„Paten“ zu begegnen, ist gleich null. Dafür trifft
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„Paten“ zu begegnen, ist gleich null. Dafür trifft
18 nahaufnahme nahaufnahme 19 „ Die Mafia tötet, genauso wie Schweigen.“ Demonstranten erinnern an den Journalisten Peppino Impastato, der im Mai 1978 von der Mafia getötet wurde. Basta mit der Mafia! Eines vorweg: Die Wahrscheinlichkeit, in Sizilien leibhaftigen „Paten“ zu begegnen, ist gleich null. Dafür trifft man immer öfter deren Widersacher, die mobil machen gegen die Mafia. Litho: Hier muss unten etwas angestückelt werden studi_177_FSM_II_Sizilien_Innen.indd 18-19 16.12.13 16:52 20 nahaufnahme Litho: Bitte helle Ecke etwas abdunkeln, damit sie sich vom Papier-Weiß abhebt Litho: Bitte Cover perspektivisch richtig anpassen und Spiegelungen transparenter machen der Konsumenten, die die mutige Initiative unterstützen, wächst. Addiopizzo zählt auf die breite Unterstützung aus der Bevölkerung. Denn das bedeutet Schutz für die, die mitmachen. „Im Licht der Öffentlichkeit kann die Mafia nicht mehr wie früher einzelne rebellische Ladenbesitzer einfach umbringen“, sagt Zaffuto. „Wir werden von allen Seiten unterstützt, sogar aus dem Ausland.“** Das Restaurant „Antica Focacceria“ Gedenken an Richter Giovanni Falcone, der im Mai 1992 von der Mafia getötet wurde Idyllisch sitzt man hier, vor der „Antica Focacceria“ auf der Piazza San Francesco, mitten in der Altstadt Palermos. Ein Pärchen aus England bestaunt vom Tisch aus das gotische Portal der Franziskuskirche. Hans und Monika aus München können es kaum erwarten, die Delikatesse des Hauses zu probieren: panierte Schwertfischrouladen mit Pinienkernen. Dass ein Auto der Carabinieri ein paar Meter weiter parkt, bemerken die Gäste nicht – oder sie halten es für Zufall. Studiosus unterstützt den Druck der AddiopizzoStadtpläne für Palermo und Neapel finanziell und stellt seinen Gästen vor Ort die entsprechenden Stadtpläne zur Verfügung. Außerdem führen Studiosus-Reiseleiter die Gäste bevorzugt dorthin, wo man pizzo-frei isst und einkauft. Vincenzo und Fabio Conticello, die das Familienlokal in fünfter Generation leiten, wissen, dass es kein Zufall ist. Seit sie vor ein paar Jahren Besuch von der Mafia bekommen haben, stehen beide unter Polizeischutz. Nie wird Vincenzo den Abend vergessen, als ein elegant gekleideter Unbekannter plötzlich im Lokal auftaucht und „einen Rundumschutz gegen Störenfriede aller Art“ anbietet. Für 500 Euro „Pizzo“ – Schutzgeld – pro Monat. Rund 80 Prozent aller sizilianischen Restaurant- und Ladenbesitzer zahlen es, um keinen Ärger mit der Mafia zu bekommen. 100 Prozent waren es vor der Gründung von „Addiopizzo“, der „Tschüss-Schutzgeld-Initiative“. Doch wer oder was steckt hinter „Addiopizzo“? Ein paar Studenten, die Lust hatten, in Palermo eine Kneipe zu eröffnen. Keine Lust hatten sie, Schutzgeld an die Cosa Nostra zu bezahlen. In der Nacht zum 29. Juni 2004 befestigten sie massenhaft Aufkleber an Bushaltestellen, Laternenmasten, Wänden und Türen. Ihre Botschaft: „Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, hat keine Würde.“ Das Medieninteresse studi_177_FSM_II_Sizilien_Innen.indd 20-21 und die Sympathien in der Bevölkerung sind groß. Die jungen Leute gewinnen die Handelskammer und das Justizministerium für ihre Sache und gründen einen gemeinnützigen Verein. Von der Mafia bedrohte Unternehmer finden hier umfassende Hilfe: werden bei Behördengängen begleitet, von den Anwälten des Vereins vor Gericht vertreten oder beraten, wie man am schnellsten Hilfsmittel aus dem staatlichen Fonds für Opfer von Schutzgelderpressungen bekommt. Am wichtigsten ist jedoch die moralische Unterstützung: „Endlich konnte ich mich jemandem vollständig anvertrauen“, erzählt Giuseppe Todaro, Geschäftsmann aus Cinisi. „Ich war nicht mehr alleine.“* Jeder, der sich zu Addiopizzo bekennt, darf das Antischutzgeld-Siegel „pizzo-free“ verwenden. Ein solches Siegel ziert auch die Theke in der Antica Focacceria. Den Unbekannten schicken die Brüder Vincenzo und Fabio wieder fort – sie pfeifen auf seinen „Schutz“ und den seiner Komplizen. Stattdessen erstatten sie Anzeige. Tatsächlich werden die Mafiosi mit Hilfe von Videokameras und verwanzten Telefonen überführt und zu zehn bis 14 Jahren Haft verurteilt. Immer mehr Unternehmer lehnen es inzwischen ab, Schutzgeld zu zahlen. „Noch vor ein paar Jahren wurde Pizzo fast als normale Steuer empfunden, der man nicht entgehen konnte“, erklärt Addiopizzo-Gründungsmitglied Edoardo Zaffuto. „Jetzt weigert sich die junge Generation, das Schutzgeld von den Eltern zu erben.“ Mittlerweile stehen über 400 Läden und Unternehmen auf der Pizzofree-Liste, Tendenz steigend. Auch die Zahl Für Touristen hat Addiopizzo einen kostenlosen Stadtplan herausgegeben, in dem alle Läden, Lokale und Hotels Palermos verzeichnet sind, die kein Schutzgeld bezahlen. Ob sie tatsächlich nicht zahlen, kontrolliert ein Komitee des Vereins. Erst nach eingehender Prüfung sämtlicher Geschäftsunterlagen werden die Anti-MafiaUnternehmer in die öffentliche Liste der Mitglieder eingetragen. Ob es jemand auf die Liste schafft, obwohl er Schutzgeld zahlt? Francesca Calabrese von Addiopizzo schüttelt den Kopf. „Dieses Risiko nimmt nur auf sich, wer tatsächlich den Clans Paroli bieten will.“ Unter der Schirmherrschaft der Deutschen Botschaft werden die Stadtpläne an Veranstalter und Reisebuchverlage weitergeleitet. Zaffuto ermuntert zum Mitmachen: „Selbst wer nur ein Wochenende auf Sizilien verbringt, kann im Kampf gegen die Cosa Nostra helfen, indem er bei Unternehmen bucht und Restaurants besucht, die kein Schutzgeld zahlen.“ Mafiaboss Toto Riina bei seiner Verhaftung Litho: Bitte Bild etwas satter und farbenfroher machen Eine weitere Möglichkeit, als Tourist die AntiMafia-Initiativen zu unterstützen, ist, auf ehemaligen Landgütern der Paten einzukaufen oder Urlaub zu machen. Seit 1982 ist die Enteignung von Mafiagütern per Gesetz möglich, seit 1996 können sie auch für soziale Zwecke genutzt werden. Elio Antinoro, der Leiter der Anti-Mafia-Ermittlungseinheit, weiß, wie schwierig eine solche Enteignung tatsächlich ist, da das Eigentum oft unter Pseudo-Firmen registriert ist. Dennoch konnten allein in Palermo 1700 Immobilien konfisziert werden, in einer davon hat Antinoro sein Büro. Auf dem Weingut „I Cento Passi“ (100 Schritte) begrüßt ein blaues Schild mit der Aufschrift „Beschlagnahmtes Mafia-Gut“ die Besucher. Der Name ist symbolträchtig, erinnert er doch an den ermordeten Journalisten Peppino Impastato. 100 Schritte lagen zwischen dem Elternhaus des Opfers und dem Haus des lokalen Paten. Andere Gebäude werden in Reiterhöfe und Agriturismen umfunktioniert, so zum Beispiel das „Terre di Corleone“, dessen ehemaliger Schafstall jetzt als attraktive Unterkunft für Touristen dient. Dass sich hier Mafia-Boss Toto Riina, auch bekannt als „die Bestie“, versteckte, ist für die Gäste eher Attraktion als Abschreckung. Riina sitzt seit 1993 hinter Gittern. Das Urteil: zehnmal lebenslang. Auf sein Konto gehen u.a. die tödlichen Anschläge auf die populären Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. In Palermos Via Notarbartolo wächst vor Falcones einstigem Wohnhaus eine riesige Magnolie – inzwischen ein nationales Mahnmal. Mitarbeiter von Addiopizzo führen Schulklassen und Touristen hierher, um das Andenken an den furchtlosen Richter zu bewahren. An den Zweigen hängen Briefe, Zeichnungen, Fotos. Und in der Via d‘Amelio am westlichen Stadtrand Palermos ragt aus dem Krater, den das Sprengstoffattentat auf Falcones Kollegen Paolo Borsellino in den Asphalt gerissen hat, ein Olivenbaum. Auch hier baumeln Kettchen und persönliche Widmungen im Wind. Und ein kämpferisches Schild mit nur einem Wort: „Basta!“ n * Guiseppe Todaro gab 2010 seine Geschichte in einem Interview mit dem italienischen Nachrichtensender Sky TG24 preis, nachzulesen auf dessen Website unter dem Titel „Pizzo, così ho trovato la forza di denunciare gli estorsori“ (Schutzgeld – so fand ich den Mut, die Erpresser anzuzeigen). ** Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 17. Mai 2010. tipps 21 Bücher und Filme Die Tage des Zweifels. Amore siciliano von Luzie Bronder. Frecher Liebesroman und Reiseführer in einem. Ökofanatikerin Alexandra will in Sizilien einen Film über die Biobauernhöfe der Insel drehen. Als sie den jungen Olivenbauern Paolo trifft, prallen Welten aufeinander: deutsche Gütesiegel-Kultur und italienisches Dolce Vita. Aufbau Verlag, 2011. Der Leopard. Französisch-italienischer Spielfilm (1963) von Luchino Visconti, der als Meisterwerk der Filmgeschichte gilt. Burt Lancaster, Claudia Cardinale und Alain Delon spielen die Hauptrollen in dem Historiendrama, das den Untergang des sizilianischen Adels im 19. Jahrhundert thematisiert. DVD 2010. Sizilien-Krimi von Bestsellerautor Andrea Camilleri, Folge 14 der Salvo-MontalbanoSerie. Im Fahrwasser einer Luxusjacht treibt ein nackter Toter, doch alle Zeugen schweigen wie die Fische. Deutsche Ausgabe 2013, Bastei Lübbe. Cinema Paradiso. Film von Giuseppe Tornatore. Salvatore („Toto“) verbringt als Kind mehr Zeit im Cinema Paradiso als in der Kirche – sehr zum Leidwesen seiner Mutter. Nach einer unglücklichen Liebe verlässt Toto sein Heimatdorf. Erst dreißig Jahre später kehrt der mittlerweile erfolgreiche Regisseur nach Sizilien zurück und erlebt, wie das Kino seiner Kindheit abgerissen wird. 1990 als bester fremdsprachiger Film mit dem Oscar ausgezeichnet. DVD, 1990. 16.12.13 16:52