weiter zuspitzt, erzeugt an der Börse eine positiven Effekt. Dazu müsste man eigentlich eine Warnung aussprechen. Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen Gespenster 22.04.2014 Raiffeisen Economic Research [email protected] Tel. +41 (0)44 226 74 41 Wichtige rechtliche Hinweise Kein Angebot Die in dieser Publikation veröffentlichten Inhalte werden ausschliesslich zu Informationszwecken bereitgestellt. Sie stellen also weder ein Angebot im rechtlichen Sinne noch eine Aufforderung oder Empfehlung zum Erwerb resp. Verkauf von Anlageinstrumenten dar. Diese Publikation stellt kein Kotierungsinserat und keinen Emissionsprospekt gem. Art. 652a bzw. Art. 1156 OR dar. Die alleine massgeblichen vollständigen Bedingungen sowie die ausführlichen Risikohinweise zu diesen Produkten sind im entsprechenden Kotierungsprospekt enthalten. Aufgrund gesetzlicher Beschränkungen in einzelnen Staaten richten sich diese Informationen nicht an Personen mit Nationalität oder Wohnsitz eines Staates, in welchem die Zulassung von den in dieser Publikation beschriebenen Produkten beschränkt ist. 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