publizissimus - Fachschaftsrat Publizistik

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publizissimus - Fachschaftsrat Publizistik
Ausgabe Sommersemester 2014
publizissimus
IfP und Journalistisches Seminar:
Getrennte Wege?
MASTER-REFORM: Was sich für IfP-Studierende ändert
MAINZELBAHN: Zum jähen Aus einer Legende
REGENBOGENPRESSE: „topfvollgold“ im Interview
PUBLI-KICK: Joachim Löw und Mainzer Weltfußball
Man munkelt, das Georg-Forster-Gebäude mache überhaupt keinen Sinn. +++ Denn, so munkelt man, in manchen Büros werde es plötzlich
Editorial
3
Bild: Neuhaus
Ein Mainzer Fußballmärchen
Von Elisabeth Neuhaus
Liebe Leserinnen und Leser,
dieser Sommer steht im Zeichen des
Fußballs – und der Publizissimus
steht mitten drin. Als einziges deutsches Medium ist es uns gelungen,
einen Reporter in die heiligen Spielstätten eines Großturniers von internationaler Bedeutung zu schleusen.
Gemeint ist selbstverständlich die
diesjährige Ausgabe des Publi-Kicks,
bei dem einmal mehr Mannschaften
von Weltrang gegeneinander antraten.
Selbst ein von der WM genervter, sandiger Joachim Löw hat es sich nicht
nehmen lassen, dem Publizissimus
ein Interview zu geben und die vor
Neugier brennende Öffentlichkeit
über die hervorragende Qualität und
den Erfolg seines „Random Sample“Teams zu unterrichten. Auch exklu-
sives Bildmaterial des Turniers liegt
der Redaktion vor. Die dynamischsten
Schnappschüsse drahtig-durchtrainierter Spieler finden Sie auf Seite
37.
Nicht nur beim Sport ist die Publizissimus-Redaktion in den vergangenen
sechs Monaten am Ball geblieben.
Anfang dieses Jahres kündigte das
Journalistische Seminar an, die Nabelschnur durchtrennen und sich vom
IfP abspalten zu wollen. Was aus den
Plänen der Professoren Wolff und
Renner geworden ist und wie es um
das Verhältnis zwischen Georg-Forster-Gebäude und Domus Universitatis
heute steht, haben Lorenz und Giuseppe nachrecherchiert.
munikationswissenschaft, Unternehmenskommunikation und Medienmanagement greifen und 2015/2016
in Kraft treten. Johannes hat bei Ilka
Jakobs vom Studienbüro nachgehakt
und zusammengefasst, was sich für
wen ändert.
Zum Heulen: Schon jetzt trauert Pascal der 69 hinterher, deren Leben die
Mainzelbahn ein jähes Ende setzen
wird. Melancholisch blickt er zurück
auf wundervolle Jahre mit dem Hausund Hofchauffeur der Universität und
ist entsetzt, dass ein „langweiliger,
blecherner Wurm“ die geliebte Linie
ersetzen soll.
ruf auf das TV-Urgestein verfasst und
einen Blick auf die Geschichte der
Dino-Show geworfen.
Außerdem: Ein Interview mit dem
„topfvollgold“-Blogger Moritz Tschermak, zwei Praktikumsberichte aus
Fernsehen und Radio, Buzzfeed,
Google, Wein im Internet und ein
bisschen NSA.
Vorab schon mal ein Blick auf die Ergebnisse der Publi-Kick-Spiele 2014.
Mit einem glorreichen 7:1-Sieg kann
sich keine teilnehmende Mannschaft
brüsten. Aber klar, schließlich gibt es
in Mainz auch keine südamerikanischen Spaß-Mannschaften
Gewerkelt wird auch an den Masterstudiengängen des IfP: Umfassende
Reformen sollen in den Fächern Kom-
Es ist nicht der einzige Abschied in
diesem Heft. Auch „Wetten, dass..?“
soll noch in diesem Jahr vom samstäglichen Fernsehbildschirm verschwinden. Caroline hat einen Nach-
Publi-Kick 2014: Ergebnisse
ger (P), Weidenfeller
Tore: Brown (2), Kamin, Schneider
Abschlusstabelle
PU Bachelor – PU Master 1:1
Tore: Treuer – Strasser
PU Bachelor – PU Magister 0:1
Tore: Brown (P)
Bachelor – Random Sample 4:0
Tore: Fang, Treuer, Buchwald,
Makowski
Platz – Verein – Tore – Punkte
PU Magister – Random Sample
5:0
Tore: Johnen, Kamin (2), Leidin-
PU Master – Random Sample 0:1
Tore: Blankenagel
Magister – PU Master 4:0
Viel Spaß bei der Lektüre!
1 – PU Magister – 10:0 – 9
2 – PU Bachelor – 5:2 – 4
3 – Random Sample – 1:9 – 3
4 – PU Master – 1:6– 1
dunkel. +++ Man munkelt, der Geruch im Hörsaal 10 erinnere an Mottenkugeln aus Großmutters und Großvaters Zeiten. +++ Man munkelt,
Inhalt /
4
Impressum
Publizissimus Ausgabe 01/2014
Chefredaktion (Babos):
Lorenz Harst, Elisabeth Neuhaus,
Giuseppe Rondinella (V.i.S.d.P.)
Logo: Richard Lemke
Layout: Elisabeth Neuhaus,
Tobias Lentz
Titelbild: Elisabeth Neuhaus
Herausgeber: Fachschaftsrat
Publizistik
Auflage: 700
Druck: Zentraldruckerei (Universität Mainz) mit freundlicher
Unterstützung des ZeFaR
Redaktionsadresse:
Publizissimus-Redaktion
c/o Fachschaftsrat Publizistik
Universität Mainz / Georg-Forster-Gebäude
Jakob-Welder-Weg 12
55099 Mainz
Leserbriefe, Anmerkungen
und Kritik bitte an:
[email protected]
impressum
Inhaltsverzeichnis
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4
Editorial:
Impressum | Inhaltsverzeichnis
5
Im Publizissmus vor 30 Jahren:
Dalli Dalli, Bla Bla und Di Dudel Dum
6
8
10
12
IfP vs. Journalistisches Seminar: Wenn sich
Professoren streiten
Neu am Institut: Christian Schemer
Master Reform: Master Desaster?
Mainzelbahn: Endhaltestelle Hindemithstraße oder: Der Tag der toten 69
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Medien in den Medien: Zerfledderte Goldblätter. Ein Interview mit den Machern vom „topfvollgold“-Blog
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Buzzfeed: „Waking up was the second hardest thing in the morning“
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Publizissimus-Preis: Richard Lemke
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Abgehört: Privatsphäre - Do it yourself!
Abgehört – Gastbeitrag: „Prism“ statt Privacy?
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Praktikumsbericht I: Hessischer Rundfunk
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Fußball-TV: Irgendwas mit Fernsehen
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Praktikumsbericht II: Ein echtes Journalistenpraktikum bei Klassikradio
Kommentar: Generation Praktikum
Autoren:
Matthias Baumarth, Johannes
Beckert, Natalie Eichinger, Lorenz
Harst, Elisabeth Neuhaus, Franziska Pröll, Giuseppe Rondinella,
Robin Schäfer, Pascal Schneiders,
Caroline Wiemann
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Journaille: Wein-Tageszeitung Captain Cork
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Nachruf „Wetten, dass..?“:
Streber Lanz und der Untergang eines deutschen
TV-Urgesteins
Gastautoren:
Prof. Dr. Leonard Reinecke
Markus Schäfer
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Publi-Kick 2014: Triumphzug der verlorenen Generation
Phantomtor-Plädoyer: Ein Phantomtor und die Macht sozialer Kontrolle
Publi-Kick 2014: Impressionen
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Online-Uni: MOOCs – große Blase oder große Zukunft?
Alumni berichten: „Jede Woche eine neue Welt“
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Die Autoren: ...und ihr Lieblingsmedium
42:
Glosse: Wir brauchen Google Environment!
Erich Lamps Buch „Die Macht öffentlicher Meinung“ (Wie heißt nochmal der Verlag? Ach ja, Olzog) lese sich ganz gut. +++ Man munkelt, die
Vor 30
5
jahren
Bild: Archiv
Dalli Dalli, Bla Bla und
Di Dudel Dum
Von Elisabeth Neuhaus
Wir schreiben das Jahr 1984. Gerade
hat das erste Kabelfernsehprojekt
der Bundesrepublik seinen Pilotbetrieb aufgenommen und die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben
sich darauf geeinigt, am Satellitenfernsehen auch private Programmanbieter zu beteiligen. Für die Publizistikwissenschaft ist es ein durchaus
geschichtsträchtiges Jahr, denn es
markiert den Beginn einer Koexistenz von öffentlichem und privatem
Rundfunk. Es ist das Geburtsjahr des
dualen Rundfunksystems. Nicht alle
aber sind begeistert von der medialen Niederkunft auf den Fernsehbildschirmen der Nation.
Private Bedrohung aus dem
Wohnzimmer
Kein Grund zum Feiern, urteilt etwa
das Mainzer Institut für Publizistik. Ein skeptischer Hans Mathias
Kepplinger vergleicht die Einführung
von Privatsendern, den „Neuen Medien“, mit der Einführung des ersten
Personenkraftwagens. Im Rahmen
eines Kurzreferats, so der Publizissimus-Autor, habe Kepplinger deutlich
machen wollen, dass die „neuen Karren“ der Bevölkerung nichts als Ärger
eingebracht hätten. Dass die aktuelle
Bedrohung nicht mehr auf der Straße,
sondern im Wohnzimmer lauert, findet auch der Autor des Textes: „Was
[…] Kommerzfunk, […] Dalli-Dalli,
Bla Bla und Di Dudel Dum mit offener
Gesellschaft zu tun haben soll[en] ist
mir schleierhaft“.
Ja, Kepplinger scheint in jener Ausgabe im Zentrum der Berichterstattung
zu stehen. So erlaubt sich ein Redakteur, die Antrittsvorlesung des Professors auseinanderzunehmen. Der
Autor kritisiert die Einfachheit der
von Kepplinger propagierten Ansätze
(„…des Herrn Professors Theorien
ließen sich grafisch mittels zweier
Bezugsobjekte und einem einzigen
dazwischen befindlichen Pfeil darstellen.“). Auch der Spiegel sei in ein
unerhört schlechtes Licht gerückt und
als „sogenanntes Prestige-Medium“
verunglimpft worden. Ob da wohl die
politischen Einschläge von konservativem Professor und links-liberalem
Studenten aufeinander geprallt waren?
Enthüllungsjournalismus und
der Untergang des Abendlandes
Überhaupt zeichne sich Kepplinger
durch einen Hang zur Eindimensionalität aus und verkaufe wissenschaftlich kaum nachweisbare
Theorien als Tatsachen. So habe er
den investigativen Journalismus
zur Staatsbedrohung hochstilisiert,
weil die Menschen den Organen des
Gemeinwesens zunehmend weniger
vertrauten. An diesem Vertrauensverlust, so Kepplinger, seien nicht
etwa diejenigen Schuld, denen man
nach Skandalen und Affären nicht
mehr glauben könnte, sondern diejenigen, die sich diesen Geschichten
annähmen und die Öffentlichkeit
darüber informierten. Investigative
Reporter litten am „NestbeschmutzerSyndrom“. „Enthüllungsjournalismus
schädigt Staat“, so formuliert es der
Autor des Artikels in einer handgezeichneten Infografik am Ende des
Beitrags mit einem Augenzwinkern.
Die beiden Bezugsobjekte verbindet
ein Pfeil. Das war’s.
Wer wird denn da gleich nöllen?
Wir schreiben noch immer das Jahr
1984. Vor kurzem ist bekannt geworden, dass der stellvertretende
NATO-Oberbefehlshaber
General
Günter Kießling vom Bundesverteidigungsministerium in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden ist.
Wegen seiner Homosexualität sei
der General zu einem Sicherheitsrisiko geworden. Dabei beruft sich das
Ministerium auf einen Bericht des
Militärischen Abwehrdienstes (MAD),
in dem General Kießling Kontakte zur
Homosexuellen-Szene nachgesagt
werden. Den Fall nehmen sich die Publizissimus-Redakteure zum Anlass,
auf die Diskriminierung von Homosexuellen hinzuweisen. Bundeskanzler
Helmut Kohl hatte sich zuvor gegen
die Abschaffung der schwulenfeindlichen Passage im Strafgesetzbuch
ausgesprochen – und ließ sich wie
folgt zitieren: „Ich bin der Kanzler
aller Deutschen, nicht aller Homosexuellen.“ Erfreulicherweise gibt sich
der Publizissimus homophil und ein
gewisser Armin Hein fordert: „Weg
mit dem Paragraph 175!“
Auf der letzten Seite schlüsselt ein
kleines Wörterbuch die wichtigsten
Begriffe auf, die ein Mainzer Publizistik-Student wissen muss: „Donsen“
bedeutet, aus dünnen Zahlen viel zu
machen. „Keppen“ ist immer dann
richtig, wenn jemand aus noch dünneren Zahlen noch mehr macht. Derweil
schustern „Nöllende“ aus dünnen
Studien Wahlprogramme zusammen.
Und einer, der „rickt“, interpretiert
neue Mediengesetze.
Zum Abschluss der Ausgabe wird
gemunkelt, was das Zeug hält. Allein
der Begriff „Munkler“ hat sich noch
nicht durchsetzen können. Und so ist
sich der Publizissimus in jenem fernsehgeschichtlichen Jahr sicher, „in
Kepplingers Rubrik ‚Prestige-Medien‘
eingeordnet zu werden“.
Medienbranche sei ein einziger Sklaventreiber-Verein. +++ Man munkelt, auch in festen Liebesbeziehungen konsumierten die Männer noch
6
Ifp
vs. journalistisches seminar
Wenn sich Professoren
streiten
Von Lorenz Harst und Giuseppe Rondinella
Das Journalistische Seminar wollte aus
dem IfP austreten. Warum? Die Verantwortlichen beider Seiten tragen nicht viel
zur Aufklärung bei. Stattdessen herrscht
Informationssperre. Die Leittragenden
sind die Studierenden.
Abspaltung – Ja oder Nein? Bild: Neuhaus
In Berlin gehört es für einen gestandenen Politiker längst zum guten Ton,
sich sogenannte Freundeskreise zu
unterhalten. Wem der Begriff nicht
geläufig ist, dem sei gesagt: Es geht
um den erlauchten Kreis von Journalisten, der sich ständig im näheren
Umfeld eines führenden Politikers
bewegen darf und außerdem noch
Exklusivinformationen erhält.
Im Januar dieses Jahres haben wir
ähnliche Erfahrungen gemacht. Zwischen Aufzugtür und Angel plauderte
Prof. Daschmann gegenüber seinem
ganz persönlichen Freundeskreis ein
bisschen aus dem Nähkästchen. Mit
einem Stapel frisch gedruckter Wintersemester-Publizissimus-Exemplare unter dem Arm erfuhren wir von
einem schwerwiegenden Richtungsstreit zwischen IfP und Journalistischem Seminar und waren plötzlich
ganz traurig, so früh in Druck gegangen zu sein. Hätten wir die Infos ein
paar Tage früher erhalten, hätten wir
die Story längst veröffentlicht.
Es wäre allerdings fahrlässig nun zu
behaupten, wir könnten alle offenen
Fragen ein für alle Mal klären, denn
dazu fehlen uns leider selbst nach
langer Recherche immer noch wichtige Informationen. Das Problem ist,
dass Prof. Daschmanns anfängliche
Redseligkeit in Schweigen umgeschlagen ist. Und so verhält es sich bei nahezu allen Verantwortlichen.
Nochmal von vorne
Worum geht es eigentlich? Eines
gleich vorneweg: Wir würden diese
Geschichte nicht erzählen, wenn Sie
nicht die Studierenden beider Institute beträfe. Ungefähr zur selben Zeit
als wir diese wertvollen Insiderinformationen zu Ohren bekamen, lagen
IfP und Journalistisches Seminar offensichtlich schon längere Zeit in heftigem Clinch und streiten möglicherweise noch heute. Damals allerdings
war der Ton so scharf, dass sich die
beiden Journalistik-Professoren Renner und Wolff genötigt sahen, in einer Presseerklärung den Austritt des
Seminars aus der Zusammenarbeit
mit dem IfP anzukündigen. Warum?
Offenbar hegte man unter den
Journalisten im Domus Universitatis schon länger die Hoffnung, das
Nebenfach „Audiovisuelles Publizieren“ in ein eigenständiges Kernfach
umwandeln zu können, denn mit
einem Schattendasein als Beifach
unter dem Dach der Publizistik war
man scheinbar nicht mehr zufrie-
den. Laut Prof. Daschmann ein Ding
der Unmöglichkeit: Auf persönliche
Nachfrage des Publizissimus ließ er
zumindest anklingen, dass dazu die
finanziellen und strukturellen Möglichkeiten fehlen würden. Weiterer
Streitpunkt war die Besetzung des in
Kürze vakant werdenden Stuhls von
Prof. Wolff am Journalistischen Seminar. Während man sich von Seiten der
Journalisten einen Dozenten mit umfangreicher Praxiserfahrung, möglichst auch in leitender Position eines
Medienunternehmens, wünschte, lag
der Fokus der Auswahl seitens des
Instituts eher auf einer forschenden
Professur. Nach Aussage der Professoren Renner und Wolff in der oben
angesprochenen Presseerklärung
„ein massiver Eingriff in die innere
Belange der Mainzer Journalistik.“
Pressestelle feuert mit leeren
PR-Hülsen
So weit, so unklar. Die beteiligten
Verantwortlichen üben sich in Schweigen. Ob das nun eigener Antrieb ist,
oder, was fast schon plausibler erscheint, von weiter oben kommt, ist
an dieser Stelle reine Spekulatuon.
Eines zumindest ist sicher: Anstatt
auf unsere Anfragen direkt zu antworten, verwiesen uns Daschmann,
Renner und Co. auf die Pressestelle
der Universität Mainz. Von deren Chefin Petra Giegerich stammen folgende
„Informationen“:
„Ich bitte um Verständnis, dass wir
interne Diskussionen, die im Rahmen allfälliger Meinungsbildungsprozesse innerhalb der Universität
stattfinden, nicht kommentieren.
Davon abgesehen, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz unterzieht
all ihre Studiengänge im Rahmen der
gesetzlich vorgeschriebenen Akkreditierung in regelmäßigen Abständen
einer Qualitätsprüfung, um sie bei
Bedarf zu modifizieren […]. In diese Prozesse sind die Studierenden
selbstverständlich auf allen Ebenen
einbezogen. Entsprechende Beratungen im Hinblick auf die Studiengänge
des Instituts für Publizistik haben in
jüngster Vergangenheit nicht stattgefunden.“
Danke für nichts!
Gott sei Dank hat zu unseren Studienzeiten die Zusammenarbeit beider
Lehrstühle noch funktioniert, sodass
wir bei Prof. Wolff lernen konnten,
wie man eine bloße PR-Meldung als
solche erkennt. Wenn man versucht,
die leeren Hülsen mit Leben zu füllen,
schmutzige Filmchen. +++ Man munkelt, Thommy sei der Boss. +++ Man munkelt, Prof. Quiring übe regelmäßig Gitarre in seinem Büro. +++
Ifp
vs. journalistisches seminar
macht die Meldung zumindest eines
deutlich: Für die Universitätsleitung
hat der Streit so nie stattgefunden.
Das wiederum steht allerdings in
krassem Widerspruch zu dem Gestus der ursprünglichen Meldung vom
29. Januar, wonach die Leitung des
Journalistischen Seminars tatsächlich
den Austritt aus der Kooperation mit
dem IfP geprüft hatte und sogar bereits auf der Suche nach einem neuen
Dachinstitut war. Damals schon klang
allerdings an, dass ein solcher Austritt nicht so ohne Weiteres möglich
ist: „Im Zuge der inneruniversitären
Demokratie erfolgt die Zuordnung
von Professuren zu einem Institut
aufgrund der Organisationsregelung
des jeweiligen Instituts, die auf Antrag des Fachbereichs vom Senat verabschiedet wird und somit auch nur
von diesen Gremien wieder geändert
werden kann“, erklärte Giegerich damals unseren Kollegen von Campus
Mainz. Auf Campus Mainz müssen
wir uns an dieser Stelle verlassen,
was nicht nur an der mangelnden
Auskunftsfreudigkeit der Entscheidungsträger liegt, sondern auch
daran, dass die ursprüngliche Pres-
Auf Granit
gebissen
Ein Kommentar von Lorenz
Harst und Giuseppe
Rondinella
Vielleicht dachte ja jemand, wir
würden es vergessen. Dieses kurze
Gespräch im Treppenhaus des GeorgForster-Gebäudes, so beiläufig steckte man uns die Informationen zu.
Oder vielleicht nahm an auch an, ein
halbes Jahr später hätten wir andere
Themen auf unserer Agenda. Nun ja,
wir konnten uns noch erinnern. Und
wir sind auch heute, ein halbes Jahr
semitteilung mittlerweile im Internet
nicht mehr zu finden ist. Sowohl auf
der Homepage des Instituts als auch
auf der des Seminars wurde sie offensichtlich gelöscht.
Dünne Informationslage
Um von ihr nähere Informationen zu
bekommen, übermittelten wir schriftlich Fragen nach dem Ausgangspunkt
der Meinungsverschiedenheiten, den
verschiedenen Positionen und vor
allem nach den Folgen für die Studierenden an beiden Lehrstühlen.
Nicht nur Giegerich versteift sich allerdings auf PR-Floskeln. Auf Anfrage des Publizissimus halten sich auch
die einzelnen Kontrahenten von IfP
und Seminar auffallend bedeckt. So
schrieb beispielsweise Prof. Renner,
er sei „der Universität gegenüber im
Wort, dass in dieser Angelegenheit
allein die Pressestelle der Universität
Auskünfte erteilt.“ Viel mehr bekamen wir auch aus Prof. Daschmann
nicht heraus. „Derzeitiger Sachstand
ist, dass Journalitik und Publizistik
– nach einer Phase durchaus fruchtbarer Meinungsverschiedenheiten
– wieder vollständige Einigkeit über
die Ziele und Strategien des IfP im
Zusammenhang mit der Zukunft des
Journalistischen Seminars hergestellt
haben“, heißt es in einer Mail von
ihm, der außerdem ein Verweis auf
Frau Giegerich von der Pressestelle
beiliegt.
Denn die Aussage Frau Giegerichs, „In
diese Prozesse sind die Studierenden
selbstverständlich auf allen Ebenen
einbezogen“, können wir so leider
nicht stützen. Wie uns ein Studierender des Beifachs Audiovisuelles Publizieren auf Nachfrage mitteilt, war
die Umwandlung zu einem Kernfach
in Studierendenkreisen vorher nicht
bekannt, kam vielmehr „sehr überraschend“. Stattdessen wurden laut
unserer Quelle die Studierenden vor
vollendete Tatsachen gestellt, indem
man ihnen den Austritt aus dem IfP
verkündete, um ihn wenig später zu
revidieren. Immerhin bekannt war
allerdings schon zuvor auch den Studierenden, dass sich das Journalistische Seminar „bei den Planungen des
Instituts für Publizistik nicht ausreichend berücksichtigt fühlte“.
später, noch der Meinung, dass Ihr
als Studierende und somit Betroffene das Recht habt, die Wahrheit über
den Streit zwischen IfP und Journalistischem Seminar zu erfahren. Leider
sehen die Entscheidungsträger das
anders. Mit unseren Anfragen haben
wir, wie es so schön heißt, auf Granit
gebissen.
derzusetzen (siehe PublizissimusAusgabe Sommer 2013), kommen wir
offensichtlich, so lässt die positive
Resonanz vermuten, gerade recht.
Wenn wir Wohlfühljournalismus für
die Studierenden betreiben und sexy
facts zu den Baumaßnahmen am
Georg-Forster-Gebäude liefern, dann
lädt man uns gerne zu Sprechstunden ein. Packen wir jedoch, wie es
zur journalistischen Ethik gehört, ein
kontroverses Thema an, werden die
Schotten plötzlich dicht gemacht.
Das wirft die Frage auf, welchen Stellenwert der Publizissimus als Sprachrohr der Studierenden nun eigentlich
hat. Denn eines scheint sicher: Wenn
es darum geht, wie in Sachen Noelle, die Kohlen aus dem Feuer zu holen und sich mit den zweifelhaften
Aussagen Jörg Beckers so unvoreingenommen wie möglich auseinan-
Dabei wollen wir genau das sein: Ein
Sprachrohr, das einerseits die Belange der Studierenden aufgreift und sie
der Führungsetage kommuniziert,
andererseits aber deren Entschei-
7
Dass Studierende zu Belangen ihrer
Studienordnung allerdings sowohl
eine Meinung haben, belegt unsere
Anfrage auch. So äußerte sich derselbe Studierende, er „persönlich
fände es in Ordnung, dass es bei dem
ursprünglichen Beifach AVP bleibt“.
Dieses bringe zwar in Kombination
mit den beiden Hauptfächern Publizistik und Filmwissenschaft „einen
vergleichsweise hohen Aufwand“
mit sich, sei seiner Ansicht nach aber
auch weiterhin die richtige Lösung.
Abschließend nur so viel: Es scheint
zwar richtig, dass der gesamte
Vorgang die Studierenden in ihrem
Studienalltag nicht beeinträchtigt
hat. Dennoch kamen sie im Entscheidungsprozess kaum zu Wort. Genauso wenig können wir an dieser Stelle
sagen, worin die von Prof. Daschmann
vermeldete „vollständige Einigkeit
über die Ziele und Strategien des IfP
im Zusammenhang mit der Zukunft
des Journalistischen Seminars“ bestehen soll.
dungen transparenter macht. So sieht
es die Scharnierfunktion der Medien
schließlich vor. Dazu aber benötigen
wir echte Informationen, wie wir sie
in diesem Falle leider nur von Seiten
der Studierenden, nicht aber von den
Entscheidungsträgern bekommen
haben. Und so sind wir gezwungen,
aus dem Wenigen, was wir haben,
so viele Informationen wie möglich
zu ziehen. Das ist für jeden angehenden Journalisten natürlich eine
schöne Übung. Gleichzeitig sind wir
aber auch um eine Erfahrung reicher,
die uns sicher in Zukunft helfen wird:
Manchmal beißt man einfach auf Granit.
Man munkelt weiter, er feile an seinem Comeback als Rockstar. +++ Man munkelt außerdem, er würde dieses – angespornt von der letztjähri-
8
Neu
am institut
Bild: Pröll
„Die Medienwirkungsforschung war schon immer
mein Leib- und Magenthema“
Von Franziska Pröll
Beworben, berufen, bereit für neue Aufgaben am IfP: Christian Schemer ist der Nachfolger von
Jürgen Wilke und besetzt seit Februar die Professur für Allgemeine Kommunikationswissenschaft.
Publizissimus-Autorin Franziska Pröll hat ihn zum Interview getroffen.
Publizissimus: Als Professor stehen Sie nun „auf der anderen
Seite“. Denken Sie noch gern an
Ihre Studentenzeit hier am IfP
zurück? Gab es ein Highlight?
Schemer: An meine Studentenzeit
denke ich sicherlich zurück. Das war
eine sehr bewegende Zeit. Ich erinnere mich, dass sie mit einem großen
Studierendenstreik anfing. Er fand im
Wintersemester 96/97 statt, in dem
ich hier begonnen habe. Es ging um
die Erhöhung von Semesterbeiträgen,
Größe von Räumen – Themen, wie
wir sie auch heute haben. Damals
haben viele gestreikt, heute macht
das irgendwie niemand mehr so
richtig. Ich fand das beeindruckend.
Bevor man sich an der Uni auskannte und wusste, um was es eigentlich
ging, ist man in diesen Streik-Strudel
hineingezogen worden. Das war wohl
das prägendste Ereignis aus der Anfangszeit.
Haben Sie Jürgen Wilke, dem sie
nun folgen, selbst erlebt?
Ich habe ihn in einer Vorlesung zur
Mediengeschichte erlebt. Aber ich
muss sagen, mein Leib- und Magenthema war eigentlich immer
schon die Medienwirkungsforschung.
Damals – zu Magisterzeiten – kam
man doch um manche Veranstaltungen herum, so dass ich eigentlich
eher bei Vorlesungen und in Kursen
anderer Personen gelandet bin.
Wann ist Ihnen denn klar geworden, dass Sie wissenschaftlich arbeiten möchten? Gab es
eine Art „Schlüsselerlebnis“?
Ich glaube, so richtig ist dieser
Wunsch mit der Magisterarbeit entstanden, bei der man sich vertieft
und allein mit einem wissenschaftlichen Gegenstand auseinandersetzt.
Trotz aller Isolation und Verlorenheitsgefühle empfand ich es als
bereichernd, einem Thema auf den
Grund zu gehen. Das war das Schlüsselerlebnis bzw. der Prozess, bei dem
ich gemerkt habe: Das macht mir
Spaß und das kann ich mir sehr gut
vorstellen. Direkt nach dem Studium
habe ich ein Jahr bei „PRIMEresearch“
in Mainz gearbeitet. Dort habe ich
gen Performance seiner Kollegen – bei der Riverboat Shuffle geben. +++ Man munkelt, Prof. Daschmann verstünde nicht, warum Frauen so auf
Neu
9
am institut
gemerkt, dass ich die wissenschaftliche Forschung, so wie ich sie mir
wünsche, nicht ausleben kann. Denn
die Kunden determinieren, was man
untersucht. Ich finde es jedoch interessanter, selbstbestimmt zu forschen.
In Ihrer Magisterarbeit haben
Sie sich mit der Wirkung von
weiblicher Attraktivität in den
Medien auf das Körperbild von
Frauen befasst. Wie sind Sie auf
dieses Thema gekommen?
Mit diesem Thema habe ich mich
näher auseinandergesetzt, als ich
ein halbes Jahr lang im Auslandssemester in Bordeaux war. Zu dieser
Zeit hat das Thema geboomt und der
Fokus der Forschung lag stark auf
weiblichen Körperbildern und den
Schönheitsidealen, die Frauen medial
vermittelt werden. Die Quintessenz
dieser Forschung war, dass medial
vermittelte Schönheitsideale eher
einen Effekt bei der weiblichen als
bei der männlichen Zuschauerschaft
hinterlassen. Deshalb habe ich mich
auf dieses Thema fokussiert – auch
aus pragmatischen Gründen, denn es
wäre wissenschaftlich wesentlich aufwändiger gewesen, auch die Männer
einzubeziehen.
In Ihrer Doktorarbeit widmeten Sie sich dem Einfluss der
Massenmedien auf politische
Einstellungen und damit wieder einem Thema aus der Medienwirkungsforschung. Was
fasziniert Sie so sehr an diesem
Gebiet?
Ich glaube, mich fasziniert am meisten das Spannungsverhältnis zwischen Fremd- und Selbstbestimmung.
Wie werden wir in unseren Ideen,
unserem Denken und bei der Einstellungsbildung gelenkt und gesteuert?
Wie bestimmen wir andererseits
selbst, welche Informationen wir
nutzen, um uns ein Urteil zu bilden?
Wir bewegen uns eigentlich ständig in
diesem Spannungsverhältnis. Es gibt
viele Mediennutzungssituationen, in
denen wir mehr fremd- als selbstbestimmt sind. Es gibt aber auch
Situationen, in denen wir Informationen selbst auswählen, um uns ein
bestimmtes Urteil zu bilden. In politischen Kampagnen wechseln diese
Situationen oft ab. Beispielsweise hat
man mit zunehmender Informationsflut sehr große Mühe, selbst steuern
zu können, welche Informationen
für die Urteilsbildung hilfreich erscheinen. In solchen Situationen wird
man oft eher fremdgesteuert. Diese
Zusammenhänge haben mich immer
schon fasziniert, nicht nur bezüglich
der politischen Kommunikation.
Promoviert haben Sie am Institut für Publizistikwissenschaft
und Medienforschung an der
Universität Zürich. Wie sind Sie
dort gelandet?
Gute Frage. Als ich wusste, dass ich
in die Wissenschaft möchte und mich
beworben habe, gab es noch nicht
so viele Ausschreibungen. In Zürich
gab es einen neuen Lehrstuhl, der
mich durch seine Ausrichtung auf
Methoden und Rezeptions- und Wirkungsforschung gereizt hat. Mit Glück
– oder was auch immer – ist es dann
auch Zürich geworden.
Sie haben einige Zeit in Zürich
verbracht, waren aber auch ein
Jahr als Visiting Scholar an der
Annenberg School for Communication an der University of
Pennsylvania tätig. Was macht
man da?
Es kommt wahrscheinlich für jeden
einmal die Zeit, um ein bisschen über
den Tellerrand hinauszuschauen. Ich
war damals schon acht Jahre lang
in Zürich und habe mich für andere
Forschende, Forschungseinrichtungen
und Lehrkonzepte interessiert. In
der Wissenschaft sind die USA immer
noch das große Vorbild. Es gibt eine
Reihe von renommierten Instituten
im Bereich Kommunikation. Eines
davon ist die Annenberg School. Dort
wollte ich hin, um mit den Forschenden in Kontakt zu kommen. Gerade
was den Bereich Politische Kommunikation angeht, sind dort einige führende Persönlichkeiten tätig. In den
USA ist man offen für Leute, die von
außerhalb kommen und Meinungsaustausch wollen. Die einzige Voraussetzung: Man muss sein eigenes Geld
mitbringen. Es war sehr interessant
zu sehen, wie eine so renommierte
Schule forschungsmäßig vorgeht, wie
sie Lehre macht und mit Studierenden
umgeht. Außerdem relativiert es den
Blick für das Eigene, das man kennt.
Ich konnte viele Anregungen mitnehmen und Kontakte knüpfen. Es war
eine bereichernde Erfahrung.
sammenhängen. Dafür wünsche ich
mir einen Austausch mit Studierenden. Es ist mir wichtig, Feedback zu
bekommen, ob ich dies schon erreicht
habe oder was es noch braucht, um
es zu erreichen. Auch mit den Kolleginnen und Kollegen hier am Institut
wünsche ich mir einen regen Informations- und Forschungsaustausch, der
sich zum Beispiel in gemeinsamen
Forschungsprojekten niederschlagen
kann. Denn gemeinsam macht Forschung einfach mehr Spaß und man
kommt meist weiter als allein.
Christian Schemer, danke für
das Gespräch.
Neu am Institut sind außerdem:
Christine Hueß
Christina Köhler
Philipp Müller
Was macht Christian Schemer,
wenn er gerade nicht forscht
oder lehrt?
Ich verbringe sehr viel und sehr gern
Zeit mit meiner Familie – meiner
Frau und meinen zwei Kindern. Sie
sind zwei und fünf Jahre alt und nehmen ihren Papi gern in Beschlag. Das
sind genau die richtigen Situationen,
um den Alltag komplett hinter sich zu
lassen und sich in Playmobil-, Legooder Duplo-Welten zu flüchten.
Zu guter Letzt: Was wünschen
Sie sich für Ihre Zeit am IfP und
was möchten Sie den Studierenden vermitteln?
Fangen wir mit Letzterem an: Wichtig
ist mir, Spaß an der Forschung und am
wissenschaftlichen Arbeiten zu vermitteln. Ich möchte zeigen, was mir
am Ende des Studiums aufgegangen
ist: Dass es eine sehr befriedigende Tätigkeit sein kann, sich auf die
Suche nach mehr zu begeben und
wissen zu wollen, wie die Dinge zu-
Ziegenkäse abfahren. +++ Man munkelt weiter, er koche lieber mit Fleisch. +++ Man munkelt außerdem, sein Gulaschrezept sei ganz vorzüg-
Master-reform
10
Master Desaster?
Von Johannes Beckert
Bauarbeiten am Master. Bild: Neuhaus
Die Master-Studiengänge am IfP werden reformiert. Für das Wintersemester 2015/16 können sich BachelorAbsolventen erstmals für die neuen Studiengänge bewerben. Doch gibt es überhaupt gravierende Veränderungen?
Man kennt das: Das Ende des Bachelor-Studiums rückt näher und man
macht sich permanent Gedanken,
wie es danach weitergehen soll.
Arbeiten? Weltreise? Oder gar ein
Masterstudium? Wenn ja, wo? Und
was überhaupt? Im Gegensatz zu beispielsweise den naturwissenschaftlichen Fächern hat es ein PublizistikAbsolvent nicht leicht, was die Wahl
des Master-Studiengangs betrifft.
Denn: Weder liegt es auf der Hand,
in welche fachliche Richtung es mit
dem Master weitergeht, noch gibt
es einen sicheren Studienplatz für
jeden Interessenten. Zwar zeichnet
sich das IfP damit aus, vier Masterstudiengänge anzubieten, doch für
Bewerber wird das oft zum Nachteil.
Hohe Bewerberzahlen und entsprechend hohe NC-Werte machen es für
„Durchschnittsabsolventen“ oft unmöglich, ihren Wunsch-Master ohne
einen Standortwechsel zu studieren.
Aus studentischer Perspektive gibt
es somit mehr als genug Reformbe-
darf, doch sollte man sich bei dem
Begriff Master-Reform nicht zu viele
Hoffnungen auf Besserung machen.
Denn die Reform, so Ilka Jakobs vom
Studienbüro Publizistik, ist eher eine
Umstrukturierung, die auf die bisherige Struktur der Masterstudiengänge zurückzuführen ist. Vor allem die
Bereiche Unternehmenskommunikation und Medienmanagement seien
stark von einer einzelnen Professur
abhängig, deren Ausfall wegen ihrer inhaltlichen Spezialisierung nur
schwer durch das Institut kompensiert werden könne. Und da an beiden
Lehrstühlen ein personeller Wechsel
bevorsteht – Prof. Einwiller wechselt
zum WiSe 2014/15 nach Wien, Prof.
Nienstedt wechselt 2015 in den Ruhestand – ist der Zeitpunkt für eine
Umstrukturierung günstig.
Ein weiterer wichtiger Grund für die
Reform ist der Wunsch, eine bessere
inhaltliche wie auch persönliche Vernetzung zwischen den drei Studiengängen – der Master Journalismus
ist von der Reform ausgenommen
– zu schaffen. Die Studierenden, die
sich für einen Master am IfP entscheiden, sollen „Expertise aus allen drei
Bereichen“ erlangen, so Jakobs. Der
klassische Blick über den Tellerrand
also, der auch für den Bachelorstudiengang stets gepredigt wird.
heißt, man wird sich auch nach wie
vor auf einzelne Master mit eigenen
Zulassungskriterien und eigenen
Auswahlverfahren bewerben. Die
Zusammenlegung der Kurse im ersten Semester bedeutet also keine
Zusammenlegung der Studiengänge
als Ganzes.
Schmelztiegel im 1. Semester
Erfreulich für alle Mainzer Absolventen: Für alle drei Masterstudiengänge
wird künftig der Anteil der Methodenkenntnisse als Zulassungsvoraussetzung erhöht. Diese Änderung geht
auf den Prüfungsordnungswechsel
im Bachelor von 2011 zurück, mit
dem verstärkt Methodenkenntnisse
gelehrt werden. Das wird nun bei der
Masterbewerbung berücksichtigt und
sichert den Mainzer Publizisten einen
kleinen Heimvorteil.
So gestaltet sich dann auch der Aufbau der reformierten Masterstudiengänge. Inhaltlich wird es kaum
Veränderungen geben. Lediglich die
Struktur ändert sich dahingehend,
dass im ersten Semester zukünftig
die Studierenden aller drei Bereiche – Kommunikationswissenschaft,
Medienmanagement und Unternehmenskommunikation – zusammen
studieren. Wichtig für alle Bewerber:
auch am Bewerbungs- und Zulassungsverfahren wird sich so gut wie
nichts ändern. Denn, so Jakobs, „die
drei Studiengänge sollen als Namen
und ‚Marken‘ erhalten bleiben“. Das
Darüber hinaus gibt es in allen drei
Studiengängen kleinere Änderungen,
die sich aber nicht auf die Inhalte
auswirken. So wird der Masterstudiengang Kommunikationswissen-
lich. +++ Man munkelt, Prof. Schemer gehöre zum harten Kern. +++ Man munkelt weiter, sein Weizenbierkonsum könne dabei ganz gut mit
Master-reform
schaft ab dem nächsten Jahr „Kommunikations- und Medienforschung“
heißen. Ilka Jakobs erklärt die Namensänderungen mit einer stärkeren
Hervorhebung des Praxisbezugs, womit dem Wunsch vieler Studierender
entsprochen wird.
tion zu bewerben. Das soll die Studienstruktur vereinfachen – bisher
sind viele Veranstaltungen in den
Fachbereich 03 ausgelagert – und
verbessert zudem die Chance für
Mainzer Publizistik-Absolventen, einen Studienplatz zu erhalten.
Keine Wirtschaftswissenschaftler in Unternehmenskommunikation, weniger Publizisten in
Medienmanagement
Anders dagegen im Master Medienmanagement. Hier wird ab 2015/16 nur
noch zugelassen, wer mindestens 60
Credits im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich vorweisen kann. Ein
kommunikationswissenschaftliches
Studium allein, ohne Wirtschaftswissenschaften als Beifach reicht dann
nicht mehr aus. Diesen Schritt recht-
Absolventen der Wirtschaftswissenschaften werden in Zukunft keine
Möglichkeit mehr haben, sich für den
Master Unternehmenskommunika-
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fertigt Jakobs durch das Konkurrieren
der Medienmanagement-Absolventen mit den Wirtschaftswissenschaftern in der Praxis. Durch das hohe
Maß der vorausgesetzten Kenntnisse
in Wirtschaftswissenschaften soll die
Wettbewerbsfähigkeit der Mainzer
Medienmanager auf dem Arbeitsmarkt künftig verbessert werden.
Ein Nachteil besteht hier fürwahr für
Bachelor-Studierende, die ihr Studium bereits vor der Reform begonnen
haben. Interessieren sie sich für
Medienmanagement und haben sich
nicht für Wirtschaftswissenschaften
als Beifach entschieden, ist ihnen ab
nächstem Jahr fast jegliche Chance
auf einen Masterplatz in Mainz verwehrt.
Eine praktikable Lösung hierfür
konnte weder von Seiten des Instituts, noch von studentischer Seite
gefunden werden. Das kann man
als unfair oder einfach nur als Pech
bezeichnen. Es steht allerdings auch
nirgendwo geschrieben, dass Reformen ausschließlich Vorteile für alle
Beteiligten bringen müssen.
Ablauf der Studiengang-Reform
Diskutiert und besprochen wird die Studiengangreform im Leitungsgremium des Instituts. Dieses setzt daraufhin eine Kommission, bestehend
aus Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern, ein, die einen ersten Entwurf erarbeitet. Grundlage dafür ist eine Gegenüberstellung
und das Herausarbeiten von Unterschieden und Stärken der Studiengänge. In diesem Fall sieht der Entwurf vor, Inhalte, die bisher in allen drei
Studiengängen gleich gelehrt wurden, für alle gemeinsam im ersten Semester anzubieten. Der fertige Entwurf wird vor der Verabschiedung mit
studentischen Vertretern aus dem Fachschaftsrat und aus den betroffenen Studiengängen besprochen und deren Feedback nach Möglichkeit in
der Umsetzung berücksichtigt. Somit haben auch die Studierenden einen Einfluss auf die Reform von Studiengängen – wenn auch in diesem Fall
nur beschränkt, da die meisten Veränderungen struktureller und nicht inhaltlicher Natur sind.
Bilder: Neuhaus
dem der Fachschaft Schritt halten. +++ Man munkelt, er mache damit Prof. Quiring den Titel des Weizenbierkönigs strittig. +++ Man munkelt
Mainzelbahn
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Nach der 69 kommt der Straßenbahn-Spießer. Bild: Schneiders
Endstelle Hindemithstraße oder: Der Tag der toten 69
Von Pascal Schneiders
Die MVG mistet aus und stellt die 69 aufs Abstellgleis. Nachfolger der berühmt-berüchtigten Linie:
Ein prähistorisches Fortbewegungsmittel auf Schienen.
69 ist eine besondere Zahl. 69 v. Chr.
wurde Kleopatra, die legendäre letzte
Pharaonin des alten Ägyptens, geboren. 69 n. Chr. war das erste Vierkaiserjahr in der Geschichte Roms. Die
69 ist der Inbegriff der Punktspiegelung, in welcher Form auch immer. Vor
allem aber beschreibt der Paragraph
69 Strafgesetzbuch, meine Damen
und Herren, die Entziehung der Fahrerlaubnis. Bald wird auch die Buslinie
69 davon betroffen sein. Dabei fuhr
sie noch nicht mal unter Alkoholeinfluss. Sie ist zwar meistens ziemlich
voll, aber aus anderen Gründen. Man
tut ihr also Unrecht.
Sie ist die wohl einzige Verbindung,
die es in den Sprachkanon der Mainzer Studierenden geschafft hat, die
einzige, zu der ein personalisiertes
Verhältnis besteht. Dankessprüche
wie „Geil, da kommt die 69! Lass die
nehmen!“ oder „Fortuna hat unsere
Stirn geküsst, die 69 öffnet ihre Tür
für uns!“ hat man schon so manches
Mal am Hauptbahnhof gehört. Die 69,
sie ist nicht nur eine Glücks-, sondern
auch eine schnelle Nummer: Niemand
sonst chauffiert uns so hurtig so
zielgenau – und so gelenkig – an
den Ort unseres Begehrens. Früher,
als wir das SBII noch unsere Heimat
nannten, chauffierte sie uns sogar
direkt vor die Tür – Mami hätte es
zu Grundschulzeiten nicht besser
machen können. Die 69 bildet nicht
nur den mobilen Rahmen eines Studientages, sie bringt auch Bewegung in
unser Liebesleben. Signifikant mehr
engelsgleiche Wesen als in allen anderen Linien zusammen schweben in
ihr wie auf einer Wolke. Das belegt
das (mittlerweile eingeschlafene)
Portal für magische Momente aller
Art „Spotted: University of Mainz“.
Kein Wunder: Von 2007 bis 2013 buckelte sie 60 Prozent mehr Fahrten.
Ein Viertel ihrer Insassen in diesem
Zeitraum waren Studierende. Doch
das machte ihr bisher nichts aus.
Trotz allem erfreute sie unsere Herzen zu Weihnachten mit einem digitalen Tannenbaum. Ab und zu galt denn
auch ihr ein Liebesgeständnis auf
besagtem Portal: „Jedes mal, wenn
du stehen bleibst, bist du umringt
von Menschen und es scheint mir, als
wäre ich nicht der einzige, der so für
dich empfindet.“, schreibt ein Unbekannter. 687 Leuten gefällt das.
Nun fragt man sich gewiss, warum die
69 ausrangiert wird. Warum man diese Liebesbeziehung, diese tägliche
5-Minuten-Affäre beendet. Warum
die grünen Punkte sich nie wieder zu
einer Paarung aus einer 6 und einer
9 zusammenfinden werden. Warum
diese Zahl nie wieder das Haupt
der Busse krönen und aus der Datenbank gelöscht wird. Die einfache
Antwort: Weil sie ersetzt wird. Durch
das „antiquierteste, vorsintflutlichste,
armseligste, betagtste, archaischste,
primitivste, störendste, lästigste, unlogischste, dümmste Stadtverkehrsmittel“. So will der Schriftsteller und
Luxemburger Marcel Noppeney die
Straßenbahn bereits 1939 beschrieben haben. Die MVG will jetzt mit
dem verniedlichenden Namen „Mainzelbahn“ zurück in die Vergangenheit.
Bisher nutzen 80 Prozent der MVGFahrgäste den Bus. Diese Last will
die MVG nun umverteilen. Im Klartext
heißt das: Die Busflotte wird reduziert, Busfahrerpersonal abgebaut.
Dafür soll bis Winter 2016 ein knapp
neun Kilometer langer Streckenast
zwischen Hauptbahnhof West und
Lerchenberg Hindemithstraße entstehen. 16 neue Haltestellen schaffen
eine Schienenanbindung an den Campus, das neue Stadion, Bretzenheim,
Marieborn und den Lerchenberg. Das
lässt sich der Verkehrsdienstleister
knapp 84 Millionen Euro kosten. Davon trägt der Mutterkonzern Stadtwerke Mainz AG fast 31 Millionen
aus eigenen Mitteln, ohne Kreditaufnahme. Eventuelle Defizite sollen
betriebsintern ausgeglichen werden.
Auf die Stadt Mainz werden keine
Kosten zukommen, versichert der
Konzern. Doch die Kommune ist die
alleinige Aktionärin der Stadtwerke
und trägt damit auch ein Investitionsrisiko. Mit einer Million zusätzlichen Fahrgästen pro Jahr rechnet der
Verkehrsdienstleister. Davon werden
sicherlich viele Studierende sein –
das drückt den Mehrerlös. Und die
restlichen Fahrgäste, wohin wollen
die? Zum Shoppen nach Bretzenheim?
Oder muss der ZDF Fernsehgarten
jetzt ausgebaut werden?
allerdings, den Titel des Munklerkönigs werde Prof. Quiring nie mehr verlieren. +++ Man munkelt, Prof. Quiring schwärme für die schöne Lage
Mainzelbahn
Die Straßenbahn, sie ist der Spießer
unter den Verkehrsmitteln. Immer
auf Linie, kann sie nicht einfach
mal spontan links abbiegen. Ein
langweiliger, blecherner Wurm, der
nicht raucht, sondern mit Ökostrom
betrieben wird und geräuscharm
am Georg Forster-Gebäude vorbeikriecht. Dazu ein lichtdurchfluteter,
großzügiger, steriler Innenraum.
Endstelle: Hindemithstraße, vorbei
an den bausparvertragfinanzierten
Reihenhäusern, deren Vorgärten nun
den Doppelgleisen weichen müssen.
Wahrscheinlich wird sie noch weitere
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Spießer anziehen. Denn die künftigen Linien 51 und 53 werden, so die
MVG, Lebensqualität aufwerten. „Auf
dem Immobilienmarkt ist die gute
Erreichbarkeit eines zuverlässigen
Schienenverkehrsmittels ein gutes
Argument bei der Festlegung von Verkaufspreis oder Miete.“, heißt es auf
der Website zum Bau der Bahn.
Und der wird uns noch andere Scherereien bescheren: So müssen etwa
ab September dieses Jahres der
Abschnitt Ecke Saarstraße - AlbertSchweitzer-Straße vor dem Uni-Ein-
gang für Baumaßnahmen zeitweise
gesperrt und die Busse umgeleitet
werden. Die Bushaltestelle am Hauptfriedhof wird dann mit der neuen
Haltestelle der Straßenbahn am Vorplatz des Campus zusammengeführt.
Die 69 kann gleich beim Friedhof
bleiben.
muss das Unternehmen nicht zur
Finanzierung der Energiewende beitragen. Dafür muss eine Institution
weichen. Noch bleibt uns etwas Zeit
für gemeinsame Ausflüge. Danke, 69.
Worum es vermutlich doch eigentlich
geht: Die MVG will es der Bremer Straßenbahn AG gleichtun und eine EEGUmlage-Befreiung erreichen. Kann
sie zehn Gigawattstunden Stromverbrauch im Fahrbetrieb nachweisen,
QR-Code: Link zu einer virtuellen
Fahrt vom Hauptbahnhof zur Uni mit
der 69.
Bild: Schneiders
des Fachschaftsraums. +++ Man munkelt weiter, er spiele mit dem Gedanken ihn zu vermieten. +++ Man munkelt, zumindest könne man ihn
Medien
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in den medien
Bild: Tschermak
Moritz Tschermak (links) und Mats Schönauer (rechts): Im Dickicht der Regenbogenhefte den Überblick behalten
Zerfledderte Goldblätter
Von Elisabeth Neuhaus
Im „topfvollgold“ nehmen zwei Blogger Omas Lieblingszeitschriften auseinander. Einen von beiden hat der Publizissimus in Berlin-Neukölln getroffen. Ein Gespräch über Helene Fischer, Sensationsinterviews und Darmleiden.
Psycho-Skandal: Unglaubliche Enthüllungen erschüttern Deutschland
Leichtsinnig setzen zwei Journalisten das Glück unzähliger Seniorinnen aufs Spiel. Für die Leserinnen
von Titeln wie „Freizeit Revue“ oder
„Die neue Frau“ muss es wie ein
Schlag ins Gesicht sein, wenn Moritz
Tschermak und Mats Schönauer mit
Skandalberichten die heile Welt der
Frauen zerstören. Gerüchten zufolge
sollen die jungen Männer sogar Gefallen am skrupellosen Geschäft mit
der Wahrheit gefunden haben. In der
deutschen Presselandschaft ist es ein
Enthüllungs-Skandal, der seinesgleichen sucht.
So könnte es klingen, wenn die Regenbogenpresse über ihre ärgsten
Gegenspieler berichten würde. Moritz
Tschermak und Mats Schönauer sind
Schlagzeilenjäger, ihr Revier ist das
Zeitschriftenregal. 2013 starteten
Tschermak und Schönauer, damals
noch Journalistik-Studenten in Dortmund, den Watchblog „topfvollgold“.
Darin nehmen sie die bunten Titel der
Regenbogenwelt ins Visier, sezieren
ihre Beute und präsentieren sie der
Öffentlichkeit. Was ihnen vor die
Flinte kommt ist manchmal amüsant,
manchmal erschreckend oder makaber. Warum es die Autorinnen und
Autoren der Regenbogengeschichten mit der Wahrheit nicht so genau
nehmen, erklärt Moritz Tschermak im
Publizissimus-Interview.
Publizissimus: In dieser Woche
sind Thomas Gottschalk und
seine Frau auf dem Titel von
„Das neue Blatt“. Es soll kriseln
zwischen den beiden, seine Frau
Thea immer wieder mit einem
anderen anbandeln.
Tschermak: In „Die Aktuelle“ von
heute steht auch, dass Thomas Gottschalk etwas mit Helene Fischer anfängt. Also „anfängt“ im beruflichen
Sinne, aber das wird natürlich erst im
Heft aufgelöst. Bei den Gottschalks
geht es also anscheinend drunter und
drüber.
Vor kurzem waren Mats und Du
in Günther Jauchs Talkshow.
In der Sendung ging es um die
Berichterstattung über Michael
Schumacher – unter anderem
in den Regenbogenblättern. Als
Beispiel für die Substanzlosigkeit der Artikel wurde ein Foto
von Schlaglöchern in unmittelbarer Nähe von Jauchs Wohnhaus gezeigt, das eine Geschichte über ihn zierte. Schlagzeile:
„So wild lebt er!“
Ja, solche Beispiele gibt es leider zuhauf. Die Macher der Hefte haben ein
für Partys am Wochenende benutzen. +++ Man munkelt, Gregors Steak ist fertig. +++ Man munkelt, das Megaphon diene nur dazu, den Dekan
Medien
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in den medien
Problem: Günther Jauch ist in der Zielgruppe extrem beliebt. Die Redakteure haben also das Gefühl, über Jauch
schreiben zu müssen. Aber da gibt
es einfach nichts Empörendes, nichts
worüber irgendein anderes Medium
berichten würde. Dann schauen sie
sich permanent seine Sendungen an
und suchen nach Futter. Bei „Wer wird
Millionär?“ soll einmal ein Zuschauer
im Publikum gehustet haben. Daraus
wurde dann kurzerhand ein Betrugsskandal. Zusammen mit Thomas Gottschalk macht Jauch „Die 2“. In einer
Sendung legte Jauch vor laufender
Kamera seinen Ehering ab, weil er
sich an etwas festhalten musste und
der Ring dabei störte. Das wurde zu
einem Ehedrama aufgebauscht. Aus
solchen Nichtigkeiten stricken die
Macher ihre Geschichten.
Das hört sich so an, als würden
sich die Recherchen der Redaktionen ausschließlich auf ein
paar Stunden Fernsehen beschränken.
Es gibt mitunter auch reale, das heißt
von den entsprechenden Redaktionen
geführte Gespräche. Immerhin profitieren viele Prominente von den Regenbogenheften. Die gesamte Schlagerszene zum Beispiel, die außerhalb
von dieser Parallelwelt medial gar
nicht existiert. Natürlich ist es für
jemanden wie Andreas Gabalier oder
Semino Rossi sehr interessant, Leute
zu erreichen, wenn deren neue CD erscheint. Produktionsfirmen geben außerdem gerne Pressemappen heraus,
die Interviews mit Darstellern enthalten, etwa wenn ein neuer Film herauskommt. Diese Gespräche schreiben die Redakteure ab – erlaubt ist
es ja – und verkaufen die Zeilen in
ihren Heften als Exklusiv-Interviews.
Die Auflagenzahlen einiger
Hefte bewegen sich im sechsstelligen Bereich. Manche Titel verkaufen sich wöchentlich
zwischen 700.000 und 800.000
Mal. Wer – außer euch – liest
die Regenbogenpresse?
Wir sind auf jeden Fall sehr gute Kunden, das stimmt. Die Zielgruppe ist
sehr klar abgesteckt. Wenn man sich
die sogenannten Objektprofile anguckt, die die Verlage herausgeben,
um Anzeigenakquise zu betreiben,
dann sieht man, dass über 80 Prozent
der Leser weiblich sind. Der größte
Teil ist 60 bis 70 Jahre und älter, der
Bildungsgrad vergleichsweise gering.
Generell kann man sagen: Die Regenbogenpresse wird von älteren Damen
gelesen. Das Klischee trifft also zu.
Manchmal greifen aber auch Männer
zu.
Und glauben die alle Geschichten, die in den Blättern erzählt
werden?
Diese Frage stellen wir den Lesern,
etwa wenn wir am Zeitschriftenregal
stehen oder beim Friseur neben einer
Dame sitzen, die gerade in einem Heft
blättert. Die Leute scheinen schon zu
wissen, dass nicht alles darin stimmt.
Häufig hören wir Sätze wie „60 Prozent glaube ich“. Das heißt zwar im
Umkehrschluss, dass sie 40 Prozent
nicht glauben, einen Teil aber durchaus für bare Münze nehmen. Dabei
ist jedes Prozent, das man glaubt, zu
viel. Wir würden sagen, dass 80 bis
90 Prozent dieser Geschichten einfach falsch, erlogen oder völlig übertrieben sind. Und dazu kommt noch:
Einige Lügen sind nicht so schnell
zu durchschauen. Wir stoßen immer
wieder auf Geschichten, die auf den
ersten Blick gar nicht falsch scheinen.
Zum Beispiel?
Eine Titelgeschichte über die Stiftung
von Lady Diana. Da war die Rede von
einem großen Skandal: William und
Harry seien in großer Aufruhr, weil
Gelder des „Princess of Wales Me-
morial Funds“ für politische Zwecke
missbraucht würden. Ursprünglich
wollten wir anhand dieses Artikels
aufzeigen, wie reaktionär und konservativ die Redakteure dieser Hefte
sind, denn tatsächlich sind die vermeintlich veruntreuten Gelder in Förderprojekte für die Integration von
Flüchtlingen in Großbritannien geflossen. Unser erster Vorwurf war also:
Welche verquere politische Position
nehmt ihr ein? So könnte das jede
Oma erstmal lesen. Vielleicht fände
sie den politischen Einschlag des
Heftes ja sogar richtig. Eine zweiminütige Wikipedia-Recherche hat dann
gezeigt, dass der Diana Fond seine
Arbeit im Dezember 2012 eingestellt
hat, der Artikel erschien im Juni 2013.
Das bedeutet, dass es diesen Fond
schon seit einem halben Jahr nicht
mehr gab. Oder anders gesagt: Die
Geschichte war von vorne bis hinten
erlogen. Das ist eine Lüge, die ohne
diese
Hintergrundinformationen
kaum zu durchschauen ist. Deswegen
sollte man sich nicht dazu verleiten
lassen zu sagen „Denen muss doch
klar sein, dass das alles erlogen ist!“,
denn das kann ihnen leider nicht klar
sein. Im Grunde ist das ein Zusammenspiel aus geschickter Trickserei
der Hefte und mangelnder medialer
Kompetenz der Zielgruppe.
Wissen die Mitglieder der europäischen Königshäuser denn
überhaupt, was die Hefte in
Deutschland über sie schreiben? Gibt es ähnliche Magazine
auch im Ausland?
Die gibt es. Aber der deutsche Markt
ist so groß, dass wir uns davor hüten,
uns auf dem europäischen Markt
umzuschauen. Manche Königshäuser
gehen gegen die Berichterstattung
über sie vor. Natürlich ist es das Kalkül dieser Hefte zu sagen: Charlene
von Monaco kriegt nicht mit, was
wir hier schreiben. Die geografische
Entfernung verleitet die Redaktionen
dazu, noch eine Schippe draufzulegen. Man merkt, dass Prominente,
die sich wehren, in den Beiträgen
sanfter angepackt werden. Berichte
über Günther Jauch sind sehr glattgebügelt. Von ihm gibt es immer wieder
Gegendarstellungen in den Heften.
Über jemanden wie Boris Becker
kann man dagegen behaupten, was
man will. Der wehrt sich nicht.
Welche Mechanismen wenden
die Blattmacher an, um Leser
zu gewinnen und zu halten?
Dazu muss man wissen, wie sich die
Hefte verkaufen. Wenn man sich die
IVW-Zahlen anschaut wird klar, dass
selbst große Titel wie die „Neue Post“
bis zu 80 Prozent ihrer Auflage am Kiosk verkaufen und nicht über Abos.
Man könnte ja meinen, dass sich die
älteren Damen die Hefte gemütlich
nach Hause schicken lassen. Das machen sie aber nicht, als Ritual scheinen sie den wöchentlichen Gang zum
Kiosk zu genießen. Dort ist es dann
ähnlich wie bei der Bild-Zeitung: Man
muss sich über starke Schlagzeilen
gegen die Konkurrenz durchsetzen.
Kioskregale sind eng ineinander gestaffelt, oft sieht man nur die linke
Seite eines Hefts. Das ist auch der
Grund für den Aufbau der Regenbogenhefte – die Ködergeschichten
stehen am linken Rand. Das treibt die
Redaktionen dann dazu, irrsinnige
Schlagzeilen zu erfinden. Übertreibungen und Überspitzungen auf der
Titelseite, die im Heftinneren völlig
in sich zusammenfallen, das sind
die grundlegenden Mechanismen
dieser Hefte. Das ist ab und an ganz
amüsant. Oft schießen sie aber auch
ganz skrupellos übers Ziel hinaus.
Bettina Wulff wurde etwa einmal als
Rabenmutter bezeichnet, weil sie gut
Englisch spricht. Ihre guten Englischkenntnisse hatten das Blatt mutmaßen lassen, dass sie in die USA auswandern könnte, wobei sie ihren Sohn
höchstwahrscheinlich in Deutschland
auszurufen. +++ Man munkelt, Dekan Daschmann darf das. +++ Man munkelt, Prof. Stark fände den Publi-Party-Cocktail gar nicht so stark.
Medien
16
lassen müsste. Das war’s. Da ist es
dann völlig egal, ob man die Gattin
des ehemaligen Bundespräsidenten
war, adelig oder prominent ist – das
muss sich niemand gefallen lassen.
Juristisch mag man Wulff vielleicht
als Rabenmutter bezeichnen dürfen,
ethisch und moralisch ist es aber einfach nicht in Ordnung.
Wer arbeitet für die Regenbogenpresse?
Wenn wir an einem Punkt noch stark
arbeiten müssen, dann ist das der
Blick in die Redaktionen. Was wir machen können ist, uns das Impressum
vorzunehmen. In der Regel zeigt sich
bei jedem Heft, dass dort eine große
Anzahl Frauen beschäftigt ist. Ab und
an melden sich auch Mitarbeiterinnen, meist jüngere Redakteurinnen.
Es gibt immer wieder inhaltliche Fehler, die wir auf das Alter der Autoren
zurückführen. In einem Artikel ging
es um das Flugzeugunglück von Ramstein, das schon Jahre zurückliegt.
Darin war von „Rammstein“ die Rede.
Wir sind uns relativ sicher, dass eine
ältere Frau, die die Band Rammstein
nicht kennt, sondern nur den Ort, diesen Fehler nicht gemacht hätte.
In eurem Blog kritisiert ihr einen Artikel über Harald Glööckler. Die Redakteurin rührt hier
ganz offensichtlich die Werbetrommel für Glööcklers neuen
Laden. Was ist der Unterschied
zur klassischen Frauenzeitschrift, in der das Angebot eines
hippen Jeans-Labels angepriesen und ausführlich über die Eröffnung einer Chanel-Boutique
in München berichtet wird?
Nun lese ich, abgesehen von der
Regenbogenpresse, nur selten Frauenzeitschriften. Wenn es sich in der
Frauenzeitschrift aber um eine Art
Stylingberatung handelt und ein paar
Labels genannt werden, dann hat das
irgendwie noch einen Servicewert für
die Leserin. So kann sie sich selbst
für ein Produkt entscheiden. In den
Regenbogenheften gibt es auch immer wieder solche „Tests“, zum Beispiel für Spülmittel. Das ist ja auch
völlig in Ordnung und auch im Sinne
des Lesers. Die Glööckler-Geschichte
dagegen ist wirklich an jeder Stelle
eine Lobhudelei auf diesen Laden
und den Mann – inklusive Ortsangabe und Öffnungszeiten – und damit
eine unterschwellige, indirekte Aufforderung, in genau diesem Geschäft
etwas zu kaufen. Einzelne Produkte
sind mit Preisen versehen. Es würde
perfekt passen, wenn über der Doppelseite „Anzeige“ stehen würde.
Beim Klambt-Verlag gibt es noch ein
paar deutlichere Fälle. In allen Heften
des Verlags wird im redaktionellen
Teil parallel für bestimmte Mittel
geworben. Einige Wochen später sind
zu den in den Texten beschriebenen
Produkten dann Anzeigen geschaltet.
Das riecht ganz stark nach Kopplungsgeschäften, die auch für den
Presserat interessant wären.
Gesicht dieser Kopplungsgeschäfte könnte Angelika K.
sein. Frau K. ist in vielen Heften im Ressort „Gesundheit“ zu
sehen, heißt immer anders und
auch ihre Beschwerden sind verschieden – die Person aber ist
dieselbe. In einem Heft hat eine
Hautcreme ihre Fältchen gestraft, im anderen ist sie dank
eines Wundermittelchens ihre
Verstopfung los.
Genau. Die Frau, die da immer wieder
abgebildet ist, haben wir tatsächlich
mal gefunden. Seitdem sie bei einem
dieser Hefte ein Fotoshooting gewonnen hat, ist sie in einer Kartei. Ob sie
weiß was da mit ihr gemacht wird,
keine Ahnung. In diesen Artikeln werden die Leser jedenfalls regelrecht
dazu aufgefordert, die angepriesenen Produkte zu kaufen, indem der
in den medien
Preis, die Internetadresse des Händlers oder etwa die Arzneikennmittelnummer angegeben sind.
Dabei interessieren sich wahrscheinlich gerade ältere Damen
für Gesundheit und Medizin und
kaufen den Heften buchstäblich
alles ab.
Ja. Dazu muss man aber sagen: Wenn
wir für diese Hefte mal eine Lanze
brechen können, dann im Serviceund Ratgeberteil. Abgesehen von der
Schleichwerbung arbeiten die Redaktionen da noch am journalistischsten.
Hier werden Informationen aufbereitet, zusammengetragen, Tests durchgeführt oder wenigstens eingekauft.
Hier gibt es Parallelen zu einem Journalismus wie wir ihn verstehen. Ganz
im Gegenteil zu den Geschichten über
Prominente und Adelige.
Apropos Prominente: Seit seinem Unfall ist Michael Schumacher regelmäßig Kern der
Regenbogenberichterstattung.
Die Schlagzeilen sind widersprüchlich. Mal gibt es Zeichen
der Hoffnung, ein andermal
„Tränen-Tragödien“.
Immer
wieder stellen Ärzte völlig gegenstandslose Diagnosen. Wieso geben sich Fachleute für die
Klatschpresse her?
Es gibt eine Reihe von Leuten, die
uns in den Heften immer wieder begegnen. Ein Arzt aus München zum
Beispiel scheint sich auf diese Art
von Gutachten spezialisiert zu haben. Grundsätzlich gibt es Juristen,
Steuerberater oder eben Ärzte, die
im Serviceteil etwa bei Telefonaktionen mitmachen. Die sehen das wahrscheinlich als Plattform, um für sich
zu werben. Es geht aber auch anders:
Vorgestern haben wir von einem Arzt
aus Berlin eine Mail bekommen. „Ein
Regenbogenheft habe eine Geschichte über Michael Schumacher mit Aus-
sagen von ihm gefüllt. Der zitierte
Arzt schreibt, dass er nie mit dem
Blatt gesprochen und sich auch nicht
zum Thema Schumacher geäußert
habe. Aussagen und Bilder hat sich
die „Freizeit Revue“ ohne Rücksprache von der Website heruntergezogen. Der Arzt lässt gerade rechtliche
Schritte prüfen. Auch das findet also
statt. Wenn man ein Mediziner mit
einer gutlaufenden Praxis ist, der
in der Szene erstgenommen werden
will, spricht man aber wahrscheinlich
nicht unbedingt mit der „Das goldene
Blatt“
Die „Super Illu“ steht nicht
mehr auf eurer Heftliste. Warum?
Am ersten oder zweiten Tag, an dem
das Blog online ging, gab es direkt
einen bösen Facebook-Kommentar.
Ein „Super Illu“-Fan wunderte sich
doch sehr, dass zwei Journalistik-Studenten die „Super Illu“ zum Regenbogenheft herabsetzen. Dann haben wir
uns das Blatt genauer angesehen und
entschieden, es herauszunehmen.
Obwohl „Super Illu“, „Bunte“ oder
„Gala“ manchmal ähnlich fragwürdige Geschichten abdrucken, arbeiten
diese Hefte prinzipiell anders. Bei
der „Closer“ machen wir allerdings
Abstriche. Das ist ein Kandidat, der
sich sehr bemüht, in das Segment
hereinzukommen, weil er sehr krawallig ist. Aber auch die Closer redet
immerhin ab und zu mit Leuten, bevor sie ihnen etwas vorwirft. Dieser
journalistische Grundsatz, die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen,
wird in der Regenbogenpresse völlig
missachtet. Da wird ja auch nicht recherchiert, sondern vom Schreibtisch
aus geschrieben. Deshalb sagen wir
auch immer, dass der einzig positive
Aspekt an der Berichterstattung über
Michael Schumacher ist, dass die Regenbogenredakteure den Ärzten in
Grenoble nicht im Weg stehen.
+++ Man munkelt weiter, wenn sie wüsste... +++ Man munkelt außerdem, Prof. Stark habe diese Aussage spätestens in der Besprechung Tags
Medien
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in den medien
Habt ihr so etwas wie eine Lieblingsschlagzeile?
Eine unserer Lieblingsheadlines ist
schon ganz alt. Es ging um Olli Geissen, der mit seiner Lebensgefährtin
ein Kind hat. Titel der Geschichte:
„Psycho-Drama! Eine unheilbare
Krankheit bedroht ihren gemeinsamen Sohn!“. Hintergrund war, dass
Geissen Heuschnupfen hat. Jetzt
könnte es sein, dass auch sein Sohn
an Heuschnupfen leidet. Das PsychoDrama rührt daher, dass man ja immer sehr gereizt ist, wenn die Pollen
fliegen. Das ist etwas, worüber wir
lachen können. Weniger witzig finden
wir, dass Kinder von Prominenten in
die Berichterstattung eingebunden
werden.
Was darf in keinem Regenbogenheft fehlen?
In 80 bis 90 Prozent der Hefte geht
es aktuell um Helene Fischer. Früher
hießen die Blätter Soraya-Presse, weil
die Hefte vermehrt über Soraya und
den Schar von Persien berichteten.
Heute könnte man sie ohne Probleme
Helene-Fischer-Presse nennen. Aktuell ist auch Michael Schumacher ein
wichtiger Protagonist. Von der Wortwahl her ist immer alles eine „Sensation“ oder „exklusiv“. „Drama“,
„Schock“ und „Skandal“ sind andere
simple Reizworte, die in keinem Heft
fehlen dürfen. Ein weiteres zentrales
Element ist das Fragezeichen. Damit
versuchen sich die Blattmacher auch
rechtlich abzusichern. Dabei müssen
Aussagen, die in Fragen verpackt
sind, juristisch wie Aussagen behandelt werden. Als medienrechtlicher
Schutzschild reichen Fragezeichen
allein also nicht aus.
Die Leserinnen scheinen alle
einen ausgeprägten Mutterinstinkt zu haben. In den Heften
finden sich Anzeigen für Puppen
und „Affenmädchen“, über die
Schwangerschaften und NichtSchwangerschaften von Adeligen und Prominenten wird mit
Vorliebe berichtet. Warum ist
das so?
Zum einen möchten sich die älteren
Damen in eine ferne Welt hineinträumen. Für die Leserinnen gehört
es zum heilen Weltbild dazu, dass
Frauen Kinder bekommen. Wenn
da eine Charlene von Monaco noch
immer kinderlos ist, ist das bedenklich*. Auf der anderen Seite freut es
die Leute, die Risse in dieser heilen
Welt zu erkennen. Wenn ich erfahre,
dass Prinzessin Beatrix vielleicht
an Alzheimer leidet, empfinde ich
mein eigenes Darmleiden als weniger schlimm. Man richtet sich an der
schlechten Situation dieser eigentlich
so unnahbaren Leute auf. Die Regenbogenpresse ist für die Leser auf der
einen Seite Wunschort, auf der anderen Seite Trostspender.
Im stillen Kämmerlein dachte
sich der Redakteur eines Regenbogenhefts einmal ein Interview mit Prinzessin Caroline
von Monaco aus. So beginnt
die Lieblingsgeschichte unseres
Professors für Medienrecht.
Gibt es noch andere Beispiele
für Gespräche, die nie stattgefunden haben oder Zitate, die
der Fantasie der Regenbogenredaktionen entsprungen sind?
In der Regenbogenpresse findet das
Fälschen von kompletten Interviews
heute in der Regel nicht statt. Die
Hefte ziehen sich allerdings gern und
regelmäßig aus zich Jahre alten Interviews einzelne Zitate heraus und
stellen sie in völlig neue Zusammenhänge. Dazu denken sie sich ab und
an auch selbst Zitate aus, die diese
oder jene Prinzessin sicher gesagt
haben könnte – und packen sie dann
auflagensteigernd auf ihre Titelseiten. Fälle wie die legendären Fantasie-Interviews von Tom Kummer
im SZ-Magazin oder das gefälschte
Beyoncé-Interview in der Neon sind
uns aus der Regenbogenpresse
nicht bekannt. Dass zum Beispiel
gerade die ausgedachten KummerInterviews als so sensationell galten,
als sie noch nicht als Fälschungen
enttarnt waren, sagt viel über die
Interviewkultur im deutschen Journalismus aus. Es ist schwer geworden,
besondere Interviews zu führen, weil
irgendwie schon alles gesagt wurde
und vor allem Prominente ihre Worte
heute mit Bedacht wählen. Sie kennen die medialen Mechanismen. Um
einen richtigen Interview-Knaller zu
landen, ist man als Journalist also
fast schon gezwungen, sich etwas
Spannendes auszudenken.
Ich hätte mir also die Arbeit
sparen und euch Skandalöses in
den Mund legen können?
Ja, genau. Ich weiß gar nicht, ob wir
da etwas gegen gehabt hätten. Du
hättest damit durchkommen können!
Wie reagieren die Blattmacher
auf euren Blog?
Von manchen Mitarbeitern hören
wir, dass sie es ganz lustig finden,
wenn wir ihnen einen auf den Deckel
geben. Sie scheinen eine leicht masochistische Ader zu haben. Gerade
aus der Ebene der Chefredaktionen
erreichen uns ab und an etwas bösere
Mails. Auch das hält sich aber in Grenzen. Wir hätten gedacht, dass wir öfter angefeindet werden. Die meinen
wohl, dass jede Minute Aufmerksamkeit, die sie unserem Blog schenken,
eine Minute zu viel ist.
*Anm. d. Red.: Zum Zeitpunkt des
Gesprächs war die Schwangerschaft
von Charléne von Monaco noch nicht
bekannt.
Moritz, vielen Dank.
Bilder: Screenshots Hubert Burda Medien, Das Goldene Blatt, Mediengruppe Klambt
darauf revidiert. +++ Man munkelt, Oldinho1969 sei ein Künstlername und stehe für Zauberfußball. +++ Man munkelt, dieser sei beim Publi-
Buzzfeed
18
Buzzin. Bild: Open Content
„Waking up was the second hardest thing in the morning”
Buzzfeed schafft Klickzahlen, von denen andere Medien nur träumen können. Die Seite steht für
seichten Content mit unkritischem Spin. Oder etwa nicht?
Von Elisabeth Neuhaus
140 Millionen Nutzer im Monat, darunter eine Millionen Deutsche: Mit Tierbildern und einer Prise
echter Nachrichten punktet Buzzfeed beim Publikum im Netz. In Zukunft wollen die Betreiber der
Webseite vermehrt auf investigative Berichterstattung setzen – und noch in diesem Jahr einen deutschen Ableger starten.
„Die 100 wichtigsten Katzen-Fotos
aller Zeiten“, „10 Beweise, dass
Sauron eigentlich ein ziemlich netter
Kerl ist“ oder „19 Leute, deren Leidenschaft für Ketchup einfach zu weit
geht“: Die Liste bedeutungsschwerer
Listen auf Buzzfeed ist lang. Unzählige Male haben die Leser der
Nachrichten- und Unterhaltungsplattform diese sogenannten „Listicles“
in sozialen Netzwerken geteilt und
Buzzfeed damit zum Erfolg verholfen.
Nach eigenen Angaben der Betreiber
sind inzwischen rund 140 Millionen
Unique User im Monat auf Buzzfeed
unterwegs, rund eine Millionen davon
in Deutschland. Damit generiert die
Seite deutlich mehr Klicks als andere
Medien im Netz. Zum Vergleich: Fast
31 Millionen User zählt die OnlineAusgabe der New York Times jeden
Monat, Spiegel Online bringt es im
selben Zeitraum gerade einmal auf
rund elf Millionen Leser.
Im Frühjahr gaben die BuzzfeedBetreiber bekannt, noch in diesem
Jahr eine deutsche Seite launchen
zu wollen. Die Position des Chefredakteurs ist bereits vergeben: Die
ehemalige Zeit-Online-Journalistin
Juliane Leopold wird an der Spitze
eines vier- oder fünfköpfigen Teams
mit Sitz in Berlin stehen. Neben der
englischsprachigen Version gibt es
bislang Ausgaben auf Französisch,
Portugiesisch und Spanisch.
„…eigentlich nichts, wovor
sich seriöse Medien fürchten
müssten“
Als gemeinsames Projekt von Huffington-Post-Mitgründer Jonah Peretti
und seinem Kollegen John Johnson
startete Buzzfeed im Jahr 2006.
Heute, acht Jahre nach dem BuzzfeedDebüt, belegt die Seite Rang 119 der
am meisten besuchten Webseiten im
Internet* und beschäftigt weltweit
400 Mitarbeiter, 180 davon sind Redakteure. Inzwischen hat die Seite
auch Korrespondenten auf dem ganzen Globus platziert und berichtete
zuletzt etwa live aus der Ukraine.
Glaubt man der FAZ, so hat Buzzfeed „eigentlich nichts, wovor sich
seriöse Medien fürchten müssten.“
Allein diese absurd hohen Klick- und
Shareraten könnten eine Bedrohung
darstellen für die selbsternannten
Altmeister des Online-Journalismus.
Doch Buzzfeed bringt längst auch
seriöse Nachrichten – und liefert
schon jetzt investigative Stücke. Im
Gegensatz zu vielen anderen Medienhäusern leistet sich Buzzfeed
eine Investigativabteilung, die bei
Bedarf mehrere Monate Arbeit in die
Recherche investieren darf. Journalistisch wollen die Buzzfeed-Macher
aufschließen und holen sich dazu
immer wieder renommierte Reporter
an Bord. Buzzfeed will besser werden
als sein Ruf.
Als positive Beispiele für einen Aufwärtstrend sind Exklusiv-Berichte
über die US-amerikanische Immigrationspolitik ebenso wie ein Artikel
über unmenschliche Zustände in
einem afghanischen Militärkrankenhaus zu nennen. Beiträge wie „Is Your
Blood Pressure Higher Than President
Obama’s?“ oder „Tennessee Democratic Congressman Is Looking Everywhere for Hillary Clinton“ könnten
Kick altersbedingt nicht zu bewundern gewesen. +++ Man munkelt, dies habe zur Niederlage der Dozenten geführt. +++ Man munkelt, Alter
Buzzfeed
19
Bilder: PR
in Zukunft seltener im Politik-Ressort
landen, sollte es mit der politischen
Berichterstattung auf Buzzfeed weiter bergauf gehen.
Der Werbungswolf im Schafspelz
Derweil werden immer wieder Plagiatsvorwürfe laut, mehrere Klagen
haben die Buzzfeed-Macher bislang
erreicht. Das Problem: Viele der
gezeigten Inhalte liest die Seite in
sozialen Medien auf. In Sachen Urheberrecht spielt sich damit vieles in
rechtlichen Grauzonen ab.
Dazu kommt, dass Werbung nicht klar
von redaktionellen Inhalten getrennt
ist. Rein äußerlich sind die Posts im
Content-Marketing-Stil kaum von den
selbst verantworteten Teilen der Sei-
te zu unterscheiden. Dass es sich um
bezahlte Beiträge für Katzenfutter,
Limonade oder einen Bio-Supermarkt
handelt, zeigt sich meist erst auf den
zweiten Blick. Anders als Bannerwerbung soll der Durchschnittsleser Texte und Videos mit dem versteckten
„Sponsored“-Hinweis so verarbeiten
wie redaktionelle Posts – und sie in
gleicher Manier in sozialen Netzwerken verbreiten. Egal ob Sponsored
Post oder redaktioneller Beitrag: Die
Social-Media-Leiste ist über jedem
Artikel entsprechend prominent platziert. Dreiviertel aller Nutzer gelangen über Facebook, Twitter und Co.
auf die Seite.
Die Mischung macht’s
Am Ende eines jeden Artikels erwartet den Leser ein Bewertungsboard,
auf dem er seine Reaktion auf das
Gelesene festhalten kann: OMG, LOL,
CUTE oder doch ein FAIL? „10 Scientific Reasons To Eat More Pizza“ etwa
belohnten die Leser mit 250 Herzen.
Fazit
Zugegeben, nicht alle Buzzfeed-Artikel basieren auf knallharten Recherchen. Wenn der Absolvent einer USamerikanischen High School in das
Jahrbuch seiner Schule schreibt, dass
der morgendliche Kampf aus dem
Bett nur sein zweithärtestes Problem
gewesen sei und damit die Liste der
„14 Most Genius Yearbook Quotes“
anführt, dann ist das durchaus unterhaltsam. Ernsthaften Journalismus
aber sollte im Entertainment-Ressort
kein Leser erwarten. Indes zeigt der
Blick auf die News-Seite, dass Buzz-
feed mehr kann als nur schnelle
Unterhaltung. Es sollte auf der Hand
liegen, dass sich die meisten Internetnutzer mit Katzenbabys eher ködern lassen als mit Fotos aus Krisengebieten. Solange sich aber ab und
an eine Handvoll politikverdrossener
Jugendlicher zu ein paar mehr Klicks
verleiten lässt und nach einem StarWars-Listicle eine Reportage über
die Situation im Irak liest, ist der
Buzzfeed’schen Mischung aus Witz
und Ernsthaftigkeit nichts entgegenzusetzen. Das Wort Krise jedenfalls
dürfte den Machern vielleicht gerade
wegen dieser Verbindung unbekannt
sein.
*Quelle: Alexa.com/topsites
schießt keine Tore. +++ Man munkelt, die Magister seien jedoch Junggebliebene. +++ Man munkelt, in Mainz gebe es zu wenige Biergärten.
Publizissimus-preis
20
„Man ist nicht hier, um
hinterher etwas zu können“
Von Lorenz Harst
Unser Autor traf den aktuellen PublizissimusPreisträger Richard Lemke beim Mittagessen
und sprach mit ihm über das WissenschaftlerLeben und Forschungen auf dem Gebiet der Intersexualität.
Bild: Harst
Publizissimus: Herr Lemke,
herzlichen Glückwunsch zum
Publizissimus-Preis! Wegen Ihres
großen Engagements für Erstsemester haben wir uns für Sie als
Preisträger entschieden. Woher
rührt dieser besondere Einsatz?
Lemke: Zunächst einmal glaube ich
ehrlich gesagt gar nicht, dass ich einen großen Unterschied zwischen Studierenden des ersten Semesters und
anderen mache. Es ist vielmehr eine
grundlegende Motivation, die mich bei
dem, was Sie „besonderen Einsatz“
nennen, antreibt: Das Studium ist mit
sechs Semestern sehr knapp kalkuliert. Ich selbst habe noch sieben Jahre
studiert! Deshalb bin ich der Meinung,
man sollte so früh wie möglich anfangen, möglichst viel zu lernen – auch
und vor allem die Grundlagen des Wissenschaftlichen Arbeitens.
Welche Angebote erscheinen Ihnen für Erstsemester wichtig?
Neben ganz praktischen Angeboten
wie der Zusatzveranstaltung zu Citavi,
die ich jetzt als Abendveranstaltung
angeboten habe, geht es mir vor allem
darum, in all meinen Veranstaltungen
früh deutlich zu machen, dass die
Publizistik eine Wissenschaft ist. Das
heißt, man ist nicht hier, um hinterher etwas zu können – zum Beispiel
Journalismus – sondern, um etwas zu
wissen. Das Ziel ist der Erwerb von
Wissen, um hinterher begründete Entscheidungen treffen zu können, im medienpolitischen Bereich oder wo auch
immer. Das ist die Idee eines Universitätsabschlusses. Um das möglichst
früh zu lehren, unterrichte ich auch
sehr viel Wissenschaftstheorie. Dann
kann sich jeder Studierende möglichst
im ersten Semester schon überlegen:
Ist dies das Richtige für mich? Die Antwort darauf kann frustrierend sein,
daher gilt für mich: Je früher, desto
besser.
Viele, die jetzt ihr Studium aufnehmen, kommen direkt von
der Schule an die Uni. Sehen Sie
daher bei den Erstsemestern besondere Anpassungsschwierigkeiten?
Nein, eher im Gegenteil. Mittlerweile sind Schule und Universität doch
soweit angeglichen, dass es keine
Eingliederungsschwierigkeiten mehr
gibt – man muss sich ja kaum noch
umgewöhnen. Ich finde, man kann
das sehr gut an den Serviceerwartungen sehen, die von Studierenden
heute an Universitätslehrende gestellt
werden. Das hat sich stark verändert
gegenüber meiner Studienzeit, wo die
Betreuung noch nicht so umfassend
war wie heute und große Teile des
Lehrstoffes im Selbststudium bewältigt wurden. Heute werden auch an die
Dozenten große didaktische Anforderungen gestellt, die gute Leistungen
der Studierenden sicherstellen sollen.
Das hat sich in wenigen Jahren ganz
massiv geändert. Als ich in meiner
ersten „Mathematik für Physiker“Vorlesung gesessen und absolut nichts
verstanden habe, da musste ich mir
eben Bücher über Bücher anschaffen
und mir das erarbeiten. Dieser enorme
Anteil des Selbststudiums ist in vielen
Fächern heute völlig verschwunden.
Daher gibt es auch kaum noch diese
Angst, mit dem Studium überfordert
zu sein. Trotzdem finde ich, dass man
vor dem Studium auch einmal etwas
anderes gesehen und gemacht haben
sollte, zum Beispiel eine Tätigkeit im
sozialen Bereich. Da erlebt man zwar
vielleicht die erste Lebenskrise, aber
man lernt eben auch den Blick über
den Tellerrand hinaus.
Vom Einstieg ins Studium zum
Einstieg in den Job. Sie selbst
haben sich für die Universitätslaufbahn entschieden. Können
Sie uns erzählen, wie es dazu
gekommen ist?
Ausgangspunkt war mein ursprünglicher Berufswunsch: Ich wollte Wissenschaftsjournalismus
machen.
Dabei habe ich aber schnell gemerkt,
dass es mir nicht gefällt, komplexe
wissenschaftliche Themen immer so
weit herunterbrechen zu müssen,
dass sie journalistischen Stilmitteln
entsprechen. Das war mir einfach zu
reduktiv. In Hannover und Mainz habe
ich zudem eben eine gute empirische
Ausbildung genossen und gemerkt,
dass mir dieses empirische Arbeiten
+++ Man munkelt weiter, dies schränke die Möglichkeit eines gemütlichen Feierabendbieres (oder zwei) mit Kollegen erheblich ein. +++ Man
Publizissimus-preis
gefällt, gerade wenn man die Chance
bekommt, eigene Studien durchzuführen. Natürlich gehört zur Tätigkeit
als Wissenschaftlicher Mitarbeiter
auch die Lehre, die mir auch recht viel
Spaß macht. Ich halte also, frei nach
Humboldt, Forschung und Lehre für
gleichermaßen wichtig.
Was muss man mitbringen, um
die wissenschaftliche Laufbahn
einzuschlagen?
Ganz ehrlich? Einen einkommensstarken Partner oder ein einkommensstarkes Elternhaus (lacht). Nein, im
Ernst: Man braucht ein hohes Maß an
Toleranz und Vorurteilsfreiheit, vor
allem gegenüber den Ergebnissen der
empirischen Forschung. Ich kann Ihnen
gerne mal ein Beispiel geben: Nach
einem Vortrag auf einem Kongress in
Wien wurde mir mal von einer anderen
Teilnehmerin vorgeworfen, ich würde
Pornographie bagatellisieren denn das
sei schließlich nie „normaler“ Sex, der
da dargestellt wird. Natürlich brauchen wir für quantitative empirische
Forschung immer Kategorien, aber wir
müssen eben jenseits dessen denken,
was wir persönlich möglicherweise für
das Normale halten – was auch immer
das ist. Außerdem muss man lernen,
abzuschalten. Wissenschaft beruflich
zu betreiben, heißt eben auch, das
Hobby zum Beruf zu machen, daher
benötigt man eine gewisse Selbstdisziplin, um sagen zu können: „Für
heute reicht’s!“ und das Wochenende
auch mal Wochenende sein lassen zu
können. Das wird natürlich dadurch
erschwert, dass es immer neue, interessante Themen gibt.
Sie haben es selbst angesprochen: Zu ihren Forschungsfeldern gehört auch das Thema „Sexualität im Internet“. Können
Sie all denen, die noch nie eine
Veranstaltung dazu besucht haben, erklären, wie das Internet
das Sexualverhalten verändert?
Lassen Sie mich bitte erst kurz erklären, warum diese Frage überhaupt in
die Kommunikationswissenschaft gehört. Es ist ganz einfach so, dass das
Internet eine Kommunikation über
Sex ermöglicht, die so bisher nicht
denkbar war. Am besten lässt sich das
bei den Digital Natives beobachten,
unter denen einige immer mal wieder Aspekte der eigenen Sexualität in
Chatforen thematisieren. Und das auf
andere Art und Weise als es vor der
Ära des Internets der Fall war. Dazu
haben wir klare empirische Befunde.
Allgemein lässt sich zudem feststellen, dass es durch das Internet zu
einer Ausdifferenzierung der Sexualität gekommen ist. Für jede noch so
flüchtige Phantasie gibt es im Internet
eine Möglichkeit zur Befriedigung, oft
in der ganz konkreten Form der Pornographie. Substitutionsprozesse so wie
früher, wo man eben nur die Bilder in
irgendwelchen Zeitschriften zur Verfügung hatte, werden also obsolet. Man
kann viel wählerischer sein.
Lässt sich das auch auf Beziehungen übertragen? Beziehungsweise: Verändert das Internet überhaupt die Art, wie Beziehungen
geführt werden?
Natürlich! Vor allem, was das Eingehen
einer Partnerschaft angeht, ist das Internet immens wichtig, nicht umsonst
belegt es Platz vier auf der Liste der
Orte, an denen wir uns einen Partner
suchen. Und auch bei der Partnerselektion kann man viel wählerischer sein,
da man auf Dating-Sites zielgerichtet
nach Eigenschaften eines potentiellen
Partners suchen kann, die man so z.B.
in einer Bar auf den ersten, zweiten
oder sogar dritten Blick nicht sehen
könnte. Trotzdem bleibt eine Pauschalisierung solcher Befunde unzulässig,
denn ob jemand sich auf Online-Dating
einlässt oder nicht bleibt eine Typenfrage. Userbefragungen haben ein
ganz klares Muster ergeben. Es zeigt
das Bild eines Menschenschlags, der
durch die schriftliche Verbalisierung
seiner Interessen im Internet oft zum
ersten Mal die Möglichkeit bekam,
aus der Ich-Perspektive darüber zu
21
sprechen. Das kann eine echte Inpowerment-Funktion haben, Menschen
also eine Kontrolle über ihre eigenen
Wünsche und deren Erfüllung geben.
Besonders wichtig ist das Internet übrigens da, wo bestimmte sexuelle Neigungen geächtet sind. In Ländern zum
Beispiel, wo Homosexualität einer
rigiden, oft staatlichen Kontrolle unterworfen ist, stellt das Internet eine
Möglichkeit dar, diese zum umgehen.
Und welche Rolle spielt das Internet in Partnerschaften?
Na ja, es liefert weiter den heimlichen
Nachschub mit Pornografie, denn auch
in bestehenden Liebespartnerschaften
konsumieren Männer weiterhin Pornoclips – wenn auch im Durchschnitt
etwas seltener. Vor allem aber haben
Studien mit Paaren, die sich online
kennengelernt haben, gezeigt, dass
auch innerhalb der Beziehung heikle
Themen weiterhin online diskutiert
werden. Das macht es zum Beispiel
leichter, bestimmte Wünsche anzusprechen und eliminiert die Nachteile
von Face-to-Face-Gesprächen – den
schockierten, anklagenden Gesichtsausdruck zum Beispiel. Das Internet
kann in Partnerschaften aber auch negative Auswirkungen haben, schließlich erleichtert es Seitensprünge.
Gerade Online-Dating-Sites verlangen ein hohes Maß an Selbstoffenbarung. Nach NSA-Skandal, Heartbleed und Co.: Welche
Veränderungen erwarten Sie?
Ganz ehrlich? Gar keine. Ich glaube
nicht, dass die Nutzer solcher Angebote vorsichtiger werden, als sie
es ohnehin schon sind. Zum Beispiel
mussten schwule Männer in kleinen
Ortschaften schon immer diskret sein
bei der Auswahl der Bilder, die sie
hochladen. Trotzdem ließ sich feststellen, dass beim Betreten eines
Chatrooms, in dem man einen Nickname verwendet, mit dem Klarnamen
auch gleichzeitig alle Schamgrenzen
abgelegt wurden – und immer noch
werden. Bisher lässt sich noch nicht
feststellen, dass das Ausspionieren
der IP-Adressen zu einer Rationalisierung des Nutzerverhaltens in diesem
Bereich des Internets führen würde.
Wenn man Frau Merkel sagen
hört, das Internet sei Neulanund die vielen Klagen über die
undurchschaubaren Geschäftspraktiken von Google hört, hat
man oftmals den Eindruck, wir
hätten noch immer nicht so richtig kapiert, wie das Internet
eigentlich funktioniert. Muss
nicht die Kommunikationswissenschaft etwas zur Aufklärung
beitragen?
Lemke: Eine sehr gute Frage. Ja, klar
muss sie das. Das muss unser Anspruch sein, ebenso wie es der Anspruch des Wissenschafts- und Technikjournalismus sein muss. Wenn sich
allerdings die Wissenschaft damit auseinandersetzt, dann muss sie dabei
einen interdisziplinären Ansatz verfolgen. Auch die Rechtswissenschaften
müssen ihren Teil dazu beitragen, das
Internet verständlicher zu machen.
Es kann zum Beispiel nicht sein, dass
im Gesetz noch immer die Rede von
„kinderpornografischen Schriften“ ist.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist
daher die Forschung im Bereich der
Medienkonvergenz.
Richard Lemke, danke für Ihre
Zeit.
In jeder Ausgabe verleiht die Publizissimus-Redaktion die wohl renommierteste Auszeichnung, die es am Institut
für Publizistik zu haben gibt. Den heißbegehrten Publizissimus-Preis bekommen Personen, die sich in besonderem
Maße um die IfP-Studierenden kümmern und dabei durch Freundlichkeit,
Engagement, Hilfsbereitschaft, Expertise, Sympathie und/oder ähnlich lobenswerten Eigenschaften auffallen.
munkelt, dies sei aber nichts für die Munkler. +++ Man munkelt, Frau Meltzer werde von Herrn Lemke Mäuschen genannt. +++ Man munkelt,
Abgehört
22
Privatsphäre - Do it yourself!
Von Lorenz Harst
Die Rufe nach politischem Eingreifen in die
NSA-Affäre und einem besseren Schutz der
Privatsphäre werden immer lauter. Internetpioniere aber rufen auf zur Eigeninitiative.
Vom 6. bis zum 8. Mai fand in Berlin
die re:publica statt, die nach eigenen Angaben „größte Social-MediaKonferenz Europas“ – so steht es
zumindest auf der Homepage zur
diesjährigen fünften Ausgabe der
Veranstaltung unter dem Motto „Into
The Wild“. Das Motto ist, wie könnte
es anders sein, eine Reaktion auf die
nicht enden wollenden Enthüllungen
von NSA-Whistleblower Edward Snowden, dessen ehemaliger Arbeitgeber
längst nicht mehr die einzige Gefährdung für unsere Privatsphäre im Internet darstellt.
Zum „omniobservierten Netz“ tragen,
so die Veranstalter der re:publica,
auch die Google-Algorithmen bei,
die uns alle, die wir das Internet
regelmäßig nutzen, schon lange vor
der NSA und anderen Geheimdiensten gläsern und somit berechenbar
gemacht haben. Während aber der
#Aufschrei nach den Enthüllungen
Snowdens sofort mit Highspeed durch
alle sozialen Netzwerke dröhnte, hat
es länger gedauert, bis er im Zusammenhang mit Google Latitude und genauen Standortangaben im mobilen
Facebook-Messenger eine ähnliche
Lautstärke erreicht hat.
Öffnet die Peng!-Guerillataktik
ein paar Augen?
Das schienen auch die Aktivisten
des Peng! Collectives so zu sehen,
die nach eigenen Angaben „Kampagnenarbeit mit Spezialisierung auf
subversive Strategien, Kommunikationsguerilla, zivilen Ungehorsam und
Adbusting“ überall da betreiben, wo
sie es für nötig halten.
Die negativen Seiten des Adbustings,
die gezielte Unterminierung von
zweifelhaften Werbestrategien, bekam auch Google auf der re:publica
zu spüren: Zwei angebliche Mitarbeiter des Konzerns – in Wahrheit Peng!Aktivisten – traten auf und stellten
absurde neue Produkte wie Google
Hug, Google Bee oder Google Bye
vor. Hug erkennt, wenn der jeweilige
Nutzer mal wieder dringend eine Umarmung braucht und sucht dann einen
anderen, der sie ihm verpasst. Bee
ist eine kamerabewährte Drohne, die
in Abwesenheit der Eltern die Kinder
betreut und am Ende des Tages ein
kleines Video schneidet. Mit Bye wird
es dann völlig abstrus: Das Produkt
erstellt nach dem Tod des Nutzers ein
Best-of seines Lebens für die trauernden Hinterbliebenen.
Eingeweihte Politiker reagierten
mit empörten Angriffen auf Google,
Schauspieler Jan-Josef Liefers ließ
sich im Publikum von einem Wild-
Bild: Open Content
fremden umarmen, die Zuschauer
lachten. Doch scheinbar ist die „Kommunikationsguerilla“ von Peng! als
Augenöffner dringend nötig.
Nicht nur die Politik ist in der
Pflicht
Denn wie sicher wir uns auf unseren Lieblingsportalen und MailDiensten, Shopping-Portalen und
Dating-Plattformen eigentlich fühlen dürfen, scheint viele Menschen
auch in Deutschland erst zu interessieren, seit die Sicherheitslücke
„Heartbleed“ publik wurde. Doch
selbst dann richtete sich der #Aufschrei lautstark an die Politik, sogar
in einem Tagesthemen-Kommentar
forderte die Journalistin die Verbraucherschutzpolitiker dazu auf, das Internet durch entsprechende Gesetze
endlich sicherer zu machen.
Auf der re:publica geht der SpiegelKolumnist Sascha Lobo einen ganz anderen Weg: Er nimmt die Nutzer in die
Pflicht. Wie wenig der Otto-NormalNutzer scheinbar daran interessiert
ist, das Netz zu einem sichereren Ort
zu machen, zeigt Lobo exemplarisch
an der Menge an Spenden, die etwa
Netzgesellschaft und Netzpolitik e.V.
im letzten Jahr erhalten haben. Sie
lägen dramatisch unter der finan-
ziellen Unterstützung, die „unsere
Eltern“, wie Lobo es überspitzt ausdrückt, einem Naturschutzbund in
Bayern hätten zukommen lassen. Er
fasst den Gedanken unter die griffige Formel: „Ihr habt versagt, was
die finanzielle Unterstützung der
Institutionen angeht, die versuchen,
das Internet so zu halten, dass man
es gerade noch frei, offen und sicher
nennen kann.“
Wie steht es eigentlich um unser
Verständnis von Privatsphäre im
Internet? Wie müssen sich unsere
Nutzergewohnheiten ändern, damit
nicht unsere privatesten Daten in den
Händen von Datenhändlern landen?
Und sind wir dazu überhaupt bereit?
Leonard Reinecke, Professor und Experte für die Rezipientensicht auf das
Thema „Privatsphäre“ äußert sich im
nachfolgenden Gastbeitrag zu diesen
Fragen.
Prof. Daschmann sammele Nummern von Erstis. +++ Man munkelt, für Herrn Lemke bleibt Frau Meltzer immer die Nr. 1 an seiner Seite. +++
Abgehört -
23
gastbeitrag
„Prism“ statt Privacy?
Edward Snowden und das Ende
des Internets, wie wir es
kannten
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Leonard Reinecke
Fast genau ein Jahr ist es her, dass
der Whistleblower Edward Snowden
mit seinen Enthüllungen die Überwachungsaktivitäten der NSA und
des britischen GCHQ weltweit publik
machte. Vokabeln wie „Prism“, „Tempora“ und „„XKeystore“ beherrschen
seither die Debatte über Privatheit
im Netz, die Gefahren von „Big Data“
und den Informationshunger der Geheimdienste. Der NSA-Skandal hat
unseren Blick auf das Internet vermutlich für immer geändert. Doch
welche Konsequenzen hat das für
unseren Umgang mit privaten Daten
und mit Online-Kommunikation?
setzung mit dem Schutz der Privatsphäre Konjunktur hat. Schon lange
vor Snowden ist das Thema in den
Feuilletons, den Abendnachrichten,
den Schulen und Kinderzimmern der
Republik angekommen. Spätestens
mit dem Aufkommen des Social Web,
das öffentliche Nabelschau, Selbstpräsentation und Selbstoffenbarung
zu einem festen Baustein der OnlineKommunikation hat werden lassen,
stellt sich immer drängender die
Frage nach dem richtigen Umgang mit
Privatsphäre im Netz.
„Die Auseinandersetzung mit
dem Schutz der Privatsphäre
hat Hochkonjunktur“
Den Apologeten der Post-Privacy
Perspektive, allen voran FacebookGründer Marc Zuckerberg, die die Vorteile des Endes der Privatsphäre und
der daraus resultierenden „offenen“
Gesellschaft propagieren, steht die
Sorge um die negativen Konsequenzen gegenüber, die sich aus einem
solchen Szenario für jeden einzelnen
Nutzer, aber auch für die Gesellschaft
als Ganzes ergeben können. Und dies
Privatsphäre ist ein schillernder Begriff. Irgendwie wichtig, klar, aber
auch schwer greifbar. Wo fängt sie
an, wo hört Sie auf und wieviel davon
braucht es im Alltag? Die Enthüllungen von Edward Snowden fallen in
eine Zeit, in der die Auseinander-
Privatsphäre als Schutzschild
Bild: Open Content
zu Recht. Aus psychologischer Perspektive ist Privatsphäre eine Ressource von unschätzbarem Wert. Sie
ermöglicht geschützte Kommunikation und Intimität, ist ein Schutzschild
gegen ungewollte äußere Einflüsse,
ein Rückzugsraum, der angstfreie
Authentizität ermöglicht und eine
Auszeit von Rollen und Erwartungen
des öffentlichen Lebens bietet.
Diese wichtige Ressource zu erhalten,
war angesichts des steigenden Stellenwerts der Online-Kommunikation
für unser soziales Miteinander schon
in der Prä-Snowden Ära eine nicht zu
unterschätzende Herausforderung.
Die Enthüllungen Snowdens aber sind
Man munkelt, er würde sich das auf ein T-Shirt drucken lassen. +++ Man munkelt, Prof. Daschmann habe die Nummer des Präsidenten auf
Abgehört -
24
In einer Realität aber, in der wie etwa
im Rahmen des britischen Abhörprogramms „Tempora“ ein Großteil des
gesamten Datenstroms zwischen
Europa und den USA verdachtsunabhängig abgefangen und Telefonate,
E-Mails und Facebook-Kommunikation milliardenfach durchsucht und
gespeichert werden, ist das Bild des
für den Schutz seiner Privatsphäre selbstverantwortlichen Bürgers
schlicht Makulatur.
Snowdens Enthüllungen machen die Hilflosigkeit des Einzelnen deutlich
Welche psychologischen Implikationen erwachsen aus diesem neuen,
dystopischen Blick auf die OnlineKommunikation? Denkbar wäre zum
einen eine weiter steigende Sensi-
bilisierung für die Wichtigkeit des
Schutzes der Privatsphäre. Dass der
Diskurs um die Enthüllungen Snowdens die Sichtbarkeit des Themas
erhöht und die öffentliche Debatte
um Privatsphäre befeuert hat, darf
als unstrittig gelten. Äußerst fraglich
ist hingegen, ob sich das durch den
NSA-Skandal gesteigerte Bedürfnis
nach Privatsphäre für die Mehrheit
der Nutzerinnen und Nutzer in sinnvolle und effektive Schutzmaßnahmen kanalisieren lässt. Wie sollten
diese auch aussehen? Vielmehr führen die Enthüllungen Snowdens der
versammelten Internetgemeinde ihre
dass erst die Meldung über das angezapfte Kanzlerinnen-Handy die Drähte zwischen Berlin und Washington
zum Glühen brachte – wohingegen
sich die politischen Gemüter über
das millionenfache Aushorchen der
Online-Kommunikation deutscher
Bürger zunächst nicht so recht zu erregen vermochten.
eigene Hilflosigkeit schmerzhaft vor
Augen. Was kann der einzelne User
schon tun, wenn die Geheimdienste
dieser Welt selbst die Giganten des
Internets, sprich Google, Facebook
und Co., in die Knie zwingen? Diese
Hilflosigkeit spiegelt sich auch im Umgang der politischen Akteure mit dem
NSA-Skandal wieder. Zwar erfahren
wir aus Regierungskreisen, dass „Abhören unter Freunden“ gar nicht gehe,
müssen aber gleichzeitig feststellen,
dass selbiges politisch offenbar folgenlos bleibt. Irritierend mag es auf
viele Betrachter auch gewirkt haben,
ten um den Schutz der Privatsphäre
war eine „was soll‘s“-Haltung vielerorts verbreitet, häufig verbunden
mit dem Argument: „Ich habe doch
nichts zu verbergen!“ Diese Perspektive ist jedoch fatal, verschiebt sie
doch die Beweislast zu Ungunsten
der Bürger und öffnet verdachtsunabhängiger Überwachung Tür und
Tor. Sie verkennt darüber hinaus die
psychologischen Realitäten: Wir alle
haben etwas zu verbergen! Nicht
im strafrechtlich relevanten Sinne,
sondern zum Wohle unseres psychologischen Wohlbefindens und des ge-
„Wir alle haben etwas zu verbergen!“
Was also tun? Eine leider verlockende
– weil bequeme – Alternative wäre
Fatalismus. Schon in früheren Debat-
Bild: Reinecke
ein echter „Game Changer“ im Ringen
um den Schutz der Privatsphäre. Sie
verändern unseren Blick auf das Internet und auf unsere eigene Rolle
beim Umgang mit Informationen fundamental. So orientierte sich der Diskurs vor Snowden stets am Bild des
mehr oder minder mündigen und für
das Schicksal seiner Daten selbstverantwortlichen Users. Die medienpsychologische Forschung zeichnete das
Bild eines relativ rational agierenden
Nutzers, der zwischen den Chancen
und Risiken im Umgang mit privaten
Daten im Internet abwägt und dabei
den für sich besten „Deal“ zu machen
versucht. Medienkompetenz, der behutsame und vorausschauende Umgang mit Selbstoffenbarung im Netz,
die Nutzung von Privacy Settings,
die Wahl eines vertrauenswürdigen
Plattform-Betreibers – all dies schienen vielversprechende Ansätze zum
Schutz der Privatsphäre zu sein. Bei
verantwortungsvollem und kompetentem Umgang mit Online-Kommunikation – so die Message – ließe
sich auch im Internet Privatsphäre
herstellen und aufrechterhalten.
gastbeitrag
sellschaftlichen Zusammenhalts. Nur
im Bewusstsein geschützter Kommunikation kann zwischenmenschliches
Vertrauen gelingen und Intimität entstehen.
„Was soll‘s“-Haltung ablegen
Aufgeben ist also keine Option. Da
das Spektrum möglicher Gegenmaßnahmen aus Sicht des einzelnen
Users angesichts der technischen
Übermacht von NSA und Co. offensichtlich beschränkt, das Internet
aber längst zu einem unverzichtbaren Teil unseres Lebens geworden ist,
bleibt der Weg der politischen Initiativen und der gesetzlichen Regulierung
die einzig aussichtsreiche Option.
Getragen und befeuert werden muss
dieser Weg durch eine öffentliche
Debatte, die sich nicht der gefühlten
Ohnmacht hingibt, sondern die zuweilen unangenehme diplomatische
Konfrontation mit transatlantischen
Verbündeten einfordert. Und aktuelle
Entwicklungen in diesem Bereich machen durchaus Hoffnung. Der offene
Diskurs um das umstrittene ACTAAbkommen innerhalb der EU oder das
unlängst durch den EuGH gegenüber
Google durchgesetzte „Recht auf
Vergessen“ sind nur zwei Beispiele.
Sicher ist: Das Ringen mit den Geheimdiensten dieser Welt um klare
Regeln bei der Überwachung von
Online-Kommunikation wird dabei
ungleich schwerer als die juristische
Auseinandersetzung um den Datenschutz mit IT-Konzernen wie Google
oder Facebook. Sicher ist aber auch:
Der Schutz unserer informationellen
Selbstbestimmung ist jede Anstrengung wert.
seinem Handy. +++ Man munkelt, Herr Geiss und Frau Magin wollten, dass ihr Sohn etwas gescheites studiert. +++ Man munkelt, das schließe
Praktikumsbericht
25
i
Von Tieren in Not und einem Flug auf den Mars
Von Natalie Eichinger
Im Lokalfernsehen beißen den Letzten
manchmal die Hunde – so ähnlich hat es
unsere Autorin während eines Praktikums
beim Hessischen Rundfunk erlebt.
Eines vorweg: Ein Zuckerschlecken
war dieses Praktikum bestimmt
nicht. Im Gegenteil: Ein katastrophaler Start, lange Arbeitszeiten und
Momente, die einerseits großartig
waren und mich andererseits an
den Rand der Verzweiflung trieben,
bleiben mir von diesem Praktikum
im Gedächtnis. Mit anderen Worten:
Beim Hessischen Rundfunk hatte ich
die Möglichkeit, waschechte Fernseherfahrung zu sammeln. Doch eines
nach dem andern: Dass die Zusage
für ein Praktikum überhaupt kommen
würde, hatte ich eigentlich schon aufgegeben, nachdem ich über vier Monate auf eine Rückmeldung gewartet
hatte. Im vergangenen Oktober kam
dann aber doch die Zusage. Beim
Fernsehen dauert eben alles länger.
mein Praktikum in der Redaktion
„Maintower“ Ende März dieses Jahres. Die Sendung kannte ich zunächst
nicht, doch mir wurde schnell klar,
dass es sich hier nicht um eine Nachrichtensendung à la Hessenschau
handelte. Stattdessen standen hier
ungewöhnliche und besonders haarsträubende Verkehrsunfälle („Transporter mit 4.500 Enten an Bord auf A7
verunglückt“), lustige und tragische
Tiergeschichten („Ente brütet Eier in
Blumenkasten auf Balkon aus“) oder
Menschen mit (Verzeihung) bescheuerten Ideen (Martin Höres entwirft
Wohlfühlmobiliar für Meerschweinchen und Co.) im wahrsten Sinne des
Wortes auf dem Programm. Ich war
wohl beim Klatschmagazin des Hessischen Rundfunks gelandet.
Nach einer super organisierten Einführungswoche im Februar dieses
Jahres (die sogar bezahlt wurde und
während der die Teilnehmer mit allen
Medien des Hessischen Rundfunks
vertraut gemacht wurden), startete
Warum Boulevard nicht automatisch schlecht ist
Ganz falsch lag ich mit dieser ersten
Einschätzung wohl nicht – schließlich
bezeichnet sich Maintower selbst als
Bild: Open Content
Boulevardmagazin. Eine Verurteilung
soll das natürlich nicht sein – ganz im
Gegenteil: Später stellte sich heraus,
dass ich es genau diesem Format verdankte, eigene Beiträge produzieren
zu dürfen.
So kam ich, nachdem ich mich auf
dem Gelände des Hessischen Rundfunks erstmal ordentlich verlaufen
hatte, am ersten Praktikumstag gegen 9 Uhr in die Redaktion. Dass niemand wusste, dass ich für die nächsten acht Wochen als Praktikantin hier
arbeiten würde, überraschte mich
wenig. Von früheren Praktika ist man
das ja bereits gewohnt und es hätte
mich wohl eher gewundert, wenn
es anders gewesen wäre. Trotzdem
fand der nette Redaktionschef sofort
einen Arbeitsplatz für mich und versprach mir, dass ich noch heute mit
auf einen Dreh fahren dürfte. Was
erstmal fantastisch klang stellte sich
nach der Redaktionssitzung jedoch
als problematisch heraus: Viele Kamerateams waren nicht frei, weshalb
an diesem Tag kaum neue Beiträge
produziert wurden. Trotzdem wandte ich mich an eine Redakteurin, die
am Vormittag nach Wiesbaden fuhr,
um ein Baby-Eichhörnchen zu filmen,
dass aus einem Kobel gefallen war.
Einen wirklichen Nachrichtenwert das
für mich nicht gerade, aber besser als
gar nichts war es allemal und gegen
Eichhörnchen habe ich nichts einzuwenden. Besonders begeistert schien
die Redakteurin nicht zu sein, dass
ich sie begleiten wollte, trotzdem
willigte sie ein. Zehn Minuten später
wurde diese Zusage jedoch revidiert.
Kein Platz im Auto – das Kamerateam hatte wohl schon einen eigenen
Praktikanten dabei. Na wunderbar.
„Wo kommen eigentlich andauernd dieser nervigen Praktikanten her?“
So ganz wasserdicht war diese Ausrede dann aber doch nicht, denn nach
einem kurzen Telefonanruf des CvDs
stellte sich überraschenderweise he-
Publizistik aus. +++ Man munkelt, Prof. Daschmann meint, „alt werden ist so ne Scheiße, Leute“. +++ Man munkelt, Prof. Daschmann werde
Praktikumsbericht
26
raus, dass sehr wohl noch ein Platz
im Auto frei war, weshalb ich wohl
oder übel doch auf den Dreh mitgenommen werden musste. Im Auto
saßen wir dann zwar eingequetscht
und dicht aneinandergedrängt auf
der Rückbank, doch war ich einfach
nur froh, mit zu dem verunglückten
Eichhörnchen fahren zu können.
Kurzum: Der erste Tag war ein einziges Fiasko. Völlig am Ende kam ich
an diesem Abend nach Hause und
fragte mich, wie ich das die nächsten
acht Wochen aushalten sollte. Auch
der zweite Tag lief nicht viel besser.
Wieder wollte mich niemand auf den
Dreh mitnehmen und wieder schaffte ich es, ihnen meine Anwesenheit
trotzdem aufzuzwingen. Hart für beide Seiten, aber ich sah es nicht ein,
acht Wochen untätig hinterm Schreibtisch zu klemmen.
Ein Haufen Welpen und ein
Mathematikprofessor, der dem
Analogrechnen verfallen ist
So banal diese Themen auf den ersten Blick auch waren – sie in einem
Fernsehbeitrag entsprechend in Szene zu setzen, war eine echte Herausforderung. Den Zuschauern zu erklären, warum es Spaß macht, mit zwei
Autoreifen im Schlepptau durch den
Wald zu joggen, um sich auf einen
700 Kilometer-Marsch durch Alaska
vorzubereiten, war da noch ein vergleichsweise kleines Problem. Als
Praktikantin einem ausgebildeten
Kameramann und Ton-assistenten
Anweisungen zu geben und sie
zwingen, in ihren Augen abstruse
Bildideen umzusetzen, ein sehr viel
kommen.
größeres. Doch damit nicht genug:
Die eigene Idee für den Beitrag dann
auch noch dem Cutter zu erklären,
der mit den Bildern eigentlich lieber
etwas völlig anderes zusammengeschnippelt hätte, und das produzierte
Resultat zum krönenden Abschluss
noch vor den nörgelnden CvDs zu verteidigen, brachte mich manchmal fast
um den Verstand und nicht nur einmal
um den Schlaf.
Bild: Open Content
Die absolute Hiobsbotschaft kam
dann kurz vor Wiesbaden. Während
es draußen fröhlich vor sich hinhagelte, erhielten wir die Info, dass wir
noch eine Person einsammeln mussten. Platz war im Auto definitiv keiner
mehr, weshalb einer der Praktikanten
in Wiesbaden „ausgesetzt“ wurde.
Ganz gentleman-like verkündete der
Praktikant des Kamerateams, dass er
das selbstverständlich übernehmen
würde. Ich bin mir sicher, dass er,
nachdem wir ihn im Hagel draußen
stehen ließen, diese Entscheidung
bitter bereute. Ich selbst bereute
ebenfalls, nicht selbst ausgestiegen
zu sein, da Redakteurin, Kamera- und
Tonmann anfingen ausgiebig über
diese „andauernden, nervigen Praktikanten“ zu lästern. Wo die nur alle
herkämen. Tja, ich weiß auch nicht,
warum ihr mir eine Zusage geschickt
hattet.
Der Wendepunkt kam, als ich in der
dritten Woche meinen ersten Beitrag
selbst produzieren durfte: Eine Schäferhündin, die zehn Junge bekommen
hatte. Klingt erstmal nach einem
dankbaren Thema, nicht jedoch für
jemanden, der eigentlich ziemliche
Angst vor größeren Hunden hat – wie
mich. Und ein Schäferhund fiel für
mich zweifellos in die Kategorie „größere Hunde“. Sei’s drum, da musste
ich irgendwie durch und schaffte es
tatsächlich, ganz alleine einen Beitrag über den Riesenhund und seine,
das musste ich zugeben, doch sehr
süßen Welpen auf die Reihe zu be-
Die übrigen Redaktionsmitglieder
schienen mit dem Resultat ebenfalls
zufrieden, denn seit der Ausstrahlung
des Beitrags waren die Aufträge nur
so hereingeflattert, so dass ich während meines Praktikums keine ruhige
Minute mehr hatte und sieben eigene Beiträge produzieren konnte. Mit
weltbewegenden Themen befasste
ich mich natürlich nicht. Die Inhalte
meiner Beiträge: Ein paar weitere
(kleinere) Tiere, ein Verrückter, der
zum Mars fliegen will und ein Mathematikprofessor, der Analogrechnen
mehr als alles andere auf der Welt
liebt.
die inhaltliche Verantwortung trug
(obwohl mir auch das häufig Bauchschmerzen bereitete und ich mich gedanklich schon wegen Verleumdung
und unwahrer Tatsachenbehauptung
vor Gericht stehen sah).
Trotzdem war es das beste und vor
allem lehrreichste journalistische
Praktikum, das ich hatte. Nicht, weil
alles immer Spaß gemacht hat und alles glatt ging, sondern weil es mir gezeigt hat, was beim Fernsehen hinter
den Kulissen wirklich abgeht und wie
stressig der Beruf des Fernsehredakteurs tatsächlich ist. Wer den Fernsehalltag mit all seinen Höhen und Tiefen hautnah miterleben und wissen
will, was es heißt, einen Beitrag innerhalb eines winzigen Zeitfensters
fertigstellen zu müssen, der ist beim
Hessischen Rundfunk gut aufgehoben. Und auch wenn ich ein positives
Fazit aus meinen acht Wochen dort
ziehen kann, muss ich zugeben: Beim
Fernsehen zu arbeiten, hatte ich mir
leichter vorgestellt.
Was hinter den Kulissen wirklich abgeht
Auf der anderen Seite erstaunte es
mich, dass mir nach meinen doch
eher schweren Start so viel Vertrauen
entgegen gebracht wurde und ich für
meine Beiträge tatsächlich als Einzige
per Megafon auf sein fertiges Steak aufmerksam gemacht. +++ Man munkelt, die Würstchen beim Publi-Kick sollen etwas fad gewesen sein.
i
Fussball-tv
27
Spiel“ zufrieden geben müssen? Kann
man das Material der Vereinssender
eigentlich „Journalismus“ nennen?
Ist das objektiv, distanziert und kritisch oder PR-verseucht? Denn immerhin übernehmen Leitmedien das
Material.
Bild: Screenshot fcb.tv
Irgendwas mit Fernsehen
Von Giuseppe Rondinella
Alle Bundesligisten haben mittlerweile einen
eigenen TV-Sender. Diese Art der Hofberichterstattung beeinflusst den unabhängigen Journalismus. Oft übernehmen seriöse Medienhäuser
das PR-verseuchte Material – weil sie keine andere Wahl haben.
Alle Journalisten, die nach dem Abpfiff in der Mixed-Zone warteten,
hätten gerne mit ihm gesprochen –
Mario Götze. Er war an diesem Bundesliga-Spieltag im November vergangenen Jahres der Mann der Partie.
Ausgerechnet gegen seinen alten Verein Borussia Dortmund erzielte der
Neu-Münchener den Führungstreffer.
Die BVB-Fans buhten ihn aus, einen
Torjubel ersparte sich der 20-Jährige.
Stoff für eine Menge Fragen seitens
der Journalisten – doch der Protagonist marschierte nach dem Spiel
einfach schnurstracks an ihnen vorbei
in die Kabine. Die Medienvertreter
wurden eiskalt abserviert.
Erst am nächsten Tag brach Götze sein
Schweigen und gab ein exklusives Interview. Aber nicht für Spiegel Online,
nicht für die BILD, auch nicht für den
Kicker, sondern für den clubeigenen
Sender FCB.TV. Dem Haussender des
FC Bayern war ein echter Scoop gelungen.
Die Bilder waren danach bei ARD
und ZDF zu sehen, Print-Magazine
nannten FCB.TV als Quelle. Und das
war nicht der erste Erfolg dieser Art:
Bereits Jürgen Klinsmann sprach nach
seiner Vorstellung als Bayern-Trainer
2008 zuerst mit einem Redakteur von
FCB.TV. Auch beim Rekord-Transfer
von Javi Martinez hatte der Sender
exklusives Bild-Material, war sogar
bei der medizinischen Untersuchung
dabei.
Vereinseigene TV-Sender sind längst
keine Seltenheit mehr, und der FC
Bayern ist nicht der einzige Club mit
einem solchen Angebot. In der ersten
Fußball-Bundesliga ist das nahezu
Standard – jeder Verein hat einen
TV-Kanal, und der wird in der Regel
hochprofessionell betrieben. Selbst
in der zweiten Liga finden sich Vereine mit TV-Hofberichterstattung und
sogar Drittligisten wie Holstein Kiel
oder Preußen Münster leisten sich
einen eigenen Sender. In der Regel
belassen es Drittliga-Clubs aber bei
einem regulären Youtube-Kanal, dessen Abonnentenzahlen relativ überschaubar sind.
Eigene TV-Sender auch in der
dritten Liga
Doch bleiben wir beim Beispiel FC
Bayern: Wer die Berichterstattung
des Rekordmeisters im Internet konsumieren möchte, muss grundsätzlich zahlen. Zwölf Monate kosten
beispielsweise 36 Euro – damit ist
der Bayern-Sender relativ günstig
zu haben. Bei der Borussia aus Mönchengladbach kostet ein Jahresabo
rund 50 Euro. Spitzenreiter ist die
TSG 1899 Hoffenheim. Hier kostet der
Onlinezugang zum clubeigenen TVSender etwa 60 Euro im Jahr. Als Gegenleistung gibt es dann Interviews,
Pressekonferenzen oder Statistiken.
Was bedeutet es nun, wenn sich Vereine einfach selbst interviewen und mit
ihrer Berichterstattung auch noch Relevanz erzeugen? Steht die Sportberichterstattung vor einer Umwälzung?
Gibt es exklusive O-Töne zukünftig
nur noch für die hauseigenen Kanäle,
während sich die Mainstream-Medien
mit dem gängigen Fußball-Blabla à la
„Wir konzentrieren uns aufs nächste
Ein Verein, der seit vergangener Saison von einem Paid-Content-Angebot
auf freie Nutzung umgestellt hat,
ist der FSV Mainz 05. Noch bis Sommer 2013 hatten die Rheinhessen
das Onlineportal in Kooperation mit
der Telekom betrieben, nach Ablauf
des Vertrages dann aber die Bezahlschranke gekippt. Jetzt sponsert die
AOK das Portal, für das ein freier
Journalist und ein Halbjahrespraktikant arbeiten. Alle paar Tage gibt es
dann Exklusiv-Interviews mit Spielern oder Trainern sowie die Pressekonferenzen zu sehen.
Staubtrockene Fußball-Phrasen
statt Kritik
Inhaltlich betrachtet sind die Berichte der Vereine natürlich in der Regel
Eigen-PR und keineswegs objektiv,
kritisch und distanziert – sollen sie
wahrscheinlich auch gar nicht sein,
immerhin sind es die Vereins-Fans,
die solche Inhalte konsumieren und
schließlich keinen kühlen und neutralen Spielbericht erwarten. Da werden
die Treffer der Gegner heruntergespielt, die eigenen Tore frenetisch bejubelt, die eignen Spieler vergöttert
– die guten Sitten dabei aber häufig
über Bord geworfen. So wie bei BVBStadionsprecher Norbert Dickel, der
beim Dortmund-Sender Borussen-TV
den Schiri einst als „Blinden“ bezeichnete und prompt eine Geldstrafe
kassierte. Seriöser Journalismus ist
das nicht.
Dass sich Vereins-PR als Journalismus tarnt, ist EIN Problem. Ein ganz
anderes ist, dass dieses Material
häufig das einzige ist, dass den Journalisten der gängigen Zeitungen und
TV-Sender zur Verfügung steht. Gerade dann, wenn es sich um ExklusivMaterial handelt.
So gibt Mario Götze sein erstes Interview nach dem Spiel gegen seinen Ex-Club dem FCB.TV. Kritische
Nachfragen: Fehlanzeige. Stattdessen
staubtrockene Fußballer-Phrasen.
Das Problem: Journalisten geben sich
mit diesem Material häufig zufrieden
– und tappen so in die PR-Falle.
Der Pseudo-Journalismus der Vereine
birgt Gefahren. Seriöse Sport-Redakteure werden übergangen. Und das
verhindert die Arbeit von Medienschaffenden.
+++ Man munkelt, das lag an den Elektro-Grills. +++ Man munkelt weiterhin, das Grillverbot auf dem Campus sei absoluter Schwachsinn.
Praktikumsbericht
28
ii
Bild: PR
Ein echtes Journalistenpraktikum in der Hansestadt
Von Robin Schäfer
SWR, ZDF und Co. kennt jeder, Klassikradio in Hamburg die wenigsten. Unser Autor schon. Für
den Publizissimus berichtet er exklusiv über sein Praktikum dort.
Die Stadt war klar. Das Medium auch.
Aber bei welchem Radio in Hamburg
bekommt man vier Monate vor erhofftem Beginn noch einen Praktikumsplatz? Eigentlich hatte ich keine
Lust, bei einem lokalen Popradio für
Straßenumfragen und Merchandising
eingesetzt zu werden – das bringt
mich schließlich nicht weiter.
Klassikradio schien für mich mit seiner nationalen Empfangbarkeit und
seinem selbstformulierten Anspruch
anders und anspruchsvoll. In der
Praktikumsausschreibung war von
Interviews mit „Klassikstars“, Recherche, Verfassen von Kinokritiken
und Sendungsbegleitung die Rede.
Perfekt. Neun Wochen nach meiner
Bewerbung im Oktober kam die Mail
mit der Bitte um ein telefonisches
Bewerbungsgespräch. Das Telefonat:
Chaotisch aber sympathisch. Anscheinend viel los in der Redaktion. Kurz
danach kam die Zusage.
Tagesaktuelle Interviews statt
Gesprächen mit „Klassikstars“
– gut so!
Durch meine Radioerfahrung viel mir
der Einstieg nicht schwer. Noch dazu
fand ich in Hamburg ein ganzes Heer
von Praktikanten vor: Wir waren zu
viert. Bald durfte ich selbstständig
eigene Interviews führen, konnte
mich in Redaktionssitzungen einbringen und Themenvorschläge machen.
Die Interviews erfolgten zwar nur in
einem einzigen Fall mit einem „Klassikstar“ – einem jungen Pianisten –
waren aber dafür häufig zu tagesaktuellen Themen, was mich insgeheim
viel mehr begeisterte. Häufig mussten diese Gespräche dann von mir
unter Zeitdruck geschnitten werden.
Außerdem sollte in Rücksprache mit
dem Chefmoderator eine Moderation
verfasst und eine Endversion abgenommen werden. Genauso hatte ich
mir das vorgestellt.
Am spannendsten war es, wenn
ein potenzieller Interviewpartner
das Gespräch sofort führen wollte.
Schließlich war man vor dem Anruf
nur kurz im Thema und durfte im
Gespräch nichts Wichtiges vergessen.
Letztlich hatte man dadurch etwas,
das Praktikanten häufig verzweifelt
suchen: Verantwortung.
Im März besuchte ich mit einer Musikpraktikantin ein Ludovico-EinaudiKonzert. In der Pause und nach der
Vorstellung fingen wir Stimmen und
Meinungen zum Konzert ein. Am folgenden Morgen mussten wir diese
in aller Frühe zu einer Toncollage
zusammenfassen und noch dazu eine
Konzertkritik verfassen. Eine Nacht
mit wenig Schlaf, aber es hat sich
gelohnt.
Der Höhepunkt: Möhrings Tatort-Premiere
Ein besonderer Höhepunkt des Praktikums war ohne Frage der Besuch
der Tatort-Premiere von Wotan Wilke
Möhring im Passage Kino in der Mönckebergstraße. „Feuerteufel“ hieß
der erste Möhring-Streifen und ich
hatte die Gelegenheit, ihn und andere
Darsteller sowie den Regisseur zu interviewen. Möhring verschwand dann
während der Vorführung in einen anderen Kino-Saal um das CL-Halbfinale
seines Vereins Borussia Dortmund
gegen Real Madrid zu schauen. Kann
man so machen.
Selbstverständlich gab es auch bei
Klassikradio langweilige Praktikantenaufgaben, aber ein guter Umgang
und viele anspruchsvolle Aufgaben
haben das wieder wett gemacht.
Zwei Mal durfte ich tatsächlich eine
Filmkritik verfassen. Darüber hinaus
konnte man jederzeit früher gehen,
wenn es nichts mehr zu tun gab. Da-
für wurde aber auch erwartet, dass
man länger blieb, wenn nötig.
Ein Tag allerdings wird mir in Erinnerung bleiben. Der Tag an dem die
Zahlen der MA Radio veröffentlicht
wurden. Hektisches Treiben im Büro.
Katerstimmung. Redaktionssitzung
ohne Praktikanten. Klassikradio
hatte im ersten Quartal 2013 zehn
Prozent seiner Hörer verloren. Dies
entscheidet über die Höhe der Werbeeinahmen und ist damit für ein
Privatradio elementar.
Im Gegensatz dazu stand wenig später die Bekanntmachung des Stationschefs, dass eine Mitpraktikantin
als Onlinevolontärin übernommen
werden würde. Manchmal ist der Weg
in die Medien eben doch gar nicht so
weit...
Ich kann ein Praktikum bei Klassikradio im Sendezentrum Hamburg sehr
empfehlen. Allerdings gibt es keine
Vergütung. Im Vergleich mit einer
Hörfunkhospitanz beim SWR konnte
ich wesentlich mehr mitnehmen. Zudem hatte ich das Gefühl, besser in
die Redaktion integriert und in meinem journalistischen Tun erntgenommen worden zu sein.
+++ Man munkelt, Prof. Stark vertraue ihren Studenten, wenn sie zwei Bier getrunken hat. +++ Man munkelt, Sarah habe beim Publi-Kick we-
Kommentar
29
Bild: Open Content
Bulimieleben in der Überfliegergesellschaft
Ein Kommentar zur Generation Praktikum
Von Caroline Wiemann
„Wir sind die Generation Krise: keine Kohle, keine Hoffnung, keine Perspektive!“ Das beklagt sie,
unsere Generation, die „Generation Y“.
Jammern auf hohem Niveau. Und
zwar völlig zu Unrecht, wie die Generation X findet, Perspektiven gab es
schließlich nie so viele wie heute für
die jungen Leute. Serviert auf dem
Silbertablett - nur durchbeißen könne und wolle sich heute keiner mehr
richtig. Im Mai 2013 titelte das TIMEMagazin, die Me-Me-Me-Generation
sei „faul, narzisstisch und lebe immer
noch bei den Eltern“. - Kann man die
mal kennenlernen? In der Medienbranche wohl kaum.
Sicher, unsere Sorgen sind mit denen
von Nachkriegsgeneration und DDRJugend nicht zu vergleichen. Heute
wächst der Großteil der Kinder behütet und in Wohlstand auf. Die Digital
Natives spielen an der Konsole und
nicht im Wald, bekommen von Mama
das Essen vor die Glotze getragen und
haben keinen Schimmer, wie man einen Staubsauger oder die Waschmaschine bedient. Und auch die Zukunft
wird serviert – dank Inventionen wie
Bologna-Reform und „Abi für alle“
sogar so mundgerecht wie möglich,
inklusive Coaching-Werkstatt und Beratung en masse. Das Internet denkt
für uns und merken müssen wir uns
dank dem Web sowieso nichts mehr.
Wir sind bis zum Anschlag verwöhnt,
das Einzige was im Gegenzug erwartet wird ist lediglich so effizient wie
möglich zu sein. Friede, Freude, Eierkuchen.
So mag es scheinen. Würde das Einheitsmenü nicht so sauer aufstoßen.
Denn mit der erhöhten Effizienz
steigen auch die Anforderungen. Der
Kampf um Ausbildungen und Festanstellungen war nie so hart. Bis zu
2000 Bewerbungen auf 20 Plätze sind
Alltag an deutschen Journalistenschulen und großen Medienunternehmen.
Heute muss man ins Ausland gehen,
vier Sprachen sprechen, in den Ferien
unbezahlte Praktika sammeln und
nebenbei noch einen Nebenjob haben, der sich gut auf dem Lebenslauf
macht. Chancengleichheit für alle –
die in der Medienwelt obligatorischen
X unbezahlten Praktika kann sich
aber nur erlauben, wer von Mama
und Papa ordentlich unterstützt wird.
Der Rest muss halt zusehen. Vermutlich auch zukünftig, denn Praktikanten sind auch weiterhin vom Mindestlohn ausgenommen.
Geradezu überrascht skizzierte der
Erfurter Tatort, dass die „Pflichterfüller-Generation“ nicht mehr Partypillen, sondern Ritalin als „Vernunftdroge“ suchtet – um irgendwie mithalten
zu können auf dem Arbeitsmarkt der
Überfliegergesellschaft, auf dem wir
uns dann von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln, während
wir darauf warten, dass die Festangestellten endlich in Rente gehen!
Bis zu 1-Monatsverträge stellt das
ZDF gerade an die sogenannten frei-
en Freien Mitarbeiter aus, zu denen
alle zählen, die nach 2007 eingestellt
wurden. Glänzende Aussichten auf
die Zeit, in der man es „dann endlich
geschafft“ hat. Von anderen Branchen
ganz zu Schweigen.
Was dabei entsteht, ist ein paradoxer
Lebensstil. Ein permanentes Hin- und
Hergerissensein zwischen krankhaften Bibliotheksmarathons und zügellosen Partyexzessen – Bulimieleben
wie im Barock zwischen Memento
mori und Carpe diem. Bis wir die
Standards so hochgeschraubt haben,
dass uns vor lauter Burnout das ganze System um die Ohren fliegt! Aber
am fehlenden Willen sich durchzubeißen wird das dann sicher nicht gelegen haben.
nigstens einen Erguss erzeugen wollen. +++ Man munkelt, Rike hätte beim Publi-Kick ein transparentes Top getragen. +++ Man munkelt, Prof.
Journaille
30
Bild: Open Content
Der Captain mag Katzenpipi
Von Elisabeth Neuhaus
Piratenjournalismus mit Promille: Manchmal sind die Redakteure von Captain Cork nicht mehr ganz
nüchtern. Zum Glück, denn das Online-Magazin berichtet über Wein ohne seinen Lesern haltloses
Expertengeschwätz antun zu wollen. Einer der Seiten-Gründer hat sich den Fragen des Publizissimus gestellt und erklärt, wie Seeräuber und Wein-Berichte zusammenpassen.
Mainz könnte genauso gut Australien
sein. Zumindest, wenn man einem
Piratenkapitän glaubt und sich den
Wein eines hiesigen Weinguts die
Kehle hinunterrinnen lässt. Der Wein
ist nicht einfach nur ein Wein, sondern ein 2011er Merlot trocken, ein
Rotwein also, und er schmeckt australisch. Kraftvoll und üppig schmeckt er,
der Australier aus Rheinhessen, und
er „duftet nach Cassis, Kirsche und
Brombeere mit etwas roter Paprika,
unterlegt von karamelligen Röstnoten, Buchenholz-Rauch und einem
Hauch von Toffee“. Achso.
„Das führende Onlinemedium
zum Thema Wein im gesamten
deutschen Sprachraum“
Es ist ein regelrechtes Loblied, das
der Piratenkapitän dem Mainzer
Rotwein da trällert – und es ist nicht
das einzige. Seit 2009 berichtet das
Online-Magazin „Captain Cork“ täglich über den Rebensaft und versteht
sich selbst als „Wein-Tageszeitung
im Netz“. Die Leser der Seite werden
Matrosen genannt, der „Captain“ und
dessen Crew sind die schreibenden
Experten und berichten von Bord.
Dass Captain Cork auf eine Verbindung aus Wein-Berichterstattung und
Piratenmetaphorik setzt, mag absurd
klingen. Aber: „Wer Aufmerksamkeit
will, muss unterhalten. Erst recht,
wenn es um eine Materie wie Wein
geht, die viel zu oft unangemessen
ernst genommen wird. Hier muss
man ein weiches, ernstbefreites Umfeld haben, um locker zu bleiben“,
erklärt Magazin-Mitgründer Marcus
Johst dem Publizissimus. Immerhin
sei Captain Cork „mit Sicherheit“
das führende Onlinemedium zum
Thema Wein im gesamten deutschen
Sprachraum. In Sachen Leserzahlen
hält sich Johst bedeckt, verrät aber,
dass man „ganz sicher“ unter den
Top 3 aller Print- und Onlinemedien
sei, die sich ausschließlich dem Wein
widmen. Eine kurze Recherche ergibt,
dass die Zeitschrift „Vinum“ mit einer Gesamtauflage von über 84.000
gedruckten Exemplaren das nach
eigenen Angaben größte Weinmagazin Europas ist. Eine andere größere
Zeitschrift aus Österreich heißt „Falstaff“. Die ebenfalls österreichische
„Wine Times“ dürfte Captain Cork im
Onlinebereich Konkurrenz machen.
Stark trage Flip Flops auf der Publi Party. +++ Man munkelt, Prof. Stark übernehme auf der nächsten Publi Party die Kassenschicht. +++ Man
Journaille
Dabei scheinen nicht nur Special-Interest-Blätter den Wein für sich entdeckt zu haben. Weinkolumnen gibt
es in der Zeit, der Welt, der Bild –
und sogar das Handelsblatt lässt einen Kolumnisten über den Rebensaft
schreiben („Allein unter Flaschen“).
Das Thema Wein mag viele Medien
beschäftigen. Die merkwürdigsten
Überschriften aber bastelt Captain
Cork.
31
Schluss mit kryptischen Weinbeschreibungen!
Die Webseite startete als gemeinsames Projekt von Marcus Johst und
dem österreichischen Fotografen
und Weinkenner Manfred Klimek
im Sommer 2009. Auf die Idee kam
Johst nach eigenen Angaben selbst:
„Erstens hatte ich es satt in Loka-
Ja, die Liebe zum Wein sickert durch
beim Lesen der Artikel. Mit höchster Präzision schlüsseln die Autoren
auf, wonach der verkostete Wein
schmeckt, welche Fruchtaromen
sich darin verbergen und welchen
Eindruck er im Abgang macht: „Im
ganz großen Glas entfaltet er bald
eine sensationell reintönige Frucht,
die umrahmt wird von maskulinen
Katzenpipi und Wein-Terrorismus
Nicht immer aber schwelgen die WeinReporter in bordeaux-farbenem oder
zitronengelbem Glück, denn auch in
der Berichterstattung von Traubenliebhabern muss Platz für Kritik sein.
Wenn etwa ein Grüner Veltiner aus
Österreich, ein Weißwein, vom Winzer
als ebensolcher angepriesen wird,
sich aber im Mund als Sauvignon
enttarnt, dann wird scharf getadelt.
Ein Verbrechen sei das! Da müsse
der Autor dem Wein-Taliban Eckhard
Supp, einem deutschen Weinkritiker,
Recht geben. Diese „verfickten Sauvignon-Veltiner“ seien die reine Pest.
Indes gibt ein Jahrgangsführer auf
der Webseite Auskunft darüber, was
trinkbar ist und was nicht. Qualität
und Reifegrade aller Anbaugebiete
sind hier aufgeführt. Der Totenkopf
signalisiert Ungenießbarkeit, die
Schatztruhe Exzellenz.
Bild: Captain Cork
Aktuell auf der Captain-Cork-Startseite: „We love Katzenpipi!“. Ein Autor schwärmt von einem Sauvignon
Blanc aus der Südsteiermark, der
nach Stachelbeere, Grapefruit und –
gar nicht mal so übel – Katzenpisse
schmecken soll. Der erste Schluck sei
geprägt vom Aroma reifer Birnen,
dazu kämen dezent grasige Noten,
ein wenig Holunder und eine straffe,
zitronige Säure. In diesem Fall ist der
Autor begeistert.
len und Weinhandlungen zu viel
Geld für Weine zu bezahlen, die mir
nicht geschmeckt haben. Ich suchte nach einem Medium, das mir vor
dem Kauf mitteilen konnte wie ein
Wein schmeckt.“ Entweder seien die
Weinbeschreibungen werblich und
austauschbar, oder in einer Geheimsprache verfasst, die kein normaler
Trinker verstünde. Captain Cork habe
diese Lücke von Beginn an füllen können. Marcus Johst frohlockt: „Wenn
ich unsere Artikel lese, weiß ich sofort, ob mir dieser Wein schmecken
wird“. Noch in diesem Sommer wolle
man einen Relaunch der Seite vornehmen.
Noten der Sorte Alexis Sorbas: Anis,
Sattelleder, dunkle Beeren. Polierte
Gerbstoffe, ein Mundgefühl, das ich in
dieser Preisklasse selten erlebt habe.
Erdverbundene Wucht wurde hier kultiviert in die Flasche gedrückt“, heißt
es da in einem Beitrag.
Na schön, für den blutigen Anfänger
hat das noch immer etwas Kryptisches. Dass aber ein Hauch von Katzenurin durchaus gut sein kann für
einen Wein – darauf wäre ohne Captain Cork sicher niemand gekommen.
Wer aber schreibt für Captain Cork?
„Das sind alle rettungslos dem Wein
verfallene Liebhaber, die sich mit
sagenhafter Akribie Weinen widmen“, beschreibt Johst die Autoren.
„Gottseidank gibt es diese Menschen.
Ohne sie würde ich noch immer Mist
trinken und bezahlen.“
munkelt, Herr Weichselbaum sei doch noch zur Publi Party gekommen. +++ Man munkelt weiter, Prof. Stark sei deshalb sehr erleichert gewesen.
32
Nachruf „Wetten,
dass..?“
Bild: Screenshot wettendass.zdf.de
Streber Lanz und der Untergang eines deutschen TV-Urgesteins
Von Caroline Wiemann
Markus Lanz aus Bruneck wettet, dass er die Kultshow „Wetten, dass..?“ nach weniger als 15 Sendungen zur Einstellung bringen kann.
Tatatataaa – Wette gewonnen! Der
Moderator selbst durfte es in der
Sendung vom 5. April verkünden,
eine große Überraschung war es allerdings nicht. Lanz‘ Beliebtheit auf
einer Skala von 0 bis 10 war zuletzt
auf ungefähr -7 gerutscht: Über
230.000 Leute haben eine OnlinePetition unterzeichnet, um ihn aus
dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen
zu verbannen. Und über das Ende
des deutschen Fernsehdinos „Wetten,
dass...?“ wurde in den Medien schon
seit geraumer Zeit spekuliert. Im November 2013 fragte der Tagesspiegel
provokativ, wie lange Intendant Tho-
mas Bellut sich diesen „Endlosloop“
eigentlich noch anschauen wolle. Kein
halbes Jahr später muss das ZDF zugeben, dass es sich ausgeguckt hat:
Drei Sendungen werden noch folgen,
zum Ende des Jahres wird das Format
dann eingestellt. Zeit für einen Nachruf für die wohl unerschöpflichste
Liveshow des deutschen Unterhaltungsfernsehens.
Schlaflose Nächte für Frank
Elstner – und später die ganze
Familie
33 Jahre lang hat „Wetten, dass..?“
Familien an Samstagabenden vor den
Fernsehern vereint, in Hochzeiten
15 Millionen Zuschauer generiert.
Zuletzt erreichte die Show nur noch
ein Drittel davon. Nun sind die Tage
gezählt, „Wetten, dass..?“ bald Geschichte, doch das einzigartige Konzept dieses Formats wird in den Köpfen bleiben, Lanz-Kritik hin oder her.
Es war ein Erfolgskonzept, das sich
durch seinen Abwechslungsreichtum
über drei Jahrzehnte durchsetzte.
In einer schlaflosen Nacht soll Frank
Elstner die Idee dazu gekommen
sein. Eine Idee so simpel, dass sie
jedes Kind versteht und doch so raffiniert, dass sie Vertreter aller Generationen anspricht.
Am Valentinstag des Jahres 1981 hatte die Sendung im Zweiten Deutschen
Fernsehen Premiere. Sechs Jahre moderierte Elstner seines Geistes Kind
selbst, bis Thomas Gottschalk 1987
übernahm und mit kurzer Unterbrechung bis Ende 2011 blieb. Die Ära
Gottschalk war die längste und wohl
auch die bedeutendste der Dauersendung im doppelten Sinne (bis zu vier
Stunden konnte sie sich hinziehen),
denn Gottschalk hat sie sich zu Eigen
+++ Man munkelt, Johannes Beckert gelte unter jüngeren Semestern als Legende am Institut. +++ Man munkelt, er habe den Fachschaftsraum
Nachruf „Wetten,
gemacht. Ob Sympathie oder Antipathie für den langen Blonden mit den
lustigen Anzügen – Gottschalk gehörte zu „Wetten, dass...?“ wie seine
Goldbären in die Werbung vor dem
Heute-Journal.
Samuel Kochs Sprung als Zäsur
Und das zog. Die Quote boomte, die
Stars ließen sich gerne bitten. Kaum
einer mit Rang und/oder Namen, der
nicht wenigstens ein Mal die Zeit auf
dem riesigen Sofa abgesessen hat,
während Gottschalk standardmäßig
überzog. Gottschalk hatte sie alle,
von Madonna bis Michael Jackson.
So auch die Wettpaten, beliebte Größen am deutschen Starhimmel wie
Udo Jürgens, Veronica Ferres, Schumi
und Iris Berben (gleich zehn Mal).
Je exklusiver die Gäste, desto kommerzieller die Show. Auch die Wetten
überboten sich gegenseitig, mussten
immer ausgefallener, immer spektakulärer und gefährlicher sein. Bis
Samuel Koch im Dezember 2010 bei
seinem Sprungstelzen-Salto über ein
fahrendes Auto live verunglückte und
seitdem im Rollstuhl sitzt.
Ein herber Schlag für „Wetten,
dass..?“ und auch für Gottschalk,
der sich vier Sendungen später verabschiedete. Der Moderator hat den
Braten wohl gerochen, denn seitdem
ging‘s immer weiter bergab für die
legendäre Wettshow. Auch der schon
zuvor gehegte Plan, Gottschalk in Person der reizenden Michelle Hunziger
einen Sidekick mit gewissen Schauwerten zur Seite zur stellen, zog nicht
so richtig.
Dennoch, das Konzept hat die Fernsehlandschaft geprägt. In zehn Ländern fand das deutsche Format bisher
ein Pendant – und das mit Recht,
denn „Wetten, dass..?“ hatte Vorreitercharakter. Das Konzept war einzigartig, genial die Kombination aus
Wettkandidaten, mit denen sich das
dass..?“
Publikum solidarisiert und prominenten Wettpaten, die das Publikum aus
der Reserve gelockt sehen will. Dazu
die kleinen Pannen und Skandale am
Rande, die am nächsten Tag für Gesprächsstoff sorgten, und natürlich
das kollektive Mitfiebern vor dem
Fernseher.
Die Idee, so clever wie einfach, zog
besonders das männliche Geschlecht
an, gab sie doch die Möglichkeit zu
beweisen, dass man in irgendetwas
der Beste ist. Egal wie überflüssig
das „Talent“, bei „Wetten, dass..?“
wird es auf den Thron gehievt. Und
das geradezu plebiszitär, denn der
Wettkönig wird vom Publikum vor
den Fernsehern gewählt. Ein Meilenstein in die Entwicklung der Zuschauerpartizipation, die bis heute Kassenschlager von Big Brother bis zum
Dschungelcamp ausmacht.
Eigentlicher Reiz dabei ist natürlich
der Live-Charakter. Ja, beinah melancholisch blicken wir zurück auf
Nackte-Haut-Skandale von Promis à
la Cher, Nena, Sarah Connor, auf ungeladene Donauauen-Demonstranten
und den legendären Buntstiftlutscher, einen Fake-Wettkandidat vom
Satiremagazin Titanic und nach wie
vor einziger Schummelkandidat der
Show. Sensationscharakter stets auf
jugendfreiem Niveau. Nicht zuletzt
dadurch erlang „Wetten, dass..?“ seinen Kultstatus als Generationensendung mit gesellschaftlichem Stellenwert. Das und Lieblingsmaskottchen
Thomas Gottschalk ließen die Show
auch mit der Zeit nicht an Popularität
einbüßen.
Musterschwiegersohn Lanz
kann es nicht richten
Für Gottschalk nach über 20 Jahren
einen angemessenen Nachfolger
zu finden bereitete dem ZDF entsprechende Schwierigkeiten. Erste
Favoriten aus dem Kader einstiger
Promigäste wie Hape Kerkeling und
Jörg Pilawa lehnten ab, bis Markus
Lanz schließlich ins sinkende Boot
stieg. Und so mancher Petitionsunterzeichner möchte behaupten, dass
das Übel damit allein seinen Lauf
nahm. Reine Schikane natürlich! Wobei, eine erotische Horst-SchlemmerModeration, ein bisschen „Joko und
Wetten, Klaas“ oder ein frauenverachtender Olaf Schubert in Strickpullunder an der neuen Spitze hätten den
Zuschauer zu Hause sicher weniger
eingeschläfert als das Vorzeigeschwiedersöhnchen aka Streber-Lanz.
Doch der Südtiroler allein kann es
nicht gewesen sein, die Quote begann
schließlich schon vorher zu bröckeln.
Nein, es hat sich wohl vielmehr ausgewettet!
33
bedeutendste Lieblingsplatte nicht
mehr hören.
Nichtsdestotrotz: „Wetten, dass..?“
hat Fernsehgeschichte geschrieben
und ein bisschen wird das Urgestein
fehlen im deutschen Unterhaltungsfernsehen. Bleibt zu hoffen, dass
letzteres die Kultshow mit Würde in
Erinnerung trägt und sich nicht vollkommen vom niveaulosen Sensations-TV unterspülen lässt.
Die U30-Zuschauer haben sich längst
verabschiedet (wenn es sie überhaupt jemals gab) und selbst die
Jüngsten finden in Formaten wie
„Schlag den Raab“ und „Circus Halli
Galli“ weit mehr der gesuchten Action und Spannung. „Wetten, dass..?“
wurde überholt und hat an Beliebtheit verloren, denn mit der Trumpfkarte der Generationenbindung kann
schon länger nicht mehr gepunktet
werden. Heute soll das Format auf
den einzelnen Zuschauer so passend
wie möglich zugeschnitten sein, weil
es in Zeiten von mobilen Endgeräten, personalisierten Programmen,
Onlinemediatheken und Livestreams
DEN Familienabend vorm Fernseher
sowieso nicht mehr gibt.
Das Angebot hat sich vervielfacht,
die Konsumgewohnheiten gewandelt
und ja, die Sendung ist eingeschlafen.
Die Wetteinsätze sind immer weichgespülter, die Wetten immer weiter
hergeholt – kurz: „Wetten, dass?“
stagniert. Da hätte vermutlich auch
ein flotterer Moderator die Sendung
nicht retten können. Das Format hatte einfach ausgedient, so traurig es
ist, irgendwann kann man auch die
kurzerhand als sein Büro umfunktioniert. +++ Man munkelt, Herr Müller wolle beim nächsten Publi-Kick nicht auf die Ersatzbank. +++ Man
Publi-kick 2014
34
Triumphzug der verlorenen
Generation
Von Markus Schäfer
Beim Publi-Kick 2014 sind die Magister wieder
einmal nicht zu schlagen. Doch die Mannschaft
blickt in eine ungewisse Zukunft.
Philip Leidinger darf sich „PubliKick-Sieger 2014“ nennen, doch wer
an diesem Abend in die Augen des
Magister-Routiniers schaut, entdeckt
vor allem Wehmut. Ein letzter verwandelter Elfmeter gegen die Dozenten, ein letzter Gruß. Dann humpelt
der verletzte Kapitän mit gesenktem
Blick sichtlich gezeichnet vom Feld.
Die Magister-Mannschaft ist in die
Jahre gekommen. An diesem Mittwoch aber zeigen Leidingers Teamkollegen noch einmal, woran sie
während ihres Studiums über Jahre
hart und intensiv gearbeitet haben:
Aggressive Zweikämpfe, schnelles
Umschaltspiel, flüssig vorgetragene
Kombinationen und eine Reihe sehenswert herausgespielter Tore.
Mark Weidenfeller ist einer der Helden dieser verlorenen Generation,
aus einer Zeit, als ein Mobiltelefon
ein Smartphone war, wenn es Snake
beherrschte und „Selfie“ noch ein
selten dämliches Wort für Eigentor
war. Doch trotz des nie gefährdeten
Erfolgs der Magister – noch dazu
ohne ein einziges Gegentor – will
auch bei ihm an diesem Abend keinerlei Feierlaune aufkommen. „Was
hilft ein herausragender Hochschulabschluss, wenn der Torabschluss zu
kurz kommt?“, fragt Weidenfeller und
kann seine Verbitterung nur schwer
verbergen. Die Unsicherheit über
das, was kommen wird, ist allen Beteiligten anzumerken. Schon auf dem
Platz herrscht bei den Spielern größtenteils gedrückte Stimmung. Treffer
werden mit vorsichtigem Abklatschen
zur Kenntnis genommen, den sonst
obligatorischen Torjubel spart das
Team bewusst aus. Auf der internen
Meisterfeier im Seniorenheim „Letzte
Ausfahrt“ in Finthen wird nach Aussage von Anwesenden überwiegend
geschwiegen und leise geweint. Alkohol trinkt hier niemand, einzig als
Entertainer Gildo Horn seinen 90er
Jahre Klassiker „Gildo hat Euch lieb“
zum Besten gibt, brandet so etwas
wie verhaltener Beifall auf.
Die Magister stehen vor schwierigen
Wochen. Die Lizenz für die kommende Spielzeit ist akut gefährdet. Noch
mag sich keiner der Verantwortlichen
äußern, doch für eine Mannschaft,
die wie kaum einer andere die Geschichte des Publi-Kicks geprägt hat,
scheint der universitäre Erfolg ihrer
Spieler immer mehr zur Existenzfrage zu werden.
Bereits im vergangenen Jahr waren
die Zweifel mit Händen zu greifen.
Der zweite Platz beim Publi-Kick
2013, als Gregor Daschmann den entscheidenden Elfmeter zum Sieg von
Random Sample verwandelt hatte,
nagte sichtlich am Selbstvertrauen
der erfolgsverwöhnten Mannschaft.
Tränen flossen, verdiente Akteure
wurden in den Ruhestand verabschiedet. In diesem Jahr durften sowohl
Kapitän Leidinger als auch Torwart
Jungblut nur aufgrund von Sondergenehmigungen auflaufen. Jungblut
selbst kokettiert schon seit Wochen
mit einem Wechsel zu Random Sample. Er wäre ablösefrei.
Hinzu kommen auffällige Koordinationsprobleme, die man von den
Magistern bislang nicht kannte. So ist
es wohl nur mit einer altersbedingten
Farbsehschwäche zu erklären, dass
sich Magister und Master nach langwierigen Verhandlungen im Vorfeld
darauf einigten, das Turnier jeweils
in roten Trikots zu bestreiten.
Das Schicksal der Magister beschäftigt auch die Lehrenden am IfP.
Random Sample-Teamkapitän Himmelreich, auf dem Rasen stets ein
Verfechter des aggressiven Miteinanders, lassen die jüngsten Vorkommnisse nicht kalt: „Ich bin jetzt knapp
30 Jahre dabei, aber so etwas habe
ich noch nicht erlebt. Mir als Magister
der ersten Stunde tut das ganz besonders weh, das muss ich schon sagen.“
Bei aller Bedrückung, so Himmelreich, dürfe man aber auch die starke Entwicklung der Bachelor nicht
übersehen, die in diesem Jahr selbst
mit den Magistern lange Zeit mithalten konnten, sich jedoch letztlich
durch ein Elfmetertor mit 0:1 geschlagen geben mussten. Tatsächlich
scheint die Formkurve der Bachelor
in dieser Saison steil nach oben zu
gehen. Überlegungen, das Team aufgrund der positiven Erfahrungen in
kommenden Jahren als reine Frauenmannschaft antreten zu lassen,
kommentiert Fachschafts-Sprecherin
Franziska Pröll durchaus wohlwollend: „Die Qualität der Spielerinnen
im Bachelorstudiengang ist herausragend. Ich denke, die Zeit ist reif für
einen Gender-Wechsel“.
Das wiederholt schwache Abschneiden der Master bereitet den Verantwortlichen am Institut indes
Kopfzerbrechen. „Wir werden bei
der Master-Bewerbung in Zukunft
noch stärker darauf achten müssen,
die fußballerischen Fähigkeiten der
Bewerber angemessen zu berücksichtigen“, sagt Ilka Jakobs vom Stu-
dienbüro. Wissenschaftliche Brillanz
alleine reiche im Zweikampf eben
oftmals nicht aus: „Wir werden uns
da zusammensetzen und eine zeitnahe Lösung präsentieren.“ Denkbar
seien etwa vorgezogene E-Klausuren
zu spieltaktischen Fragen sowie ein
verpflichtendes Probe-Trainingslager
zu Beginn jedes Semesters. Eine weitere Option bestehe darin, herausragende Akteure anderer Institute abzuwerben: „Die Verpflichtung von Dr.
Jens Vogelgesang bei Random Sample
hat ja gezeigt, was mit Geld alles
möglich ist. Die Verlängerung des
Hochschulpakts eröffnet uns da völlig
neue Möglichkeiten.“ Langfristig wolle man am Institut „mindestens zwei
bis drei“ strategische Partner gewinnen, die gezielt in die fußballerische
Ausbildung der Publis investieren.
Angestrebt wird zudem eine Kooperationsvereinbarung zwischen DFL
und DFG zur nachhaltigen Förderung
des Fußballs in den Sozialwissenschaften. „Wir sind da in konstruktiven Gesprächen“, verrät Gregor
Daschmann, Dekan des Fachbereichs
02. Der Fachbereich stehe „voll hinter
den Plänen“ einer neuen Fußball-Exzellenzinitiative, auch der Präsident
habe schon Zustimmung signalisiert.
Gehe der Entwurf durch den Senat,
könnten spätestens vom Wintersemester 2015 an die Planungen für
neue Nachwuchsleistungszentren
beginnen. Großes Vorbild sei dabei
die Physik, wo seit Jahren eingeworbene Mittel für Teilchenbeschleuniger
in „Steine und Beine“ umgewidmet
würden. Trotz des verspäteten Umstiegs der Sozialwissenschaftler
zeigt sich Daschmann für die Zukunft
zuversichtlich: „Wir müssen unsere
gesamte Nachwuchsarbeit kritisch
hinterfragen. Aber ich denke, wir sind
auf einem guten Weg.“
Die Ergebnisse gibt‘s auf Seite 3.
munkelt, Prof. Quiring alias Olidinho und Prof. Daschmann hätten beim Publi-Kick schön zusammen eine gepöft (siehe Bild Seite 37). +++ Man
Publi-Kick 2014
35
Löw: „Daschmann ist schon auch
ein ganz wichtiger Spieler“
Von Markus Schäfer
Im exklusiven Interview mit dem Publizissimus spricht „Random Sample“-Trainer Jogi Löw über
spielerische Variabilität, taktische Fehler und seine Pläne für die Zukunft.
Herr Löw, wie sind Sie auf die
Idee gekommen, „Random Sample“ zu coachen?
Publi-Kick, das ist schon auch hohes
Niveau. Das ist eine Herausforderung, die, ich sag mal, auch von einem Trainer höchste Konzentration
erfordert, klar. Sicher ist Mainz von
Brasilien schon auch irgendwie weit
weg. Da fliegt man ein paar Stunden.
Insofern war es schon auch irgendwie
gut, dass das Turnier an einem spielfreien Tag stattgefunden hat.
Einige Beobachter waren überrascht, dass Sie GFG-Hausmeister Sauerland anstelle von Yasin
Gülsahin nominiert haben.
Der Yasin war schon auch irgendwie
angeschlagen (Leistenzerrung, Anm.
d. Red.). Bei so einem intensiven
Turnier und diesen Temperaturen
braucht man schon auch Spieler, die
ein Ziegele. Aber klar: Dass sich der
Gregor beim Aufwärmen verletzt
(Adduktorenzerrung, Anm. d. Red.),
das hat uns natürlich schon auch sehr
wehgetan, keine Frage.
Nur ein Tor in drei Spielen –
fehlt Ihrer Mannschaft in der
Offensive die Durchschlagskraft?
Bild: Alla Kopytova
Gleich zwei hohe Niederlagen
gegen Bachelor und Magister
– warum ist Ihr taktisches Konzept nicht aufgegangen?
Ich sag mal, das Problem war schon
auch, dass wir nicht genügend Innenverteidiger hatten, um auf diesem
Niveau über zehn, fünfzehn Minuten
irgendwie auch mithalten zu können.
Ich kann mir ja keine Innenverteidiger schnitzen. Da müssen dann
eben Außenverteidiger auf Außen
verteidigen und Mittelfeldspieler im
Mittelfeld spielen. Das ist schon auch
irgendwie nicht optimal. Klar.
Was sagen Sie zur Leistung der
Magister?
Ich sag mal, den Magistern wird ja
schon auch häufig eine gewisse „Abschlussschwäche“ unterstellt. Davon
war auf dem Platz nichts zu sehen.
Das ist schon auch irgendwie eine
gute Mannschaft.
Eine abschließende Frage: Wie
sieht Ihre Zukunft aus? Haben
Sie an Rücktritt gedacht?
Wie überrascht waren Sie von
der Qualität Ihres Kaders?
Klar war ich schon auch überrascht,
wer da zur Verfügung steht. Von einem Spieler wie dem Philipp Müller
hätte ich mir schon auch irgendwie
mehr versprochen. Klar. Ich kenne ja
den Philipp und auch den Müller aus
der Nationalmannschaft. Da macht
man sich schon auch Hoffnungen.
Anlaufen hätte hinfallen lassen. Das
hätten wir schon auch besser machen
können.
zu einhundert Prozent fit sind. Da gibt
es bei mir keine Ausnahmen. Höchstens Gregor Daschmann.
Apropos Daschmann. Da hatten
ja viele Kritiker im Vorfeld gewarnt: zu alt. Zu verletzungsanfällig. Ist das Experiment
mit nur einem echten Stürmer
gescheitert?
„Gescheitert“ kann man jetzt denke
ich so nicht sagen. Ich sag mal, der
Gregor ist schon auch ein ganz wichtiger Spieler für uns und hat in den
vergangenen Jahren immer wichtige
Tore erzielt. Aber wir haben schon
auch genügend Spieler im Kader, die
in der Lage sind, Tore zu schießen wie ein Geiß, wie ein Schemer, wie
Wir haben schon auch einen guten
Kader, in dem schon auch irgendwie
mindestens ein bis zwei Spieler auf
einem, ich sag mal, ordentlichen Niveau spielen. Natürlich hatten wir
schon auch größere Erwartungen,
klar. An der einen oder anderen Stelle hat vielleicht auch einfach mal das
letzte Quäntchen Glück gefehlt. Und
in der einen oder anderen Situation
müssen wir schon auch irgendwie cleverer sein.
Sie meinen die Standardsituationen?
Also ich sag mal, der dritte Platz hier
beim Publi-Kick ist ja schon auch irgendwie der größte Erfolg in meiner
Karriere. Und diese WM in Brasilien
geht mir, ich sag mal, schon auch irgendwie auf den Zeiger. Da ist zu viel
Sand. Das ist höchst unangenehm. In
meinen Schuhen ist Sand! In meinen
Haaren klebt Sand! Selbst in meinem
Bett ist alles voller Sand! Und seit der
Kevin Großkreutz die Lobby im Campo
Bahia entdeckt hat, steht die, ich sag
mal, schon auch häufig unter Wasser.
Ich setze mich jetzt jedenfalls erst
einmal für die nächsten Wochen hier
in Bretzenheim in die Eistonne. Die
hat der Philipp vorhin für mich ausnahmsweise mit Milcheis gefüllt. Alles andere lasse ich dann schon auch
erst einmal auf mich zukommen.
Klar, wir hatten schon auch viele Freistöße, keine Frage. Da wäre es schon
auch irgendwie gut gewesen, wenn
sich der ein oder andere Spieler beim
munkelt, Open Content hätte eine wichtige Rolle bei der Produktion dieser Ausgabe gespielt. +++ Man munkelt, der Publi-Kick habe im Schatten
Phantomtor-Plädoyer
36
Das Phantomtor und die Macht sozialer Kontrolle
Ein Plädoyer für Stefan Kießling
Von Marcus Schäfer
Stefan Kießling, hauptberuflich Stürmer beim Fußball-Bundesligisten
Bayer 04 Leverkusen, wollte seinen
Augen nicht trauen. Er hatte den
Ball gerade nach einem Eckball von
der linken Seite aus aussichtsreicher
Position einige Zentimeter am Tor
vorbei geköpft. An normalen Tagen
hätte er sich darüber kurz geärgert,
womöglich die blonden Haare gerauft
und wäre dann wieder in Position
gelaufen, um auf den fälligen Abstoß
zu warten. Denn Kießling ist Profi und
seine Mannschaft führte ohnehin mit
0:1 - es würde sich im Laufe der verbleibenden 20 Minuten Spielzeit also
mit Sicherheit noch die ein oder andere Kontergelegenheit ergeben.
Aber nun lag der Ball im Tor, seine Mitspieler feierten ihn als Torschützen, Schiedsrichter Felix Brych
deutete klar erkennbar in Richtung
Mittellinie und auch die gegnerischen
Spieler der TSG 1899 Hoffenheim
trabten, teils sichtlich betrübt, dem
unvermeidlichen Anstoß entgegen.
Also nahm Kießling die Glückwünsche und Liebkosungen der Kollegen
an, streckte pflichtbewusst die Arme
in die Höhe – freilich etwas unbeholfener und kraftloser als sonst, denn
schließlich konnte er sich das Ganze
noch immer nicht so recht erklären
– und folgte dem Spielertross zum
Mittelkreis. Warum auch sollte ausgerechnet er sich zum Dummen machen,
wo es doch offenbar das ganze Stadion anders gesehen hatte?
Im kurzen Wortwechsel mit Schiedsrichter Brych gab er an, dass ihn die
Flugbahn des Balles etwas überrascht
habe - nicht aber, dass der Ball aus
seiner Sicht am Außennetz und eben
nicht im Tor gelandet war. Sekundenbruchteile nach dem Fehlversuch hatte er die Hände noch über dem Kopf
zusammengeschlagen. Er war sich
sicher: Dieser Kopfball ging daneben
– er hatte den Ball ja schließlich mit
eigenen Augen am linken Torpfosten
vorbei ins Aus fliegen sehen.
Wer das für Außenstehende seltsam
anmutende Verhalten des ansonsten aufrichtigen Sportsmanns Stefan Kießling nach dem sogenannten
„Phantomtor“ von Hoffenheim verstehen will, muss sich mit den frühen
Arbeiten des amerikanischen Sozialpsychologen Solomon Asch aus den
Fünfzigerjahren auseinandersetzen.
In einer seiner bekanntesten Studien
zeigte Asch den Teilnehmern eines
Experiments drei schwarze Linien
auf weißem Hintergrund, die sich in
ihrer Länge deutlich unterschieden
und stellt ihnen eine denkbar einfache Aufgabe: Die Teilnehmer sollten
einschätzen, welche der drei Linien
in ihrer Länge am ehesten der Länge
einer Vergleichslinie entsprach, die er
unmittelbar neben den übrigen Linien
platziert hatte. Die richtige Antwort
war augenfällig. Asch konnte davon
ausgehen, dass die Lösung absolut
eindeutig war.
Der Versuchsleiter rief nun alle Teilnehmer der Reihe nach dazu auf, ihm
die gesuchte Linie zu nennen. Und
tatsächlich: Jede der Personen konnte
die korrekte Linie problemlos identifizieren. Allerdings war nur einer der
Teilnehmer auch tatsächlich ein echter Proband. Die übrigen Versuchspersonen waren Helfer des Versuchsleiters und als solche vorab in dessen
Pläne eingeweiht und entsprechend
instruiert worden. Asch interessierte
sich nämlich in seiner Studie nicht,
wie er glaubhaft vorgaukelte, für Fragen der menschlichen Wahrnehmung.
Er interessierte sich für das menschliche Verhalten in sozialen Gruppen.
Das Prozedere wiederholte sich in der
Folge mehrfach: Wieder und wieder
sprach der Versuchsleiter die Teilnehmer der Reihe nach an und forderte
sie auf, laut anzugeben, welche der
drei angezeigten Linien mit der Standardlinie übereinstimmte. Doch während die eingeweihten Helfer in den
ersten Durchgängen noch die richtige
Lösung genannt hatten, änderte sich
ihr Verhalten nun schlagartig: Als
der eigentliche Proband am Ende des
Durchgangs an der Reihe war, hatten
sich bereits alle anderen Versuchsteilnehmer unisono auf eine andere,
offensichtlich falsche Linie festgelegt.
Wie würde sich nun der einzige echte
Proband entscheiden? Die Antwort
war auch für Solomon Asch verblüffend: Dreiviertel aller echten Probanden schlossen sich in mindestens
einem Durchgang der augenscheinlich
falschen Einschätzung ihrer eingeweihten Gruppenmitglieder an.
Menschen sind von Natur aus soziale Wesen. Von anderen akzeptiert zu
werden, ist ein zentrales menschliches Bedürfnis. Isolation empfinden
wir als extrem unangenehm, mitunter als regelrecht schmerzhaft. Das
führt dazu, dass wir uns in sozialen
Situationen oftmals anders verhalten, als wir es im Privaten tun würden – nicht notwendigerweise, weil
wir der Überzeugung sind, dass wir
falsch liegen, sondern weil wir keine
Aufmerksamkeit erregen, von ande-
ren nicht verlacht oder gar abgelehnt
werden möchten. Der Druck der sozialen Kontrolle führt dazu, dass wir
uns in der Öffentlichkeit konform
verhalten, um uns nicht zu isolieren.
Und so erfüllen wir die Annahmen
und Verhaltensweisen einer Gruppe
unter Umständen auch dann, wenn
wir selbst anderer Überzeugung sind.
Stefan Kießling muss sich in den Minuten nach seinem Fehlschuss vorgekommen sein, wie der isolierte
Proband in Aschs Experiment. Sicher:
Der Ball war nicht im Tor, das hatte
er erkannt und seinen Ärger darüber sichtbar zum Ausdruck gebracht.
Aber offenbar war die allgemeine
Stimmung auf dem Platz und im Stadion eine andere – also warum sich
dagegen wehren und sich vollends
öffentlich der Lächerlichkeit preisgeben? Die übrigen Teilnehmer der
Gruppe – seine Mit- und Gegenspieler – hatten sich ja bislang in solchen
Situationen auch immer vernünftig
verhalten. Und der Schiedsrichter
hatte ihre Einschätzung inzwischen
ja sogar höchstoffiziell bestätigt. Also
ging auch Kießling öffentlich konform
und freute sich demonstrativ über
sein sechstes Saisontor. Die Macht
der sozialen Kontrolle war in diesem
Moment stärker als das Vertrauen in
seine eigene Wahrnehmung.
Nach dem Spiel musste Stefan Kießling dann viele Fragen beantworten.
Ob er Schiedsrichter Brych nicht auf
das offensichtliche Nicht-Tor hätte
hinweisen müssen, wurde er gefragt.
Das war ihm sichtlich unangenehm. Er
druckste herum und gab schließlich
zu Protokoll, er sei sich nicht sicher
gewesen. Er habe die Situation ja
auch gar nicht richtig gesehen.
der Weltmeisterschaft kaum Beachtung gefunden. +++ Man munkelt, die B.A.-Mannschaft spiele fast so gut wie die iranische Nationalmann-
Publi-kick:
Die Vorwürfe und Anfeindungen, die
ihm daraufhin in den folgenden Tagen
entgegenschlugen, führten ihm zwei
Dinge mehr als deutlich vor Augen:
Zum einen, dass die öffentliche Meinung sich gedreht hatte – und zum
anderen, wie schmerzhaft es sein
kann, gegen den Strom zu schwimmen.
Tatsächlich gehört Kießling offenbar
nicht zu jener kleinen Gruppe von
Menschen, die sich im Sinne ihrer
Überzeugungen den Urteilen ihrer
Mitmenschen konsequent widerset-
Munkler-Bild (Schneiders)
37
impressionen
zen, unabhängig davon, welchen Widerständen sie ausgesetzt sind, und
die Solomon Asch in seiner Studie
daher als die „Independents“, die
Unabhängigen charakterisiert. Aber
ist ihm das tatsächlich vorzuwerfen?
Und wie würden sich diejenigen, die
es ihm heute zum Vorwurf machen,
in einer solchen Situation verhalten?
Das eindrucksvolle Experiment von
Asch wurde inzwischen von verschiedenen Wissenschaftlern in verschiedenen Ländern und in verschiedenen
Variationen repliziert – unter anderem mit Bildern und Tönen statt Lini-
en und Kindern anstelle erwachsener
Versuchspersonen. Die Ergebnisse
waren immer die gleichen. Hätte Stefan Kießling also gegenüber Schiedsrichtern, Trainern und Kollegen ein
offenbar allgemein akzeptiertes,
möglicherweise spielentscheidendes
Tor seiner Mannschaft öffentlich anzweifeln müssen, wenn es den meisten Menschen nicht einmal gelingt,
vor Fremden offen zu bekunden,
dass eine völlig unbedeutende Linie
nicht die ist, für die sie alle halten?
Kießlings Verhalten sollte als das
beurteilt werden, was es ganz offen-
sichtlich war: menschlich.
Literaturempfehlungen:
Asch, Solomon (1963): Effects of
Group Pressure upon the Modification and Distortion of Judgement.
In: Harald Gutzkow (Hrsg.): Groups,
Leadership and Men. Research in
Human Relations. New York: Russel &
Russel, S. 177-190.
Lamp, Erich (2009): Die Macht öffentlicher Meinung – und warum wir uns
ihr beugen. München: Olzog Verlag.
Bilder: Alla Kopytova
schaft. +++ Man munkelt, „Schlaaaaaaand!“ +++ Man munkelt, Publis seien kaum auf Twitter unterwegs. +++ Man munkelt, IfP-Profs
Online-uni
38
MOOCs – große Blase oder große
Zukunft?
Von Matthias Baumarth
Studieren während der Professor hunderte oder
gar tausende Kilometer entfernt ist – das ist eigentlich nichts Neues. Die Fern-Uni Hagen existiert beispielsweise schon seit 1974. Dennoch
wird dieses Thema in letzter Zeit ebenso intensiv
wie kontrovers diskutiert. Grund dafür sind die
Massive Open Online Courses, kurz MOOCs,
die sich in den letzten Jahren rapide verbreitet
haben.
Im Gegensatz zu klassischen FernUnis und eLearning-Angeboten, die
es vielerorts schon lange gibt, sind
MOOCs rein online-basiert und somit
weltweit verfügbar. Um studieren zu
können braucht es lediglich einen
Computer mit Internetzugang – Vorkenntnisse sind nicht nötig, die Anmeldung ist kostenlos. Grundsätzlich
bieten MOOCs daher ein enormes
Potenzial, Wissen und Bildung global
leichter zugänglich zu machen. Die
Idee wirkt derzeit wie ein großes
Versprechen, bei dem aber unklar ist,
ob es jemals eingelöst werden wird.
Umstritten ist nämlich, ob sich das
Phänomen langfristig durchsetzen
wird und welche Folgen die Entwicklung für die Bildungssysteme in den
verschiedenen Ländern haben wird.
Doch der Reihe nach. Als einer der
Wegbereiter des MOOC-Trends gilt
Sebastian Thrun. Der Deutsche ist
Professor für Informatik an der USamerikanischen Elite-Uni Stanford.
Ende 2011 war Thrun einer der ersten renommierten Professoren, der
einen Kurs komplett online anbot.
Damals meldeten sich über 160.000
Studierende aus 190 Ländern für
einen Einführungskurs an, 23.000
Bild: Open Content
absolvierten anschließend erfolgreich die Prüfung. Vom großen Erfolg
überrascht verfolgte Thrun das Thema weiter und gründete schon kurze
Zeit später mit einem Kollegen das
Unternehmen Udacity, heute einer
der führenden Anbieter für MOOCs.
Im Dunstkreis der Ivy League folgten schnell weitere Neugründungen,
sodass es heute eine Vielzahl ähnlicher Online-Lehrplattformen gibt.
Die Teilnehmerzahlen der Kurse auf
den MOOC-Plattformen sprechen
auch in Deutschland für deren Erfolg.
Vor allem für die kommerziellen Anbieter stellt sich die Frage, wie die angebotenen MOOCs langfristig finanziert werden können. Eine Tendenz
geht zum sogenannten Freemium-Modell. Hier sind Anmeldung und Kurse
grundsätzlich kostenlos, bestimmte
Zusatzinhalte und eventuelle individuelle Betreuung müssen dann aber
von den Teilnehmern bezahlt werden. Zudem kostet das Ablegen von
Prüfungen auf vielen Plattformen,
auch den nicht-kommerziellen, eine
zusätzliche Gebühr.
Professor Oliver Vornberger an der
Uni Osnabrück, ebenfalls Informatiker, gilt als einer der populärsten
MOOC-Dozenten in Deutschland.
Er hat für seine Onlinekurse sogar
schon Preise erhalten. Die Frage ist
nur: Können Anbieter von MOOCs
langfristig überleben? Finanziert
werden sie recht unterschiedlich.
Während die beiden US-amerikanischen Pioniere Udacity und Coursera
kommerzielle Unternehmen sind,
verfolgen viele andere Anbieter
einen Non-Profit-Ansatz. Zu diesen
zählt zum Beispiel auch Iversity, eine
der größten deutschen Plattformen,
die mit der Uni Hamburg kooperiert.
Sobald die Kosten aber zunehmend
an den Kursteilnehmern hängen bleiben, ist die Vision von einfacherem
Zugang zu Bildung für Menschen in
aller Welt – besonders in Schwellenund Entwicklungsländern – natürlich
ein Stück weit hinfällig. Potenzielle
andere Einnahmequellen für die Betreiber von MOOC-Plattformen hingegen sind nicht unproblematisch. Die
Anbieter generieren angesichts ihrer
hohen Teilnehmerzahlen große Mengen an Daten über ihre Studierenden:
Wer hat ein einen Kurs wie schnell
und mit welcher Note abgeschlossen?
All das könnte potenzielle Arbeitgeber brennend interessieren, ist aber
im Hinblick auf den Datenschutz mindestens fragwürdig.
Am Ende bleibt die Frage, ob der
MOOC-Trend nur eine weitere Blase
der digitalen Welt ist, die recht bald
wieder platzen wird oder ob er zu
einer nachhaltigen Veränderung der
Hochschulbildung weltweit taugt. Ob
es eine Veränderung zum Guten oder
zum Schlechten sein wird, ist indes
ebenfalls umstritten. Stellvertretend
für viele Lehrende drückte beispielsweise die philosophische Fakultät der
San Jose State University ihre Sorge
in einem offenen Brief aus. Man befürchte, dass durch die MOOCs langfristig ein Zwei-Klassen-System der
Universitäten entstehen könnte: Auf
der einen Seite stehen privilegierte,
gut finanzierte Hochschulen, in denen
die Studierenden in den Genuss eines
echten Professors und persönlicher
Betreuung kommen. Auf der anderen
Seite jedoch finden sich Universitäten unter hohem Kostendruck, deren
Studierende ihre Lehrenden nur in Videoaufzeichnungen und Live-Streams
zu Gesicht bekommen und ansonsten
weitgehend auf sich allein gestellt
sind.
würden sich den Gewinn des Publizissimus-Preises als Referenz in den Lebenslauf schreiben. +++ Man munkelt, Reinhard Ricker erwarte sehn-
Alumni
39
berichten
Christina Simon, Marcus Ewald und Jörg Franke
Simon, Schneiders, Ewald, Franke. Bilder: Schneiders
„Jede Woche eine neue Welt“
Von Pascal Schneiders
Zum vierten Mal luden der Fachschaftsrat Publizistik und die Alumni-Stiftung zur Berufsinfoveranstaltung „Alumni berichten – Vom Studium in den Beruf“. Thema diesmal: Öffentlichkeitsarbeit
– differenziert nach Agentur und Pressestelle.
In einer offenen Gesprächsrunde
mit Christina Simon, Jörg Franke und
Marcus Ewald erhielten die Teilnehmer einen ehrlichen Einblick in den
Arbeitsalltag und die Anforderungen
der Branche. Orientierung boten auch
die Werdegänge der Referenten.
„Jede Woche eine neue Welt“, fasste Marcus Ewald die Arbeit in einer
Agentur in Anlehnung an den Werbeslogan eines bekannten Konsumgüter- und Einzelhandelsunternehmens
zusammen. Der Geschäftsführer des
Beratungsunternehmens Media Advice war der diesmalige Moderator
der Veranstaltung und profitierte
dabei von seinen rhetorischen Fähigkeiten als ehemaliger Präsident des
Europäschen Rates des Debattierens.
Stets mit einem lockeren Spruch auf
den Lippen führte er an die 30 Zuhörende durch die Veranstaltung. Wobei
Zuhörende nicht ganz zutrifft: Gleich
zu Beginn waren sie aufgefordert,
selbst zu reden, von ihrer Motivation
und ihren Zielen.
Nicht ganz so motivierend klingt der
Härtefall in einer Agentur: Wird der
Börsengang oder Verkauf eines Un-
ternehmens begleitet, heißt es schon
mal: Arbeiten von halb sieben bis 23
Uhr, Essen am Schreibtisch – dazwischen gilt es, jede Menge journalistischer Anfragen zu beantworten und
die Kernbotschaften der Transaktion
zu vermitteln.
Christina Simon absolvierte den Master Unternehmenskommunikation am
IfP. Seit zwei Jahren arbeitet sie als
Kommunikationsberaterin bei Hering
Schuppener, eine der wenigen strategischen Consulting-Agenturen in
Deutschland. Sie betreibt Krisenmanagement für Unternehmen, betreut
diese aber auch auf kontinuierlicher
Basis, um die Reputation und Führung
der Marke zu stärken. Ein harter Job,
bei dem Überstunden, Vorbereiten
von Präsentationen am Wochenende
und ständige Rezeption der Nachrichten nicht unüblich sind. Die Frage „Warum tust Du Dir das an?“ kann Simon
dennoch sofort beantworten: Weil es
ihr Spaß macht, sie ihre Arbeitszeit in
der Regel flexibel gestalten kann, und
sie mit unterschiedlichsten Kunden in
Kontakt kommt – vom Lebensmittelhersteller bis zur Bank.
Übt man seine Tätigkeit mit Spaß aus,
wird man Erfolg damit haben, davon
ist auch Ewald überzeugt – daher
sollte man seine Studienfächer nicht
nach dem Bedarf auf dem Arbeitsmarkt richten.
Jörg Franke pflichtet bei, nur dem
nachzugehen, was Spaß macht. Das
gelte für Studium und Beruf. Diese
Erkenntnis traf ihn nicht immer sofort, wie sein weniger geradliniger
Lebenslauf zeigt. Sein Studium der
Chemie brach er ab und wechselte zu
Biologie und Publizistik. Danach war
er ebenfalls in einer Agentur tätig,
sieht die Work Life Balance trotz starker Gemeinschaft mit den Kollegen
aber als nicht gegeben. Deshalb entschied er sich, Öffentlichkeitsarbeit
direkt im Unternehmen zu betreiben,
statt sie von einer Agentur aus zuzuliefern. Seit sieben Jahren ist er nun
beim mittelständischen Kunststoffverarbeiter Ensinger GmbH als Pressesprecher tätig. Die Vielfalt seiner
Aufgaben ist typisch für ein Familienunternehmen: Neben der Vertretung
des Unternehmens nach außen kümmert er sich auch um Sponsoring und
die interne Kommunikation.
„Was könnt Ihr von Eurem Studium für
den Beruf mitnehmen?“, fragte Ewald
in die Runde. Zunächst Stille, hier
und da ein Schmunzeln. „Statistik?“.
Selbst bei dieser Spezifizierung schießen keine Hände in die Höhe. Endlich
eine erste Meldung: „Analytisches
und strukturiertes Denken“. Zustimmung bei den Referenten. „Nehmt
jede Hausarbeit als Chance mit, es
verbessert sich mit jedem Mal.“, so
Simon. Daneben sind im oder neben
dem Studium ein Auslandsaufenthalt
mittlerweile zwingend, die Perfektion
der Englischkenntnisse dringend zu
empfehlen und ein Masterabschluss
teilweise gar vorausgesetzt. Neben
Praxiserfahrung wird auch eine gute
Schreibe in der Branche vorausgesetzt – bedeutet, die Kernaussagen
verständlich zusammenfassen zu
können.
Franke macht Mut: Kommunikation ist
ein wachsendes Feld. Eine Job-Zusage
will sorgfältig durchdacht sein. „Verkauft Euch nicht unter Wert – denn
der Arbeitnehmer bietet stets einen
größeren Mehrwert, als er verdient.“
Jede Woche.
süchtig den Deutschland-Start von Netflix. +++ Man munkelt, die IfP-Frischlinge seien schreibfaul. +++ Man munkelt, vor 30 Jahren hätten die
Die
40
autoren
Dieser Sommer lässt Fußballherzen höher schlagen: Unzählige Menschen haben das nervenaufreibende Aufeinandertreffen der besten
Mannschaften der Welt beim Publi-Kick 2014 verfolgt. Nur die wenigsten wissen, dass eine mafiöse Organisation auch in Südamerika ein Fußball-Turnier veranstaltete. Dem Publizissimus ist das von
den hiesigen Medien kaum beachtete Event natürlich dennoch nicht
entgangen. Wie die Redaktion dem Pokal-Wahn fröhnte.
Matthias Baumarth
… hat als Volontär in Berlin den Sprung
ins Berufsleben schon hinter sich, das
IfP und vor allem den Publizissimus so
schnell aber nicht vergessen. Deshalb
schreibt er in dieser Ausgabe über
MOOCs. Ansonsten ist er glühender Fußballfan, heimlicher Anhänger der schottischen Elf (so ein Pech) und verfolgt
Fußballspiele am liebsten mit Freunden
in einer Kneipe.
Lorenz Harst
. . . ist der klassische Vereinsfußballfan
während eines internationalen Großturniers. Top informiert aber nur latent
interessiert, denn a) sind vom VfB Stuttgart viel zu wenige Spieler dabei und b)
wird ihm beim kollektiven Nationalhymne schmettern immer leicht mulmig.
Nichtsdestotrotz guckt er mit Freunden
fast alles, was nicht bei drei auf‘m Baum
ist. Für dieses Heft hat er unter anderem Publizissimus-Preisträger Richard
Lemke interviewt, sich mit NSA-Skandal
und Heartbleed beschäftigt – und mit
den Verwerfungen zwischen IfP und
Journalistischem Seminar.
JohannesBeckert
. . . der C.v.D. a.D. kennt das IfP wie
seine Westentasche. Weil er quasi sein
eigenes Büro eingerichtet hat, in dem er
bei einer Tasse schwarzem Kaffee Hilfesuchenden gerne (Tippspiel-) Ratschläge
gibt, immer alemannisch-gewissenhaft
und überall dabei ist, soll er bereits als
Legende am Institut gelten. So verwundert es nicht, dass er sich neben allen
früheren WM-Kadern auch mit der Masterreform bestens auskennt. In seiner
Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich hingegen mit Scheiße. Pardon, der öffentlichen Meinung in Facebook am Beispiel
von Shitstorms.
Elisabeth Neuhaus
. . . verbringt das aktuelle Semester
in Berlin – bislang ohne FanmeilenStippvisite. Meistens zu kalt, immer
zu viele Menschen. Die Freude auf die
Rückkehr ins beschauliche Rheinhessen mit seinem mediterranen RheinKlima ist dafür umso größer. In dieser
Ausgabe hat sie mit einem der beiden
„topfvollgold“-Blogger über die bunte
Welt der Regenbogenhefte gesprochen,
sich mit Buzzfeed und einer antiken
Publizissimus-Ausgabe beschäftigt und
während den Recherchen für die Journaille das ein oder andere Gläschen
Wein getrunken.
Publizissimus-Redakteure noch ein Honorare erhalten. +++ Man munkelt, Tooooor! +++ Man munkelt, Deutschland ist Weltmeister! +++
Die
41
autoren
Natalie Eichinger
. . . ist eine WM-Schauerin wie sie
im Buche steht: Nur wenn es um den
Meister-Titel geht im Fußballfieber und
selbst dann mehr an Trikot-Farben als
am Spielverlauf interessiert. Wenn sie
nicht gerade mit Spiele-Tippen beschäftigt ist (denn das gehört selbstverständlich auch zur Weltmeisterschaft dazu),
schreibt sie an ihrer Bachelor-Arbeit
oder sucht verzweifelt nach einem passenden Masterstudienplatz. Mit ihrem
Erfahrungsbericht über ihr Praktikum
beim Hessischen Rundfunk schreibt sie
sich in dieser Ausgabe den Fust von der
Seele.
Franziska Pröll
… studiert Publizistik und Soziologie im sechsten Semester. Dem Publizissimus hält sie seit dem ersten Semester die Treue. Ebenso treu ist sie
der deutschen Nationalelf, die sie mal
zu Hause, mal beim Public Viewig im
obligatorischen Schlaaaaand-Trikot
anfeuert. Ihr Favorit: Mats Hummels.
Giuseppe Rondinella
. . . hat gerade seinen Bachelor in Publizistik gemacht. Seit über 2 Jahren
recherchiert er bereits für den Publizissimus Geschichten rund um den Mainzer
Campus und analysiert die deutsche Medienlandschaft. Während der Weltmeisterschaft war der Halb-Italiener weniger
gut gelaunt. Groß waren anfangs seine
Hoffnungen nach dem Sieg gegen England. Dennoch schied Italien noch in der
Vorrunde aus. Das Trikot der „Squadra
Azzurra“ landete deshalb früher als geplant wieder zurück im Schrank. Für ihn
war es eine WM zum Vergessen!
Pascal Schneiders
. . . gehört als langjähriger Autor und
Chefredakteur a.D. quasi schon zum
Inventar des Publizissimus. In dieser
Ausgabe geht der leidenschaftliche
Stromberg-Imitator und Weinkenner
von der Mosel auf humoristische Weise dem Bau der Mainzelbahn nach.
Deutlich weniger Interesse zeigt der
Inhaber des Börsen-Führerscheins an
Sport, besonders nach dem Ausscheiden Belgiens: Statt WM-Begeisterung
gibt es bei Pascal detaillierte Recherchen und ein wohlverdientes Nickerchen. Umso fiebriger geht er dann der
Bachelor-Arbeit und der Frage, ob Facebook eine Wissensillusion erzeugt,
nach.
Robin Schäfer
. . . hat den Abschluss im Beifach Publizistik seit diesem Semester in der
Tasche und studierte noch nach alter
Studienordnung. Hat den Publizissimus
dennoch bis zu dieser Ausgabe verschont. Die WM schaut er am liebsten
mit Kommilitonen vom heimischen Sofa
auf fettem LCD-TV. Seit einem Auslandssemester in Belgien hält er den „roten
Teufeln“ die Treue – trotz durchwachsener Vorrunde.
Caroline Wiemann
. . . schaut grundsätzlich gerne Fußball –
egal ob im Rudel oder daheim in Grüppchen. Warum die WM aber selbst bei
den Leitmedien das permanente Thema
Nummer 1 sein muss, ist ihr ein Rätsel.
Ihr WM-Statement: Berichterstattung
gerne, aber doch bitte verhältnismäßig.
Caroline studiert Publizistik im Beifach.
Hauptberuflich ist sie Theaterwissenschaftlerin im 6. Semester.
Man munkelt, die FIFA habe versucht, die Publizissimus-Redaktion zu bestechen. +++ Man munkelt, hohe FIFA-Tiere hätten WM-Sonderseiten
Glosse
42
Wir brauchen Google Environment!
Von Lorenz Harst
Diese App schließt die Lücke zwischen Smartphone und Real Life!
Kennt ihr das? Ihr schlendert ganz
lässig durch die Fußgängerzone und
dann pfeift WhatsApp. Der Rest ist
Automatismus: Griff in die Hosentasche (oder, wenn ihr drauf steht,
die Känguru-Tasche am Hosenbund),
Smartphone raus und schnell das
Video geöffnet, das einen dicken
Jungen zeigt, der beim Slacklinen auf
seine Eier fällt. Das ist in der Tat von
so großer Relevanz, dass die Umwelt
im Real Life kurz mal warten muss.
Mit der Folge, dass ihr in die siebzigjährige Rentnerin vor euch reinlauft,
die in der einen Hand eine Krücke
und in der anderen eine riesige Einkaufstüte trägt. Auch dann greift
wieder ein Automatismus: Blankes
Erstaunen, dass man nicht gerade
irgendwo in Iowa neben einem dicken Kind steht, das beim Slacklinen
auf seine Eier fällt, dabei aber noch
das Schmunzeln auf den Lippen, ob
dieses herrlichen Fails. Und dann
eine gemurmelte Entschuldigung zu
der alten Frau, die mittlerweile mit
gekrümmtem Rücken nach ihrer Krücke tastet. Und dann schnell ein :-D
tippen.
Kennt ihr, oder? Ok, dann kommt hier
jetzt ein Lösungsvorschlag, der euch
das alles wesentlich leichter machen
würde: Google Environment. Ist im
Prinzip ganz einfach. Ihr macht, was
wir alle sowieso alle zwei Tage machen: Ihr ruft euren Playstore auf
und ladet euch die Google Environment App runter. Die gibt‘s kostenlos
und braucht auch gar nicht viel Leistung, nur eure Google-Kontaktdaten
– macht nix, die hat eh schon jeder,
inklusive NSA. Und diese App ist es
definitiv wert, denn immer, wenn ihr
gerade euren Kopf über euer neues
Samsung Galaxy S 5 beugt und all
das Elend um euch herum ausblendet, schaltet sie sich im Hintergrund
ein und scannt eure Umgebung. Wann
immer ihr dann Gefahr lauft, mit
Menschen in eurer Umgebung zu kollidieren, stößt sie ein schrilles Piepsen aus, das euch aus euren Träumen
reißt. Wer mag, der kann auch den
Ton ändern und bekommt dann Bru-
ce Willis‘ Synchronstimme, die sowas
von sich gibt wie: „Augen auf, Schweinebacke! Oma voraus!“
Google wäre aber nicht Google, wenn
es euch mit Environment nicht auch
noch gleichzeitig ermöglichen würde,
euch mit eurer Umwelt zu connecten.
Sähe dann ungefähr so aus: Die App
durchleuchtet das Smartphone jedes
Passanten, den ihr potentiell anrempeln könntet und durchforstet seine
WhatsApp-, Facebook- und Google+Konten nach möglichen Anknüpfungspunkten. Ok, bei der siebzigjährigen
Rentnerin mit Krücken klappt das
Ganze nur bedingt, aber stellt euch
vor, ihr seid im Begriff in ein Mitglied
des jeweils anderen Geschlechts rein-
zulaufen, das auch auf Charts steht,
alle Serien von Pro Sieben mag, am
Wochenende gerne feiern geht und
damit genau in euer Beuteschema
passt. Damit ihr zudem noch die Unwägbarkeiten eines Treffens im Real
Life umgehen könnt, lädt Environment auch gleich noch die Kontakte
des betreffenden Idealpartners in
eure Freundeslisten bei Facebook,
What’s App und Co. und, schwupps,
„Programmiert es!“ Bild: PR
habt ihr zudem noch ein Date mit der
Liebe eures Lebens.
Und auch auf politischer Ebene kann
Google Environment ein ganz neues Territorium erschließen. Es ist
schließlich klar, dass man von einem
Bundestagsabgeordneten der GroKo
nicht erwarten kann, dass er jedem
Redner unserer auf Bedeutungslosigkeit zurechtgestutzten Opposition zuhört – da sind die neuesten
Pushnachrichten auf dem Smartphone im Zweifelsfall natürlich interessanter. Nicht auszudenken allerdings,
dass sich einer dieser erlauchten
Herren so sehr in einen Artikel vertieft, dass er während der Rede eines
Parteigenossen vergisst, immer mal
wieder bestätigend zu nicken. Auch
da bietet Environment die perfekte
Lösung: Man speichert einfach vorher
Audio-Samples der Parteifreunde ein.
Environment lässt dann jedes Mal das
Smartphone oder Tablet vibrieren,
wenn einer davon gerade spricht.
Man könnte an dieser Stelle noch unzählige andere Vorzüge von Google
Environment aufzählen (da wäre zum
Beispiel noch ein Lautstärkepegelmesser, der sanfte Elektroschocks
verteilt, wenn man im Zug oder Bus
mal wieder zu laut telefoniert) aber
kein Promo-Artikel kommt aus ohne
einen Nebensatz zu den Risiken einer
neuen Entwicklung zu verlieren. Da
wäre zum Beispiel die Tatsache, dass
uns ein solches Produkt (noch stärker
als Google+, Latitude oder Facebook…) zu gläsernen Bürgern und
letzten Endes zu Sklaven der Maschine macht. Daher hier mein Vorschlag:
Stellt euch diesen Artikel einfach als
Promo-Video vor und im Hintergrund
singt Icona Pop „I don’t care – I love
it!“. In diesem Sinne: yolo!
gefordert. +++ Man munkelt, Sepp Blatter habe den Redakteuren einen siebenstelligen Betrag geboten. +++ Man munkelt aber, die Redaktion
habe sich gegen ein WM-Extra und für ein Publi-Kick-Spezial entschieden. +++ Man munkelt, und das ist auch gut so.