publizissimus

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publizissimus
Ausgabe Wintersemester 2013/2014
publizissimus
Print im Sturzflug:
Die Krise spitzt sich zu
MEINUNGSMONOPOL MAINZ: Die MRZ hat aufgegeben
WATCHBLOG: Auf Kollisionskurs mit der BILD
HARTE FAKTEN: Akademischer Streit um Porno-Journal
GLOSSE: Auf nach Noelletopia mit Obi Wilkenobi!
Man munkelt, der Publizissimus sei eines der wenigen Blätter mit steigender Auflagenzahl. +++ Man munkelt, Oliver Quiring würde es begrüßen, wenn
Editorial
3
Bild: Rondinella
Der scheidende Freund
Von Lorenz Harst, Elisabeth Neuhaus und Giuseppe Rondinella
Liebe Leserinnen und Leser,
der gemeine Publizist hat es einfach
nicht leicht. Nur allzu gerne würde er
irgendwas mit Medien machen, aber
seinem liebsten und dienstältesten
Weggefährten geht langsam die Puste aus, der Zeitung geht es schlecht:
„Der Titel rentiert sich nicht mehr“,
heißt es von Verlagen in wirtschaftlicher Schieflage. „Printmedien sind
nicht mehr aktuell“, lautet das harsche Urteil der Kritiker. Hätte die Publizistikwissenschaft ein Mitspracherecht bei der Wahl zum Unwort des
Jahres, das Wörtchen „Zeitungskrise“
würde es, da sind wir uns sicher, zumindest in die engere Auswahl schaffen.
Sie halten eine Ausgabe des Publizissimus in den Händen, die sich einmal
mehr mit einem unangenehmen Thema beschäftigt. Mit der Insolvenz der
Frankfurter Rundschau und dem Niedergang der Financial Times Deutschland hatten sich die Vorläufer der Krise im vergangenen Wintersemester
bereits deutlich zu erkennen gegeben. Mittlerweile stürmt es gewaltig,
auch hier in Mainz. Deshalb haben
wir uns verpflichtet gefühlt, die Entwicklung der Zeitungskrise weiter
zu begleiten. Franziska und Julia
haben sich einen Überblick verschafft
und den journalistischen Status quo
Deutschlands und der USA aufgearbeitet. Außerdem: Hintergründe zum
Ende der Mainzer Rhein-Zeitung und
wie eine Zeitung ohne Journalisten
funktioniert (oder eben nicht). Ob das
Geschäft mit der Zeitung auch in Afrika kriselt, das hat Peter am Beispiel
einer deutschen Tageszeitung in Na-
mibia herausgefunden.
In unsteten Zeiten wie diesen hat
sich so mancher Journalist in die PR
verabschiedet. Wie und warum so ein
Wechsel vonstatten geht, das lesen
Sie in der Rubrik „Ehemalige des IfP“.
Die aktuelle Ausgabe der Institutszeitschrift mag auf den ersten Blick
monothematisch daherkommen, in
alter Publizissimus-Manier wollte
die Redaktion den Fall „Zeitungskrise“ allerdings nicht nur anschneiden, sondern detailliert und intensiv
recherchieren. Apropos Recherche:
Damit spielen wir auch den größten
Vorteil eines Printmediums aus –
umfassende Hintergrundberichterstattung.
Natürlich geht es in diesem Heft nicht
nur um die zugespitzte Lage auf dem
Zeitungsmarkt. Miriam hat das Main-
zer Gutenberg-Museum besucht und
den wahren Erfinder des Buchdrucks
entdeckt, Jakob berichtet von seinem
Praktikum in London und unsere Auslandskorrespondenten Pascal und Johannes melden sich aus Spanien und
Frankreich. Auch um ein schlüpfriges
Thema sind wir in dieser Ausgabe
nicht herumgekommen: Porno. Neben
einem Rückblick auf die Institutsgeschichte, einem neuen Gesicht am
Institut und einem Blog-Tyrannen erwarten Sie natürlich jede Menge weitere spannende Themen. Zum Lesen
wird also dringend geraten.
Auch und insbesondere dem gemeinen Publizisten, der trotz Zeitungskrise irgendwas mit Medien machen
will.
Viel Spaß bei der Lektüre!
Studenten mehr LSD konsumierten. +++ Man munkelt, Babo sei das Publizissimus-Wort des Jahres. +++ Man munkelt, unter den Erstis fänden sich
Inhalt /
4
Impressum
Publizissimus Ausgabe 01/2014
Chefredaktion (Babos):
Lorenz Harst, Elisabeth Neuhaus,
Giuseppe Rondinella (V.i.S.d.P.)
Logo: Richard Lemke
Layout: Elisabeth Neuhaus
Titelbild: Giuseppe Rondinella
Herausgeber: Fachschaftsrat
Publizistik
Auflage: 700
Druck: Zentraldruckerei (Universität Mainz) mit freundlicher
Unterstützung des ZeFaR
Redaktionsadresse:
Publizissimus-Redaktion
c/o Fachschaftsrat Publizistik
Universität Mainz / Georg-Forster-Gebäude
Jakob-Welder-Weg 12
55099 Mainz
Leserbriefe, Anmerkungen
und Kritik bitte an:
[email protected]
Autoren:
Estelle Allali, Johannes Beckert,
Franziska Breininger, Lorenz
Harst, Nicole Ioussim, Peter
Mertes, Elisabeth Neuhaus,
Miriam Pontius, Jakob Reifenberger, Giuseppe Rondinella, Julia
Schäfer, Pascal Schneiders
Gastautoren:
Richard Lemke
Marc Ziegele
impressum
Inhaltsverzeichnis
3
4
Editorial: Der scheidende Freund
Impressum | Inhaltsverzeichnis
5
Im Publizissmus vor 30 Jahren:
Der Orwell-Staat und das Ende der Noelloskope
6
8
10
12
13
Zeitungskrise: Und Tschüss!
Kommentar: An neuen Ufern
Mainzer Rhein-Zeitung: Tod einer Tageszeitung
Kommentar: Wenn Tante Emma grüßen lässt
Westfälische Rundschau: Zeitung ohne Journalisten
14
Interview:
Neue IfP-Geschäftsführerin Prof. Dr. Birgit Stark
16
Journaille: Deutscher Journalismus in Afrika
18
Ehemalige des IfP: „Du musst hier weg“
20
21
22
Medien in den Medien: BILDblog
Reisebericht: BBC
Praktikumsbericht: London
23
24
Grimme-Preis: Herausgeputzt für den Medienpreis
Neu am IfP: Dr. Thomas Koch
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26
Porno: Ein Pornokrieg spaltet die Wissenschaft
Porno-Kommentar: Alles Porno?
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30
Gutenberg-Museum: Der wahre Erfinder des Buchdrucks
Fernsehen aktuell: Das Live-Fernsehen ist noch nicht tot
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33
34
Georg-Forster Cafeteria:
Massenandrang zur Mittagszeit
Auslandskorrespondenz:
„Barcelona, it was the first time that we met“
Auslandskorrespondenz: „Rien ne va plus?“
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38
40:
Qualitative Embierie: So stellt sich die Publizissimus-
Redaktion die Zeitung der Zukunft vor
Die Autoren: ...und ihr Lieblingsmedium
Glosse: Petition für ein Publizistikstudium als Online-Spiel
Publizissimus-Preis:
Juniorprofessor Dr. Leonard Reinecke
kaum noch männliche Vertreter. + + + Man munkelt, den verbleibenden männlichen Vertretern sei das schnuppe. + + + Man munkelt, der Begriff
Vor 30
5
jahren
Der Orwell-Staat und das Ende
der Noelloskopie
Von Nicole Ioussim
Bild: Archiv
Man macht einen Schritt, führt gerade ein spannendes Telefonat oder
beschafft sich Informationen via
Smartphone, doch: Man ist nicht allein. Überwacht zu werden ist der
Alptraum eines jeden, der zur erschreckenden Realität geworden ist.
Bereits 1983 zittern die Studenten
dem von Orwell prophezeiten Überwachungsstaat entgegen. Was damals
noch seine Anfänge nimmt, ist heute
mehr als aktuell. Die NSA beweist in
diesem Jahr, dass Orwells Annahme
in seinem Buch „Nineteen EightyFour“ alles andere als verkehrt oder
überholt war, doch sie übertrifft seine
Voraussagen sogar noch. Im Publizissimus von 1983 hieß es damals: „Ist
der Große Bruder bei Orwell noch auf
einen Televisor angewiesen, […] so
kommt die moderne Schnüffeltechnik
schon längst ohne das Mitwissen des
Überwachten aus“. Schon damals
moderne Abhörtechniken sind heutzutage modernisiert und damit noch
„gefährlicher“.
„Big brother is watching you“
Smartphones verknüpfen den Konsum von öffentlich zugänglichen
Nachrichten mit der kontinuierlichen
Preisgabe privater Informationen.
Das durch die Vereinigten Staaten
und das Vereinigte Königreich als
Vorbeugung terroristischer Anschläge verkaufte globale und grundlose
Ausspionieren der Telekommunikation und des Internets lassen keinen
Raum für Privatsphäre. Sogar LiveÜberwachung sei mit den neusten
Techniken der NSA möglich. Orwell
spricht darüberhinaus vom „gläsernen Menschen“. Dies zieht eine
weitere erschreckende Parallele, da
die NSA die überwachten Daten auf
Vorrat speichert und sie somit jederzeit verwenden kann. Die Angst der
Publizisten vorm Orwell’schen Überwachungsstaat getreu dem Motto
„somebody may be watching you“ ist
heute aktueller denn je.
die öffentliche Meinung unbewusst
durch Verfälschungen und leere Versprechungen zu beeinflussen und
die Massen dadurch für sich zu gewinnen? Die neuen Medien würden,
so Orwell, unser Denken beeinflussen und uns das Nötigste abnehmen
wollen. Dies wäre die wohl beste
Möglichkeit, die Wahrheit zu verfälschen und sich im Euphemismus zu
üben. Eine solche Systematik lässt
sich auf die heutige Situation noch
besser übertragen als auf die vor 30
Jahren. Dauernd fortschreitende und
innovative Technologien lassen eine
Zuspitzung dieser problematischen
Entwicklung befürchten. Wie weit sind
wir wirklich von Orwells Vision eines
Überwachungsstaates entfernt?
Neue Medien – eigene Meinung
vorgekaut?
Adieu Frau Noelle-Neumann
Dass das Denken und Handeln für
uns übernommen wird, ist heutzutage Gang und Gäbe. Wir lassen uns
von den Medien „berieseln“ und
werden dadurch unbewusst bewusst
beeinflusst. Die Öffentlichkeit gibt
uns vor, was wir zu denken und zu
fühlen haben und das Schlimmste ist:
Wir springen darauf an. Das ist auch
der Grund, warum im Publizissimus
schon 1983 über eine mögliche Entwicklung hin zur Manipulation debattiert wurde, denn wie einfach ist es,
Zu Ehren der Emeritierung von
Frau Prof. Dr. Dr. Elisabeth NoelleNeumann widmet der Publizissimus
dieser ganz besonderen Professorin
und Institutsleiterin in seiner letzten
Ausgabe des Jahres1983 ganze vier
Seiten.
Der „Nachruf“ ist einer der besonderen Art. Nicht mit Hilfe einer weiteren
Biographie, sondern durch authentische Beschreibungen und Artikel aus
den Jahren 1970 bis 1983 zeichnen
die Autoren ein klares Bild der Insti-
tutsgründerin. Die Ausschnitte zeigen
zum Beispiel, dass Noelle-Neumann
eine Zusammenarbeit mit ihren Studenten ablehnte, da das „Alternativprogramm“ der Studentinnen und
Studenten nicht mit ihren Überzeugungen einherging. In den Artikeln
verurteilen die Autoren Noelle-Neumann darüber hinaus für ihre knappe
Anwesenheit und ihre fehlende Bereitschaft, Diskussionen zuzulassen
oder Kritik anzunehmen. Insgesamt
fällt der Nachruf dementsprechend
eher kritisch aus, geschmückt mit
ironischen Liedtexten und Bildern.
Trotz allem hinterließ diese „Art
Professorin“, wie sie die Überschrift
der „Biographie“ 1983 nannten, mit
ihren umstrittenen Methoden und
Ansichten einen bleibenden Eindruck
und wird sicherlich auch noch weitere 30 Jahren genau so im Gedächtnis
der Studenten bleiben, wie sie es war
und ist.
„Frosch“ habe sich als Spitzname für den Georg-Forster Bau durchsetzen können. + + + Man munkelt weiter, die Publizissimus-Redaktion sei sauer, dass
Zeitungskrise
6
Und Tschüss!
Welchen Kurs der kriselnde Printjournalismus einschlägt.
Eine Bestandsaufnahme.
Von Franziska Breininger und Julia Schäfer
Ist das der Anfang vom Ende? Diese
Frage stellt sich, wenn man sich anschaut, wie viele renommierte Zeitungen den Online-Medien in den vergangenen Jahren weichen mussten. Von
der amerikanischen „Newsweek“ bis
hin zum deutschen Axel-Springer-Verlag verschont die Printkrise keine der
namhaften Urgesteine. Mit der Schnelligkeit von Online-Nachrichtenportalen
kann die klassische, gedruckte Zeitung
nicht Schritt halten.
Bild: Breininger
Wer sich über das aktuelle Geschehen in aller Welt informieren möchte,
muss heutzutage lediglich eine App
öffnen oder ein Onlineportal besuchen. Binnen weniger Sekunden ist
der Leser informiert und spart sich
somit häufig den Weg zum Kiosk. Von
Medien umgeben aufgewachsen, ist
es für unsere Generation schon fast
ungewöhnlich, sich noch „mühsam“
über Tageszeitungen zu informieren.
Alle Inhalte sind per Mausklick und
Touchscreen digital verfügbar und
verführen dazu, dem Zeitungwesen
den Rücken zu kehren. Dadurch verliert die Zeitung immer mehr an Wert.
Sinkende Auflagen, Entlassungen
ganzer Redaktionen und gänzliches
Einstellen der Printausgaben sind die
Folgen der medialen Internetrevolution.
„Newsweek“ stoppt Printausgabe
Unter der Printkrise hat auch das
amerikanische Nachrichtenmagazin
„Newsweek“ gelitten. Die wöchentliche Druckausgabe wurde nach 80
Jahren zum 31.12.2012 eingestellt.
Das Magazin erscheint mittlerweile
nur noch online. Der ehemalige TIMERedakteur Thomas J.C. Martyn gründete die Newsweek 1933. Über viele
Jahrzehnte hinweg zählte das Nachrichtenmagazin zu den „großen Drei“
auf dem amerikanischen Markt, neben „TIME“ und „U.S. News und World
Report“. Newsweek wurde 1961 von
der Washington Post Company aufgekauft. Mit einer Auflage von 3,1
Millionen und der Anerkennung als
seriöses und einflussreiches Magazin, galt Newsweek lange als stärkster Konkurrent der TIME. Newsweek
lieferte bedeutende Artikel über die
Watergate-Affäre und dem Vietnamkrieg in den 1970ern.
2010 verkaufte die Washington Post
Company „Newsweek“ weiter an den
amerikanischen Unternehmer Sidney
Harman, der somit 47 Millionen Dol-
lar Schulden auf sich nahm. Schon
damals hatte sich die Zahl der gedruckten Exemplare auf 1,5 Millionen
verringert. Durch den Auflagenrückgang machte das Magazin Verluste
in Höhe von rund 40 Millionen Dollar
pro Jahr. Letztendlich scheiterte das
Fortbestehen der Newsweek-Druckausgabe am Geld. Sidney Harman
starb 2011, wodurch es keine weitere
finanzielle Unterstützung mehr für
das Magazin gab. Der darauf folgende Umstieg auf elektronische Medien
kostete viele Mitarbeiter den Arbeitsplatz. Der Niedergang der Newsweek
stellt beispielhaft den Wandel der
Printmedien dar. Das Nachrichtenmagazin setzt seit Anfang 2013 darauf,
den Leser allein mit einer digitalen
Plattform an sich zu binden oder für
sich zu gewinnen. Die Krise und der
Fortschritt lassen ihm keine andere
Wahl.
Amazon-Chef Bezos kauft
„Washington Post“
Im August 2013 kaufte Amazon-Chef
Jeff Bezos die größte Tageszeitung
Washingtons. Erstmals erschien die
Zeitung 1877. Sie gilt heute als älteste Tageszeitung in Washington. In
ihrer Anfangszeit gehörte Theodor
Roosevelt, 26. Präsident der Vereinigten Staaten, zu den Autoren der
Washington Post. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise befand sich das Blatt
1933 in einer schlechten finanziellen
Lage und wurde versteigert. Nach
dem Ende des zweiten Weltkriegs
erfuhr die Washington Post einen
Aufschwung. Täglich erschienen über
160.000 Exemplare. Der Konzern der
Tageszeitung wurde in den 60ern zu
einem Medienimperium ausgebaut.
Als größter Erfolg der Zeitung erwies
sich die Aufdeckung des WatergateSkandals 1971. Damals arbeiteten
vor allem die beiden Redakteure Bob
Woodward und Carl Bernstein daran,
den wiederholten Missbrauch von
Regierungsvollmachten durch USPräsident Nixon öffentlich zu machen.
sich ihr Vorschlag „Hulk“ nicht hat behaupten können. + + + Man munkelt, Reinhart Ricker würde Studierende während seiner Vorlesungen des Pornokon-
Zeitungskrise
Tragisch ist, dass die Auflage der Washington Post nach der Jahrtausendwende drastisch sank, bedingt durch
die schnelle Verbreitung des Internets und sinkende Leserzahlen. Dadurch mussten 2003 viele Mitarbeiter entlassen und auswärtige Büros
geschlossen werden. Auch wenn die
Washington Post einige Jahre durch
Gewinne anderer Unternehmensteile
ihre Verluste kompensieren konnte,
kaufte Amazon-Gründer Bezos die
Tageszeitung 2013. Er selbst wolle
nicht in das Tagesgeschäft eingreifen
und die Werte der Washington Post
würden sich durch seinen Kauf auch
nicht ändern. Zunächst wolle Bezos
als privater Käufer die Finanzierung
der Zeitung bewerkstelligen, um dem
Management zu ermöglichen, die Tageszeitung profitabler zu machen.
Ausverkauf bei Axel Springer
Das Streben nach Profit fordert auch
bei der Axel Springer AG Opfer. Für
die Mitarbeiter des Unternehmens
kam die Nachricht überraschend. Per
E-Mail informierte Vorstandschef Mathias Döpfner über den Verkauf von
traditionsreichen Zeitungen und Zeitschriften. Unter anderem sollten die
„Bild der Frau“, „Hörzu“, das „Hamburger Abendblatt“ und die „Berliner
Morgenpost“ an die Funke Mediengruppe verkauft werden. Für die rund
900 Betroffenen kam dieser Schritt
unerwartet, doch er ist Teil von Döpfners neuer Strategie. Er möchte den
Wandel zu einem führenden digitalen
Medienunternehmen einleiten. „Die
Entscheidung, uns von einigen der
traditionsreichsten Marken unseres
Hauses zu trennen“ sei nicht leichtgefallen, schreibt Döpfner in seiner
Mail. Der Verkauf im Wert von 920
Millionen Euro soll demnächst stattfinden, sofern die Prüfung durch das
Kartellamt positiv ausfällt. Springer
trennt sich somit von einem Großteil
seiner Printmedien, die immer geringere Auflagen vorweisen. Vorerst
sollen unter anderem der „Rolling
Stone“, die „Bild“, die „Welt“ und
einige andere Printprodukte bleiben.
Doch auch hier kommt es laut Spiegel
zu Einsparungen und Stellenabbau.
Das neue Zeitungsmodell: Die
Huffington Post
Dass es auch anders gehen kann,
zeigt die Huffington Post. Die USamerikanische Online-Zeitung ist
2005 unter anderem von Namensgeberin Arianna Huffington gegründet
worden. Laut Tagesschau.de zählt die
Zeitung zu den meistbesuchten Websites der USA. Der Onlinedienst AOL
kaufte die Huffington Post im Jahr
2011 für 315 Millionen US Dollar. Das
Modell der Online-Zeitung ist einfach:
Blogger liefern kostenlose Beiträge. Unter den Bloggern können sich
durchaus auch prominente Autoren
befinden. Informationen aus anderen
Berichten werden gesammelt, in einem eigenen Text zusammengefasst
und die ursprünglichen Berichte auf
der Seite verlinkt. Die Leser haben
die Möglichkeit, die Artikel zu kommentieren. Die Seite finanziert sich
hauptsächlich über Werbung. Ableger
des Erfolgsmodells gibt es in vielen
Ländern, so auch in Japan, Kanada,
Spanien, Italien und Großbritannien.
Seit Oktober 2013 gibt es auch eine
deutsche Ausgabe. Die Huffington
Post ist im Internet überall präsent
und erreicht somit auch junge Leute, zum Beispiel über soziale Netzwerke. Genutzt werden Instagram,
Youtube oder Facebook – mit über
1,3 Millionen „Gefällt mir“-Angaben
(Facebook) und über 3,6 Millionen
Followern (Twitter, Stand 03.12.2013).
Mit ihrer Strategie ist die Huffington
Post erfolgreich und gewann 2012 als
erste kommerzielle Online-Zeitung
den Pulitzer Preis.
Mit zunehmendem Erfolg werden jedoch auch kritische Stimmen lauter.
So bemängeln viele das umstrittene
Geschäftsmodell der Huffington Post,
7
Blogger kostenlos für sich schreiben zu lassen und fremde Beiträge
zu sammeln. Oliver Eckert, der Geschäftsführer der deutschen Ausgabe,
wehrt sich gegen die Gerüchte, dass
nur Blogger den Inhalt der Zeitung
gestalten: „Weltweit arbeiten rund
700 festangestellte Journalisten für
die Huffington Post.“ Auch Neutralität und Sachlichkeit sind oftmals
fragwürdig, da auch einige Politiker
für die Huffington Post schreiben.
Und weiter?
Für die Newsweek war der Wandel
von einem gedruckten Nachrichtenmagazin zu einer reinen Online-Zeitschrift die einzige Rettung. Zukünftig
werden wohl viele Printmedien diesem Beispiel folgen, um ihre Existenz
zu sichern. Doch nicht jede Zeitung
hat die Möglichkeit, auf das Internet
umzusteigen, da es auch eine Kostenfrage ist. Gerade für kleinere Zeitungen stellt sich die Frage, ob sich der
Aufwand überhaupt lohnen würde.
Für die moderne Gesellschaft ist es
mittlerweile völlig normal, immer
und überall auf dem neuesten Stand
zu sein. Fast keiner nimmt sich mehr
die Zeit, auf Tages- oder Wochenzeitungen zu warten, wenn er dieselben
Informationen jederzeit aus dem
Internet haben kann – oftmals für
deutlich weniger Geld. Dem Leser ist
es möglich, aus zahlreichen Quellen
selbst auszuwählen. Gleichzeitig wird
man aber mit einem Überangebot an
Informationen allein gelassen. Ohne
die Arbeit des Journalisten steht man
nun selbst vor der Aufgabe, Nachrichten zu filtern und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Immer weniger Menschen sind dazu
bereit, Geld für Zeitungen oder sogar für Abonnements auszugeben.
Gerade junge Leute sind ständig in
sozialen Netzwerken aktiv. Die Vorteile solcher Plattformen haben die
Online-Nachrichtendienste längst
erkannt. Über Facebook, Twitter oder
Youtube versuchen die Onlinedienste, jüngere Generation zu erreichen,
denn kaum einer von ihnen verlässt
das Haus überhaupt noch ohne Tablet oder Smartphone. Und die ältere
Generation? Sie stellt den heutigen
Durchschnittsleser der gedruckten
Zeitung und ist nicht immer mit den
Onlinemedien vertraut.
Das Zeitungswesen steht seit Jahrzehnten für Kultur und Tradition. Diese Werte gehen durch die Printkrise
nach und nach verloren. Dennoch ist
es zu früh, die Printmedien abzuschreiben. Im digitalisierten Zeitalter
werden wir uns zwar noch von einigen Titeln verabschieden müssen.
Manchmal wird es statt einem endgültigen „Tschüss“ aber auch ein „Auf
Wiedersehen“ im Internet geben.
In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau gibt Wikipedia-Gründer Jimmy Wales allen Zeitungsliebhabern Hoffnung: „Eine Zeitung kann
ich zum Strand mitnehmen, in den
Rucksack stopfen und muss mich nie
sorgen, dass sie gestohlen wird. Die
gedruckte Zeitung wird es also noch
eine Weile geben. Ich glaube sogar,
sie wird nie völlig verschwinden.“
sums bezichtigen. +++ Man munkelt, dass sich viele Studenten die Bib-Parkscheibe auch für die Cafeteria wünschen. + + + Man munkelt nämlich, dort
8
Kommentar
An neuen Ufern
Ein Kommentar zur Zeitungskrise von Marc Ziegele
Bild: Ziegele
Die gedruckte Zeitung habe sich „bei dem, was wir gerade erleben, glänzend geschlagen“, [...], genauso wie andere konventionelle Medien auch. Das Einzige, was sich geändert habe, sei, dass sich
die Nachricht zu einem Gut entwickelt habe, das „weltweit überall kostenlos vorhanden ist“. Die
Konsequenz für Zeitungsmacher: besseren Journalismus machen. „Wir müssen in den Ozean des
Internets einen Leuchtturm der Orientierung setzen“ (FAZ vom 16.10.2013)
Die ganzen Kapitänsmetaphern machen mich langsam seekrank. Ob in
der Politik, in der Wirtschaft oder im
Journalismus - überall müssen Steuerkurse gehalten, stürmische Ozeane
bewältigt oder eben Leuchttürme
gebaut werden. Das Internet gleicht
aber, historisch betrachtet, keinem
Ozean, sondern eher den „unendlichen Weiten“ des Weltalls – ein
echter „Cyberspace“ eben mit einer
enormen Entwicklungsdynamik. Gut,
auch auf Raumschiffen sind Kapitäne
nötig, somit können wir auch im Folgenden einige Seefahrtsmetaphern
bemühen. Grundsätzlich ist Herrn
Ippen (von dem die Zitate im Teaser
stammen) im Kern zuzustimmen: Der
Journalismus muss sich ändern, sonst
wird er sich langfristig überflüssig
machen.
Was ich allerdings anzweifle, ist die
Aussage, dass sich die gedruckte
Zeitung im intermedialen Vergleich
bislang „glänzend geschlagen“ hat.
Natürlich ist diese Aussage abhängig
von Herrn Ippens Erwartungen: Hat
man den Untergang des Schiffs erwartet, dann freut man sich darüber,
dass man im Beiboot noch „glänzend“
weitersegeln kann – bis zum nächsten Riff. Fakt ist, dass in Deutschland
und in aller Welt in den vergangenen
Jahren neben der Mainzer RheinZeitung viele namhafte Blätter beerdigt wurden: Die Washington Post,
die Frankfurter Rundschau und die
Financial Times Deutschland sind
nur einige Beispiele dafür. Natürlich
profitieren traditionelle Printmedien
derzeit noch von der Alterung der
Gesellschaft und den vergleichsweise starren Lesegewohnheiten der
älteren Bevölkerung. Dadurch ist
ihnen eine Basisnachfrage gesichert
für eine bestimmte, aber nicht unbegrenzte Zeit. Denn die Lese- und Informationsgewohnheiten der jüngeren Generation, die auch älter wird,
unterscheiden sich fundamental von
den tradierten Rezeptionsmodi. Viele
Junge lesen geschriebene Texte nicht
nur weniger und weniger aufmerksam, sie rezipieren auch multimedialer, lesen häufiger quer sowie an den
unterschiedlichsten Orten und zu den
unterschiedlichsten Zeitpunkten. Darüber hinaus ärgern sie sich nicht selten über die Unhandlichkeit einer Zeitung und die mangelnde Möglichkeit,
mit dieser zu interagieren oder sie zu
„sharen“. Derartige Entwicklungen
werden die Auflagen der gedruckten
Zeitungen weiter sinken lassen.
Als eine weitere Ursache der Misere führen viele Zeitungshäuser die
grassierende „Gratis-Kultur“ der Rezipienten an, die sich – ausgehend
vom Internet – auf das gesamte Informationsnutzungsverhalten übertragen habe. Man sei heute einfach
nicht mehr bereit, für Nachrichten
zu zahlen. Das ist allerdings nur die
halbe Wahrheit. Denn an der Entstehung dieser Kostenlos-Kultur waren
die Printmedien maßgeblich beteiligt
– Nachrichten wurden im Internet bereits vor der Jahrtausendwende gratis angeboten. Dagegen entschieden
sich viele Zeitungshäuser in jüngster
Zeit, Smartphone- und Tablet-Apps
kostenpflichtig zu machen. Dies führte zwar temporär zu Entrüstung und
zu verärgerten Nutzer-Kommentaren,
wird sich aber langfristig rentieren.
Wer dem Nachrichtenrezipienten somit komplette Zahlungsunwilligkeit
unterstellt, argumentiert scheinheilig
und vertuscht das eigentliche Problem der Mut- und Ideenlosigkeit
vieler Redaktionen. Dieses Problem
erkennt ja auch Herr Ippen, indem er
einen besseren Journalismus fordert.
Doch dieser bessere Journalismus
kann sich nicht auf die gedruckte Zeitung beschränken, sondern muss medienübergreifend, also auch online
gemacht werden. Denn langfristig
säßen ebenfalls nur Mediziner und Juristen. +++ Man munkelt, Reinhart Ricker halte noch immer Vorlesungen. + + + Man munkelt, unsere Instituts-
Kommentar
kann die gedruckte Zeitung aufgrund
sinkender Nachfrage nur überleben,
wenn sie von tragfähigen OnlineGeschäftsmodellen querfinanziert
wird. In diesem Zusammenhang ist
erstaunlich, dass das Online-Geschäft
viel zu lange als Nischenmarkt betrachtet wurde. Der Beruf des OnlineRedakteurs wurde in journalistischen
Kreisen lange Zeit wenig geschätzt
und Online-Nachrichten wurden als
wenig seriöses Handlungsfeld abgetan. Tatsächlich waren die Nachrichten auf Zeitungswebsites häufig
langweilige Agenturmeldungen oder
1:1-Kopien der Original-Artikel und
ePaper „zum Mitnehmen“ waren unhandliche und unlesbare Mini-PDFs.
Doch nicht nur die Formen der Nachrichtenpräsentation müssen sich
ändern, damit sich Zeitungshäuser
langfristig über Wasser halten können. Auch neue Nachrichteninhalte
sind nötig. Hierfür scheint es elementar, dass die Nachrichtenmacher
ihr Selbstverständnis hinterfragen.
Klar ist, dass wir auch heute nicht
auf Journalisten verzichten können:
Sie geben Themen und Sachverhalten
Öffentlichkeit, sie sagen uns, welche
Ereignisse wichtig sind, sie überwachen und kommentieren unser politisches System und sie liefern uns
9
die gemeinsamen Themenvorräte,
die zahllose Gespräche und Diskussionen erst ermöglichen. Mehr denn je
müssen Journalisten aber, und auch
hier stimme ich Herrn Ippen zu, ihre
Informationsfunktion um eine Orientierungsfunktion ergänzen. Hier
kann das gedruckte Blatt vom Internet lernen: Online findet, folgt man
dem Kommunikationswissenschaftler
Axel Bruns, ein Wandel vom Gatekeeping zum Gatewatching statt. Dieser
Wandel impliziert, dass Journalisten
ihren Nachrichten Mehrwert geben
können, indem sie die im Internet
verfügbaren Informationen zu einem
Ereignis, Thema oder Sachverhalt
zusammentragen, einordnen, bewerten und kommentieren. Sie sortieren
damit den Strom an Informationen,
der aus den (offenen) Schleusen entweicht, anstatt die Schleusen selbst
zu kontrollieren. Hieraus eröffnen
sich sowohl für Nachrichtenwebsites
als auch für gedruckte Blätter neue
Nachrichteninhalte.
Zudem sollten Journalisten die
„Rufe“ der Nutzer aus den Tiefen
des Internets nicht ignorieren. Feedback an die Redaktionen, das früher
vergleichsweise spärlich in Form von
Leserbriefen eintraf, ergießt sich
heute in nie dagewesener Menge in
Form von Anschlusskommunikation
auf den Nachrichtenwebsites und
auf anderen öffentlichen oder teilöffentlichen Internet-Plattformen.
Journalisten stehen dadurch vor der
Aufgabe, nicht nur zu Leuchtturmwärtern, sondern auch zu Moderatoren
zu werden. Moderatoren, die die vielfältigen Stimmen und Meinungen der
Nutzer zu den wichtigen öffentlichen
Themen zusammenfassen und ihnen
eine Öffentlichkeit bieten. Aber auch
Navigatoren, die sich in die online geführten Diskussionen der Nutzer einklinken, sie zu einem Ergebnis führen
und somit einen echten Mehrwert bieten. Langfristig lässt sich damit sogar
Geld verdienen, denn zufriedene
Nutzer bleiben länger auf der Website und kehren häufiger zurück, was
sich wiederum in bare (Werbe-)Münze
umsetzen lässt. Dass Internetnutzer
sich unter einem guten Journalisten
immer häufiger einen (gleichberechtigten) Kommunikations- und Diskussionspartner vorstellen, zeigt nicht
zuletzt eine Studie des Medien- und
Kommunikationswissenschaftlers
Christoph Neuberger. In einer an
die Grundgesamtheit der ARD/ZDFOnlinestudie 2010 angelehnten Stichprobe stimmte nahezu die Hälfte der
Befragten der Aussage zu, dass der
Journalismus im Internet öffentliche
Diskussionen anstoßen und moderieren sollte. Auch gedruckte Zeitungen
könnten hierfür Impulse geben, auf
die Weiterführung einer Diskussion
im Internet verweisen oder Zusammenfassungen von Diskussionen in
die Blätter integrieren. Dies erfordert
jedoch auch, dass der Journalist ein
mutiger Seemann ist, bereit, die unsicheren Gewässer der kritischen Nutzerkommentare zu befahren.
Die gedruckte Zeitung muss somit
nicht sterben. Die Voraussetzungen
dafür sind jedoch, dass sich ein besserer Journalismus, wie ihn Herr Ippen fordert, nicht allein als Informationsvermittler, sondern als Moderator
und Navigator in einer vernetzten
Welt betrachtet. Vor allem darf sich
ein solcher Journalismus nicht auf
die Printausgaben beschränken, sondern muss sich größer, weiter und
vor allem unabhängig vom Veröffentlichungsmedium definieren. Die
Zeitung muss sich crossmedial als Informations-, Orientierungs- und Diskussionsmedium positionieren und
ihre Stärken gegenüber Angeboten
wie Google News, Facebook und Co
betonen. Um in der Schifffahrtssprache zu bleiben: „Der Wind dreht“ und
„Auf zu neuen Ufern!“
Bild: Rondinella
gründerin hieße von 1979 bis 2000 Elisabeth Noelle-Neumann-Maier-Leibnitz. +++ Man munkelt, der Publizissimus sei das einzige seriöse Gratisblatt.
Mainzer
10
rhein-zeitung
Tod einer Tageszeitung
Lokaljournalismus: Mainzer Rhein-Zeitung hat ihr Erscheinen
nach über 26 Jahren eingestellt
Von Elisabeth Neuhaus
Die Abonnementzahlen der Mainzer Lokalausgabe der Rhein-Zeitung waren bis zuletzt leicht gestiegen,
doch für eine Rettung in letzter Sekunde hatte auch das nicht mehr gereicht. Ihr Ende zeigt, dass selbst die
Berichterstattung im Lokalen kein Garant für wirtschaftlichen Erfolg mehr ist.
Bild: Neuhaus
Die Nachricht vom Aus kam per Tweet.
Am späten Nachmittag des 19. September ließ Christian Lindner, Chefredakteur der Rhein-Zeitung, über
Twitter verlauten, dass die Mainzer
Rhein-Zeitung (MRZ) zwar „beliebt,
aber nicht rentabel“ sei und daher
zum Jahresende eingestellt würde.
Erst 45 Minuten zuvor hatte die Mainzer Redaktion vom Ende des Blattes
erfahren. Gerüchte, die Koblenzer
Rhein-Zeitung könne ihren jüngsten
Zögling aufgeben, waren immer wieder kursiert, mit einem endgültigen
Aus aber rechnete bis dato niemand.
Fragen hatte es im Konferenzraum in
der Emmeransstraße 27 an diesem
Nachmittag kaum gegeben.
Rückblick: Unerwartete Konkurrenz
Als die MRZ am 14. Oktober 1987
zum ersten Mal erschien, war der
Coup des Mittelrhein-Verlags perfekt.
Gerade einmal zwölf Tage vor Startschuss machte man das Vorhaben
öffentlich: In der Landeshauptstadt
wollten die Koblenzer Medienmacher eine eigene Ausgabe der RheinZeitung etablieren. Deutschlandweit
maßen Experten dem Unterfangen
pressegeschichtliche Relevanz bei,
schließlich wagte sich der Verlag mit
der Mainzer Rhein-Zeitung in den
Einflussbereich eines publizistischen
Monopolisten, der Allgemeinen Zeitung Mainz (AZ), vor und brach damit
einen Einzeitungskreis auf. Der Koblenzer Mittelrhein-Verlag verfügte
über ausreichend technische und
personelle Kapazitäten, um eine Neugründung zu schultern. Das zu diesem Zeitpunkt angeknackste Image
der Mainzer Verlagsanstalt (MVA,
heute Verlagsgruppe Rhein-Main),
dem Verlag hinter der AZ, sollte die
Markteinführung einer Rhein-Zeitung
für Mainz zusätzlich begünstigten:
Beim Verkauf des Darmstädter Tagblatts durch die MVA hatten zwei
Zeitungsmanager erst kürzlich über
zehn Millionen Mark veruntreut. Besonders angreifbar machte die AZ
außerdem ein vergleichsweise magerer Lokalteil. Entsprechend bemühte
sich der ehemalige Monopolist unter
Wettbewerbsbedingungen, mit einer
verbesserten Lokalberichterstattung
aufzutrumpfen. Die Mainzer RheinZeitung dagegen war von Anfang an
stark auf lokale Themen gepolt – und
blieb es bis zum Schluss.
26 Jahre ohne schwarze Zahlen
Wirtschaftlich rentabel ist die MRZ
Presseberichten zufolge trotz zuletzt
leicht steigender Abonnementzahlen
nie gewesen. Warum? „Die Entscheidung für die Gründung der Mainzer
Rhein-Zeitung war damals keine wirtschaftliche, sondern eine emotionale,
eine psychologische“, erklärt Renate
Brog, Geschäftsführerin und Redaktionsleiterin der Mainzer RZ-Redaktion. Gerade auf dem Anzeigenmarkt,
so Brog, sei es der MRZ von Anfang
an schwer gefallen, sich gegen die
etablierte AZ durchzusetzen. Über
teure Marketingmaßnahmen sei die
Auflage stets nach oben getrieben
worden: „Jedes neue Abo war hart
und teuer erkämpft. Da hätte man
früher die Reißleine ziehen müssen.“
Als die Abonnementzahlen bereinigt
wurden, drückte das die Auflage wieder nach unten – auf einen Nettobetrag von zuletzt nicht einmal mehr
7000 verkauften Exemplaren. Für die
RZ war die Mainzer Rhein-Zeitung
damit stets ein hohes Zuschussge-
+++ Man munkelt weiter, das könne man sich als Gratisblatt auch leisten. +++ Man munkelt, Reinhart Ricker streame aktuelle US-Serien auf seinem
Mainzer
rhein-zeitung
schäft, unternehmerisch sei das auf
Dauer nicht mehr zu tragen gewesen.
Dass sich die Zeitung heute, nahezu
drei Jahrzehnte nach ihrem Einstand,
wieder von der lokaljournalistischen
Bühne verabschieden musste, bedauern viele Leser und Abonnenten. Etliche Beileidsbekundungen hatten die
Redaktion erreicht. Besonders schwer
allerdings traf der Tod der MRZ ihre
Mitarbeiter.
„Eine fatale, traurige Entwicklung“
Renate Brog ist eine von ihnen. Über
25 Jahre war sie für die Rhein-Zeitung
in verschiedenen Funktionen und Firmen tätig. Nach dem Studium der Publizistik, Amerikanistik und Anglistik
in Mainz arbeitete sie als freie Mitarbeiterin für die RZ-Redaktion Neuwied. An ein festes Arbeitsverhältnis
war wegen eines Einstellungsstopps
bei der Rhein-Zeitung zunächst
nicht zu denken. Plötzlich aber, man
schrieb das Jahr 1989, wurden 20 Redakteursstellen frei. RZ-Journalisten
von der lokalen Basis waren eingezogen worden – es ging um ein Projekt
in der Landeshauptstadt. In den Lokalredaktionen des übrigen Verbreitungsgebiets mussten andere Redakteure nachrücken, was vielen freien
Mitarbeitern, darunter auch Renate
Brog, ein Volontariat ermöglichte. Erst
im vergangenen Juni war Brog als
Geschäftsführerin und Redaktionsleiterin zur Mainzer Rhein-Zeitung
gekommen. Dass die Druckerpressen
in etwas über einem halben Jahr still
stehen würden, war im Juni noch
nicht abzusehen gewesen. Heute ist
Brog eine von 16 Mitarbeitern, die
zum 1. Januar ihre Arbeit verloren
haben „Mein Volontariat begann mit
dem Start der Mainzer Rhein-Zeitung,
jetzt mache ich sie dicht“, erklärt sie
im November. „Das ist eine fatale und
traurige Entwicklung. Man ist damit
beschäftigt, die totgesagte Zeitung
am Leben zu erhalten. Dieses lange
11
Sterben muss man als Mitarbeiter
aushalten und verkraften. Trotz Professionalität fällt das schwer.“
Sparmaßnahmen in der Kritik
„Für den Lokaljournalismus sind
engmaschige, über lange Zeit gewachsene Kontaktnetze von enormer
Bedeutung. Durch eine Zentralisierung der Zeitungsredaktionen und
personelle Fluktuation brechen diese
Kontaktstrukturen auf. Das Sparen in
der Fläche rächt sich jetzt“, sagt Brog.
Schwindende Abonnementzahlen
seien auch das Ergebnis jahrelanger
Streichungen im Personalbereich.
Eine Anfrage des Publizissimus an
RZ-Chefredakteur Christian Lindner
blieb unbeantwortet.
Von massivem Stellenabbau in den
Redaktionen der Rhein-Zeitung berichtete der Spiegel schon 2003. Damals war von „Billigjournalismus“
die Rede, fest angestellte Redakteure
wurden gegen junge, journalistisch
ungelernte Angestellte ausgetauscht.
Nach und nach seien die Lokalredaktionen unter der Führung des damaligen Verlagschefs Walterpeter Twer
in autonome Tochtergesellschaften
umgewandelt, Redakteurinnen und
Redakteuren nicht mehr länger nach
Tarif bezahlt worden, Jahressonderzahlungen und betriebliche Altersvorsorge seien ganz entfallen. An
dieser Entscheidung sei damals nicht
zu rütteln gewesen. Diskussionsbedarf schien es auch im Falle der
Mainzer Rhein-Zeitung nicht gegeben
zu haben. So entschieden sich die
Gesellschafter letztlich gegen einen
Plan B, gegen die MRZ und für ihre
Einstellung. Zu Ungunsten der Leser,
deren Meinungsbildung im kommunalpolitischen Diskurs nur noch mithilfe von einer lokalen Tageszeitung
stattfinden kann. Und zum Leid der
Belegschaft, die die Nachricht vom
Aus ihrer Zeitung am 19. September
so paralysierte, dass sie kaum Fragen
stellte.
Renate Brog, ehemals Redaktionsleiterin und Geschäftsführerin der MRZ.
Unten: Titelseite der letzten MRZ-Ausgabe. Bilder: Neuhaus/Facebook
Die Berichterstattung von AZ und MRZ in der Publizistikwissenschaft:
In seiner Magisterarbeit von 1992 untersuchte Markus Schug (heute
Mainz-Korrespondent bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung)
über eine vergleichende Inhaltsanalyse die Berichterstattung der
beiden Mainzer Konkurrenzblätter Allgemeine Zeitung und Mainzer
Rhein-Zeitung von 1986 (AZ in Monopolstellung) bis 1992. Demnach
habe die AZ nach dem Debüt der MRZ häufiger über Missstände und
lokale Skandale berichtet, als das noch zu Monopolzeiten der Fall
gewesen war. Auch Kritik wurde häufiger geäußert als zuvor. Beide
Zeitungen versuchten damals, sich über eine Form von Journalismus zu profilieren, die von investigativem Eifer und einer kritischen
Grundhaltung zeugen sollte. Bei rund ein Drittel aller Beiträge
auf den Titelseiten von AZ und MRZ habe es sich Informationen
gehandelt, die in der jeweils anderen Zeitung nicht thematisiert
wurden. Schug schreibt, dass sich die Berichterstattung der AZ nach
1987 journalistisch verbessert habe. Insgesamt hätten sich die
beiden Mainzer Tageszeitungen in qualitativer Hinsicht einander
angenähert.
iPad. +++ Man munkelt weiter, dass ihm das „Breaking Bad“-Finale durch den ominösen Spoiler-Artikel in der FAZ versaut wurde. +++ Man munkelt,
Kommentar
12
Wenn Tante Emma grüßen lässt
Ein Kommentar zur Mainzer Rhein-Zeitung von Elisabeth Neuhaus
Die Mainzer Rhein-Zeitung erscheint
nicht mehr. Das zeugt zum einen von
einer Übermacht des Wieder-Monopolisten Allgemeine Zeitung. Zum anderen deutet es auf eine Tante-Emma
Mentalität hin, die sich in den Köpfen
der Leute eingeschlichen hat.
Mit einer zweiten lokalen Tageszeitung in Mainz war es wie mit dem
Lebensmittellädchen im Dorf. Einmal
gefragt, hätte sich kein Mensch gegen
den kleineren Laden auf dem Marktplatz aussprechen wollen. Das war
auch gar nicht nötig, denn selbstverständlich war man froh und glücklich
über eine gleichwertige Alternative
vor Ort. Schlussendlich aber pilgerte die breite Masse dann doch zum
Supermarkt im Gewerbegebiet, denn
er hatte sich über viele Jahrzehnte
hinweg durchsetzen und zusätzlich
noch Kundschaft aus dem Umland anziehen können. Andere füllten ihren
Einkaufswagen nur noch virtuell.
Den Konkurrenzkampf konnte die
Allgemeine Zeitung schließlich für
sich entscheiden. Von Anfang an zu
dominant war die Konkurrenz in
Mainz, als dass sich eine kleinere
zweite Tageszeitung auf ewig hätte
behaupten können. Im Gegensatz zu
etlichen anderen deutschen Städten
und Regionen war die rheinlandpfälzische Landeshauptstadt aber
immerhin 26 Jahre lang kein Einzeitungskreis. Jetzt ist sie es wieder und
Mainz musste wegen des Wegfalls
der MRZ einen Schritt zurückgehen.
Das ist bedenklich, gerade auch aus
kommunaldemokratischer Sicht.
Im Mai 2014 finden in Rheinland-Pfalz
Kommunalwahlen statt. Spätestens
dann dürfte sich der Verlust zusätzlicher Standpunkte und Anschauungen
bemerkbar machen. Gleichzeitig wur-
de den Bürgerinnen und Bürgern ein
zusätzliches Sprachrohr genommen.
Mit zwei Zeitungen vor Ort hatten
Interessenvertretungen eine viel größere Chance, mit ihren Anliegen und
Kritiken in der Öffentlichkeit gehört
zu werden. Jetzt sind viele trauernde
Mainzer selbst Schuld an der publizistischen Misere in ihrer Stadt, weil die
Existenz der MRZ für sie zur Selbstverständlichkeit geworden war.
Es kann eben noch so schön und praktisch sein, das kleine Lädchen um die
Ecke. Wen es trotzdem ins Gewerbegebiet zieht, der braucht sich nicht
zu wundern, wenn Tante Emma das
Handtuch wirft. Dass sich die Mainzer
in Zukunft nur noch auf der Basis von
einer lokalen Tageszeitung ein Bild
vom Geschehen vor Ort machen und
schließlich eine Meinung bilden können, dürfte bislang noch nicht allzu
stark ins Gewicht gefallen sein. Viel
schwerer dagegen wiegt schon jetzt
die simple Tatsache, dass der Leser
keine Wahl mehr hat. Lokalberichterstattung wird es in Mainz ab jetzt nur
noch in einfacher Ausführung geben.
User äußern sich auf Facebook über das Dahinscheiden der Mainzer RheinZeitung. Quelle: Facebook-Auftritt der MRZ.
Gregor Daschmann gestikuliere in seinen Vorlesungen oftmals mit der sogenannten „Merkel-Raute“. +++ Man munkelt, auf Twitter gäbe es bereits den
Westfälische
13
rundschau
Zeitung ohne Journalisten: Die
One-Man-Show
Von Elisabeth Neuhaus
Bild: Neuhaus
Ein Jahr ist es her, dass die Redaktionen der Westfälischen Rundschau ihre Schotten dicht machen
mussten. Trotzdem erscheint die Zeitung seither weiter wie gewohnt, mit Inhalten aus den übrigen
Titeln des Verlags – und der Konkurrenz.
Zum 1. Februar 2013 war die gesamte
Belegschaft freigestellt. Die Essener
Funke Mediengruppe, ehemals WAZ
Mediengruppe, verkündete Mitte Januar 2013, dass sie die Redaktionen
der Westfälischen Rundschau (WR)
schließen würden. Betroffen waren
damals, vor knapp einem Jahr, rund
120 Redakteure und 180 freie Mitarbeiter. Gegen die Entscheidung von
oben gingen die Journalisten auf
die Straße, Betriebsräte revoltierten,
selbst die nordrhein-westfälische
Medienministerin Angelica SchwallDüren und NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider meldeten sich zu Wort
– vergebens. Bis zur Arbeitslosigkeit
blieben den Mitarbeitern gerade einmal zwei Wochen.
Quelle: Die lokale Konkurrenz
Zwar schickten die Verlagsmanager
die WR-Redaktion in den Zwangsruhestand, ihre Zeitung aber stampften
sie nicht ein. Sie war trotz angeblicher Defizite in Millionenhöhe zum
Weiterleben bestimmt. Nur eben
ohne Journalisten. Seitdem stammen
Texte und Fotos zum Teil aus anderen
Zeitungen der Funke Mediengruppe,
zum Teil wird von der lokalen Konkurrenz abgeschrieben. Paradox: Die
Ruhr Nachrichten, bis zuletzt konservativer Erzfeind der SPD-nahen
WR in Dortmund, versorgen dort den
Lokalteil des Blattes mit Inhalt. Ein
solches Modell gibt es in Deutschland kein zweites Mal. Was von der
Westfälischen Rundschau geblieben
ist, sind Name und Layout. Und ein
Emporkömmling.
nig wie möglich mitkriegen sollte. In
einem Interview mit dem NDR (siehe
QR-Code) verteidigt Chefredakteur
Hinz die Westfälische Rundschau und
das mutmaßliche Verschweigen von
Informationen in den anderen FunkeTiteln: „Journalistisch ist das Ding
völlig sauber.“
Einbrechende Auflage
Verbreitungsgebiet sicherzustellen“.
Wie das mit abgekupferter Berichterstattung und ohne Journalisten
funktionieren soll, will der Verlag
nicht verraten. Eine Interviewanfrage
des Publizissimus hat der Verlag bis
heute nicht beantwortet. Den Lesern
jedenfalls scheint die „journalistisch
saubere“ Ein-Mann-Zeitung nicht
mehr zu gefallen.
„Journalistisch sauberes Ding“
Malte Hinz, früher elitenkritischer
Chef des Betriebsrats, seit 2009 WRChefredakteur, ist noch da. Er sorgt
für die Abwicklung und dafür, dass
die Schnipsel für die Zeitungs-Collage
Westfälische Rundschau jeden Tag
fein säuberlich zusammengestellt
werden. Als „seelenloses RecyclingProdukt“ bezeichnen die Medien
das Blatt seit der Schließung seiner
Redaktionen. In den Titeln der Funke Mediengruppe erschien über das
neue, scharf kritisierte Modell hinter
der WR allerdings kaum eine Zeile.
Die Verlagsspitze soll alle Redakteure dazu angehalten haben, nicht über
den Aufstand der WR-Mitarbeiter
zu berichten. Nicht zu viele Worte
verlieren über die Veränderungen
im Produktionsprozess der WR, von
denen der Leser schließlich so we-
Für die Zukunft der journalistenlosen
WR verheißen die Zahlen der Informationsgesellschaft zur Feststellung
der Verbreitung von Werbeträgern
(IVW) nichts Gutes. Im zweiten Quartal 2013 betrug die verkaufte Auflage der Westfälischen Rundschau im
südlichen Märkischen Kreis rund um
Lüdenscheid* 6.484 Exemplare. Im
ersten Quartal 2013 waren es noch
9743 Exemplare gewesen. Ein Minus
von über 33 Prozent innerhalb weniger Monate. Vor allem Abonnenten
waren der Rundschau davongelaufen.
In den neuesten Daten der IVW (3.
Quartal 2013) beläuft sich die Zahl
der verkauften Exemplare nur noch
auf 5.033. Währenddessen konnte
der örtliche Wettbewerber seine Auflage steigern.
Erklärtes Ziel der Funke Mediengruppe sei es, „die Medienvielfalt im
* Der südliche Märkische Kreis in
Nordrhein-Westfalen eignet sich besonders gut, um einen Auflagenrückgang zu verdeutlichen, denn hier ist
die WR der einzige Titel der FunkeMediengruppe.
QR-Code: Interview des NDR mit WRChefredakteur Malte Hinz.
Hashtag #daschmannraute. +++ Man munkelt, Oliver Quiring wolle einen Protzbau für 40 Millionen Euro neben dem Mainzer Dom errichten lassen.
Interview
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„Das Internet ist kein
Allheilmittel!“
Von Lorenz Harst
Für die nächsten zwei Jahre ist Prof. Dr. Birgit
Stark die Chefin des IfP. Was das für sie, uns
und das Institut bedeutet, erzählte sie dem Publizissimus in einem Vier-Augen-Gespräch. Und
weil wir schon mal da waren, haben wir sie auch
gleich gefragt, wie sich die Zeitungskrise lösen
ließe.
Bild: Stark
Letztes Jahr musste Herr Prof.
Dr. Quiring die DGPuK-Tagung
organisieren. Welche große Aufgabe müssen Sie anpacken?
Stark: Es ist gar nicht so sehr die
eine große neue Aufgabe. Vielmehr
geht es für mich darum, das weiterzuführen, was schon in den letzten Jahren begonnen wurde. Hauptsächlich
ist das der Generationenwechsel am
IfP – es ist ja längst kein Geheimnis
mehr, dass die Professuren von Wilke
und Kepplinger noch immer vakant
sind. Zudem kommen in absehbarer
Zeit auch die Journalismus-Professuren und die MedienmanagementProfessur dazu. Für das Institut ist
es wichtig, den Übergang möglichst
nahtlos zu gestalten, sodass es für
die Studierenden keine negativen Einflüsse zu spüren gibt. Und natürlich
wollen wir an einem so renommierten Insti-tut die Lücken mit hoch qualifizierten Expertinnen oder Experten
auf dem jeweiligen Gebiet schließen.
Jenseits konkreter Aufgaben,
welche Gestaltungsmöglichkeiten haben Sie all-gemein als
Geschäftsführerin des IfP?
Nun ja, ich bin nominell natürlich
jetzt für zwei Jahre die Chefin. Aber
das bedeutet eben nicht, dass ich
unbegrenzte Gestaltungsmöglichkeiten habe. Es gibt immer vorgegebene Rahmenbedingungen, an die
ich meine kreativen Ideen anpassen
muss. Vor allem setzt das Budget
Schranken, das ist schon ein entscheidender Faktor. Es gibt aber natürlich
trotzdem kleine, ganz alltägliche Dinge, bei denen ich, wie jeder andere
auch, meine eigenen Vorstellungen
und meinen eigenen Stil habe. Zum
Beispiel gilt das für die Mitarbeiterführung.
Ändert sich etwas für uns Studenten?
Nein. Hier am Institut verfahren wir
alle nach der gleichen Prämisse:
Wir möchten, dass das Studieren für
jede und jeden möglichst angenehm
ist – wir möchten, dass die Leute
hier gerne studieren. Dazu gehört
natürlich, möglichst viele spannende
Inhalte zu vermitteln und auch die
Brücke zwischen Forschung und Lehre
zu schlagen. Gerade jetzt – in Zeiten
des Medienwandels – muss es uns
allen darum gehen, auch aktuelle For-
schungsthemen wie bei-spielsweise
die Zeitungskrise aufzugreifen.
Jetzt sind Sie ja nicht nur Geschäftsführerin, sondern auch
Mitglied des Komi-tees, das die
Geburtstagsfeier des IfP vorbereitet. Können Sie unseren
Lesern vielleicht schon mal einige Einblicke geben, was uns
erwartet?
Zunächst einmal hat Erich Lamp, quasi „das kollektive Gedächtnis“ des
Instituts, uns darauf hingewiesen,
dass wir das 40-jährige Jubiläum des
Instituts erst 2005 gefeiert haben,
deshalb haben wir uns entschieden,
auch das fünfzigste korrekterweise
in den Sommer 2015 zu verschieben. Außerdem wollen wir lieber ein
Sommerfest feiern. Insgesamt wird
es vor allem darum gehen, den Geburtstag unseres traditionsreichen
Instituts auch adäquat zu bege-hen
und natürlich wollen wir so viele
ehemalige Mitglieder und Studierende miteinbeziehen wie möglich. Mal
schauen, vielleicht wird es auch wieder ein paar musikalische Einlagen
von Professorinnen oder Professoren
sowie Mitarbeitern geben. Momentan
stecken wir quasi noch in den Kindeschuhen mit der Planung, sammeln
beispielsweise Fotos. Das sind immer
sehr schöne Erinnerungsstücke – wie
ich finde.
Möchten Sie gerne ein kleines
Zwischenfazit ziehen? Wie sieht
nach einigen Wochen Ihr Arbeitspensum im Vergleich zu vorher
aus?
Wollen Sie eine ehrliche Antwort?
(lacht) Es ist schon wesentlich mehr
Arbeit. Viele Leute kommen mit ihren persönlichen Anliegen zu mir, die
für sie oder ihn natürlich auch sehr
wichtig sind. Noch dazu muss vieles
einfach auch sehr schnell gehen. Ich
merke, dass die Zeit, die ich normalerweise für Forschung zur Verfügung
habe, weniger wird.
Stichwort Forschung: Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Medienkonvergenz. Glauben Sie,
dass das Konzept eine Chance
birgt für Presseunternehmen,
die Zeitungskrise zu überwinden?
Allgemein würde ich sagen: ja. Es ist
+++ Man munkelt, einfach weil er‘s kann. +++ Man munkelt, Richard Lemke antworte auf Mails aus Prinzip nicht. +++ Man munkelt, Bernd-Peter
Interview
aber nicht so, dass man allein durch
medienkonvergente bzw. besser
ausgedrückt crossmediale Anwendungen oder Dienste – quasi pauschal – alle Probleme aus der Welt
schaffen kann. Vielmehr muss die
konkrete Umsetzung immer wieder
erneut überarbeitet und an aktuelle
Gegebenheiten angepasst werden.
Seit über fünf-zehn Jahren wird das
Konzept in der Wissenschaft nun
diskutiert, trotzdem hat sich kein einheitliches Begriffsverständnis durchgesetzt. Auch auf der Tagung hier
in Mainz am 21. und 22. November
zum Thema „Medienkonvergenz im
Bundestagswahlkampf 2013“ musste ich das wieder feststellen. Das
Thema wird überall sehr verschieden
angegangen. Es ist eben nicht nur der
Schritt ins Internet, der in diesem
Zusammenhang diskutiert werden
muss, sondern auch viele andere, vor
allem inhaltliche Aspekte im Kontext
des journalistischen Profils eines Medienunternehmens.
Dabei wird gerade das Internet
oft als Allheilmittel betrachtet.
Sie sehen das anders?
Auf jeden Fall. Wer solche Thesen
aufstellt, enthält sich einer differenzierten Betrachtung, die aber
in diesem Falle sehr wichtig ist. Es
gibt nach wie vor Altersgruppen unter den Mediennutzern, für die das
Internet eine geringere Rolle spielt.
Beispielsweise tendieren mitt-lere
Alterskohorten noch überwiegend zu
einer komplementären Nutzung. Einfach einen Internetauftritt zu starten,
wird also nie ausreichen. Vielmehr
muss es jedem einzelnen Medium
bzw. Anbieter darum gehen, für sich
eine Nische zu finden, so wie das
beispielsweise die Zeit als Wochenzeitung sehr gut hinbekommen hat.
Deren qualitativ hochwertigen journalistischen Angebote haben explizit
eine weitere Funktionszuweisung
bekommen, dienen vermehrt der Ori-
15
entierung der Leser.
Außerdem bedenken Sie bitte auch,
dass das Internet ein ganz eigenes
Nutzungsverhalten generiert: Es
ist ein On-Demand-Medium und die
Nutzer sind es mittlerweile gewohnt,
jeder-zeit und überall nachlesen zu
können, was wann wo passiert bzw.
passiert ist. Das ist gegen-läufig zu
traditionellen Formen der habitualisierten Mediennutzung. Außerdem
muss man sich immer die Frage stellen: Wären diese Nutzer auch bereit
für On-Demand-Angebote zu bezahlen? Das ist eine sehr schwierige
Frage, wenn man an die weit verbreitete Gratismentalität denkt, die im
Internet von Anfang an vorherrschte.
Aktuelle Forschungsergebnisse dokumen-tieren nach wie vor, dass die
Zahlungsbereitschaft für Onlinenachrichten eng begrenzt ist.
Fakt ist, dass es für die Frankfurter Rundschau und die Financial Times Deutschland nicht
mehr weiterging. Was haben
also Ihrer Ansicht nach diese
Anbieter falsch gemacht?
Auch das lässt sich so pauschal nicht
beantworten. Oft liegt es daran, dass
die etablierten Häuser feststellen
müssen, dass ihre bisherigen Finanzierungsmodelle nicht mehr funktionieren. Nehmen Sie zum Beispiel die
Süddeutsche Zeitung. Vor zwanzig
Jahren war der Stel-lenmarkt mal
eine eigene Beilage, heute sind es
maximal noch drei Seiten, den Rest
findet man im Internet. Generell ist es
für Verlage nicht einfach, sich den aktuellen Gegebenheiten anzupassen:
Stichworte sind hier Schnelligkeit und
Vielfältigkeit. Deshalb nochmal: Ich
glau-be, es müssen sich auch die etablierten Verlage ihre eigene Nische
suchen. Eine Nische für Qualität, wie
sie beispielsweise die Zeit oder die
Süddeutsche Zeitung liefern, wird es
meiner Ansicht nach immer geben.
Zudem stellt sich die Frage, ob es auf
Dauer reichen wird, nur „Zeitungen“
zu produzieren. Viele Verlage haben
sich längst zu stark diversifizierten
Unter-nehmen mit anderen Erlösquellen entwickelt.
In Mainz hat die Mainzer Rheinzeitung MRZ zum 31.12.2013
ihren Betrieb eingestellt. Was
bedeutet das für das Meinungsklima in der Region?
Obwohl man zunächst einschränkend
sagen muss, dass ein lokaler Medienmarkt sich mit einem nationalen
nicht eins zu eins vergleichen lässt,
so gilt auch hier: Jede Zeitung hat
ihre eigene redaktionelle Linie und
in Mainz ist eine im Begriff einfach
wegzufallen, d.h. es wird 2014 einen
Player weniger geben. Es ist also eine
Veränderung hin zum Negativen: weniger Vielfalt und eine einseitigere
Themenbearbeitung drohen.
chen warnen. Österreich, Schweiz und
Deutschland sind zum Beispiel klassische Zeitungsländer. In den gängigen
Typologien (beispielsweise nach Hallin und Mancini) werden diese Länder
in ein Cluster eingeordnet. Unsere
aktuellen Forschungsergebnisse zeigen allerdings sehr wohl Differenzen
in Abhängigkeit unterschiedlicher
Marktstrukturen. So ist beispielsweise der Schweizer Zei-tungsmarkt
mit Gratiszeitungen überschwemmt
worden, die vor allem boulevardisierendes Infotainment verbreiten und
zu drastischen Veränderungen auf
dem Werbe- und Lesermarkt geführt
haben. Alles in allem: Wir müssen
offen bleiben für Veränderungen, um
den Wandel auch kritisch begleiten
zu können. Denn nur präzise Vorstellungen von den Dynamiken des gegenwärtigen Medienwandels können
helfen, adäquate Handlungsempfehlungen für die Praxis zu geben.
Zum Schluss eine Frage an die
Publizistikwissenschaft
als
Ganzes: Was kann die Wissenschaft zur Lösung der Zeitungskrise anbieten?
Das ist die viel diskutierte Frage
nach der praktischen Anwendbarkeit
wissenschaftli-cher Forschungsergebnisse. Ich bin der Meinung, für
uns ist es auch weiterhin zentral
den Medienwandel analysierend zu
begleiten und darzustellen – auch
deshalb, weil es in der Me-dienpraxis
ein Wissensdefizit bezüglich des
veränderten Nutzerverhaltens gibt.
Gerade was das Informationsverhalten angeht, hat es – nicht nur durch
das Internet – langfristig gesehen
tiefgreifende Veränderungen gegeben. Bisher haben wir noch kein Patentrezept liefern können. Trotzdem
sollten wir weiterhin daran arbeiten,
adäquate Geschäftsmodelle für den
Internetbereich zu finden.
Außerdem möchte ich vor pauschalen
länderübergreifenden Marktverglei-
Arnold sei ein guter Freund von Neil Postman gewesen. +++ Man munkelt außerdem, er habe kanadischen Radiomachern Ideen geklaut. +++ Man
Journaille
16
Bild: Mertes
Deutscher Journalismus in Afrika
Von Peter Mertes
Sie ist die einzige deutschsprachige Tageszeitung Afrikas und erscheint bereits seit 1916. Die Allgemeine Zeitung ist die älteste Zeitung Namibias, doch auch sie ist von der Zeitungskrise bedroht,
wenngleich sich diese anders gestaltet als in Deutschland.
Besonderen Wert legt man bei der Allgemeinen Zeitung in Namibia darauf,
dass man nicht einfach eine deutsche
Zeitung in Namibia ist, sondern eine
namibische Zeitung, die in deutscher
Sprache erscheint. Nichtsdestotrotz
sind Ausrichtung und Zielgruppe der
Zeitung klar zu erkennen: Sie richtet
sich an die knapp 20.000 Menschen
umfassende deutsche Bevölkerungsgruppe Namibias, entsprechend konservativ fällt die Berichterstattung
aus. Sehr kritisch wird vor allem die
Politik der regierenden SWAPO-Partei
bewertet, die unter anderem versucht, jegliche Überreste deutscher
Kultur, beispielsweise in Straßen- und
Städtenamen, zu verdrängen. Dennoch sagte Eberhard Hofmann, heute
stellvertretender Chefredakteur, in
einem Interview mit der Frankfurter
Rundschau von 2009, dass die Zeitung
sich nicht nur für eine Gruppe oder einen Sprachkreis einsetze, schließlich
könne man die Gesellschaft nicht wie
zu Zeiten der Apartheid unterteilen.
Vielmehr setze man sich für Idee des
sozialen Wohlstandes und der Stabilität des Landes ein.
Vom Kriegsboten zur Allgemeinen Zeitung
Seit 1991 gehört die Allgemeine Zeitung zum Medienkonzern „Democratic Media Holdings“, die noch zwei
weitere namibische Zeitungen, darunter die „Namibian Sun“, die einzige
Boulevardzeitung des Landes, besitzt
und knapp 40 Prozent der gesamten
Auflage des Landes verlegt. Bei der
Gründung der Zeitung im Jahr 1916
hieß das Blatt noch „Der Kriegsbote“
und informierte in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika des Kaiserreichs über den Verlauf des Ersten
Weltkrieges. Nach der Niederlage des
Deutschen Reichs wurde sie 1919
auf den heutigen Namen umgetauft,
im Untertitel hieß es aber weiterhin
vielsagend, man trete für die Interessen des Deutschtums ein. Bis in die
70er Jahre wurden zeitweise noch
Geburtstagsgrüße für Rudolf Heß,
bis 1941 Stellvertreter Adolf Hitlers,
abgedruckt. Mit Beginn der namibischen Unabhängigkeit von Südafrika
im Jahr 1991 veränderte sich auch
die Allgemeine Zeitung. Sie wurde
politisch unabhängiger und schlug
einen liberaleren, weltoffeneren Kurs
ein, ohne dabei die Interessen der
konservativen Stammleserschaft aus
den Augen zu verlieren.
„Aktuell, mittendrin, für Dich“
Auch beim Aufbau der Zeitung macht
sich deren liberal-konservative Ausrichtung bemerkbar: Layout und
Struktur ähneln sehr stark deutschen
Regionalzeitungen. Wenngleich die
Allgemeine Zeitung aus dem ganzen
Land berichtet, entspricht die Größe
ihrer Auflage eher der einer kleinen
Lokalzeitung. Das liegt vor allem am
eingegrenzten Leserkreis. Auch die
Tradition, dass der Chefredakteur
das Vorrecht hat, einen Kommentar
zu einem aktuellen politischen Thema
zu schreiben, wurde übernommen.
Jeden Tag erscheinen in der Zeitung
ein oder zwei Kommentare. Seit 2013
besitzt die Zeitung ein neues Design,
der Slogan „Nachrichten von A bis Z
auf gut Deutsch“ wurde durch „Aktuell, mittendrin, für Dich“ ersetzt.
Politik, Wirtschaft, Werbung
Inhaltlich hat die Allgemeine Zeitung einen sehr umfangreichen
Politikteil, neben der Landespolitik
spielt auch die internationale Politik
eine große Rolle, deutsche Politik
genießt dabei traditionell eine relativ große Aufmerksamkeit, auch
über Landtagswahlen wird berichtet.
Sogar Wintereinbrüche in Deutschland sind der Allgemeinen Zeitung
in Namibia eine Meldung wert. Nicht
nur in den Ressorts Politik und Wetter wird der deutsche Einfluss auf
das Blatt deutlich, auch der Sportteil
wird von Berichten über deutsche
Bundesligavereine und europäische
Vereinswettbewerbe bestimmt. In
Ermangelung einer eigenen größeren
munkelt weiter, er habe seine kanadischen Quellen nicht immer ordnungsgemäßg angegeben. +++ Man munkelt, Jogustine wolle die Weltherrschaft
Journaille
17
Profiliga beschränkt sich der gesamte
Sportteil auf zwei Seiten, die häufig
noch mit Werbung aufgefüllt werden.
Auch das Wirtschaftsressort umfasst
in der Regel nicht mehr als zwei Seiten, meist handelt es sich dabei auch
Geschäft mit der Zeitung kriselt auch in Namibia
um Werbung, die die Unternehmen
in der Zeitung schalten. Insgesamt
spielen Anzeigen und Werbung eine
nicht zu unterschätzende Rolle für die
Zeitung: 75 Prozent der Einnahmen
werden über Anzeigen generiert, es
lassen sich nur wenige Seiten ohne
Anzeigen ausmachen. Es ist durchaus
nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen Artikel sponsern, die folglich
nur den Anschein eines journalistischen Artikels machen. In den Wochenendausgaben wird das Problem
der Überfrachtung des Blattes mit
Werbeanzeigen besonders deutlich,
von den regulär 24 Extra-Seiten, die
am Wochenende erscheinen, sind die
Hälfte reine Werbeseiten, ähnlich den
Werbeblättchen, die in deutschen
Briefkasten landen. Die Zeitung kann
sich jedoch nicht erlauben auf diese
Einnahmen zu verzichten, da die Tageszeitung nur so effektiv finanziert
werden kann.
Gesicht. Zwar äußert sich auch in der
Leserschaft der Zeitung in Namibia
der demografische Wandel, da sie
insbesondere von älteren, konservativeren Lesern genutzt wird und
es gleichzeitig kaum jüngere Leute
gibt, die die Zeitung lesen. Dies liegt
jedoch nicht wie in Deutschland daran, dass die jüngere Generation verstärkt das Internet zur Information
nutzt, sondern daran, dass es innerhalb der deutschen Gemeinschaft in
Namibia kaum junge Menschen gibt,
die im Land bleiben. Im Gegensatz zu
Zeitungen in Deutschland ist die Allgemeine Zeitung für die deutsche Bevölkerung in Namibia nicht eine von
vielen Informationsquellen, sondern
oft die einzige, oder doch zumindest
die zentrale Quelle, die sie nutzen
können. Somit ist gesichert, dass die
Zeitung noch einige Zeit weiter existieren wird. Die alte Weisheit, dass
das Zeitungsabonnement erst mit
Die Zeitungskrise macht auch vor der
Allgemeinen Zeitung in Namibia nicht
Halt, aber sie zeigt hier ein anderes
dem Tod abbestellt wird, trifft hier
häufig noch zu. Dennoch steht die Allgemeine Zeitung vor dem Problem,
dass die Leserschaft langsam kleiner
wird, wenngleich dieses Problem nicht
so akut wie in Deutschland ist und es
vor allem schwer ist, journalistischen
Nachwuchs zu finden: Viele Bewerber
scheitern bereits an der Sprachbarriere oder können Qualitätsansprüche
nicht erfüllen. Viele Journalisten sind
Quereinsteiger, zumal es in Namibia
keine flächendeckende Journalistenausbildung in Form eines Studiums
gibt. Ein anderes Problem für die
Zeitung ist die Tatsache, dass sie nur
schwer an Informationen gelangt, da
viele Unternehmen und auch staatliche Stellen lieber schweigen als etwas mitzuteilen, dass ihnen negativ
ausgelegt werden könnte. Deshalb ist
man noch stärker als in Deutschland
auf Agenturmeldungen von Reuters
und der DPA angewiesen. Doch auch
die Politik der namibischen Regierung, die eine Unterdrückung von
deutscher Kultur und Sprache im öffentlichen Leben propagiert, stellt die
Zeitung vor große Probleme.
Zukunft erst einmal sicher
Dennoch darf man die Zukunft der
Zeitung nicht nur negativ sehen.
Durch die Zugehörigkeit zu einem
großen nationalen Medienkonzern
und ihren großen Anzeigenteil dürfte
die Finanzierung zumindest für die
nähere Zukunft gesichert sein. Außerdem bietet sie journalistische Inhalte auch im Internet an – ein Trend,
der auch in der deutschen Medienlandschaft als Mittel im Kampf gegen
die Zeitungskrise genutzt wird. Und
zu guter Letzt bleibt die Leserschaft
trotz demografischen Wandels relativ
konstant, da sich die Zeitung nicht
ausschließlich an die deutsche Bevölkerung in Namibia richtet, sondern
auch, so heißt es jedenfalls auf der
Internetseite der Zeitung, an „Ex-Namibier und Freunde dieses Landes“,
insbesondere in Deutschland.
QR-Code: Internetauftritt Namibia
Allgemeine Zeitung
Namibia Allgemeine Zeitung in Zahlen:
Auflage: 5000-6000
Erscheint: Montag-Freitag
Umfang: 12 Seiten
Sonderausgaben: bis zu 50 Seiten
Chefredakteur: Stefan Fischer (seit 2004)
Stellvertretender Chefredakteur: Eberhard Hofmann
Anzahl Mitarbeiter: neun Redakteure und Fotografen
(inkl. 2 Volontären), 3 freie Mitarbeiter, 1 SüdafrikaKorrespondenten
an sich reißen. +++ Man munkelt, Bernd-Peter Arnold habe einst im Radio eine Nachrichtensendung für Kinder moderiert. +++ Man munkelt weiter,
Ehemalige
18
des ifp
„Du musst hier weg“
Von Giuseppe Rondinella
Bild: Heil
Oliver Heil studierte Publizistik am IfP und war lange Zeit Redakteur bei der Frankfurter Rundschau. Dann nahm er Abschied vom Journalismus. Wie zahlreiche Kollegen vor ihm suchte er berufliche Sicherheit und fand sie in der PR-Branche. Der Publizissimus hat ihn an seinem neuen
Arbeitsplatz in Frankfurt besucht.
Auf den ersten Blick könnte man
vermuten, Oliver Heil befinde sich in
einer ganz normalen Zeitungsredaktion. Nach Betreten der Eingangstür
gelangt man in einen großen, offenen
und hellen Raum mit weiten Fenstern
und vielen Schreibtischen. Neben den
PC-Bildschirmen stapeln sich auf den
Schreibtischen diverse Print-Publikationen und bunte Schmierzettel. Skizzen liegen überall verteilt auf den
Tischen. Es herrscht ein geordnetes
Chaos. Die Mitarbeiter hauen pausenlos in ihre Tastaturen und stehen
ab und zu auf, um sich Kaffee-Nachschub aus der Büroküche zu holen.
Zwischendurch ein kurzer Small-Talk.
Doch der Schein trügt. Oliver Heil
arbeitet nicht in einer Zeitungsredaktion, sondern in einer PR-Agentur als
Volontär. Doch das war nicht immer
so. Heil ist ein klassischer Wechsler.
Wie viele andere Journalisten vor
ihm, hat auch er die Flucht vor der
Printkrise ergriffen und ein sicheres
Zuhause in der PR-Branche gesucht
– mit Erfolg. Der 32-Jährige arbeitet nun in Vollzeit als PR-Volontär
bei der Agentur „Mainblick“ im
Frankfurter Stadtteil Bornheim. Das
Unternehmen, dass sich auf „Business to Business“-Kommunikation
spezialisiert hat, ist zehn Jahre jung
und mit sieben Angestellten relativ
klein. Für Heil hat das Vorteile: „Im
kleinen Kreis lerne ich sehr viel und
schnell.“ Nach dem Volontariat wird
er übernommen, das habe man ihm
bereits zugesagt. Dazu ein gesichertes Einkommen und ein stabiles Arbeitsumfeld. Alles Sicherheiten, die
er im Journalismus nie gehabt hätte,
sagt er.
Rückblick: Nach seinem Abitur im Jahr
2001 und dem darauffolgendem Zivildienst, entschloss sich der aus dem
Kreis Groß-Gerau stammende Heil
für ein Publizistikstudium. Jedoch
zunächst in München, nicht in Mainz.
Sein Notendurchschnitt war um 0,1
Notenpunkte zu schlecht. Nach einem
Überbrückungssemester an der Münchener LMU, schrieb er sich in Mainz
ein. Seine Motivation: „Ich wollte
wissen, wie über Kommunikation die
Gesellschaft funktioniert.“
Während seines Publizistikstudiums
in Mainz verdiente er sich nebenbei
seine Brötchen im Journalismus dazu.
Denn er hatte ein klares Berufsziel:
Journalist werden. Er schrieb neben
dem Studium für das Darmstädter
Echo, das Journal Frankfurt, den
Freitags-Anzeiger und die Frankfurter Rundschau, bei letzterem auch in
der Onlineredaktion. Die vielen Nebentätigkeiten seien auch der Grund
gewesen, weshalb er insgesamt 16
Semester für den Abschluss in Mainz
brauchte. Auch mit der Magisterarbeit
habe er sich verzettelt, sagt er. „Ich
hatte mir zu viel vorgenommen.“
Nach einem Praktikum in der Redaktion „Wissen und Bildung“ der Frankfurter Rundschau und der bestandenen Magisterprüfung im Frühjahr
2011, versuchte Heil den Sprung in
die Arbeitswelt – und musste Rückschläge einstecken. Bewerbungen für
journalistische Volontariate wurden
abgelehnt. Erklären konnte er sich
das nicht, immerhin hatte er ja Erfahrung gehabt. Volontariats-Angebote
außerhalb des Rhein-Main-Gebiets
kamen für ihn nicht infrage. „Ich
verlasse meine gewohnte Umgebung
ungern. Das Angebot von außerhalb
hätte extrem gut sein müssen.“ Doch
dieses Angebot kam nie. Und so blieb
Oliver Heil bei der Frankfurter Rundschau – nun als sogenannter fester
Freier. Das Arbeitsumfeld war gut, die
Kollegen nett. Er suchte sich Vorbilder
und konnte von ihnen lernen. Im November 2012 meldete die Rundschau
schließlich Insolvenz an. Turbulente
Zeiten brachen an. Die Zeitungskrise
kam ins Rollen. Schließlich erhielt er
ein Angebot, dass er nicht ablehnen
konnte – aber nicht von einer Zeitung.
Ein Interview mit Oliver Heil auf der
nachfolgenden Seite.
diese Sendung sei hauptsächlich von Erwachsenen gehört worden. +++ Man munkelt, Thomas Roessing sei Experte für Flugzeuge und Züge. +++ Man
Ehemalige
des ifp
Herr Heil wie haben Sie sich gefühlt, als die Frankfurter Rundschau im November 2012 Insolvenz anmeldete?
Heil: Es war ein extremer Schock
für mich. Ich hatte ja immerhin an
einer Karriere bei der FR gearbeitet.
Durch meine Arbeit in verschiedenen
Ressorts der FR hatte ich eigentlich
gehofft, dass ein Volontariat und eine
Anstellung als Redakteur mein vorgezeichneter Weg sein werde. Einen
Schock hatte ich aber schon einmal
erlitten, als ich 2011 erfuhr, dass
die FR eine Redaktionsgemeinschaft
mit der Berliner Zeitung gründete.
Die Zahl der jährlich zu vergebenen
Volontärsstellen reduzierte sich mit
diesem Schritt um rund zwei Drittel.
Meine Chancen für ein Volontariat
sanken – und mit der Zeit auch meine
Hoffnung.
War der Journalismus damals
Ihr Traumberuf?
Absolut. Als ich mit dem Studium fertig war, kannte ich eigentlich nur eine
Reihenfolge für meine Berufswahl:
Journalismus und erst an zweiter
Stelle PR. Das änderte sich aber mit
der Printkrise. Ich habe das Vertrauen in den Journalismus als Berufsfeld
Schritt für Schritt verloren. Ich habe
schlichtweg keine Entwicklungsmöglichkeiten für mich gesehen. Deshalb
dachte ich mir: „Du musst hier weg“.
Dann haben Sie sich für die PRBranche entschieden?
Ja. Parallel zu meinen Tätigkeiten als
Journalist ist in mir die Frage gereift:
„Was machst du, wenn das hier nicht
klappt?“ Ich hatte mich folglich schon
vorher mental darauf eingestellt,
dass ich meinen Weg in der PR-Branche gehen werde, wenn es im Journalismus nicht klappt. Und das habe ich
dann auch gemacht.
In Ihrer Magisterarbeit haben
Sie aber noch ein sehr düsteres
Bild von PR gezeichnet. Sie hatten untersucht, wie in Jugosla-
-
19
interview
wien durch Public Relations gezielt Frames eingesetzt werden.
Ihre Arbeit heißt „Die Erfindung
des serbischen Monsters“.
Nach meiner Magisterarbeit hatte ich
tatsächlich ein sehr negatives Image
von PR (lacht). Aber meine Einstellung
hat sich im Laufe der Zeit gewandelt.
Ich habe unter anderem angefangen
für eine Jack-Daniels-Lifestyle-Homepage zu arbeiten. Dort habe ich beispielsweise Porträts und Reportagen
geschrieben und erfahren, dass ich
meine journalistischen Fähigkeiten
auch in der PR gezielt einsetzen kann.
Die moralische Frage, ob du als Journalist PR machst oder nicht, stellte
sich an dieser Stelle nicht, weil man
ja schließlich auch Geld verdienen
wollte.
Wie kam dann der Kontakt zu
Ihrem jetzigen Arbeitgeber zustande?
Das war Zufall. Mein Kollege hier in
der Agentur war früher ebenfalls
Journalist bei der Frankfurter Rundschau – und zwar in der Lokalredaktion in Offenbach, genau wie ich
damals. Dann hat die Agentur einen
PR-Volontär gesucht und in Offenbach
bei der FR angefragt, ob es dort nicht
jemanden gäbe, der daran Interesse
hätte. Meine Redaktionsleiterin hat
mir daraufhin den Kontakt geknüpft.
Ich musste mich also nicht einmal
großartig bewerben.
Wie war für Sie der Wechsel von
Journalismus zu PR?
Es war wie ein Befreiungsschlag für
mich! Als ich hörte, was hier in der
Agentur getan wird, war ich positiv
überrascht. Vieles, das ich aus meinem Publizistikstudium gelernt hatte,
konnte ich hier nun konkret anwenden. Ich hatte mich nämlich schon
immer sehr für Persuasionsforschung,
Meinungsforschung oder Rezeptionsforschung interessiert. Die entsprechenden Kurse hatte ich an der Uni
immer sehr gerne belegt. Insofern
war ich wirklich glücklich, dass mir
diese Chance gegeben wurde, auch
weil ich der Meinung bin, dass die PR
einige Vorteile gegenüber dem Journalismus hat.
selber strukturiere. Aber genau deshalb ist die Arbeit umso spannender.
Außerdem trägt es zur persönlichen
Entwicklung bei.
Wie meinen Sie das?
Das Schlagwort ist „strategisches
Arbeiten“. Bei einer Zeitung bist du
als Redakteur ohne Leitungsfunktion
damit beschäftigt Seiten zu füllen.
Mit Strategie hat das wenig zu tun. In
der PR ist genau dies aber das Kerngeschäft. Es geht nämlich darum zu
überlegen, wie man den Kunden richtig positioniert, wie man ihn darstellt
und wie man mit ihm zusammen ein
Konzept entwickelt. Das ist manchmal
ein langer, aber strukturierter Prozess, der sehr spannend sein kann.
Wenn ich beispielsweise einen Artikel
für einen Kunden schreibe, kommt
dieser häufig mit Anmerkungen wieder zurück zu mir. Ich schreibe ihn
dann um und schicke ihn wieder zurück an den Kunden. Anders als im
Journalismus, verbringt man in der PR
also viel mehr Zeit mit der gegenseitigen Abstimmung als mit der Recherche und dem Schreiben.
Lesen Sie eigentlich privat noch
Tageszeitungen?
Nein. Nur die Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung. Die habe ich sogar
abonniert.
Wie sehen Ihre Aufgaben als
PR-Volontär eigentlich konkret
aus?
Da wir viele Printerzeugnisse herausgeben, wie beispielsweise Kundenmagazine, schreibe ich sehr viel.
Da kommt mir meine journalistische
Vergangenheit natürlich zugute, weil
ich dabei die verschiedenen journalistischen Stilmittel anwenden
muss. Dazu kommen Aufgaben wie
Pressemitteilungen verfassen, Konzepte für unsere Kunden erstellen
oder Journalisten-Kontakte pflegen.
Eben die typische PR-Arbeit. Während meines Volos lerne ich dabei
hauptsächlich „on the job“ und so
ziemlich alles gleichzeitig. Das Volo
ist viel weniger strukturiert als bei
einer Zeitung, weil wir ja keine Ressorts oder Abteilungen haben. Das ist
eine große Herausforderung für mich,
weil ich mir die Ausbildung zum Teil
Mehr nicht?
Ich habe noch den „Journalist“ und
die „Titanic“ als Abo. Und die „Geo“
sowie „Psychologie heute“ kaufe ich
regelmäßig am Kiosk. Aber das sind
ja keine tagesaktuellen Medien. Das,
was mich tagesaktuell interessiert,
also vor allem Sport und Lokales, lese
ich kostenlos online.
Lesen Sie noch die Frankfurter
Rundschau?
Nein. Ich hatte sie mal abonniert, lese
sie heute aber nicht mehr. Das heißt
nicht, dass ich die Zeitung nicht wertschätze. Im Gegenteil: Ich war schon
immer jemand, der bei einem Printprodukt viel Wert auf das Optische
gelegt hat, und das Layout der FR fand
ich schon immer sehr gelungen.
Wie müssen sich Ihrer Ansicht
nach Zeitungen verändern, um
zukunftsfähig sein zu können?
Zuerst möchte ich sagen: Die Tageszeitung hat auf jeden Fall eine Zukunft,
nur nicht in dieser Form, wie sie heute existiert. Die Tageszeitung muss
meiner Ansicht nach vor allem Kanäle
bilden. Wenn ich mich beispielsweise
für Frankfurt und Kultur interessiere,
brauche ich nur diese beiden Kanäle. Der Rest interessiert mich nicht.
Die Zeitungen von heute versuchen
aber noch immer ein Gesamtpaket zu
verkaufen, das die wenigsten Leser
wirklich brauchen. Dafür gibt es das
Internet. Wie diese Kanalisierung von
Informationen dann stattfindet, ist
zweitranging, sei es auf Papier, Tablet
oder Ähnlichem.
munkelt, er habe eine Vorliebe für die Farbe gelb. +++ Man munkelt weiter, Thomas Roessing benutze für seine Einführungsvorlesung immer wieder
Medien
20
in den medien
Berliner Blog-Monster tyrannisiert BILD!
Bild: Pontius
Von Miriam Pontius
Seit zehn Jahren existiert im Internet eine Institution, die Schlagzeilen wie dieser auf den Grund
geht. BILDblog.de informiert tagtäglich zehntausende interessierte Bürger über die Unzulänglichkeiten der deutschen Massenmedien. Ein Watchblog, entstanden aus einer traurigen Notwendigkeit.
Über den Begriff der Wahrheit kann
man sich streiten. Die volle Wahrheit
kann aus jeder Perspektive ein wenig
anders aussehen. Es gibt allerdings
Fakten, Zahlen und Umstände, die sich
mit Sicherheit belegen lassen. Und ein
Ereignis, das sich niemals zugetragen
hat, ist in jedem Fall unweigerlich
eine Lüge. Im Juni 2004 haben es sich
zwei Berliner Journalisten zur Aufgabe
gemacht, diese großen und kleinen
Unwahrheiten aufzudecken. Aus Wut
über die ständigen Fehler und Presserechtsverletzungen der BILD-Zeitung
gründeten Stefan Niggemeier und
Christoph Schultheis den BILDblog.
Das Ziel des Watchblogs, niedergeschrieben auf der Website selbst:
„aufzeigen, was im Medienbetrieb
falsch läuft“. Täglich durchforsten sie
dafür BILD, BILD am Sonntag und BILD.
de und recherchieren nach, wenn ihnen
eine Schlagzeile zu reißerisch, eine
Meldung zu unglaublich erscheint.
Axel-Springer im Rücken
„Ich finde es immer noch verblüffend,
wie einfach und revolutionär das ist,
dass wir uns hingesetzt haben und
gesagt haben: Wir schreiben das jetzt
mal auf!“, sagte Stefan Niggemeier
2007 in einem Interview mit der Website Elektrischer Reporter. Und aufzuschreiben gibt es einiges: Im dritten
Jahr nach seiner Gründung arbeitet
Niggemeier halbtags, Schultheis sogar
Vollzeit am BILDblog.
Finanziert werden sie dabei durch
Spenden, die auf Nachfrage der Leser
eingerichtet wurden, T-Shirt-Verkäufe,
Flattr, einem Mikro-Spendendienst,
und durch Werbung, die auf BILDblog.
de geschaltet werden kann. Dies habe
sich allerdings als schwierig gestaltet, da Unternehmen Blogs noch nicht
als Werbeplattform entdeckt hätten.
Außerdem würden es sich viele potenzielle Werbepartner nicht mit dem
Axel-Springer-Verlag verscherzen wollen. Eine Problematik, mit der BILDblog bislang einige Male zu kämpfen
hatte: Bereits 2008 will der Axel-Springer-Verlag erwirken, dass BILDblog.de
keine weiteren Eingaben mehr an den
Presserat richten kann. Bei diesen Eingaben handelt es sich um Beschwerden
gegen veröffentlichte Artikel, die nach
Meinung des Einsenders gegen den
Pressekodex verstoßen. Im April 2010
mahnte der Axel-Springer-Verlag BILDblog.de ab, da er fälschlicherweise
behauptete, dass „Welt Online“ eine
Presserüge nicht veröffentlicht habe.
Die treue BILDblog-Leserschaft spendete daraufhin über 17.000 €, um die
Anwaltskosten zu finanzieren.
Wächter und Richter über alle
Medien
Der BILDblog lebt von der regen Beteiligung seiner Leser. Wer eine Meldung entdeckt, die ihm unrealistisch
erscheint, der kann einen „sachdienlichen Hinweis“ an die Redaktion schicken, die dann in den Originalquellen
nachforscht, mit Experten spricht und
die Geschichte, mit subtilen bis offensichtlich ironischen Kommentaren
gespickt, veröffentlicht. Im Mai 2009
wird der „BILDblog“, für den seine
Gründer nie einen echten Businessplan ausgetüftelt hatten, zum „BILDblog für alle“. Seitdem befasst sich
der Blog nicht mehr nur mit der BILD,
sondern mit der gesamten deutschen
Medienlandschaft. Einen weiteren Umbruch gab es 2010 in der Chefetage
der Website. Stefan Niggemeier verließ das Boot und übergab das Steuer
an Lukas Heinser, der zuvor schon
über zwei Jahre als BILDblogger ge-
arbeitet hatte und seitem das kleine
Journalisten-Team anleitet. In einem
Interview mit DWDL.de erklärte Niggemeier, dass er schon eine Weile nicht
mehr so stark ins Tagesgeschäft des
BILDblogs eingebunden werden wollte.
„Ich hatte aber auch den dringenden
Wunsch, dass BILDblog weitergeht und
dem Projekt nicht die Puste ausgeht,
wenn mir mal die Puste ausgeht.“
Heute wissen wir, dass diese Sorge unbegründet war: 40 000 Leser erreichte
der Watchblog im Jahr 2011 täglich.
BILD bleibt BILD – trotz Blog
Auch wenn der BILDblog die Medien an
sich nicht ändern kann und auch die
BILD seit 2004 nicht vertrauenswürdiger geworden ist, Stefan Niggemeier
sieht die Wirkung des Blogs optimistisch:
„Manch einer betrachtet die Medien
jetzt mit wachsameren Augen.“ Und
es ist ja schließlich die Aufgabe des
Lesers, kritisch zu bewerten, was ihm
vorgesetzt wird. Geschichten zu erzählen, ist kein Verbrechen und die Wahrheit hat viele Gesichter. Aber man
muss ja nicht alles glauben, was in der
Zeitung steht.
gerne Pornos als Medienbeispiele. +++ Man munkelt, laut Thomas Roessing habe man als Wissenschaftler oft mit LSD zu tun. +++ Man munkelt,
Reisebericht
21
Bild:: Rondinella
Plötzlich im Fernsehen
Von Lorenz Harst und Giuseppe Rondinella
Der Publizissimus auf Außenmission: Wir haben die altehrwürdigen Gebäude der BBC in London
für euch besichtig. Ein Reisebericht.
Eigentlich wollten wir ja Urlaub machen in London. Dann sind wir irgendwie doch im Fernsehen gelandet. Vor
uns steht die Kamera, daneben läuft
ein Teleprompter, in meiner Hand
die Moderationskarten mit aktuellen
Nachrichten. Die Queen besucht die
BBC, in Australien ist der Strand mit
Schaum bedeckt und dann ist es auch
schon Zeit für das Wetter. Danach gibt
es Glückwünsche von Becky und Simon für unseren überzeugenden Auftritt. Die beiden sind keine echten Redakteure und es war auch keine echte
Nachrichtensendung, sondern Teil einer Führung durch das Sendezentrum
der BBC in der Londoner Innenstadt.
Als waschechte Publizistikstudenten wollten wir uns diesen Ausflug
während eines London-Urlaubs nicht
entgehen lassen. Immerhin ist die
BBC die weltweit größte öffentlichrechtliche Rundfunkanstalt und damit
seit Jahren das erklärte Vorbild von
ARD und ZDF.
line und gegen Kreditkartennummer,
nicht aber einfach an der Rezeption.
Ob man dann wirklich eine bekommen hat, weiß man auch nicht so
genau, das erfährt man erst, nachdem man von zwei einschüchternden
Türstehern eingehend gefilzt und
auf einer Liste abgehakt wurde. Die
Sicherheitsüberprüfung erweckt den
Anschein, es ginge zu den Kronjuwelen des Königshauses, jedoch steht
man dann doch „nur“ von der größten
Nachrichtenredaktion Europas. Dieser
Anblick ist aber nicht minder beeindruckend: Auf einer Fläche so groß
wie zwei Tennisplätze sammeln hunderte Redakteure jeden Tag Nachrichten aus aller Welt für TV und Radio.
Das BBC-Wetter kommt übrigens auch
aus diesem Raum, der außerdem
während der Live-Nachrichten immer
im Hintergrund zu sehen ist. Kein
Wunder, dass es hier einen Dresscode
für Redakteure gibt – lumpige Kleidung ist nicht gerne gesehen, genauso wenig wie Essen am Arbeitsplatz.
Königlicher Journalistentempel
Eine Führung zu ergattern, ist allerdings gar nicht so leicht, wie man
meinen sollte. Karten gibt es nur on-
Bitte nicht zu kurz und ja nicht
ohne Schlips
Immerhin stehen die Redakteure der
BBC in einer großen Tradition: John
Reith, der die BBC 1922 gründete,
galt als sehr strenger Chef. Frauen in
zu kurzen Röcken und Männer ohne
Schlips schickte er gerne mal nach
Hause – daraus entstand die auch
heute noch geltende Kleiderordnung.
Auch während des zweiten Weltkrieges behielt Reith seinen strengen
Führungsstil bei. Frauen durften
nicht mit Männern zusammen in den
Gemeinschaftsräumen der BBC gegen
die deutschen Bomben Schutz suchen. Überlieft ist auch folgende Geschichte: Ein Radiomoderator brachte
seine Sendung 1944 während eines
deutschen Luftangriffs von einem
Bombeneinschlag wenige Meter von
seinem Studio entfernt ungerührt zu
Ende.
le regelmäßig Popkonzerte bekannter
Künstler statt. Eine gute Chance übrigens, unter anderem Robbie Williams
kostenlos und in ganz intimer Atmosphäre live zu erleben.
Seit 1967 sendet außerdem BBC Radio 4 die immer noch sehr beliebten
Radio-Hörspiele. Wie die Produktion
funktioniert, durften wir bei der Sendung selbst erleben. In einer praktischen Übung zum Abschluss der
Führung haben wir ein Gruselhörspiel
selbst eingespielt – mit eigenen Texten und selbst erzeugten Geräuschen.
Nachdem wir dann aber unser Machwerk zum ersten Mal angehört haben,
wird uns klar: Radio ist nichts für uns.
Dann doch lieber die klassischen BBCFernsehnachrichten moderieren.
Neben Information auch Unterhaltung
Aber die BBC definiert sich eben nicht
nur über ihre Nachrichten. Ganz in
der Tradition von Sir Henry Wood, der
1895 die Night of the Proms-Konzerte
in London begründete, die bis heute
von der BBC übertragen werden, finden in einer BBC-eigenen Konzerthal-
Gregor Daschmann wolle nicht mehr „Daschie“ genannt werden, sondern „Daschmeister“. +++ Man munkelt, der Künstlername Reinhart Rickers sei
Praktikumsbericht
22
Bilder: Reifenberger
Praktikum? In London!
Von Jakob Reifenberger
13 Zentimeter über dem Boden schwebend führte Jakob Reifenberger in London ein Übermenschendasein sowie Regenschirme.
Mit der Fächerkombination aus Publizistik im Haupt- und British Studies
im Nebenfach drängt es einen natürlich nach Großbritannien; den Ort,
der die wohl schönsten Akzente einer
Weltsprache mit einer faszinierenden
Presse- und Medienlandschaft verbindet. Will man im Rahmen des Studiums
dorthin, stößt man jedoch auf das ein
oder andere Problem. Das Mainzer
IfP hat zwar zahlreiche Partnerinstitute in ganz Europa, nicht jedoch auf
den britischen Inseln. Versucht man
über das Beifach einen der begehrten ERASMUS-Plätze zu bekommen,
muss man feststellen, dass diese den
Hauptfächlern vorbehalten sind. Damit bleibt noch die Möglichkeit, sich
direkt an einer Uni im Vereinigten Königreich zu bewerben, was auf Grund
der hohen Studiengebühren ohne Förderprogramm finanziell kaum möglich
ist, ober eben, nach einem Praktikumsplatz im Ausland zu suchen.
Praktikum? Da war doch was.
Spätestens seit der Einführungswoche im ersten Semester weiß man als
mittelmäßig aufmerksame/r Student/
in der Publizistikwissenschaft, dass
im gewählten Fach ebenso wie auf
die theoretische Bildung Wert auf
Praxiserfahrung gelegt wird. Gemeint
sind die im Drohjargon der Studienordnung „Pflichtpraktika“ genannten,
jeweils sechswöchigen Phasen, in
denen man in der vorlesungsfreien
Zeit, mitunter parallel zu mehreren
Hausarbeiten, Einblicke in ortsansässige Medienhäuser (z.B. „Château Lerchenberg“, Prof. Ricker lässt grüßen)
oder PR-Unternehmen erhält. Um es
kurz zu machen: sechs Wochen Journalismus, sechs Wochen PR, Punkt.
Man munkelt jedoch in Kommilitonenkreisen, dass das mit den Praktika
gar nicht so eng gesehen werde und
man sich beispielsweise ehrenamtliche Arbeit anrechnen lassen könne.
Da ich mich tatsächlich unter anderem
um die Öffentlichkeitsarbeit einer
Jugendgruppe kümmere, was lächerlich klingen mag, aber ziemlich viel
Arbeit ist, hatte ich Glück: Stempel
auf der Bescheinigung, Zeit für Semesterferien im Ausland! Über die
Homepage der Uni Mainz war ich auf
eine Organisation mit dem Namen
UK-German Connection gestoßen,
die sich für den deutsch-britischen
Jugendaustausch einsetzt, also quasi
die perfekte Mischung aus meinem
Hobby Jugendarbeit und der Begeisterung für englische Sprache und Kultur! Nach schriftlicher Bewerbung und
einem „telephone interview“ bekam
ich die ersehnte E-Mail: Praktikum
von Mitte September bis Mitte Oktober im Diplomatenviertel Londons am
Belgrave Square, wenige Minuten bis
zum Hyde Park. Die Wohnungssuche
verlief dank einer „accommodation
list“ meines Arbeitgebers besser
als gedacht, ärgerlich war der Kauf
des U-Bahn-Tickets: Studentenrabatt
gibt es für die praktischen Oyster
Cards nur nach Voranmeldung (inkl.
Passfoto etc.), was man daher noch
von zu Hause aus regeln sollte. Ansonsten kann ich mein Praktikum
bei UK-German Connection in London
jedoch nur empfehlen. Zentrale Lage,
wunderbar nette Kolleginnen und
Kollegen, Bürozeiten, die extra darauf angelegt sind, den Praktikanten
Zeit zur Stadterkundung zu geben
(man arbeitet nur dienstags bis freitags, 10-16h!) und wirklich sinnvolle
Aufgaben, wie das Übersetzen von
Texten, das Schreiben eigener Inhalte
für die Website oder die Verwaltung
ebendieser. Bevor ich mit Nachfragen
überhäuft werde, sei gesagt, dass
man dafür leider keine Bezahlung erhält und London sehr teuer ist. Wenn
man allerdings vorher ein bisschen
spart, ist so ein Praktikum genau das
Richtige für all diejenigen, die nicht
wissen, ob sie wirklich ein ganzes
Semester ins Ausland gehen sollen.
Oder eben für alle, die nach Großbritannien möchten, aber kaum Chancen auf einen Studienplatz haben.
Zum Schluss noch ein Aufruf an alle
Männer in meinem Studiengang: Traut
euch! Bewerbt euch! Die Kombination
aus dem flüssigen Beherrschen einer
Fremdsprache und dem Arbeitsbereich „europäischer Jugendaustausch“ scheint zwar hauptsächlich
weibliche Bewerberinnen anzulocken
(ich war fast der einzige männliche
Praktikant in den letzten zwei Jahren),
aber die Atmosphäre in einem Büro,
in dem fast ausschließlich Frauen arbeiten, sollte man mal erlebt haben!
„Ricky“. +++ Man munkelt, der gemeine Publizist baue gerne Schneemänner in der Nähe der Muschel. +++ Man munkelt, Reinhart Ricker rede von
Grimme-preis
23
Herausgeputzt für den Medienpreis
Von Giuseppe Rondinella
Der Grimme-Preis feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Gastgeber der besonderen Feierlichkeiten ist, wie jedes Jahr, eine kleine Stadt im nördlichen Ruhrgebiet, die kaum jemand kennt. Für
die besonderen Feierlichkeiten gibt sich die Gemeinde als wahre Kulturstadt.
Die nordrhein-westfälische Stadt Marl
ist relativ unscheinbar. Ein riesiger
Industriepark, historischer Stadtkern,
eben eine typische Gemeinde im
Ruhrgebiet. Knapp 80.000 Einwohner,
60 Prozent des Stadtgebiets bestehen
aus Acker, Feld, Wald, Gewässer- und
Parkanlagen – ziemlich unspektakulär. Und trotzdem verlieh die Bundesregierung der Stadt vor fünf Jahren
den Titel „Stadt der Vielfalt“. Vielfalt
hin oder her, die Bewohner zieht es
weg: Seit zehn Jahren ist die Einwohnerzahl konstant rückläufig. Trotzdem
ist die kleine Ruhrstadt überregional
bekannt. Für was? Der Ottonormalverbraucher hat vermutlich keine Ahnung. Außer vielleicht hartgesottene
Mainz 05-Fans, die natürlich aus dem
Effeff wissen, dass ihr Torhüter Christian Wetklo in Marl geboren wurde.
Gemeint ist aber nicht Wetklo, sondern das in Marl ansässige GrimmeInstitut, das jährlich den gleichnamigen Fernsehpreis vergibt und an
diesem Festtag immer wieder die
Crème de la Crème der TV-Landschaft
in das, nun ja, unscheinbare Städtchen lockt, in das sich sonst niemand
verlaufen würde. Bastian Pastewka,
Anke Engelke, Hape Kerkeling, Olli
Dittrich oder Alfred Biolek – alle waren sie schon mal dort und nahmen
ihre Preise in Empfang. Doch in diesem Jubiläumsjahr trumpft Marl so
richtig auf. Die Stadt verwandelt sich
in eine wahre Kulturstadt und gibt ein
großes Fest für alle Bürgerinnen und
Bürger. Geplant ist beispielsweise
eine sogenannte Grimme-Ausstellung, die von Marl aus durch ganz
Deutschland reisen soll. In dieser
Ausstellung können Besucher Grimme-preisgekrönte Sendungen aus 50
Jahren TV-Kultur anschauen, passend
in extra dafür aufgebauten Wohnzimmern mit Polstersessel, Nierentisch
oder Röhrenfernseher.
Gala an zwei Standorten
Die Preisverleihung am 4. April soll
so pompös werden wie noch nie.
Gleich an zwei Standorten, im Theater
(800 Zuschauer) und in der Sporthalle
(700 Zuschauer), soll die Gala möglichst viele Zuschauer durch zahlreiche Parallelschaltungen und mehrere
Moderatoren gleichzeitig unterhalten. Zwischen diesen Standorten
soll eine sogenannte Grimme-Meile
präsentiert werden. Lichtinstallationen, Comedy und Kabarett sollen die
Jubiläums-Veranstaltung begleiten.
Zudem gibt es Foto-Ausstellungen,
wissenschaftliche Gespräche, öffentliche Vorführungen, Filme, Konzerte
oder Tanzprojekte – eben das volle
Kulturprogramm.
Drei Schritte zum Sieg
Ein volles Programm hat zuvor erst
das Grimme-Institut, welches in einem mehrwöchigen Entscheidungsprozess die Sieger ermittelt. Das
Verfahren bei der Ermittlung der
Gewinner ist dabei immer gleich. In
einer ersten Stufe können Zuschauer,
Produzenten oder Fernsehanstalten
Vorschläge in den Kategorien Fiktion,
Unterhaltung, Information und Kultur
einreichen. Im zweiten Schritt ermittelt eine Nominierungskommission,
welche Vorschläge der Jury vorgesetzt werden. Die Kommission besteht in der Regel aus Medienwissen-
schaftlern, Publizisten, TV-Kritikern
und Bildungsfachleuten. In einem
dritten und letzten Schritt ermittelt
die Jury dann in mehreren Sitzungen
die Sieger der jeweiligen Kategorien.
Und weil das noch nicht genug ist,
verleiht das Grimme-Institut seit
2001 zusätzlich den Grimme-OnlineAward und seit 2009 den Deutschen
Radiopreis.
Mit den zusätzlichen Preisen steigt
die prominente Besucherzahl in Marl
und auch die nachreisenden Fans
bleiben nicht aus. Medienvertreter
pilgern zu Hauf in den Ort. Der Stadt
kann es nur recht sein, sie ist sehr
hoch verschuldet. Das alljährliche
Grimme-Brimborium füllt gutes Geld
in die Haushaltskasse. Doch wenn
die Promis, Medienvertreter und Konsorten die Stadt nach der Verleihung
verlassen, zeigt sich das wahre Marl
wieder: Eine kleine Stadt im Ruhrgebiet zwischen Industriepark und Feldern, die selbst nur einmal im Jahr im
Rampenlicht steht.
Bild: Grimme-Institut
Selbstbefriedigung in der Redaktion. +++ Man munkelt, in der Mensa sei schon auf Russisch geheiratet worden. +++ Man munkelt, Thomas Koch
Neu
24
am ifp
„Familiäre Atmosphäre am IfP“
Ein Antrittsinterview mit Dr. Thomas Koch
Von Estelle Allali
Seit Oktober 2013 vertreten
Sie die Professur für Politische
Kommunikation am Institut für
Publizistik in Mainz, vorher haben Sie in München und Nürnberg als wissenschaftlicher
Mitarbeiter gearbeitet. Warum
haben Sie sich für Mainz als
neuen Arbeitsplatz entschieden?
Koch: Die Gründe dafür waren vielfältig. Erst einmal hatte ich die Chance, eine thematisch spannende und
renommierte Professur zu vertreten.
Außerdem ist es vorteilhaft, viele
Institute „von innen“ zu sehen. Dazu
kam, dass das IfP in Mainz eines der
wichtigsten Institute für Publizistik
ist. Die Entscheidung wurde mir letztlich dadurch erleichtert, dass ich viele Mitarbeiter des IfP bereits kannte
und wusste, dass ich dort gut aufgenommen werde. Zudem war die Chance einmalig, gemeinsam mit Oliver
Quiring und Birgit Stark die FrankenConnection am IfP noch zu erweitern.
Sie sind in Bamberg geboren.
Studiert haben Sie neben Medien- und Kommunikationswissenschaft auch Psychologie und
Rechtswissenschaft. Warum gerade diese Fächerkombination?
Für den Magister habe ich zwei Nebenfächer gebraucht, Psychologie
hat einfach sehr gut zu Medien- und
Kommunikationswissenschaften
gepasst. Mein Interesse an der medienpsychologischen Forschung war
sofort geweckt und auch für Rechts-
wissenschaften habe ich mich interessiert. Ich wollte nicht unbedingt
Jurist oder Psychologe werden, aber
es ist unschätzbar wichtig, während
des Studiums nicht nur kommunikationswissenschaftliche Forschung
kennenzulernen, sondern sich auch
mit anderen Fächern auseinanderzusetzen.
Sie haben sich in Ihrer Doktorarbeit mit dem „Einfluss von
Gewohnheiten auf die Fernsehnutzung“ beschäftigt. Wie
kam es dazu, dass Sie sich hier
in Mainz in Richtung Politische
Kommunikation orientiert haben?
gerne fern. Am liebsten US-Serien,
Reportagen und natürlich den Tatort.
Was gefällt Ihnen am Mainzer
Institut für Publizistik besonders gut?
Bereits vor meinem Antritt hatte ich
die Gelegenheit, viele Mainzer Professoren und Dozenten auf Tagungen
kennenzulernen. Am IfP in Mainz
gefällt mir vor allem die gute Atmosphäre. Ich habe das Gefühl, dass der
Kontakt zwischen Dozenten und Studierenden hier am Institut sehr eng
ist. Das ist etwas, dass das IfP vielen
anderen Instituten, die weitaus „anonymer“ sind, voraus hat.
Zu guter Letzt noch eine persönliche Frage: Was ist Ihr liebster
Ausgleich zum Arbeitsalltag in
Forschung und Lehre?
Ich trinke gerne Bier (lacht). Ich mache viel Sport, reise gerne, lese viel
und gehe oft weg.
Dr. Koch, vielen Dank!
Ich habe einfach verschiedene Forschungsschwerpunkte. Mein Interesse ist zwar die medienpsychologische
Forschung, mein zweiter Schwerpunkt
aber schon immer die politische
Kommunikation. Die beiden Schwerpunkte lassen sich auch in Lehre und
Forschung gut verbinden. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Nürnberg
habe ich auch an einem Lehrstuhl,
der auf politische Kommunikation
spezialisiert ist, gearbeitet.
Da Sie sich in Ihrer Doktorarbeit mit der Fernsehnutzung
auseinandergesetzt
haben,
kann ich mir die nächste Frage
nicht verkneifen. Sind Sie selbst
leidenschaftlicher Fernsehnutzer? Wenn ja, was schauen Sie
am liebsten?
Ja, auf jeden Fall. Ich schaue wirklich
Bild: Koch
kenne den Star aus „Walulis sieht fern“. +++ Man munkelt, es habe mal einen Mensa-Stalker gegeben. +++ Man munkelt, er habe versucht, sich mit
Porno
25
Ein Pornokrieg spaltet die Wissenschaft
Von Giuseppe Rondinella
Zwei britische Wissenschaftlerinnen planen im Herbst die Veröffentlichung der Fachzeitschrift
„Porn Studies“ und wollen damit eine Plattform für Forscher schaffen. Kritiker werfen den Herausgeberinnen mangelnde Seriosität und eine Pro-Porno-Einstellung vor.
Der nächste Porno ist heutzutage nur
einen Mausklick entfernt. Im Internet
sind die Filme in jeder Variation für
jeden kostenlos und immer abrufbar. Die Zeiten, in denen Schmuddelfilme nur in düsteren Ecken von
Videotheken zu finden waren, sind
vorüber. Schenken wir einem Artikel
auf Spiegel-Online Glauben, leben
wir sogar in einem „Youporn-Jahrzehnt“. Auch die wissenschaftliche
Forschung befasst sich seit einigen
Jahren vermehrt mit der Pornoindustrie. Höchste Zeit also, dachten
sich zwei Wissenschaftlerinnen aus
Großbritannien, diesem Forschungszweig eine eigene Fachzeitschrift zu
widmen. Dass aus dieser Idee ein
regelrechter „Porn War“ entflammte,
hatten sie nicht geahnt.
Eine Plattform schaffen
Auslöser für diesen Streit unter Akademikern sind Kulturwissenschaftlerin Feona Attwood von der Middlesex
University und Clarissa Smith, Dozentin für Sexualität und Kultur an der
University of Sunderland. Sie kündig-
ten an, die erste wissenschaftliche
Fachzeitschrift zum Thema Pornografie herausbringen zu wollen. Sie soll
„Porn Studies“ heißen und vierteljährig im Routledge Verlag erscheinen –
Premiere ist im Herbst. Die Britinnen
wollen damit vor allem eine Plattform
für Wissenschaftler schaffen, die im
Umfeld von Pornografie forschen.
chen. Um aber ein komplettes Bild
von Pornografie zu bekommen, muss
man diese Erkenntnisse ein einer Publikation bündeln.“
Außerdem soll „Porn Studies“ der
Pornografie-Forschung einen neuen
Schwung verleihen. Denn die gegenwärtige Forschung dreht sich im
Kreis, sagt Mitherausgeberin Feona
Attwood dem britischen Guardian:
„Es werden immer die gleichen Fragen gestellt. Sind Pornos schädlich?
Mit welchen Themen hängen sie zusammen? Dann wird Pornografie aber
gar nicht definiert. Es wird zwar viel
geschrieben, aber wir wissen trotzdem nicht mehr darüber.“
Autorin Attwood
Quelle: feonaattwood.com
Cheerleader der Pornoindustrie
Dem Deutschlandradio sagte Mitherausgeberin Clarissa Smith: „Die Soziologen befassen sich mit sexuellen
Skripten, publizieren jedoch in ihren
soziologischen
Fachzeitschriften.
Ebenso die Medienwissenschaftler,
die sich auch mit Pornografie befassen, die Ergebnisse aber auch in ihren
eigenen Fachzeitschriften veröffentli-
Derweil regt sich in Großbritannien
Widerstand gegen die geplante Fachzeitschrift. Kritiker, vor allem das
Aktionsbündnis „Stop Porn Culture“
werfen den beiden Wissenschaftlerinnen mangelnde Seriosität und
eine Pro-Porno-Einstellung vor. Auch
Gail Dines, führende Pornografieforscherin und Autorin von „Pornland“
kritisiert die beiden Herausgeberinnen. Smith und Attwood, so Dines
im Guardian, verleugnen viele Forschungsergebnisse über negative
Effekte von Pornos. Sie bezeichnet
die beiden deshalb als „Cheerleader
der Pornoindustrie“. Eine Zeitschrift
sei zwar sinnvoll, in der Redaktion müsse es aber unterschiedliche
Stimmen geben. Bevor das erste Heft
überhaupt erschienen ist, bricht in
Großbritannien also ein wahrer „Porn
War“ aus. Clarissa Smith ist darüber
sehr enttäuscht: „Das Journal soll
ein Zuhause für verschiedene Stimmen sein.“ Doch stattdessen herrscht
Uneinigkeit und Streit. Die leidenschaftlich geführte Debatte um das
Fachblatt offenbart: Die PornografieForschung befindet sich noch in den
Kinderschuhen und steht mitten in
einer Entwicklung. Und zu dieser Entwicklung gehört scheinbar auch eine
eigene Fachzeitschrift.
Essenseinladungen die Liebe der Mensa-Damen zu erkaufen. +++ Man munkelt, schlimm schlimm schlimm schlimm schlimm schlimm schlimm. +++
Porno-Kommentar
26
Alles Porno?
Ein Kommentar zum Artikel „Ein Pornokrieg spaltet die Wissenschaft“
von Richard Lemke (Forschungsschwerpunkt u.a Sexualität im Internet)
Pornographie gibt es schon ewig. Länger als es das Internet gibt, länger
als es Fernsehen gibt und sogar schon
länger, als es Drucktechnik gibt. Vermutlich gibt es Pornographie schon
so lange, wie überhaupt annähernd
so etwas wie Medien existieren. Im
kommenden Sommersemester soll es
an unserer Universität sogar die Ringvorlesung „Antike Pornographie“ geben, bei der wir vermutlich erfahren
können, welcher Schweinkram schon
in der antiken Welt auf Tonscherben
gebrannt wurde. Angesichts dieses
recht betagten Alters ist es eigentlich
erstaunlich, wie sehr die Pornographie noch im 21. Jahrhundert das Potential besitzt, die Gemüter zu erhitzen und die Geister zu spalten. Oder
vielleicht ist gerade diese Entrüstung
auch das eigentlich moderne am gesellschaftlichen Phänomen der Pornographie. Der Soziologe und Sexualtheoretiker Jeffrey Weeks zeichnet in
seiner Geschichte der Sexualität sehr
eindrucksvoll nach, dass gerade die
breite gesellschaftliche Durchsetzung
mit sexuellen Moralvorstellungen
und individuellen sexuellen Werten
erst ein recht junger Prozess - seit
dem 19. Jahrhundert - ist. Weeks
stellt dar: Schon in frühen Zeitaltern
gab es Tabuisierungen verschiedener
sexueller Handlungen, z.b. der Prositution, homosexueller Akte, vorehelichen Geschlechtsverkehrs usw. Diese
Tabuisierungen waren aber eher ein
intellektuelles Produkt geistiger
Eliten, als ein gesellschaftlich breit
durchsetztes Relevanzkriterium, anhand dessen ein Normalbürger seinen Nachbarn beurteilte (sofern er
überhaupt wusste, was der Nachbar
sexuell so trieb). Auch noch im Mittelalter wurden Hexenverbrennungen,
Daumenschrauben und Bäckertaufen,
so wird vermutet, noch höchst selten
im Zuge sexueller Tabus eingesetzt.
Sexuelle Stigmatisierung von Mitmenschen – und zwar Stigmatisierung nicht als situative Meinung,
sondern als eine dauerhafte Einstellung gegenüber einer Person auf
Grundlage ihres sexuellen Verhaltens
– ist laut Weeks eben vor allem ein
Prozess, der in den Gesellschaften
des 19. Jahrhunderts fußt. Und so
Auch wenn der Gegenstand selbst,
also meist audiovisuelle Inhalte und
bestenfalls fragwürdige Ausleuchtung bei den Dreharbeiten, noch mit
den Videos aus den „Schmuddelecken
der Videotheken“ weitgehend identisch ist, so ist Internetpornografie
trotzdem – wie es Kristian Daneback in „The Complexity of Internet
Sexuality“ ausdrückt – „more than
just the same wine in a new bottle“.
verwundert es eigentlich auch nicht,
dass Siegmund Freud als Vater der
sexuellen Neurosen ausgerechnet am
Ende des 19. Jahrhunderts sein Wirken entfalten musste.
Zugegeben, die moderne Pornographie im Internet kann man nicht
einfach mit statischen Kopulationszeichnungen auf griechischer Keramik über einen Kamm scheren. Mehr
noch, die Internetpornografie hat sogar im Vergleich zur Epoche unmittelbar vor dem Internet der Pornographie eine neue Relevanz verliehen.
Bild: Lemke
Die Internetpornografie hat die „Gesamttriebbefriedigung“ (Kinsey) der
Gesellschaft verändert: Pornographie
ist durch das Internet ständig verfügbar und wird von einigen daher auch
ständig genutzt. In der aktuellen
Studie zur Studentensexualität, die
das Institut für Sexualforschung und
Forensische Psychiatrie in Hamburg
gegenwärtig durchführt, zeigt sich,
dass die überwiegende Mehrheit der
männlichen Studenten täglich oder
mehrmals wöchentlich Pornographie
nutzt (Veröffentlichung der Daten für
2014 geplant).
Das eigentlich sexuell revolutionäre
an der Internetpornografie besteht
aber vielmehr darin, dass die ständige Verfügbarkeit der Videos und
Bilder – auch mobil, still und heimlich auf der Toilette – einhergeht mit
einem breiten Spektrum sexueller
Settings, in das auch die eher spezielleren Vorlieben und Paraphilien
eingeschlossen sind. All jenen sexuellen Vorlieben eben, die früher eher
unausgestanzte flüchtige Phantasien
blieben, weil sie weder unmittelbar
durch Pornografie, noch durch praktizierte Sexualität konkretisiert werden konnten, diesen Vorlieben kann
nun ohne Aufschub nachgegangen
werden. Sie müssen nicht mehr in
der alltäglichen Sexualität sublimiert
werden, weil der gegenwärtige Partner das ja ohnehin nicht mitmachen
würde. Jeder sexuelle Spezialtrieb
– dominant, devot, gefesselt, aufgehängt, gerichtet auf Männer, Frauen,
alte, junge, dicke, dünne, kaukasische,
farbige, behaarte, rasierte, blonde, brünette, Krankenschwestern,
Hausfrauen, Babysitter, Soldaten,
etc. – kann durch gründlich kategorisierte Angebote auf youporn.com
und xhamster.com in jedem Moment
flüchtiger Erregung wesentlich zielgerichteter befriedigt werden, als zu
jener Zeit, in der noch die Unterwäscheabteilung im Quelle-Katalog das
verfügbarste Masturbationsmittel im
Haushalt war. Wie sich unsere Sexualität dadurch langfristig verändert,
dürfte ungemein spannend werden.
Und wenn ich das in zehn oder 20 Jahren in einer Zeitschrift „Porn Studies“
lesen werde, dann hat sich der britische Porn War von 2013 doch immens
gelohnt.
Man munkelt, Dr. Thomas Koch fände so manches scheiße. +++ Man munkelt, die Asiaten seien auf dem Vormarsch. +++ Man munkelt, Thomas Roes-
Gutenberg-museum
27
Der wahre Erfinder des Buchdrucks
Bild: Pontius
Von Miriam Pontius
Dem Mainzer Vorzeigebürger Johannes Gutenberg wurde 1900 ein Museum im Herzen der Altstadt
errichtet. Es steht noch immer. Ein Besuch.
Im finsteren Mittelalter, als es weder
Abwassersysteme noch Frauenbewegungen gab, erfand ein geschäftstüchtiger Patrizier eine Druckerpresse
mit beweglichen Lettern. Daraufhin
mussten sich viele Mönche, die sich
vorher mit dem Abschreiben der Bibel
beschäftigt hatten, eine neue Lebensaufgabe suchen. Johannes Gutenberg
wurde stinkreich und weltberühmt.
Das Johannes-Gutenberg-Museum in
Mainz liegt direkt hinter dem Dom
und ist in einem typischen Altstadtgebäude untergebracht. Ein verregneter Sonntag scheint der perfekte
Tag zu sein, um sich die wertvollen
Ausstellungsstücke näher anzusehen.
Immerhin liegt ein Parkhaus in unmittelbarer Nähe, so dass man trockenen
Fußes zum Eingang gelangen kann.
Eine Überdosis Buchdruckkultur
Als erstes Highlight erwartet mich ein
Raum voller internationaler Druckerpressen. Die Kärtchen, die daneben
hängen, geben Aufschluss über Herstellungsdatum und den bekanntesten Verwendungszweck. Vielleicht ist
meine Liebe für unbewegliche und
technische Gegenstände einfach nicht
groß genug, um bei der Betrachtung
dieser Apparaturen ins Schwärmen
zu kommen. Natürlich kann man sich
noch einiges mehr an Wissen zu Gemüte führen. Wenn man möchte, kann
man sich über jede auf Erden existierende Drucktechnik informieren und
Beispiele dazu betrachten. Allerdings
frage ich mich nach dem siebten Liederbuch langsam, ob ich eventuell ein
Kulturbanause sein könnte. Faszinierend sind vor allem die winzigen Bücher, groß wie ein Daumennagel, die
irgendwer mit zu viel Ehrgeiz und zu
guten Augen hergestellt haben muss.
Ihr Zweck bleibt mir verborgen, denn
ich finde keine klärenden Kärtchen.
Außerdem entdecke ich eine kleine
Ratte, die ein gelangweilter Kirchenbesucher im Mittelalter in seine teure
Bibel gekritzelt hat.
Alles nur geklaut?
Herzstück des Museums sind die
eineinhalb original Gutenberg-Bibeln
(bei einer Bibel fehlt das neue Testament), die hinter einer dicken
Glasscheibe in einem abgedunkelten
Raum (genannt: „Die Schatzkammer“)
ausgestellt werden. Die Buchstaben
sind perfekt. Ein Laserdrucker hätte
keinen besseren Job machen können.
Irritierend nur die Initialen, die eindeutig von Hand (und unter Verwendung einer ganz schönen Menge Gold)
gemalt wurden. Diese Stellen wurden
beim Druck freigelassen und jeder
Auftraggeber hatte die Möglichkeit
zu entscheiden, wie aufwendig sie
gestaltet werden sollten. Schließlich
kommt die große Erleuchtung: In einem Raum etwas außerhalb steht ein
lebensgroßer, mittelalterlicher Chinese (natürlich handelt es sich nicht um
einen lebendigen Chinesen, schließlich wäre es Sklaverei, den 10 Stunden
am Tag unbeweglich herumstehen zu
lassen). Und plötzlich wird klar, dass
die Druckkunst schon Jahrhunderte
vor Gutenbergs Lebzeiten in China
erfunden wurde! Ich bin entsetzt. Die
haben einen sehr guten Job gemacht,
wenn man bedenkt, dass man für das
Alltagschinesisch 4000 unterschiedliche Schriftzeichen beherrschen muss.
Ein chinesischer Setzkasten ist in
seiner Größe also definitiv beeindruckender als ein deutscher.
Ich verlasse das Museum ein wenig bedrückt. Die Tatsache, dass ich
die hohe Druckkunst nicht als Kulturgut meines Landes verbuchen
kann, schlägt mir auf die Stimmung.
Vielleicht könnte man das Museum
zumindest in „Allgemeines Druckmuseum“ umbenennen, wenn Gutenberg
nicht einmal zwei komplette Bibeln
beisteuert. Und die entscheidende
Frage konnte mir der Museumsbesuch
auch nicht beantworten: Handelt es
sich beim Gutenbergischen Druck nun
um ein Plagiat?
sing habe sogar gelbe Hosenträger. +++ Man munkelt, es gäbe Leute, die Schichten organisieren, damit in jeder Ricker-Vorlesung mindestens fünf Leute
Fernsehen
28
aktuell
Bild: amctv
Lineares Fernsehen ist noch nicht tot
Von Giuseppe Rondinella
Die TV-Zuschauer wandern vermehrt ins Internet ab. Streaming-Anbieter erfreuen sich immer größerer
Beliebtheit und führen die Fernsehsender in eine kleine Krise. Doch die sehr erfolgreiche US-Serie „Breaking Bad“ zeigt, dass Live-TV noch nicht tot ist. Grund dafür ist ausgerechnet ein Streaming-Dienst – auch
Twitter spielt eine große Rolle. Sicher ist: Die Fernsehbranche braucht eine neue Quotenmessung.
Die erfolgreiche US-Fernsehserie
„Breaking Bad“ gibt den Produzenten, Regisseuren und Schauspielern
wieder Hoffnung. Seit langem hat es
keine Serie mehr geschafft, eine ganze Nation zur gleichen Zeit vor dem
TV-Bildschirm zu versammeln – zehn
Millionen Menschen sahen die Finalfolge der letzten Staffel im TV. Ein
ausgesprochen guter Wert, wenn man
bedenkt, dass „Breaking Bad“ an
diesem Abend mit dem in den USA so
beliebten Football starke Konkurrenz
hatte. Es scheint also doch noch echte
Straßenfeger zu geben.
Klar, die glorreichen Zeiten, in denen
sich vor 30 Jahren über einhundert
Millionen Amerikaner für die Serie
M.A.S.H. vor die Mattscheibe setzten,
ist längt vorbei. Aber auf über zehn
Millionen TV-Zuschauer zum Staffelfinale können die Macher von „Breaking Bad“ mehr als stolz sein.
Quotenopfer
Denn ein derart großes Publikum im
Live-TV ist zurzeit alles andere als
der Normalfall, außer es handelt sich
um Fußballweltmeisterschaften oder
um die Olympischen Spiele. Dieser
Umstand bereitet vor allem den Serienmachern große Kopfschmerzen.
Denn viele Menschen, darunter vor
allem die werberelevante Zielgruppe von 14-49, schauen sich Serien
wie „How I Met Your Mother“ oder
„The Big Bang Theory“ zeitversetzt
im Internet an. Wir leben deshalb in
einer Zeit, in der das Ende des linearen Fernsehens prophezeit wird. Das
Publikum wandert ins Internet ab, wo
es die zeitliche Autonomie und die
Befreiung von der Programmstruktur
der Sender schätzt. Der Effekt: Die
Fernsehsender verzeichnen sinkende
Quoten. Und damit nimmt das Unheil
seinen Lauf. Weniger TV-Zuschauer
bedeuten nämlich, dass weniger Un-
ternehmen in den Werbepausen ihre
Spots schalten wollen. Das wiederum
bedeutet weniger Werbeeinnahmen
für den Sender, der die Serie aus
Angst vor finanziellen Einbußen folglich nicht mehr ausstrahlt. „Nielsen
Rating Victim“ nennt man eine solche Serie, die nach einem schlechten
Quotenstart im TV abgesetzt wird.
Und das, obwohl sie beim Publikum
durchaus sehr beliebt sein kann, zum
Beispiel bei Streaming-Anbietern im
Internet. Aber der Fernsehsender
kriegt davon nichts mit, weil er sich
stur an die Ratings der Nielsen Media
Research GmbH hält. Man muss sich
also die Frage stellen, welche Bedeutung die Ratings heute in Zeiten von
Streaming-Diensten oder digitalen Videorecordern haben. Denn noch vereint das Fernsehen den größten Teil
der medialen Werbeausgaben auf
sich, doch es bleibt wohl eine Frage
der Zeit, bis die Werbewirtschaft den
Nutzern ins Internet folgen wird. Das
tut sie aber bislang noch nicht, digitale Werbung ist noch nicht rentabel.
Streaming als Rettung
„Breaking Bad“ wäre fast ein „Nielsen Rating Victim“ geworden. Kaum
vorstellbar, aber nach der zweiten
Staffel hatte die US-Serie im Durchschnitt nur etwa eine Million Zuschauer, zu wenig für die Fernsehbosse. Die
Serie stand vor dem Aus. Doch dann
kaufte der amerikanische StreamingDienst Netflix die Serie und verhalf
ihr zum unverhofften Höhenflug. Nun
lief die Serie im Fernsehen UND im
Internet. Unter diesen Umständen
entwickelte sich „Breaking Bad“ zu
einer Serie, die die Menschen unbedingt „live“ im Fernsehen verfolgen
wollten, weil sie im Internet Gefahr
liefen, gespoilert zu werden, also den
Ausgang der Serie schon im Vorhinein
mitzubekommen. Ging man morgens
in die Schule, in die Universität oder
ins Büro, lief man Gefahr, den Inhalt
anwesend sind. +++ Man munkelt, pro Schicht maximal zehn Leute! +++ Man munkelt, Publizistikstudentinnen haben immer „Nivea“ dabei, aber nie
Fernsehen
29
aktuell
der Serienfolge des letzten Abends
zu erfahren. Twitter spielte dabei
eine große Rolle. Nielsen fand heraus: Je höher die Anzahl der Tweets
zu einer Serie, desto höher die dazugehörige Einschaltquote im Fernsehen. Die Zuschauer umgehen also bewusst den drohenden Spoiler. Es gibt
mittlerweile sogar Apps wie „Spoiler
Foiler“, die alle Tweets von der Twitter-Timeline schwärzen, die mit der
gewünschten Serie in Verbindung stehen. Streaming-Anbieter und soziale
Netzwerke scheinen sich also positiv
auf die TV-Quoten auszuwirken.
„Ich FAZ es nicht“
Wie sehr ein Spoiler die Netzgemeinde aufregen kann, musste die
Frankfurter Allgemeine Zeitung vor
kurzem bitter feststellen. Einen Tag
nach der TV-Ausstrahlung der finalen
Folge von „Breaking Bad“ in den USA,
druckte die Zeitung einen Artikel im
Feuilleton, der das Ende der Serie
verriet. Und zwar ohne eine Spoilerwarnung im Teaser. Stattdessen gab
es noch ein Bild der letzten Szene
obendrauf. Die Zeitung bestrafte alle
Fans der Serie, die auf die legale Ausstrahlung auf dem deutschen PayTV-Sender AXN gewartet hatten. Und
die Internetgemeinde lief Sturm: „Ich
FAZ es nicht“, so die entrüsteten Serienfans in den sozialen Netzwerken,
die die Zeitung direkt umbenannten
in „Frankfurter Allgemeine Spoilerzeitung“.
Streaming-Anbieter scheinen also
eine gute Lösung zu sein für die Misere der TV-Sender. Mit dem Verkauf
der Serien sichern sie sich finanziell
ab und schüren zudem die Angst vor
dem Spoiler im Web. Es braucht eben
nur eine Serie, die die Menschen live
sehen wollen. Das kann freilich nicht
immer klappen. Bei „Breaking Bad“
hat es funktioniert, weil sie wohl eine
der besten Serien der TV-Geschichte
ist. Im September gewannen die Serienmacher sogar den Emmy für das
beste Drama. Ironischerweise wurde
die Preisverleihung live auf dem Sender CBS gezeigt, als parallel auf dem
Konkurrenzsender AMC die vorletzte
„Breaking Bad“-Folge gesendet wurde. Folglich waren bei der Preisverleihung keine Fans der ausgezeichneten
Serie zugegen. Auch viele Nominierte
und andere Preisträger verzichteten
auf die Gala. Sie waren allesamt zu
Hause vor dem Fernseher und sahen
sich die ausgestrahlte Folge an.
Veraltete Quotenmessung
„Breaking Bad“ zeigte der TV-Branche
Wege auf, wie das Schlamassel mit
dem linearen Fernsehen gehandhabt
werden kann. Die Serie zeigte aber
auch: Die Quotenmessung im TV ist
mehr als veraltet. Denn sie stammt
noch aus einer Zeit, in der es kein
Internet gab. Die Übertragungswege
von TV-Inhalten sind jedoch differenzierter geworden, das klassische
Fernsehen ist nur noch eine Möglichkeit von vielen, an gewünschte
Inhalte zu kommen. Deshalb fordern
viele Branchenentscheider eine neue
Einheitswährung fürs TV. Die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung plant
bereits eine kleine Revolution. Noch
in diesem Quartal möchte sie eine
neue Quotenmessung mit der „Berücksichtigung von Bewegtbildern im
Netz“ starten. Monatsweise sollen
hierbei Zahlen zur Online-Nutzung
angegeben werden. Ab 2015 sollen
diese Daten dann mit denen der
„normalen“ TV-Nutzung fusioniert
werden.
Bild: amctv
„Niveau“. +++ Man munkelt, Minnesänger seien die Erfinder des Infotainment. +++ Man munkelt, den IfP-Babys sei die Publizistikwissenschaft in
Publizissimus-preis
30
„Das beste Jubiläumsgeschenk,
das man sich vorstellen kann“
Interview mit
Juniorprofessor Dr. Leonard
Reinecke
Von Lorenz Harst
Bild: Harst
Besonders wegen seines freundlichen, hilfsbereiten Umgangs mit den Studierenden am IfP ist Juniorprofessor Dr. Leonard Reinecke für uns ein würdiger Publizissimus-Preisträger. Im Interview
spricht er über seine Arbeit am IfP genauso wie über Facebook, Privacy und die Zeitungskrise.
Wir gratulieren zum Publizissimus-Preis!
Wenn man Ihre Seite auf der
Homepage des IfP studiert,
drängt sich einem unwillkürlich die Frage auf, woher Sie
die Zeit nehmen, sich so sehr
für die Belange der Studierenden am IfP einzusetzen.
Also: Wie machen Sie das?
Reinecke: Der zeitliche Druck und
die inhaltlichen Anforderungen im
Uni-Betrieb sind natürlich hoch umso mehr freut mich die Begründung für diese Auszeichnung. Wie ich
das mache, lässt sich am besten so
erklären: Als Professor lebt man eben
in zwei Welten- der Welt während des
Semester und der in der vorlesungsfreien Zeit. Klar nehmen Betreuung
und Lehre viel Zeit in Anspruch, aber
ich versuche trotzdem, in dieser Zeit
auf die Anliegen der Studierenden
einzugehen. Die vorlesungsfreie Zeit
versuche ich natürlich hauptsächlich
für die Forschung zu nutzen, aber
im Prinzip ist es mir am liebsten,
wenn sich Forschung und Lehren
verbinden lassen - so kann ich auch
die Studierenden mit einbeziehen.
Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt ist tief in unserem Alltag verwurzelt. Wo setzen Sie
in der Lehre zum Thema Social
Media Ihren Schwerpunkt?
Ich versuche, in Zusammenarbeit
mit den Studierenden, herauszufinden, welche Spuren Social Media in unserem Alltag hinterlas
sen. Vor allem: welche positiven und
negativen Folgen gibt es? Natürlich
eröffnen sie ungeahnte Möglichkei-
ten, sich zu vernetzen und über fast
alle Grenzen hinweg auszutauschendas ist positiv. Aber man muss natürlich auch über die Risiken von Social
Media sprechen, zum Beispiel das
Phänomen „permanently online“, das
in den Anfangsjahren solcher Plattformen als großer Vorteil gesehen wurde,
jetzt aber zwiespältiger betrachtet,
auch als Drucksituation verstanden
wird, weil man eben ständig erreichbar ist und kommunizieren muss.
Die Studierenden sind für mich in diesem Zusammenhang auch ein InputFaktor. Mit ihnen kann ich nicht nur
die Chancen und Risiken für die Gesellschaft abwägen, sie sind auch allesamt als Individuen Einzelexperten
für Social Media, weil sie alle Nutzer
sind. Das ist für mich sehr interessant.
Ich muss gestehen, ich habe da-
mit gerechnet, dass Sie über das
Thema Privacy sprechen würden. Warum glauben Sie ist das
Thema gerade in der Diskussion
über Social Media und das Internet im Allgemeinen so präsent?
Meiner Ansicht nach hängt die große Aufmerksamkeit, die das Thema
in der öffentlichen Debatte erfährt,
mit dem immensen Grad an Selbstoffenbarung zusammen, den Social
Media-Plattformen erzeugen. Wir hinterlassen manchmal ganz bewusst,
oft aber auch unbewusst, tiefe Spuren im Word Wide Web. Aktiv dann,
wenn wir etwas auf Facebook posten
oder twittern, passiv da, wo mit automatisch erhobenen Nutzerdaten
Handel getrieben und für uns dann
personalisierte Werbung geschaltet
wird. Gerade die Monetarisierung
die Wiege gelegt worden. +++ Man munkelt, eine Publizistikvorlesung sei keine Publizistikvorlesung ohne People’s Choice-Studie. +++ Man munkelt,
Publizissimus-preis
dieser Big Data macht aber deutlich,
dass eine intensive Diskussion um
den Umgang mit unseren persönlichen Daten dringend notwendig ist.
Bei allen Medieninnovationen verläuft
der Adaptionsprozess naturgemäß zu
Beginn etwas naiv - jetzt erst werden
uns alle Implikationen von Social Media klar, und dann ist es nur richtig,
dass wir darüber sprechen und den
Diskurs wissenschaftlich begleiten.
Braucht es, damit die Diskussion überhaupt in die Gänge
kommt, einen Prism-Skandal
und einen Edward Snowden?
Ich denke, ja. Was wir auf Facebook
preisgeben, ist ja nur die Spitze des
Eisbergs und unterliegt zudem unserer aktiven Kontrolle. Ansonsten
aber ist das Internet für uns „Normaluser“ völlig intransparent- das
gilt in besonderem Maße für die
Vorgänge bei den Geheimdiensten
und den Handel mit Nutzerdaten.
Daher braucht es Großereignisse, wie
zum Beispiel die Enthüllungen eines
Whistleblowers, damit solche Vor-
gänge an die Öffentlichkeit kommen.
Was muss sich ändern, damit wir zu einem vernünftigen Umgang mit der
Privatsphäre im Internet kommen- wir oder die Gesetzeslage?
Beide natürlich. Wenn wir aktive,
mündige Mediennutzer sein wollen,
dann müssen wir auch Eigeninitiative zeigen, da wo es in unserer
Hand liegt und wo wir selber etwas
zum Schutz unserer Privatsphäre
beitragen können. Gerade darum
geht es ja zum Beispiel auch bei
den Privatsphäre-Einstellungen von
Facebook. Wenn wir diese Initiative nicht aufbringen, können wir
uns auch nicht darüber beschweren,
dass Details aus unserem Privatleben an die Öffentlichkeit gelangen.
Dann gibt es aber auch die Bereiche, die sich eben unserem Einfluss
entziehen. Daher ja: Es braucht
eine Gesetzgebung, die Datenhandel zumindest limitiert, genauso
wie die Eingriffe, die von Regierungsinstitutionen, zum Beispiel
eben Geheimdiensten, ausgehen.
31
Um das Thema Zeitungskrise
kommt in dieser Ausgabe fast
niemand herum. Wenn man
sich die Online-Portale vieler
Medien anguckt, kommt man
dagegen kaum noch um Links
zu Facebook, Twitter und Co.
herum. Glauben Sie, dass diese
Form der Vernetzung zur Lösung der Krise beitragen kann?
Sicher kann sie das insofern, als dass
Social Media Aufmerksamkeit und somit Leser generieren können, daher
finde ich ihren Einsatz löblich. Die Ursache der Krise liegt aber woanders:
Es fehlt für den Online-Bereich immer
noch an Bezahl- und Geschäftsmodellen, die rentabel und nutzerfreundlich zu gleich sind. Zudem darf man
nicht vergessen, dass Partizipation,
wie sie beispielsweise in den Kommentarbereichen von News-Portalen
möglich ist, nur für einen bestimmten Nutzerkreis interessant ist,
während andere User den Aufwand,
aktiv Content zu produzieren und
sich zu positionieren scheuen. Ich
denke, auch in der Zukunft werden
die passiven Nutzer überwiegen.
Dann zum Schluss noch eine
Feel-Good-Frage: Jetzt sind
sie seit fast genau zwei
Jahren hier am IfP. Wie gefällt es Ihnen in Mainz?
Also zunächst einmal ist dieser
Preis für mich das beste Jubiläumsgeschenk, das man sich vorstellen
könnte. Außerdem bestätigt er mich
in dem Gefühl, hier am IfP angekommen zu sein. Ich fühle mich im Kreis
der Kollegen ebenso wohl wie beim
Austausch mit den Studierenden.
Diese Ungezwungenheit, die hier in
Mainz zwischen Studierenden und
Lehrenden herrscht, ist sicher kein
Selbstläufer und so nicht überall anzutreffen. Deshalb freue ich mich über
jedes weitere Semester in Mainz!
Info: Jeder will ihn, nur wenige haben ihn
In jeder Ausgabe verleiht die Publizissimus-Redaktion die wohl
renommierteste Auszeichnung, die es am Institut für Publizistik
zu haben gibt.
Den heiß begehrten Publizissimus-Preis bekommen Personen,
die sich in besonderem Maße um die Studierenden kümmern
und dabei durch Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Engagement,
Geduld, Expertise, Sympathie und/oder ähnlich lobenswerte Eigenschaften auffallen.
Für Nominierungsvorschläge ist die Redaktion offen und nimmt
Anregungen gerne schriftlich entgegen.
das erste Rundfunkurteil klinge etwas gartenlaubig. +++ Man munkelt, auch Hechtinnen können toll sein. +++ Man munkelt, Publizistik-Bachelor und
Georg-forster
32
cafeteria
Massenandrang zur Mittagszeit
Von Peter Mertes
Pünktlich zum Start des Wintersemesters öffnete die neue Cafeteria im Georg-Forster-Gebäude im
Oktober ihre Pforten. Der Begriff Mensa wäre jetzt vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Neben zwei
Mittagsgerichten täglich kann der hungrige Sozialwissenschaftler (nebst allen anderen Spezies, die
sich im Georg-Forster-Gebäude tummeln) aus einer Menge Snacks bis hin zu Kaffee und Kuchen
auswählen.
Nachdem bereits im Sommer die Dozentenbüros ins „Forsthaus“ (oder
„Frosch“, oder wie auch immer ihr
den grünen Neubau im Jakob-WelderWeg nennen wollt) umgezogen waren
und auch einige Seminare gegen Ende
des Sommersemesters bereits in den
neuen Räumlichkeiten stattfanden,
zog jetzt auch die Essensversorgung
nach. Öffnungszeiten von 10-20 Uhr
(freitags nur bis 19 Uhr), dabei von
11.15 bis 19 Uhr (freitags bis 18 Uhr)
warme Küche und eine angenehme,
offene, lichtdurchflutete Atmosphäre laden vor allem Studierende des
Fachbereichs 02, also Sozialwissenschaften, Medien und Sport, ein, hier
zu speisen und zu dinnieren. Aber
Achtung! Gerüchten zufolge sollen
teilweise auch Studierende anderer
Fachbereiche bereits in der GFG-Mensa gesichtet worden sein. Aber keine
Panik: Man munkelt, die beißen nicht.
Höchstens in ihr Mittagessen.
Lange Schlangen im GFG
Dennoch herrschen zur Essenszeit
gegen 12 Uhr Platzmangel und Massenandrang, da die hungrige Meute
meist sehr groß ist. Zeitweise ziegt
sich die Schlange sogar bis in den
Eingangsbereich des Geböudes. Die
Situation löst sich aber meist recht
schnell, spätestens dann, wenn die
Studenten wieder an die Arbeit gehen und die neue Bereichsbibliothek
belagern. Man munkelt weiter, schon
um zehn Uhr morgens seien wartende
Studenten gesichtet worden, die ihren
Uni-Tag mit einem belegten Brötchen
inklusive Kaffee aus der „Forsti-Mensa“ starten wollten. Und das, obwohl
das Café im ReWi mit unwiderstehlichen Dumpingpreisen lockt. Man kann
ihnen aber auch nicht verübeln, dass
sie das hiesige Angebot nutzen, denn
für Großküchen-Verhältnisse sind die
Gerichte überraschend lecker und
gut gewürzt, fast immer schmeckt
das Essen sogar nach dem, was auf
der Karte steht. Und es ist garantiert
für jeden etwas dabei, denn neben
den Mittagsgerichten stehen auch
Brötchen, Kuchen, Snacks, Desserts
und, und, und auf der Karte. Auch
für Getränke ist selbstverständlich
gesorgt. Ach ja, und die Salatbar darf
an dieser Stelle natürlich auch nicht
vergessen werden.
Alles in allem: Daumen hoch
Insgesamt bietet die neue GFGCafeteria gerade für Studierende
des Fachbereichs 02 eine sehr gute
Alternative zu Zentralmensa, Mensaria und ReWi, zumal man sich längere
Wege ersparen kann. Wenngleich das
Angebot selbstverständlich nicht mit
dem in der Zentralmensa mithalten
kann, findet sich doch immer etwas
Essbares. Und das ist ja die Hauptsache.
Bilder: Mertes
Journalismus-Master würden sich gerne in Öffentliche Meinung in die Haare kriegen. +++ Man munkelt, nächstes Semester käme die Anwesenheits-
Auslandskorrespondenz
33
Barcelona, it was the first time that we met!
Aus Spaninen berichtet Pascal Schneiders
Fünf Tage vor Anbruch meines Auslandsaufenthalts gab die überaus nützliche Seite list25.com
bekannt, ich würde Platz 20 der lebenswertesten Städte für junge Menschen meinen vorläufigen
Wohnort nennen. Welch Irrtum. Sollte sich doch herausstellen, dass Barcelona keinen Vergleich
scheuen braucht. Umso trauriger, dass ich wohl leider nicht mehr dort sein werde, wenn dieser
Bericht gedruckt ist.
Ich konnte von Glück reden, am
Anfang meiner Reise in Begleitung
zweier Freunde gewesen zu sein.
Die Zufallskette wäre sonst wohl
anders verlaufen. Eine Prepaid-Karte
hätte ich, trotz eines halbjährigen
Spanischkurses bei Marta, wohl nie
im Alleingang kaufen können. Auch
hätte ich meine Residenz, eine etwas spartanisch eingerichtete, aber
im Grunde schöne Wohnung, deren
Einfachfenster mit Espagnolettenverschluss allem Anschein nach seit
Jahrzehnten auf eine Erneuerung
warten, nie bezogen.
musste ich aufpassen, ganz spät zu
merken, dass ich den falschen Weg
genommen hatte. Auch in der Stadt
war die Gefahr groß, sich zu verlaufen – trotz oder gerade wegen des
schachbrettartigen Grundrisses der
Planviertel, und zum Leidwesen meiner mich besuchenden Freunde. Das
hat auch sein Gutes, schließlich übt
man Spanisch, weil man des Öfteren
nach dem Weg fragen muss. Glücklicherweise ist der Alte Hafen nicht
so leicht zu verfehlen. Mit seiner ihn
überspannenden, über achtzig Jahre
alten Seilbahn, die über zwei Eisen-
gegen sind Demonstrationen gegen
Banken oder Madrid.
Grundsätzlich spielt sich das Leben
draußen ab. Es herrscht ein ständiges Wirrwarr an fremden Sprachen,
Musik, Straßenverkäufern und sonstigem Lärm (insbesondere verursacht
durch diverse Autofahrer, die die
Hupe als Mittel der Beschwerde gegenüber flinken Rollerfahrern für sich
entdeckt haben). Außerdem hat das
Essen hier eine viel größere soziale
Bedeutung. Dafür stehen die Tapas,
kleine Portionen, die zum Teilen
gedacht sind. Empfehlenswert sind
türme zum Montjuïc führt und den
schönen, ihn umgebenden Gebäuden
gehört er in jede Stadtbesichtigung.
Fast immer flanieren hier Menschen
aus allen Ecken der Welt und hören
den Klängen der Straßenmusiker zu.
patatas bravas und pan catalan als
Grundlage, dazu frittiertes Gemüse,
Ziegenkäse und die Paprikawurst
chorizo. Freunden von Fleisch in allen
Variationen sei auch ein Besuch des
Mercat de la Boqueria an der Rambla empfohlen. Vom Schafskopf über
Eingeweide bis hin zum Oktopus wird
dort jeder Geschmack bedient.
Spnisches Großstadtflair
Die Stadt selbst ist sehr vielfältig.
Manche Viertel Barcelonas scheinen
längst vergangenen Jahrhunderten
unverändert entsprungen, andere ihrer Zeit voraus. Von kleinen, einheimischen Bars bis zur typischen ERASMUS-Großraumdisko, vom erstaunlich
sauberen Strand bis zu den rückwärtig gelegenen Bergen, von Resten
der alten römischen Befestigung bis
zu den modernistischen Bauten Gaudis, Cadafalchs und Montaners, von
den engen Gassen der Barrios Born
und Gotico bis zu den nur wenige
Meter weiter gelegenen protzigen
Gebäuden der Jahrhundertwende;
es gibt unglaublich viel zu entdecken. Inmitten des großstädtischen
Flairs findet man auch immer wieder
versteckte Oasen wie den Placa de
Sant Felip Neri, die Jardins de Joan
Maragall oder den Parc del Laberint d’Horta. Nicht nur im Labyrinth
„Das Leben spielt sich draußen
ab“
Es gibt Dinge, die man anders als in
Deutschland in Barcelona fast nie beobachten kann, Regen zum Beispiel
(und wenn doch, korreliert er mit
Chaos auf den Straßen). Häufiger da-
Barcelonas Vielfalt im Kleinen
Ich habe es bei den Fruchtsaft-Ständen belassen. So wichtig das Abendessen, beginnend ab 21:30 Uhr, sein
mag, das Frühstück scheint umso bedeutungsloser. Oftmals muss ein tallat, ein Espresso mit wenig Milch, und
ein ensaïmada, eine puderzuckerbestäubte Hefeschnecke genügen. In
den Genuss belegter Baguettes am
Mittag dürfte nicht nur Auslandskorrespondentenkollege
Beckert
aus Dijon gekommen sein. Auch die
Spanier beherrschen die kulinarische
Kunst, die zwei Hälften eines bocadillo mit jamon, queso, oder sonstigen
ausgefallenen Belägen anzureichern.
Es müssen an die 180 sein, die ich in
den vergangenen Monaten gegessen
habe.
Was den sozioökonomischen Status
seiner Bewohner betrifft, wird Barcelona in zwei Bereiche eingeteilt: In
die Stadtteile nördlich und südlich der
Avinguda Diagonal. Die kleine, in einem alten kirchlichen Ziegelsteinbau
eingerichtete Universitat Abat Oliba
liegt unweit der berühmten Avinguda Tibidabo im Norden der Stadt,
in einer der vornehmen, von Villen
geprägten Gegenden. Die mit 50 Minuten recht lange Anfahrt wird jedes
Mal aufs Neue mit einem weitläufigen
Blick auf die Stadt entlohnt.
Studieren in Barcelona
An der Universität habe ich Graphic
Design, Political Science und Information Enterprise auf Englisch belegt,
dazu einen Spanischkurs mittleren
Niveaus. Da es sich um eine Privatuni handelt, ist das System ziemlich
verschult: Unangekündigte Tests,
Hausaufgaben, Referate, mündliche
pflicht für Vorlesungen. +++ Man munkelt, Ricker lässt grüßen. +++ Man munkelt, Richard Lemke habe bei der Eröffnung des GFG Sekt in sein Büro
Auslandskorrespondenz
34
Abfragen am Anfang der Stunde,
Anwesenheitspflicht und kleine Klassenräume. Die Betreuung ist darum
umso intensiver, auch für ein Freizeitprogramm wird gesorgt. So wurden
Stadtführungen innerhalb Barcelonas wie auch nach Girona, Tarragona und Sidges angeboten. Vor dem
grimmigen Bibliothekar sollte man
sich allerdings in Acht nehmen. Das
scheint in manchen Fällen wohl so ein
kulturunabhängiges Ding zu sein. Die
Inhalte der einzelnen Kurse werden
die Lesenden an dieser Stelle wohl
weniger interessieren. Der Spanischkurs jedenfalls endete meist im lockeren Geplauder über die Geschichte
Kataloniens oder, zu meiner größeren
Freude, über Fußball. Da der Professor kaum Englisch spricht, waren wir
bei der Erweiterung unseres Vokabu-
lars auf seine Umschreibungen angewiesen. Mehr noch aber auf seine
Kreidezeichnungen. Kreidereste fanden sich gegen Ende des Unterrichts
dann oft auch auf dem jeweiligen
seinen etwas runderen Bauch bedeckenden Kleidungsstück. Denn jedes
Mal, wenn er plötzlich mit mächtiger
Stimme Vale, ein Pendant zu Ok, den
Raum erzittern ließ, rieb er mit seinen Händen auf seinen Bauch.
Ungewisse Zukunft für Spaniens Printmedien
Zum Schluss einige Worte zum Zeitungsmarkt in Katalonien. Ist Print
auch dort womöglich dem Niedergang
geweiht? Nach Hallin und Mancini ist
er dem polarisiert-pluralistischen
Modell zuzuordnen: Auflagenzahlen
wie Professionalisierung seien gering, Meinungsjournalismus hingegen
ausgeprägt, der Leserkreis elitär.
Boulevardpresse sei kaum vorhanden. Tatsächlich habe ich nicht viele
Zeitungen gesehen. Wenn, dann
jedoch die 20 minutos in der Metro,
die in der Aufmachung dem Express
ähnelt und sich in den Unterwelten
Barcelonas großer Beliebtheit erfreut. Zur Elite habe ich demnach
nicht vordringen können. Ganz anders als in meiner Erwartung sah ich
auch kaum alte Männer, die im Café
sitzend Zeitung lesen. Vielmehr spielten sie Brettspiele. Wie auch bei uns,
informieren sich meine spanischen
Kommilitonen eher über Online-Zeitungen, Apps und das Fernsehen. Eine
kleine Umfrage in einem Kurs ergab,
dass nur eine Person ein Zeitungs-
abonnement hatte – und nicht aus
Spanien kommt. Viele der Projekte
im Information Enterprise Kurs, wo es
galt, ein Start-Up zu simulieren, drehten sich um Online-Variationen von
Zeitungen. Es sieht also nicht sehr
rosig aus für die Zukunft der spanischen Presse, der Meinung ist auch
der Professor des besagten Kurses.
Zum Glück bietet Barcelona genügend
Möglichkeiten, um von diesem traurigen Zustand, möge er denn stimmen, abzulenken. Es muss ja nicht
für jeden eine Karriere im Print sein.
Manche begnügen sich auch mit einer
solchen im hiesigen Fußballverein.
Und mit dieser Einschätzung zurück
ins Studio.
Bild: Schneiders
Rien ne va plus?
Aus Frankreich berichtet Johannes Beckert
Bild: Beckert
Auch in Frankreich haben Zeitungsverlage seit Jahren mit finanziellen Problemen und neuen Medien zu kämpfen, erste bekannte Titel mussten schon früher als in Deutschland eingestellt werden.
Die schwere Krise nährt aber auch Innovationen, die Hoffnung für die Zukunft der Presse machen.
Der deutschen Presse geht es
schlecht. Das dürfte seit der Insolvenz der Frankfurter Rundschau
und dem Verschwinden der Financial
Times Deutschland im Winter 2012
auch den letzten Ungläubigen eindrucksvoll vermittelt worden sein.
Schwindende Anzeigenerlöse schla-
gen sich in den Verkaufskosten nieder
und erschweren die Gewinnung neuer
Lesergruppen. Vor allem am LeserNachwuchs mangelt es, hat sich doch
die kostenlose Informationskultur im
Internet bei der Generation Web 2.0
inzwischen fest etabliert.
schmuggeln wollen. +++ Man munkelt, er habe auch andere Dozenten dazu angestachelt. +++ Man munkelt weiterhin, er wollte einen Sekthalter
Auslandskorrespondenz
Dass der Printjournalismus nicht nur
in Deutschland in der Krise steckt,
zeigt ein Blick über Rhein und Vogesen ins Nachbarland Frankreich. Hier
mussten 2012 bereits zu Jahresbeginn die ersten überregionalen Titel
die Segel streichen und ihre gedruckte Ausgabe vorerst einstellen: France
Soir und La Tribune fielen hauptsächlich dem anhaltenden Einbruch der
Werbeerlöse und Verkaufszahlen
zum Opfer, teilweise auch der Verweigerung zur Modernisierung, wie die
stuttgarter-zeitung.de im März 2012
berichtete. Ähnlich wie die Tageszeitungen hierzulande leidet die französische Presse an stark sinkenden
Werbeeinnahmen und stark rückläufigen Verkaufszahlen. Dem gegenüber
stehen anhaltend hohe Materialund Vertriebskosten, die zum Teil
mehr als 50 Prozent der gesamten
Herstellungskosten für eine Zeitung
ausmachen. Die bisherige Reaktion
der Zeitungshäuser lautete Kostensenkung – Seitenumfänge wurden
reduziert, Redaktionen verkleinert.
Auf regionaler Ebene fanden in den
vergangenen Jahren zudem zahlreiche Verlagskonzentrationen statt. Die
Folgen: Insolvenzen, Redaktionsverkleinerungen und damit verbunden
qualitative Einbußen.
Industrielle Investoren als Rettung?
Auf überregionaler Ebene hat sich
derweil ein anderer Ansatz zur Bekämpfung der finanziellen Misere
gefunden, nämlich die Suche finanzstarker Investoren aus der Industrie.
So ist der Flugzeug- und Raumfahrtkonzert Lagardère Anteilseigner diverser Verlagsgruppen, die unter anderem die Zeitschriften Paris Match,
Elle, sowie die größte französische
Regionalzeitung Le Parisien und die
Sportzeitung L’Equipe herausgeben.
Der Waffenhändler und Politiker
Serge Dassault ist Inhaber der neben
Le Monde wichtigsten überregionalen
Tageszeitung Le Figaro, Unternehmer
Bernard Arnault (Dior, Louis Vuitton,
Moët Hennessy) Eigentümer der
Wirtschaftszeitung Les Échos. Bankenerbe Édouard de Rothschild schließlich ist mehrheitlich an der dritten
großen überregionalen Tageszeitung
Libération beteiligt. Die finanzielle
Abhängigkeit nicht nur von den Anzeigekunden, wirkt sich negativ auf
die redaktionelle Qualität aus und
gefährdet die journalistische Unabhängigkeit.
Mediapart – Modell für die
Presse von morgen?
Dass es auch Wege aus dieser Abhängigkeit gibt, zeigt das Beispiel
Mediapart. Gegründet im Jahr 2008
von ehemaligen Redakteuren der Le
Monde, sind alle Artikel ausschließlich im Netz und nur gegen Bezahlung verfügbar: „Die journalistische
Unabhängigkeit können wir hier nur
garantieren, wenn wir auf Werbung
verzichten, und das verstehen unsere Leser“, verteidigte Mitgründer
François Bonnet 2008 gegenüber
dem Handelsblatt den Schritt zur
kostenpflichtigen Internet-Zeitung.
Damit behielt er Recht. Während die
gedruckten Zeitungen heute nach wie
vor ums Überleben kämpfen, ist Mediapart mit investigativem Journalismus und mehr als 80.000 zahlenden
Abonnenten (Stand: November 2013)
hochprofitabel. Und das ohne jeglichen Einfluss von Anzeigenkunden
oder Investoren.
Gratiskultur als größte Bedrohung für die traditionellen Blätter in Frankreich
Mediapart ist nicht nur ein gelungenes Beispiel für die Wahrung journalistischer Unabhängigkeit sondern
auf für den Umgang mit einem der
größten Feinde der gedruckten Zeitung: dem Internet. Wie auch hierzulande haben es die Printmedien in
35
Frankreich versäumt, ein langfristig
profitables Geschäft mit ihren Internetauftritten zu etablieren. So sind
aktuelle Informationen grundsätzlich gratis abrufbar, wie das Beispiel
LeMonde.fr zeigt. Hier stehen sämtliche Nachrichten die nicht älter als
drei Tage sind allen Nutzern frei zur
Verfügung. Dazu zählen Nachrichten
aus der gedruckten Zeitung, sowie
Meldungen der Nachrichtenagenturen
und Multimediale Inhalte, selbst eine
Online-Version der Printausgabe mit
Zoom- und Blätter-Funktion – wer
läuft da noch zum Kiosk um zwei Euro
für eine Papierzeitung zu bezahlen?
Die bisher geschilderten Probleme
spiegeln zu großen Teilen das wieder,
womit auch der deutsche Zeitungsmarkt zu kämpfen hat. Die französische Presse hat jedoch noch einen
weiteren Gegner, die Gratiszeitung.
Ein kurzer Rückblick: zwischen 1999
und 2001 versuchte der norwegische
Schibsted-Verlag mit seiner Gratiszeitung 20 Minuten auch in Deutschland Fuß zu fassen. Das Blatt sollte
sich zunächst in Köln etablieren und
später auch in anderen Großstädten
erscheinen. Dagegen wehrten sich
die in Köln vertreibenden Traditionsverlage Axel-Springer (BILD) und
M. DuMont Schauberg (Kölner StadtAnzeiger) und verdrängten 20 Minuten nach gescheitertem Rechtsstreit
schließlich mit eigenen Gratiszeitungen erfolgreich vom Markt, bis heute.
Frankreich hingegen hat diesen Zeitungskrieg – sofern er in dieser
Form dort jemals stattgefunden hat
– verloren. Nicht nur 20 Minuten erfreut sich in 40 französischen Städten
großer Beliebtheit, in 15 boomt auch
das schwedische Pendant Metro. Das
Konzept der Gratisblätter ist so einfach wie effektiv: was in Deutschland
als Anzeigeblätter regional und meist
nur wöchentlich erscheint, wird in
Großstädten als überregionale Tageszeitung angeboten. Wie der Name
schon sagt, gratis. Durch die Auslage
in U-Bahn-Stationen und anderen
Orten mit hohem Personenaufkommen bedienen die Gratiszeitungen
vor allem Pendler und Berufstätige,
wichtige Zielgruppen für den Straßenverkauf der traditionellen Tageszeitungen.
Fazit: Die Krise als notwendiger
Schritt zur Innovation?
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Zeitungskrise keineswegs nur ein deutsches Problem ist.
Schwindende Anzeigenerlöse und
Verkaufszahlen, sowie die Abwanderung der Leser in die kostenlosen
Internetangebote sind auch über die
Grenzen hinaus verbreitet. Anders als
in Deutschland haben sich in französischen Großstädten Gratiszeitungen
wie 20 Minuten oder Metro inzwischen fest etabliert und verschärfen
die Krise für traditionelle Tageszeitungen. Um der Insolvenz zu entgehen, versuchen viele französische
Zeitungsverlage den schwierigen
Spagat zwischen finanzieller Unterstützung aus der Industrie und journalistischer Unabhängigkeit von den
Investoren und den Anzeigekunden.
Dieser mag mittelfristig wohl den
Ruin vieler gedruckter Blätter verhindern, mindert langfristig aber die
journalistische Qualität. Neue Anbieter wie Mediapart beweisen jedoch,
dass es möglich ist, erfolgreich aus
diesem Spiralprozess auszubrechen.
Vielleicht braucht es also erst eine
handfeste Krise um innovative Ideen
für eine erfolgreiche Mischung aus
hochwertigem Journalismus, einem
profitablen Erlösmodell und dem
richtigen Umgang mit den neuen Medien hervorzubringen. Für Frankreich
könnte dies ein Lichtblick auf dem
Weg aus der Krise bedeuten. Für den
deutschen Zeitungsmarkt bleibt zu
hoffen, dass nicht erst der Ausverkauf der Verlagshäuser notwendig
wird um den Sprung vom traditionellen Vertriebsmodell in eine innovative Zukunft zu wagen.
mitgehen lassen. +++ Man munkelt, Dekan Stefan Aufenanger meine, man hätte sich an die Eigenheiten der Jalousien des Georg-Forster-Gebäudes
Qualitative
36
embierie
Ideas, anyone?
Publizissimus-Redakteure und ihre Einschätzungen zur Zukunft der Zeitung - ausnahmsweise mal ganz subjektiv
Auch wenn ich mich gerne online über aktuelle Nachrichten informiere,
würde mir die gedruckte Zeitung fehlen. Ab und zu braucht man einfach
eine Ausgabe, die man in der Hand halten kann. Eine Zeitung, für die ich
bezahlen würde, muss eine klare und einfach verständliche Sprache für
Jedermann aufweisen. Hintergründe müssen weiter ausgeführt und Fachausdrücke aus Politik und Wirtschaft auch mal erklärt werden. Da mich vor
allem das Kulturressort interessiert, müsste dieser in meiner Wunschzeitung natürlich verstärkt Beachtung finden.
- Franziska Breininger
Der Begriff „Zeitungskrise“ ist meiner Ansicht nach nicht ganz richtig. Klar, Auflagen und Anzeigenerlöse sinken.
Dennoch ist weniger das bedruckte Papier in einer Krise, sondern vielmehr die Nachrichteninformationen, die auf
diesem gedruckt werden. Der Grund: Das Internet hat aus Nachrichteninformationen einen stetigen Prozess ohne
Stillstand gemacht. Nachrichten sind heute „im flow“, wie man so schön sagt. Am besten kann man diesen prozesshaften Nachrichtencharakter bei den unzähligen Nachrichten-Tickern beobachten, die mittlerweile zum Standartrepertoire aller (Internet-)Medien gehören und rund um die Uhr den Leser über neue Entwicklungen informieren. Die
statische Berichterstattung eines Print-Erzeugnisses kann da nicht mithalten. Sobald sie aus der Druckerei kommt,
schafft sie einen 24-stündigen Stillstand, der mit den heutigen Konsumgewohnheiten der Leser nicht vereinbar
scheint. Sie friert das Weltgeschehen ein – und das könnte der Zeitung zum Verhängnis werden. Eine statische
Berichterstattung müssen zukünftige Zeitungen vermeiden. Es sei denn, unsere, durch das Internet beschleunigte,
Gesellschaft sehnt sich irgendwann nach Entschleunigung. Dann könnte die bedruckte Zeitung wieder auftrumpfen.
- Giuseppe Rondinella
gewöhnt. +++ Man munkelt, bei der Eröffnung des GFG habe man die Raucher vertrieben, um einen guten Eindruck zu machen. +++ Man munkelt,
Qualitative
37
embierie
Ich glaube nicht, dass es in der Zukunft nur noch
Online-Nachrichten geben wird. Stattdessen werden die Zeitungen einfach immer mehr werden wie
das Internet. In die Seiten werden winzige knickbare LEDs eingearbeitet werden, die bewegte Bilder
und kurze Videos abspielen können. Außerdem
wird das Papier mit Sensoren ausgestattet sein, die
Berührungen erkennen. Wenn den Leser etwas besonders interessiert, kann er auf einen Link tippen
und schon wird das mit der Zeitung verbundene
Smartphone oder Tablet reagieren. Es wird kein Altpapier mehr anfallen, was außerordentlich umweltschonend ist, denn jeden Tag wird sich das Papier
von selbst mit den neuesten Nachrichten füllen (vorausgesetzt man zahlt einen gewissen Betrag über
sein Smartphone). Das Gefühl einer Zeitung bleibt
damit erhalten! Zum Misten der Meerschweinchenkäfige wird man sich jedoch leider eines neuen Materials bedienen müssen.
- Miriam Pontius
Die Zeitung der Zukunft stelle ich mir leider nicht mehr auf Papier vor. Ich denke,
es wird irgendwann ein Bezahlmodell für Apps auf dem Handy oder vor allem für
Tablet-Anwendungen geben, mit dem sich viele Leser anfreunden werden können.
Ich kann mir auch vorstellen, dass sich so jeder seine „eigene“ Zeitung basteln
können wird, genau mit den Berichten, die ihn interessieren.
- Lorenz Harst
In Zukunft bezieht nur noch ein elitärer Kreis gedruckte (Wochen-)Zeitungen. Zuweilen können sich auch nur auf das Lokale beschränkte Zeitungen mit Kleinstauflage wie das Harbuger Blatt durchsetzen. Der Großteil der Zeitungen jedoch wird
substitutiv online vertrieben und mobil genutzt. Es wird seine Zeit dauern, aber
dann wird der Geburtsfehler der Online-Zeitungen, nämlich, dass sie kostenlos genutzt werden können, korrigiert. Hauptsächlich setzen sich Freemium-Preismodelle
durch. Die Platzierung der Nachrichten geschieht individuell nach den Bedürfnissen
der Nutzer. Dieses Customizing steigert die Attraktivität der Online-Zeitungen und
erhöht die Anzeigenkosten, schadet aber auch der Meinungsvielfalt.
- Pascal Schneiders
Für mich muss die Zeitung von morgen nicht zwangsläufig digital sein. Ich
bin der Meinung, dass die gedruckte Zeitung ihren ganz eigenen Reiz hat.
In der Zeitung von morgen möchte ich von aktuellen Themen lesen, die die
Welt bewegen. Mich interessieren aber auch lokale Nachrichten aus meiner
Region. Neben einer Zeitung, die mich sachlich informiert, würde ich mir
aber auch Berichte über Reisen, Filmneuigkeiten und Neuheiten, die im
Alltag nützlich sind, wünschen.
- Julia Schäfer
Oliver Quiring wollte sich beim Fotoshooting von Doris Ahnen, Malu Dreyer und Georg Krausch in den Hintergrund drängen und photobomben. +++ Man
Die
38
autoren
Wie es sich für waschechte Publizistikstudenten gehört, sind unsere Autoren sowohl medien- als auch informationsaffin. Doch woher
beziehen sie eigentlich am liebsten ihr täglich Brot an Information?
Estelle Allali
. . . hat ihr Studium in Mainz am IfP begonnen und erst einmal Publizistik und
Romanistik studiert. Ab dem kommenden Semester sollen es aber Ethnologie
und Wirtschaftswissenschaften werden.
In Sachen Information verlässt sie sich
ganz auf ihren Computer: Über das
aktuelle Weltgeschehen informiert sie
sich am liebsten über das stationäre
Internet.
Nicole Ioussim
. . . studiert Publizistik und Soziologie
im ersten Semester und hat für ihren
Einblick in die Publizissimus-Geschichte
„Vor 30 Jahren“ direkt in die Tasten
gehauen. Ihr Lieblingsmedium ist und
bleibt die Zeitung, weil sie findet, dass
nichts das Gefühl, eine echte Zeitung in
den Händen zu halten, ersetzen kann.
Als loyale Wiesbadenerin gibt es für sie
nur ein Medium, nämlich den Wiesbadener Kurier.
Franziska Breininger
… studiert Publizistik und British Studies im ersten Semester. Kein Festival,
kein Konzert ist vor ihr sicher und als
begeisterte Musikhörerin darf natürlich das Radio auf keinen Fall fehlen.
Egal wo, egal wann, Musik läuft immer,
öfter auch mal von schiefem Gesang begleitet. Zusammen mit Julia hat sie bei
ihrem ersten Publizissimus-Einsatz nicht
lange gezögert und sich um die Titelgeschichte zur Zeitungskrise gekümmert.
Die neuesten Entwicklungen in der internationalen Zeitungsbranche haben
die beiden für Euch zusammengefasst.
Peter Mertes
… hat auch zum ersten Mal beim
Publizissimus mitgewirkt. Er studiert
Publizistik und Geschichte im zweiten
Semester. Warum das Radio sein Lieblingsmedium ist? Neben den Nachrichten, die jedes Medium liefert, bringt das
Radio auch noch die beste Unterhaltung.
Wären da bloß nicht diese schrecklichen
Morningshows auf einigen Sendern...
Als großer Satirefan zitiert er gerne
Dieter Hildebrandt: „Die Satiriker sind
die wahren Realisten – die Politiker die
irren Utopisten.“
Lorenz Harst
. . . ist zum vierten Mal beim Publizissimus dabei und somit schon ein ganz
alter Hase. In dieser Ausgabe hat er
Frau Prof. Dr. Stark und Herrn Prof. Dr.
Reinecke zur Zeitungskrise befragt und
zusammen mit Giuseppe seine Eindrücke von dem Beusch bei der BBC geschildert. Sein Lieblingsmedium ist und
bleibt kicker.de in seiner allerreinsten
Form - auf dem PC. Ganz einfach, weil er
zahlenlastige, trockene Fußballberichterstattung liebt.
Elisabeth Neuhaus
… hat für diese Ausgabe die Auswirkungen der Printkrise vor der Haustür untersucht und unter anderem mit
der Redaktionsleiterin der mittlerweile eingestellten Mainzer RheinZeitung gesprochen. Sie studiert
Publizistik und American Studies im
vierten Semester. Beim Publizissimus
hat sie zum dritten Mal mitgemischt.
Am liebsten informiert sie sich über
die Spiegel Online App, die sie am Tag
gefühlte 178 Mal öffnet.
munkelt, er wolle insgeheim wieder Munkler-König werden. +++ Man munkelt, Christine Meltzer meine, alles was kostenlos ist, schmeckt. +++ Man
Die
39
autoren
Miriam Pontius
. . . beschreibt sich selbst als verwirrte
Publizistik-Anfängerin und Mainz-Unkundige. Weil die Hosentaschen an Skinny Jeans für eine gedruckte Zeitung zu
klein sind, wurde jenes lästig brummende Gerät, das Handy, von ihr zum Nachrichtenmedium Nummer Eins auserkoren. Außerdem war es nie leichter, seine
Freunde spontan mit witzigen Bildchen
von misslungenem Essen zu erfreuen!
Sie hat den BILDblog porträtiert und war
für Euch im Gutenberg-Museum.
Giuseppe Rondinella
. . . studiert im sechtsen Semester
Publizistik und Soziologie und ist seit
zwei Jahren dabei. In dieser Ausgabe
hat er sich mit einem ehemaligen FRJournalisten getroffen und imit ihm
über seine neuen PR-Tätigkeiten gesprochen. Das liegt nahe, schließlich ist
die Frankfurter Rundschau auch sein
Lieblingsmedium, aus dem er seine
täglichen Infos bezieht. Außerdem hat
er sich mit der scheinbaren Krise des
linearen Fernsehns beschäftigt.
Jakob Reifenberger
. . . ist zum ersten Mal für den Publizissimus aktiv, obwohl er bereits im sechsten Semester Publizistik und British
Studies studiert. Er berichtet in dieser
Ausgabe über die Erfahrungen während
seines Praktikums in London. Über das
aktuelle Geschehen informiert er sich
ausschließlich im Faktenmagazin TITANIC, zu Satirezwecken greift er jedoch
manchmal auch zu Welt und Focus.
Julia Schäfer
. . . studiert Publizistik und British Studies im ersten Semester. Begeistert von
Mode, liest sie jeden Monat die aktuelle
Ausgabe der Modezeitschrift „Joy“. Dadurch bleiben ihr die aktuellen Trends
nicht lange verborgen und auch in Sachen Stars, Lifestyle, Reisen und Kinohits ist sie immer auf dem Laufenden.
Ihr Publizissimus-Debüt ist die Titelgeschichte zur Zeitungskrise.
Unsere Auslandskorrespondenten:
Johannes Beckert
. . . studiert im siebten Semester Publizistik und Politikwissenschaft. In
dieser Ausgabe berichtet der CvD a.D.
aus Frankreich über die dortige Situation der Tagespresse. Selbst nach einer Flasche Burgunder Rotwein sieht
die Lage dort gar nicht mal so gut
aus. Die Zeitung der Zukunft sieht er
eher als multimedialen paid content
im Internet, der durch eine gedruckte
Ausgabe ergänzt wird.
Pascal Schneiders
. . . ist in diesem Semester unser Spanien-Korrespondent gewesen. Seine Quellen des täglichen Nachrichtenkonsums
sind meist die App und die Website
der tagesschau, sowie ZEIT ONLINE. Er
schätzt deren Aktualität, Mobilität und
Qualität. Und ihren Preis = 0. Schuldig
im Sinne der Anklage! Ein Zeitungsbonnement ist in Planung. Bisher liest er
Zeitungen nur, wenn er mal zu Hause
oder in einem Café ist. Oder auf seinen
Flieger wartet.
Den Publizissimus gibt´s auch auf Facebook.
Klickt auf Gefällt mir!
munkelt, der Herr von der LBB meine, beim Bau des Georg-Forster-Gebäudes sei terminlich alles perfekt gelaufen. +++ Man munkelt, ganz schön viel
Glosse
40
Petition für ein Publizistikstudium als Online-Spiel
Von Lorenz Harst
Ich beginne mit einem Appell: Lest von nun ab doch bitte die Campus-Beilage der FAZ. Mir spricht
man da als Student aus der Seele. Euch bestimmt auch, wenn ihr zum Bei-spiel mal den Artikel
„Spielend durchs Studium“ (FAZ vom 4./5. Januar 2014, C4) auf-merksam lest.
Für die drei unter euch, die den Artikel nicht gelesen haben, nur so viel:
Darin beschreibt die Autorin sehr detailliert eine neue Lernplattform der
Uni Düsseldorf mit dem sprechenden
Namen „Legende von Zyren“. Zyren
ist eine fiktive Welt, in der, ähnlich
wie in Mittelerde, Elben, Zwerge,
Menschen und Orks mehr oder minder friedlich miteinander leben. Als
Student wählt man dann irgendein
Fantasiewesen aus und löst mit diesem Avatar verschiedenste Aufgaben,
um Punkte zu sammeln, höhere Level zu erreichen und die anfänglich
lumpige Kleidung gegen schillernde
Rüstungen zu tauschen. Hab ich was
vergessen? Oh ja, natürlich: Man
wartet natürlich nicht darauf, dass
ein gegnerischer Magier etwas Episches dropt, nein, das Ganze dient
dazu, den eher trockenen Stoff des
Moduls „Wissensrepräsentationen“
der Fachrichtung „Informationswissenschaft und Sprachtechnologie“
spannender zu gestalten. Das „Warum, zum schwarzen Hexenmeister
von Azeroth“ liefert uns die FAZ übrigens auch gleich, und hier wird es interessant. Die Studenten heutzutage
fänden den Stoff in seiner ursprünglichen Form viel zu langweilig, deshalb
hat man in Düsseldorf dieses an
Likes auf Facebook und Treuepunkte
bei dm erinnernde System aus den
USA übernommen. „Dass es nun nötig scheint, dass die Universität ihnen
Anreize zum Lernen verschafft, mit
der sonst saturierte Konsumenten
zum Kauf von Kaffeemaschinen oder
Flugreisen gebracht werden sollen,
zeigt, welcher Art die Motivation
scheinbar ist, die viele Studenten für
ihr Studium mitbringen.“ (ebd.)
Ja! Richtig! Genau so sieht es aus!
Ich meine, mal ganz ehrlich: Wir sind
doch alle ein bisschen Düsseldorfer Student der Sprachtechnologie,
oder? Also, ich stehe jetzt mal auf
und dazu: Wäre meine Bachelorarbeit
ein Online-Game, ich wäre locker mal
bei hundert Seiten und hätte ganz
nebenher auch schon einen Level Up
zum Master in Medienmanagement
gepackt. Schließlich hat die Autorin
recht, ich giere nach Facebook-Likes.
Wenn niemand das Statusbild meines
Mittagessens vor und nach dem Verzehr liked, verprügele ich den Level
dreizehn Nachtelf schon aus Prinzip
– mir doch egal, dass das vermutlich
ein elfjähriger Junge ist, der vor einem One-Direction-Plakat sitzt und
pro Tag maximal zwei Stunden zocken
darf. Wenn ich danach sein Schwert
aufsammeln kann und noch ein paar
Charakterpunkte dazu bekomme, ist
es mir das wert. Schließlich knalle ich
der Kassiererin ja sogar bei einem
Päckchen Kaugummis zu neunundsiebzig Cent meine Payback-Karte hin
und habe auch mein Postbank-Konto
nur, weil es einen Hundert-Euro-Zalando-Gutschein dazu gab. Wenn ich
also pro Seite Bachelorarbeit ein paar
Einheiten Gold und für fünf passende
Zitate das Schwert des Schicksals bekäme, käme jede Zeile meiner Arbeit
jetzt schon einer Überschrift gleich!
Und wenn Prof. Arnold dann auch noch
als weißer Zauberer in einer Phantasiewelt herumliefe, müssten wir uns
auch nicht ständig Mails schreiben,
und ich hätte einen Motivationsstatus von hundert Prozent. Mindestens!
Findet ihr komisch? Haltet ihr mich
jetzt für einen Nerd? Heuchler, sage
ich da nur. Stellt euch mal vor, es gäbe
Wilkes „Mediengeschichte“ als Gegenstand einer vierteiligen Quest in
der sagenhaften Welt von Noelletopia
und ihr müsstet, statt das Ding zu
lesen, einfach nur ein paar „Lückentexte und Multiple-Choice-Aufgaben“
(ebd.) knacken und bekämt dafür
euren Schein. Und dann sind da ja
noch „sogenannte Sidequestlines –
Zusatzaufgaben für die besonders
Fleißigen“ (ebd.) – also bitte, muss
ich noch mehr sagen? Ich frage mich
langsam, wann die Führung des IfP
endlich zu dem Schluss kommt, dass
es ohne fiktive Online-Welt anstelle des neuen Readers einfach nicht
mehr geht. Wir Studierenden „sind
[eben anders] nicht mehr zu motivieren“ (ebd.) und ich bin sicher, uns
erginge es genau wie der Studentin
Christine Meschede aus Düsseldorf,
die das Gamefication-Prinzip ziemlich abfeiert. Schließlich kann man
da auch in Gilden spielen, und das ist
natürlich deutlich besser als so eine
langweilige Lerngruppe mit drei anderen unmotivierten Kommilitonen.
„Man bereitet sich [nämlich] schon
allein dadurch besser vor, weil man
seine Gilde nicht im Stich lassen will.“
(ebd.) Na klar, ich habe ein paar hundert Freunde auf Facebook, wenn ich
jetzt noch Obi Wilkenobis Seminar mit
meiner Online-Gilde aus Noelletopia
abschließen kann, brauche ich im realen Leben echt keine mehr.
Bleibt nur noch die Frage nach der
Modulabschlussprüfung, die es aus
unerfindlichen Gründen in Düsseldorf noch nicht als Computerspiel
gibt. Offenbar hat Lehrstuhlinhaber
Wolfgang Stock noch nie was von
einem Endgegner gehört, aber die
FAZ hat ja trotzdem eine clevere Lösung parat, die zeigt, wie gut sie uns
Studenten kennt: Man könnte sich ja
„einen Notenbonus von 0,3 bis zu
einer ganzen Note erspielen“ (ebd).
Also dafür würde ich auch mal eine
typisch koreanische ZweiundsiebzigStunden-Session hinlegen, mit Pizza
und Redbull und allem. Ich bräuchte
dann allerdings noch eine Gilde. Also,
wer will mitmachen? Ihr könnt euch
euren Avatar auch aussuchen. Ich will
aber am liebsten ein Ork sein – der
hat eine große Streitaxt und mit der
bin ich immer so richtig motiviert!
Porno in dieser Ausgabe. +++ Man munkelt, dass gehe in Ordnung. +++ Man munkelt, Gregor Daschmann nehme auf dem Weg in sein Büro nur noch
den Hintereingang, um eine Konfrontation mit den Damen vom Prüfungsamt zu vermeiden. +++ Man munkelt, Publis wissen wer der Babo ist.