Expertise - Pro Familia
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Expertise - Pro Familia
Expertise Entwicklung von Qualitätsstandards für die frauenärztliche B e r a t u n g u n d Ve r s o r g u n g v o n H I V- p o s i t i v e n F r a u e n Eine Diskussionsgrundlage Herausgegeben von pro familia Deutsche Gesellschaft für F a m i l i e n p l a n u n g , S e x u a l p ä d a g o g i k u n d S e x u a l b e r a t u n g e . V. Bundesverband . Stresemannallee 3 . 60596 Frankfurt am Main Te l e f o n 0 6 9 / 6 3 9 0 0 2 . F a x 0 6 9 / 6 3 9 0 5 2 . h t t p : / / w w w. p r o f a m i l i a . d e Impressum: Frankfurt am Main, 2008 ©pro familia Bundesverband. Stresemannallee Tel: 069/63 90 02, www.profamilia.de Gefördert vom Expertise vorgelegt von: Ulrike Sonnenberg-Schwan Diplom-Psychologin Wasserturmstr. 20 81827 München 3, 60596 Frankfurt am Main, EXPERTISE INHALT 1. Einleitung ............................................................................................................. 5 2. Epidemiologie...................................................................................................... 6 3. Allgemeine Beratungsstandards....................................................................... 7 4. Gynäkologische Aspekte bei HIV-Infektion...................................................... 8 4.1. HPV-Infektion................................................................................................ 8 4.2. Weitere genitale Infektionen ......................................................................... 9 4.2.1. Candida-Vulvovaginitis....................................................................... 9 4.2.2. Adnexitis (PID = Pelvic Inflammatory Disease).................................. 9 4.2.3. Herpes genitales ..............................................................................10 4.2.4. Weitere bakterielle Infektionen.........................................................10 4.2.5. Condylomata acuminata (Feigwarzen) ............................................10 4.3. Standards in der Diagnostik gynäkologischer Erkrankungen .....................10 5. Menstruationszyklus und Wechseljahre.........................................................11 5.1. Hintergrund .................................................................................................11 5.2. Wichtige Beratungsaspekte ........................................................................12 6. Kontrazeption ....................................................................................................12 6.1. Hintergrund .................................................................................................12 6.2. Kondom.......................................................................................................13 6.3. Barrieremethoden .......................................................................................14 6.4. Hormonelle Kontrazeptiva...........................................................................14 6.5. Kupfer-Intrauterinpessar .............................................................................15 6.6. Spermizide Zäpfchen, Schaumovula, Cremes ...........................................15 6.7. Sterilisation..................................................................................................15 6.8. Wichtige Beratungsaspekte ........................................................................16 7. Sexualität und Beeinträchtigungen des sexuellen Erlebens........................17 7.1. Hintergrund .................................................................................................17 7.2. Beeinträchtigungen des sexuellen Erlebens...............................................17 7.3. Wichtige Beratungsaspekte ........................................................................18 8. Schwangerschaft HIV-positiver Frauen ..........................................................19 8.1. Der positive HIV-Test in der Schwangerschaft ...........................................19 8.2. Maßnahmen zur Reduzierung des Transmissionsrisikos...........................20 8.2.1. Schwangerschaftsvorsorge..............................................................21 8.2.2. HIV-Therapie und Transmissionsprophylaxe in der Schwangerschaft..................................................................22 8.2.3. Weiterführung einer HIV-Therapie während der Schwangerschaft .22 8.2.4. Prophylaxe bei fehlender mütterlicher Therapieindikation ...............23 8.2.5. Risikoadaptierte HIV-Transmissionsprophylaxe ..............................24 8.2.6. Vorgehen bei unvollständiger Transmissionsprophylaxe.................24 8.2.7. Entbindungsmodus ..........................................................................25 3 pro familia 8.2.8. Versorgung des Neugeborenen im Kreißsaal..................................26 8.2.9. Stillverzicht .......................................................................................26 8.2.10. Nachsorge der Kinder ....................................................................27 8.3. Wichtige Beratungsaspekte ........................................................................27 9. Kinderwunsch ...................................................................................................29 9.1. Hintergrund .................................................................................................29 9.2. Optionen bei nicht eingeschränkter Fertilität ..............................................29 9.2.1. Selbstinsemination ...........................................................................29 9.2.2. Intrauterine Insemination..................................................................30 9.3. Optionen bei Einschränkungen der Fertilität...............................................30 9.4. Rechtliche Rahmenbedingungen................................................................31 9.5. Wichtige Beratungsaspekte ........................................................................32 10. Die besondere Situation von Migrantinnen..................................................34 Literaturverzeichnis ..............................................................................................36 Informationen für HIV-positive Frauen ...............................................................39 Links und Adressen..............................................................................................39 pro familia 1. Einleitung Aufgrund der relativ geringen Prävalenzrate von HIV-Infektionen bei Frauen haben niedergelassene GynäkologInnen außerhalb spezialisierter Zentren wenig Erfahrungen mit diesem Krankheitsbild. Die Betreuung und frauenärztliche Versorgung von Frauen mit HIV konfrontiert das medizinische und beraterische System mit zahlreichen spezifischen Problemen. Obwohl die medizinische Versorgung in auf HIV spezialisierten Schwerpunktpraxen, Klinikambulanzen und auch einigen spezialisierten gynäkologischen Zentren eine ausgesprochen hohe fachliche Qualität aufweist, sind nicht auf HIV spezialisierte Praxen und gynäkologische Kliniken häufig mit der Komplexität der Behandlung HIV-positiver Frauen und den spezifischen Problemkonstellationen, die in allen Lebensphasen HIV-positiver Frauen auftreten, überfordert. Bei Fragen zu Sexualität und Verhütung, zu genitalen Infektionen und zum Umfang von Früherkennungsuntersuchungen, wenn HIV-positive Frauen sich ein Kind wünschen, schwanger sind oder Probleme mit den Wechseljahren haben sowie bei einer ganzen Reihe weiterer Themen fehlen häufig Hintergrundinformationen. Dadurch kann es zu Fehlinformationen der Patientinnen, Behandlungsfehlern oder zum Verzicht auf notwendige Untersuchungen kommen. Zudem befinden sich spezialisierte Zentren zumeist in Großstädten, während in kleineren Städten und ländlichen Regionen die Entfernung zur nächsten gynäkologischen/geburtshilflichen Klinik mit HIV-Schwerpunkt oft mehrere hundert Kilometer beträgt. Die notwendige Vernetzung zwischen gynäkologischen Praxen und Kliniken, HIV-Schwerpunktpraxen, pädiatrischen Zentren und Einrichtungen des AIDSBeratungssystems unterschiedlichster Träger ist häufig nicht gegeben. Ein bislang ungelöstes Problem stellt auch die mangelhafte Testmentalität dar. Obwohl der HIV-Antikörpertest im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge in Deutschland jeder Frau angeboten werden sollte, bleibt ein hoher Prozentsatz der schwangeren Frauen ungetestet (nach Angaben geburtshilflicher Kliniken bis zu 50 %). Somit können vorhandene HIV-Infektionen nicht oder nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, woraus eine ausbleibende oder unvollständige Transmissionsprophylaxe resultiert und das Risiko einer kindlichen HIV-Infektion steigt. Ärztinnen und Ärzte sehen sich bei der Betreuung von Frauen mit HIV häufig auch mit ethischen und moralischen Fragestellungen konfrontiert, die eine Auseinandersetzung mit der eigenen Position erfordern, wenn es z. B. um die Kontrazeption, den Kinderwunsch oder die Sexualität geht. Die frauenärztliche Versorgung HIV-positiver Frauen erfordert besondere Kenntnisse, die in der normalen ärztlichen Fort- und Weiterbildung nicht in genügendem Maße vermittelt werden. Im vorliegenden Papier werden diejenigen Themen aus dem Bereich der Gynäkologie im Überblick dargestellt, die besondere, HIV-spezifische Fragestellungen aufwerfen. Als Grundlage dienen neben der verfügbaren Fachliteratur Erfahrungen aus der eigenen Beratungspraxis und aus dem Austausch mit GynäkologInnen. Ausgehend davon werden Vorschläge für die Entwicklung fachlicher Standards entworfen und zur Diskussion gestellt. 5 pro familia 2. Epidemiologie Ende 2007 lebten in Deutschland ca. 59.000 HIV-infizierte Menschen, davon 84 % Männer, 16 % Frauen (ca. 9.500) und weniger als 1 % Kinder. Laut Schätzung des Robert-Koch-Institutes infizieren sich jährlich in Deutschland 3.000 Menschen neu mit HIV 1 . Nach mehreren Jahren der Stagnation wurde seit 2001 ein Wiederanstieg der neu diagnostizierten HIV-Infektionen bis auf 2.700 im Jahr 2006 berichtet. Die am stärksten von der HIV-Infektion betroffene Gruppe sind homosexuelle Männer mit 61 %, gefolgt von Menschen aus Hochprävalenz-Regionen (Afrika südlich der Sahara, z. T. Mittelamerika und Karibik) und i. v.-DrogenkonsumentInnen mit je 13 % und schließlich Personen, die sich die Infektion über heterosexuelle Kontakte zugezogen haben, mit knapp 12 % 2 . Im Jahr 2007 setzte sich dieser Trend fort: im ersten Halbjahr 2007 entfielen 64 % der HIVNeudiagnosen auf homosexuelle Männer, während der Anteil der Frauen nur noch 14,5 % betrug. Die sinkende Ansteckungsquote bei Frauen lässt sich primär mit dem Rückgang der Meldungen von Frauen aus Hochprävalenz-Ländern erklären. Frauen infizieren sich durchschnittlich in einem jüngeren Lebensalter als Männer, die meisten von ihnen im Alter zwischen 25 und 39 Jahren. Bei Männern lag der Altersschwerpunkt im Jahr 2006 zwischen 30 und 39 Jahren 3 . Die Mutter-Kind Transmission liegt bei ca. 1 %. Im Jahr 2006 wurden 20 Infektionen bei Kindern HIV-positiver Mütter diagnostiziert, allein im zweiten Halbjahr 2007 allerdings bereits 16. Die meisten Fälle waren durch fehlende oder unzureichende Prophylaxemaßnahmen zu erklären, häufig aufgrund einer nicht bekannten HIVInfektion der Mutter. Anfang 2005 hatte das Robert Koch-Institut alle niedergelassenen GynäkologInnen auf die Bedeutung des HIV-Tests in der Schwangerschaft aufmerksam gemacht. Nach wie vor ist allerdings eine schlechte Testmentalität in der gynäkologischen Schwangerschaftsvorsorge zu beklagen. Der Gemeinsame Bundesausschuss schätzte im Jahr 2007, dass etwa 50 % der Schwangeren den HIV-Test wahrnehmen. In der Folge wurden die Mutterschaftsrichtlinien geändert und ein Merkblatt zum HIV-Screening erstellt 4 5 6 . 1 RKI, Epidemiologisches Bulletin B/2007. RKI, Epidemiologisches Bulletin A/2007. RKI: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand 30.04.07. 4 Gemeinsamer Bundesausschuss 2007. 5 Bundesanzeiger Nr. 239 vom 21.12.2007. 6 Gemeinsamer Bundesausschuss 2007: Merkblatt HIV-Screening. 2 3 6 E X P E R T I S E 3. Allgemeine Beratungsstandards Als Grundlage für das frauenärztliche Beratungsangebot sollten folgende Qualitätsstandards dienen 7 : Informationen Vollständigkeit und Richtigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen, die auch wissenschaftliche Kontroversen nicht außer Acht lassen, Einbeziehung psychologischer und sozialer Aspekte über die reinen technischen/medizinischen Informationen hinaus, Formulierung in einer verständlichen, die kommunikativen Kompetenzen der Patientin berücksichtigenden Sprache, Beratung im Idealfall in der Muttersprache der Patientin, ggf. mit DolmetscherIn, Broschüren in der Muttersprache, Adressenlisten, Informationen über Beratungsstellen, Hinweise auf Internetseiten als Ergänzung zur persönlichen Beratung, Information der Klientinnen über Inhalte, Methoden und Rechte in der Beratung, auch über Beschwerderechte, als Bestandteil der Beratung. Beratung Das Beratungsangebot sollte folgende Grundsätze berücksichtigen: Niederschwelligkeit des Zugangs, Freiwilligkeit, Vertrauen, dass Frauen das Recht und die Kompetenz haben, ihre eigenen Entscheidungen hinsichtlich ihrer psychischen, physischen, sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu treffen, Professionalität, nicht-direktives und klientinnenorientiertes Vorgehen, Ganzheitlichkeit, Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse, Lebenssituationen und Lebensstile von Frauen, Einbeziehung der LebenspartnerInnen, wenn gewünscht, z. B. im Rahmen der Beratung zu Kinderwunsch, Schwangerschaft, Verhütung oder Sexualität. Zugänglichkeit und Verfügbarkeit Anstreben eines flächendeckenden Beratungsangebotes unter besonderer Berücksichtigung ländlicher Regionen mit eingeschränkter Versorgungsqualität, hohe Vernetzung der lokalen Beratungsangebote. 7 Vorschlag auf Grundlage von pro familia 2000. 7 pro familia Räumlichkeiten Die Räumlichkeiten, in denen die Beratung stattfindet, sollten folgende Standards erfüllen: einfache Erreichbarkeit, frauenfreundliche Ausstattung und Beschäftigungsmöglichkeiten für begleitende Kinder, Wahrung der Privatsphäre der jeweiligen Frau, ggf. auch der Anonymität. Personelle Ausstattung Persönliche und fachliche Qualifikationen der MitarbeiterInnen und Mitarbeiterführung: Freundlichkeit, Offenheit, Akzeptanz und Wärme als persönliche Qualitäten der am Empfang tätigen MitarbeiterInnen, Anstreben eines interdisziplinären Teams, wo dies nicht möglich ist, einer guten lokalen Kooperation mit anderen Diensten, Einstellen auf die Bedürfnisse der Frauen unterschiedlicher Zielgruppen, insbesondere Offenheit und Verständnis gegenüber den speziellen Bedürfnissen von Frauen aus anderen Kulturen, regelmäßige Teamsitzungen und Supervisionen zur Sicherstellung der Qualität der Arbeit, regelmäßige Fortbildungen aller MitarbeiterInnen in ihren jeweiligen Schwerpunktgebieten. 4. Gynäkologische Aspekte bei HIV-Infektion Bei HIV-positiven Frauen tritt eine Reihe von gynäkologischen Beschwerden und Erkrankungen häufiger auf als bei HIV-negativen Frauen. Die Zusammenhänge zwischen diesen Beschwerden und der HIV-Infektion bzw. der antiretroviralen Behandlung sind noch nicht eindeutig geklärt. Im Folgenden soll ein Überblick über die am häufigsten auftretenden gynäkologischen Erkrankungen/Beschwerden gegeben werden. 8 4.1. HPV-Infektion HPV-Infektionen treten bei HIV-positiven Frauen und Männern häufiger auf als in der Normalbevölkerung. HPV-Infektionen mit bestimmten Virustypen (z. B. 16, 18) können zu persistierenden Infektionen führen, die eine Voraussetzung für die Entstehung von genitalen und analen Dysplasien sind. HIV-positive Frauen sind häufiger mit multiplen HPV-Typen infiziert. Mit zunehmender Immunsuppression steigt sowohl die Viruslast als auch die Anzahl der gefundenen HPV-Typen. Sowohl die 8 Ausführliche Darstellungen s. SPI Forschung (Hrsg.) 2004 und Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (Hrsg.) 2007. 8 E X P E R T I S E Prävalenz der zervikalen Dysplasien (30 bis 45 %) als auch das damit verbundene erhöhte Risiko für die Entstehung eines Zervixkarzinoms (1 bis 5 %) ist zu beachten. Das Zervixkarzinom gilt als AIDS-definierende Erkrankung. Studiendaten weisen darauf hin, dass zervikale Dysplasien bei HIV-positiven Frauen aggressiver verlaufen als bei negativen. Neuere Daten legen nahe, dass die Prävalenz analer Karzinome bei HIV-positiven Frauen unterschätzt wurde. Eine engmaschige Kontrolle mit anogenitalen Untersuchungen ist daher von großer Bedeutung. Bei bestehender HPV-Koinfektion, verdächtiger zervikaler Zytologie und besonders bei einer CD4-Helferzellzahl <200/µl sollte eine dreimonatige zytologische und kolposkopische Kontrolle vorgenommen werden. Bei suspekten Befunden ist eine rasche histologische Abklärung durch eine Biopsie durchzuführen. 9 , 10 Anogenitale Dysplasien, die sich meist auch durch eine gut funktionierende HAART mit gutem Immunstatus nicht verbessern lassen, stehen bei HIVPatientinnen in der letzten Zeit häufiger im Vordergrund als STDs oder andere genitale Infektionen. Wichtig ist hier eine engmaschige Überwachung und möglichst organerhaltendes chirurgisches Vorgehen, z. B. Laservaporisation. Gekennzeichnet sind die Verläufe bei HIV-Patientinnen von häufigen Rezidiven aufgrund des meist persistierenden HP-Virus. 4.2. Weitere genitale Infektionen HIV-positive Frauen sind häufiger von genitalen Infektionen – auch von vulvären und vaginalen – betroffen als nicht infizierte Frauen. 11 12 Seit dem Einsatz hochwirksamer antiretroviraler Substanzen sind diese Infektionen allerdings stark rückläufig. Zu den am häufigsten vorkommenden gehören: 4.2.1. Candida-Vulvovaginitis Die vaginale Candidiasis wird als die häufigste und am frühesten auftretende Infektion bei HIV-positiven Frauen beschrieben. Die Verläufe sind häufig schwerwiegender, schwieriger zu behandeln und die Rezidivhäufigkeit ist höher als bei nicht infizierten Frauen. Die Schwere und Lokalisation der Infektion sind mit dem Grad der Immunsuppression verknüpft. Vor allem bei einer CD4-Zellzahl <100/µl treten gehäuft Candidosen auf. Sie sind vor allem Folge einer gestörten vaginalen Flora. 4.2.2. Adnexitis (PID = Pelvic Inflammatory Disease) Der Symptomenkomplex der Entzündung des oberen Genitaltraktes tritt bei HIVInfektion und AIDS häufiger auf als im Normalkollektiv. Die häufigsten Erreger sind Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae, die mit Fieber, Schmerzen und Diarrhoe im Wechsel mit Obstipation einhergehen können. Weitere häufige Erreger sind Mykoplasmen, Trichomonaden, Streptokokken und Treponema pallidum. 9 Beichert M. Friebe-Hoffmann U, Friese K, Bender H 2005. 11 Stolze B 2001. 12 Exner V 2000. 10 9 pro familia 4.2.3. Herpes genitales Herpes simplex Typ-2-Infektionen der Anogenitalregion sind ebenfalls häufig bei Frauen mit HIV. Meist handelt es sich um eine Reaktivierung des Erregers nach früher durchgemachten Infektionen. Studien weisen ebenfalls auf einen Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Erkrankung und dem Grad der Immunsuppression hin. Die Rezidivhäufigkeit ist höher als bei nicht infizierten Patientinnen. HSV-bedingte Ulzera, die länger als einen Monat bestehen, gelten als AIDSdefinierende Erkrankung. Eine akute Herpes genitalis-Läsion wird als Risikofaktor für die Transmission von HIV angesehen. 4.2.4. Weitere bakterielle Infektionen Störungen der vaginalen Flora können die Anfälligkeit für Infektionen erhöhen. So führen z. B. Gardnerellen, die in kleinen Mengen sehr häufig im Genitalbereich vorkommen, bei Männern kaum je zu Beschwerden bei Frauen hingegen häufig zu Scheidenentzündungen. Diese Infektionen sind unangenehm, aber – außer in der Schwangerschaft – meist eher harmlos und gut behandelbar. Weiterhin können Infektionen mit Enterokokken, Streptokokken der Gruppe B und Chlamydien Eileiterentzündungen, vorzeitigen Blasensprung und Frühgeburtlichkeit begünstigen. Bakterielle Infektionen des Genitaltraktes, die nicht frühzeitig behandelt werden, können allerdings auch dramatische Verläufe zeigen, wenn sie als aufsteigende Infektion in den Bauchraum zu einer generalisierten Sepsis führen. 4.2.5. Condylomata acuminata (Feigwarzen) Feigwarzen sind warzenartige Veränderungen der Haut, die durch bestimmte, meist harmlose Stämme des Humanen Papilloma-Virus (HPV) verursacht werden. Feigwarzen werden immer sexuell übertragen. Die gutartigen kleinen Geschwülste können an den äußeren Geschlechtsorganen, am Scheiden- und Aftereingang, in der Harnröhre und am Harnröhreneingang, am Gebärmutterhals, in der Leistengegend und auch an den Oberschenkeln auftreten. Gefährdet sind vor allem Frauen mit einem geschwächten Immunsystem, das neben HIV auch durch folgende Faktoren bedingt sein kann: Stress, immunsuppressive Therapien, Rauchen, Drogenkonsum sowie durch gleichzeitig bestehende Infektionskrankheiten, wie Infektionen durch Pilze, Bakterien oder Herpesviren. Kondylome haben auch nach Behandlung, z. B. mit Imiquimod lokal oder Laservaporisation, eine hohe Rezidivrate. 4.3. Standards in der Diagnostik gynäkologischer Erkrankungen Aus den beschriebenen Problemlagen ergibt sich, dass regelmäßige und sorgfältige Kontrollen und Vorsorgeuntersuchungen bei HIV-positiven Frauen zum Standard der frauenärztlichen Betreuung gehören sollten. Eine Kooperation mit auf HIV spezialisierten GynäkologInnen und HIVBehandlerInnen ist dringend anzuraten. 10 E X P E R T I S E Folgende gynäkologische Vorsorge- bzw. Früherkennungsuntersuchungen werden in halbjährlichem Intervall empfohlen: 13 Inspektion und Palpation der Brust und der regionären Lymphabflussgebiete, da bei HIV-positiven Frauen gehäuft vergrößerte regionäre Lymphknoten auftreten, ggf. frühzeitige mammographische bzw. sonographische Abklärung, Palpation der Leistenregion und des Abdomens, bimanuelle Palpation des inneren Genitals, transvaginale Sonographie, rektale Untersuchung, ggf. Analzytologie und mikroskopische Beurteilung, Inspektion und Kolposkopie der Vulva, der Vagina, der Zervix und der Perianalregion, Anlage eines Nativpräparates zur Beurteilung des Scheidenmilieus, zytologischer Abstrich zum Nachweis von HPV-Koinfektion (Humanes Papilloma-Virus) und weiterer sexuell übertragbarer Erkrankungen, HPV-Typisierung bei HPV-Nachweis (nach Low-risk- und High-risk-Typen), Erstellen einer Basismammographie/-sonographie ab dem 40. Lebensjahr mit derzeit zweijährigen Wiederholungen ab dem 50. Lebensjahr. 5. Menstruationszyklus und Wechseljahre 5.1. Hintergrund Es gibt viele Hinweise aus Beobachtungsstudien und Fallberichten ebenso wie aus der beraterischen Praxis, dass HIV-positive Frauen häufiger unter Unregelmäßigkeiten ihres Menstruationszyklus leiden als nicht positive. Diese Störungen kommen in unterschiedlichster Form vor und können Dysmenorrhoe, Oligomenorrhoe oder Amenorrhoe umfassen. Zwischenblutungen oder persistierende Schmierblutungen werden ebenfalls beklagt. Weiterhin gibt es Hinweise auf einen verfrühten Beginn der Menopause. Kontrollierte Studien zur vorzeitigen Menopause und zu Menstruationsunregelmäßigkeiten zeigten uneinheitliche Ergebnisse. Die Ursachen für das Auftreten von Menstruationsunregelmäßigkeiten bei HIV-positiven Frauen sind bisher nicht eindeutig erklärbar. Ob HIV einen direkten Einfluss auf die ovariellen und uterinen Funktionen hat oder auf indirektem Weg das endokrine System beeinflusst, ist noch ungeklärt. Sicher ist, dass chronische Erkrankungen, Gewichtsverlust, Stress, Erschöpfung, Mangelernährung, Substitution mit Methadon oder Polamidon oder der Gebrauch von Heroin das Menstruationsgeschehen beeinflussen. In Bezug auf mögliche Zusammenhänge zwischen vorzeitiger Menopause und einem erhöhten Risiko für Osteopenie und Osteoporose bei HIV-positiven Frauen besteht ein dringender Forschungsbedarf. Studien weisen vermehrt auf ein häufi- 13 Ausführliche Darstellung siehe auch Seyler H 2006. 11 pro familia geres Auftreten von Beeinträchtigungen der Knochendichte als Nebenwirkung einer HAART hin. Viele HIV-positive Frauen erleben Zyklusstörungen und Symptome, die auf eine vorzeitige Menopause hindeuten, als sehr verstörend. So befürchten beispielsweise Frauen mit Kinderwunsch häufig, dass sie diese Lebensperspektive nicht mehr verwirklichen können, was zu Resignation und depressiven Verstimmungen führen kann. Zu diesen Belastungen können die Nebenwirkungen verschiedener antiretroviraler Substanzen beitragen, die zu einer Veränderung des Körperbildes führen – z. B. Störungen der Fettverteilung (Lipodystrophie und Lipoatrophie) – und damit ein vermindertes Selbstwertgefühl und Angst vor dem Verlust von Attraktivität provozieren können. 5.2. Wichtige Beratungsaspekte Standard in der Diagnostik und Therapie von Zyklusstörungen sollte ein ganzheitlicher Ansatz sein, der neben den hormonellen Aspekten und der antiretroviralen Therapie auch Faktoren des Lebensstils wie Ernährung, Rauchen und Bewegung, psychische Belastungen, Vorerkrankungen und nicht zuletzt die Frage nach der Kontrazeption beinhaltet. Wechselwirkungen zwischen hormonellen Kontrazeptiva und antiretroviralen Substanzen sind möglich (s. u.). Auch dadurch wird das Zyklusgeschehen beeinflusst. Eine enge Kooperation mit dem HIV-Behandler sollte selbstverständlich sein. Eine Unterstützung der Frauen durch komplementärmedizinische Ansätze (z. B. Phytotherapie, Homöopathie) kann sehr erfolgreich sein ebenso wie körperorientierte Verfahren, ggf. psychotherapeutische Unterstützung. Bei der Anwendung von Phytotherapeutika sind die Wechselwirkungen verschiedener Substanzen mit der antiretroviralen Therapie in jedem Fall zu beachten. KooperationspartnerInnen sind auch hier, regional differierend, Frauengesundheitszentren, HeilpraktikerInnen oder naturheilkundlich orientierte ÄrztInnen mit Erfahrung in der Behandlung HIV-positiver Menschen. 6. Kontrazeption 6.1. Hintergrund Seit mehr als zwei Jahrzehnten ergeht an Menschen mit HIV die eindeutige Präventionsbotschaft, durch die konsequente Anwendung von Kondomen zum Schutz ihrer SexualpartnerInnen beizutragen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass HIVpositive Frauen und Männer und ihre PartnerInnen auf diese Präventionsmaßnahme häufig nicht zurückgreifen. Bei der Verhütungsberatung HIV-positiver Frauen sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen: die Verhinderung einer Schwangerschaft, die Vermeidung der HIV-Übertragung auf einen negativen Sexualpartner bzw. eine Sexualpartnerin, 12 E X P E R T I S E die Vermeidung der Übertragung weiterer sexuell übertragbarer Erkrankungen, insbesondere solcher, die den Krankheitsverlauf der HIV-Infektion negativ beeinflussen können (z. B. Hepatitis, Herpes, HPV), in einer serokonkordanten Partnerschaft die mögliche Übertragung resistenter Virenstämme, Lebensstil, Lebensführung, Wünsche und Vorstellungen der Frau und ihres Partners/ihrer Partnerin, mögliche Probleme der Frau oder des Partners/der Partnerin mit speziellen Verhütungsmethoden. 6.2. Kondom In der Regel wird HIV-positiven Frauen beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr mit einem HIV-negativen Partner die Anwendung eines Kondoms in Verbindung mit einer weiteren Verhütungsmethode empfohlen. Diese Präventionsmaßnahme ist die sicherste und sollte deswegen von Paaren verwendet werden, für die die Vermeidung von Infektionen und die Empfängnisverhütung einen hohen Stellenwert einnimmt. Grundsätzlich bietet nur das Kondom einen Schutz sowohl vor HIV als auch vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen, die das Immunsystem HIV-positiver Menschen zusätzlich belasten können. Ist die Viruslast unter einer gut eingestellten HIV-Therapie nicht mehr nachweisbar, besteht – statistisch gesehen – eine geringere Infektionsgefahr für HIV-negative Sexualpartner. Infektionen sind allerdings nicht völlig ausgeschlossen. Schwankungen der Viruslast sind möglich, z. B. wenn andere Infektionen vorhanden sind. In einigen Fällen ist auch bei nicht nachweisbarer Viruslast im Blut eine Virusbelastung im Genitalsekret nachweisbar. Genitale Infektionen, aber auch eine Hepatitis oder Grippe können die Viruslast beeinflussen. Im Januar 2008 stellte die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) fest, 14 dass eine HIV-infizierte Person als sexuell nicht infektiös anzusehen sei, wenn folgende Bedingungen erfüllt seien: „die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert, die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h., die Virämie ist supprimiert), es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD)“. Grundlage für die EKAF-Stellungnahme sind Studien zur HIV-Transmission an heterosexuellen Paaren. Die EKAF selbst betont, dass die wissenschaftliche Evidenz für diese Empfehlung noch nicht gegeben sei, dass aber die heute verfügbaren Informationen genügten, um die Aussage hinreichend zu begründen. Sie bezieht die Stellungnahme vor allem auf Menschen, die in einer festen, HIV-diskordanten Partnerschaft leben. Für alle anderen Gruppen gilt auch in der Schweiz nach wie vor, dass Kondome der wirksamste Schutz gegen die HIV-Infektion sind. 14 Vernazza P, Hirschel B, Bernasconi E, Flepp M 2008 (S. 165-169). 13 pro familia Die Stellungnahme wird in ihrer Auswirkung auf die derzeit geltenden Präventionsbotschaften international und auch in Deutschland kontrovers diskutiert. Liegen bereits Resistenzen gegen antiretrovirale Medikamente vor, ist eine Übertragung resistenter Virenstämme auf den negativen Sexualpartner möglich. Dadurch werden die Optionen für eine HIV-Therapie eingeschränkt, wenn es zu einer Infektion kommen sollte. Die Anwendung von Kondomen lässt sich in Verbindung mit fettfreiem Gleitgel optimieren, auch bei Störungen der Lubrikation – nicht wenige HIV-positive Frauen klagen in der Beratung über Scheidentrockenheit. Beim Geschlechtsverkehr mit ebenfalls HIV-positiven Sexualpartnern sind weitere Aspekte zu berücksichtigen: Die Höhe des Risikos der so genannten „Superinfektion“, das heißt der zusätzlichen Infektion mit einem resistenten oder aggressiveren Virenstamm, ist umstritten und scheint bei gut funktionierender HIV-Therapie gering zu sein. Zu bedenken ist allerdings auch hier die Gefahr der Infektion mit anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen. 6.3. Barrieremethoden Zu den von der Frau selbst kontrollierbaren Barrieremethoden gehören Frauenkondom (Femidom), Diaphragma und Portiokappe. Allein das Frauenkondom bietet die gleiche Sicherheit vor einer HIV-Übertragung wie das Kondom und zudem für die Frau eine Möglichkeit, Verhütung und Prävention selbst zu kontrollieren. Wegen der hohen Kosten und des „Knisterns“ bei der Anwendung ist es trotz dieser Vorteile in Deutschland nicht besonders beliebt. Die Verhütungssicherheit ist bei dieser Methode etwas geringer als bei Kondomen. Erste Studien zur Schutzwirkung des Diaphragmas vor der HIV-Infektion sind in jüngerer Zeit in einigen afrikanischen Ländern angelaufen. Bisher konnte ein Schutz vor Übertragung von Infektionen allerdings nicht belegt werden. Bei der Benutzung des Diaphragmas sollten Verhütungsgels auf Milchsäurebasis angewendet werden, da Nonoxynolhaltige, spermizide Gels die Vaginalschleimhaut schädigen können. Bei der Verhütung mit Diaphragma oder Portiokappe ist der zusätzliche Gebrauch von Kondomen als wirksamer Infektionsschutz zu empfehlen. 6.4. Hormonelle Kontrazeptiva Bei der Anwendung hormoneller Kontrazeptionsmethoden und hier v. a. bei der „Pille“, kann es zu Wechselwirkungen mit einer antiretroviralen Therapie kommen. Unter der Wirkung bestimmter Substanzen baut die Leber Hormone zum Teil schneller ab, wodurch der Schwangerschaftsschutz beeinträchtigt wird. Andere antiretrovirale Substanzen können den Abbau der Hormone verzögern, so dass der Hormonspiegel ansteigt und schwangerschaftsähnliche Symptome auftreten können. Hormonelle Kontrazeptiva können den Plasmaspiegel antiretroviraler Substanzen beeinflussen und so einen zu niedrigen Wirkstoffspiegel herbeiführen, der wieder- 14 E X P E R T I S E um zu Resistenzen führen kann. Die Plasmaspiegel der Medikamente sollten deswegen regelmäßig kontrolliert werden. Aufgrund der komplexen Interaktionen der unterschiedlichen Wirkstoffe ist eine interdisziplinäre Kooperation zwischen Gynäkologie und HIV-Schwerpunktmedizin dringend zu empfehlen. Zu den Wechselwirkungen der antiretroviralen Therapie mit anderen hormonellen Verhütungsmethoden wie Dreimonatsspritze, Implanon, „Hormonspirale“, Pflaster oder Vaginalring gibt es zu wenig aussagekräftige Daten. Da diese Kontrazeptiva in der Regel eine geringere Hormondosis enthalten als die „Pille“, ist anzunehmen, dass es hier auch zu weniger Wechselwirkungen und zudem zu einer geringeren Belastung der Leber kommt. Letzteres stellt besonders bei Patientinnen mit Leberschädigungen, beispielsweise durch eine HCV-Koinfektion, einen erheblichen Vorteil dar. Informationen zu Wechselwirkungen zwischen hormonellen Kontrazeptiva und antiretroviralen Substanzen bieten folgende Adressen: www.hiv-wechselwirkungen.de www.ifi-interaktions-hotline.de (Telefonische Hotline: 0160-902 441 00) 6.5. Kupfer-Intrauterinpessar Die Kupferspirale kann eine verstärkte Regelblutung bewirken und erhöht das Risiko für Unterleibsinfektionen, das kurz nach der Einlage besonders hoch ist. Solange bei HIV-Patientinnen noch keine ausgeprägte Immunschwäche besteht, sprechen die genannten Nebenwirkungen nicht prinzipiell gegen diese Methode, allerdings muss vor dem Einlegen eine sorgfältige Untersuchung auf genitale Infektionen durchgeführt werden. Die WHO empfiehlt keine Neueinlage des IUP bei HIVpositiven Frauen, wenn diese vorher nie damit verhütet haben. Zu betonen ist, dass auch das IUP nicht vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten schützt. Dieser Schutz ist nur bei gleichzeitiger Verwendung von Kondomen gewährleistet. 6.6. Spermizide Zäpfchen, Schaumovula, Cremes Diese Verhütungsmittel bieten keinen ausreichenden Schutz vor einer Schwangerschaft und beeinträchtigen zudem die Sicherheit von Kondomen. Abgesehen von diesen Nachteilen, provozieren die Mittel aber auch häufig unangenehme Nebenwirkungen wie Irritationen der Vaginalschleimhaut und Entzündungen, die wiederum anderen Krankheitserregern Tor und Tür öffnen. 6.7. Sterilisation Die Sterilisation stellt für Frauen bzw. Paare, deren Familienplanung abgeschlossen ist, eine wirksame Verhütungsmethode dar, bietet allerdings ebenfalls keinen Schutz vor HIV und anderen STDs. Da eine Sterilisation nur schwer und manchmal 15 pro familia gar nicht rückgängig zu machen ist, sollte ein solcher Schritt im Vorfeld gut überdacht und eingehend besprochen werden. Früher riet man Frauen, bei denen in der Schwangerschaft eine HIV-Infektion diagnostiziert wurde, häufig zu einem Schwangerschaftsabbruch mit gleichzeitiger Sterilisation, was viele Frauen später bereuten. Deswegen wird eine Sterilisation heute nur dann in zeitlicher Nähe zu einem Abbruch (oder auch zu einer Geburt) vorgenommen, wenn die Frau den Schock der HIV-Diagnose verarbeitet hat und die Sterilisation schon vor der Schwangerschaft längere Zeit geplant war. 15 6.8. Wichtige Beratungsaspekte BeraterInnen sollten Frauen und Paaren, die beim Geschlechtsverkehr selten oder nie Kondome benutzen, ohne Vorwürfe oder Vorhaltungen entgegentreten. Eine Vielzahl unterschiedlicher Gründe – von einer bewussten partnerschaftlichen Entscheidung bis zu Wissensdefiziten – führt Paare dazu, keine Kondome zu verwenden. Dabei liegen die Ursachen nicht selten auf Seiten des HIV-negativen, heterosexuellen Partners. So lehnen viele Männer Kondome aufgrund von Erektionsschwierigkeiten oder einem Sensibilitätsverlust ab, aber auch emotionale Faktoren wie der Wunsch nach Nähe bis zur Verschmelzung können hier eine Rolle spielen. Diese Ablehnung führt bei den HIV-positiven Partnerinnen nicht selten wiederum zu großem psychischem Druck, der aus der Angst resultiert, den Partner zu infizieren. Manche Paare gelangen aber auch zu einem partnerschaftlichen Konsens und der Bereitschaft, Risiken gemeinsam zu tragen. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass in der Verhütungsberatung von Menschen mit HIV/AIDS, bei denen die Viruslast noch nicht nachweisbar ist, immer häufiger auch nach dem Risiko einer HIV-Infektion beim ungeschützten Geschlechtsverkehr gefragt wird. Strategien der Risikoreduzierung („harm reduction“ entsprechend ähnlicher Konzepte in der Drogenarbeit) sollten durchaus ihren Platz im Beratungsgespräch haben, wenn dies den Wünschen der Frau/des Paares entspricht. Ein solches Vorgehen widerspricht zwar der langjährigen Präventionsbotschaft „nur mit Kondom“ und verlangt deswegen ein Umdenken der BeraterInnen, ist aber im Sinne der Ratsuchenden, weil es ihre Bedenken und Probleme ernst nimmt. Frauen und Paare, die nur mit Kondomen verhüten, sollten auch über die Postkoitalverhütung („Pille danach“) informiert werden. Diese Methode gibt ihnen im Falle einer Verhütungspanne eine weitere Handlungsmöglichkeit, wenn eine Schwangerschaft unter allen Umständen ausgeschlossen werden soll. Lesbische Paare sollten in der Beratung darauf hingewiesen werden, dass es bei der gemeinsamen Benutzung von Sex Toys und beim Kontakt mit Menstruationsblut zu Infektionen mit HIV und anderen STDs kommen kann. 15 Ausführliche Darstellung siehe auch: Seyler H 2006 (Schwangerschaftsverhütung). 16 E X P E R T I S E 7. Sexualität und Beeinträchtigungen des sexuellen Erlebens 7.1. Hintergrund HIV-positive Männer und Frauen berichten in der Beratung nicht selten von Beeinträchtigungen ihres sexuellen Erlebens. 16 Den männlichen Dysfunktionen wird seit Jahren auch in der Forschung sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt, während sich international nur wenige kleinere Studien mit den Störungen des sexuellen Erlebens von Frauen befassen. Der Forschungsstand ist daher nur wenig zufriedenstellend. Sexualität bei HIV-positiven Menschen wurde lange Zeit überwiegend in Hinsicht auf präventive Aspekte und „riskantes Sexualverhalten“ untersucht. Aus den letzten Jahren liegen allerdings mehrere Studien, überwiegend an HIV-positiven Männern, vor, die auf eine große Häufigkeit sexueller Funktionsstörungen hinweisen. Am häufigsten tritt bei Männern ein Nachlassen oder der Verlust der sexuellen Appetenz (Libidoverlust) auf, gefolgt von Erektions-, Orgasmus- und Ejakulationsstörungen. Die Studien zeigen bei Männern signifikante Zusammenhänge sexueller Dysfunktionen mit der hochwirksamen antiretroviralen Therapie. Aufgrund des in der Regel geringen Anteils weiblicher Studienteilnehmerinnen konnten derartige Zusammenhänge bei Frauen bisher nicht nachgewiesen werden. 7.2. Beeinträchtigungen des sexuellen Erlebens Vor allem die Diagnose einer HIV-Infektion stellt mehreren Studien zufolge einen folgenschweren Einschnitt im sexuellen Erleben bei Frauen dar. Viele Frauen berichten – in retrospektiven Befragungen – von einem Nachlassen ihrer sexuellen Lust bis hin zum völligen Libidoverlust. Schuld- und Schamgefühle sowie die Angst, den Partner zu infizieren, führten bei vielen Frauen zu großen psychischen Belastungen. In der Studie „Frauenleben II“ an 185 HIV-positiven Frauen bewerteten 60 % der Frauen ohne Partner/in, aber auch 42 % der Frauen mit fester Partnerschaft die Zufriedenheit mit ihrer Sexualität als unterdurchschnittlich. 56 % der allein stehenden Frauen hatten in den letzten 12 Monaten vor der Befragung keine sexuellen Kontakte, bei den Frauen mit Partner/in waren dies 15 %. Die Unzufriedenheit mit der Sexualität stieg mit zunehmendem Alter: Bei den unter 30-jährigen Frauen waren 25 % mit ihrer Sexualität unzufrieden, bei den älteren stieg der Anteil auf bis zu 57 %. Weitere Einflussfaktoren ergaben sich aus Begleiterscheinungen der HIVInfektion: Frauen, die sich durch HIV-spezifische Beschwerden besonders belastet fühlten, zeigten sich auch häufiger unzufrieden mit ihrer Sexualität. 17 Aktuelle Daten aus einer gerade abgeschlossenen, eigenen Studie an 77 HIVpositiven und 63 HIV-negativen Frauen verdeutlichen die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: 40 % der HIV-positiven Frauen im Vergleich zu 24 % der Probandinnen aus der anderen Gruppe berichteten, dass sie ihre Sexualität häufig bis immer als eingeschränkt erlebten. Fast ein Drittel der HIV-positiven Frauen gab 16 17 Sonnenberg-Schwan U, Kästner R, Knobbe A, Müller M, Friese K 2004. Steffan E, Herrmann U, Kerschl V 2004. 17 pro familia an, dass sie nach der HIV-Diagnose völlig auf sexuelle Kontakte verzichteten, bei einem Viertel schränkten die Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie das Sexualleben ein. Die Frauen beklagten eine Vielzahl von Symptomen, hauptsächlich peripheren Fettverlust, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und Libidoverlust. 35 % der HIV-positiven im Vergleich zu 24 % der HIV-negativen Frauen berichteten von Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch als Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Isolationsgefühle, niedriges Selbstwertgefühl oder Attraktivitätsverlust, aber auch die Angst, keinen neuen Partner mehr zu finden, stellen große emotionale Belastungen für diese Frauen dar. Die häufig diagnostizierten Depressionen liegen sicherlich zum Teil in den sexuellen Funktionsstörungen begründet. Familiäre Belastungen, die Sorge für Kinder und Partner zusätzlich zur Sorge um die eigene Gesundheit, aber auch existentielle Nöte beeinträchtigen die individuelle Zufriedenheit, die Lebensqualität und in der Folge auch die Sexualität. Auch Nebenwirkungen der antiretroviralen Medikamente können sich ausgesprochen belastend auf das sexuelle Erleben auswirken: Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes, Anämie mit der Folge von Müdigkeit und Antriebsarmut, Hautveränderungen, Übelkeit, Durchfälle etc., ebenso Folgeerscheinungen der Lipodystrophie/Lipoatrophie. HIV-positive Frauen berichten auch von Libidoverlust, Scheidentrockenheit oder verzögertem/ausbleibendem Orgasmus. Konkrete Auswirkungen der hormonellen Veränderungen – als Begleiterscheinung einer antiretroviralen Therapie, als Folge der HIV-Infektion oder einfach altersbedingt – auf das sexuelle Erleben sind weitgehend ungeklärt und ausgesprochen schwer zu erforschen. Es ist allerdings sicher, dass hormonelle Faktoren neben vielen anderen psychischen und physischen Faktoren einen wichtigen Einfluss auf die Sexualität haben. Das sexuelle Erleben hängt zudem stark von individuellen Erfahrungen mit Sexualität ab. Amerikanische Studien weisen darauf hin, dass HIV-positive Frauen häufiger sexuellen Missbrauch und Gewalt erfahren haben. Eine Beobachtung, die sich auch in Deutschland in den Biografien von Frauen mit Drogenerfahrungen bestätigt. 7.3. Wichtige Beratungsaspekte Aus Schamgefühl und Verunsicherung sprechen HIV-positive Frauen häufig in der frauenärztlichen Praxis Probleme im sexuellen Erleben nicht an. Darum ist es besonders wichtig, dass die ÄrztInnen die Patientinnen auf diesen Problemkreis hin befragen. Sexuelle Gesundheit muss als Teil eines ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses ernst genommen und thematisiert werden. Das Gesprächsangebot kann die betroffene Frau selbstverständlich auch ausschlagen. ÄrztInnen müssen sich bewusst sein, dass ein Aufgreifen dieses Themenkreises bei der Patientin auch an tabuisierte Erlebnisse, z. B. mit sexualisierter Gewalt, rühren kann. Berichtet eine Frau über Beeinträchtigungen ihres sexuellen Erlebens, sollte eine sorgfältige Sexualanamnese durchgeführt werden, die die multifaktorielle Genese 18 E X P E R T I S E sexueller Störungen berücksichtigt. Dabei müssen insbesondere folgende Punkte abgeklärt werden: sexuelles Erleben vor der Diagnose, Vorgeschichte in Bezug auf Beeinträchtigungen des sexuellen Erlebens, Art und Häufigkeit des Auftretens der Beeinträchtigungen, auch situationsbezogen, Folgen für die Frau und ihre Partnerschaft, Erfassung aller Medikamente, auch der nicht HIV-spezifischen. Im Individualfall kann es notwendig sein, den Kontakt zu einer Sexualberatungsstelle bzw. zu SexualtherapeutInnen zu vermitteln. Allerdings differiert die regionale Verfügbarkeit eines solchen Spezialangebotes stark und insgesamt ist es nur in sehr begrenztem Umfang vorhanden. Zudem sind nicht alle SexualberaterInnen/therapeutInnen bereit, Menschen mit HIV zu beraten bzw. zu behandeln. Der Arzt/die Ärztin kann der Patientin auch vorschlagen, an Gruppentreffen HIVpositiver Frauen teilzunehmen, wie sie von einigen AIDS-Hilfen und AIDSBeratungsstellen angeboten werden. In einem solchen geschützten Rahmen fällt es vielen Frauen leichter, über ihre Erfahrungen und die Wege der Bewältigung zu sprechen. Auch das vielfältige Angebot der Frauengesundheitszentren, die z. B. Beratungsangebote zum Thema Sexualität, aber auch körperorientierte Verfahren wie Luna Yoga oder Beckenbodentraining anbieten, kann für die Patientinnen hilfreich sein. Allerdings schrecken viele HIV-positive Frauen aus Scham und Angst vor diskriminierenden Erfahrungen davor zurück, Angebote außerhalb des spezialisierten AIDS-Beratungssystems zu nutzen. 8. Schwangerschaft HIV-positiver Frauen 8.1. Der positive HIV-Test in der Schwangerschaft Der freiwillige HIV-Antikörpertest ist bereits seit Mitte 1987 Bestandteil der Schwangerenvorsorge der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und soll allen Schwangeren angeboten werden, verbunden mit einer eingehenden Beratung der Schwangeren vor der Durchführung. Diese informiert die Frau über mögliche Konsequenzen und versetzt sie in die Lage, selbständig zu entscheiden, ob und wo sie den Test durchführen lassen möchte. Leider kommt es immer noch häufig vor, dass ein Angebot nicht erfolgt oder Schwangere ohne vorhergehende Beratung getestet werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss änderte mit Wirkung vom 22.12.2007 18 die Mutterschaftsrichtlinien, um die Durchführung des Tests besser in der Schwangerenvorsorge zu verankern. Ziel der Beratung durch den Arzt oder die Ärztin soll das informierte Einverständnis der Schwangeren zur Durchführung des Tests sein. 18 Bundesanzeiger Nr. 239 vom 21.12.2007. 19 pro familia Zusätzlich wurde ein Merkblatt 19 entwickelt, dass jeder schwangeren Frau unterstützend zum ärztlichen Gespräch ausgehändigt werden soll. Es erklärt, warum allen Schwangeren ein HIV-Antikörpertest angeboten wird. Die Testberatung, nicht aber die Testdurchführung oder das Ergebnis soll in den Mutterpass eingetragen werden. Eine HIV-Diagnose während der Schwangerschaft trifft viele Frauen völlig unvorbereitet. Ein Drittel der 599 HIV-Patientinnen, die von 1999 bis 2003 in den deutschen Schwerpunktzentren der „Arbeitsgemeinschaft HIV in Gynäkologie und Geburtshilfe“ betreut wurden, erhielten ihre HIV-Erstdiagnose in der Schwangerschaft. 20 Fast immer ist die Diagnose einer HIV-Infektion ein Schock für die betroffene Frau, der von starken emotionalen Reaktionen wie Angst, Gedanken an den Tod, Verzweiflung, depressiven Gefühlen und auch suizidalen Gedanken begleitet sein kann. 21 Die Mitteilung der Diagnose darf nur in einem persönlichen Gespräch und in einem geschützten Rahmen ohne Zeitdruck stattfinden – niemals am Telefon, schriftlich oder über Dritte. Wenn die Frau es wünscht, können in die Gespräche auch Angehörige einbezogen werden. Wichtig ist neben der Sicherstellung der notwendigen psychosozialen Unterstützung die Information über das Transmissionsrisiko für das Kind sowie über das Vorgehen zur Reduzierung dieses Risikos. Zwar ist es häufig vorzuziehen, dass die Schwangere weiterhin von der Frauenärztin/dem Frauenarzt ihres Vertrauens behandelt wird, dennoch sollte so schnell wie möglich der Kontakt zu einem spezialisierten geburtshilflichen Zentrum sowie zu einer auf die Behandlung der HIV-Infektion spezialisierten Praxis/Klinikambulanz hergestellt werden, damit die weitere Behandlung und Betreuung in interdisziplinärer Kooperation erfolgen kann. 22 Informationen über die lokalen Angebote des AIDS-Beratungssystems, das zumeist von den AIDS Hilfen, aber auch von kirchlichen und freien Trägern zur Verfügung gestellt wird, und ggf. die Unterstützung bei der Kontaktaufnahme können sehr hilfreich sein. 23 Für Frauen mit Migrationshintergrund wird im Idealfall eine muttersprachliche Begleitung angeboten. Diese ist zwar in der Praxis aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen, z. B. für Dolmetscherdienste, oft nicht durchführbar, dennoch ist in diesem Bereich in den letzten Jahren mit dem Ausbau von Netzwerken für Menschen mit Migrationshintergrund eine positive Entwicklung zu bemerken. 8.2. Maßnahmen zur Reduzierung des Transmissionsrisikos In Deutschland werden pro Jahr ca. 250 bis 300 Kinder HIV-positiver Mütter geboren. Bei optimaler Betreuung und Behandlung der Schwangeren und des Neugeborenen kann das Risiko der HIV-Übertragung von der Mutter auf das Kind auf unter 2 % gesenkt werden. 19 Gemeinsamer Bundesausschuss 2007 (2): Merkblatt HIV-Screening. Gingelmaier A 2005. 21 Kästner R 2005. 22 Informationen über gynäkologische/geburtshilfliche Zentren bei der „Arbeitsgemeinschaft HIV in Gynäkologie und Geburtshilfe“, über Praxen bzw. Kliniken bei www. daignet.de bzw. www.dagnae.de. 23 Auskünfte über regionale, frauenspezifische Angebote erteilen die so genannten “Knotenfrauen“ des Netzwerks Frauen und AIDS, die es in vielen Bundesländern gibt. www.netzwerkfrauenundaids.de. 20 20 E X P E R T I S E Der Gemeinsame Bundesausschuss legte 2005 in der Vereinbarung zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen fest, dass HIV-positive Schwangere einer Mitbetreuung bzw. Entbindung an einem ausgewiesenen Perinatalzentrum bedürfen. Um eine optimale Behandlung der HIV-Infektion während der Schwangerschaft zu gewährleisten, ist die Kooperation mit einer auf die HIVBehandlung spezialisierten Schwerpunktpraxis bzw. Klinikambulanz von großer Bedeutung, auch wenn die Schwangere in der Behandlung des niedergelassenen Frauenarztes/der Frauenärztin verbleibt. Eine HIV-Übertragung von der Mutter auf das Kind findet in der Regel kurz vor bzw. unter der Geburt statt. Die Prophylaxe der vertikalen Transmission umfasst im Wesentlichen vier Schritte: 1. Den Einsatz geeigneter antiretroviraler Substanzen mit dem Ziel einer Supprimierung der Viruslast zum Zeitpunkt der Geburt. 2. Die geplante Schnittentbindung (elektive Sectio) am wehenfreien Uterus in der 38. Schwangerschaftswoche. 3. Eine risikoadaptierte Postexpositionsprophylaxe für das Neugeborene. 4. Den Stillverzicht. Grundlage der Versorgung und Behandlung sind die „Deutsch-Österreichischen Empfehlungen zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen“ in der jeweils aktuellen Fassung 24 sowie europäische und internationale Leitlinien. Sie beschreiben ein risikoadaptiertes Vorgehen, das sich nach Gesundheitszustand der Schwangeren, Therapieindikation, Schwangerschaftsverlauf und geburtshilflichen Risiken richtet und im Folgenden im Überblick dargestellt werden soll. 8.2.1. Schwangerschaftsvorsorge Zusätzlich zu den Vorsorgeuntersuchungen laut geltender Mutterschaftsrichtlinien empfehlen die genannten Leitlinien weitere Maßnahmen, die in den „DeutschÖsterreichischen Empfehlungen...“ ausführlich beschrieben werden. Dazu gehören: 24 monatliches Monitoring des Blutbildes, oraler Glukosetoleranztest zwischen SSW 23+0 und SSW 27+7 (Erkennen eines Schwangerschaftsdiabetes), Bestimmung von Laktatspiegel, Leberwerten, Amylase, Lipase und LDH zu Beginn der Schwangerschaft, nach Ansetzen einer Therapie oder Prophylaxe, bei verdächtiger Klinik und vor allem im 3. Trimenon (Erkennen einer Laktatazidose), zweimonatige Kontrolle der immunologischen und virologischen Parameter, Zytologiekontrollen, ergänzt durch Kolposkopie (wegen des erhöhten Risikos vulvärer, vaginaler und zervikaler Dysplasien), Aktuelles Update: 2005. Aktualisierung fand in 2007 statt. 21 pro familia Fehlbildungssonographie (mindestens Degum 2) zwischen SSW 10+6 und 13+6 und SSW 19+6 bis 22+6, möglichst keine invasive pränatale Diagnostik wegen der Gefahr einer Kontamination des Fruchtwassers, Resistenztestung vor Ansetzen einer antiretroviralen Ersttherapie oder Prophylaxe. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die konsequente Diagnostik und Therapie genitaler Infektionen. Lokale Infektionen wie Chlamydieninfektion, Trichomoniasis oder bakterielle Vaginosen können eine Frühgeburt begünstigen und damit das Risiko für die HIV-Transmission erhöhen. 8.2.2. HIV-Therapie und Transmissionsprophylaxe in der Schwangerschaft Die Indikation zur Therapie und die Auswahl der antiretroviralen Substanzen unterscheiden sich bis auf wenige Ausnahmen nicht von der Therapie Erwachsener, wie sie in den „Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion“ 25 beschrieben wird. Eine Indikation zur Therapie besteht bei einer CD4-Zellzahl <200-350µl oder bei einer Viruslast von >50.000 bis 100.000 cp/ml. Bei Schwangeren ist die CD4-Zellzahl aus physiologischen Gründen um etwa 10 bis 20 % erniedrigt, bei HIV-Infektion bis zu 40 %. Die Schwellenwerte für einen Behandlungsbeginn sollten entsprechend korrigiert werden. Empfohlen wird ein Resistenztest vor Therapiebeginn. Die antiretrovirale Therapie bzw. Prophylaxe sollte im Idealfall gemeinsam mit der Patientin, dem behandelnden Gynäkologen, dem geburtshilflichen Zentrum, dem HIV-Behandler und dem Kinderarzt festgelegt werden. 8.2.3. Weiterführung einer HIV-Therapie während der Schwangerschaft In der Zeit der Embryogenese während der Frühschwangerschaft (bis SSW 11+0) besteht das Risiko der Entwicklung von Fehlbildungen durch Medikamentenexposition. In der Regel wird daher während dieser Zeit eine medikamentöse Behandlung der Schwangeren möglichst vermieden. Die Anzahl der Frauen, die unter einer laufenden antiretroviralen Therapie schwanger werden, ist in den letzten Jahren allerdings deutlich gestiegen. Hinzu kommen die Frauen, bei denen während der Frühschwangerschaft eine Therapieindikation besteht. In diesen Fällen stellt sich die Frage nach den Risiken für das Ungeborene, eine Frage, die der derzeitige Forschungsstand nicht befriedigend beantwortet. Zwar ist für wenige Medikamente gesichert, dass sie in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden sollen, aber zur Langzeittoxizität einer intrauterinen Exposition gegenüber antiretroviralen Substanzen liegen bisher keine belastbaren Daten vor. Wenn die Schwangerschaft erst nach dem 1. Trimenon festgestellt wird, empfiehlt sich in der Regel eine Fortführung der Therapie. Eine Therapieunterbrechung birgt das Risiko eines Anstiegs der Viruslast und einer Verschlechterung des Immunstatus und damit die Gefahr einer Krankheitsprogression, die eine Beeinträchtigung 25 Update 2007, www.daignet.de. 22 E X P E R T I S E von Mutter und Fetus zur Folge hat. Wenn allerdings in der bisherigen Therapie Substanzen enthalten sind, die während einer Schwangerschaft nicht eingesetzt werden sollen, muss eine Änderung der Medikamentenkombination vorgenommen werden. Bezüglich der in der HIV-Therapie eingesetzten Substanzen gelten in der Schwangerschaft folgende Einschränkungen: kein Efavirenz (Sustiva) im ersten Trimenon wegen der möglichen teratogenen Wirkung (Daten aus Tierversuchen und Einzelberichte beim Menschen weisen auf mögliche ZNS-Fehlbildungen bei Kindern hin, deren Mütter im ersten Trimenon Efavirenz erhielten), kein D4T + ddI (Zerit + Videx) wegen der Gefahr des Auftretens von – potenziell tödlichen – Laktatazidosen bei Schwangeren, möglichst kein Einsatz von Nevirapin (Viramune) bei Frauen mit einer CD4Zellzahl von >250µl wegen der erhöhten Hepatotoxizität, wenn Alternativen vorliegen, insgesamt ist eine erhöhte Toxizität bei Einsatz von Kombinationstherapien möglich, daher einmal pro Monat Kontrolle von Laktat, Leberwerten, Viruslast und CD4-Zellzahl, Plasmaspiegelbestimmung und ggf. Dosisanpassung. Abgesehen von den genannten Wirkstoffen liegen keine Hinweise auf eine erhöhte Fehlbildungsrate bei Kindern vor, die in der Schwangerschaft gegenüber antiretroviralen Substanzen exponiert waren. Die umfassendste Dokumentation zur Wirkung dieser Substanzen auf das ungeborene Kind ist das „Antiretroviral Pregnancy Registry“. Laut dem letzten Zwischenbericht vom Juni 2006 lag die Prävalenz von Fehlbildungen bezogen auf 5.560 Lebendgeburten (5.829 Schwangerschaften HIV-positiver Frauen) bei 2,6 %, bei Exposition im ersten Trimenon bei 2,9 %. Die Fehlbildungsrate der US-Normalbevölkerung liegt bei 3,1 %. Es zeigt sich also kein signifikanter Unterschied. 8.2.4. Prophylaxe bei fehlender mütterlicher Therapieindikation a. Viruslast der Schwangeren <10.000 Kopien/ml: 1. Zidovudin-Gabe ab abgeschlossener 32. Schwangerschaftswoche (32+0), wenn keine Resistenz gegen Zidovudin vorliegt, oder 2. vorübergehende antiretrovirale Standard-Kombinationstherapie (ohne Efavirenz, ddI/d4T, ggf. ohne Nevirapin bei CD4-Zellzahl >250µl). 23 pro familia b. Viruslast der Schwangeren >10.000 Kopien/ml, CD4-Zellzahl <200-350/μl: Vorübergehende antiretrovirale Standard-Kominationsprophylaxe (Ausnahmen s. o.) ab SSW 32+0 bis kurz nach der Entbindung. In allen Fällen wird eine primäre Kaiserschnittentbindung unter Verwendung einer möglichst blutarmen Operationstechnik zwischen SSW 37+0 bis 37+6 empfohlen. Die Entbindung sollte, wenn möglich, in einem spezialisierten, geburtshilflichen Zentrum durchgeführt werden. Prä- und intraoperativ wird eine intravenöse Gabe von Zidovudin ab 3 Stunden vor der Schnittentbindung bis zur Geburt des Kindes empfohlen. Postnatal erhält das Kind 2 bis 4 Wochen oral oder 10 Tage i. v. ebenfalls Zidovudin. 8.2.5. Risikoadaptierte HIV-Transmissionsprophylaxe Liegen geburtsmedizinische Risiken vor, die die HIV-Transmission begünstigen können, wird die Transmissionsprophylaxe risikoadaptiert gesteigert. Zu diesen geburtsmedizinischen Transmissionsrisiken gehören: Mehrlingsschwangerschaft, vorzeitige Wehentätigkeit, Frühgeburt 33+0 bis 36+6. SSW vorzeitiger Blasensprung, Amnioninfektionssyndrom, Schnittverletzung des Kindes/Absaugen von blutigem Fruchtwasser aus dem Magen, Anstieg der Viruslast auf >10.000 Kopien/ml vor der Geburt. Je nach vorliegendem Risiko kommen ein früherer Beginn der antiretroviralen Kombinationsprophylaxe, eine zusätzliche Gabe von Nevirapin an die Mutter pränatal und das Kind postnatal sowie eine Verlängerung oder Ausweitung der kindlichen Prophylaxe zu einer Kombinationsprophylaxe in Betracht. Als Entbindungsmodus sollte der sofortige Kaiserschnitt gewählt werden. Nur wenn der Blasensprung länger als vier Stunden zurückliegt, besteht hinsichtlich des Transmissionsrisikos kein Vorteil gegenüber einer vaginalen Entbindung. 8.2.6. Vorgehen bei unvollständiger Transmissionsprophylaxe Leider kommt es immer noch vor, dass bei Schwangeren trotz bekannter HIVInfektion keine Transmissionsprophylaxe durchgeführt wird. Auch in diesen Fällen ist eine Reduzierung des Transmissionsrisikos durch eine intrapartal und postnatal durchgeführte Prophylaxe möglich. Empfohlen wird eine Kurzprophylaxe mit Nevirapin (eine Dosis präpartal für die Mutter, ein bis zwei Dosen postnatal sowie eine sechswöchige Zidovudingabe oder alternativ die Zidovudin- + Lamivudinkombination für das Neugeborene). 24 E X P E R T I S E Wenn bis zum Entbindungstermin kein HIV-Antikörpertest vorliegt und damit die Infektionslage der Schwangeren unklar ist, sollten – sofern genügend Zeit vorhanden ist – sofort ein Test und eine kompetente, persönliche Beratung angeboten werden. Bei einem positiven Testergebnis wird dann die intrapartale und postnatale Transmissionsprophylaxe durchgeführt. Ist aus Zeitgründen oder wegen fehlender Einwilligung der Schwangeren keine Testung möglich, kommen mehrere Optionen in Betracht: keine Prophylaxe, solange kein Testergebnis vorliegt, bei eindeutigen Risikofaktoren in der Anamnese die Durchführung der Prophylaxemaßnahmen und Abbruch der Maßnahmen, sobald ein negatives Testergebnis vorliegt, das Angebot eines HIV-Schnelltests und die Durchführung von Prophylaxemaßnahmen mit dem Abbruch der Maßnahmen, sobald ein negativer Bestätigungstest vorliegt. 8.2.7. Entbindungsmodus Die vertikale Transmissionsrate kann allein durch eine primäre Kaiserschnittentbindung auf 8,4 % gegenüber 16,8 % bei vaginaler Entbindung reduziert werden, wenn sonstige Prophylaxemaßnahmen unberücksichtigt bleiben. Bei vollständiger Prophylaxe liegt das Transmissionsrisiko bei <1 %. Aufgrund der Studienlage wird daher in der Regel die Kaiserschnittentbindung am wehenfreien Uterus empfohlen. Neuere Daten aus Beobachtungs- und Kohortenstudien weisen bei Schwangeren unter einer HAART bei sehr niedriger (<1000 Kopien/ml) oder nicht nachweisbarer Viruslast und komplikationslosem Geburtsverlauf keinen messbaren zusätzlich risikomindernden Effekt der Kaiserschnittentbindung auf. 26 Die größte Rolle bei der Verhinderung der Virusübertragung von der Mutter auf das Baby spielt eine niedrige Viruslast, wie jetzt Daten aus der großen französischen „French Perinatal Cohort“ bestätigen, in der 5.271 HIV-positive Mütter beobachtet wurden, die zwischen 1997 und 2004 ihr Kind bekamen und es nicht stillten 27 . Ungefähr ein Drittel der Frauen entband vaginal. Die HIV-Transmissionsrate lag insgesamt bei 1,3 %. Die mit 0,4 % geringste Übertragungsrate zeigte sich bei Müttern, die termingerecht und bei einer Viruslast unter 50 Kopien/ml ihr Kind bekamen, unter 400 Kopien/ml waren es 0,6 %. Bei Einbeziehung aller an der Studie beteiligten Frauen ergab sich ein Vorteil des elektiven Kaiserschnitts gegenüber der vaginalen Geburt. Bei den Müttern, die zum Geburtstermin eine sehr niedrige Viruslast hatten (unter 400 Kopien/ml) und die ihr Kind termingerecht zur Welt brachten, hatte allerdings nur noch die Dauer der antiretroviralen Therapie einen Einfluss auf das Transmissionsrisiko. Auf der anderen Seite zeigten Studien eine erhöhte Rate von Schwangerschaftskomplikationen bei HIV-positiven Frauen nach Sectio im Vergleich zu HIVnegativen Schwangeren oder HIV-positiven Schwangeren nach vaginaler Geburt. Zu diesen Komplikationen gehören Peritonitis, Anämien, Fieber, Hämatome und Wundheilungsstörungen. Auch eine Anpassungsstörung des Neugeborenen kann 26 27 European Collaborative Study 2005. Warszawski J et al. 2008. 25 pro familia bei einer elektiven Sektio begünstigt sein. Aus psychosomatischer Sicht können Störungen der frühen Mutter-Kind-Bindung auftreten. 28 Im Zusammenhang mit dem Entbindungsmodus haben auch psychosoziale Faktoren eine große Bedeutung. Eine Kaiserschnittentbindung kann stark angstbesetzt sein, so kulturell bedingt beispielsweise bei Schwangeren aus afrikanischen Ländern. Angesichts der notwendigen, engmaschigen, interdisziplinären Betreuung und Versorgung, verbunden mit einer Vielzahl von Untersuchungen und Kontrollen, besteht die Gefahr, dass Wünsche und Hoffnungen, aber auch Befürchtungen und Ängste der Schwangeren in den Hintergrund treten und dass Gefühle der Autonomie und Integrität und das Vertrauen in den eigenen Körper beeinträchtigt werden. Das geburtshilfliche Vorgehen unter Berücksichtigung möglicher Risikofaktoren sollte daher in allen Vor- und Nachteilen ausführlich mit der Schwangeren bzw. den werdenden Eltern besprochen werden. In wenigen deutschen Zentren wird HIVpositiven Schwangeren, wenn der ausdrückliche Wunsch besteht, die Option einer vaginalen Geburt angeboten, sofern keine Risiken vorliegen, die die HIVTransmission begünstigen könnten. 29 8.2.8. Versorgung des Neugeborenen im Kreißsaal Bei der postnatalen Versorgung des Neugeborenen muss intensiv auf die Vermeidung einer HIV-Infektion geachtet werden. Sowohl bei einer Spontangeburt als auch beim Kaiserschnitt kann durch die Eröffnung der Fruchtblase das Fruchtwasser mit HIV kontaminiert werden. Außerdem besteht bei der vaginalen Geburt das Risiko, dass virushaltiges Vaginalsekret oder mütterliches Blut in Körperöffnungen des Kindes gelangt. Mundhöhle und Naseneingang des Neugeborenen werden daher noch vor dem Absaugen gesäubert, und nach der Stabilisierung der Vitalfunktionen sind alle Körperöffnungen auf die gleiche Weise zu reinigen. Auch bei der Versorgung der Nabelschnur sind Hygienevorschriften wie der Wechsel der Handschuhe zu beachten. 8.2.9. Stillverzicht Auch beim Stillen ist die Gefahr einer HIV-Transmission gegeben. In der Muttermilch ist bis zu mehreren Monaten nach der Geburt HIV-DNA nachweisbar. In Ländern, in denen ausreichende Mengen von hochwertiger Säuglingsnahrung zur Verfügung stehen, wird ein Stillverzicht und primäres Abstillen in jedem Fall empfohlen. Der Verzicht auf das Stillen kann eine Reihe emotionaler Probleme auslösen. So befürchten manche Frauen, dass sie ihrem Kind nicht die optimale körperliche Nähe und Zuwendung geben können. Andere haben Angst, dass sie ihre HIVInfektion offen legen müssen, um den Stillverzicht zu begründen. Hier kann es in Einzelfällen hilfreich sein, einfühlsam mit der betroffenen Frau zu besprechen, wie sie in ihrem sozialen Umfeld den Stillverzicht auch anders erklären kann. 28 29 Kästner R 2007. Kästner R, Sovric M, Gingelmaier A 2006. 26 E X P E R T I S E 8.2.10. Nachsorge der Kinder Ab der 32. SSW werden Antikörper gegen HIV-1 von der Mutter transplazentar auf das Ungeborene übertragen. Mit dem gängigen HIV-Test – einem Antikörpertest – ist dadurch der Ausschluss einer HIV-1-Infektion nicht möglich. Auch die nicht infizierten Kinder sind bis zur Elimination aller mütterlichen Antikörper, also bis zum Ende des zweiten Lebensjahres, serologisch HIV-1-positiv. Der Virusnachweis erfolgt daher im ersten Lebensjahr durch eine HIV-1-PCR und zwar direkt nach der Geburt, nach einem Monat und nach dem 3. Lebensmonat. Mit der HIV-1-PCR im 1. Lebensmonat werden schon fast alle HIV-infizierten Kinder diagnostiziert, nach drei Monaten beträgt die Sicherheit nahezu 100 %. Auch bei negativen HIV-1PCR-Befunden sollte die Elimination der mütterlichen Antikörper zumindest einmal dokumentiert werden. Aufgrund der steigenden Zahl von Frauen, die während der gesamten Schwangerschaft mit einer HAART behandelt bzw. bei denen prophylaktische Maßnahmen mit einer Kombinationstherapie durchgeführt werden, gibt es auch einige Studien und Fallberichte zu den durch Exposition gegenüber antiretroviralen Substanzen hervorgerufenen Nebenwirkungen bei Neugeborenen. 30 Im Vordergrund steht dabei die hämatologische Toxizität. Besonders häufig sind klinisch relevante, primäre und sekundäre Anämien bei Neugeborenen und jungen Säuglingen, die in einigen Fällen Bluttransfusionen erforderlich machen. Auch Neutropenien sind nicht selten. Anämien treten häufiger auf, wenn die Kinder pränatal gegenüber einer HAART (mindestens drei antiretrovirale Substanzen) als gegenüber einer Mono- oder Dualtherapie exponiert waren. Diese hämatologischen Veränderungen sind allerdings in der Regel vorübergehend. Unter antiretroviraler Therapie/Prophylaxe steigt das Risiko für eine Frühgeburtlichkeit, mit der wiederum eine erhöhte Rate von Störungen beim Neugeborenen verbunden ist. Auch der elektive Kaiserschnitt am wehenlosen Uterus geht häufig mit Komplikationen beim Kind einher, v. a. mit respiratorischen Störungen. Als allgemeine Nebenwirkungen der Exposition wurden in einer deutschen Studie metabolische Azidosen (45,6 %), gastrointestinale Probleme (50 %), Leberfunktionsstörungen (25 %), seltener Nierenfunktionsstörungen (1,4 %), iatrogene Komplikationen (1,4 %) und darüber hinaus nosokomiale Infektionen (14,4 %) beobachtet. Auch das durchschnittliche Geburtsgewicht von HAART-exponierten Neugeborenen liegt unter dem des Normalkollektivs. Einflussfaktoren wie der Drogen- oder Zigarettenkonsum der Mutter in der Schwangerschaft können das Komplikationsrisiko zusätzlich erhöhen. Die Darstellung der antiretroviralen Behandlung HIV-positiver Kinder würde an dieser Stelle zu weit führen. Sie richtet sich ebenfalls nach den aktuell geltenden deutschen Empfehlungen sowie europäischen und internationalen Richtlinien. 31 8.3. Wichtige Beratungsaspekte Neben dem dargestellten interdisziplinären medizinischen Vorgehen ist eine psychosoziale Begleitung während und auch nach der Schwangerschaft von großer 30 31 Siehe ausführliche Darstellungen bei Feiterna-Sperling C 2006 und Schlösser R 2006. Siehe auch Niehues T 2007. 27 pro familia Bedeutung. Häufig wird in der Betreuung HIV-infizierter Schwangerer deutlich, dass sich die Schwangerschaft positiv auf das Lebensgefühl und den Gesundheitszustand der Frauen auswirkt. Aber auch mit neuen Unsicherheiten ist zu rechnen, mit Problemen und Krisen, mit Ängsten, wie sie beispielsweise von Veränderungen und Beeinträchtigungen der körperlichen Verfassung und des subjektiven Krankheitserlebens ausgelöst werden. Neben der Verschlechterung des eigenen Gesundheitszustandes befürchten viele Frauen auch eine Schädigung des Kindes durch die antiretroviralen Medikamente und nicht zuletzt natürlich die HIV-Infektion des Neugeborenen. Die Phase der Vorbereitung auf die Geburt kann erneut zu Belastungen führen, auf die im Beratungsgespräch eingegangen werden sollte. Viele HIV-positive Frauen müssen von Wünschen, Vorstellungen und Hoffnungen, die sie sich zum Geburtsverlauf und der Atmosphäre während der Entbindung gemacht haben, Abschied nehmen, wenn sie sich mit der Kaiserschnittentbindung, der antiretroviralen Behandlung der Mutter und des Neugeborenen und dem Verzicht aufs Stillen auseinandersetzen. In Bezug auf den Stillverzicht besteht eine zentrale beraterische Aufgabe darin, die künftigen Mütter davon zu überzeugen, dass sie ihrem Kind die Sorge und Zuwendung geben können, die es braucht, auch wenn sie es nicht stillen. Die Phase der Unsicherheit nach der Geburt über eine HIV-Infektion des Kindes ist dank sensitiver Nachweismethoden heute auf wenige Wochen reduziert. Für das künftige Leben mit dem Kind ist die Tragfähigkeit der Partnerschaft und des weiteren sozialen Netzes von entscheidender Bedeutung. Nicht immer ist hier das soziale Umfeld hilfreich, denn Repressionen und Diskriminierungen besonders gegenüber HIV-positiven Müttern kommen im gesellschaftlichen Umfeld immer noch vor und veranlassen viele Mütter, ihre Infektion zu verheimlichen. Im Fall einer Übertragung des Virus auf das Kind kommen weitere Belastungsfaktoren hinzu: Die Sorge um das Kind, die Notwendigkeit aufwändiger und häufiger Behandlungen und Untersuchungen möglicherweise auch Schuldgefühle, weil die Frau sich für die Krankheit des Kindes verantwortlich fühlt, und damit verbundene Selbstzweifel. Von besonderer Bedeutung für die beratenden und betreuenden FrauenärztInnen ist die Kenntnis der lokalen Beratungs- und Versorgungsstrukturen und eine enge Kooperation mit den entsprechenden Einrichtungen, vor allem auch denen der Migrationsarbeit. WICHTIG Ehrenamtliche Telefon-Hotline der „AG HIV in Gynäkologie und Geburtshilfe“ zu Problemen im Zusammenhang mit HIV-Infektionen in der Schwangerschaft: Bei gynäkologischen Fragestellungen bei neonatologischen/pädiatrischen Fragestellungen 28 0178-28 20 282 0178-41 21 313 E X P E R T I S E 9. Kinderwunsch 9.1. Hintergrund Die Effektivität der antiretroviralen Therapien hat für viele Frauen mit HIV/AIDS eine deutliche Verlängerung ihrer Lebenszeit, eine Verbesserung ihrer Lebensqualität und eine Ausweitung ihrer Lebensperspektiven mit sich gebracht. Auch die Möglichkeit der Senkung der materno-fetalen Infektionsrate auf unter 2 % trägt dazu bei, dass sich immer mehr Frauen mit der Perspektive auseinandersetzen, eine Familie zu gründen. Bei Frauen mit Migrationshintergrund und hier v. a. denjenigen aus afrikanischen Kulturkreisen spielt der Kinderwunsch häufig eine besonders wichtige Rolle. Die Auseinandersetzung mit einer möglichen Mutterschaft ist allein quantitativ ein wichtiger Aspekt in der Beratung HIV-positiver Frauen, weil ungefähr 75 % der mit dem Virus infizierten Frauen in Deutschland im gebärfähigen Alter sind. Der Wunsch nach einem eigenen Kind ohne Infektionsrisiko für Partner und Kind ist inzwischen in vielen ressourcenreichen Ländern realisierbar. Es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, die sich nach dem Fertilitätsstatus und dem Immunstatus beider Partner unterscheiden. Im Rahmen der Beratung bei Kinderwunsch empfiehlt sich eine infektiologische, gynäkologische und urologische Basisdiagnostik beider Partner entsprechend den aktuellen DeutschÖsterreichischen Leitlinien zur Behandlung und Diagnostik HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch. 32 33 9.2. Optionen bei nicht eingeschränkter Fertilität 9.2.1. Selbstinsemination Durch Selbstinsemination kann eine HIV-positive Frau mit einem nicht infizierten Partner ein Kind bekommen, wenn das Paar keine Fertilitätsstörungen aufweist, also auch eine Zeugung auf natürlichem Weg möglich wäre. Diese Methode ist unkompliziert und birgt kein Infektionsrisiko für den Partner. Voraussetzung ist, dass beim Partner keine Hinweise auf sexuell übertragbare Infektionen vorliegen. In einem ersten Schritt wird der Ovulationszeitpunkt bestimmt. Dies kann die Frau mittels LH-Urinstix oder kontrazeptiver Computersysteme selbst oder mit frauenärztlicher Unterstützung vornehmen. Bei regelmäßigem Zyklus empfiehlt sich auch die Führung einer Basaltemperaturkurve, die am besten drei Monate vor Beginn der Selbstinsemination begonnen wird. Im Einzelfall kann es notwendig sein, die Ovulation medikamentös zu unterstützen, allerdings nur mit sorgfältigem Monitoring zur Vermeidung einer Mehrlingsschwangerschaft. Eine Selbstinsemination sollte nicht öfter als zweimal pro Zyklus (z. B. am 10. und 12., bzw. 11. und 13. Zyklustag) durchgeführt werden, Bei verlängertem, verkürztem oder unregelmäßigem Zyklus sind die Termine entsprechend anzupassen. Häufigere Versuche empfehlen sich nicht, weil dies eine Reduktion der reifen, motilen 32 33 Tandler-Schneider A, Sonnenberg-Schwan U et al. 2008. Weigel M, Kremer H, Sonnenberg-Schwan U et al. 2007. 29 pro familia Spermien im Ejakulat zur Folge hätte. Auch die psychische Belastung des Paares durch Termindruck und Planungsaufwand muss in diesem Zusammenhang Beachtung finden. Bei der Insemination kann die Frau zwischen verschiedenen Methoden wählen: Entweder sie führt das Kondom nach einem geschützten Geschlechtsverkehr umgestülpt in die Vagina ein und entleert es dort oder sie bringt das Ejakulat mittels Portiokappe, Diaphragma, Vaginalapplikator oder Spritze in die Vagina ein. In jedem Fall sollte frühzeitig ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden, um ggf. eine Unterbrechung der antiretroviralen Therapie einzuleiten. Um eine Gefährdung von Mutter und Kind auszuschließen, sollte jede Veränderung in der Medikamentierung nur in Abstimmung mit dem behandelnden HIV-Spezialisten durchgeführt und von einem engmaschigen Monitoring begleitet werden. 9.2.2. Intrauterine Insemination Bei gegebener Fertilität beider Partner ist auch die Durchführung einer intrauterinen Insemination möglich. Allerdings sind nur wenige reproduktionsmedizinische Zentren zu einer Behandlung HIV-positiver Frauen bereit, weswegen eher zur Selbstinsemination geraten wird. Diese Methode hat auch den Vorteil, dass die Konzeption in der Privatsphäre des Paares erfolgt. 9.3. Optionen bei Einschränkungen der Fertilität Fertilitätsstörungen treten bei HIV-positiven Frauen häufiger auf als bei Frauen in der Allgemeinbevölkerung, z. B. in Folge von Infektionen des oberen Genitaltraktes oder nach Eingriffen wegen zervikaler Neoplasien. Mehrere Studien weisen auf eine erhöhte Rate von Fertilitätsstörungen und eine geringere Erfolgsrate im Vergleich zum HIV-negativen Kontrollkollektiv hin. Eine mögliche Ursache dieser Störungen ist eine Beeinträchtigung der mitochondrialen DNA in den Eizellen. Gesicherte Daten zu Zusammenhängen zwischen HAART und Fertilitätsstörungen bei Frauen sind bisher nicht verfügbar. Liegen bei einem oder beiden Partnern Einschränkungen der Fertilität vor, kann man zur Herbeiführung einer Schwangerschaft auf folgende Methoden zurückgreifen: eine intrauterine Insemination (IUI), eine In-vitro-Fertilisation (IVF) oder eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Diese Therapien sollten, wie in den Leitlinien vorgesehen, nur in spezialisierten Zentren vorgenommen werden, die solche Behandlungen mehrfach pro Jahr durchführen. Offiziell sind in Deutschland bisher nur zwei Zentren bereit, Maßnahmen der assistierten Reproduktion bei HIV-positiven Frauen durchzuführen. 34 Darüber hinaus werden im Individualfall auch in wenigen weiteren Zentren bzw. reproduktionsmedizinischen Praxen HIV-positive Frauen behandelt. In der Regel werden die In-vitro-Fertilisation (IVF) und die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) durchgeführt. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft liegt bei ca. 25 bis 30 % pro Behandlungszyklus, wenn zwei oder drei Embryonen implantiert werden. Um das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft zu 34 Fertility Center, Berlin; Praxiszentrum Kaiserdamm, Berlin. 30 E X P E R T I S E vermeiden, wird bei HIV-positiven Frauen jedoch in der Regel nur ein Embryo implantiert, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft deutlich reduziert. 9.4. Rechtliche Rahmenbedingungen Maßnahmen zur assistierten Reproduktion unterliegen in Deutschland folgenden Rahmenbedingungen: Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) Die Richtlinien der BÄK wurden auf Basis des Embryonenschutzgesetzes entwickelt. Neben der Widergabe der strafrechtlichen Regelungen dieses Gesetzes definieren die Richtlinien hauptsächlich Anforderungen an die Qualifikationen von ÄrztInnen, die Kinderwunschbehandlungen durchführen. Außerdem nehmen die Richtlinien einige weitere Einschränkungen vor. So wurde beispielsweise die Vorgabe eingeführt, dass ein Paar verheiratet sein muss, um eine künstliche Befruchtung durchführen lassen zu dürfen. Bei Paaren in stabiler Partnerschaft können Ausnahmen von dieser Regel zugelassen werden, wenn eine Beratung durch eine bei der Ärztekammer eingerichtete Kommission stattfindet. In einigen Bundesländern ist die Behandlung nicht verheirateter Paare inzwischen auch ohne Anrufung der Ethikkommission möglich. Allein stehende und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebende Frauen dürfen keine künstliche Befruchtung erhalten. 35 Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-Ba) 36 Der Gemeinsame Bundesausschuss legt fest, worin eine zweckmäßige und ausreichende Versorgung besteht. Erst wenn die Richtlinien dieses Ausschusses erfüllt sind, übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der jeweiligen Behandlung. So ist beispielsweise bei Paaren ohne Trauschein die Erstattung von Maßnahmen zur assistierten Reproduktion eingeschränkt und greift nur bei Behandlungen im so genannten „homologen System“. Bei Paaren, bei denen einer der Partner HIV-positiv ist, wird die Verpflichtung zur Kostenübernahme sogar vollständig abgelehnt. 37 Im Rahmen von Kulanzregelungen kann es trotzdem in Einzelfällen zu Erstattungen kommen. Bei allen Paaren in Fertilitätsbehandlungen werden maximal 50 % der Behandlungskosten übernommen. 35 Bundesärztekammer 2006. (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion, No velle, 2006 [19.05.2006] (Deutsches Ärzteblatt 103, Heft 20 (19.05.2006), S. A1392 - A1402) 36 Gemeinsamer Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen http://www.g-ba.de/downloads/62492-246/RL-Befruchtung-2007-11-15.pdf 37 www.g-ba.de. 31 pro familia Embryonenschutzgesetz Das Embryonenschutzgesetz legt die Rahmenbedingungen für die Befruchtung und Übertragung von Eizellen bei der assistierten Reproduktion fest. 38 Unter anderem gelten folgende Einschränkungen: Es darf nur eine befruchtete Eizelle übertragen werden, die von der Frau stammt, der sie eingesetzt wird. Es dürfen nur Eizellen befruchtet werden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Es dürfen maximal drei Embryonen pro Zyklus auf eine Frau übertragen werden (als Embryo gilt die befruchtete Eizelle ab dem Zeitpunkt der Kernverschmelzung). Aufgrund dieser Rahmenbedingungen muss in der Praxis schon am ersten Tag entschieden werden, welche Eizellen das größte Entwicklungspotential haben, was zu einem so frühen Zeitpunkt nur schwer möglich ist. Hinzu kommt, dass man zur Vermeidung von Mehrlingsschwangerschaften bei HIV-positiven Frauen die Auswahl in der Regel auf eine Eizelle beschränkt. Eine befruchtete Eizelle, die unter diesen Bedingungen ausgewählt wurde, hat ein Implantationspotenzial von ca. 10 %. In vielen europäischen Ländern (z. B. Holland, Frankreich und Belgien) ist eine Selektion der Eizellen in einem späteren Stadium, meist am fünften oder sechsten Tag nach Befruchtung, erlaubt. Da eine extrakorporal befruchtete Eizelle für die ersten fünf Tage eine Überlebenswahrscheinlichkeit von nur ca. 30 % hat, erhöht sich bei Eizellen, die diese Zeitspanne bereits überstanden haben, das Implantationspotenzial auf bis zu 40 %. Einige HIV-positive Frauen reisen daher zur Behandlung ins europäische Ausland (überwiegend nach Frankreich und Belgien). 9.5. Wichtige Beratungsaspekte 39 Ein Beratungsgespräch stellt für viele Paare die erste Möglichkeit dar, offen über den Kinderwunsch und die damit verbundenen Motivationen zu sprechen. Heterosexuelle Paare scheuen sich häufig, die HIV-Infektion eines oder gar beider Partner im sozialen Umfeld offen zu legen. Die Thematisierung des Kinderwunsches in der Ursprungsfamilie ist zum Teil noch problematischer – Ablehnung und Zurückweisung, aber auch Überlastungsreaktionen werden befürchtet. Eine Beratung in einer akzeptierenden und vorurteilsfreien Atmosphäre ermöglicht es diesen Paaren überhaupt erst, sich mit der Bedeutung ihres Kinderwunsches auseinanderzusetzen und sich den künftigen Belastungen, den Ängsten vor einer Krankheitsprogression und u. U. auch ihrer aktuell belasteten Lebenssituation zu stellen. Spezifische Problemkonstellationen treten auf, wenn Partnerschaften gestört und von Trennung bedroht sind, wenn die Lebenssituation von sozialer Isolation geprägt ist oder wenn die Herkunftsfamilie Druck auf das Paar oder den Einzelnen ausübt, für Nachkommen zu sorgen. So erscheint beispielsweise das Wunschkind manchmal als einzige Möglichkeit, eine Partnerschaft aufrechtzuerhalten, und der Kinderwunsch dominiert die gesamte Lebensführung. In all diesen Fällen muss die 38 39 www.bba.de/gentech/eschg.htm. Siehe auch Sonnenberg-Schwan U in Bogner J und Gruber T 2005. 32 E X P E R T I S E Beratung versuchen, dem Paar Unterstützung anzubieten, damit es einen Ausweg aus dieser einengenden Situation finden und alternative Lebenskonzepte entwickeln kann. Ein nicht unerheblicher Teil der Ratsuchenden entscheidet sich nach einem oder auch mehreren Gesprächen gegen eine Verwirklichung des Kinderwunsches oder für einen Aufschub. Ein wichtiges Ziel der Beratung und, wenn möglich, der weiteren Begleitung der Paare liegt darin, sie in ihrer eigenverantwortlichen Bewältigung der Probleme zu unterstützen und ihre Handlungskompetenzen zu fördern. Die Kontaktaufnahme zu Einrichtungen des AIDS-Beratungssystems und ggf. zu niedergelassenen PsychotherapeutInnen/psychologischen Diensten ist zu fördern. Weitere wichtige Elemente der Beratung sind z. B. die medizinische Aufklärung und die Vermittlung grundlegender Informationen über Krankheitsverlauf und Schwangerschaft, die Bedeutung der HIV-Diagnose für die subjektive Lebensperspektive der betroffenen Frau, die Unterstützung innerhalb des sozialen Umfeldes und Perspektiven oder Pläne für ein Leben mit dem Kind, auch für den Fall einer Infektion des Kindes. HIV-positive Frauen setzen sich in der Regel sehr intensiv mit ihrer Verantwortung für die Gesundheit und die Entwicklung ihres Kindes auseinander. Fragen, die sich nicht infizierte Frauen selten stellen, wie z.B. nach der Versorgung des Kindes im Krankheits- oder Todesfall, nach der zur Verfügung stehenden Lebenszeit, nach der Verantwortung für die Gesundheit und das Wohl des Kindes, sind für betroffene Frauen oft schon während des Entscheidungsprozesses für oder gegen eine Schwangerschaft relevant. Neben der Angst vor einer Übertragung der HIV-Infektion auf das Kind befürchten besonders Frauen, die schon eine Therapie aufgenommen haben, dass sie dem Ungeborenen durch die antiretroviralen Medikamente schaden könnten. Die vorbehaltlose, sachliche Vermittlung von Grundlageninformationen und die Möglichkeit einer aktiven Mitsprache bei Änderungen von Therapieregimes seitens der Patientin sind wichtige Voraussetzungen für Compliance und verantwortungsbewusste Entscheidungen. Begleitend zu einer reproduktionsmedizinischen Behandlung sollten die Paare auf mögliche Belastungen vorbereitet werden, die im Laufe der Voruntersuchungen und der Behandlung auftreten können, z. B.: Angst vor Befunden, die bedeuten könnten, dass der Kinderwunsch nicht oder noch nicht realisiert werden kann, Druck durch die Erwartung des Behandlungserfolges, durch den die Lebensgestaltung und auch die Paarbeziehung beeinträchtigt werden können, Enttäuschung, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden und der Behandlungserfolg ausbleibt, physische und psychische Belastungen bei Hormonsubstitution, Schock und Trauer bei Abort in der Frühschwangerschaft. Führt die reproduktionsmedizinische Behandlung nach mehreren Versuchen nicht zum Erfolg, liegt der Abbruch oder die Weiterführung im Ermessen des Paares und des behandelnden Arztes/der Ärztin. Im Idealfall sind begleitend zur Behandlung schon Gespräche über Alternativen im Fall des Scheiterns möglich. Wenn ein Paar 33 pro familia seine Beziehung auch ohne Kind als bereichernd und erfüllt erleben kann, so bleibt auch in diesem Fall der schmerzhafte Prozess des Abschiednehmens von der Lebensperspektive als Familie. 10. Die besondere Situation von Migrantinnen Eindeutige Zahlen zur Verbreitung von HIV unter Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, liegen nicht vor. Schätzungen über die Gesamtzahl von HIV-positiven MigrantInnen aus Hochprävalenzländern (vor allem aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara) variieren zwischen 6.000 und 9.000. MigrantInnen bilden keine einheitliche Gruppe, sondern repräsentieren viele unterschiedliche Herkunftsregionen und unterscheiden sich in Bezug auf ihren kulturellen Hintergrund, ihre Bildung, ihre soziale Situation und ihren Aufenthaltsstatus. 40 Der Zugang von Migrantinnen zum deutschen Gesundheitssystem ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig: einerseits von Erfahrungen im Herkunftsland und von einem kulturell oder traditionell bedingten Krankheitsverständnis, andererseits aber auch von sprachlichen Kompetenzen und der individuell differierenden Kenntnis der Strukturen des deutschen Gesundheitssystems und seiner vielfältigen Angebote. In diesem Zusammenhang spielen auch der Aufenthaltsstatus und eine mehr oder weniger gesicherte Existenz eine große Rolle: Bei drängender Angst vor Abschiebung, Illegalität oder sozialer Not rückt die Sorge um die Gesundheit in den Hintergrund. Erst nach Klärung dieser existentiellen Probleme werden Krankheitsbewältigung und die Entwicklung einer Zukunftsperspektive im Leben mit HIV möglich. 41 Kinderwunsch und Elternschaft spielen in vielen Kulturkreisen – besonders in afrikanischen – eine deutlich größere Rolle als in Deutschland. Ein Leben ohne Kinder können sich viele in diesen Ländern akkulturierte Menschen überhaupt nicht vorstellen. Daraus resultiert auch ein hoher Erwartungsdruck in Bezug auf die Nachkommenschaft von Seiten der Herkunftsfamilien im Ausland, die zudem häufig nicht über die HIV-Infektion informiert sind. Auch in den „Communities“ in Deutschland lebender AfrikanerInnen ist das Thema AIDS ein Tabu und die Angst, dass eine HIV-Infektion publik wird, groß. In einigen der spezialisierten geburtshilflichen Zentren in Deutschland liegt der Anteil der Migrantinnen an den HIV-positiven Schwangeren bei über 60 %. Sprachschwierigkeiten und unterschiedliche Erwartungen oder Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit stellen ÄrztInnen und BeraterInnen häufig vor schwer zu bewältigende Aufgaben. Ein vorurteilsfreies, empathisches Eingehen auf die unterschiedlichen Problemlagen sowie Zeit und Verständnis, um die Schwierigkeiten mit dem deutschen Medizinsystem zu klären, sind Voraussetzung jeder Beratung. Nur durch ein solches Vorgehen kann die Akzeptanz für die umfangreichen Prophylaxe- und Behandlungmaßnahmen erhöht und die Compliance der Patientinnen sichergestellt werden. 40 41 Seyler H 2006 (MigrantInnen). Klumb S 2006. 34 E X P E R T I S E Einige Hinweise für die Gestaltung fördernder Rahmenbedingungen sind: 42 Die Behandlungsinstitution sollte nicht ausschließlich als HIV-spezifisch erkennbar sein. Aufklärung und Beratung sollten in einem nicht ausschließlich HIV-bezogenen Rahmen stattfinden. Offenheit für ein anderes Verständnis von Gesundheit und Krankheit sollte bei den BeraterInnen vorhanden sein. Die Beratenden müssen sich mit den eigenen kulturellen und religiösen Bildern, Einstellungen und Vorurteilen auseinandersetzen. Gefordert ist auch Verständnis für die Lebenssituation von MigrantInnen mit HIV/AIDS, wobei HIV nicht das vordringlichste Problem der Migrationssituation sein muss. Unbedingte Diskretion ist vorauszusetzen und DolmetscherInnen dürfen nur nach ausdrücklichem Zugeständnis der Betroffenen hinzugezogen werden. Eine Kooperation mit weiteren Akteuren im Gesundheitssystem, wie Beratungsstellen für AfrikanerInnen, dem Sozialhilfenetz in der Region, aber auch überregionalen Einrichtungen, ist sinnvoll, allerdings sollten auch diese Kontakte immer nur mit dem Einverständnis der Patientinnen erfolgen. In den letzten Jahren sind regionale und überregionale Netzwerke von und für MigrantInnen mit HIV/AIDS entstanden. Es kann sehr hilfreich sein, Kontakte zu den entsprechenden AnsprechpartnerInnen zu vermitteln. Informationen dazu sind über die Referentin für Frauen und Migration der Deutschen AIDS-Hilfe zu erhalten. 42 Ausführlich siehe auch Nzimegne-Gölz S 2006. 35 pro familia Literaturverzeichnis Beichert, M.: HIV und Schwangerschaft – Gynäkologie und Geburtshilfe. In: HIVLeitfaden HIV und Schwangerschaft, www.hivinfo.de Bogner, J., Grubert, T.A.: HIV und Schwangerschaft, 3. Auflage, Bremen: UNIMED, 2005 Bundesärztekammer: (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion. Novelle 2006. Deutsches Ärzteblatt Jg. 103, Heft 20, S.19 Bundesministerium für Gesundheit: Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung. Bundesanzeiger 2006, Nr. 31 Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (Hrsg.): Positiv schwanger. Arbeitshilfe für Ärzte und Berater. Deutsch – Englisch – Französisch – Spanisch. Berlin 2005 Deutsche AIDS-Hilfe e.V. 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(Informationen zu Frauen und AIDS) 11. www.fertilitycenterberlin.de Homepage des Fertility Center Berlin (Assistierte Reproduktion bei HIV-diskordanten Paaren) Fertility Center Berlin Spandauer Damm 130 14050 Berlin Telefon 030-30 35-49 37 12. www.fgz-muc.de Homepage des FrauenGesundheitsZentrums München Bestellmöglichkeit der Broschüre „HIV-Infektion, Kinderwunsch und Schwangerschaft“ für Frauen mit Migrationshintergrund, in acht Sprachen erhältlich Beratungen zum Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft für Frauen mit HIV FrauenGesundheitsZentrum München Nymphenburger Str. 38/Rgb. 80335 München Telefon 089-12 911 95 13. www.hiv-wechselwirkungen.de Informationen zu Wechselwirkungen mit der HAART 14. www.ifi-interaktions-hotline.de Informationen zu Wechselwirkungen mit der HAART 15. www.kinder-aids.de Homepage der PAAD – Pädiatrische Arbeitsgemeinschaft AIDS 40 E X P E R T I S E 16. www.netzwerkfrauenundaids.de Homepage des Netzwerks Frauen und AIDS; Informationen zu den Knotenfrauen des Netzwerks 17. www.praxiszentrum-kaiserdamm.de Homepage der HIV-Schwerpunktpraxis Praxiszentrum Kaiserdamm (Integriertes Versorgungsmodell für HIV-infizierte Frauen mit Kinderwunsch und Schwangerschaft) Praxiszentrum Kaiserdamm Kaiserdamm 24 14057 Berlin Telefon 030-30113940 18. www.rki.de Homepage des Robert-Koch-Institutes 41