Dentistry and craniomandibular and musculoskeletal medicine

Transcription

Dentistry and craniomandibular and musculoskeletal medicine
conference report
kongressbericht
L. Runkel1, J. Maul2
Dentistry and craniomandibular and musculoskeletal medicine
Report on congress held in Münster, Germany on 26 and 27 September 2014
Zahnheilkunde, kraniomandibuläre und muskuloskelettale
Medizin
Kongress in Münster, 26. und 27. September 2014
Vom 26. bis 27. September 2014 trafen sich in der Münsterland-Halle in Münster 320 Zahnärztinnen und Zahnärzte und ein interessiertes Fachpublikum zum dritten von
ZÄT-Info organisierten Fachkongress „Zahnheilkunde,
kraniomandibuläre und muskuloskelettale Medizin“.
Namhafte internationale Referenten stellten unter
der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Dr. Georg
Meyer (Greifswald) die neuesten Erkenntnisse der
kranio­m andibulären und muskuloskelettalen Medizin
und zahnmedizinische Behandlungsansätze in einem
umfassenden Therapiekonzept dar (Abb. 1). Das Hauptaugenmerk lag dabei auf dem Kiefergelenk und der
Kiefer­gelenkchirurgie, insbesondere auf der arthroskopischen Diskusreposition. In 20 Fachvorträgen wurde das
gesamte Spektrum der Thematik eingehend dargestellt
und in drei anschließenden Workshops hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, einzelne Themen zu vertiefen.
Beteiligte Fachgesellschaften waren die Deutsche Gesellschaft für Muskuloskelettale Medizin (DGMSM), die
Deutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM),
die Deutsche Gesellschaft für osteopathische Medizin
(DGOM), die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für
Schmerztherapie (DIVS) und die Deutsche Akademie für
Physiotherapeuten (DAfPT).
Wohin gehört der Unterkiefer in der
physiologischen Zentrik?
Nach der herzlichen Begrüßung durch Manfred Läkamp
(Leiter ZÄT-Info) eröffnete Prof. Georg Meyer den
1
Dr. med. dent. Leslie Runkel
2
ZÄ Johanna Maul
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On 26 and 27 September 2014, 320 dentists and other interested professionals gathered in Münsterland Hall in Münster,
Germany, to attend the “Dentistry and craniomandibular and
musculoskeletal medicine” congress, organized for the third
time by the ZÄT-Info continuing education institute.
Renowned international speakers under the scientific direction of Prof Georg Meyer (Greifswald, Germany)
presented the latest findings in temporomandibular joint
(TMJ) and musculoskeletal medicine and dental treatment
approaches within a comprehensive treatment concept
(Fig 1). The main focus was on the temporomandibular
joint and TMJ surgery, particularly arthroscopic disk repositioning. Twenty lectures were presented, which detailed a
complete range of issues, while three supplementary workshops gave participants an opportunity to extend and deepen their knowledge on individual topics.
Contributing professional societies included the German
Society for Musculoskeletal Medicine (DGMSM), the German Society for Manual Medicine (DGMM), the German
Society of Osteopathic Medicine (DGOM), the German
Interdisciplinary Association for Pain Management (DIVS),
and the German Academy for Physical Therapists (DAfPT).
Where should the mandible be in the
physiological centric?
After the warm welcome by ZÄT-Info Director, Manfred
Läkamp, Prof Georg Meyer opened the congress by presenting a lecture entitled “Biomechanical and neuromuscular interactions between TMJ function and occlusal surface function:
beide:
Praxis für Zahnheilkunde, Köln
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conference reportRunkel and Maul Dentistry and craniomandibular and musculoskeletal medicine
Fig 1 Prof Georg Meyer (Greifswald, Germany) spoke on
biomechanical and neuromuscular interactions between TMJ
function and occlusal surface function.
Abb. 1 Prof. Dr. Dr. Georg Meyer referierte über biomechanische und neuromuskuläre Wechselwirkungen zwischen
Kiefergelenk- und Kauflächenfunktionen.
Where should the mandible be in the physiological centric?”
Based on Kubein-Meesenburg (1995) (“The temporomandibular joints are the distal-most occluding pair”), Prof Meyer
explained the biomechanical aspects of the stomatognathic
system. Growth results in the adaptation of the TMJ. Grinding in childhood is thus a natural process aimed at “getting a
feel” for the geometry of the occlusion. In adults, on the other
hand, adaptation of the TMJ is limited, so occlusal obstacles
can result in distraction of the TMJ on the ipsilateral side and
compression on the contralateral side. In addition, neuromuscular aspects also play a role. Neuromuscular and biomechanical structures are coordinated through learning. The muscles
protect the TMJ from excessive pressure. No only does occlusal trauma have a biomechanical effect, but it also and always
has a neuromuscular component. Meyer also discussed the
physiological centric, which is the “zero position” of the TMJ.
This position can be the retruded condylar position (RCP),
though Meyer demonstrated impressively that 90% of the
subjects he had examined, as well as all of the conference
participants, were able to carry out retral movements from
maximum intercuspation (ICP). Hence, the RCP represents
the physiological centric in a small number of cases only. In
order to analyze the centric, the muscle structures must be
relaxed, which may require an individual pretreatment.
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Fachkongress mit seinem Vortrag zum Thema „Biomechanische und neuromuskuläre Wechselwirkungen zwischen
Kiefergelenks- und Kauflächenfunktionen – wohin gehört
der Unterkiefer in der physiologischen Zentrik?“ Er zeigte auf, wie Kauflächen und Kiefergelenke biomechanisch,
neurophysiologisch, aber auch in der Pathologie miteinander korrelieren. Im Wachstum erfolgt eine Anpassung der
Kiefergelenke an die Okklusion. Knirschen im Kindesalter
stellt damit einen natürlichen Vorgang dar, um die Geometrie der Okklusion zu „ertasten“. Bei Erwachsenen hingegen ist die Adaptation der Kiefergelenke eingeschränkt
und so können okklusale Hindernisse zur Distraktion der
Kiefergelenke der ipsilateralen Seite und zur Kompression
auf der kontralateralen Seite führen. Darüber hinaus spielen neuromuskuläre Aspekte eine Rolle. Neuromuskuläre
und biomechanische Strukturen werden durch Lernprozesse aufeinander abgestimmt. Die Muskulatur schützt
dabei das Kiefergelenk vor zu hohen Druckbelastungen.
Okklusale Traumata wirken nicht nur biomechanisch, sondern haben auch immer eine neuromuskuläre Komponente. Prof. Meyer ging auf die physiologische Zentrik ein, die
die Nullposition der Kiefergelenke darstellt. Diese Position kann die retrale Kondylenposition (RKP) sein, jedoch
zeigte der Referent eindrucksvoll, dass 90% der von ihm
untersuchten Probanden und 100% der Kongressteilnehmer aus der maximalen Interkuspidation (IKP) heraus Retralbewegungen durchführen konnten. Somit stellt die RKP
in den wenigsten Fällen die physiologische Zentrik dar.
Um die Zentrik darstellen zu können, müssen die muskulären Strukturen entspannt sein, gegebenenfalls sollte eine
individuelle Vorbehandlung erfolgen.
Da diese Entspannung des Patienten häufig problematisch ist, entwickelte ZA Gerd Christiansen (Ingolstadt)
sein Therapiekonzept der symptomassoziierten computerkontrollierten Positionierung der Kondylen (Symcomp).
Mit dieser computergestützten Messung des funktionellen Gelenkraums können die Kondylen nach seiner
Einschätzung optimal eingestellt werden. Insbesondere
dann, wenn sich bei Patienten unter laufender Schienentherapie keine komplette Remission der Beschwerden
einstellt, kann auf diese Weise eine reproduzierbare zentrische Kondylenposition ermittelt werden, die durch eine
automatische Modellpositionierung (Variocomp) auf den
Artikulator übertragen wird. Die Relevanz des funktionellen Gelenkraums spiegelt sich in einer von ihm erhobenen Studie wider, die aufzeigt, dass sich der Gelenk­
raum von gesunden Probanden und von CMD-Patienten
unterscheidet, pathologische Bewegungen auf kondyläre
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Runkel und Maul Zahnheilkunde, kraniomandibuläre und muskuloskelettale Medizinkongressbericht
Fehlstellungen hinweisen und pathologische Messwerte
mit CMD-Beschwerden korrelieren.
Chirurgische Behandlung von
Kieferfehlstellungen
Prof. Dr. Dr. Ulrich Meyer (Münster) ging in seinem
Vortrag auf den chirurgischen Teil der interdisziplinären
Behandlung von Kieferfehlstellungen, insbesondere bei
CMD-Patienten ein. Hierzu muss man sich primär verdeutlichen, welche Patientengruppen zur CMD neigen.
Laut Prof. Meyer seien vor allem Patienten mit offenem
Biss, Deckbiss, aber auch mit hyperdivergentem Wachstumsmuster besonders gefährdet, eine CMD-Erkrankung
zu entwickeln. Die präoperative Planung sollte dabei
auch immer die richtige Positionierung des Kiefergelenkes
beinhalten. Durch bildgebende Verfahren und funktionelle Untersuchungen können im Vorfeld die Position der
Kiefer­gelenke bewertet sowie mögliche funktionelle Probleme diagnostiziert werden. Liegt eine CMD vor, muss
eine Schienentherapie vor der Umstellungsosteotomie
durchgeführt werden.
Daran anschließend ermahnte Prof. Dr. Dr. Dr. h. c.
Ulrich Joos (Münster) bei Schmerzen im Bereich der Kiefergelenke und bei morphologischen Veränderungen nicht
nur an funktionelle Probleme zu denken, sondern auch
andere Erkrankungen mittels klinischer sowie bildgebender Untersuchung auszuschließen. Er gab einen Überblick
über verschiedene infrage kommende morphologische
Erkrankungen, deren Diagnostik und mögliche Therapie.
Masterthesen des postgraduellen
Studiengangs Kraniomandibuläre und
muskuloskelettale Medizin
Diesen Programmpunkt bestritten die frischgebackenen
Absolventen des postgraduellen Masterstudiengangs
„Kraniomandibuläre und muskuloskelettale Medizin“,
der in Kooperation zwischen der medizinischen Universität Innsbruck und dem kongressveranstaltenden Institut
ZÄT-Info durchgeführt wird. Dieser Masterstudiengang
verknüpft das Wissen der Zahnheilkunde mit dem der
manuellen und der osteopathischen Medizin und bildet
somit eine bisher einzigartige Schnittstelle zwischen Zahnmedizin und Medizin.
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Since this relaxation of the patient is often problematic,
dentist Gerd Christiansen (Ingolstadt, Germany) developed
his therapeutic concept of symptom-associated, computer-controlled positioning of the condyles (Symcomp). Christiansen believes that, with this computer-based measurement of functional joint space, the condyles can be optimally
adjusted. In particular, when there is no complete remission
of symptoms in patients with ongoing splint therapy, this
method allows the determination of a reproducible centric
condylar position, which is then transferred to the articulator
by automatic model positioning (Variocomp). The relevance
of the functional joint space is reflected in a study conducted
by Christiansen, which showed that the joint space differs
between healthy subjects and TMD patients, that pathological movements may be indicative of condylar malpositioning, and that pathological measurements correlate with TMD
symptoms.
Surgical treatment of malpositioned jaws
The presentation by Prof Ulrich Meyer (Münster) addressed
the surgical portion of an interdisciplinary treatment of malpositioned jaws, especially in TMD patients. First, it is important to identify which group of patients is susceptible to
TMD. According to Meyer, open-bite or overbite patients,
as well as patients with hyperdivergent growth patterns, are
particularly at risk of developing TMDs. Preoperative planning should always include the correct positioning of the
TMJ. Imaging techniques and functional diagnostics can be
used to assess the TMJ position in advance and to diagnose
possible functional problems. If there is a TMD, splint therapy must be performed before a corrective osteotomy.
Prof Ulrich Joos (Münster) exhorted attendees not to
restrict their thinking to possible functional problems in
patients with TMJ pain and morphological changes, but also
to exclude other causes diagnostically by clinical examination
and diagnostic imaging. He gave an overview of different
morphological disorders that might be appropriate for this, as
well as their diagnoses and possible treatment.
Masters thesis in “Craniomandibular and
Musculoskeletal Medicine”
This session was led by the recent graduates of the MDSc
program “Craniomandibular and Musculoskeletal Medicine”,
developed through the cooperation between the Medical
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conference reportRunkel and Maul Dentistry and craniomandibular and musculoskeletal medicine
Ist die minimalinvasive arthroskopische
Kiefergelenkchirurgie zukunftsweisend?
Fig 2 Prof Chi Yang (Shanghai, China) explained his method
of minimally invasive arthroscopic disk repositioning.
Abb. 2 Prof. Dr. Chi Yang erklärte seine Methode der minimalinvasiven, arthroskopischen Diskusreposition.
University of Innsbruck and ZÄT-Info. This Masters program
combines a knowledge of dentistry with that of manual and
osteopathic medicine, a currently unique interface between
dentistry and medicine.
Minimally invasive arthroscopic TMJ
surgery – a trend of the future?
One of the highlights of the day were the specialists Prof
Chi Yang and Prof Bing Fang, who had come to Münster all
the way from Shanghai, China. Yang is an oral and maxillofacial surgeon who specializes in arthroscopic surgery of
the TMJ. He has treated more than 6,000 patients and has
found that a significant correlation exists between disk displacement and condylar resorption. Anterior disk displacement in adolescents reduces condylar growth and/or causes condylar resorption, while condylar regeneration can be
achieved by repositioning the disk. Furthermore, this anterior disk displacement in adolescents seems to be the main
causative factor for condylar resorption. What is so special
about his surgical technique for repositioning the disk is
the minimally invasive arthroscopic access. In his presentation, Yang pointed out that often only facial asymmetry
or malocclusion will be addressed by orthodontic therapy.
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Zu den Höhepunkten dieses Kongresstages gehörten die
Vorträge der aus Schanghai (VR China) angereisten Spezialisten Prof. Dr. Chi Yang und Prof. Dr. Bing Fang (Abb.2).
Prof. Yang ist MKG-Chirurg und Spezialist für arthroskopische Opera­tionen am Kiefergelenk und konnte bereits mehr
als 6.000 Kiefergelenke operativ behandeln. Dabei stellte
er fest, dass eine deutliche Korrelation zwischen einer Diskusverlagerung und kondylärer Resorption existiert. Eine
anteriore Diskusverlagerung bei Jugendlichen vermindert
das kondyläre Wachstum und/oder verursacht kondyläre
Resorptionen, während eine kondyläre Regeneration durch
eine Diskusrepositionierung erreicht werden kann. Des Weiteren scheint diese anteriore Diskusverlagerung bei Jugendlichen der wichtigste ursächliche Faktor für die Entwicklung
einer kondylären Resorption zu sein. Das Besondere an seiner Operationstechnik zur Repositionierung des Diskus ist
der minimalinvasive arthroskopische Zugang. In seinem Vortrag wies der Referent darauf hin, dass oft nur eine Gesichts­
asymmetrie beziehungsweise Fehlokklusion durch die kieferorthopädische Therapie behandelt wird. Jedoch besteht
bei einem beträchtlichen Anteil dieser Patienten auch eine
Resorption der Kondylen, die langfristig voranschreiten und
zu erheblichen Beschwerden führen kann.
Seine kieferorthopädische Kollegin, Prof. Dr. Bing
Fang, ging im Anschluss auf die kieferorthopädische Nachbehandlung bei Patienten mit operativer Therapie der
Kiefer­gelenke ein. Das Risiko für eine CMD-Erkrankung
ist bei Patienten mit Angle Klasse II, weiblichen Patienten
und Patienten mit vertikalem Wachstumsmuster deutlich
erhöht. Erfolgt bei den Patienten mit einer anterioren Diskusverlagerung lediglich eine kieferorthopädische Therapie, können nur Overjet und Overbite korrigiert werden.
Wird die kieferorthopädische Behandlung jedoch mit einer
Gelenkchirurgie kombiniert, können darüber hinaus signifikante Verbesserungen im Gesichtsprofil und ein sagittales Wachstum der Mandibula gefördert werden, da nach
einer Diskusreposition regelmäßig neuer Knochenanbau
am Kondylus beobachtet werden kann. Das Behandlungsprotokoll sieht zu Beginn eine Diskusreposition mittels arthroskopischer oder offener Operationstechnik vor,
danach die Eingliederung einer funktionskieferorthopädischen Apparatur zur Kontrolle des Vertikalwachstums der
Kondylen oder alternativ eine Therapie mittels Herbst-­
Apparatur zur Stimulation des Mandibulawachstums. Später wird die Okklusion orthodontisch optimiert.
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Runkel und Maul Zahnheilkunde, kraniomandibuläre und muskuloskelettale Medizinkongressbericht
Welche Auswirkungen hat die
kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD)
auf die Körperhaltung?
Zum Abschluss des ersten Kongresstages erläuterte Dr.
Reinhard Nölting (Wiesloch) die Zusammenhänge zwischen muskuloskelettalem und kraniomandibulärem System (CMS). Primär ging er auf Tonusveränderungen der
Kaumuskulatur, der Nacken- und Rumpfmuskulatur sowie
der Körperhaltung als solcher ein. Eine Verbindung der
Systeme ergebe sich dadurch, dass eine ungünstige Okklusion durch eine veränderte Kopfhaltung ausgeglichen
werden kann. Dr. Nölting erläuterte, wie über myofasziale
Leitbahnen der gesamte Bewegungsapparat interagiert.
Über diese Leitbahnen kann sich eine Fehlokklusion auch
bis zur Hüfte auswirken und über die Beckenmuskulatur
einen Beckenschiefstand hervorrufen. Die Reizwieder­gabe
auf den M. psoas major kann eine Beinlängendifferenz
verursachen. Der Referent stellte eine eigene Studie vor,
bei der funktionelle Beinlängendifferenzen bei 14 Probanden durch manuelle Therapie und Disklusion der Zähne
aufgehoben werden konnten.
Der Patient als therapeutisches System
Den zweiten Kongresstag eröffnete Dr. Damir Lovric
(Karlsruhe) und nahm die Teilnehmer mit auf eine Reise
durch die Hirn- und Körperwelt. Mittels Computeranimation zeigte er anschaulich, wie der gesamte Körper
über das Nervensystem in einem kooperativen Miteinander steht. Dies kann man als ein System verstehen, das
sich durch selbstorganisierende Prozesse selbst aufbauen
kann. Dabei ist ein Gleichgewicht zwischen Erregung und
Hemmung gewollt, das durch Lernprozesse zwar ständig gestört wird, nach einer kritischen Phase jedoch wieder neu erlangt wird. Die Voraussetzung dafür, dass ein
Lernprozess, also Veränderung und Instabilität zugelassen
wird, ist die grundsätzliche Stabilität eines therapeutischen Systems. Das bedeutet, dass eine Therapie nur dann
erfolgreich ist, wenn der Körper das Wirken der Impulse
zulässt. Angst, Zweifel und Stress können dazu führen,
dass weitere Impulse nicht aufgenommen werden und
eine Therapie erfolglos bleibt. Die Therapie kann dabei
sowohl auf molekularer als auch auf neuronaler oder psychischer Ebene ansetzen. Der Therapeut sollte sich jedoch
immer bewusst sein, dass dies auch Auswirkungen auf das
gesamte System hat.
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However, a significant proportion of these patients also suffer from a resorption of the condyles, which can progress
over time and lead to significant patient discomfort.
Prof Bing Fang, who is an orthodontist, continued where
his colleague Prof Yang had left off by discussing the orthodontic treatment following TMJ surgery. The risk of TMD disease is noticeably increased in patients with Angle Class II,
female patients, and patients with a vertical growth pattern.
If patients with anterior disk displacement receive only orthodontic therapy, only the overjet and overbite can be corrected. If the orthodontic treatment, however, is combined
with joint surgery, additional significant improvements in the
facial profile and sagittal mandibular growth can be expected, since apposition of new bone to the condyle can regularly be observed following disk repositioning. The treatment
protocol initially calls for disk repositioning using arthroscopic
or open surgical techniques, followed by delivery of a functional orthodontic appliance for controlling vertical condylar growth, or, alternatively, treatment with a Herbst Appliance for stimulating mandibular growth. At a later point, the
occlusion will then be orthodontically optimized.
What impact does temporomandibular
dysfunction (TMD) have on body posture?
At the end of the first day, Dr Reinhard Nölting (Wiesloch,
Germany) explained the relationship between the musculoskeletal system and the temporomandibular system (TMS).
He spoke mainly about changes in tonus of the masticatory,
neck, and trunk muscles, as well as about posture. The connection between the two systems is evidenced by the fact that
an unfavorable occlusion may be offset by a change in the
head position. Nölting explained how the entire musculoskeletal system interacts via the myofascial meridians. Via these
meridians, malocclusion may affect the body all the way to
the hip, causing pelvic obliquity by way of the pelvic muscles.
The stimulus replication on the major psoas muscle can cause
a difference in leg length. Nölting presented a study of his, in
which functional leg length differences could be eliminated in
14 subjects by manual therapy and disclusion of teeth.
The patient as a therapeutic system
The second day of the congress was opened by Dr Damir
Lovric (Karlsruhe, Germany), who took participants on a
journey through the worlds of the brain and body. Using
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conference reportRunkel and Maul Dentistry and craniomandibular and musculoskeletal medicine
Ein weiterer internationaler Beitrag folgte von Prof.
Dr. Jules Hesse (Amsterdam, Niederlande). Er wies auf
die möglichen funktionellen Beschwerden hin, die eine
Umstellungsosteotomie mit sich bringen kann. Standar­
disierte prä- und postoperative Protokolle mit routine­
mäßigen funktionellen Untersuchungen sollen dazu
beitragen, Komplikationen, wie Sensibilitätsstörungen,
Mundöffnungseinschränkungen oder Kondylenresorp­tion,
zu erfassen und individuell zu behandeln. Die Behandlung
sollte immer interdisziplinär geplant werden.
Welche Rolle spielt die Schlafmedizin bei
CMD?
Fig 3 Prof Stefan Kopp (Frankfurt, Germany) provided a fascinating glimpse into sleep medicine.
Abb. 3 Prof. Dr. Stefan Kopp gab einen spannenden Einblick
in die Schlafmedizin.
a computer animation, he showed how the whole body
engages in cooperative interaction by way of the nervous
system, which can be viewed as a system that can build
itself up through self-organizing processes. The system aims
to create a balance between excitation and inhibition, and,
although it is frequently disturbed by learning processes, this
balance is restored after each critical phase. The prerequisite
for admitting a learning process, along with the change and
instability it causes, is the basic stability of a therapeutic system. This means that a treatment will only be successful if
the body permits an interaction of the impulses. Fear, doubt,
and stress can cause additional pulses to be ignored, causing
a treatment to be unsuccessful. Treatment can be initiated at
the molecular, neuronal or mental levels. However, the therapist should always be aware that this has an impact on the
whole system.
Another international contribution came from Prof Jules
Hesse (Amsterdam, Netherlands), who pointed out the possible functional disorders that result from a correction osteotomy. Standardized pre- and postoperative protocols with
routine functional examinations are meant to help detect
and individually treat complications such as sensory loss,
mouth-opening limitations or condylar resorption. Treatment
planning should always be interdisciplinary.
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In brillanter Weise lieferte Prof. Dr. Stefan Kopp (Frankfurt/M.) einen Ausblick in die Schlafmedizin (Abb. 3).
Sowohl Schmerzen und Funktionsstörungen als auch die
parafunktionellen Phänomene Knirschen und Pressen korrelieren eng mit der Schlafqualität. Bei Beeinträchtigung
der Schlafqualität durch Schnarchen ist es möglich, durch
Protrusionsschienen Abhilfe zu schaffen. Diese können
jedoch die Okklusion verändern und somit auf die Strukturen des CMS und muskuloskelettalen Systems wirken.
Sechzig Prozent der Schnarchpatienten leiden an einer
chronischen Funktionsstörung. Als besonders wichtig
hob Prof. Kopp hervor, dass ein CMD-Screening bei allen
Patienten Pflicht ist, sowohl als Sicherheit für den Patienten als auch zur forensischen Sicherheit. Liegt eine CMD
vor, sollte zunächst die funktionelle Therapie in zentrischer
Kieferrelation erfolgen, welcher bei bestehender Notwendigkeit die Behandlung mit positionierenden Behelfen
folgt. Bis zur Eingliederung der Protrusionsschiene können
„Face-Former“ oder eine Überdruckbeatmung sinnvoll
sein.
Wie funktioniert die Zentriknahme unter
Berücksichtigung des muskuloskelettalen
Systems?
In anschaulichen Videosequenzen stellten Dr. Wolfgang
Boisserée (Köln) und Prof. Dr. Werner Schupp (Köln) dar,
wie ein funktionelles Screening unter besonderer Berücksichtigung des muskuloskelettalen Systems in der täg­
lichen Praxis durchgeführt werden kann. Anhand einzelner
Videos zeigten die beiden Referenten die systematische
Untersuchung der Strukturen des kraniomandibulären
Journal of Craniomandibular Function 2015;7(1):63–70
Runkel und Maul Zahnheilkunde, kraniomandibuläre und muskuloskelettale Medizinkongressbericht
Systems mit Überprüfung der fazialen Symmetrie, der
Muskelpalpation und der Kiefergelenkuntersuchung.
Die Diagnostik des muskuloskelettalen Systems umfasste Bewegungsprüfungen der HWS und des Rumpfes
sowie die von Dr. Gerhard Marx eingeführten Tests zur
Untersuchung des muskuloskelettalen Systems. Über den
modifizierten Meersseman-Test kann nach Ausschalten
des Einflusses der Okklusion mittels Kiefergelenkmobilisation eruiert werden, ob es sich in der Problematik einer
kranio­mandibulären Dysfunktion um eine deszendierende, aszendierende oder gemischte Verkettung zwischen
dem kraniomandibulären und dem muskuloskelettalen
System handelt. Per Video wurde ebenfalls anschaulich
demon­striert, wie die Zentrikbissnahme oder der Konstruktionsbiss am muskuloskelettalen System in Bezug
auf eine therapeutische Wirksamkeit überprüft werden
können. Die Kiefer­relationsbestimmung ist im Falle einer
deszendierenden Verkettung dann ideal, wenn sich zuvor
erhobene Befunde am muskuloskelettalen System mit
eingesetztem Registrat aufheben lassen. Das Registrat
wird anschließend zur Modellmontage für die okklusale
­Analyse verwendet, sowie gegebenenfalls zur Herstellung einer Okklusionsschiene. Bildgebende Verfahren der
Kiefer­gelenke können in individuellen Einzelfällen die Diagnostik sinnvoll unterstützen.
Einen Ausblick auf den zahntechnischen Aspekt der
weiterführenden Behandlung von CMD-Patienten gab
Kongressinitiator Manfred Läkamp im Anschluss. So können inzwischen mittels CAD/CAM-Technologie nicht nur
Okklusionsschienen hergestellt werden, sondern auch
die häufig herausfordernde ästhetische Rekonstruktion – insbesondere bei Abrasionsgebissen – mithilfe des
Gesichtsscanners Face-Hunter® (Zirkonzahn, Gais, Italien)
optimiert werden. Durch die Schnittstelle zwischen eingescannten Modellen und dem Gesichtsscan des Patienten
ist es möglich, ein Set-up in direktem Bezug zum Weichgewebe zu planen, im CAD/CAM-Verfahren zu realisieren
und anschließend am Patienten zu testen.
Zahnmedizin ist Medizin
Im letzten Vortrag referierte der wissenschaftliche Leiter
des Kongresses, Prof. Dr. Dr. Georg Meyer über den Wandel der Zahnmedizin. Auch wenn die heutige Zahnmedizin in hohem Maße durch ästhetische und kosmetische
Wünsche der Patienten beeinflusst wird, sollte der medizinische Auftrag der Zahnärzte nicht vergessen werden.
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What is the role of sleep medicine in
TMD?
Prof Stefan Kopp (Frankfurt, Germany) offered a brilliant
glimpse into sleep medicine. Pain and dysfunction, as well as
parafunctional grinding and clenching, are closely correlated
with sleep quality. Mandibular advancement splints can alleviate sleep-quality impairment due to snoring. However, this may
change the occlusion and thus affect the structures of the TMS
and the musculoskeletal system. Sixty percent of patients who
snore suffer from a chronic dysfunction. Kopp stated with great
emphasis that TMD screening is mandatory in all patients, in the
interests of patient safety and for forensic reasons. Functional therapy of TMD in centric jaw relation should be performed
first, followed by positioning remedies, as needed. Until the
delivery of the mandibular advancement splint, Face Dormers
or positive airway pressure ventilation may be useful.
How is the centric relation determined
while taking the musculoskeletal system
into account?
Dr Wolfgang Boisserée and Prof Werner Schupp (both from
Köln, Germany) presented vivid video sequences to show
how functional screening, especially regarding the musculoskeletal system, can be performed in daily practice. Using
selected video sequences, the two speakers illustrated the
systematic examination of the structures of the TMS, including verification of facial symmetry measurements, muscle
palpation, and TMJ testing. The diagnosis of the musculoskeletal system includes mobility tests of the cervical spine
and the trunk, as well as the techniques for examining the
musculoskeletal system, as introduced by Dr Gerhard Marx.
Following the elimination of influences of the occlusion
through TMJ mobilization, the modified Meersseman test
can be used to determine whether a TMD is related to an
ascending, a descending or a mixed relationship between the
temporomandibular and musculoskeletal systems. Another
video sequence showed how a centric relation record or construction bite can be checked for therapeutic efficacy on the
musculoskeletal system. Jaw relation records in descending
relationships can be ideal if previous findings on the musculoskeletal system can be alleviated when the bite record is
inserted. The bite record is then used to mount the casts for
occlusal analysis and, if necessary, for the production of an
occlusal splint. TMJ imaging can usefully support diagnostics
in selected cases.
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conference reportRunkel and Maul Dentistry and craniomandibular and musculoskeletal medicine
ZÄT-Info Director and congress initiator, Manfred
Läkamp, then offered an outlook on advanced treatment
methods for TMD patients, which are not limited to the
CAD/CAM occlusal splints now available. The esthetic
reconstruction (often challenging, especially in the abraded jaw) can be optimized by the Face Hunter facial scanner (Zirkonzahn). By making a connection between scanned
models and a facial scan of the patient, it is possible to
design a virtual setup in direct relationship to the soft tissues, to implement it using CAM, and then to perform a
try-in directly in the patient’s mouth.
Wenn auch heute eine Vielzahl innovativer Materialien
und Methoden zur Verfügung stehen, sollten auch diese
zunächst kritisch betrachtet werden. So wies Prof. Meyer
auf eine Vielzahl von Nachteilen des häufig verwendeten
Komposits, wie beispielsweise eine fehlende Bakterio­
statik, mangelbehaftete Dentinadhäsion, Zytotoxizität im
pulpanahen Bereich oder die Möglichkeit der Allergie­
entwicklung der Patienten hin. Abschließend appellierte
der Referent an alle jungen Zahnärzte zu beachten, dass
nicht alles Alte schlecht war, und präsentierte seine eigenen 30 Jahre alten intakten Goldteilkronen.
Dentistry is medicine
In the final presentation, Prof Georg Meyer, the scientific
leader of the congress, spoke about the changes occurring
within dentistry. Although dentistry today is greatly influenced by the esthetic and cosmetic expectations of patients,
dentists must not neglect the medical aspects of their mission. The variety of innovative materials and methods available today should be welcomed with a healthy dose of skepticism. Meyer pointed to a number of drawbacks concerning
the commonly used composite resins, such as the absence
of any bacteriostatic effect, their unsatisfactory adhesion
to dentin, cytotoxicity in areas near the pulp, and allergenic tendencies. Finally, he called upon all younger dentists to
remember that traditional treatment approaches are not necessarily inferior, presenting his own 30-year-old, intact partial
gold crowns as evidence.
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