Habilitation-Sevecke korrigiert
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Aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln Direktor: Universitätsprofessor Dr. G. Lehmkuhl Empirische Untersuchungen zu Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy im Jugendalter Empiric Investigations of Psychopathic Personality Dimensions during Adolescence Habilitationsschrift zur Erlangung der venia legendi für das Fach Kinder- und Jugendpsychiatrie und - psychotherapie an der Hohen Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegt von Dr. med. Kathrin Sevecke aus Witten Köln 2009 Inhaltsverzeichnis Teil 1: Einleitung 1.1. Das Psychopathy-Konzept nach Hare 1.2. Ätiologie der Psychopathy unter besonderer Berücksichtigung des Kindesund Jugendalters 1.3. Komorbidität bei Psychopathy 1.4. Methodische Ansätze zur Erfassung der Psychopathy Teil 2: Eigene Untersuchungen 2.1 Entwicklung der Fragestellung 2.2 Übersichtsarbeiten 2.2.1 Die psychometrische Erfassung von Psychopathy 2.2.2 Das Psychopathy-Konzept als Persönlichkeitsdimension im Jugendalter 2.3 Empirische Arbeiten 2.3.1 Die Faktorenstruktur der Psychopathy-Checkliste für Jugendliche (Studie 1) 2.3.2 Externalisierendes sowie internalisierendes Verhalten und Psychopathy (Studien 2 & 3) 2.3.3 ADHS bei Persönlichkeitsstörungen und Psychopathy (Studien 4 & 5) 2.3.4 Psychopathy und Aspekte der strafrechtlichen Begutachtung (Studie 6) 2.3.5 Temperamentsdimensionen und Psychopathy (Studie 7) Teil 3: Diskussion 3.1 Integration der Ergebnisse 3.2 Methodische Aspekte 3.3. Ausblick Teil 4: Zusammenfassung - Abstract Teil 5: Danksagung Teil 6: Literaturverzeichnis 2 Teil 1: Einleitung 1.1. Das Psychopathy-Konzept nach Hare Dissoziale und aggressive Verhaltensweisen stellen bei Jugendlichen ein häufiges Phänomen dar. Dem Spektrum verschiedener klinischer Formen von Störungen des Sozialverhaltens und der antisozialen Persönlichkeitsstörung (ASPS) steht eine große Anzahl begrifflicher Definitionen und Subklassifikationen mit unterschiedlichen Verlaufsformen gegenüber. Vor dem Hintergrund der deutlichen Zunahme von Gewalt und Delinquenz im Jugend-, aber auch im Kindesalter, sowie der Gefahr einer dauerhaften dissozialen Entwicklung, ist in den letzten Jahren die Frage nach Ätiologie, Verlauf und Behandlung einzelner Subtypen Gegenstand intensiver Forschung geworden. Das Psychopathy-Konzept nach Hare et al. (1990) stellt eine solche Subgruppe dar und zielt auf eine spezielle Kombination affektiv-interpersonaler Persönlichkeitsdimensionen und antisozialer Verhaltensmerkmale als eine so genannte Extremform der ASPS ab. Zur Abgrenzung gegenüber der weit gefassten Gruppe der „abnormen“ oder „gestörten“ Persönlichkeiten, auf deren schwierige und systematisch nicht befriedigende Abgrenzbarkeit Kurt Schneider (Schneider 1923) mit seinen Prototypen - wie u.a. dem „gefühllosen Psychopathen“ – hingewiesen hat, wird hier durchweg die englische Schreibweise für Psychopathy verwendet. Die damalige Lehrmeinung, wie auch die breite Öffentlichkeit, gingen von der Unbehandelbarkeit des „Psychopathen“ aus, ob nun als „willensschwach“, „haltlos“, „gemütskalt“ oder anders spezifiziert. So beschrieb der damalige „Psychopathie“-Begriff ein Krankheitsund ein Gesellschaftsbild, welches durch Erblichkeit, Unverbesserlichkeit und gesellschaftliche Ablehnung gekennzeichnet war. „Psychopathie“ wurde im deutschsprachigen Raum aus diesen historischen Gründen im wissenschaftlichen Diskurs über lange Zeit nicht mehr verwendet, in den USA wich er teilweise dem Begriff der „sociopathy“, bzw. der Umschreibung der „sociopathic personality disturbance“, später dann dem Begriff der antisozialen Persönlichkeitsstörung (DSM-IV: 301.7). Neben der Antisozialität zeichnet sich die Psychopathy durch histrionische und narzisstische Persönlichkeitszüge sowie zusätzliche emotionale Auffälligkeiten wie mangelnde Empathie, allgemeine Gefühlsarmut und Egozentrismus aus (siehe Abbildung 1). 3 Abbildung 1: Syndromale Überlappungsbereiche des Psychopathy-Konstrukts (grau) nach Hare (1991) mit forensisch relevanten Cluster-B Persönlichkeitsstörungen des DSM-IV in Anlehnung an Nedopil et al. (1998) Antisoziale Persönlichkeitsstörung Histrionische Persönlichkeitsstörung Reizbarkeit Aggressivität Waghalsigkeit Streben nach Aufmerksamkeit Sexuell verführendes und provokatives Auftreten Übertriebener, wenig detaillierter Sprachstil Dramatisierendes Verhalten Hohe Suggestibilität Manipulatives, betrügerisches Verhalten Impulsivität Verantwortungslosigkeit Mangel an Schuldgefühlen und Bedauern Mangel an realistischen, langfristigen Zielen Schlagfertigkeit oberflächlicher Charme seichter Affekt Pathologisches Lügen Frühe Verhaltensprobleme Geringe Verhaltenskontrolle Viele ehe- und eheähnliche Beziehungen keine Verantwortungsübernahme Promiskuität Reizhunger und Langeweileneigung Egozentrisches und grandioses Verhalten Parasitärer Lebensstil Jugenddelinquenz Widerruf bedingter Entlassung Empathiemangel Polytrope Kriminalität Phantasien grenzenlosen Erfolgs Vorstellung, etwas Besonderes zu sein Übertriebenes Anspruchsdenken Neidisches und arrogantes Verhalten Narzisstische Persönlichkeitsstörung Kriminalitätskarriere Die Weiterentwicklung der von Cleckley (1941) beschriebenen Konzeption von „moral insanity“ war dafür Grundlage. Deskriptiv erscheint die Psychopathy in der internationalen Klassifikation psychischer Krankheiten (ICD-10) in der Rubrik der sog. „dazugehörigen Begriffe“ als „psychopathische Persönlichkeitsstörung“ und wird der Kategorie der dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2) zugeordnet. Das Verständnis der Psychopathy nach Hare und Mitarbeitern (1990) hat international Bedeutung erlangt und dominiert in der psychiatrischen Forschung die publizierten Studien. Die hohe Verbreitung beruht u. a. auf der Kritik an den DSM-IV- und ICD10-Konzepten der ASPS, die sich auf die weitgehende Restriktion der Beschreibung des delinquenten Verhaltensstils sowie auf den Verzicht der Merkmale einer tiefgreifenden Störung der Charakterentwicklung stützt (Herpertz u. Habermeyer 2004, Herpertz u. Sass 1999). 4 1.2. Ätiologie der Psychopathy unter besonderer Berücksichtigung des Kindesund Jugendalters Neurobiologische Aspekte: Aus biologischer Sicht wird angeführt, dass das impulsive und dissoziale Verhalten von Psychopaths aus einer massiven Suche nach Stimulation resultiert, um das kortikale Underarousal zu kompensieren. Underarousal ist physiologisch durch eine niedrige Aktivität des Sympathikus im autonomen Nervensystem, durch geringe Angst in neuen oder bedrohlichen Situationen und durch geringfügige Responsibilität auf Bestrafungen definiert (Kagan u. Snidman 1991). Es gibt einige Untersuchungen zum Zusammenhang von psychophysiologischer Aktivität und psychopathologischen Auffälligkeiten. Als weitgehend konsistentes Ergebnis ließ sich bei dissozialen Störungen eine erniedrigte psychophysiologische Aktivierung (vor allem niedriger Ruhepuls) feststellen (Raine et al. 1990, Kruesi et al. 1992, Schmeck u. Poustka 1994, Scarpa u. Raine 1997). Raine (1997) zeigte in seiner prospektiven Mauritiusstudie, dass Kinder, die im Alter von 3 Jahren einen erniedrigten Ruhepuls hatten, im Alter von 11 Jahren signifikant mehr aggressive Verhaltensweisen aufwiesen. Allerdings stand der erniedrigte Ruhepuls nur mit aggressiven Verhaltensweisen in Verbindung, nicht mit allgemein dissozial / delinquentem Verhalten. Untersuchungen von Herpertz und Mitarbeiter (2001) stützen die Bedeutung einer erniedrigten psychophysiologischen Reaktivität bei Kindern mit antisozialen Verhaltenssymptomen, ohne jedoch die PCL:YV zu verwenden. Andere Autoren (Fowels 1980, Gray 1982 u. 1987) beschrieben, dass Kinder, die später Persönlichkeitseigenschaften im Sinne von Psychopathy entwickeln, ein erniedrigtes, wenig sensitives „Behavior Inhibition System (BIS)“ zeigen. Durch das BIS als verhaltensregulierendes System werden normalerweise Stimuli aktiviert, die auf Frustration oder Bestrafung hinweisen und so zu einer vermehrten Aktivität des sympathischen Nervensystems und einer erhöhten Aufmerksamkeit führen. Die Hirnforschung belegt strukturelle Auffälligkeiten bei Erwachsenen mit Psychopathy im präfrontalen und temporalen Kortex (einschließlich des Hippocampus und der Amygdala). Funktionelle abnorme Aktivität wurde im präfrontalen Kortex (Inhibitions-Aufgabe), in den superioren Temporalregionen (Sprachaufgabe), in den Amygdala und dem Hippocampus (affektive Induktion) und im Corpus Callosum und dem anterioren Cingulum gefunden (Yang u. Raine 2007). Auf Grund dieser empirischen 5 Befunde wird in der Literatur diskutiert, dass die strukturellen und funktionellen Abnormitäten in den frontal-temporal-subkortikalen Regionen teilweise die Impulsivität, das Fehlen von Schuldgefühlen und den oberflächlichen Affekt der Psychopaths bedingen. Genetische Forschungen stützen sich auf Zwillings- und Familienuntersuchungen, welche auf einen genetischen Einfluss der Psychopathy hinweisen (Livesley et al. 1993, Livesley 1998). Vorläufige Zwillingsstudien ergaben, dass die PsychopathyKerndimensionen in wesentlich höherem Maße vererbt werden als andere Persönlichkeitszüge (Viding 2004). Nach einer Studie von Viding et al. (2005) standen siebenjährige Kinder mit antisozialem Verhalten und stark ausgeprägten hartherzigemotionslosen (callous-unemotional) Zügen im Sinne der Psychopathy unter einem starken genetischen, aber keinem Umwelteinfluss im Vergleich zu Gleichaltrigen mit niedrigen hartherzig-emotionslosen Zügen, die einen moderat genetischen und umweltbedingten Einfluss zeigten. Neuropsychologische Aspekte: Gemäß dem Stand der neuropsychologischen Forschung gilt es als unstrittig, dass beeinträchtigte oder veränderte kognitive Funktionen bei der Entstehung von Psychopathy eine Rolle spielen. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang vorwiegend Defizite im Bereich der exekutiven Funktionen, der schwachen Planungsfähigkeit, der mentalen Inflexibilität und der beeinträchtigten Aufmerksamkeitsleistungen (Newman u. Wallace 1993, Wallace et al. 2000). Personen mit hoher PsychopathyAusprägung reagieren auf emotionale Stimuli anders und weniger empfänglich als Kontrollpersonen. Allgemein gilt die konsistent gefundene autonome Untererregbarkeit dissozialer Persönlichkeiten auf emotional bedeutsame Reize als gesichert (Raine et al. 1990, Scarpa u. Raine 1997, Schmeck u. Poustka 1994, Williamson et al. 1991). Herpertz und Mitarbeiter (2001) fanden bei erwachsenen Psychopaths eine verminderte Reaktion auf affektbesetzte visuell dargebotene Stimuli. Untersuchungen an Jungen mit Psychopathy-Zügen zeigten Beeinträchtigungen bei der Erkennung von ängstlichen auditiven sowie visuellen Stimuli (Blair et al. 2005, Blair 2001). Elliott und Mirsky (2002) stellten die Hypothese auf, dass neurokognitive Einschränkungen die Fähigkeit vermindern, auf biologische und umweltbedingte Anforderungen zu reagieren. Dies führe zu Gefühlen von Frustration und Angst und schließlich zu aggressivem Verhalten. Andere Forscher nehmen an, dass frühe visuo-räumliche Defi6 zite im Sinne einer rechtshemisphärischen Dysfunktion die Mutter-Kind-Beziehung beeinträchtigen, emotionale Prozesse und Regulationen stören und schwere Antisozialität im Sinne der Psychopathy nach sich ziehen können (Raine et al. 2005). Psychosoziale Aspekte: Neben den biologischen Risikofaktoren müssen weitere Bedingungen diskutiert werden: Das kindliche Erleben mangelnder elterlicher Konsequenz und Beaufsichtigung korrelierte mit Psychopathy (Block u. Robins 1993). Auch in der Longitudinalstudie von Loeber und Stouthamer-Loeber (1986) wurden als schwerwiegende Prädiktoren für adoleszente Delinquenz und antisoziales Verhalten elterliche Zurückweisung, mangelhafte elterliche Beaufsichtigung und eine defizitäre Eltern-Kind-Interaktion angesehen. Loeber et al. (1993) vermuten, dass die Fortführung kindlicher und adoleszenter Delinquenz in kriminelle adulte Verhaltensweisen auf mangelnde elterliche Präsenz rückführbar sei. Demnach hänge antisoziales Verhalten in Form von fremdaggressiven, personenorientierten Handlungen mit einem ruppigen, unsanften Erziehungsstil, Uneinigkeit und Missklang zwischen den Elternteilen und elterlicher Abneigung dem Kind gegenüber nachweislich zusammen. Stehlen und Vermögensdelikte weisen dem zur Folge einen Zusammenhang mit geringer elterlicher Konsequenz und Fürsorge auf. Die Untersuchung von Marshall und Cooke (1999) belegte einen starken Zusammenhang von negativen familiären und sozialen Kindheitserfahrungen mit hohen PCL-Scores bei Erwachsenen. Bei den Überlegungen zur Ätiologie der Psychopathy wird im Zusammenschluss von einer Interaktion zwischen biologischer Vulnerabilität und Milieubedingungen ausgegangen. Kinder höherer sozioökonomischer Schichten sind nach Loeber (1990) weniger durch ungünstige Milieubedingungen gefährdet, wohingegen sie vulnerabler für biologische Risikofaktoren sind. Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens und hohen Punktwerten für Psychopathy - insbesondere im Hinblick auf die Dimension hartherzig-emotionslos (callous-unemotional) - zeigen Charakteristika eines furchtlosen Temperaments mit wenig angstbedingter Hemmung, eine ausgeprägte Abenteuer- und Sensationssuche (Frick et al. 1994), eine größere Sensitivität für Belohnungen als für Strafen sowie weitere emotionale Defizite (O`Brien u. Frick 1996). Diese Kinder schienen im Vergleich zu anderen dissozialen Kinder ohne hartherzigemotionslose Züge trotz ihrer antisozialen Verhaltensweisen und den daraus resultie7 renden sozialen Konsequenzen durch Lehrer etc. subjektiv weniger durch ihr eigenes Verhalten gequält und beeinträchtigt (Frick et al. 1999). Sie interagierten mit ihrer erziehenden Umgebung, waren aber nicht in der Lage, ihr Verhalten im Hinblick auf Autoritätsfiguren, soziale Normen und Rechte anderer zu verändern (Moffitt 1993). Ihr Verhalten war durch ihr Temperament sowie durch Underarousal bestimmt. 1.3 Komorbidität bei Psychopathy Externalisierendes Verhalten: Verschiedene Übersichtsartikel haben retrospektiv Zusammenhänge zwischen Psychopathy bei Erwachsenen und einer Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit, frühem Beginn der Dissozialität, häufigen und verschiedenartigen Straftaten, Impulsivität sowie konstanter und impulsiver Gewalt beschrieben (z.B. Lynam 1996). Ähnliche Auffälligkeiten sind von nordamerikanischen Studien für männliche jugendliche Straftäter aufgezeigt worden: Hohe PCL:YV Werte gehen einher mit erhöhter Prävalenz externalisierenden Verhaltens, mehr Aggressivität (Gretton et al. 1994) und mehr Symptomen einer Störung des Sozialverhaltens, verglichen mit niedrigscorenden Jungen (Forth u. Burke 1998). Bei Männern wurde ein Zusammenhang zwischen Substanzmissbrauch sowie –abhängigkeit und Psychopathy gefunden (Hare 1991, Stalenheim u. von Knorring 1996, Hare et al. 2000), welcher auch für männliche Jugendliche belegt werden konnte (Mailloux et al. 1997). Roussy und Toupin (2000) berichteten, dass wegen Gewaltdelikten inhaftierte männliche Jugendliche mit hohen PCL:YV-Werten (30 Punkte oder mehr) mit höherer Wahrscheinlichkeit einen komorbiden Alkohol- oder Drogenabusus hatten als Niedrigscorer (Scores von 20 Punkten oder weniger). Politoxikomane männliche jugendliche Patienten erreichten zudem signifikant höhere Psychopathy-Werte als alkoholabhängige Patienten (Harvey et al. 1996). Allerdings fand sich in einer Stichprobe weiblicher Straftäter nur ein schwacher Zusammenhang zwischen Alkoholabhängigkeit und Psychopathy und kein Zusammenhang mit Drogenabhängigkeit (Bauer et al. 2008). Internalisierendes Verhalten: Im Gegensatz zu den externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten wurde in der Literatur oft subsumiert, dass internalisierende Psychopathologie invers mit Psychopathy zusammenhängt. Rückblickend auf Cleckley’s klinische Beschreibung eines erwachsenen Psychopath wurde das “Fehlen von Nervosität oder psychoneurotischen Mani8 festationen“ als ein Kerncharakteristikum beschrieben. Cleckley (1941) interpretierte das Fehlen von Angst als einen Aspekt grundsätzlichen Fehlens von emotionalen Erfahrungswerten. Andere Autoren argumentierten, dass Angstlosigkeit und fehlende Verhaltenshemmung zentrale Veranlagungen sind, die dem Psychopathy-Konzept zu Grunde liegen („low-fear hypothesis“ Cloninger 1987, Fowles 1980, Lykken 1995). Wieder andere Forscher bezeichneten Personen mit niedriger Ängstlichkeit als „primäre Psychopaths“ (Blackburn 1998, Karpman 1948), während Jugendliche mit Psychopathy und niedriger Ängstlichkeit als “undersocialized” bezeichnet wurden (e.g. Quay 1987). Im Gegensatz dazu wurden Erwachsene mit hoher Ängstlichkeit als “sekundäre Psychopaths” (e.g. Blackburn 1998) und deutlich dissoziale Kinder und Jugendliche als „neurotische Delinquente“ beschrieben (Quay 1987). Clusteranalysen haben bestätigt, dass Messinstrumente für Ängstlichkeit zwischen den Gruppen der so genannten primären und sekundären Psychopaths differenzieren können (Hicks et al. 2004, Skeem et al. 2004, Swogger u. Kosson 2007, Vassileva et al. 2005). Der Zusammenhang zwischen suizidalem Verhalten und Psychopathy bei Erwachsenen wurde nur in wenigen Studien untersucht. Während Cleckley argumentierte, dass suizidales Verhalten bei Personen mit Psychopathy generell als manipulativ zu bewerten sei, belegen einige wenige Studien einen positiven Zusammenhang. Verona et al. (2001) wiesen nach, dass bei männlichen Strafgefangenen Suizidversuche positiv mit der Lifestyle und der antisozialen Dimension, nicht aber mit den Psychopathy-Kernfaktoren – der interpersonalen und der affektiven Dimension – assoziiert waren. Sie replizierten diese Ergebnisse an einer Stichprobe mit strafgefangenen Frauen in der Form, dass Suizidversuche ebenso positiv mit den Lifestyle / antisozialen Dimensionen, aber negativ mit den interpersonalen / affektiven Dimensionen zusammenhingen (Verona et al. 2005). Komorbide Persönlichkeitsstörungen: Epidemiologische Studien belegten, dass Persönlichkeitspathologie in erwachsenen Straftäterpopulationen der westlichen Gesellschaften mit 40-60% hoch prävalent ist (Casey 2000, Hiscoke et al. 2003, Windle u. Windle 1995, Krischer et al. 2007a). In Erwachsenenstichproben korrelierte Psychopathy positiv mit ASPS sowie narzisstischer (NPS) und histrionischer Persönlichkeitsstörung (Hart u. Hare 1989). Huchzermeier et al. (2007) fanden zum einen signifikante Zusammenhänge zwischen 9 ASPS und Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) mit den Verhaltens-Dimensionen der Psychopathy, zum anderen zwischen der NPS und den interpersonalen / affektiven Dimensionen. Soderstrom und Kollegen (2005) zeigten, dass bei männlichen Straftätern der Gesamtwert der PCL-R (Psychopathy-Checklist-revised, Hare 2003) sowie der affektive als auch der Lifestyle Faktor signifikant mit Cluster B Persönlichkeitsstörungen korrelieren. Wenige Studien haben den Zusammenhang von Psychopathy und Persönlichkeitspathologie in Jugendlichenstichproben untersucht. Johnson et al. (2000b) berichteten über Zusammenhänge sowohl von Cluster A als auch von Cluster B Persönlichkeitsstörungen und Gewalt in einer Schulstichprobe. Bei jugendlichen psychiatrischen Patienten mit einer NPS wurden signifikant mehr Psychopathy-Züge gefunden als bei denen ohne NPS oder bei denjenigen, die die Kriterien für eine vermeidende oder abhängige Persönlichkeitsstörung erfüllten (Myers et al. 1995). Allerdings gab es keine Unterschiede bezogen auf Psychopathy-Werte bei Patienten mit oder ohne eine BPS (Myers et al. 1995). Traumatisierung: Bislang haben wenige Studien den Zusammenhang zwischen traumatischen Erfahrungen und Psychopathy untersucht. Neben ungünstigen familiären Bedingungen (Marmorstein u. Iacono 2005) ist frühe Traumatisierung ein Kausal- und Mediatorfaktor für aggressives und gewalttätiges Verhalten (Jaffee et al. 2004, Loeber u. Stouthamer-Loeber 1989, Pollock 1999). Frühe Traumatisierung hat einen negativen Einfluss auf die Entwicklung der Fähigkeit, Ärger und andere Affekte zu kontrollieren (Erwin et al. 2000, Novaco u. Chemtob 1998). Einige Studien haben kindliche Misshandlung mit Psychopathy im Erwachsenenalter verknüpft (Marshall u. Cooke 1999, Lang et al. 2002). Diejenigen mit schwerem Missbrauch hatten höhere PsychopathyWerte als die mit weniger schweren Missbrauchserfahrungen (Lang et al. 2002). In einer Schweizer Stichprobe junger männlicher Straftäter (Alter 17-27) waren PCL-RGesamtwerte signifikant mit der Anzahl von früherer physischer Gewalterfahrung korreliert (Moeller u. Hell 2003). Verona et al. (2005) wiesen nach, dass bei weiblichen Straftäterinnen sowohl körperlicher als auch sexueller Missbrauch mit den PCL-RGesamtwerten und mit den Verhaltens-Dimensionen korrelierten. Während körperlicher Missbrauch bei männlichen und weiblichen jugendlichen Straftätern mit höheren PCL:YV-Werten einherging, war der einzige psychosoziale Faktor, der es ermögli10 che, PCL:YV-Werte vorherzusagen, das Aufwachsen der Jugendlichen im nichtfamiliären Kontext (z.B. im Heim). Die einzige Studie, die bislang den Zusammenhang zwischen Gewalt, Traumatisierung und Psychopathy bei delinquenten Mädchen untersucht hat, ist die von Odgers, Reppucci und Moretti (2005b). Sie fanden einen starken Zusammenhang zwischen Trauma und Aggression sowie zwischen Psychopathy und Aggression. Allerdings zeigten sie weiter, dass der Zusammenhang zwischen Psychopathy und Gewalt komplett durch den Zusammenhang zwischen Psychopathy und Gewalterfahrungen erklärt werden konnte. 1.4 Methodische Ansätze zur Erfassung der Psychopathy Psychopathy-Checklist Revised (PCL-R): Die PCL-R gilt weltweit als Referenzinstrument zur Diagnostik von Psychopathy im Erwachsenenalter. Sie besteht aus 20 Items zu den Kernmerkmalen der Störung, die von geschulten Experten auf der Grundlage breiter diagnostischer Daten dreistufig (0 bis 2 Punkte) beurteilt werden. Zur Diagnose wird international ein Schwellenwert von 30 (von 40 erreichbaren) Punkten empfohlen (Verdachtsdiagnose bei 20). Studien deuten jedoch darauf hin, dass in Europa geringere Schwellen angemessener sind (24 –27 Punkte, Cooke 1998). Es gibt Hinweise darauf, dass die PCL-R im unteren Skalenbereichen das allgemeine Ausmaß dissozialer Verhaltenstendenzen und erst im oberen Bereich das Psychopathy-Konstrukt erfasst (Cooke 1998). Zur Validität der PCL-R liegen sehr viele Studien vor, die insgesamt für eine stabile, aber moderate Vorhersagegüte allgemeiner und gewalttätiger Rückfälle sprechen (Gendreau et al. 1996, Walters 2003), wobei auch Zusammenhänge mit Verhaltensproblemen im Vollzug bestehen (Walters 2003). Aus Deutschland berichtet Nedopil (2005) ebenfalls über moderate Zusammenhänge mit allgemeiner (r = 0,25) und einer hohen Vorhersagegüte gewalttätiger (r = 0,37) Rückfälligkeit. Bei der Sexualstraftätergruppe zeigte sich ein knapp moderater Zusammenhang (r = 0,24) mit allgemeiner Rückfälligkeit. Psychopathy-Screening Version (PCL:SV): Die PCL:SV ist die Kurzform der PCL-R und besteht aus 12 PCL-R-Items, die auf der Basis eines kürzeren Interviews sowie weiterer Informationen beurteilt werden. Sie wird als Screeninginstrument für Psychopathy in forensischen Erwachsenenstichproben oder als Forschungsinstrument bei Nichtkriminellen benutzt (Hare 2003). Sowohl 11 in den psychometrischen Eigenschaften als auch in der Faktorenstuktur ähnelt sie der PCL-R (Vitacco et al. 2005). Psychopathy-Checklist Youth Version (PCL:YV) Forth, Hart und Hare (1990) waren die ersten, die das Konstrukt der Psychopathy auf jugendliche Straftäter anwandten, da sie davon ausgingen, dass sich derartige Persönlichkeitszüge nicht erstmalig im jungen Erwachsenenalter zeigen. Die PCL:YV (Forth et al. 2003; deutsche Übersetzung: Sevecke u. Krischer 2008a, ausführliche Testbeschreibung: Sevecke u. Krischer 2009d) schätzt auf der Basis eines halbstandardisierten Interviews interpersonale, affektive und dissoziale Persönlichkeitsmerkmale sowie Verhaltensauffälligkeiten nach dem Psychopathy-Konzept von Hare auf einer Liste von 20 Items ein (siehe Tabelle 1). Das Instrument wurde als Abwandlung der PCL-R entwickelt, zielt auf die Besonderheiten des Jugendalters ab (Anwendbarkeit nach Ansicht der Autoren von 12 bis 18 Jahren) und besteht aus einem technischen Manual, einem Rating-Buch, einem Interviewleitfaden, einer Itembeschreibung sowie Auswertungsschablonen. In die Bewertung sollen alle verfügbaren Informationsquellen über den Jugendlichen, wie Berichte, Vollzugs- oder Gerichtsakten und Gutachten etc. einfließen. Die Akteninformation wird für unabdingbar gehalten, um die Glaubwürdigkeit der Interviewangaben zu bewerten und um Informationen über den Jugendlichen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in unterschiedlichen Situationen und von verschiedenen Personen zu erhalten (Forth et al. 2003, Sevecke et al. 2005a, 2005b, 2005c, 2007a, 2007b, 2009c). Jedes der 20 PCL:YV-Items wird auf einer 3-Punkte Ordinalskala dahingehend bewertet, wieweit die Persönlichkeit und das Verhalten des Jugendlichen der Itembeschreibung entsprechen. Einige Itemwerte können aufgrund von Faktoren, die nicht die tatsächliche Ausprägung der Psychopathy widerspiegeln, fälschlich hoch oder niedrig ausfallen. Ein falsch positiver Fehler (im Hinblick auf die Ausprägung der Psychopathy) kann auftreten, wenn ein Itemwert durch „ein vorübergehendes Entwicklungsmerkmal“ überlagert wird. Alternativ kann ein falsch negativer Fehler auftreten, wenn die Auswertungsperson abgeneigt ist, einem Probanden aus Gründen, die nicht auf den Bewertungskriterien beruhen, hohe Itemwerte zuzuschreiben. Der Gesamtwert der PCL:YV liefert schließlich ein dimensionales Maß über Anzahl und Schwere der Persönlichkeitszüge im Sinn der Psychopathy nach Hare. Im Gegensatz zur PCL-R wird seitens der Autoren von einer kategorialen Betrachtungsweise mit 12 einem definierten klinischen cut-off-Wert abgeraten (Forth et al. 2003, Sevecke et al. 2005a u. 2008e). Die Checkliste ist bei allen Störungsbildern mit aggressiv-dissozialem Verhalten, schwerpunktmäßig bei Störungen des Sozialverhaltens (F91) sowie Persönlichkeitsund Verhaltensstörungen (F6), insbesondere bei Vorliegen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (F60.2) anwendbar. Die Checkliste kann sowohl an unselektierten Bevölkerungs- sowie an verschiedenen forensischen Klienten- bzw. Patientenpopulationen verwendet werden. Die PCL:YV bringt die Möglichkeit des Missbrauchs mit sich. Mehrere Autoren haben ihre Bedenken über mögliche Konsequenzen beim Gebrauch eines Messinstruments für Psychopathy in der klinisch/forensischen Praxis angemeldet (Edens et al. 2001, Ogloff u. Lyon 1998, Seagrave u. Grisso 2002, Steinberg 2002, Zinger u. Forth 1998). Diese Bedenken betreffen die Möglichkeit, dass ein solches Messinstrument benutzt werden könnte, um die Auferlegung härterer Sanktionen zu rechtfertigen, wie z.B. Untersuchungshaft, längere Freiheitsstrafen, ein höheres Maß an Aufsicht nach der Entlassung sowie die Beurteilung des Jugendlichen nach Erwachsenen- statt nach Jugendstrafrecht. Die bisherigen Studienergebnisse (Übersicht in Tabelle 2) weisen bei männlichen inhaftierten Jugendlichen einen PCL:YV-Gesamtwert im Mittel von 23 - 26 Punkten nach (Forth 1995, Brandt et al. 1997, Pan 1998). Der PCL-R-Gesamtwert inhaftierter Frauen liegt im Mittel zwischen 18 – 24 Punkten und damit vergleichsweise niedriger als bei Männern (Strachan 1993, Neary 1991, Salekin et al. 1997 u. 1998, Vitale u. Newmann 2001). Bei männlichen jugendlichen Sexualstraftätern wurde ein geringerer Gesamtwert gefunden, der Mittelwert lag demnach bei 21 Punkten (McBride 1998). In Untersuchungen an psychiatrisch-klinischen Jugendlichen wurde ein Summenscore im Mittel von 14 – 17 beschrieben (Myers et al.1995, Stafford 1997), bei High-School-Schülern einer von 4 – 9 (Ridenour 1996). Es fanden sich keine ethnischen Unterschiede, zudem keine Unterschiede bei jüngeren im Vergleich zu älteren Jugendlichen (Brandt et al. 1997). 13 Tabelle 1: Die Psychopathy-Checkliste-Jugendlichen Version nach Forth et al. (2003); deutsche Version Sevecke & Krischer (in press) 1: Selbstdarstellung – impression management 2: übersteigertes Selbstwertgefühl - grandiose sense of self worth 3: Stimulationsbedürfnis, Erlebnishunger - stimulation seeking 4: pathologisches Lügen - pathological lying 5: betrügerisch-manipulatives Verhalten - manipulation for personal gain 6: Fehlen von Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein - lack of remorse 7: oberflächliche Gefühle - shallow affect 8: Mangel an Empathie - callous/ lack of empathy 9: parasitärer Lebensstil - parasitic orientation 10: unzureichende Ärgerkontrolle - poor anger control *11: unpersönliche sexuelle Beziehungen - impersonal sexual behavior *12: Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit - early behavior problems *13: Fehlen von realistischen, zukunftsorientierten Zielen - lacks of goals 14: Impulsivität - impulsivity 15: Verantwortungslosigkeit - irresponsibility 16: mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen failure to accept responsibility *17: unbeständige zwischenmenschliche Beziehungen - unstable interpersonal relationships *18: erhebliches kriminelles Verhalten - serious criminal behavior *19: Verstoß gegen die Bewährungsauflagen - serious violations of conditional release 20: polytrope Delinquenz - criminal versatility * : Diese Items unterscheiden sich inhaltlich deutlich von der PCL-R Tabelle 2: Mittlere PCL-Summenscores aus verschiedenen Stichproben Autor Stichprobe Alter Geschlecht PCL-Mittelwert Forth 1995 JVA Jugendliche männlich 23-26 Brandt 1997 JVA Jugendliche männlich 23-26 Pan 1998 JVA Jugendliche männlich 23-26 McBride 1998 Sexualstraftäter Jugendliche männlich 21 Strachan 1993 JVA Erwachsene weiblich 18-24 Neary 1991 JVA Erwachsene weiblich 18-24 Myers 1995 Psychiatrie Jugendliche männlich 14-17 Stafford 1997 Psychiatrie Jugendliche männlich 14-17 Ridenour 1996 High School Jugendliche männlich 4-9 14 Antisocial Process Screening Device (APSD): Die APSD (Frick & Hare 2001) ist eine Eltern- / Lehrerfremdbeurteilungsskala für Kinder und Jugendliche von 6 bis 13 Jahren. Sie enthält 20 skalierte Items, die drei Verhaltensdimensionen im Sinne von psychopathischen Zügen im Kindesalter messen: hartherzig-emotionslose (callous/unemotional) Züge, Narzissmus und Impulsivität. Christian et al. (1997) untersuchten 120 ambulante Patienten im Alter von 6 bis 13 Jahren mit einer Störung des Sozialverhaltens und konnten die Stichprobe anhand der Werte für Hartherzigkeit / Emotionslosigkeit in 2 Gruppen unterteilen: Die Gruppe mit hohen Punktwerten ließ eine deutlich stärker ausgeprägte Störung des Sozialverhaltens und wesentlich mehr Polizeikontakte erkennen, zudem war deutlich häufiger eine antisozialen Persönlichkeitsstörung bei den Eltern vorhanden. Frick (1998) teilte die breit gefächerte Diagnose der Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen des Kindes- und Jugendalters mit Hilfe der APSD in verschiedene Subgruppen ein, um spezifischere therapeutische Interventionen anbieten zu können. Die Studien von Frick et al. (1994) sowie Christian et al. (1997) haben erwartungsgemäß eine niedrige Interrater-Übereinstimmung zwischen dem Eltern- und dem Lehrerurteil gezeigt. Auch die Untersuchung von McBride (1998), in der 75 Mütter von jugendlichen Straftätern die Skala ausfüllten, zeigte einen geringen Zusammenhang mit PCL:YV. Selbstbeurteilungsinstrumente: Die Selbstbeurteilungsinstrumente für Psychopathy umfassen das Psychopathy Personality Inventory (PPI; Lilienfeld u. Andrews 1996), das Youth Self Report Inventory (YPI, Andershed et al. 2002) und die Self-Report Psychopathy Scale (SRP, Williams, Paulhus u. Hare 2000). Lilienfeld und Fowler (2006) haben durch ihre Forschung eine moderate prädiktive Validität für das PPI belegt und sprechen von Vor- und Nachteilen der Selbstbeurteilungsinstrumente. Einerseits sei es möglich, sehr große Stichproben zu untersuchen und verschiedene Messinstrumente zu kombinieren, andererseits hat die Selbstbeurteilung insbesondere bezogen auf die PsychopathyKerndimensionen deutliche Grenzen. Aufgrund ihrer empirischen Ergebnisse an 115 Jungen mit einer Störung des Sozialverhaltens wird das YPI von Dolan und Rennie (2007) als geeignet beschrieben, eine „Psychopathy-ähnliche“ Subgruppe mit höheren impulsiv/aggressiven und delinquenten Werten sowie niedriger Empathie zu identifizieren. Damit komme dem YPI eine Screeningfunktion bei Jugendlichen zu, der zur weiteren Evaluation der Psychopathy 15 das PCL:YV-Interview folgen sollte. Zwei Studien untersuchten die Vergleichbarkeit der Selbsteinschätzung des YPI’s mit der PCL:YV. Skeem und Cauffman (2003) berichten aufgrund ihrer Ergebnisse an 160 männlichen jugendlichen Schwerverbrechern von einer partiellen Überschneidung: Das YPI fokussierte stärker auf die Kerndimensionen der Psychopathy und korrelierte negativ mit Ängstlichkeit im Gegensatz zur PCL:YV. Andershed et al. (2007) fanden in ihrer Stichprobe von weiblichen und männlichen jugendlichen Patienten mit Substanzabusus moderate Korrelationen von r = .30 - .51 für die jeweiligen Faktorenwerte, allerdings keine entsprechenden Korrelationen zwischen den Subskalen des YPI’s und den PCL-YV-Items. 16 Teil 2: Eigene Untersuchungen 2.1 Entwicklung der Fragestellung Die vorliegenden Arbeiten untersuchen vor dem Hintergrund des in der Einleitung und in den Übersichtsarbeiten (2.2.1 und 2.2.2) dargestellten Forschungsstandes die Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy an männlichen und weiblichen inhaftierten Jugendlichen im Vergleich zu Schülern. Im Fokus stehen die noch ungeklärten Fragen der psychometrischen Erfassung bei Jugendlichen, insbesondere die Vergleichbarkeit des Konstrukts für Jungen versus Mädchen. Misst bzw. erfasst die Checkliste auf psychometrischer sowie auf inhaltlicher Ebene die gleichen psychopathologischen Auffälligkeiten oder lassen sich – wie auch für andere Persönlichkeitsstörungen - geschlechtsspezifische Unterschiede finden? Im Rahmen der Außenvalidierung des Psychopathy-Konzepts für Jugendliche wurden Aspekte der strafrechtlichen Begutachtung und Überschneidungen zum Temperamentskonzept untersucht. Davon ausgehend wurden phänotypische Ausprägungen und mögliche komorbide Symptome der Psychopathy bei den inhaftierten Jungen und Mädchen eruiert. Leitend war die Frage, ob bei inhaftierten Jugendlichen mit Kerneigenschaften der Psychopathy, also mit manipulativen, affektarmen und unempatischen Zügen, zudem internalisierende Psychopathologie zu finden ist. Neben der Frage der Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse sollte anhand der empirischen Ergebnisse beantwortet werden, ob es sich bei der jugendlichen Psychopathy um ein homogenes oder ein heterogenes Konstrukt handelt und ob die Resultate sich verschiedenen Subtypen zuordnen lassen. Diese Fragen sind aus psychiatrischer, forensischer und therapeutisch / präventiver Sicht sowohl in wissenschaftlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht relevant. Ausgangsbasis der empirischen Arbeiten war eine psychometrische FitwerteUntersuchung der PCL:YV-Faktorenmodelle (2.3.1). Insgesamt vier Studien untersuchten unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte die Komorbidität von Psychopathy mit internalisierender sowie externalisierender Psychopathologie, insbesondere mit ADHS (2.3.2 und 2.3.3). Im Rahmen der Validierung wurde die retrospektive Anwendbarkeit der PCL:YV an Strafrechtsgutachten (2.3.4) und für die inhaftierten Mädchen anhand der Ausprägungen ihrer Temperaments- und Charakterkonstellationen nach Cloniger geprüft (2.3.5). 17 2.2 Übersichtsarbeiten 2.2.1 Die psychometrische Erfassung von Psychopathy Sevecke K, Krischer MK, Döpfner M, Lehmkuhl G. Das Psychopathy-Konzept und seine psychometrische Erfassung im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 2004; 72:1-9 In dieser Übersichtsarbeit wurden der zum Veröffentlichungszeitpunkt aktuelle Forschungsstand des Psychopathy-Konzepts unter besonderer Berücksichtigung des Kindes- und Jugendalters sowie die vorliegenden Instrumente zur Erfassung der Psychopathy zusammengestellt. Einleitend wurde anhand der historischen Entwicklung eine Definitions- und Begriffsklärung vorgenommen, um dann Validitätsdaten und Faktorenmodelle der verschiedenen Erhebungsinstrumente zu referieren. Im Einzelnen wurden folgende Instrumente anhand der jeweilig vorhandenen Datenlage diskutiert: - die Psychopathy-Checkliste für Erwachsene (PCL-R), - die Psychopathy-Checkliste für Jugendliche (PCL:YV), - die Antisocial Process Screening Device (APSD), - die Childhood Psychopathy-Scale (CPS). Frick und Hare (2001) entwickelten die APSD, um Dimensionen der Psychopathy (wie z.B. Hartherzig- und Empathielosigkeit) in der Kindheit zu erfassen (Frick 1998, Frick et al. 2003). Ebenso wurde die Childhood Psychopathy Scale (Lynam 1998) zur Beurteilung von Psychopathy-Dimensionen in der Kindheit entwickelt. Die APSD und die CPS basieren auf Fremdbeurteilung des kindlichen Verhaltens durch Eltern oder Lehrer. Die APSD besteht aus drei Dimensionen: Hartherzigkeit/Empathielosigkeit (Callous/Unemotional), Narzissmus (Narcissism) und Impulsivität (Impulsivity, Frick et al. 2000). Sowohl APSD, als auch CPS zeigten Korrelationen mit den antisozialen Verhaltensmustern, physiologischen Abweichungen und exekutiven Defiziten, die im Zusammenhang mit der PCL-R (Hare 2003) bei Erwachsenen gefunden wurden (Frick et al. 2003, Loney et al. 2003). Auf Forschungsergebnisse bei Jugendlichen zum Zusammenhang zwischen hohem PCL:YV-Wert und Delinquenz wurde detailliert eingegangen. So beschreibt die Literatur bei männlichen Jugendlichen mit hohen PCL:YV-Werten sowohl einen Empathiemangel, eine Impulskontrollstörung, einen früheren Drogenkonsum und eine soziale Anpassungsstörung, als auch häufigere und schwerere Gewaltdelikte und eine 18 schnellere Rückfälligkeit. Es wurden die biologischen Grundlagen der Psychopathy sowie die Frage nach spezifischen Therapieansätzen diskutiert. 2.2.2 Das Psychopathy-Konzept als Persönlichkeitsdimension im Jugendalter Sevecke K, Krischer MK, Schönberg T, Lehmkuhl G: Das Psychopathy-Konzept nach Hare als Persönlichkeitsdimension im Jugendalter? Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 2005; 54; 173-190 In dieser Arbeit wurde auf die wenigen Forschungsergebnisse der us-amerikanischen und kanadischen Studien zum Psychopathy-Konzept bei Jugendlichen eingegangen und deren Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse diskutiert. Zwei Fallbeispiele (ein Junge und ein Mädchen) sollten exemplifizieren, inwiefern sich in einer Stichprobe von inhaftierten Jugendlichen aus dem Köln-Bonner Raum die Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy phänomenologisch beschreiben lassen. Die Kasuistiken beruhten auf der Auswertung der PCL:YV-Interviews, die von trainierten und reliablen ärztlichen und psychologischen Mitarbeitern nach den Instruktionen von Forth und Mitarbeitern in der deutschen Übersetzung (Sevecke u. Krischer 2008a) durchgeführt wurden. Fünfzehnjähriger inhaftierter Jugendlicher: Der Proband verbüßte zum Zeitpunkt des Interviews seine zweite Haftstrafe aufgrund von Gewalt- und Eigentumsdelikten. Diagnostisch lag eine Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen mit einer deutlichen Tendenz zur Dissozialität und multiplem Substanzmissbrauch sowie einem Ecstasy-Entzugssyndrom bei einer durchschnittlichen Intelligenz vor. Der PCL:YV-Summenscore betrug 37 von maximal 40 Punkten. Der Proband zeigte während der gesamten Interviewzeit ein erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl (Item 2) und eine ausgeprägte Selbstdarstellung (Item 1). Er betonte immer wieder seine intellektuelle Überlegenheit, sowie seine Fähigkeit, andere Menschen durch verbale und körperliche Angriffe in Angst zu versetzen. Er berichtete über Verhaltensauffälligkeiten seit der Kindergartenzeit (Item 12). So habe er damals u. a. Müllcontainer in Brand gesteckt und einem anderen Kind „ein Stück Fleisch aus dem Bein gebissen“. In der Grundschule sei er aufsässig und aggressiv gegen Gegenstände, Mitschüler und Lehrer gewesen, habe viel gelogen und geschwänzt. Aufgrund der Schwere der Verhaltensauffälligkeiten in verschiedenen Kontexten wurde auch 19 dieses Merkmal mit 2 Punkten bewertet. Eine ausgeprägte Verantwortungslosigkeit (Item 15) seinem Leben und anderen Personen gegenüber wurde in vielen Lebensbereichen deutlich sichtbar: er habe nur einmal im Monat Hausaufgaben gemacht, für Klassenarbeiten nie gelernt und letztlich die Schule nur noch für Schlägereien aufgesucht. Er sei äußerst rasant ohne Helm bzw. unangeschnallt betrunken sowie „stoned“ mit Auto und Motorroller ohne Führerschein gefahren; bei seiner Tätigkeit als Stricher und im Kontakt mit seinen Freundinnen habe er nur manchmal Kondome benutzt (Bewertung: 2 Punkte). Laut seinen Schilderungen und in Abgleichung mit dem Akteninhalt verstieß er gegen Auflagen für Bewährung und Haftverschonung und befand sich sechs Monate aufgrund eines Haftbefehls auf der Flucht (Item 19: „Widerruf einer bedingten Entlassung“; Bewertung: 2 Punkte). Item 16 („mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen“) wurde mit einem Punkt bewertet, da er seine Taten nicht leugnete, sondern ohne Reue und Schuldbewusstsein stolz schilderte. Sechzehnjähriges inhaftiertes Mädchen: Die Probandin ist in vergleichsweise geordneten Verhältnissen groß geworden. Diagnostiziert wurden eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen bei vorhandenen sozialen Bindungen und ein multipler Substanzkonsum bei durchschnittlicher Intelligenz. Zum Zeitpunkt der Untersuchung befand sie sich wegen diverser Diebstahlsdelikte als Strafgefangene für insgesamt 5 Monate in Haft. Die PCL:YV erbrachte einen Gesamtwert von 29 Punkten und lag damit im oberen Bereich. Inhaltlich brachte das PCL-Interview eine deutliche Mitleidslosigkeit und Verantwortungslosigkeit der Probandin zum Vorschein. Ihr beobachtbares Verhalten (Item 1 „Selbstdarstellung“) veranschaulichte ein fehlendes Bemühen um ein sozial adäquates Verhalten und fehlende soziale Angst. In der Interaktion wirkte sie sehr distanziert und kontrollierend. Ihr „erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl“ (Item 2) zeigte sich in Bemerkungen über Mitgefangene. Sehr anschaulich schilderte die Probandin ihre Suche nach Stimulation, die sich neben dem Experimentieren mit verschiedenen Drogen und Bungee Jumping vorwiegend in einer Suche nach Gefahr bemerkbar machte. Die Jugendliche beschrieb es als ihr Hobby, regelmäßig von mehreren Metern hohen Brücken zu springen. In der Einstellung zu ihren Delikten kam zudem eine deutliche Verarmung der Gewissensbildung (Item 6) sowie ein Mangel an Empathie (Item 8) zum Vorschein. Schließlich fiel bei der Probandin eine stark impulsive Tendenz (Item 14) verbunden mit einer unzureichenden Ärgerkontrolle (Item 10) auf. 20 Die Fallbeispiele sollten die einzelnen in der PCL:YV abstrakt benannten Persönlichkeits- und Verhaltensdimensionen exemplarisch verdeutlichen. Die Gesamtscores lagen mit 38 und 29 Punkten extrem hoch. Sie zeigten, dass auch bei deutschen delinquenten Jugendlichen hohe Ausprägungen der PCL:YV-Dimensionen vorzufinden sind, was bislang nur für nordamerikanische und kanadische Jugendliche belegt wurde. Die PCL:YV-Interviewauswertungen wurden teilweise aus Reliabilitätsgründen parallel von Prof. D. Kosson (Co-Autor der PCL:YV) bewertet und in ihrem Punktwert bestätigt. Die dargestellten Beispiele stützen die Anwendbarkeit und Validität des Psychopathy-Konstrukts für Jugendliche und machen zudem deutlich, dass damit eine spezifizierte, persönlichkeitsdimensionale Beschreibung - über die bislang verwendeten Klassifikationssysteme hinaus - möglich ist. 21 2.3 Empirische Arbeiten 2.3.1 Die Faktorenstruktur der Psychopathy-Checkliste für Jugendliche (Studie 1) Sevecke K. Pukrop R, Kosson D, Krischer M. Factor structure of the Hare Psychopathy Checklist-Youth Version in female and male detainees and community adolescents. Psychological Assessment, in press Einleitung: In der vorliegenden Studie wurde erstmals geschlechtsgetrennt die Faktorenstruktur der PCL:YV an einer jugendlichen Inhaftierten im Vergleich zu einer Schülerstichprobe untersucht. Psychopathy besteht nach Forth et al. (2003) zum einen aus spezifischen Persönlichkeitsdimensionen, die sich u.a. in Form von affektiven Defiziten und interpersonalen Auffälligkeiten abbilden, sowie aus bestimmten Verhaltensindikatoren mit impulsiven und antisozialen Zügen. Für männliche Straftäter gilt das Konstrukt, gemessen mit der PCL-R, als gut validiert, während es für Frauen deutlich weniger und uneinheitliche Forschungsergebnisse gibt (Hare 2003). Die PCL:YV weist ebenso wie im Erwachsenenbereich eine mehrfaktorielle Faktorenstruktur auf (Brandt et al. 1997, Forth 1995). In der Literatur werden ein 2-, ein 3sowie ein 4-Faktorenmodell diskutiert (siehe Tabelle 3). Das 4-Faktorenmodell nach Hare (Hare 2003) versteht das Konzept der Psychopathy als Ausdruck der vier Dimensionen Interpersonaler (F1), Affektiver (F2), Lifestyle (F3) und Antisozialer Merkmale (F4). Dieses Modell bezieht die drei Faktoren des Modells von Cooke und Michie (2001) mit ein, erstreckt sich aber auch auf einen robusten antisozialen Faktor. Untersuchungen der einzelnen PCL-Items mit Hilfe der item response theory (IRT) an männlichen Straftätern (Cooke u. Michie 1997 u. 1999, Boldt et al. 2004) stellten fest, dass die interpersonale (F1) und die affektive Dimension (F2) deutlich besser zwischen Personen mit und ohne Psychopathy trennen und mehr Informationen über das Konstrukt geben als die Verhaltensdimensionen (F3 & F4). Vincent und Hart (2002) wendeten die IRT bei männlichen jugendlichen Inhaftierten an und stellten fest, dass in dieser Stichprobe Psychopathy ein kohärentes Konstrukt war: Außerdem fanden sie Ähnlichkeiten in der Itembedeutung für Männer und Jungen. Corrado et al. (2004) zeigten mit ihrer prospektiven Studie an jugendlichen männlichen Straftätern (im Mittel ein follow-up von 14,5 Monaten), dass sowohl das 2- als auch das 322 Faktorenmodell der PCL:YV grundsätzlich einen Rückfall, sowie speziell einen Rückfall bei Gewaltdelikten, mit einer Wahrscheinlichkeit von 63 bis 68% vorhersagen können. Im Gegensatz zu Ergebnissen aus dem Erwachsenenbereich wurde allerdings die Vorhersagbarkeit bezüglich zukünftiger Straftaten bei den Jungen primär durch die Verhaltens- und weniger durch die Kernfaktoren der Psychopathy, die interpersonal-affektiven Dimensionen, erklärt. Wenige Studien haben die strukturelle Validität von Psychopathy im Jugendalter untersucht. Im PCL:YV-Manual wird beschrieben, dass sich sowohl das 3-, als auch das 4-Faktorenmodell durch gute Fitwerte auszeichnen (Forth et al. 2003). Die Ergebnisse von Neumann et al. (2006) an 505 männlichen jugendlichen Straftätern aus Nordamerika sowie 233 aus England bestätigten gute Fitwerte für das 4- und das 3Faktoren-Modell. Eine einzige Studie (Jones et al. 2006) untersuchte geschlechtsspezifische Unterschiede und fand nach Modifizierung des 3- und des 4Faktormodells gleich gute Fitwerte für Mädchen und Jungen. Hypothesen: Da bislang die Faktorenstruktur der PCL:YV an Schülern noch nicht untersucht wurde, war das, neben der Frage von geschlechtsspezifischen Unterschieden und der Crossvalidierung der eigenen Ergebnisse im Vergleich zu den amerikanischen, ein Schwerpunkt der vorliegenden Studie. Es wurde erwartet, dass die 3- und 4-Faktormodelle, die an nordamerikanischen und englischen männlichen Jugendlichen validiert wurden, zum einen akzeptable Fitwerte und zum anderen bessere Fitwerte als das 2-Faktorenmodell zeigen. Außerdem wurden für die Mädchen vergleichbar gute Fitwerte für das 3- und das 4-Faktorenmodell sowie für die Inhaftiertenstichprobe im Vergleich zu der Schülerstichprobe bessere Fitwerte angenommen – obgleich akzeptable Fitwerte für die Schülerstichprobe erwartet wurden. 23 Tabelle 3: Die verschiedenen Faktorenmodelle Stimulationsbedürfnis, Erlebnishunger, ständiges Gefühl der Langeweile parasitärer Lebensstil Fehlen von realistischen, zukunftsorientierten Zielen Impulsivität Verantwortungslosigkeit mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen Stimulationsbedürfnis, Erlebnishunger, ständiges Gefühl der Langeweile parasitärer Lebensstil Fehlen von realistischen, zukunftsorientierten Zielen Impulsivität Verantwortungslosigkeit Interpersonal (F1) Affektiv (F2) Interpersonal pathologisches Lügen betrügerisch-manipulatives Verhalten Fehlen von Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein oberflächliche Gefühle Mangel an Empathie Lifestyle (F3) mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen Affektiv pathologisches Lügen betrügerisch-manipulatives Verhalten Fehlen von Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein oberflächliche Gefühle Mangel an Empathie übersteigertes Selbstwertgefühl Hare 4-Faktorenmodell Selbstdarstellung übersteigertes Selbstwertgefühl pathologisches Lügen betrügerisch-manipulatives Verhalten Fehlen von Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein oberflächliche Gefühle Mangel an Empathie mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen Stimulationsbedürfnis, Erlebnishunger, ständiges Gefühl der Langeweile parasitärer Lebensstil Fehlen von realistischen, zukunftsorientierten Zielen Impulsivität Verantwortungslosigkeit unzureichende Ärgerkontrolle unzureichende Ärgerkontrolle Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit erhebliches kriminelles Verhalten Verstoß gegen die Bewährungsauflagen Antisozial (F4) Sozial devianter Lebensstil Interpersonal / affektiv übersteigertes Selbstwertgefühl Cooke & Michie 3-Faktorenmodell Selbstdarstellung Impulsives, unverantwortliches Verhalten Hare 2-Faktorenmodell Selbstdarstellung erhebliches kriminelles Verhalten Verstoß gegen die Bewährungsauflagen polytrope Delinquenz Methode: In die Untersuchung wurden 314 strafgefangene Jugendliche (143 Jungen und 171 Mädchen) sowie 193 Schüler (99 Jungen und 94 Mädchen) eingeschlossen. Eine detaillierte Beschreibung der Stichprobe, des Instruments sowie des Prozederes ist im Orginalbeitrag zu finden. Um die Fitwerte der einzelnen Faktorenmodelle zu untersuchen, wurde eine konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA) mit dem Programm Mplus Version 5 gerechnet, sowie zwei relative Fitindizes (CFI = Comparative Fit Index; TLI = Tucker-Lewis Index) und zwei absolute Fitindizes (RMSEA = Root mean square error of approximation; WRMR = Weighted root mean square residual) miteinander verglichen. 24 Ergebnisse: Das 2-Faktorenmodell erbrachte ausschließlich für die inhaftierten Jungen adäquate Fitwerte. Das 4-Faktorenmodell zeigte in allen Stichproben keine angemessenen Fitwerte. Das 3-Faktorenmodell erwies sich sowohl für die inhaftierten Jungen als auch für die Schüler als das Modell mit adäquaten Fitwerten für alle Indizes. Für die Mädchen konnten für kein Modell angemessene Fitwerte nachgewiesen werden. In der Tabelle 4 sind die Ergebnisse geschlechtsgetrennt für beide Stichproben bezüglich der einzelnen Faktorenmodelle abgebildet. Tabelle 4: Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse 2 χ (df) 3CFI Faktoren TLI Model RMSEA WRMR 2 χ (df) 2CFI Faktoren TLI Model RMSEA WRMR Inhaftierte ♂ ♀ n = 143 n = 171 *** *** 60,997 (30) 80,775 (34) 0,957 0,871 0,967 0,886 0,085 0,090 0,867 1,001 *** 102,682 (41) 0,923 0,938 0,103 1,082 *** 157,710 (50) 0,811 0,857 0,112 1,260 Kontrollstichprobe ♂ ♀ n = 99 n = 94 27,278 (20) 0,988 0,992 0,061 0,677 * 38,315 (25) 0,984 0,989 0,073 0,773 *** 34,510 (12) 0,910 0,902 0,141 1,178 Anmerkung: Aufgrund fehlender Variabilität wurden die Analysen der 2- und 4-Faktorenmodelle bei den inhaftierten Jungen und bei den Kontrollstichproben ohne Item 19, sowie bei den inhaftierten Mädchen ohne Item 13 gerechnet. RMSEA = root mean square error of approximation (< ,06); WRMR = Weighted Root Mean Square residual (< 1,0); TLI = Tucker/ Lewis fit index (> ,90); CFI = comparative fit index (> ,90). Akzeptable Fitwerte sind fett gedruckt. Diskussion: In der Literatur existieren gegenwärtig verschiedene Faktorenmodelle. Einige Autoren favoritisieren das 3-Faktorenmodell, welches den antisozialen Faktor nicht mit einschließt, während Hare und Mitarbeiter das 4-Faktorenmodell präferieren. Unsere Ergebnisse wiesen die besten Fitwerte für das 3-Faktorenmodell nach, obgleich die Fitwerte der Mädchen knapp unter den Cutoff-Werten der einzelnen Indizes lagen. Wie auch in den Untersuchungen von Jones et al. (2006), Salekin et al. (2006) und Forth et al. (2003) konnten keine akzeptablen Fitwerte für das 2Faktorenmodell gefunden werden, wenngleich die relativen Fitwerte, aber nicht die absoluten, für die inhaftierten Jungen gut waren. Im Gegensatz zu unseren Ergebnissen wurden sowohl in anderen Jugendlichen- als auch in Erwachsenenstichproben adäquate Fitwerte für das 4-Faktorenmodell nachgewiesen. Da das 4Faktorenmodell über eine hohe Anzahl an Parametern verfügt, könnte eine zu geringe Stichprobengröße eine mögliche Erklärung für die schlechten Ergebnisse bei den 25 Jungen sein. Da die Stichprobengröße der inhaftierten Mädchen angemessen erscheint, ist hier zu diskutieren, warum kein Modell adäquate Ergebnisse erbrachte. Auch zeigen unsere Ergebnisse geschlechtsspezifische Unterschiede, was nicht mit der Untersuchung von Jones et al. (2006) übereinstimmt. Deswegen sollten zukünftige Studien mit noch größeren Stichproben die Faktorenstruktur, insbesondere von Mädchen, sowie die geschlechtsspezifische Beständigkeit der PCL:YV-Struktur klären. Auch in der Schulstichprobe waren die Fitwerte für Jungen konsistent besser als für Mädchen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die dissozialen Handlungen von Mädchen vergleichsweise verdeckter sind und sich schlechter im PCL:YV-Interview abbilden lassen. Limitationen: Die Stichprobengrößen waren für die hier berechneten Analysen relativ gering, insbesondere, da das 4-Faktorenmodell aufgrund seiner höheren Itemzahl stärker für eine zu geringe Stichprobe anfällig ist. Es erscheint interessant, ob andere Instrumente zur Erfassung von Psychopathy im Jugendalter, wie die Antisocial Process Screening Device (ASPD, Frick u. Hare 2001) oder der Youth Self Report Inventory (YPI; Andershed et al. 2007) ähnliche faktorielle Ergebnisse zeigen. Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich die Inhaftierten- und die Schülerstichprobe signifikant in ihrem Alter, was eine weitere Limitation unserer Studie darstellt. 26 2.3.2 Externalisierendes sowie internalisierendes Verhalten und Psychopathy Sevecke K, Krischer M. „Psychopathy“ bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen: empirische Ergebnisse & forensische Aspekte. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2006, 6, 455-468 (Studie 2) In diesem Beitrag wurde das Psychopathy-Konzept bei Heranwachsenden anhand des zum Veröffentlichungszeitpunkt aktuellen Forschungsstandes sowie eigener Ergebnisse zu Psychopathy und externalisierendem und internalisierendem Verhalten bei jugendlichen Inhaftierten und Schülern diskutiert. Material und Methode: Es wurden männliche Inhaftierte aus der JVA Siegburg (N = 90) sowie weibliche Inhaftierte aus der JVA Köln-Ossendorf (N = 87) mit der PCL:YV und dem Youth Self Report (YSR) untersucht. Die Vergleichsstichprobe bildeten Jugendliche aus zwei Kölner Haupt- und einer Realschule (Jungen: N = 99; Mädchen: N = 94). Der Altersdurchschnitt der inhaftierten Jungen lag bei 18,0 (+/- 1,0; Altersrang: 14,0 - 19,0), der der inhaftierten Mädchen lag bei 17,32 Jahren (+/- 1,38; Altersrang: 14,0 - 19,0), was sich nicht signifikant unterschied. Auch die Kontrollstichprobe unterschied sich im Alter nicht signifikant: die Jungen waren im Durchschnitt 16,28 (+/- 0,07; Altersrang: 15,0 - 18,0), die Mädchen 16,27 (+/- 0,72; Altersrang: 15,0 - 18,0) Jahre alt. Eine ausführliche Stichproben- und Instrumentenbeschreibung ist im Orginalbeitrag zu finden. Ergebnisse: Die inhaftierten Jungen zeigten einen mittleren PCL:YV-Gesamtwert von 26 Punkten (SD = 7,4), der sich hochsignifikant von dem der inhaftierten Mädchen (20 Punkte (SD = 7,6, p = ,001) und der Kontrollstichprobe (Jungen: 6 Punkte, Mädchen: 3 Punkte, p = ,001) unterschied. Für jede Stichprobe wurden die Mittelwerte der PCL:YV-Faktoren berechnet. Sowohl in der inhaftierten Stichprobe, als auch in der Kontrollgruppe hatten die Jungen im Vergleich zu den Mädchen signifikant höhere PCL:YV-Gesamtwerte (p < ,001). Aber nicht nur hinsichtlich des Gesamtwerts, sondern auch für die einzelnen Faktorenwerte ließen sich deutlich höhere Werte sowohl bei den inhaftierten Jungen als auch bei den männlichen Schülern finden. So zeigten die Jungen jeweils hochsignifikant höhere Werte für den interpersonalen, den affektiven, den Lifestyle und den antisozialen Faktor (p < .001). Korrelationen nach Pearson zwischen dem PCL:YV-Gesamtwert der inhaftierten Jugendlichen und dem Selbstbeurteilungsfragebogen YSR ergaben nur für die delinquenten Mädchen 27 schwach signifikante Zusammenhänge. So korrelierte der PCL:YV-Gesamtwert der Mädchen mit den YSR-Skalen „Sozialer Rückzug“, „Körperliche Beschwerden“ und „Internalisierendes Problemverhalten“ (siehe Tabelle 5). Tabelle 5: Korrelation PCL-Gesamtwert mit Youth-Self-Report für die delinquenten Jungen & Mädchen YSR-Achsen PCL-Gesamtwert ♂ PCL-Gesamtwert ♀ Sozialer Rückzug r = 0,19 r = 0,23* Körperliche Beschwerden r = 0,08 r = 0,23* Ängstlich-depressiv r = 0,17 r = 0,14 Internalisierendes Verhalten r = 0,17 r = 0,22* Dissoziales Verhalten Aggressives Verhalten r = -0,11 r = -0,07 r = 0,2 r = -0,01 Externalisierendes Verhalten r = -0,09 r = 0,01 Diskussion: In dem Beitrag wurde die PCL:YV erstmals in einer deutschen Gruppe strafgefangener Mädchen und Jungen sowie in einer Schul-Kontrollstichprobe zu Forschungszwecken eingesetzt. Der PCL:YV-Gesamtwert mit durchschnittlich 26 Punkten für die männlichen Inhaftierten deckte sich mit den Ergebnissen aus amerikanischen Untersuchungen. Forth et al. (2003) geben für männliche Strafgefangene unter 14 Jahren einen Gesamtwert von 25,87 Punkten und für 15-jährige und ältere Jugendliche einen Gesamtwert von 24,29 Punkten an. Wie bereits dargestellt, sind Mädchen und Frauen deutlich schlechter untersucht. Eine Durchsicht der publizierten Studien zeigte, dass nur 6 von 34 Studien Mädchen mittlerer Stichprobengrößen (N = 10-80) einschlossen. In den von Forth et al. referierten Stichproben wiesen inhaftierte Mädchen einen mittleren PCL:YV-Gesamtwert von 23,2 Punkten auf und unterschieden sich damit – im Gegensatz zu unseren Ergebnissen – nicht signifikant von den Jungen. Die negativen Korrelationen zwischen dem PCL:YV-Gesamtwert und den verschiedenen YSR-Skalen bei den Jungen verwiesen darauf, dass das PCLInterview erwartungsgemäß etwas anderes abbildet als ein Selbstbeurteilungsfragebogen zur Erfassung von Psychopathologie. Im Unterschied dazu stehen die Ergebnisse der delinquenten Mädchen. So fanden sich bei ihnen signifikante Zusammenhänge zwischen dem PCL-Gesamtwert und den Skalen internalisierendes Verhalten, körperliche Beschwerden und sozialer Rückzug. Wenngleich die gefundenen Zusammenhänge als schwach zu bezeichnen sind, verweisen sie auf einen ge28 schlechtsabhängigen Zusammenhang zwischen internalisierender Psychopathologie und einer Persönlichkeitsentwicklung im Sinne der Psychopathy bei delinquenten Mädchen. Dies kann auf ein geschlechtsspezifisch unterschiedliches Profil der Psychopathy bzw. auf eine unterschiedliche Pathogenese hindeuten. Bisherige Ergebnisse zur Frage der Validität der PCL:YV bei delinquenten Mädchen stellen die Übertragbarkeit der Psychopathy auf weibliche Jugendliche in Frage (Odgers et al. 2005b, Vincent et al. under review). So konnten Odgers und Mitarbeiter (2005b) sowie Vincent et al. (im Druck) keine prädiktive Validität von PCL:YV-Werten bei straffälligen Mädchen für Gewalt- und Nicht-Gewaltdelikte zeigen. Für delinquente Jungen waren demgegenüber die PCL:YV-Werte signifikante Prädiktoren für weitere Gewaltdelikte innerhalb eines Zeitraums von im Schnitt 35 Monaten (Vincent et al. im Druck). Noch ist unklar, welchen Faktoren bei Mädchen Aggressivität und Antisozialität zuzuschreiben sind. Aus der Literatur ist lediglich bekannt, dass delinquente weibliche Jugendliche häufiger über frühe Traumaerfahrungen berichten und diesbezüglich ein Zusammenhang zwischen Traumatisierung und Aggression anzunehmen ist (Cauffman et al. 1999). Im Zusammenschluss ist der Aspekt des Labelings bzw. der Stigmatisierung jener Heranwachsenden, die Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy aufweisen, zu bedenken. Trotzdem erscheint es sinnvoller, mit Hilfe reliabler, wissenschaftlich fundierter Instrumente - wie der PCL:YV - die entsprechenden Persönlichkeitsdimensionen diagnostisch zu erfassen und perspektivisch spezifische therapeutische Optionen abzuleiten, als die Vielgestaltigkeit antisozialer Verhaltensweisen nicht ausreichend differenzieren zu können. Das implizierte Denkmodell, Jugendliche nicht mit stigmatisierenden Diagnosen, wie allgemein der einer Persönlichkeitsstörung oder mit der Feststellung von Persönlichkeitsdimensionen im Sinne der Psychopathy, zu beschreiben, scheint in diesem Fall die Möglichkeiten einer präziseren Diagnostik, einer Prävention der Komorbiditäten, einer differenzierteren Prognose und einer adäquaten Therapie einzuschränken. 29 Sevecke K, Lehmkuhl G, Krischer M. Relations between psychopathology and psychopathy dimensions – Findings from an adolescent female and male offender sample. European J Child and Adolescent Psychiatry, 2009, 18 (2): 85-95 (Studie 3) Das Ziel dieser Untersuchung bestand darin, geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich Psychopathy-Dimensionen und komorbider Psychopathologie bei inhaftierten Mädchen und Jungen zu untersuchen. Aufgrund des Forschungsstandes wurden höhere Werte für internalisierende Psychopathologie bei den inhaftierten Mädchen sowie höhere Werte für externalisierende Psychopathologie bei den inhaftierten Jungen erwartet. Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden zudem für den Zusammenhang von Psychopathy und externalisierendem sowie internalisierendem Verhalten vorhergesagt. Für die inhaftierten Jungen wurde ein positiver Zusammenhang zwischen externalisierendem Verhalten und allen vier Psychopathy-Dimensionen hypostasiert, ferner kein bzw. ein negativer Zusammenhang zwischen internalisierendem Verhalten und dem interpersonalen sowie dem affektiven Faktor (Psychopathy-Kernfaktoren) erwartet. Für die inhaftierten Mädchen wurde ebenso ein positiver Zusammenhang zwischen externalisierendem Verhalten und allen vier Psychopathy-Dimensionen erwartet. Darüber hinaus wurde kein bzw. ein negativer Zusammenhang zwischen internalisierendem Verhalten und den Psychopathy-Kernfaktoren sowie ein positiver Zusammenhang zwischen suizidalem Verhalten und dem Lifestyle- sowie dem antisozialen Faktor (den Psychopathy-Verhaltensfaktoren) für die Mädchen angenommen. Methode: Es wurden männliche Inhaftierte aus der Justizvollzugsanstalt Siegburg (N = 91) sowie weibliche Inhaftierte aus der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf (N = 123) mit der PCL:YV, dem OAS-M (Overt Aggression Scale-Modified), dem SBBSSV (Selbstbeurteilungsboden Störungen des Sozialverhaltens) und dem YSR (Youth Self Report) untersucht. Eine ausführliche Stichproben- und Instrumentenbeschreibung ist im Orginalbeitrag zu finden. Mittelwerte und Standardabweichungen sowie chi-quadrat- und t-Tests wurden berechnet, um Geschlechtsunterschiede bezüglich soziodemografischer Variablen zu eruieren. Die Stichprobenwerte der PCL:YV, des YSR sowie des SBB-SSV waren normal verteilt. Aufgrund der fehlenden Normalverteilung wurde beim OAS-M der nonparametrische Test verwendet. Um den Einfluss von externalisierenden und in30 ternalisierenden Variablen auf den Psychopathy-Gesamtwert und die vier Psychopathy-Dimensionen vorherzusagen, wurde eine schrittweise Regressionsanalyse gerechnet. Im ersten Schritt wurden externalisierende und internalisierende Variablen mit einbezogen, während im zweiten Schritt nur internalisierende Variablen verwendet wurden. Ergebnisse: Tabelle 6 zeigt die Unterschiede der Psychopathologie für Jungen versus Mädchen. Die delinquenten Mädchen wiesen signifikant höhere Werte im Bereich der internalisierenden Psychopathologie auf, während die Jungen signifikant höhere Werte für die externalisierende Psychopathologie angaben. Weiter berichteten die Mädchen signifikant mehr ängstlich-depressive Symptome (YSR), während die Jungen signifikant mehr aggressives Verhalten (YSR, SBB-SSV & OAS-M) und mehr Reizbarkeit (OAS-M) angaben. Für suizidales Verhalten fanden sich keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Die Jungen hatten signifikant höhere Werte für den Psychopathy-Gesamtwert und für alle vier Psychopathy-Dimensionen. Die Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse sind in Tabelle 7 abgebildet. Reizbarkeit, Störung des Sozialverhaltens, aggressives Verhalten, negativ ängstlichdepressive Symptome sowie Internalisierung waren bei den Jungen Prädiktoren für den Psychopathy-Gesamtwert. Bei den Mädchen waren für den PsychopathyGesamtwert externalisierendes und aggressives Verhalten prädiktiv. Die interpersonale Dimension der Psychopathy konnte durch aggressiv-antisoziales Verhalten zu einem sehr geringen Anteil für die Jungen (7%) sowie für die Mädchen (10%) vorhergesagt werden. Weiter fanden wir einen positiven Zusammenhang zwischen suizidalem Verhalten und dem Psychopathy-Gesamtwert sowie der affektiven, der Lifestyle und der antisozialen Dimension für die Mädchen. Für die Jungen zeigte sich ein negativer Zusammenhang zwischen ängstlichdepressiven Symptomen und dem Psychopathy-Gesamtwert sowie der affektiven Dimension der Psychopathy. 31 Tabelle 6: YSR Skalen, OAS-M, SBB-SSV und PCL:YV für delinquente Jungen und Mädchen Externalisierend Aggression Reizbarkeit Suizidalität Oppositionell Antisozial SSV total Interpersonal Affektiv Antisozial Gesamtwert Mädchen (n=123) M (SD) 11,5 (6,1) 19,3 (9,4) 10,7 (4,5) 12,9 (7,3) 23,5 (10,9) 83,7 (231,8) 4,0 (2,7) ,5 (1,6) 8,7 (6,8) 9,6 (7,6) 18,3 (13,2) 3,9 (1,89) 3,6 (1,76) 5,5 (2,1) 5,6 (2,64) 1,6 (,62) Jungen (n=91) M (SD) 8,9 (5,4) 15,1 (7,7) 11,6 (3,7) 14,8 (5,9) 26,4 (8,8) 132,1 (234,9) 5,7 (2,0) ,3 (,8) 11,9 (6,7) 15,4 (8,9) 27,4 (14,0) 5,2 (1,8) 5,4 (1,39) 7,7 (1,48) 7,7 (1,53) 2,4 (,59) t-Wert U-Wert* 3,2 3,5 -1,70 -2,10 -2,10 3919,5* 3424,5* 5290,0* -3,22 -4,82 -4,61 -4,91 -8,28 -8,96 -7,40 -8,86 p-Wert Mädchen vs. Jungen <,001 ,001 ,091 ,034 ,034 <,001 <,001 ,381 ,001 <,001 <,001 <,001 <,001 <,001 <,001 <,001 ES ,45 ,48 -,21 -,28 -,29 -,21 -,70 ,15 ,47 -,71 -,67 -,68 -1,10 -1,17 -,95 -1,24 M= Mittelwert, SD= Standardabweichung, ES= Effektstärke, fett gedruckt: signifikante Unterschiede Lifestyle aggressives Verhalten PCL:YV antisozial SBB-SSV Internalisierend OAS-M ängstlichdepressiv YSR Tabelle 7: Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse zur Vorhersage von Psychopathy AV: PCL-Score 1. Ext. & Int. Faktoren: - OASM-Reizbarkeit - SSV - Ängstl.-depressiv - Internalisierendes Verhalten - Aggressives Verhalten - Externalisierendes Verhalten - OASM-Aggression 2. Int. Faktoren: - Suizidales Verhalten AV: Interpersonaler Faktor 1. Ext. & Int. Faktoren: - Aggressives Verhalten - Antisoziales Verhaten 2. Int Faktoren: B inhaftierte Jungen 2 SE Beta R inhaftierte Mädchen B SE Beta R 2 1,02*** ,08* -,20* ,32* ,24* - ,26 ,04 ,09 ,15 ,11 - ,40 ,24 -,22 ,52 ,29 - ,16*** ,21*** ,26*** ,30*** ,34*** - ,40*** ,01* ,04 ,01 ,66 ,16 ,44*** ,46*** - - - - 1,18** ,34 ,27 ,07** B SE Beta R B SE Beta R ,08* - ,03 - ,27 - ,07* - ,07** -,06* ,04 ,01 ,27 -,26 ,07** ,10**- - - - - - - - - SE Beta R ,01 ,31 ,09** ,10 SE ,19 Beta ,03* 2 R ,03 ,01 ,69 ,16 ,45*** ,47*** ,12 SE ,23 Beta ,05* 2 R ,02 ,66 ,66*** ,15 ,21 ,05* 2 2 AV: Affektiver Faktor B SE Beta R B 1. Ext. & Int. Faktoren: - OASM-Reizbarkeit ,21* ,08 ,31 ,1** -,09** ,02 -,36 ,21*** - Ängstl.-depressiv - Internalisierendes Verhalten ,1* ,04 ,57 ,27*** - OASM-Aggression ,01* ,01 ,29 ,33*** - Externalisierendes Verhalten ,05** 2. Int. Faktoren: - Ängstl.-depressiv -,07*** ,06 -,28 ,07* ,10* ,04 ,57 ,13** - Internalisierendes Verhalten - Suizidales Verhalten ,21* 2 AV: Lifestyle Faktor B SE Beta R B 1. Ext. & Int. Faktoren: - SSV ,03 ,01 ,4 ,16*** - OASM-Reizbarkeit ,15 ,07 ,23 ,21*** - Antisoziales Verhalten ,29** - OASM-Aggression ,01* 2. Int. Faktoren: - Suizidales Verhalten ,31* 2 AV: Antisozialer Faktor B SE Beta R B 1. Ext. & Int. Faktoren: - SSV ,04*** ,,01 ,41 ,41*** - OASM-Reizbarkeit ,21** ,08 ,30 ,49*** - Externalisierendes Verhalten ,16*** 2. Int. Faktoren: - Suizidales Verhalten ,26* Anmerkung: AV= abhängige Variable; *** < 0,001; ** p≤ 0,01; * p≤ 0,05 Diskussion: Erwartungsgemäß ließ sich bei der untersuchten Population inhaftierter Jugendlicher eine hohe Prävalenz von komorbid externalisierender Psychopathologie bei den Jungen sowie eine hohe Prävalenz komorbid internalisierende Psychopathologie bei den Mädchen finden. Gleichzeitig zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang mit Psychopathy. Diese spezifischen Unterschiede können möglicherweise auf verschiedene Subtypen der Psychopathy für Jungen und 2 2 für Mädchen hinweisen. Jungen scheinen insbesondere unter Berücksichtigung der gefundenen negativen Assoziation zwischen ängstlich-depressiven Symptomen und dem Psychopathy-Gesamtwert sowie dem affektiven Faktor eher dem PsychopathyProfil vom männlichen Erwachsenen zu entsprechen. Zurückgehend auf Cleckley`s klinische Beschreibung eines Erwachsenen mit Psychopathy wurde „das Fehlen von Nervosität oder neurotischen Manifestationen“ oft als Kerncharakteristikum beschrieben. Auch wurde in Cleckley`s Sinn fehlende Ängstlichkeit als ein weiteres Zeichen emotionaler Defizite gewertet (Cleckley 1941). Die untersuchten Mädchen entsprachen aufgrund des positiven Zusammenhangs zwischen Psychopathy und suizidalem Verhalten nicht diesem Profil. Cleckley betonte, dass Personen, die primäre Züge der Psychopathy aufweisen, typischerweise immun gegen Suizidalität seien. Andere Forscher hingegegen leiteten zwei Subtypen der Psychopathy ab, den primären und den sekundären Typus. Während der primäre Typ durch niedrige Ängstlichkeit charakterisiert und die Antisozialität als fehlende Gewissenhaftigkeit interpretiert wurde (Blackburn 1975, Lynam 1998, Swogger u. Kosson 2007), wurde der sekundäre Subtyp - gekennzeichnet durch negative Affekte, Impulsivität und reaktive Aggression - als Ausdruck eines neurotischen Konflikts verstanden. Dem entsprechend zeigen die sekundären Typen mehr komorbide Psychopathologie und weniger affektive Defizite (Haapasolo u. Pulkkinen 1992). Unsere Ergebnisse können in der Form hinweisführend sein, dass die untersuchten inhaftierten Mädchen eher dem sekundären Typus entsprechen und, auch aufgrund unterschiedlicher ätiologischer Faktoren, insofern nicht mit männlicher Psychopathy vergleichbar sind. Weitere Forschung, insbesondere longitudinale, hierzu ist nötig. Limitationen: Die Suizidalität wurde retrospektiv mit Hilfe von Interviews erfasst, allerdings lagen keine Informationen über die Begleitumstände (z.B. Wunsch zu sterben oder Wunsch nach Hilfe) vor. Die internalisierende und externalisierende Psychopathologie wurde mit Hilfe eines Selbstbeurteilungsbogens erfasst. Aufgrund des Haftstatus waren Informationen von Eltern oder Lehrern nicht verfügbar. Der Effekt der Inhaftierung (Haftreaktion) könnte möglicherweise Einfluss auf die angegebene Psychopathologie gehabt haben. 34 2.3.3 ADHS bei Persönlichkeitsstörungen und Psychopathy (Studien 4 & 5) Sevecke K, Lehmkuhl G, Krischer M. ADHS und Persönlichkeitsstörungen bei klinisch behandelten und inhaftierten Jugendlichen. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 2008, 57:641-661 In dem vorliegenden Beitrag wurden die Prävalenz, die Komorbidität und Zusammenhänge von ADHS und Persönlichkeitsstörungen in einer adoleszenten Klinik im Vergleich zu einer JVA-Stichprobe untersucht. Damit sollte die bislang kaum untersuchte Fragestellung zur Komorbidität dieser beiden Störungsbilder beantwortet werden. Ältere Studien mit erwachsenen Patienten (Andrulonis u. Vogel 1984, Biederman et al. 1991) bezeichneten die Quote von ADHS bei vorliegender BPS auf 25%, eine neuere Studie fand bei Erwachsenen einer klinischen ADHS-Stichprobe einen Anteil von 37% standardisiert diagnostizierter BPS (Anckarsäter et al. 2006). Insbesondere die ADHS-Symptome der geringen Impulskontrolle und der emotionalen Labilität legen eine klinische und ätiologische Verwandtschaft mit der BPS nahe (Davids u. Gastpar 2005). In einer Langzeitstudie mit hyperaktiven Kindern (n=147; Fischer et al. 2002) entwickelten die Betroffenen im jungen Erwachsenenalter signifikant häufiger eine Borderline- (14%), eine antisoziale (21%) sowie eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung (18%) als die Kontrollgruppe, allerdings noch häufiger die Kriterien einer Major Depression (26%). Methode: Es wurden männliche Inhaftierte aus der JVA Siegburg (n = 91) sowie weibliche Inhaftierte aus der JVA Köln-Ossendorf (n = 126) im Zeitraum von 20042007 sowie eine stationäre Klinikstichprobe einer jugendlichen Inanspruchnahmepopulation einer offenen und einer geschlossenen jugendpsychiatrischen Station (n = 43) untersucht. Es wurden ein Selbstbeurteilungbogen für Hyperkinetische Störungen (SBB-HKS, Döpfner u. Lehmkuhl 2000) und die IPDE (International Personality Disorder Examination, Loranger 1999; deutsche Übersetzung, Mombour et al. 1996; ICD) als semistrukturiertes Interview zur Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 und DSM-IV und die PCL:YV verwendet (detaillierte Stichproben- und Instrumentenbeschreibung im Orginalbeitrag). 35 Ergebnisse: Die Ergebnisstabelle zur Prävalenz und Komorbidität von ADHS und Persönlichkeitsstörungen sind in der Orginalarbeit abgedruckt. Die ADHS-Prävalenz unterschied sich nicht zwischen den Probanden aus der JVA und der Klinik, jedoch zeigten signifikant mehr inhaftierte Mädchen als Jungen eine ADHS-Symptomatik. Persönlichkeitsstörungen sowie komorbide Persönlichkeitsstörungen kamen signifikant häufiger in der JVA-Stichprobe vor: Während die klinischen Jugendlichen häufiger die Kriterien für vermeidende und zwanghafte Persönlichkeitsstörungen erfüllten, wiesen die Inhaftierten signifikant häufiger eine antisoziale und/oder eine narzisstische Persönlichkeitsstörung auf. Inhaftierte Jungen zeigten häufiger als Mädchen paranoide, narzisstische und antisoziale, Mädchen dagegen häufiger BorderlinePersönlichkeitsstörungen (BPS). Die inhaftierten Jugendlichen mit BPS wiesen signifikant häufiger in ihrer Kindheit ADHS und aktuell hyperaktives Verhalten auf, diejenigen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung dagegen häufiger in ihrer Kindheit hyperaktives Verhalten. Die meisten und höchsten Korrelationen zeigten sich für beide Geschlechter zwischen ADHS und Psychopathy, außerdem zwischen BPS und hyperaktivem sowie impulsivem Verhalten. Die inhaftierten Jungen wiesen Korrelationen auf zwischen Antisozialität und ADHS sowie Impulsivität in ihrer Kindheit und die Mädchen zwischen BPS und Hyperaktivität einerseits sowie paranoider Dimensionen und ADHS andererseits. Diskussion: In der Untersuchung wurden Prävalenz, Komorbidität und Zusammenhänge von ADHS und Persönlichkeitsstörungen in einer adoleszenten Klinik- und JVA-Stichprobe untersucht. Auf der Grundlage eines Selbstbeurteilungsinstruments basierend auf ICD-10-Kriterien unterschied sich die Prävalenz der ADHS nicht signifikant zwischen der Klinik- (37%) und der JVA-Stichprobe (33%). Wie in der Literatur angegeben, erfüllten mehr Jugendliche – und zwar stichprobenunabhängig - retrospektiv die Kriterien für alle ADHS-Kernsymptome in der Kindheit im Vergleich zur aktuellen Symptomatik. In Abhängigkeit von den verwandten Messinstrumenten schwanken die Prävalenzangaben in der Literatur beträchtlich, allerdings zeigen alle Studien, dass Jungen deutlich häufiger betroffen sind (2:1 bis 4:1; Cuffe et al. 2005). In unserer Inhaftierten-Stichprobe drehte sich das Geschlechtsverhältnis um, da signifikant mehr Mädchen auf der Basis ihrer Selbsteinschätzung die Kriterien für eine aktuelle (39%) sowie eine frühere (50%) ADHS-Symptomatik im Vergleich zu den inhaftierten Jungen (aktuell: 24%; früher: 34%) erfüllten. Bei der Interpretation ist zu 36 beachten, dass es sich nicht um Diagnosen, sondern um Selbsteinschätzungen handelt, die bei den Mädchen auf einer realistischeren oder aber überhöhten Wahrnehmung basieren könnten. Als ein wesentliches und signifikantes Ergebnis der Untersuchung war festzuhalten, dass unter den inhaftierten Mädchen 26% die Vollkriterien einer BPS erfüllen versus 8% der Jungen (Geschlechtsverhältnis von ca. 3:1). Das übersteigt sowohl die Prävalenzen von BPS in klinischen Erwachsenenstichproben, die mit 8-15%, als auch das Geschlechterverhältnis, das für Frauen: Männer mit 2:1 bis 3:1 angegeben wird (Widiger u. Trull 1993, Gunderson u. Zanarini 1987). Die Prävalenzrate der BPS bei erwachsenen männlichen Strafgefangenen in Deutschland wird anhand einer älteren, empirischen Untersuchung auf mindestens 9% geschätzt (Eckert et al. 1997) und entspricht damit der von uns gefunden Rate bei männlichen Jugendlichen. In aktuellen US-amerikanischen Gefängnisstudien werden vergleichbare Prävalenzraten angegeben. So fanden Black und Mitarbeiter (2007) eine Gesamtprävalenz von 30% BPS, wobei die inhaftierten Frauen mehr als zweimal so häufig die BPS-Kriterien erfüllten. Eine andere Studie ergab 23% BPSDiagnosen bei inhaftierten Frauen und 13% bei männlichen Strafgefangenen (Trestman et al. 2007). Allerdings liegen für weibliche, insbesondere jugendliche, Strafgefangene nur wenige Untersuchungen vor, so dass die Datenlage nicht als abschließend geklärt anzusehen ist. Bekannt ist aus anderen Studien, dass Persönlichkeitsstörungen häufiger im Jugend- als im Erwachsenenalter auftreten (Cohen et al. 2005, Krischer et al. 2007b), was unsere erhöhten Prävalenzraten erklären kann. Die paranoide Persönlichkeitsstörung (Geschlechtsverhältnis (0:6), die narzisstische (1:3) und die ASPS (0,8:1) fanden sich häufiger bei den inhaftierten Jungen, was sich mit den Prävalenzangaben aus dem Erwachsenenbereich deckt (Westen et al. 2003). Auf den Zusammenhang zwischen BPS und Straffälligkeit, sowie auf die Rolle der ASPS und der BPS, insbesondere wenn es um gewalttätiges Verhalten oder die Frage der Rückfallgefahr geht, ist wiederholt hingewiesen worden (Eckert et al. 1997, Hiscoke et al. 2003, Raine 1993). Die Komorbidität unter den verschiedenen PS gilt als hoch. So erfüllt eine erwachsene Person mit einer Persönlichkeitsstörung typischerweise zusätzlich 3-6 der insgesamt 10 Persönlichkeitsstörungen des DSM-IV (Westen et al. 2003). In unserer Untersuchung hatten knapp 85% der inhaftierten Jungen eine ASPS, aber nur 20% eine komorbide zweite. Mit 48% erfüllten deutlich weniger Mädchen die Kriterien für eine ASPS, aber 25% erfüllten die Kriterien für mindestens zwei. Es konnte abgeleitet werden, dass zwar insgesamt mehr inhaftierte 37 Jungen die Kriterien für eine PS – meistens die der ASPS – erfüllten, aber mehr inhaftierte Mädchen komorbid die Kriterien für eine zweite – z.B. eine BPS – und damit mehr und andere Formen von Psycho- bzw. Persönlichkeitspathologie aufwiesen (auch Sevecke et al. 2008d). Diskutiert werden könnten in diesem Zusammenhang auch die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen ADHS und BPS, die von diversen Wissenschaftlern betont werden (Nigg et al. 2002). Seit langem ist bekannt, dass ADHS Einfluss auf die spätere Entwicklung anderer psychiatrischer Störungen hat (Fossati et al. 2002), bzw. insbesondere die Persistenz von ADHS eng mit der Persönlichkeitsstruktur verknüpft ist (Miller et al. 2008). Unsere Untersuchung zeigte, dass inhaftierte Jugendliche sowie inhaftierte Jungen mit einer ASPS signifikant häufiger hyperaktives Verhalten in ihrer Kindheit im Vergleich zu denjenigen ohne ASPS beschreiben. Dementsprechend fanden sich auch ausschließlich für die männlichen Inhaftierten mittlere Korrelationen zwischen der antisozialen PS-Dimension und ADHS sowie Impulsivität in der Kindheit. Mehr und höhere Korrelationen fanden wir jedoch für die inhaftierten Mädchen und Jungen zwischen ADHS und dem Psychopathy-Gesamtwert. Dieses Ergebnis kann zum einen Zusammenhänge abbilden, zum anderen Überschneidungen der beiden Konstrukte, da in die Erfassung des Psychopathy-Gesamtwerts auch die Bewertung von „ADHS-ähnlichen“ Items wie „Impulsivität“, „Verhaltensauffälligkeiten in der Kindheit“ und „Sensationssuche“ eingehen. Allerdings können anhand unserer Ergebnisse keine Aussagen über Korrelationen von ADHS und den so genannten „Kerndimensionen“ der Psychopathy – der interpersonale (Faktor 1) und der affektive Dimension (Faktor 2) – getroffen werden. Die Komorbidität von ADHS und ASPS war in unserer Untersuchung mit 44% (ADHS-früher) und 32% (ADHS-jetzt) für die inhaftierten Jugendlichen im Vergleich zur BPS etwas geringer. Signifikant mehr inhaftierte Jugendliche mit einer BPS erfüllten die Kriterien für eine ADHS in der Kindheit, sowie für hyperaktives und impulsives Verhalten, im Vergleich zu den inhaftierten Jugendlichen ohne BPS. Außerdem zeigten die Jugendlichen mit BPS signifikant häufiger aktuelles hyperaktives Verhalten als die Jugendlichen ohne BPS, was eine deutliche Überschneidung der beiden Störungsbilder zeigt. Einige wenige Erwachsenen-Studien beschreiben ebenso Zusammenhänge zwischen ADHS und BPS (Andrulonis et al. 1982 u. 1984, van Reekum et al. 1993). Fossati et al. (2002) schlussfolgern anhand ihrer Untersuchungen, dass ADHS ein bedeutender Risikofaktor für die Entstehung der BPS sei. Andererseits 38 scheinen nur einige der psychopathologischen Charakteristika der BPS wie Impulsivität, Wutanfälle und Gefühle der Langeweile denen der ADHS ähnlich zu sein, andere Psychopathologika wie instabile Beziehungen, affektive Instabilität und Manipulation sind nur für die BPS typisch und haben damit andere ätiologische Ursachen - die u. U. mit der ADHS interagieren könnten. Auch unter dem Aspekt der genetischen Bedingtheit zeigt sich eine auffällige Parallele von ADHS zu den Persönlichkeitsstörungen. Für ADHS konnten in Familien- und Zwillingsuntersuchungen eine starke genetische Komponente mit einer Konkordanzrate bei monozygoten Zwillingen von 6090% sowie ein polygener Erbgang nachgewiesen werden (z.B. Sherman et al. 1997). Ein besonders starker genetischer Einfluss liegt offenbar bei einer bis in das Erwachsenenalter persistierenden ADHS vor (Faraone u. Biederman 1998). Der genetische Einfluss auf PS-Merkmale kann ebenso als substanziell bezeichnet werden, 40-60% der Varianz sind genetisch bedingt (Livesley 1998). So wäre es z.B. denkbar, dass der identische Endophänotyp einer frontal bedingten Impulskontrollstörung zu den klinischen Phänotypen ADHS, ASPS und BPS einen Beitrag leisten kann. Angesichts dieser Datenlage sollten in der Zukunft die Symptome der ADHS unbedingt im Zusammenhang mit frühen Persönlichkeitsauffälligkeiten sowie anderen neuropsychologischen Variablen untersucht und vorzugsweise longitudinal verfolgt werden, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Störungsbilder besser abschätzen und damit einer gezielteren Behandlung zuführen zu können. Limitationen: Die Limitationen der Ergebnisse bestehen sowohl in der Erhebung der ADHS-Symptome durch Selbstbeurteilungsbögen, als auch in dem retrospektiven Design bezüglich der ADHS-Symptome in der Kindheit. Weiter ist die Stichprobengröße für die klinischen und die inhaftierten Jugendlichen sehr unterschiedlich. 39 Sevecke K, Kosson D, Krischer M. The relationship between Attention Deficit Hyperactivity Disorder, personality disorder and psychopathy in adolescent male detainees. Behavioral Science of Law, in press Die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten Störungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit Prävalenzraten von 3-9% in der Normalbevölkerung (Spencer et al. 2002). Vermeiren (2003) beschrieb Prävalenzen von 14-19% bei vorbestraften und 20-72% bei inhaftierten Jugendlichen, während Rösler und Mitarbeiter (2004) Prävalenzen von bis zu 45% bei jungen erwachsenen Häftlingen fanden. Die Komorbidität zwischen ADHS und dissozialen Verhaltensweisen gilt sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenalter als gut belegt. Bei Jugendlichen mit hyperkinetischer Störung beträgt der Anteil dissozialer Störungen 30-50% (Szatmari et al. 1989). In Gefängnis- und forensischen Begutachtungspopulationen mit einem hohen Anteil an ASPS wurden dementsprechend deutlich erhöhte Prävalenzraten für ADHS festgestellt (Rösler et al. 2004, Sevecke et al. 2008c u. 2009b). Es stellt sich die Frage, ob die gleichen biologischen sowie umweltbedingten Faktoren, die zu ADHS und einer Störung des Sozialverhaltens (SSV) führen, entscheidende Faktoren für die Entstehung von Psychopathy sind. Lynam (1996) beschrieb, dass die Komorbidität von ADHS & SSV eine spezifische Vulnerabilität für Psychopathy (comorbid subtype hypothesis) und damit ein erhöhtes Risiko für anhaltende Dissozialität darstellt. Er fand, dass männliche Jugendliche mit ADHS und komorbider SSV erwachsenen Straftätern mit hoher Psychopathy-Ausprägung bezüglich antisozialen Verhaltens, verändertem, emotionalen Antwortverhaltens und Beeinträchtigung der exekutiven Funktionen deutlich ähnelten (Lynam 1998). Im Gegensatz dazu argumentieren Abramowitz et al. (2004) auf Grundlage ihrer Ergebnisse, dass ADHS und SSV jeweils einen eigenen, unabhängigen Effekt bei der Ausbildung von Psychopathy haben (independent prediction hypothesis) und sich nicht addieren. Hypothesen: Die vorliegende Studie untersuchte geschlechtsspezifisch bei jugendlichen männlichen und weiblichen Straftätern sowohl jeweils den eigenen Einfluss von ADHS und SSV als auch den gemeinsamen komorbiden Einfluss Psychopathy. Es wurde erwartet, dass der Zusammenhang einer SSV mit Psychopathy deutlich stärker ist als mit ADHS, sowie dass der Zusammenhang zwischen ADHS und Psychopathy größtenteils durch die Komorbidität von ADHS & SSV zu erklären ist. Weiter 40 wurde erwartet, dass mehrheitlich Korrelationen zwischen Symptomen der SSV und Psychopathy für die Psychopathy-Verhaltensdimensionen (Lifestyle und antisozial) bestehen als für die Psychopathy-Kerndimensionen (interpersonal und affektiv). Methode: Es wurden männliche Inhaftierte aus der JVA Siegburg (n = 90) sowie weibliche Inhaftierte aus der JVA Köln-Ossendorf (n = 123) untersucht. Es wurden ein Selbstbeurteilungbogen für Hyperkinetische Störungen (SBB-HKS, Döpfner u. Lehmkuhl 2000), der sich auf die aktuelle Symptomatik bezog, verwendet. Zur retrospektiven Erfassung der Symptome einer SSV im Kindesalter wurde die IPDE (International Personality Disorder Examination, Loranger 1999; deutsche Übersetzung, Mombour et al. 1996), angewendet, wo im Rahmen des Achse-II-Interviews diese Symptomatik gemäß DSM-IV und ICD-10 erfasst wird. Zur Erfassung der Psychopathy wurde die PCL:YV eingesetzt. Für eine detaillierte Stichproben- und Instrumentenbeschreibung wird auf den Orginalartikel verwiesen. Um den Einfluss von ADHS, SSV sowie ADHS & SSV auf den PCL:YV-Gesamtwert und die PCL:YV-Dimensionen zu untersuchen, wurde eine hierarchische Regressionsanalyse für Jungen und Mädchen getrennt gerechnet. Ergebnisse: Für die Jungen zeigten die Regressionsergebnisse einen eigenen, unabhängigen Einfluss von ADHS nur auf die antisoziale Dimension der Psychopathy (siehe Tabelle 8). Der PCL:YV-Gesamtwert und die anderen Dimensionen wurden weitgehend durch Symptome der SSV erklärt. Für die Mädchen wurde ein stärkerer Einfluss von ADHS auf Psychopathy deutlich: Es zeigte sich ein eigener, unabhängiger Effekt von ADHS auf den PCL:YV-Gesamtwert, sowie auf den affektiven Faktor, den Lifestyle und den antisozialen Faktor. Für die Mädchen hatte die Komorbidität von ADHS & SSV nur auf den antisozialen Faktor einen signifikant negativen Einfluss, für die Jungen zeigte sich für die Komorbidität kein signifikantes Ergebnis. 41 Tabelle 8: Ergebnisse der hierarchischen Regressionsanalyse für Jungen & Mädchen Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 PCL:YV Gesamt ADHS SSV SSV x ADHS Interpersonal ADHS SSV SSV X ADHS Affektiv ADHS SSV SSV x ADHS Lifestyle ADHS SSV SSV x ADHS Antisozial ADHS SSV SSV x ADHS 2 ß Jungen / Mädchen gesamt R Jungen / Mädchen ,28** / ,46*** ,59*** / ,51*** -,04 / -,29 ,08 / ,21 ,40 /,44 ,40 /,45 ,12 / ,18* ,30 ** / ,18 ,05 / -,12 2 ß Jungen / Mädchen gesamt R Jungen / Mädchen SSV ADHS SSV x ADHS ,62*** / ,60*** ,12 / ,29*** -,04 /-,29 ,39 / ,37 ,40 / ,44 ,40 /,45 ,01 / ,03 ,10 / ,06 ,10 / ,06 SSV ADHS SSV x ADHS ,31 ** / ,22* ,04 / ,12 ,05 / -,12 ,10 / ,05 ,10 / ,06 ,10 / ,06 ,11 / ,28** ,51*** / ,28** ,39 / ,17 ,01 / ,08 ,25 / ,15 ,26 / ,15 SSV ADHS SSV x ADHS ,50*** / ,34*** -,03 / ,19* ,39 / ,17 ,25 / ,11 ,25 / ,15 ,26 / ,15 ,23* / ,42*** ,50*** / ,45*** ,03 / -,14 ,05 / ,18 ,28 / ,36 ,28 / ,36 SSV ADHS SSV x ADHS ,52*** / ,54*** ,10 / ,28*** ,03 / -,14 ,27 / ,29 ,28 / ,36 ,28 / ,36 ,36** / ,47*** ,55*** / ,51*** -,52 / -,62* ,13 / ,22 ,41 / ,45 ,43 / ,48 SSV ADHS SSV x ADHS ,60*** / ,61*** ,21* / ,30*** -,52 / -,62* ,37 / ,37 ,41 / ,45 ,43 / ,48 c Diskussion: Die Ergebnisse belegten einen geschlechtsspezifischen Unterschied bei der Untersuchung der Prädiktion von ADHS und SSV auf Psychopathy. Ausschließlich für die weiblichen Inhaftierten konnte ADHS als prädiktiv für die affektive Dimension und damit für einen der beiden Kernfaktoren der Psychopathy nachgewiesen werden. Weiter unterschieden sich die Mädchen von den Jungen darin, dass ADHS einen eigenen, prädiktiven Einfluss auf die Lifestyle Dimension hatte. Bei Mädchen und Jungen fand sich dahingehend das gleiche Ergebnis, dass ADHS für beide Geschlechter einen eigenen, prädiktiven Einfluss auf die antisoziale Dimension hatte. Auch bezüglich der „comorbid subtype hypothesis“ unterschieden sich Jungen und Mädchen. Die Analysen erbrachten keine Evidenz für den prädiktiven Effekt der Komorbidität von ADHS & SSV für die Jungen. Für die Mädchen hatte die Komorbidität von ADHS & SSV einen - allerdings signifikant negativen - Effekt auf die antisoziale Dimension und klärte zusätzlich 3% der Varianz auf. Mehr ADHS-Symptome hingen bei Mädchen mit geringen SSV-Symptomen mit höheren PCL:YV-Werten und mehr antisozialem Verhalten zusammen. Hingegen war ADHS für Mädchen mit vielen SSV-Symptomen nicht prädiktiv für die antisoziale PCL-Dimension. Diese Ergebnisse 42 konnten Lynams Hypothese, dass die Komorbidität von ADHS & SSV ein zusätzliches Risiko für Psychopathy darstellt, weder für Jungen noch für Mädchen stützen. Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Untersuchung war, dass eine SSV in der Kindheit, sowohl für Jungen als auch für Mädchen, den stärksten Prädiktor für Psychopathy im Jugendalter darstellt. Obwohl ADHS-Symptome bei den Mädchen einen Einfluss auf verschiedene Psychopathy-Dimensionen hatten, war dieser Effekt geringer im Vergleich zu dem Effekt der SSV. Für die interpersonale Dimension, einer der Psychopathy-Kernfaktoren, ließ sich nur ein sehr geringer prädiktiver Effekt der SSV finden, was andere Studien bestätigen (Epstein et al. 2002, Kosson et al. 2002). Dieses Ergebnis sowie andere (z. B. Loeber et al. 2002, Frick et al. 2003) lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Vorhersage der Psychopathy-Kernfaktoren im Jugendalter am besten durch das Auftreten von hartherzig-emotionslosen (callousunemotional) Zügen während der Kindheit gelingt. Ebenso betonen Piatigorsky und Hinshaw (2004), dass nur ein geringer Anteil der Kinder mit ADHS und/oder SSV, nämlich die mit hartherzig-emotionslosen Zügen, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, eine Psychopathy zu entwickeln. Limitationen: Obgleich diagnostisch empfohlen, war es in der vorliegenden Studie für die ADHS-Diagnostik nicht möglich, Informationen von Eltern und Lehrern einzuholen. Während ADHS durch Selbstbeurteilung erhoben wurde, wurden die Kriterien für die SSV und die Psychopathy im Rahmen des IPDE- bzw. PCL-Interviews erfasst. Da unter Umständen die Jugendlichen sich an mehr Details im Interview als im Fragebogen erinnern, sollte zukünftig die gleiche Methode, auch im Längsschnittdesign, verwendet werden. 43 2.3.4 Psychopathy und Aspekte der strafrechtlichen Begutachtung (Studie 6) Sevecke K, Krischer MK, Walger P, Lehmkuhl G, Flechtner H. Erfassung von Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy nach Hare bei der strafrechtlichen Begutachtung von Jugendlichen. Eine retrospektive Untersuchung zur Anwendbarkeit der Psychopathy-Checkliste als Version für Jugendliche. Der Nervenarzt 2007, 78: 522559 Ziel dieser Arbeit war es, im Rahmen der Validierung des Konzepts die retrospektive Anwendbarkeit der PCL:YV in einem Kollektiv von jugendlichen Strafrechtsgutachten zu untersuchen. Im Fokus stand der Zusammenhang zwischen Höhe des PCL:YVScores und den juristischen Fragen der Schuld-, Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Darüber hinaus sollten die Faktorenstruktur der PCL:YV sowie Testgütekriterien untersucht und mit den Ergebnissen aus der Literatur verglichen werden. Methode: Ausgangsbasis waren die Inhaltsanalysen von 52 jugendpsychiatrischen Strafrechtsgutachten, die in der Zeit von 1998 bis 2004 an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität Köln erstellt wurden und in denen zur Schuldfähigkeit gemäß §§ 20 und 21 StGB Stellung genommen wurde. Die PCL:YV wurde retrospektiv von der Referentin auf der Grundlage der erhobenen gutachterlichen Befunde ausgewertet. Zusätzlich wurden soziobiografische, anamnestische und delikttypische Daten erfasst. Der Altersdurchschnitt lag bei 17,6 (+/- 2,3) Jahren. Die relativen Häufigkeiten der in den Gutachten zu beurteilenden Delikte – es wurde jeweils das strafrechtlich schwerstwiegende gewertet verteilten sich wie folgt: Sexualstraftaten (30,8%), Raub (25%), Körperverletzung (17,3%), Diebstahl (11,5%), versuchter Mord (7,7%) und nicht-gewalttätige Delikte wie illegaler Drogenhandel, Betrug und Brandstiftung (7,6%). In 10 Fällen wurde für eine verminderte und in 5 Fällen eine aufgehobene Schuldfähigkeit votiert. Die statistische Datenauswertung beinhaltete die Korrelationen der Daten untereinander mit Hilfe des Chi-Quadrat-Tests sowie eine Faktoren- und Reliabilitätsanalyse der PCL:YV-Items, um die Reproduzierbarkeit der in der Literatur beschriebenen Faktorenmodelle und die innere Konsistenz der Items zu überprüfen. Ergebnisse: Die retrospektive Auswertung der PCL:YV ergab einen in der Literatur als niedrig beschriebenen Gesamtwert von 10,4 Punkten (SD = 6,6), wobei die Werte 44 zwischen 23 und 1 Punkt lagen. Die Stichprobe wurde anhand des Gesamtwerts in eine Gruppe mit niedrigem (< 10 Punkten (n=25)) und eine Gruppe mit mittelmäßig hohen Summenwerten (> 10 Punkte (n=27)) eingeteilt. Es fanden sich im Vergleich der beiden Gruppen einige z. T. hochsignifikante Unterschiede (Tabelle 9). Es zeigten sich keine deliktspezifischen und strafrechtlichen Gruppenunterschiede, da sich weder die Delikte noch die forensischen Schlussfolgerungen bezüglich der §§ 20 und 21 unterschieden. Faktorenanalytisch ließen sich für die 20 Items der PCL:YV mit der Hauptkomponentenanalyse als Extraktions- und der Varimax-Methode als Rotation 3 übergeordnete Faktoren extrahieren. Die 3-Faktorenlösung klärte 51% der Varianz auf; 29,5% fiel auf den 1. Faktor, 12,6% auf den 2. Faktor und 8,7% auf den 3. Faktor. Die Reliabilitätsanalyse der Gesamtskala ergab ein Cronbach`s Alpha von 0,73. Dies wurde durch die Reliabilitätsanalysen der 3 extrahierten Faktoren unterstützt: Für den Faktor 1 ergab sich ein Cronbach`s Alpha von 0,80, für den Faktor 2 ein Cronbach`s Alpha von 0,76 und für den Faktor 3 ein Cronbach`s Alpha von 0,53, nach Weglassen des Items 1 jedoch ein Cronbach’s Alpha von 0,75. Die Gütekriterien der Items der 3 Faktoren waren zufrieden stellend, wobei das Item 5 „Manipulatives Verhalten“ eine geringere Trennschärfe aufwies. Tabelle 9: Vergleich der Gruppe mit niedrigen vs. mittelmäßig hohen PCL:YVGesamtwerten Gruppe mit niedrigen Summenwerten (PCL:YV < 10) Gruppe mit mittelmäßig hohen Summenwerten (PCL:YV >10) Chi-Quadrat-Test zur Tat im Heim n=2 n = 11 0,006 frühere Delikte n=9 n = 20 0,006 Jugendamtkontakte n=8 n = 18 0,012 wohnt zur Tat bei beiden Elternteilen n = 14 n=7 0,027 §21 n=4 n=6 0,297 §20 n=3 n=2 0,546 Suchtmittel zur Tat n = 10 n = 11 0,957 mittleres Alter zur Tatzeit 18,1 Jahre 17,0 Jahre 0,09* *(t-Test), p 45 Diskussion: Die eigenen Ergebnisse wurden vor dem Hintergrund der Literatur diskutiert. Der niedrige PCL:YV-Summenwert ließ sich durch das fehlende spezifische PCL-Interview und die dadurch fehlende Beurteilung der dynamischen Gesprächsaspekte (wie z.B. Selbstdarstellung (Item 1), übersteigertes Selbstwertgefühl (Item 2) und manipulatives Verhalten (Item 5)), aber auch durch die fehlende Exploration spezifischer Persönlichkeitsmerkmale der Psychopathy (pathologisches Lügen (Item 4), parasitärer Lebensstil (Item 9)) erklären. Insgesamt bestätigte sich im Rahmen einer Validierung für das Jugendalter der vorbeschriebene Zusammenhang zwischen Psychopathy-Dimensionen und deliktspezifischen, soziobiografischen und anamnestischen Daten. Ein empirischer Zusammenhang zwischen Psychopathy und reduzierter bzw. aufgehobener Schuld-, Einsichts- und Steuerungsfähigkeit für jugendliche Straftäter bestand nicht, was sich mit den Ergebnissen aus der Erwachsenenliteratur deckte. Anhand der Kriterien für die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit wurde theoretisch eine Einordnung der Psychopathy als Subtyp der Persönlichkeitsstörungen in die Begrifflichkeiten der juristischen Schuldfähigkeitsparagrafen vorgenommen. Demzufolge konnte abgeleitet werden, dass die Psychopathy nicht aufgrund neurobiologischer Befunde per se mit dem juristischen Eingangskriterium der „anderen schweren Abartigkeit“ gleichgesetzt werden kann, sondern die strafrechtliche Einordnung individuell vor dem Hintergrund der jeweiligen Psychopathologie erfolgen muss. Es bleibt abzuwarten, ob sich die PCL:YV - ähnlich wie die PCL-R - als Erfassungsinstrument prognoserelevanter Merkmale bzw. zur Prädiktion zukünftigen straffälligen Verhaltens bei Jugendlichen im deutschsprachigen Raum durchsetzen wird. Bislang fehlt es hierzu jedoch zum einen an Längsschnittuntersuchungen, die die Stabilität der Psychopathy-Dimensionen vom Jugend- ins Erwachsenenalter eruieren, zum anderen an Validierungsstudien, insbesondere mit delinquenten Mädchen, die überhaupt erst einmal die prognostischen Gütekriterien der PCL:YV untersuchen. 46 2.3.5 Temperamentsdimensionen und Psychopathy (Studie 7) Sevecke K, Lehmkuhl G, Krischer MK. Psychopathy, Temperament und antisoziales Verhalten bei Mädchen. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, in press Psychopathy wurde bisher primär bei Männern und Jungen identifiziert (Hare 2003, Forth et al. 2003, Nicholls et al. 2005). Von Beginn an umfasste die klinische Beschreibung auch einige weibliche Fallbeispiele (z.B. Cleckley 1941, Pinel 1801), jedoch mangelt es nach Ansicht heutiger Forscher an theoretischen (Fourouzan u. Cooke 2005) und empirischen Kenntnissen zu Psychopathy bei Frauen (Nicholls et al. 2005, Verona u. Vitale 2006). Obwohl die Psychopathy seit einigen Jahren als reliables Konstrukt für Jugendliche beiden Geschlechts angesehen wird (z.B. Forth et al. 2003), fehlt es bisher noch weitgehend an empirischem Wissen zur Psychopathy bei Mädchen (Odgers et al. 2005a). Da für Persönlichkeitspathologie (Skeem et al. 2005), die antisoziale Persönlichkeitsstörung (ASPS) und die Borderline- Persönlichkeitsstörung (BPS, Widiger u. Spitzer 1991, Kessler et al. 1994) Geschlechtsunterschiede bezüglich Symptomatologie, Prävalenz und Ätiologie seit langem als bewiesen gelten, stellen Fourouzan und Cooke (2005) sowie Nicholls et al. (2008) die Frage, ob auch Psychopathy – hier insbesondere die Kernfaktoren interpersonalaffektiver Persönlichkeitsdimensionen - sich geschlechtsspezifisch manifestieren. Obwohl Cleckley (1941) „das Fehlen von Nervosität und psychoneurotischer Manifestation“ als Kerncharakteristikum des männlichen Psychopath beschrieb, konnten für antisoziale Frauen Zusammenhänge mit Depression (Rutherford et al. 1996) und für inhaftierte Mädchen mit erhöhtem internalisierendem und suizidalem Verhalten (Sevecke et al. 2009a) bei gleichzeitig hoch ausgeprägter Psychopathy nachgewiesen werden. Solche Ergebnisse werfen die Frage auf, ob Psychopathy bei Frauen etwas Ähnliches misst wie bei Männern, oder ob es sich möglicherweise um ein für das weibliche Geschlecht nicht hinreichend valides Konstrukt handelt. Hypothesen: Legt man die theoretische Annahme - Temperamentsdimensionen sind stabile Persönlichkeitseigenschaften - zugrunde, müssten sich Temperaments- und Charakterunterschiede zwischen antisozialen Mädchen mit und ohne Psychopathy sowie zwischen den verschiedenen Psychopathy-Dimensionen finden lassen. Insbesondere werden Temperaments- und Charakterunterschiede für Mädchen mit hohen 47 Psychopathy-Kernwerten (interpersonal-affektive Dimensionen) angenommen. In dieser Form zielte die vorliegende Untersuchung darauf ab, die Validität des Psychopathy-Konstruktes bei Mädchen anhand der Ausprägung von Temperaments- und Charakterkonstellationen zu überprüfen. Methode: Es wurden in der vorliegenden Studie weibliche inhaftierte Jugendliche (n = 170) mit hoch ausgeprägten Psychopathy-Dimensionen untersucht. Die PCL:YV wurde zur Erfassung der Psychopathy sowie das Junior Temperament und Charakter Inventar (JTCI, Goth, 2001, Cloninger et al. 1994) als Selbstbeschreibung von Temperament und Charakter verwendet. Die Mädchen wurden anhand ihrer Faktorenwerte in vier Gruppen eingeteilt (siehe Abb. 2): Kerngruppe: n = 12 (7,05%, eigentliche „Psychopaths“ mit hohen Werten in den Kernfaktoren interpersonal-affektiv), Lifestyle-Gruppe: n = 12 (7,05%, ausschließlich hohe Werte in der Psychopathy-LifestyleDimension), Lifestyle/Antisoziale-Gruppe: n = 18 (10,6%, ausschließlich hohe Werte in den Psychopathy-Verhaltensdimensionen Lifestyle und Antisozial) sowie Gruppe ohne Psychopathy (n = 128 (75,3%)). Als Kontrollstichprobe wurden weibliche Jugendliche aus der Validierungstudie von Goth (2001) gewählt. Für die genaue Stichproben- sowie die Instrumentenbeschreibung wird auf den Orginalartikel verwiesen. Statistisch wurden Unterschiede in den JTCI-Dimensionen der vier Gruppen mittels Varianzanalysen (ANOVA) berechnet, wobei die Gruppen den Zwischensubjektfaktor darstellten. Das Alter wurde als Kovariate miteinbezogen. Der Vergleich zwischen den Stichprobenmittelwerten der einzelnen Gruppen und im Unterschied zur Norm wurde mittels T-Test vorgenommen. Abbildung 2: Psychopathy-Faktorenwerte der vier Gruppen 30 25 20 15 10 5 0 keine Psychopathy Lifestyle/Antisoz ial Lifestyle Kerngruppe Antisozialer Faktor Lifestyle Faktor Affektiver Faktor Interpersonelle r Faktor 48 Ergebnisse: Die Ergebnisse sind in Tabelle 10 dargestellt. Tabelle 10: JTCI-Dimensionen der vier Gruppen (M (SD)) im Vergleich zu den Normwerten Norm 21,5 19 19 14,6 27 29 19 JTCIDimensionen Neugierverhalten Schadensvermeidung Belohnungsabhängigkeit Beharrungsvermögen Selbstlenkungsfähigkeit Kooperativität Selbsttranszendenz ohne Psychopathy Kerngruppe 24,8 (7,5) 19,2 (7,1) 17,3 (4,2) 13,7 (3,9) 24,8 (7,9) 32,6 (7,8) 15,2 (8,4) 14,2 (2,9) 13,5 (4,3) 27,6 (8,6) 27,7 (6,3) 20,0 (5,6) 21,0 (7,5) 14,7 (5,9) LifestyleGruppe 27,1 (7,9) 16,7 (6,9) 15,4 (3,9) 14,4 (3,4) 26,1 (4,6) 25,7 (8,1) 16,5 (8,0) Lifstyle/AntisozialeGruppe 31,1 (4,7) 17,6 (9,4) 13,2 (4,4) 11,8 (4,9) 24,2 (5,2) F (p) 6,11 (,001) 1,25 (ns) 6,55 (<,001) 0,76 (ns) 0,72 (ns) Einfluss Kovariate Alter F (p) ,73 (ns) ,03 (ns) 1,0 (ns) 4,08 (,045) ,43 (ns) 20,1 (7,6) 14,5 (6,5) 8,26 (<,001) 6,56 (<,001) 1,45 (ns) ,22 (ns) Diskussion: Im Zusammenschluss lag bei 3/4 der untersuchten jugendlichen Straftäterinnen keine Psychopathy vor. Der Anteil derjenigen mit Psychopathy- Kerndimensionen betrug nur 7%. Es ist besonders zu betonen, dass es anhand des PCL:YV-Gesamtwerts nicht möglich war, zwischen der Kerngruppe (PCL:YVGesamtwert von 29) und der Lifestyle/Antisozialen-Gruppe (PCL:YV-Gesamtwert von 27) zu differenzieren. Damit wird deutlich, dass durch einen hohen PCL:YVGesamtwert aufgrund von hohen Werten der Psychopathy-Verhaltensfaktoren Lifestyle und Antisozial – welche eine extreme Antisozialität, aber keine Anteile der Psychopathy-Kernpersönlichkeit abbilden – scheinbar weniger die Kernpersönlichkeit, als vielmehr schweres antisoziales Verhalten, widergespiegelt wird. Mit Hilfe des Persönlichkeitsmodells von Cloninger konnten in Bezug auf die Psychopathy zentrale Aspekte erfasst werden, was sich in den Unterschieden der Dimensionen Neugierverhalten, Belohnungsabhängigkeit, Kooperativität und Selbsttranszendenz zwischen den drei Psychopathy-Gruppen und der Gruppe ohne Psychopathy niederschlug. Damit dienten die vorliegenden Resultate einer Validierung des Psychopathy-Konstruktes für Mädchen, indem sie die Unterscheidung zwischen den Kernsymptomen und den eher verhaltensbezogenen Erscheinungen der Psychopathy anhand entsprechender Temperamentsunterschiede teilweise belegten. Allerdings gelang es mit dem Temperamentskonzept nicht, spezifische Zusammenhänge 49 zwischen den Psychopathy-Dimensionen, ausgedrückt durch die drei PsychopathyGruppen, herzustellen. Gründe hierfür könnten z.B. in der kleinen Gruppengröße liegen. Ein weiterer Grund könnte darin bestehen, dass das Instrument durch den starken Fokus auf antisoziale Verhaltensauffälligkeiten nicht hinreichend zwischen einer Kerngruppe von Psychopathy und aus anderen Gründen antisozial-delinquenten Mädchen unterscheiden kann. In der forensischen Praxis ist deswegen eine unkritische Ableitung von möglichen Folgen oder Sanktionen auf der Basis eines hohen PCL:YV-Gesamtwerts nicht gerechtfertigt und bringt die Möglichkeit eines Missbrauchs des Instruments mit sich. Zur Überprüfung der Relevanz dieser Ergebnisse sind zum einen Untersuchungen an größeren Stichproben, zum anderen im Vergleich zu männlichen Jungendlichen notwendig. Limitationen: Die Grenzen der Arbeit sind zum einen in ihrem Querschnittdesign begründet, zum anderen in ihrer geringen Probandenzahl der Psychopathy-Gruppen. Annahmen Cloningers et al. (1993), die sich auf eine zeitliche Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen beziehen, können nicht überprüft werden. Dafür sind Längsschnittstudien, wie sie im Rahmen unserer Kölner GAP-Studie vorgesehen sind, sowie prospektive Studien nötig. 50 Teil 3: Diskussion 3.1 Integration der Ergebnisse In den verschiedenen empirischen Studien (2.3.1-2.3.5) wurde die PsychopathyCheckliste für Jugendliche an inhaftierten Jungen und Mädchen sowie Schülern evaluiert. Sowohl die Übersichtsarbeiten (2.2.1 und 2.2.2), als auch die eigenen empirischen Ergebnisse belegen den Nutzen des Psychopathy-Konzepts im Jugendalter, zeigen allerdings auch Forschungslücken auf, die zur Vorsicht in der praktischklinischen Anwendung anhalten. Aus den vorliegenden Arbeiten können folgende Erkenntnisse integriert werden: Jugendliche mit Persönlichkeitseigenschaften der Psychopathy stellen eine kleine und – abhängig von der Ausprägung der verschiedenen Psychopathy-Dimensionen in sich sehr heterogene Schnittmenge der antisozialen Jugendlichen dar. So lag gemäß einer engen Definition von Psychopathy mit hoher Ausprägung der beiden Kernfaktoren (interpersonale und affektive Dimension) nur bei 7% der untersuchten inhaftierten Mädchen eine „echte“ Psychopathy vor (Studie 7). Diese empathielose und affektarme Kerngruppe wies interessanterweise einen ähnlich hohen PCL:YVGesamtwert auf wie die Gruppe, die hohe Ausprägungen der PsychopathyVerhaltensdimensionen (Lifestyle und antisoziale Dimension) hatte, das hieß, der PCL:YV-Gesamtwert konnte nicht zwischen diesen beiden differenzieren. Für die letztgenannte Gruppe spiegelte der hohe Gesamtwert extrem antisoziales Verhalten wieder, ohne dass dabei die Kerncharakteristika der Psychopathy erfüllt waren. Schweres antisoziales Verhalten kann demnach zu einem hohen Gesamtwert führen, ohne dass die Kerndimensionen mit interpersonalen und affektiven Defiziten hoch ausgeprägt sein müssen. Damit wird zum einen deutlich, dass die differenzierte Bewertung der einzelnen Faktoren für die Interpretation des PCL:YV-Wertes von entscheidender Bedeutung ist. Anhand dieser Erkenntnis wird dem 3-Faktorenmodell von Cooke und Michie (2001), was aus der selbigen Überzeugung bei Erwachsenen den antisozialen Faktor ausschließt, der Vorzug gegeben. An die Arbeiten von Cooke und Michie anknüpfend ist auf Basis der eigenen Resultate sogar zu diskutieren, ob sich die Erfassung von Psychopathy im Jugendalter nicht zukünftig ausschließlich auf das Vorhandensein und die Ausprägung der beiden Kernfaktoren, der interpersonalen und der affektiven Persönlichkeitsdimensionen, beschränken sollte. 51 Zum anderen exemplifiziert jener gleich hohe PCL-Wert der beiden oben genannten, heterogenen Gruppen, dass ein cut-off-Punktwert im Sinne einer kategorialen Diagnostik, wie aus dem Erwachsenenbereich bekannt (Hare 2003), aufgrund der auch von anderen Autoren (Blackburn et al. 2008) beschriebenen Heterogenität des Psychopathy-Konzepts im Jugendalter nicht sinnvoll erscheint. Mit Hilfe der Untersuchungen zur retrospektiven Anwendbarkeit (2.3.4) sowie der zur Überschneidung mit dem Temperamentskonzept (2.3.5) wurde eine Außenvalidierung der PCL:YV vorgenommen. Die Ergebnisse zur retrospektiven Anwendbarkeit der Checkliste auf Gutachtenbasis ohne Durchführung des PCL-Interviews deckten sich zwar einerseits mit der Literatur und dienen damit der Validität. Andererseits bestätigen die Resultate, dass einige Items, insbesondere die der interpersonalaffektiven Dimensionen, ausschließlich mit Hilfe des spezifischen PCL-Interviews erfasst werden können. Aufgrund der geringen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Validität des Psychopathy-Konzepts bei Mädchen (Odgers et al. 2005b) wurde mit Hilfe des Temperamentskonzepts von Cloninger eine Außenvalidierung für inhaftierte Mädchen vorgenommen. Es sollte mit dieser Studie (2.3.5) die grundsätzliche Anwendbarkeit bei Mädchen überprüft werden. Die theoretische Annahme, dass sich Temperamentsund Charakterunterschiede zwischen antisozialen Mädchen mit und ohne Psychopathy finden lassen, wurde bestätigt. Es zeigten sich entsprechende Unterschiede in den Dimensionen Neugierverhalten, Belohnungsabhängigkeit, Kooperativität und Selbsttranszendenz, womit zentrale Aspekte des Psychopathy-Konzepts erfasst wurden. Die Mädchen mit hohen Psychopathy-Kernwerten wiesen überdurchschnittlich starkes Neugierverhalten und unterdurchschnittlich niedrige Belohnungsabhängigkeit auf. Damit dienten diese Resultate einer Validierung des Psychopathy-Konstruktes für Mädchen. Andere Temperamentsdimensionen, wie niedrige Schadensvermeidung und niedriges Beharrungsvermögen, erwiesen sich als nicht „Psychopathyspezifisch“, sondern hingen, wie schon früher beschrieben (Schmeck u. Poustka 2001), generell mit antisozialem Verhalten zusammen. Die Untersuchung zur Faktorenstruktur (2.3.1) bestätigte auch auf psychometrischer Ebene die Annahme von Cooke und Michie (1997 u. 2001), indem sich das 3Faktorenmodell sowohl für die inhaftierten Jungen, als auch für die Schüler als das statistisch beste Modell erwies. Interessanterweise zeigte keins der verschiedenen Faktorenmodelle weder für inhaftierte Mädchen noch für Schülerinnen statistisch 52 ausreichende Fitwerte - allerdings hatte wiederum das 3-Faktorenmodell vergleichsweise die besten Werte. Unsere Ergebnisse lassen rückschließen, dass die Faktorenmodelle psychometrisch für Jungen und Mädchen, wie auch für Männer und Frauen (Salekin et al. 1997, Bolt et al. 2004) nicht gleich sind, was als ein Hinweis auf geschlechtsspezifische Unterschiedlichkeit der Psychopathy interpretiert werden kann. Ebenso wiesen die Studien zur Komorbidität (2.3.2 & 2.3.3) Geschlechtsspezifika nach. Die inhaftierten Jungen zeigten signifikant höhere Ausprägungen in den Psychopathy-Kern-, als auch in den Verhaltensdimensionen, während Zusammenhänge zwischen internalisierender Psychopathologie und Psychopathy nur für die inhaftierten Mädchen nachgewiesen werden konnten. Im Gegensatz zu den Mädchen erwies sich für die Jungen externalisierende Psychopathologie als prädiktiv für Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy. Im Detail ließen sich für die Jungen aggressiv-externalisierende und negativ ängstlichdepressive Verhaltensweisen als prädiktiv für den Psychopathy-Gesamtwert und die affektive Kerndimension eruieren. Bei Mädchen hingegen hatte suizidales Verhalten einen prädiktiven Einfluss auf den Psychopathy-Gesamtwert, auf die affektive Kerndimension sowie auf beide Verhaltensdimensionen. Diese Erkenntnisse decken sich mit der Literatur (Brinkley et al. 2004, Skeem et al. 2007, Zuckermann 1995) und sind erneut Hinweise auf geschlechtsdivergente Faktoren. Unsere Ergebnisse (Studie 4) konnten geschlechtsspezifische Unterschiede für die Prävalenzen der Persönlichkeitsstörungen und der komorbiden Psychopathologie nachweisen. Die Kriterien für eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung erfüllten 85% der inhaftierten Jungen im Vergleich zu 48% der Mädchen. Allerdings erfüllten die Mädchen signifikant häufiger die Kriterien für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie für eine komorbide zweite Persönlichkeitsstörung. Die inhaftierten Jungen mit Antisozialer Persönlichkeitsstörung zeigten signifikant häufiger hyperaktives Verhalten in ihrer Kindheit im Vergleich zu denjenigen ohne Antisoziale Persönlichkeitsstörung. Einige Forscher haben wiederholt den Zusammenhang zwischen ADHS und Psychopathy nachgewiesen (Lynam 1996 u. 1998, Abramowitz et al. 2004). Allerdings wird nach wie vor diskutiert, ob ADHS in Kombination mit einer Störung des Sozialverhaltens eine spezifische, auditive Vulnerabilität in Hinblick auf die Manifestation von Psychopathy oder ob ADHS, neben anderen Faktoren wie Traumata oder 53 einer Störung des Sozialverhaltens, einen eigenen unabhängigen Effekt auf die Ausbildung von Psychopathy haben. Einen empirischen Beitrag hierzu lieferte Studie 5 (2.3.3). Der stärkste Prädiktor für Psychopathy war, sowohl für Jungen als auch für Mädchen, eine Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit. Während bei den inhaftierten Jungen in Bezug auf ADHS nur ein eigener, unabhängiger Einfluss auf die antisoziale Dimension – und nicht auf die Kerndimensionen – nachgewiesen werden konnte, zeigte sich für die inhaftierten Mädchen ein stärkerer Einfluss von ADHS mit einem Effekt auf den Gesamtwert, die affektive Kerndimension und die beiden Verhaltensdimensionen. Für die Komorbidität von ADHS und einer Störung des Sozialverhaltens wurde ein – allerdings negativer - Einfluss auf den antisozialen Faktor bei den Mädchen gefunden. Diese Ergebnisse stützen somit nicht die Hypothese von Lynam (1998), dass das komorbide Auftreten von ADHS mit einer Störung des Sozialverhaltens ein zusätzliches, additives Risiko für die Entstehung der Psychopathy darstellt. Zusammengefasst bestätigen unsere Ergebnisse, dass ADHS als möglicher ätiologischer Faktor bei den Jungen nur für die Antisozialität eine Rolle spielt, aber als Einflußfaktor auf die affektive Kerndimension der Mädchen von Bedeutung ist, was erneut auf geschlechtsspezifische Unterschiede hinweist. Die Literatur gibt für Erwachsene zwei verschiedene Subtypen der Psychopathy an. Bei gleicher phänotypischer Ausprägung führen demnach unterschiedliche ätiologische Faktoren bei Männern zu dem eher genetisch bedingten primären Subtypus, während durch zugrunde liegende Psychopathologie bei Frauen der sekundäre Subtypus entsteht (Lykken 1995, Porter 1996, Zuckermann 1995). Der tabellarische Überblick (siehe Tabelle 11) soll die bislang wenigen Ergebnisse zu den beiden Subtypen aufzeigen und verweist auf die Heterogenität des Psychopathy-Konzepts. Auch andere Wissenschaftler verweisen auf die Verschiedenartigkeit von Psychopathy bei Mädchen und Frauen im Unterschied zu Jungen und Männern (Odgers et al. 2005a u. 2005b, Salekin et al. 1998). Die eigenen empirischen Resultate bezüglich der Unterschiedlichkeit der Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy von Jungen und Mädchen fügen sich in diese Diskussion ein. 54 Tabelle 11: Literaturergebnisse zum primären und sekundären PsychopathySubtyp Primärer Typ Karpmann 1946,1948; Lykken 1995; Zuckermann 1995: • Egoistische, ungehemmte instinktive Neigungen • Wahrscheinlich anlagebedingt fehlendes Gewissen oder Schuldbewusstsein • Nicht therapierbar Fundamentale Psychopathy (Porter 1996): • Genetisch determinierte Unfähigkeit, zwischenmenschliche Bindungen einzugehen • Empathiemangel und fehlendes Gewissen Newman et al. 2005: • niedriges BIS (Behavior inhibition system) • normales BAS (Behavior activation system) Brinkley et al. 2004: • Niedrige Ängstlichkeit Hicks et al. 2004: • Emotional stabil Sekundärer Typ Karpmann 1946,1948; Lykken 1995; Zuckermann 1995: • Begründet in der zugrunde liegenden Psychopathologie oder einem neurotischen Konflikt • Potentiell therapierbar Sekundäre Psychopathy (Porter 1996): • gleiche Auffälligkeiten, aber resultierend aus frühen traumatischen Missbrauchserfahrungen Newman et al. 2005: • Starkes BAS • Normales BIS Brinkley et al. 2004: • Hohe Ängstlichkeit Hicks et al. 2004: • Aggressiver (mehr Kämpfe) • Niedrigerer IQ, weniger sozialisiert • ängstlicher Skeem et al. 2007 Skeem et al. 2007: • niedrige Ängstlichkeit (trait) • mehr BPS (Selbstbeurteilung) • höhere Werte für interpersonale und • mehr psychische Krankheiten affektive Dimension • mehr Reizbarkeit + sozialer Rückzug • niedrigere Werte für den antisozialen Faktor • geringes Selbstbewusstsein 55 3.2 Methodische Aspekte Limitationen bestehen zum Teil in der Stichprobengröße der jeweiligen Studien, insbesondere für die Untersuchung der Fitwerte. Die Angaben zur komorbiden Symptomatik beruhen zum Teil auf Selbstbeurteilungsbögen und sollten perspektivisch durch diagnostische Interviews sowie Fremdbeurteilung überprüft werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten zusätzlich in anderen Hochrisikopopulationen, wie androgenabhängigen Jugendliche, Jugendlichen aus Heimen oder der Bewährungshilfe überprüft werden. Es fehlt an Vergleichen verschiedener Erhebungsinstrumente der Psychopathy, wie z.B. dem YPI als Selbstbeurteilungsbogen (Andershed et al. 2002) und der PCL:YV als Interview. Aufgrund des Designs der Studien konnten nur querschnittliche Erkenntnisse gewonnen werden. 3.3 Ausblick Der Aspekt des Labelings bzw. der Stigmatisierung, bei Jugendlichen Persönlichkeitseigenschaften im Sinn der Psychopathy zu beschreiben, muss bedacht werden. Trotzdem erscheint es hilfreicher, mit Hilfe reliabler, wissenschaftlich fundierter Instrumente - wie der PCL:YV – die Kernpersönlichkeitsdimensionen diagnostisch präzise zu erfassen. Es scheint geschlechtsspezifische, möglicherweise ätiologische Unterschiede der verschiedenen Psychopathy-Dimensionen – insbesondere der Kernfaktoren - zu geben. Jungen scheinen dem Profil vom männlichen Erwachsenen und damit dem primären Typ zu ähneln, während Mädchen nicht dieses Profil zeigen. Mädchen mit hohen Psychopathy-Werten passen eher in die Kategorie der sog. „sekundären Psychopathy“ und sind damit nicht mit Jungen vergleichbar. Insbesondere zu geschlechtsspezifischen ätiologischen Faktoren ist hier weitere Forschung, auch neuropsychologischer und bildgebender Art, nötig. Die vorliegenden Resultate können für eine gezielte Entwicklung spezifischer Behandlungsansätze genutzt werden, die die verschiedenartige Ätiologie im Sinne der Subtypen mitberücksichtigen. Die Behandlungsansätze sollten theoretisch entwickelt und empirisch an dissozialen Jugendlichen überprüft werden. So besteht nach Marshall und Cooke (1999) eine praktische Relevanz des Psychopathy-Konzepts darin, durch gezielte Interventionen die Entwicklung einer späteren Psychopathy bei durch 56 familiäre und soziale Risikofaktoren gefährdeten Kindern und Jugendlichen aufzuhalten oder zu beeinflussen Es sollte perspektivisch ein Fokus auf empirische Untersuchungen zur Stabilität der Psychopathy gelegt werden. Wünschenswert wären hier longitudinale Studien, die hartherzig-emotionslose Züge bei Kindern in das Jugend- und Erwachsenenalter verfolgen. Insbesondere die Kerndimensionen der Psychopathy scheinen bei männlichen Jugendlichen bedeutungsvolle Informationen über das Langzeitrisiko für Gewalttaten – in Form von deutlich mehr und schwererwiegenden Taten - geben zu können (Forth et al. 2003). Für Mädchen stehen bislang derartige prognostische Erkenntnisse aus. Entsprechende Daten sowohl zur Dunkel- als auch zur Hellfelddelinquenz werden momentan von unserer Arbeitsgruppe erhoben. 57 Teil 4: Zusammenfassung Die vorliegende Habilitationsschrift hat sich mit den Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy bei Jugendlichen beschäftigt. Vor dem Hintergrund der vielfältigen usamerikanischen und kanadischen Forschungsergebnisse zu Psychopathy im Erwachsenenalter und den zahlenmäßig deutlich geringeren Erkenntnissen zu Psychopathy im Jugendalter wurde der Fokus der eigenen empirischen Arbeiten auf die Evaluation der Psychopathy Checkliste für Jugendliche (PCL:YV) gelegt. Die PCL:YV wurde in einer inhaftierten adoleszenten Hochrisiko- sowie in einer Schulstichprobe und retrospektiv an einem Strafrechtsgutachtenkollektiv angewendet. Die Validität der Checkliste sollte empirisch überprüft sowie phänotypische Ausprägungen und komorbide Symptomatik der Psychopathy untersucht werden. Ein wesentlicher Schwerpunkt lag hierbei auf der Vergleichbarkeit des Konzepts für Jungen versus Mädchen. Die empirischen Resultate fügten sich in die Literatur in der Form ein, dass auch für Jugendliche divergente Psychopathy- Subtypen abgeleitet werden konnten. Zusammenfassend können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: 1. Die Überprüfung der Faktorenstruktur der PCL:YV an einer inhaftierten und einer Schülerstichprobe wies das 3-Faktorenmodell für die Jungen als das Modell mit den besten statistischen Werten aus. Keins der Faktorenmodelle zeigte für die untersuchten Mädchen akzeptable Fitwerte, wenngleich das 3Faktorenmodell erneut vergleichsweise das Beste war. Die Ergebnisse lassen rückschließen, dass auf psychometrischer Ebene die Faktorenmodelle für Jungen und Mädchen nicht gleich sind. 2. In der inhaftierten Hochrisikopopulation Jugendlicher zeigten sich erwartbare Geschlechtsunterschiede in den Ausprägungen der Persönlichkeitsdimensionen der Psychopathy, gemessen mit der PCL:YV. Die inhaftierten Jungen zeigten signifikant höhere Ausprägungen in den Psychopathy-Kern- und Verhaltensdimensionen sowie im Gesamtwert als die inhaftierten Mädchen. Außerdem konnte bestätigt werden, dass inhaftierte Jugendliche signifikant höhere Werte in den Psychopathy-Dimensionen aufwiesen als die untersuchte Schulkontrollkohorte. 3. Verwendete man eine enge Psychopathy-Definition mit hoher Ausprägung der beiden Kernfaktoren (interpersonale und affektive Defizite), so lag der Anteil derjenigen, welche die Kernsymptome der Psychopathy erfüllten, bei nur 7% 58 der untersuchten delinquenten Mädchen. Da schweres antisoziales Verhalten zu einem hohen PCL-Gesamtwert führen konnte, ohne dass die Kernpersönlichkeitsdimensionen der Psychopathy erfüllt sind, sollte perspektivisch diskutiert werden, ob sich die Erfassung von Psychopathy im Jugendalter nicht zukünftig ausschließlich auf die Erfassung der interpersonalen und affektiven Kerndimensionen beschränkten sollte. 4. Die Untersuchung zur Validität des Psychopathy-Konzepts bei inhaftierten Mädchen ergab Unterschiede in den Temperamentsdimensionen Neugierverhalten, Belohnungsabhängigkeit, Kooperativität und Selbsttranszendenz zwischen den antisozialen Mädchen mit und ohne Psychopathy und führte zu der Schlussfolgerung, dass Psychopathy auch bei Mädchen valide erfasst werden kann. Auch die Untersuchung zur retrospektiven Anwendbarkeit der Checkliste an einem Gutachtenkollektiv delinquenter Jugendlicher trug zur Validierung der PCL:YV bei. 5. Unsere Studien zur Komorbidität wiesen zum einen für die Jungen externalisierende Psychopathologie und für die Mädchen suizidales Verhalten als prädiktiv für Psychopathy nach. Zum anderen konnte belegt werden, dass die Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit im Vergleich zu ADHS der stärkere Prädiktor für Psychopathy bei inhaftierten Jugendlichen war. ADHS hatte nur einen geringen prädiktiven Effekt auf die antisoziale Dimension bei den Jungen, allerdings bei den Mädchen einen größeren Effekt auf mehrere Psychopathy-Dimensionen. Die Komorbidität von ADHS mit der Störung des Sozialverhaltens stellte bei den Jungen kein zusätzliches additives Risiko für die Entstehung von Psychopathy dar, während sie für die Mädchen einen negativen Effekt auf den antisozialen Psychopathy-Faktor hatte. 59 Abstract This professorial thesis focused on the personality dimensions of psychopathy in adolescents. On the basis of the varied US-American and Candadian research results on adult psychopathy and the much fewer studies on adolescent psychopathy the own empirical papers engaged in evaluating the Psychopathy Checklist Youth Version (PCL:YV) among juveniles. The PCL:YV was on the one hand administered to an incarcerated adolescent high-risk population and a sample of juvenile students, on the other hand retrospectively to a group of adolescents who were psychiatrically evaluated for the criminal court. The validity of the checklist was analyzed while phenotypic parameters and comorbid symptoms of psychopathy were investigated. A main focus was put on the comparability of the psychopathy concept among boys and girls. The empirical results could be integrated into the current literature, indicating that also among juveniles divergent subtypes of psychopathy are likely. In summary, the investigation allows the following assumptions: 1. Testing the factor structure of the PCL:YV in a group of incarcerated and school adolescents showed the 3-Factor-Model to be the model with the greatest fit values among boys. None of the factor models exhibited acceptable fit values for the investigated girls, although the 3-Factor-Model had comparably the best fit. These results indicated that on a psychometric level the factor models for boys and girls are not equal. 2. As expected, among the incarcerated adolescent high-risk population we found gender differences regarding the personality dimension scores of psychopathy, measured with the PCL:YV. In comparison with the detained girls, the incarcerated boys showed significantly higher scores on the psychopathycore and behavior dimensions and the total score. Moreover, we could prove that detained adolescents scored significantly higher on the psychopathy dimensions than the investigated school control group. 3. Using a narrow definition of psychopathy, meaning a high score on the psychopathy core factors (interpersonal and affective), the percentage of girls meeting core criteria of psychopathy was only 7% of the delinquent females. Since severe antisocial behavior could lead to a high PCL total score - without meeting criteria for the core personality dimensions of psychopathy -, it should be discussed perspectively whether the future assessment of psychopathy 60 during adolescence ought to be solely based on evaluating the interpersonal and affective core criteria. 4. Investigating the validity of the psychopathy concept among incarcerated girls suggested differences between antisocial girls with and without the core psychopathy symptoms regarding the temperament dimensions novelty seeking, reward dependence, cooperativeness and self-transcendence. This study led to the conclusion that psychopathy can be validly assessed in girls. The retrospective investigation on the applicability of the checklist among a sample of juveniles who were evaluated for the court supported the validity of the PCL:YV. 5. Our comorbidity studies showed on the one hand that externalized psychopathology was predictive for psychopathy within boys whereas suicidal behavior was predictive for psychopathy within girls. Furthermore, our results indicated that conduct disorder during early childhood was a stronger predictor for psychopathy among detained boys as compared to ADHD. ADHD had only a small predictive effect on the antisocial factor among boys; in girls, however, we found a greater effect of ADHD on several psychopathy dimensions. Among boys, the comorbidity of ADHD and conduct disorder was not an additional risk for the development of psychopathy, whereas for the girls it had a negative effect on the antisocial psychopathy factor. 61 Teil 5: Danksagung Herrn Prof. Dr. Gerd Lehmkuhl möchte ich danken, dass er mich, von der Bonner Klinik kommend, aufgenommen, ermuntert und bei der Verwirklichung meines Projektes stets unterstützt hat. Er hat mir die notwendigen Freiheiten gegeben und war immer für alle Fragen ansprechbar. Als sehr hilf- und lehrreich habe ich die transatlantische Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Dr. Dave Kosson empfunden. Von ihm habe ich Anregungen bekommen, statistische Feinheiten gelernt und bin die amerikanische Psychopathy- Forschungslandschaft eingeführt worden. Ich freue mich auf eine lang andauernde und fruchtbare Forschungsfreundschaft. Auch die Kooperation mit Herrn PD Dr. Rüdiger Kißgen und Herrn PD Dr. Dr. Ralf Pukrop hat mir große Freude bereitet. Es war stets ein kollegiales Miteinander, indem auch persönliche Fragen Platz gefunden haben. Bei allen Jugendlichen möchte ich mich herzlich für ihre Teilnahmebereitschaft bedanken und hoffe, dass unsere Erkenntnisse letztlich zu einer verbesserten Situation in Form von speziellen psychotherapeutischen Angeboten führen werden. Ebenso gilt mein Dank den Mitarbeitern der beiden Justizvollzugsanstalten, die durch ihr geduldiges „Auf- und Zuschließen“ die Befragung der Inhaftierten überhaupt erst möglich gemacht haben. Auch möchte ich mich bei den diversen Geldgebern bedanken, ohne deren Unterstützung eine Studie in diesem Umfang nicht möglich gewesen wäre. Ein ganz großer Dank gebührt den Projektmitarbeitern Frau Dipl. Soz. päd. Claudia Pape und Fr. Dipl.-Päd. Tanja Schönberg, die jahrelang die Atmosphäre der Vollzugsanstalten ausgehalten haben, genauso herzlich gedankt sei Fr. Dr. med. Heidrun Wunram für ihre Arbeit in der Drogenhilfe. Frau cand. Psych. Alessa Henning und Fr. Dipl.-Psych. Ellen Kolec möchte ich für ihre ausdauernde und vielfältige Hilfe bei der Erstellung der Manuskripte danken. Auch möchte ich mich bei allen anderen Mitarbeitern für ihre Arbeit bedanken: Fr. Dr. med. Petra Walger, Frau Dr. med. Annina Halstenberg, Fr. Dipl.-Psych. Jutta Zeyer-Wolf, Herrn Christian Meyer, Fr. Sarah Asli 62 Ince, Frau Christina Weiße, Herrn Sanjar Mirzar, Frau Hala Mufti und Frau Sandra Scuic. Fest verbunden bin ich Frau Dr. rer.nat. Maya Krischer, deren Freundschaft wahrscheinlich das größte Geschenk ist, das durch die zurückliegende, lange und intensive Zusammenarbeit entstanden ist. Ich bin sehr dankbar Maya, dass ich all die vielen Schritte mit Dir gemeinsam tun konnte. Mein abschließender Dank gilt meinem Mann, der mich all die Jahre begleitet und unterstützt hat. 63 Teil 6: Literaturverzeichnis Abramowitz, C. S., Kosson, D. S., & Seidenberg, M. (2004). 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