Guten Abend, liebe Kinoptiker, die Christiane hat mich
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Guten Abend, liebe Kinoptiker, die Christiane hat mich
Guten Abend, liebe Kinoptiker, die Christiane hat mich gebeten, hier ein paar Worte zu sagen – vermutlich, weil ich ein Fossil aus der Gründerzeit des Kinoptikums bin. Und ich kann nur sagen: es ist nicht zu fassen! Dieses Kinoptikum ist wahrhaftig 30 Jahre alt geworden! Es hat alle anderen Landshuter Kinos überlebt. Wer hätte das damals gedacht, wo unsere Anfänge doch eher stümperhaft waren. Das einzig wirklich Professionelle waren damals die Klappen an der Projektionsluke. Die hat - neben vielem anderen - der Christoph Zimmermann geschreinert und sich damit die Ehrenmitgliedschaft auf Lebenszeit erworben. Man kann diese Klappen heute noch besichtigen, und sie sind immer noch beeindruckend. Als wir damals das Kinoptikum eingerichtet und in Betrieb genommen haben, haben wir zwar alle unser Bestes gegeben, aber dieses Beste war doch manchmal etwas kläglich. Zum Beispiel die Premiere: Grandiose Eröffnungsvorstellung des neuen Filmtheaters, alle Mitglieder sind versammelt, dazu die leidgeprüften Familienangehörigen, sämtliche Sponsoren, die damals die Gisela Fiori in einer einzigartigen Spendenrallye aufgerissen hat, alle sitzen gespannt auf den ach so bequemen Bänken, das Licht erlöscht, der Film beginnt. Wie in jenen Tagen üblich, wurde auch in unserem Haus ein kulturell besonders wertvoller Vorfilm gezeigt. In diesem Fall war das Die Reise zum Mond von George Meliès aus dem Jahr 1902, einer der ersten Spielfilme überhaupt und sicher der erste Sciencefiction-Film. Da die Aufnahmetechnik noch sehr dürftig war und die Gesetze der Filmdramaturgie erst entwickelt werden mußten, war das Ganze ein ziemlich hanebüchener Wirrwarr, bei dem niemand erkennen konnte, worum es eigentlich geht und warum welche Männchen wohin hüpfen. Deshalb hat man diesen Stummfilm später mit einem erklärenden Text unterlegt. Wie gesagt, alle sitzen gespannt im Zuschauerraum, der Film beginnt – und der unterlegte Text ist französisch! Natürlich versteht niemand im Saale französisch– außer der Gisela Fiori – und so sitzen die armen Ehrengäste geschlagene 16 Minuten vor der flackernden Leinwand, auf der Männlein und Weiblein ziellos und hektisch durcheinander rennen, und begreifen absolut gar nichts. Ich möchte nicht wissen, was sich die biederen Landshuter Geschäftsleute gedacht haben, die diesem Etablissement ihr gutes Geld in den Rachen geworfen haben. Ich bin vor Peinlichkeit schier vergangen. Wir sind tatsächlich zu dämlich gewesen, vorher einen Probelauf zu machen! Am Tag danach, als wir der Sache auf den Grund gegangen sind, haben wir gemerkt, daß wir nur einen Hebel hätten umlegen müssen, dann wäre die deutsche Tonspur abgelesen worden… Daß nicht immer alles funktionierte, gehörte bald zum Stil des Hauses. Bei jeder Vorstellung ist der Film mindestens einmal gerissen. Das Publikum hat mit der Zeit eine stoische Geduld entwickelt und allenfalls verhalten gestöhnt, wenn es mal wieder so weit war. An dieser Stelle muß man auch einmal das Publikum loben, nicht nur immer die Macher des Kinoptikums! Ein besonders absurder Fimriß war der bei Leoparden küßt man nicht. Gegen Ende des Films stehen die beiden Protagonisten auf schwankenden Gerüsten und brüllen sich eine Art Liebeserklärung zu. In dem Moment reißt der Film. Aus der Dunkelheit des Zuschauerraums hört man das bekannte gottergebene Aahh. Hinten im Vorführraum fädelt der arme Vorführer den Film aus, pappt ihn mühsam zusammen, fädelt ihn wieder ein. Nach fünf Minuten geht es weiter. Erneut stehen Andrea Ott zum 30jährigen Jubiläum des Kinoptikums 1 auf schwankender Leiter die beiden Helden, brüllen sich 2 Sekunden lang „Ich liebe dich“ zu, es kommt zum Kuss – 1 Sekunde – dann: The End. Und dafür hat man 5 Minuten gewartet! Wie man sieht, bewegen sich die wirklichen Helden dieses Kinos nicht auf der Leinwand, sondern im Vorführraum. Obwohl man sich da eigentlich überhaupt nicht bewegen kann, weil er so eng ist. Der dort vergossene Schweiß müßte eigentlich die Vorführgeräte schon zersetzt haben. Ich erinnere mich an einen Fall, als der Wolfgang Fiori vorführte – der Wolfgang war, das wißt ihr wahrscheinlich alle, einer der Gründerväter des Filmzentrums und damit auch des Kinoptikums. In diesem Zusammenhang muß man auch wissen, daß er schwer gehbehindert war. Er saß also da hinten im Kabäuschen – es war ein überaus spannender und ernster Film, der tunlichst keine Unterbrechung erfahren sollte –, als der hintere Spulenarm brach. Das bedeutete: Von vorn schiebt sich der Film unverdrossen nach, läuft an der Lampe vorbei, wird projeziert und landet anschließend im Nichts. Die Folge wäre normalerweise ein slapstickartiges Tohuwabohu-Filmknäuel im Vorführraum, Chaos, Film kaputt. Was also macht der Wolfgang, der niemanden zu Hilfe rufen kann, weil das Handy noch nicht erfunden ist? Für die ganze restliche Laufzeit des Films stützt er den hinteren Projektorenarm freihändig mit seiner Krücke ab! – Die Zuschauer haben gar keine Ahnung, unter welchen Entsagungen ihnen hier die Meisterwerke der Filmkunst gezeigt werden! Alle Kinoptiker setzen all ihr Können ein, daß es immer zum Happy End kommt. Und deshalb wünschen wir dem Kinoptikum ein Happy ohne End! Ansprache von Andrea Ott, Mitglied der ersten Stunde des Filmzentrum e.V., anlässlich der Feier des 30jährigen Bestehens des KINOPTIKUMS am 20. Oktober 2007 Andrea Ott zum 30jährigen Jubiläum des Kinoptikums 2