A. Müller - Fachverband Sucht eV
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A. Müller - Fachverband Sucht eV
Pathologisches Kaufen: Psychiatrische Entität oder Epiphänomen anderer psychischer Erkrankungen? Astrid Müller 21. Kongress des Fachverbandes Sucht e.V. 17.06.2008 „…die krankhafte Kauflust, die den Kranken veranlasst, sobald sich ihm dazu Gelegenheit bietet, ohne jedes wirkliche Bedürfnis in großen Mengen einzukaufen, Hunderte von Halsbinden oder Handschuhen, Dutzende von Anzügen, Hüten, Überröcken, Schmucksachen, Spazierstöcken, Uhren. In einzelnen Fällen verbindet sich damit der Trieb, allen möglichen Personen Geschenke zu machen. Es gibt indessen noch andere Gründe für triebhaftes Kaufen. Ich kannte eine Frau, die sich aus verschiedenen Geschäften massenhaft Waren kommen ließ, um sie sofort hinter dem Rücken ihres Mannes zu Schleuderpreisen wieder zu verkaufen, ohne sie auch nur anzusehen. Obgleich sie sich dadurch den schwersten Unannehmlichkeiten aussetzte und ihren Mann wirtschaftlich zugrunde richtete, war sie doch gänzlich außerstande, von ihrem Treiben zu lassen. Nach gelegentlichen, allerdings von ihr später verleugneten Äußerungen musste man schließen, dass die Triebfeder dieses unsinnigen Handelns der Reiz der Gefahr bildete, die Unruhe und Aufregung, die mit ihren heimlichen Geschäften verknüpft war.“ Kraepelin 1909, S.408-409 „Natürlich gehören die gewöhnlichen leichtfertigen Schuldenmacher, die sich auf diese Weise die Mittel zu Genüssen verschaffen wollen, nicht hierher. Das Besondere ist das Triebhafte, das Nicht-anders-können, das sich manchmal auch darin ausdrückt, dass die Kranken trotz guter Schulintelligenz vollständig unfähig sind, anderes zu denken, sich die unsinnigen Folgen ihres Handelns und die Möglichkeiten, es nicht zu tun, vorzustellen. Sie fühlen also auch keinen Zwang, sondern handeln aus ihrer Natur heraus wie die Raupe, die Blätter frisst.“ Bleuler 1923, S. 412 Unnötige Dinge Dinge in unnötiger Stückzahl Dinge, die man sich nicht leisten kann Negative Konsequenzen Leidensdruck Diagnostische Kriterien ¾ Die häufige exzessive Beschäftigung mit Kaufen/Kaufimpulsen wird als unwiderstehlich, sich aufdrängend, intrusiv oder sinnlos wahrgenommen. ¾ Konsum von Waren, die nicht benötigt werden / die man sich nicht leisten kann. Einkaufen über längere Zeitperioden als geplant. ¾ Das Kaufverhalten, die Kaufimpulse oder der Kaufdrang verursachen erheblichen Leidensdruck. Sie sind zeitaufwendig und führen zu sozialen, beruflichen oder finanziellen Problemen/Verschuldung. ¾ Die Kaufexzesse treten nicht ausschließlich in Phasen einer Manie oder Hypomanie auf. McElroy et al. 1994 Datum Uhrzeit Ware/n (einschl. TV und online-shopping) 05.12. 16:00 Schuhe für Sohn 06.12. 18:00 08.12. Gedanken Gefühle 100,- Ganz schön teuer für Kinderschuhe, aber er braucht sie. Gutes Gefühl, bin stolz. Geschenk für Eltern 340,- Die werden sich sicher freuen. Bin stolz. 15:00 Kosmetik und ein Brotkasten 100,- Die Kosmetik ist nötig. Der Brotkasten hat mir schon seit langem gefallen und war supergünstig. ? 09.12. 18:00 2 Schlafanzüge 90,- Schnäppchen. Wollte ich schon lange haben. Brauche ich. Freude 10.12. 16:00 4 Paar Schuhe 250,- Wollte ich schon lange haben. Sind sehr schick und preisgünstig, da kann ich 4 Paar kaufen. Zuerst schönes Gefühl, dann mulmig, genervt. 11.12. 14:00 2 2 1 1 170,160,700,50,- Kann mich nicht entscheiden, welche Jeans ich nehmen soll. Der Mantel ist so schön. Ich liebe diesen Duft. Bin aufgeregt, ein bisschen hektisch, freue mich, bin aber auch ängstlich, wenn ich an meine Schulden denke. 12.12. 22:00 (online) Jacke 440,- Muss ich haben! Kann ich mir eigentlich nicht leisten. Freude, später total schlechtes Gewissen Jeans für mich Jeans für Tochter Mantel für mich Parfüm € Pro Contra Das Geld reicht nicht, obwohl ich gut verdiene. Ich muss ständig etwas borgen. Habe den Überblick verloren. Wenn ich mir nicht kaufen kann, was ich haben will, dann werde ich sicher noch unzufriedener sein. Mein Mann und ich streiten ständig wegen des fehlenden Geldes und meiner Einkäufe. Er lässt sich von mir scheiden, wenn das nicht besser wird. Jetzt fühle ich mich frei. Dieses Freiheitsgefühl werde ich verlieren. Es droht eine Anzeige wegen Scheckbetruges. Wenn ich nicht mehr shoppen gehe, wird mir langweilig sein. Ich könnte meinen Arbeitsplatz verlieren. Shoppen war immer eine super Strategie, um mich besser zu fühlen oder einfach abzulenken. Meine Wohnung ist vollgemüllt mit den ganzen Sachen, ich finde nichts mehr. Besuch kann ich auch nicht mehr empfangen, weil ich mich wegen der Unordnung schäme. Wie soll ich mir denn sonst was Gutes tun? Meine Tochter ist auch schon kaufsüchtig. Das macht mir Sorgen. Ich werde auf vieles verzichten müssen oder immer erst sparen müssen, bis ich mir was leisten kann. Ich lüge die anderen an wegen der Einkäufe. Die Verkäuferin wird nicht mehr so nett zu mir sein. Ich habe Angst, dass ich erwischt werde. Ich kann dann nicht mehr mit meinen Kollegen mithalten, bin nicht mehr auf dem neuesten Stand. Ich fühle mich als Versagerin, weil ich nicht mit Geld umgehen kann, obwohl ich längst erwachsen bin. Ich mache doch so gerne Geschenke. Das geht dann nicht mehr. Auslöser Pathologisches Kaufverhalten Erledige Einkäufe. Bin nach einem Streit mit meinem Partner in mieser Stimmung. Fühle mich abgelehnt. Sehe das Kosmetikgeschä ft und denke, dass ich da was gebrauchen könnte. Was tue ich? Kaufe viel mehr Kosmetik ein, als ich benötige; unterhalte mich mit der Verkäuferin. Was denke ich? Ich sehe schön damit aus. Die werden mich morgen auf Arbeit bewundern! Was fühle ich? Bin aufgeregt, etwas angespannt und gereizt, immer noch etwas traurig. Positive Folgen Vergesse den Streit. Fühle mich super. Bekomme Komplimente von der Verkäuferin. Negative Folgen Schäme mich, dass ich so viel Geld ausgegeben habe für unnötigen Kram. Kriege Angst wegen meiner Schulden. Fühle mich als Versagerin. DSM-V Arbeitsgruppe: „Obsessive-Compulsive Spectrum Disorders, OCSD“ SUBGROUP „Impulse Control Disorders“ Pathological Gambling Trichotillomania Pyromania Kleptomania Intermittent Explosive Disorder Compulsive-Impulsive Compulsive-Impulsive Compulsive-Impulsive Compulsive-Impulsive Dell‘Osso et al., Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci, 2006 Hollander et al., CNS Spectr, 2007 Internet Usage Disorder Sexual Behaviors Skin Picking Shopping SCID-I (for DSM-IV-TR) DX code Scoresheet (First et al., July 2007) Diagnosis K. IMPULSE-CONTROL DISORDERS Intermittent Explosive Disorder (K. 2) Kleptomania (K. 4) Pyromania (K. 6) Pathological Gambling (K. 10) Trichotillomania (K. 12) Impulsive Control Disorder NOS (K. 13) Impulsive-Compulsive Buying Disorder (K. 18) Impulsive-Compulsive Non-paraphilic Sexual Behavior Disorder (K. 23) Impulsive-Compulsive Internet Use Disorder (K. 28) Impulsive-Compulsive Skin Picking Disorder (K. 31) Lifetime Prevalence Summary Score Sheet Sonderangebot ▼ “Will ich haben!” Euphorie/Fantasie • Kein Nachdenken über Bedarf, Notwendigkeit, Kontostand • Keine Selbstinstruktionen • Kein Abwägen • Keine Voraussicht • Ausblenden der negativen Folgen Kaufattacke Selbstwertprobleme Hohe Konsumorientierung Operante Konditionierungsprozesse DIAGNOSTIK Erhebungsinstrumente Screeningverfahren zur Erhebung von kompensatorischem und süchtigem Kaufverhalten SKSK (Raab et al. 2005) Compulsive Buying Scale CBS (Faber & O‘Guinn 1992) Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale-Shopping Version Y-BOCS (Monahan & Black 1996) EPIDEMIOLOGIE Land Test Stichprobe Geschätzte Prävalenz Quelle [%] CBS N=2513 SKSK N=1454 SKSK N=1017 SKSK N=1000 SKSK N=705 Koran et al. 2006 5.8 Neue BL: 1 Alte BL: 5 6 Alte BL: 8 Neue BL: 5.6 5 Neuner et al. 1992 Scherhorn et al. 1996 Neuner et al. 1998 Neuner et al. 2005 Arbeiterkammer Wien 2004 Maag 2004 HOHE PSYCHIATRISCHE KOMORBIDITÄT Quelle Christenson et al. 1994 Black et al. 1998 Mitchell et al. Mueller et al. 2002 2008 Stichprobengröße n=24 n=33 n=19 n=30 Test ACHSE-I STÖRUNGEN SCID DSM-III-R SCID DSM-III-R SCID DSM-IV SKID DSM-IV Lebenszeitprävalenz [%] Major Depression 50 61 53 57 Affektive Störung 54 64* 58 80* Substanzabh./ missbrauch 46* 21 53* Angststörungen 50* 42 53 87* Essstörungen 21* 15 5 33* 23 Schlosser et al. 1994 Mueller et al. 2008 N=46 N=48 Depressive -/- 33 Ängstl.-vermeidende 15 33 Zwanghafte 22 29 Borderline 15 21 Paranoide 11 19 Histrionische 9 10 Abhängige 2 8 Antisoziale 0 6 Narzißtische 2 6 Schizotype 4 0 -/- 8 PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN Schizoide IMPULSKONTROLLSTÖRUNGEN Kaufsüchtige Patientinnen N=30 Kontrollgruppe N=30 N % N % 30 100 0 0 Intermittierende explosive Störung 5 17 1 3 Kleptomanie 2 7 0 0 Pathologisches Spielen 1 3 0 0 Trichotillomanie 1 3 0 0 Pyromanie 0 0 0 0 Mind. eine weitere IKS 7 23 1 3 Pathologisches Kaufen Mueller et al., PPmP, im Druck Ca. 2/3 der kaufsüchtigen Patienten horten Mueller et al., Behav Res Ther, 2007 Medikament Stichprobe Mittl. Dosis Ergebnis Quelle Fluvoxamin Medikation n=20 Placebo n=17 (drop out 37%) 215 mg Med = Placebo Ninan et al., 2000 Fluvoxamin Medikation n=12 Placebo n= 11 (drop out 23%) 220 mg Med = Placebo Black et al., 2000 Citalopram Responder n=15 -> 20-60 mg Rückfall bei 5 von 8 aus Placebogruppe. Kein Rückfall in Med.gruppe Koran et al., 2003 10-20 mg Med = Placebo Koran et al., 2007 Medikation n=7 Placebo n=8 Escitalopram Responder n=17 -> Medikation n=8 Placebo n=9 Kein Wirksamkeitsnachweis für medikamentöse Therapie Randomisierte kontrollierte Psychotherapiestudie KVT vs. Warte-Kontrollgruppe 12 ambulante wöchentliche Gruppensitzungen 6-Monats-Katamnese Therapieziel Kaufabstinenz Angemessenes Kaufverhalten Zentrale kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen Hohe Impulsivität ↕ Erlernen von Stimuluskontrolle Versagen der Selbstkontrolle Aufbau von Alternativverhalten Vermeiden negativer Befindlichkeit ↕ Kognitive Umstrukturierung Exposition Geldmanagement Aufrechterhaltung durch negative Verstärkung Defizite im Umgang mit Geld müssen bearbeitet werden! Inadäquates Geldmanagement Unreife Einstellung zum Geld Irrationale Konsummuster: Element der Nutzung der Ware wird ausgeblendet Verhältnis zwischen Preis und eigenen finanziellen Ressourcen wird nicht kalkuliert Vermeiden von Barzahlungen Wichtig: Häufig Geldkarten bereits entzogen oder Betreuung eingerichtet Evaluierung des Erlanger Therapieprogramms Signifikante Verbesserung in den KVT-Gruppen, die auf die Behandlung zurückzuführen war. Mueller et al., J Clin Psychiatry, in press Zusammenfassung Î Pathologisches Kaufen ist ein kulturspezifischer Verhaltensexzess mit Krankheitswert. Î Ursachen- vs. störungsspezifische Therapie? Î Bislang existieren noch keine evidenzbasierten Behandlungskonzepte. Î Für störungsspezifische KVT liegen Wirksamkeitsnachweise vor.