mìrtfoliqarbeit

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mìrtfoliqarbeit
lise Brunner- T h o m a s Hacker - Felix Winter (Hg.)
DasHandbuch
MÌRTFOLIQARBEIT
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sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Impressum
Ilse Brunner, Thomas Hacker, Felix Winter (Hg.)
Das Handbuch Portfolioarbeit
Konzepte, Anregungen, Erfahrungen aus S c h u l e und L e h r e r b i l d u n g
3. Auflage 2009
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. J e d e N u t z u n g in a n d e r e n
als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen E i n w i l l i g u n g
des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das W e r k n o c h s e i n e Teile dürfen o h n e
eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt w e r d e n . D i e s gilt
auch für Intranets von Schulen und sonstigen B i l d u n g s e i n r i c h t u n g e n .
Fotomechanische oder andere Wiedergabeverfahren nur mit G e n e h m i g u n g des V e r l a g e s .
€> 2006. Kallmeyer in Verbindung mit Klett
Erhard Friedrich Verlag GmbH
D-30926 Seelze-Velber
Alle Rechte vorbehalten.
www.friedrichonline.de
Realisation; Friedrich Medien-Gestaltung
Druck: VeBu Druck + Medien GmbH, Bad S c h u s s e n r i e d
Pnnted in Germany
ISBN; 978-3-7800-4941-4
Nicht in allen Fällen war es uns möglich, den R e c h t e i n h a b e r ausfindig zu m a c h e n .
Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im R a h m e n der ü b l i c h e n
Vereinbarungen abgegolten.
Vorwort
der Herausgeberin
und der
Herausgeber
Drei persönliche Stellungnahmen zum Portfolio
Ilse Brunner
11
B e g a b t , d o c h f ü r d i e S c h u l e viel z u d u m m
Thomas
15
Ein M e d i u m d e s W a n d e l s in der Lernkultur
19
E t w a s , w o r a u f m a n stolz sein k a n n
Hacker
Felix Winter
Teil 1
Konzeptuelle Grundlagen der Portfolioarbeit
Thomas
Hacker
27
W u r z e l n der Portfolioarbeit
rau
yv° s_das
Thomas
Hacker
33
_
Rupert
Vieriinger
Konzept
Annäherungen
40
^^3chser^Jst_^
Vielfalt der Portfoliobegriffe
an ein schwer fassbares Konzept
Direkte Leistungsvorlage
Portfolios als Zukunftsmodell
Leistungsbeurteilung
der
Käthe Jervis
46
Standards:Wie kommt man dazu?
Thomas
53
Täuschen oder vertrauen?
Erfahrungen
Rihm
Hinweise
Urs Ruf
60
schulischen
mit dem Portfoliokonzept
für einen kritischen
Umgang
in den USA
mit
Portfojios
Dialogische Didaktik
Eine Grundlage
für
ertragreiche
EntwicklungsportJottos
Elfriede Schmidinger
67
D a s Portfolio als Unterrichtsstrategie
Portfolios und Unterricht,
Verhältnis
Ilse Brunner
73
ein
wechselseitiges
S t ä r k e n s u c h e n u n d Talente f ö r d e r n
Pädagogische
Portfolio
Elemente
einer neuen Lernkultur
mit
Inhalt
Teil 2
Erfahrungen mit Portfolioarbeit
Oswald fnglin
81
R a h m e n b e d i n g u n g e n u n d M o d e l l e der
Welche Konsequenzen
Unterricht?
Ilse Brunner
_
89
S o p l a n e n Sie Portfolioarbeit
Zehn Fragen, die weiterhelfen
Elisabeth Pölzleitner
96
Reflektieren k a n n m a n l e r n e n
____
Therese Jungen
Formblätter als Hilfe^zur
112
_
Selbsteinschätzung
Ein g e e i g n e t e s K l a s s e n z i m m e r e i n r i c h t e n
Wie man sich djej^ortfo^oarbeit
Katja Rentsch
Lea Stampfl
116
121
127
Konstanze
136
Rüdiger Iwan
Mathematikunterricht
146
in einer Hauptschule
Eine D e u t s c h e p o c h e als
Eine b e s o n d e r e A r t d e r
Portfoliogespräche
Karin Volk wein
151
Elfriede Schmidinger
156
in einer
D a m i t sie ( u n d w i r ) w i s s e n , w a s sie t u n
Lebensbezug
Kommunikation
verändern
meinen
Unterricht
Ich s e h ' d e n Text jetzt m i t a n d e r e n A u g e n
Das Portfolio als Medium reflexiven Lernens
Portfolios zur D o k u m e n t a t i o n v o n
Schulentwicklungsprojekten
Qualitätsverbesserung
Prozessreflexionen
arbeiten
Gerichtsprojekt
Arbeiten mit Portfofio und dem
des Lernen^
S/7wa Pfeifer
einer
D a s Talentportfolio - eine Schatztruhe der Stärken
Mit Projektportfolios
141
kann
Alle h e l f e n mit, d a s s e s v o r a n g e h t
Wie Interessen und Begabungen
Hauptschule gefördert
werden
Stöckermann-Borst
erleichtern
M i t Portfolioarbeit b e g i n n e n
Bericht aus dem Werkstattunterricht
ersten Klasse
Portfolioarbeit im
einer
Grundschule
Beat Scheiben
Portfolioarbeit
ergeben sich für den
mithilfe
von
_
Inhalt
Teil 3
Leistungsbewertung mit Portfolios
Felix
Winter
165
W i r sprechen über Qualitäten
D a s Portfolio als Chance für eine Reform
Leistungsbewertung
Thorsten
Bohl
171
der
K e r n f r a g e n der P ä d a g o g i s c h e n D i a g n o s t i k ,
b e z o g e n a u f die P o r t f o l i o a r b e i t
Gesichtspunkte,
Ilse Brunner,
Andrea
Krimplstätter
und Antonie
Kummer
179
Hanni Lötscher
René Schär
187
Felix Winter
Nadine
und
und
M i t P o r t f o l i o s Lernfortschritte b e l e g e n
Wie Qualitäts- und
Kompetenzkriterien
ausgehandelt
werden
R a h e l e r z ä h l t ihre L e r n g e s c h i c h t e
Förderorientierte
Portfolio
193
Beurteilungsgespräche
200
wozu
W i r b e g i n n e n m i t einer „ W e r k b e t r a c h t u n g '
Gemeinsam
schreiben
208
mit
K o m m e n t a r e zu Portfolios
Klären für wen, was und
Volkwein
Thilo Koch
gilt
und Qualitätsempfinden entwickeln
Lautenschlager
Felix Winter
Karin
und
die es zu beachten
lernen, gute Kommentare
zu
Prüfen mit Portfolio
Erste Erfahrungen auf dem Weg zu einer
erneuerten
Prüfungskultur
Felix
Winter
212
Es m u s s z u e i n a n d e r p a s s e n : L e r n k u l t u r Leistungsbewertung - Prüfungen
Von „unten" und „oben"
in Gang bringen
Rüdiger Iwan und
Gunther
Weidner
218
Reformen
A u f n e u e n W e g e n in die A u s b i l d u n g ...
Ein Projekt bei DaimlerChrysler
in
Mannheim
O s w a l d Inglin
Rahmenbedingungen und Modelle
der Portfolioarbeit
Welche Konsequenzen ergeben sich für den Unterricht?
Portfolioarbeit
schulische
Modells
gelingt
dann
am besten,
Rahmenbedingungen
werden
verschiedene
unterricht
Sekundarstufe
die wesentlichen
Möglichkeiten
zu integrieren.
angemessene
werden.
Bedingungen
vorgestellt,
Ein Beispiel
II wird näher
wenn
geschaffen
Portfolios
Anhand
aufgezeigt.
in den
aus dem Unterricht
eines
Es
werden
Regel­
auf der
erläutert.
Wird Portfolioarbeit überstürzt eingeführt, fällt sie, so haben Erfahrungen in Basel ge­
zeigt, dem Strohfeuereffekt anheim: Mit großem Enthusiasmus stürzen sich Kollegin­
nen und Kollegen mit ihren Klassen in diese Arbeitsmethode und überfordern sich und
ihre Schülerinnen und Schüler in einem solchen Maße, dass das Wort „Portfolio" bald
zum Reizwort verkommt, andere Kolleginnen und Kollegen davon abschreckt, auch
mit diesem Mittel zu arbeiten, und Klassen sich gegenseitig vorjammern, wie sie unter
diesem Regime zu leiden haben.
Portfolioarbeit braucht ein günstiges und weitgehend auch vorbereitetes Umfeld. Und:
Portfolioarbeit braucht ein sorgfältiges Ressourcenmanagement für die Lehrkraft.
Wie dieses Umfeld aussehen kann und wie sich Portfolioarbeit im täglichen Unterricht
vor allem auf der Sekundarstufe II im Hinblick auf den Arbeitsaufwand von Lehrer­
und Schülerseite her ökonomisch organisieren lässt, soll im folgenden Beitrag erläutert
werden.
R a h m e n b e d i n g u n g e n für Portfolioarbeit an einer Schule
Anlässlich der 2. internationalen Obermarchtater Portfoliotagung im Mai 2004 wurde
von einer Arbeitsgruppe ein Rahmenmodell für Portfolioarbeit entwickelt. Im Folgen­
den erläutere ich das Rahmenmodell von außen nach innen.
Curricufare
Voraussetzungen
Die Portfoliomethode eignet sich wie fast kein anderes Instrument zur differenzierten
Förderung und Beurteilung von Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern, so wie
sie in fast allen modernen Lehrplänen aufgeführt sind. Als Beispiel sei hier auszugs­
weise der Artikel 7 des Schweizerischen Maturitäts-Anerkennungsreglements (Maturität = Schweizer Abitur) zitiert, der als Bildungsziel der gymnasialen Bildung folgende
Punkte aufführt:
• Fähigkeit zum selbständigen kritischen Denken und Urteilen;
• Fähigkeit, sich Zugang zu neuem Wissen zu erschließen;
81
Organisationsform
_
Portfolio
A u ß e n blick ermöglichen
Präsentation
Schnittstellen suchen
Reflexive Praxis ist bewertungsrelevant
Pfa
»n,^itmodelle/L hrer-Tandems/Expertentum
e
Portfolio-Z.mmer/Schreib- und Lesezentren/Lernate
Bildung
liers/Mediothek
von Leklionenpools und P r o j e k t g e f a B e n / W o c h e n p l a n / P e n s e n b u d ^
Z^ZZ,
definierter^
Kollegiumjriett
RahmenmodeU für Portfolioarbeit
•
Entfaltung der Kommunikationsfähigkeit;
•
.
Fähigkeit, allein und in Gruppen zu arbeiten;
Fähigkeit zum intuitiven, analogen und vernetzten D e n k e n .
Nimmt man solche Büdungsziele ernst, müssen Unterrichtsmethoden e n t w i c k e l t
werden die diese Fähigkeiten fördern und schließlich auch feststellen lassen.
Wenn oben in der Grafik steht, dass differenzierte Lehrpläne mit definierten M e t h o ­
denkompetenzen vom Kollegium gelebt werden müssen, so ist dies j e n a c h S c h u l e
der Status quo oder aber ein Fernziel. Ist jedoch diese erste R a h m e n b e d i n g u n g für
Portfolioarbeit an einer Schule nicht gegeben, so muss im R a h m e n der Curricular-Entwicklung daran gearbeitet werden.
Organisationsformen
Portfolioarbeit spiengt in vielen Fällen den Einzellektionen-Rhythmus, so w i e er
in vielen Schulen (noch) vorwiegend existiert. Durch Bildung von L e k t i o n e n p o o l s
und Projektgefäßen (Projektwochen, fächerübergreifender Epochenunterricht), mit
Wochenplan und Pensenbuch-Arbeit können Voraussetzungen für gute Portfolioarbeit
geschaffen werden, da solche Maßnahmen den Lehrkräften und S c h ü l e r i n n e n u n d
Schülern die Möglichkeit geben, sich während einer l ä n g e r e n Unterrichtsperiode
intensiver mit einem Gegenstand zu belassen. Portfolioarbeit darf nicht dadurch ober­
flächlich werden, dass aufgrund äußerer Strukturen häppchenweise daran g e a r b e i t e t
wird. Dabei muss dies nicht heißen, dass alle Mitglieder eines Kollegiums sich die­
sem Stundenplan-Regime unterordnen. In den meisten Schulen ist es p e n s e n t e c h n i s c h
möglich, zum Beispiel einem Team von in einer Klasse unterrichtenden Lehrkräften
von den Zeitgefaßen her gute Voraussetzungen für Portfolioarbeit zu schaffen
82
Erfahrungen mit Portfolioarbeit
Raumordnung
Portfolioarbeit sprengt häufig den R a h m e n des Klassenzimmers. Die Schülerinnen und
S c h ü l e r müssen selbständig Informationen beschaffen, möchten ihre Resultate viel­
leicht auch veröffentlichen, möchten sich mit anderen Portfoliantinnen und Portfolian­
t e n treffen und ihre E r g e b n i s s e austauschen. Dies braucht Orte und Räume außer­
h a l b des Klassenzimmers, E i n e günstige Voraussetzung für die Portfolio arbeit an einer
S c h u l e ist e i n e gut a u s g e b a u t e M e d i o t h e k mit Schülerarbeitsplätzen und Internetzu­
g ä n g e n . Optimal wäre, zum Beispiel in Anlehnung an eine bereits bestehende Medi­
othek, die Einrichtung e i n e s S c h r e i b - und Lesezentrums, wo Portfolioarbeit betreut
stattfinden k a n n . Und die Minimallösung: das PortfoÜoklassenzimmer, wo die Schüle­
r i n n e n und S c h ü l e r in ihrer E c k e oder auf ihrem Poster die Mitschülerinnen und Mit­
schüler mit Entwürfen, F r a g e n und Skizzen über den Fortschritt ihrer Portfolioarbeit
auf d e m L a u f e n d e n halten.
Lehrkräfte
Im d e m Umfang, wie Portfolioarbeit organisatorisch den Einzellektionenrhythmus und
räumlich das K l a s s e n z i m m e r sprengt, so sprengt sie auch die bisher üblichen WochenUnterrichtsstunden-Arbeitszeitmodelle der Lehrkräfte. Die Lösung dafür sind Präsenz­
z e i t m o d e l l e und auch die Möglichkeit, dass Lehrerinnen und Lehrer als Tandems
K l a s s e n a u c h fächerübergreifend unterrichten können. Finden sich Lehrerteams zu­
s a m m e n , die ihre S t u n d e n in einen Pool g e b e n und sich daraus in Absprache mit den
K o l l e g i n n e n und K o l l e g e n dann bedienen, wenn sie bei der Betreuung von Portfolios
B e d a r f h a b e n , ist dies schon ein großer Schritt in Richtung neuer Unterrichtszeitstruk­
turen. Dass dies zum Beispiel insbesondere bei Nachmittagsstunden in gewissen Klas­
s e n t e a m s möglich ist, z e i g e n Erfahrungen mit dem Unterrichtsgefäß „Lernen am Pro­
j e k t " , das an B a s l e r G y m n a s i e n etwa auch für die Arbeit mit Portfolios geschaffen
w o r d e n ist. W e n n eine Schulleitung dazu bereit ist, einen Teil der zu vergebenden
S t u n d e n in e i n e n Expertenpool zu g e b e n , ist es sogar möglich, externe Fachleute g e ­
g e n B e z a h l u n g in den Portfoliounterricht zu integrieren (vgl. Stichwort Expertentum
o b e n in der Grafik).
Portfolio
Das Portfolio erfordert Wertschätzung und Bewertung. Wertschätzung allein genügt
n a c h den Erfahrungen, die b e i Portfolioprojekten in Basel gemacht wurden, den Schü­
l e r i n n e n und S c h ü l e r n oft nicht. Immer noch ins Ziffernnotensystem eingebunden,
r e k l a m i e r e n viele von ihnen e i n e Bewertung ihrer Arbeit, die sich mit traditionellen
K l a s s e n a r b e i t e n und daraus entstandenen Zeugnisnoten verrechnen lassen. D e m Ver­
fasser ist schon klar, dass die Portfoliomethode mit dem Anspruch antritt, e b e n gerade
die Ziffernnote durch eine direkte Leistungsvorgabe zu ersetzen. S o l a n g e aber das Zif­
f e r n n o t e n - S y s t e m Teil der Versetzungspraxis der meisten staatlichen Schulen mit Abi­
turabschluss ist, muss dieser Wunsch der Schülerinnen und Schüler ernst g e n o m m e n
w e r d e n . E i n e g l o b a l e B e w e r t u n g eines ganzen Portfolios in einer Ziffernnote, wie h o c h
deren Stellenwert bei der Verrechung auch immer sein mag, würde aber e i n e m Verrat
an der Idee schlechthin gleichkommen. Allerdings kann ein Portfolio o h n e W e i t e r e s
als G r u n d l a g e von Klassenarbeiten eingesetzt werden, auch im Abitur. So schreibt
zum Beispiel das S c h w e i z e r Maturitätsreglement nicht vor, w e l c h e Hilfsmittel b e i der
schriftlichen Prüfung gebraucht werden k ö n n e n . In B a s e l wird teilweise auch die re­
flexive Leistung bewertet, dies meist im Sinne einer Honorierung der k o n s e q u e n t e n
83
Rahmenbedingungen und Modelle der Portfolioarbeit
Umsetzung des durch die Schülerinnen und Schüler festgestellten Handlungsbedarfes
im Laufe ihrer Portfolioarbeit. Die heikle Beurteilung der reflexiven Leistung muss
aber in einer Projektvereinbarung besonders sorgfältig durch alle Beteiligten g e r e g e l t
werden.
Präsentation
und die beiden
Pfeile?
Portfolioarbeit darf nicht nur im schulischen Elfenbeinturm stattfinden. Portfolios sind
da, um gezeigt zu werden, und dies nicht nur der Lehrkraft und den M i t s c h ü l e r i n n e n
und Mitschülern. Sie müssen im Rahmen größerer und offener Anlässe einer b r e i t e ­
ren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und diese breitere Öffentüchkeit sollte
auch die potenziellen Abnehmerinnen und Abnehmer der Schülerinnen und S c h ü l e r
umfassen.
In Basel überlegt man sich an einem Gymnasium, so etwas wie eine S c h u l h a u s n a c h t zu
veranstalten, wo neben Fächarbeiten, Resultaten von Projektwochen, der A u s s t e l l u n g
von Arbeiten aus dem Bereich bildnerisches Gestalten und musikalischen Vorführun­
gen aus dem Fachbereich Musik auch Portfoliopräsentationen in der Form e i n e s M a r k ­
tes stattfinden sollen.
Portfolioarbeit: Konsequenzen für den Unterricht
Entscheidet sich eine Lehrkraft, seine Schülerinnen und S c h ü l e r Portfolios
anfertigen
z u lassen, dann muss sie oder er sich klar darüber werden, ob, und w e n n j a , wie d i e s e
Portfolios in den Unterricht integriert werden sollen,
Dies ist vorwiegend auch eine ökonomische Frage, denn werden diese Portfolios
parallel zum Unterricht von den einzelnen Schülerinnen und S c h ü l e r n zu H a u s e in
Einzelarbeit erstellt, so wartet j e nach Übungsanlage auf sie viel Arbeit und auf die
Lehrperson kommt ein gerüttelt Maß an Zusatz-Korrekturarbeit zu, o h n e dass die B e ­
mühungen der vielen einzelnen Schülerinnen und Schüler immer für den R e g e l u n t e r ­
richt fruchtbar gemacht werden.
Ich möchte im Folgenden Möglichkeiten aufzeigen, wie sich Portfolio-Arbeit in d e n
Regelunterricht und Regelunterricht sinnvoll in die Portfolioarbeit integrieren l a s s e n .
Ähnlich wie Schülerinnen und Schüler argumentieren, dass sie für den großen Auf­
wand, den die Erstellung eines Portfolios erfordert, nicht nur in einer a b s c h l i e ß e n d e n
Präsentation oder einer Abiturprüfung, bei der der Gebrauch des Portfolios m ö g l i c h
ist, eine Note bekommen, so können auch Lehrerinnen und Lehrer a r g u m e n t i e r e n ,
dass sie den großen Betreuungsaufwand nicht nur als Vorbereitung auf e i n e n e i n z i g e n
Bewertungsanlass hin leisten, sondern die Portfolios auch für den Regelunterricht nut­
zen wollen.
Für mich persönlich steht fest, dass Portfolioarbeit Teil des Regelunterrichts und dass
der Regelunterricht Teil der Portfolioarbeit sein muss. Dies nicht nur aus ö k o n o m i s c h e n
Gründen, sondern ganz einfach auch, weil dies eine enorme g e g e n s e i t i g e Befruchtung
ermöglicht.
Das auf Seite 85 folgende Schaubild fasst die möglichen H a n d h a b u n g e n von Portfolios
im Unterricht zusammen. Aus den oben erwähnten ökonomischen Gründen k o m m t für
mich das Parallel-Modell nicht infrage. Die Umsetzung des Einheits-Modells anderer­
seits ist an einem staatlichen Gymnasium mit stringenten Lehrplanvorgaben oft nicht
ohne Weiteres möglich. Als ideal hat sich das Zentrif ugal-Modell erwiesen, kombiniert
mit Elementen der Zentripetal-Variante.
84
Erfahrungen mit Portfolioarbeit
M ö g l i c h e H a n d h a b u n g e n v o n Portfolios im Unterricht
Parallel-Model!
Zentripetal-Modell
c
Zentrifugal-Modell
<Ü
o
^
2
tb
et
o
o
tr
Ol
Ol
ö
o
o.
Schüler erstellen
Lehrkraft integriert
Schüler behandeln
Portfolios thematisch
Elemente der Schüler-
aufgrund exempla­
u n d zeitlich
Portfolios punktuell
rischer Unterrichts-
u n a b h ä n g i g im
in d e n Unterricht
inputs ihre eigenen
Unterricht unter
(Fixpunkte „Port-
Themen methodisch
einem Coaching
foÜo-Lektionen",
durch die Lehrkraft.
„Work-in-Progress -
Einheits-Modell
.2
c
o
=
a.
et
to
Ol
0>
Oer ganze Unterricht
dient der Erstellung
und Auswertung der
Schüler-PortfoUov
gleich oder ähnlich in
w
ihren Portfolios.
Sitzungen).
Das
Zentrifugal-Modeil
Auf der S c h w e i z e r gymnasialen Oberstufe, also in den Klassen 9 bis 12, wird in den
S p r a c h f ä c h e r n großes Gewicht auf den Literaturunterricht gelegt. Vor allem in der
m ü n d l i c h e n Abiturprüfung werden oft Werke abgefragt, die die Schülerinnen und
S c h ü l e r aufgrund einer Leseliste vorbereiten mussten. Wenn nun die Vorbereitung
s o l c h e r W e r k e auf die Prüfung im Zusammenhang mit dem Regelunterricht geschieht
und n i c h t j e w e i l s isoliert im K ä m m e r c h e n j e d e s Schülers oder j e d e r Schülerin, so kann
dies nur zum Nutzen aller Beteiligter sein.
D e m Zentrifugal-Modell entsprechend lese ich im Regelunterricht sozusagen als Pilot
ein literarisches Werk, an dessen Behandlung ich exemplarisch aufzeige, wie man
C h a r a k t e r i s i e r u n g e n , Erzählhaltung und Ähnliches aufarbeiten kann. Die Schülerin­
n e n und S c h ü l e r h a b e n nun die Aufgabe, die im Unterricht exemplarisch a n g e w a n d t e n
Arbeitsformen und M e t h o d e n auf andere Werke und selbst gewählte Themenfelder
a n z u w e n d e n . Wie stark dann die Auswahl der T h e m e n und Arbeitsformen bei diesen,
d e n Unterricht begleitenden, „zentrifugalen" Portfolios von der Lehrperson gesteuert
85
Rahmenbedingungen und Modelle der Portfolioarbeit
wird, liegt in deren Ermessen. Ich habe festgestellt, dass eine e h e r e n g e Führung bei
Portfolio-Anfängerinnen und Anfängern von Vorteil ist.
Die Grafik zeigt, wie dies zum Beispiel anhand der Lektüre eines S h a k e s p e a r e - S t ü c k e s
als Pilot im Unterricht in einzelnen Portfolios der Schülerinnen und S c h ü l e r a u s s e h e n
kann. Im Beispiel wird „Macbeth" im Regelunterricht gelesen, und in E x k u r s e n wird
auf die Biografie des Autors (William Who?J, seine neben dem S c h r e i b e n von S t ü c k e n
anderen Tätigkeitsfelder als Dichter, Schauspieler und Theaterbesitzer ( S h a k e s p e a r e
the Poet and Actor), blitzüchthaft auf weitere Werke (Brush up Your S h a k e s p e a r e ;
Quotes and Bits) und eine moderne Umsetzung seines Werkes (Polanski's M a c b e t h )
eingegangen, Die Arbeitsmethoden in diesen Exkursen werden ganz bewusst modell­
haft vermittelt, damit die Schülerinnen und Schüler zu Hause bei ihrer e i g e n e n Arbeit
das nötige Instrumentarium besitzen (z. B . die Fümanalyse im Z u s a m m e n h a n g mit der
Behandlung von Polanskis Macbeth). Das oben dargestellte Modell ist das Resultat
zweier Projektvereinbarungen, die der Verfasser als betreuende Lehrkraft mit zwei
Schülerinnen ausgehandelt hat (Individual-Portfolios „Romeo and J u l i e t " und „ T h e
Taming of the Shrew"), Es ist klar, dass bei Literaturthemen wie etwa S h a k e s p e a r e
die Hilfestellung der Lehrkraft eine wichtige Rolle spielt. Andererseits ist e s für d e n
Verfasser klar, dass eine zu große Freiheit bei der Wahl der Einlagen zu allzu großer
Beliebigkeit führen würde, die der Qualität der Portfolios abträglich g e w e s e n wäre.
Wichtig ist, dass das Arrangement für beide Seiten, Lehrkraft und Schülerin oder
Schüler, stimmt. Das war hier der Fall, und entsprechend hoch war auch die Qualität
der eingereichten Portfolios.
Die Schülerinnen und Schüler müssen nun ihrerseits ein anderes oder ä n d e r e T h e a t e r ­
stücke von Shakespeare als Grundstruktur ihres Portfohos wählen. Als Auflage h a ­
ben die Schülerinnen und Schüler, dass jeweils zwei ihrer Einlagen nicht-deskriptive
Textsorten umfassen, die sich düekt mit dem Autor befassen (in der Grafik als Beispiel:
Interview, Homestory, Kommentar und Briefe). Mindestens zwei weitere E i n l a g e n
müssen kreative Umsetzungen von Shakespeare-Texten beinhalten. Zwei w e i t e r e
Einlagen müssen Shakespeare-Texte kommentieren oder für ein breiteres P u b l i k u m
zugänglich machen. Und schließlich müssen sich zwei Einlagen mit U m s e t z u n g e n des
behandelten Werkes befassen (im Beispiel Füme und Musicals).
Die Auswahl der Stücke ist durch diese Auflagen natürlich etwas eingeschränkt. E n t ­
sprechend müssen die Schülerinnen und Schüler vor der endgültigen F e s t l e g u n g ihres
Stückes recherchieren, wie lohnend die Wahl in Bezug auf die Auflagen ist. D i e s e r
erste Recherche-Teil ist nicht unwichtig und garantiert, dass gleich zu B e g i n n des Port­
folios das dokumentarische Umfeld ausgelotet und zum Beispiel in einer Biblio- und
Webliografie festgehalten wird.
Haben die Schülerinnen und Schüler ein entsprechendes Konzept ihres Portfolios erar­
beitet, so wird es der Lehrperson präsentiert, und auf dieser Grundlage wird e i n e Pro­
jektvereinbarung getroffen, in der die Resultate der Besprechung festgehalten w e r d e n
und auch die Bewertungsfrage abschließend geregelt wird.
Zentripetale Beiträge im
Regelunterricht
Während ihrer Portfolioarbeit haben die Schülerinnen und Schüler j e nach Projekt­
vereinbarung die Möglichkeit oder die Pflicht, im Rahmen von so g e n a n n t e n „Work in
progress"-Lektionen die Klasse über Zwischenresultate, Probleme und a n d e r e s i m Zu­
sammenhang mit ihrer Arbeit zu orientieren. Dies sollte nicht in Form von Vorträgen,
sondern in Form von Werkstattgesprächen im Kreis mit ungesteuertem oder a b e r a u c h
86
Erfahrungen mit Portfolioarbeit
i
Zeffirelli's
Romeo and Juliet
y
Zeffirelli's Taming
of the Shrew
Polanski's
Macbeth
Bernstein's
>
<
y
Porter's
West Side Story
What's in a
Kiss Me Kate
y
Name:
Shakespeare's
Comedies:
A Romeo & Juliet
Quiz
Highlights
Brush up Your
Shakespeare:
Quotes & Bits
Women in
A Romeo S Juliet
Shakespeare:
Reader
A Reader
The Balcony
Bianca'* Diary
Scene: M y Way
Shakespeare
the Poet and
Kepler
Actor
155-159
Petruchio- Act VI
y
Shakespeare
Running Com­
William
Who?
ment
Sheakespeare's
William and
Physik
y
Anne Hathaway:
Letters from
A Homestory
London
IndividualPortfolio:
Romeo and Juliet
J
the Director: A
Publisher:
Beitrag:
Zeitalter
The Taming of
A n Interview
übergreifender
bethanische
Sonnets
Shakespeare the
Fächer­
Das Elisa-
y
Individual
Fächer­
Regelunterricht:
Portfolio:
übergreifender
Macbeth
The Taming of
Beitrag:
the Shrew
Geschichte
87
Rahmenbedingungen und Modelle der Portfolioarbeit
gesteuertem Feedback geschehen, zum Beispiel in der Form einer P r e v i e w , also
der allenfalls bewertungsrelevanten Beurteilung von Leistungen durch die Mitschü­
lerinnen und Mitschüler. Einige solcher „Work in progress"-Lektionen sind übrigens
wohl die authentischsten und sprachintensivsten Lektionen, die ich in meiner Unter­
richtskarriere je erlebt habe. Eine weitere Möglichkeit dieses Einbezugs der SchulerPortfolios in den Unterricht besteht in sog. „Showcase"-Lektionen, wo ausgewählte
Einlagen vor der Klasse bewertungsrelevant präsentiert werden.
Es ist selbstverständlich, dass die einmal fertig gestellten Portfolios in die mündlichen
Abiturprüfungen mitgenommen werden dürfen und sich das Prüfungsgespräch teil­
weise oder ganz darauf bezieht. In Basel kann das Portfolio auch in einem Teil der
schriftlichen Prüfung als Grundlage einer kreativen Textaufgabe verwendet werden.
In der Grafik befinden sich rechts und links noch zwei Portfoliostränge (gestrichelt),
die auf die Möglichkeit hinweisen sollen, dass sich j e nach Thema auch andere F ä c h e r
in ein Portfolio integrieren lassen. Wenn ich also in unserem Beispiel die Physiklehr­
kraft und die Geschichtslehrkraft dazu ermuntern kann, parallel zu meiner M a c b e t h Lektüre Galüei und Kepler resp. die Renaissance und das Elisabethanische Zeitalter
durchzunehmen und den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, in ihrem Unter­
richt entsprechende Einlagen herzustellen, dann bin ich meinem großen Fernziel eines
fächerübergreifenden Portfolios schon sehr nahe gekommen.
Der
Zentrifugal-Test
Es gibt viele Themen, nicht nur im Sprachunterricht, die man mit diesem Modell b e ­
arbeiten kann. Machen Sie es so wie wir in einer Lehrerfortbildung, wo interessierte
KoUeginnen und Kollegen in Gruppen in die auf A3 vergrößerte Grafik in nunmehr
leere Ellipsen und Kästchen Themen, Unterthemen, Arbeitsformen einfüllen mussten
Es is erstaunlich wie gut portfoliomäßig Regelunterricht und individuelle Arbeit der
Schülerinnen und Schuler vernetzt werden können.
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