Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in

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Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in
Phasen der Stadtentwicklung und
Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
- Exkursionsprotokoll vorgelegt bei
Prof. Dr. Paul Gans und
Christina West, M.A.
Universität Mannheim
Geographisches Institut
im Rahmen der Großen Exkursion:
Städte in Spanien
17. März – 3. April 2003
Markus Lüske
Walldürn
3. Semester Wirtschaftspädagogik
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Inhaltsverzeichnis
1
Route Stadt Barcelona
3
1.1
Wegstrecke
3
1.2
Routenplan (Standorte 1-7)
4
1.3
Routenplan (Standorte 7-9)
5
1.4
Routenplan (Standorte 1 und 10)
6
2
Einleitung
7
3
Geographische und topographische Rahmenbedingungen
7
4
Barcelona in Zahlen
8
5
Wesentliche Elemente der aktuellen Stadtstruktur
10
6
Begehung der Stadt
11
6.1
Passeig de Gràcia / Eixample
11
6.1.1
Wirtschaftliche und historische Entwicklung seit Mitte des 15. Jahrhunderts
11
6.1.2
Die Stadterweiterung nach dem Plá Cerdà
12
6.1.3
Exkurs: Zwei weitere Pioniere der modernen Stadtplanung
15
6.1.4
Die Eixample heute
17
6.2
Museu d’Art Contemporani de Barcelona / El Raval
19
6.3
Plaça Central del Raval
21
6.4
Rambla dels Caputxins
22
6.5
Plaça Sant Jaume / Barri Gòtic
22
6.5.1
Historische Entwicklung Barcelonas bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts
23
6.5.2
Die Ciutat Vella heute
23
6.5.3
Exkurs: Citybegriff und andere Bezeichnungen für das zentrale Stadtgebiet
25
6.6
Moll de Bosch i Alsina / Port Urbà
28
6.7
Carrer d’Andrea Doria / Barceloneta
29
6.8
Vila Olímpica
30
6.8.1
Die Olympischen Areale
31
6.8.2
Sozio-ökonomische Wirkungen der Olympischen Spiele
32
6.8.2.1 Beschäftigung und wirtschaftliche Aktivitäten
32
6.8.2.2 Der Wohnungsmarkt
32
6.8.2.3 Auswirkungen des Sportanlagenbaus
33
6.8.2.4 Die Zugänglichkeit der Stadt
33
6.8.2.5 Fazit
34
1
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
6.9
Plaça de los Glòries Catalanes
34
6.10
Carrer d’Astúries / Gràcia
36
6.11
L’Illa / Avinguda Diagonal
37
7
Schlussbetrachtung
38
8
Literaturverzeichnis
40
2
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
1
Route Stadt Barcelona
1.1
Wegstrecke
Carrer de Balmes / Hotel - C. d'
Aragó / Fundació Tàpies
Standort 1: Passeig de Gràcia / Casa Battló
Plaça de Catalunya - C. d'
Elisabets
Standort 2: Plaça dels Angels / Museu d'Art Contemporani de Barcelona
C. Angels - C. de les Egipcíaques - C. de l'
Hospital
Standort 3: Plaça Central del Raval
C. de Sant Pau
Standort 4: Rambla dels Caputxins
C. de Ferran - C. del Vidre / Plaça Reial
Standort 5: Plaça Sant Jaume
C. del Bisbe / Catedral - Via Laietana - C. de la Princesa
C. de Montcada - Passeig del Born / Santa Maria del Mar
C. L'
Espaseria - C. Consolat de Mar - Passeig d'
Isabel II
Standort 6: Moll del Dipòsit / Port Urbà
Passeig Joan de Borbó - C. Sant Carles
Standort 7: C. d'Andrea Doria
Passeig Marítim de la Barceloneta - Plaça dels Voluntaris Olímpics
Standort 8: Avinguda d'Icària / Vila Olímpica
C. d'
Alaba - C. de Ramón Turró - C. de Badajoz
Standort 9: Plaça de les Glòries Catalanes
Metro-Station Glòries (Fahrt mit der Metro) - Metro-Station Fontana
Standort 10: C. d'Astúries / Plaça de la Virreina
C. de l'
Or - C. Menéndez - C. Maspons - C. Pere Serafí
Travessera de Gràcia - C. de Matilda - C. Mozart - C. Santa Teresa
Plaça de Joan Carles I / Metro-Station Diagonal (Fahrt mit der Metro)
Metro-Station Maria Cristina - Avinguda Diagonal
Standort 11: L'Illa / Av. Diagonal
3
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
1.2
Routenplan (Standorte 1-7)
Abb. 1: Stadtplan Barcelona (Ajuntament de Barcelona 1990, S. 1)
4
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
1.3
Routenplan (Standorte 7-9)
Abb. 2: Stadtplan Barcelona (Ajuntament de Barcelona 1990, S. 1)
5
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
1.4
Routenplan (Standorte 1 und 10)
Abb. 3: Stadtplan Barcelona (Ajuntament de Barcelona 1990, S. 1)
6
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
2
Einleitung
Bei der Begehung Barcelonas stehen die Epochen der Stadtentwicklung und die
Veränderung der Stadtstruktur bzw. der inneren Differenzierung im Mittelpunkt. In kaum
einer
anderen
europäischen
Metropole
wurde
eine
derart
aktive
Stadtentwicklungspolitik betrieben wie in der katalanischen Hauptstadt. Das aktuelle
Bild der Stadt ist geprägt von einer Synthese aus historischer Stadtentwicklung und
modernen Restrukturierungsprozessen. Voraussetzung für diese Prozesse waren die
Veränderungen der politischen Bedingungen mit dem Übergang Spaniens zur
Demokratie nach dem Tode Francos und die darauffolgende Selbstverwaltung der
Region Katalonien und der Stadt Barcelona. Im globalen Wettbewerb um Investitionen
setzt die Stadt ihren Transformationsprozess fort; ehemalige Gewerbeflächen werden
neu erschlossen, um Standortvorteile für die Ansiedlung zukunftsträchtiger Branchen zu
generieren.
3
Geographische und topographische Rahmenbedingungen
Barcelona ist die Hauptstadt der autonomen Region Catalunya, die sich aus den vier
Provinzen Lleida, Barcelona, Girona und Tarragona zusammensetzt. Die Stadt liegt auf
2º10’ östlicher Länge und 41º23’ nördlicher Breite. Die physischen Dimensionen der
Siedlungsfläche Barcelonas sind durch die Lage der natürlichen Grenzen bestimmt: Die
Stadt liegt auf einer leicht zum Mittelmeer abfallenden Ebene, die durch die parallel zum
Meer verlaufende Gebirgskette Collserola begrenzt wird, dessen höchste Erhebung der
Tibidabo mit 512 m ist. Unterbrochen wird diese Ebene durch den am Meer gelegenen
Hügel des Montjuic (172 m) und einige Hügel (turós) im höher gelegenen Teil der Stadt.
Die Flüsse Llobregat und Besòs begrenzen diesen Raum im Südwesten und
Nordosten; sie durchbrechen das Küstengebirge und verbinden Barcelona mit dem
Hinterland. Diese natürlichen Gegebenheiten bilden ein geographisches System, das
wesentlich die Verkehrswege und die Erweiterungsmöglichkeiten des modernen
Barcelona vorgibt. Die Ebene selbst wurde durch eine Vielzahl kleinerer, zueinander
parallel verlaufender Flüsse durchzogen, die die Ausrichtung vieler senkrecht zum Meer
verlaufender Straßen bestimmt (Reimann 1996, S. 137).
7
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
4
Barcelona in Zahlen
A. Vergleich der Einwohnerzahlen, Flächen und Einwohnerdichten im Jahr 2001
La población a 1 de enero de 2001
Ambito territorial
Población
Superficie (km2)
Densidad (Hab/km2)
Barcelona
1.505.325
101,0
14.904
Región Metropolitana
% Barcelona / R. Metropolitana
4.390.413
34,3
3.235,6
3,1
1.357
-
Cataluña
% Barcelona / Cataluña
6.361.365
23,7
31.895,3
0,3
199
-
41.116.842
3,7
506.030,0
0,02
81
-
España
% Barcelona / España
Tab. 1: Einwohnerzahlen im Vergleich (Ajuntament de Barcelona 2003a)
B. Administrative Einheiten auf der Ebene der “districtes”
Abb. 4: Administrative Gliederung in 10 “districtes” (Ajuntament de Barcelona 2003b)
8
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Im Jahr 1984 wurden 10 dezentrale administrative Einheiten eingerichtet, die die
Verwaltung den Bürgern näher bringen sollte; dabei beruhte die Einteilung auf
historisch, sozial und städtebaulich gewachsenen Einheiten, deren Benennung sich an
alten Stadtvierteln oder an Dörfern, die im Zuge des Wachstums der Stadt
eingemeindet worden sind, orientierte. Ciutat Vella und Eixample bilden das historische
Barcelona, Nou Barris entwickelte sich in der Zeit des industriellen Wachstums,
während die übrigen “districtes” mit den alten Dörfern in der Ebene korrespondieren
(West 2000, S. 55).
C. Administrative Einheiten auf der Ebene der “zones estadístiques gran” (ZEG)
Abb. 5: Administrative Gliederung in 38 “zones estadístiques gran” (ZEG)
(Ajuntament Barcelona 2003c)
9
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Die zehn “districtes” wurden in 38 ZEG unterteilt, die nach denselben Kriterien wie die
“districtes” ausgewiesen wurden, die aber als kleinere Einheiten mehr Bürgernähe
bieten sollten. Über ihre baulichen Strukturen lassen sich diese Zonen relativ gut
abgrenzen (West 2000, S. 57).
5
Wesentliche Elemente der aktuellen Stadtstruktur
Barcelona lässt sich in drei Bereiche gliedern: die Kernstadt, der suburbane Bereich
jenseits der Eixample und die Industriestandorte. Die Kernstadt umfasst den "casc
antic", d.h. die Altstadt, das Viertel El Raval und die Eixample. Außerdem ist noch die
Stadterweiterung „Barceloneta“ aus dem 18. Jh. zur Kernstadt zu zählen.
Der suburbane Raum jenseits der Eixample weist im Gegensatz zu dessen
schachbrettartigem Grundriss kaum noch regelhafte Ordnungsmuster auf. Es handelt
sich hier oft um "überformte" Dörfer und planlos angelegte Neubausiedlungen. Diese
zusammengewachsenen Siedlungen besitzen entweder radiale Strukturen, die von
einem Hügel ihren Ausgang nahmen (z.B. Horta-Guinardó), oder Netzstrukturen
(Gràcia, Sarrià, Sant Gervasi), die sich aus den parallelen Wegen und Flüssen, die die
Ebene von Barcelona durchzogen, entwickelten (Reimann 1996, S. 140).
Die Gebiete, in denen Industrieansiedlungen dominieren, sind vor allem die ZEG Zona
Franca-Port, Poblenou und Sant Andreu. In den Randgebieten der Zona Franca
wuchsen Arbeiterviertel, wie z.B. Bellvit, Cornellà, Hospitalet.
Die ZEG Poblenou ist nach der Zona Franca die älteste Industriezone. Hier siedelten
sich Firmen verschiedenster Industriesektoren an, die allerdings zunehmend ihren
Standort verlagern, um sich in den Industriezonen der Peripherie (z.B. Vallès) wieder
anzusiedeln. Die entstandenen Schlafstadtviertel sind La Verneda, Santa Coloma und
El Besòs.
Was den Unterschied zwischen Barcelona und mitteleuropäischen Städten anbelangt,
sind folgende Punkte hervorzuheben: Zum einen ist der sehr scharfe Gegensatz
zwischen
dem
klar
gegliederten
zentralen
Bereich
und
der
unkontrollierten
Suburbanisierung äußerst typisch für Barcelona und andere spanische Städte. Zum
anderen ist die Innenstadt Barcelonas noch nicht so entvölkert wie die zentralen
Bereiche der Städte Mitteleuropas. Die Altstadt Barcelonas wird zwar vorwiegend von
ärmeren Schichten bewohnt, doch auch Mittel- und Oberschicht bevorzugen Viertel, die
nicht zu weit vom Zentrum entfernt liegen. Schließlich ist es für den suburbanen Bereich
Barcelonas typisch, dass dort die Einfamilienhäuser weitaus seltener sind als in
10
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
mitteleuropäischen Städten. Auch Angehörige höherer Schichten wohnen häufig in
Hochbauten, die sozialen Unterschiede äußern sich weniger in der Art der Bebauung
als in der Qualität der Bauausführung, in der Wohnausstattung und im Wohnumfeld
(Bähr/Gans 1986, S. 16).
6
Begehung der Stadt
6.1
Passeig de Gràcia / Eixample
6.1.1 Wirtschaftliche und historische Entwicklung seit Mitte des 15. Jahrhunderts
Nach seiner mittelalterlichen Blütezeit stagnierte die Entwicklung der Stadt fast drei
Jahrhunderte. Gründe dafür waren politischer und ökonomischer Natur: 1410 starb das
Haus der Grafen von Barcelona aus und die Krone ging auf die kastilische Dynastie
über. Damit begann der Niedergang Kataloniens, auf den sich ein bis heute
schwelendes beiderseitiges Misstrauen zwischen Katalonien und der Zentralgewalt des
Landes gründet. Die autonomen katalanischen Institutionen wurden schon sehr bald
außer Kraft gesetzt; Kastilisch als allein gültige Amtssprache eingeführt.
Die politische Macht Barcelonas verringerte sich weiter aufgrund der Vereinigung der
Königreiche Kastilien und Aragón im Jahre 1474 durch die Heirat des Königs Fernando
von Aragón mit Isabel, Erbin der Krone Kastiliens. Die Politik der “Katholischen Könige”
zielte in folgende Richtungen: Schaffung einer territorialen Einheit auf der Halbinsel und
die Ausdehnung nach Afrika und in den Atlantik-Raum (Roldán 1989, S. 52).
Nach der Entdeckung Amerikas verlagerte sich die Konzentration des europäischen
Warenhandels vom Mittelmeer hin zum Atlantik. Sevilla erhielt von den Königen das
Monopol für den Amerikahandel, und Barcelona war jeglicher Warenaustausch mit
Amerika untersagt.
Als Barcelona 1714 als Folge der “falschen” Parteinahme während des spanischen
Erbfolgekrieges von den Truppen Philipps V. erobert wurde, bedeutete dies nicht nur
den Verlust der politischen Autonomie Kataloniens, sondern hatte auch weitreichende
Konsequenzen für die städtebauliche Entwicklung. Um die aufrührerische Stadt besser
kontrollieren zu können, wurde eine Zitadelle errichtet, der 1200 Gebäude weichen
mussten. Mit Ausnahme des neuen Hafenviertels Barceloneta, das 1753 entstand,
beschränkte sich für 150 Jahre jegliche Bautätigkeit auf den Raum innerhalb der
mittelalterlichen Stadtmauern (Bader/Mayer 1992, S. 1365).
Ab 1755 betrieb die wieder zugelassene Flotte Barcelonas Handel landwirtschaftlicher
Produkte mit den amerikanischen Kolonien; auf dem Rückweg wurde Baumwolle
11
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
transportiert, die die Spinnereien der Stadt neben den traditionellen Rohstoffen wie
Wolle, Seide oder Leinen verarbeiteten. Der neue wirtschaftliche Aufschwung schlug
sich auch in den Bevölkerungszahlen nieder: sie stieg von 37.000 im Jahr 1715 über
80.000 im Jahr 1759 auf 130.000 im Jahr 1798. Dieser Zuwachs hatte zur Folge, dass
der bis dahin als Gartenfläche genutzte Arrabal (Vorstadt, heute: El Raval) bebaut
wurde und im Süden der Zitadelle das Viertel Barceloneta entstand (Bähr/Gans, S. 12).
Entscheidend für den wirtschaftlichen Aufschwung waren die Reinvestitionen der
Unternehmensgewinne und der Einsatz neuer, aus Frankreich und England importierter
Technologien
(mechanischer
Webstuhl,
Dampfmaschine),
die
die
Katalanen
weiterentwickelten. So wurde Katalonien im 19. Jh. nicht nur führend in der spanischen
Textilherstellung, sondern es entwickelte sich auch eine metallverarbeitende Industrie.
Das industrielle Wachstum und der starke Bevölkerungsanstieg innerhalb der
Stadtmauern
erforderten
eine
räumliche
Expansion,
so
dass
die
Madrider
Zentralregierung im Jahr 1854 die Erlaubnis zur Schleifung der Mauern erteilte
(Stegmann/Stegmann 1992, S. 236).
6.1.2 Die Stadterweiterung nach dem Plá Cerdà
Die 1859 begonnene Stadterweiterung, die Eixample, sollte die mittelalterliche Stadt um
fast das zehnfache vergrößern, 800.000 Einwohner aufnehmen und bis zum Riu Besòs
reichen. Grundlage für die Bebauung waren die Pläne von Ildefons Cerdà, der bereits
im Jahr 1855 einen topographischen Plan der Umgebung Barcelonas als Vorarbeit für
die künftige Stadtentwicklung fertigte. In die Geschichte der Stadtplanung eingegangen
ist sein Entwurf dank des Umfanges des vorgesehenen Erweiterungsgebietes und der
Strenge seines Ordnungsprinzips.
Grundlage war ein rechteckiges Straßenraster, welches ursprünglich nur an zwei,
maximal drei Seiten bebaut werden sollte. Die für die Erweiterung vorgesehene Fläche
umfasste 16 km² die mit 900 quadratischen (113 m x 113 m), an den Ecken
abgeschrägten Blöcken (mançanas) gefüllt werden sollte; die Breite der Strasse sollte
20 m betragen (Albers 2002, S. 27 f).
Zwei wesentliche Elemente bestimmten Cerdàs neue Stadt: das großzügige
Straßenraster für Transport und technische Infrastruktur und der Raum zwischen den
Straßen
für
Wohnen
Stadterweiterung
sollte
und
die
soziale
Einrichtungen,
Wohnungsknappheit
Ruhe
und
beseitigen,
Erholung.
das
Die
weiträumige
Bebauungsschema optimale hygienische Bedingungen schaffen. Cerdà wollte eine
durchgrünte und durchlüftete Stadt. Straßenkreuzungen und Plätze sollten der
12
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Kommunikation dienen und dadurch "mehr Brüderlichkeit unter den Menschen
schaffen".
Er vertrat das idealistische Konzept von der Gleichheit der Menschen. Die bestehenden
sozialen Ungleichheiten wollte er durch seine Planung mildern und abbauen. Dabei
sollte das quadratische Raster eine gleichmäßige Bebauung ermöglichen und eine
hierarchische verhindern. In diesem Netz verteilte er die kollektiven sozialen
Einrichtungen über die Stadt. Die Gesamtstadt sollte aus der Addition kleiner
elementarer Städte entstehen, die unabhängig voneinander errichtet werden konnten.
So entsprach der Plan auch der Forderung, ihn in zeitlich unterschiedlichen Etappen zu
realisieren (Strempel/Heinemann 1988, S. 35).
Bei der Planung des Verkehrs stellte Cerdà rationale Überlegungen den herrschenden
Ideen gegenüber, Prachtstrassen und Alleen mit repräsentativen Funktionen anzulegen.
Er war davon überzeugt, dass die Dampfmaschine Kommunikation und Handel
revolutionieren würde. Deshalb entwickelte er unterschiedliche Straßenprofile für
Fußgänger, Reiter und Droschken, sah Verkehrsinseln vor mit Verkaufsständen für den
täglichen
Bedarf,
Erste-Hilfe-Posten,
Plätze
für
Straßentheater,
öffentliche
Wasserpumpen und überlegte sich die günstigste Straßenbeleuchtung.
Um eine Bodenspekulation zu vermeiden, ging Cerdà von einem einheitlichen
Bodenpreis im gesamten neuen Stadtgebiet aus. Für ihn war der Staat die ordnende
Macht, die über den sozialen Klassen stand (Strempel/Heinemann 1988, S. 36).
Das Besondere der "Teoría general de la urbanización" liegt darin, dass Cerdà eine
neue Zeit heraufkommen sah - bestimmt vor allem durch neue Perspektiven für den
Verkehr - und damit neue Voraussetzungen für die Stadtentwicklung, deren Klärung er
sich zum Ziel gesetzt hatte.
In der Rückschau wird deutlich, dass Cerdà als Vorläufer einer "wahren" Wissenschaft
der Stadtentwicklung anzusehen ist, der mit klarem Blick für die Vielfalt der
Zusammenhänge, insbesondere für die Verknüpfung räumlicher und sozialer Aufgaben
seine Planungen erstellte (Albers 2002, S. 29 ff).
Die Erschließung der Eixample erfolgte jedoch außerordentlich schleppend und blieb
bis Ende des 19. Jhs. auf Teilgebiete beschränkt. Die restriktiven Bestimmungen des
Plans, vor allem die geringe Nutzungsdichte, versprachen keine größeren Renditen,
und so wurden die Kapitalströme eher in den Aufbau neuer Industriebetriebe (z.B.
Poblenou) und die Bebauung der Vororte (z.B. Gràcia) gelenkt. Erst nachdem die Stadt
durch den Ausbau der Infrastruktur, insbesondere der Wasserversorgung der Eixample
einen Standortvorteil gesichert hatte und gleichzeitig die Nachfrage nach Wohnraum
13
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
anhielt, investierten zahlreiche Fabrik- und Grundbesitzer in die Bebauung des
Gebietes (Bähr/Gans 1986, S. 16).
Abb. 6: Cerdàs überarbeitetes Projekt der Stadterweiterung von 1863
(Institut für Landeskunde und Regionalforschung 2002, S. 6)
Obwohl der Plan von Cerdà bis 1953 der offizielle Stadtentwicklungsplan blieb, sind die
einzelnen Bestimmungen schon sehr bald unterlaufen worden. Cerdà hatte die
Ordnungsfunktion des Staates in einer kapitalistischen Gesellschaft völlig überschätzt.
Da eine Kontrolle der Bebauung nie realisiert wurde, entwickelte sich das Rastermodell
zu einem hervorragend strukturierten Gelände für Bodenspekulanten.
Zunächst wurde der Raum für Grünflächen und Parkanlagen eingeschränkt, später alle
vier Seiten der einzelnen mançanas bebaut und schließlich stockte man die Häuser auf,
so dass sich das Bauvolumen von 67.200 m³ auf fast 300.000 m³ im Jahr 1972 erhöhte.
Darüber hinaus wurden die für Schulen, Marktplätze und andere soziale Einrichtungen
bestimmten mançanas mehr und mehr zweckentfremdet für Wohngebäude genutzt.
(Bähr/Gans 1986, S. 16).
Von dem ursprünglichen Plan, eine durchgrünte Stadt zu schaffen, in der Licht, Luft und
Sonne das Leben der Bewohner bestimmen, ist nicht viel mehr geblieben als ein
autofreundlichen Grundmuster (Strempel/Heinemann 1988, S. 37).
Die
ständige
Preissteigerung
der
Ware
Wohnung
führte
dazu,
dass
die
Stadterweiterung ein rein bürgerliches Wohngebiet wurde. Die Wohnprobleme der
14
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Arbeiterklasse wurden nicht gelöst, die Überbevölkerung der Altstadt verschärfte sich
noch mehr.
Evolución de la población
Años
Población
31/12/1900
537.354
31/12/1910
587.411
31/12/1920
710.335
31/12/1930
1.005.565
31/12/1940
1.081.175
31/12/1950
1.280.179
31/12/1960
1.557.863
31/12/1970
1.745.142
01/03/1981
1.752.627
01/03/1991
1.643.542
01/05/1996
1.508.805
01/01/1998
1.505.581
01/01/1999
1.503.451
01/01/2000
1.496.266
01/01/2001
1.505.325
Hombres
256.602
278.285
335.337
474.672
491.834
576.716
724.811
822.471
832.119
775.988
704.985
703.231
702.576
699.645
-
Mujeres
280.752
309.126
374.998
530.893
589.341
703.463
833.052
922.671
920.508
867.554
803.820
802.350
800.875
796.621
-
Tab. 2: Bevölkerungsentwicklung von 1900 bis 2001 (Ajuntament Barcelona 2003f)
6.1.3 Exkurs: Zwei weitere Pioniere der modernen Stadtplanung:
James Hobrecht und Reinhard Baumeister
Der Bebauungsplan des James Hobrecht
Um der Ausdehnung Berlins Raum und Boden zur Verfügung zu stellen und dabei den
Stadtentwicklungstendenzen Rechnung zu tragen und eine wilde Bebauung zu stoppen,
wurde James Hobrecht 1852 vom Berliner Polizeipräsidenten beauftragt, einen
Bebauungsplan zu erarbeiten, der 10 Jahre später durch einen staatlichen Erlass
verabschiedet wurde. Dieser "Bebauungsplan für Berlin und die Umgegend bis
Charlottenburg", der so genannte "Hobrecht-Plan", sah ein Straßenraster mit
boulevardartigen Achsen, Sternplätzen, Diagonalverbindungen und tiefen Grundstücken
vor, das ringartig um die Altstadt gelegt wurde und sich teilweise an vorhandenen
Straßen orientierte.
Hobrecht sah seine Aufgabe vor allem darin, eine lebenswerte Stadt für die
Bevölkerung zu bauen. Die großen Industriekomplexe sollten sich entweder außerhalb
der Stadt ansiedeln oder zumindest innerhalb der Häuserblöcke. Statt einer Trennung
der Funktionen entwickelte er die Idee des Arbeitens und Wohnens an einem Ort,
woraus die "Berliner Mischung" entstanden ist: im Erdgeschoss des Vorderhauses
Handel oder Gastronomie, darüber die Hausbesitzer oder Verwalter, darüber Beamte
oder Angestellte. In den Hinterhäusern lebten Arbeiter, während weiter im Blockinneren
Betriebe angesiedelt wurden (West 2002a, S. 87ff).
15
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Hobrechts Vorstellungen kollidierten schon bald mit den Interessen von Grundbesitzern
und Baugesellschaften. Preis treibende Bodenspekulation führte zu einer möglichst
dichten Bebauung. Insbesondere die extreme Grundstückstiefe lieferte wenige teure
Wohnungen zu den breiten Straßen und Plätzen und viele billige Wohnungen in den
Seitenflügeln und Hinterhäusern; teilweise folgten bis zu fünf Hinterhöfe aufeinander.
Ermöglicht wurde die hohe Verdichtung, die von Hobrecht nicht beabsichtigt war, durch
die wenig detaillierte Bauordnung von 1853. Der Bebauungsplan von 1862 war nämlich
ein Straßenfluchtlinienplan, in dem keine Angaben zur Bebauung gemacht wurden.
Aber auch die Bauordnung von 1853 beinhaltete nur Bestimmungen zur Sicherheit der
Bevölkerung vor Feuergefahr und sah keinerlei Beschränkungen für die Bebauung der
Grundstücksflächen vor (West 2002a, S. 91 f).
Die Stadterweiterung Mannheims nach Plänen von Reinhard Baumeister
Der Karlsruher Städtebauer beschäftigte sich ab 1870 mit dem Thema der
Stadterweiterung und begann ein selbstständiges wissenschaftliches Fachgebiet zu
entwickeln. Der Ausdruck "Städtebau" wurde im Zusammenhang mit dem Entwurf für
die östliche Stadterweiterung von Mannheim von 1872 geprägt.
Baumeisters Planungsvorstellungen, die den Namen "Stadt-Land" trugen, sahen wie
folgt aus: In der Achse der Heidelberger Straße, wo heute der Wasserturm steht, war
ein Theater geplant, hinter dem ein großer Platz liegen sollte, der auf der einen Seite
durch eine mächtige Markthalle abgeschlossen werden sollte. Von der Mittelachse der
Markthalle zog eine breite Allee nach Osten; von den Flanken der Markthalle sollten
strahlenförmig die Hauptverkehrsstraßen ausgehen. Als Form des Straßensystems
favorisierte er das Dreiecksystem, dass auf einer Anzahl von Verkehrsknotenpunkten
basiert, die mit den benachbarten durch gerade Linien verbunden sind. Das
Rechtecksystem lehnte er aus verkehrstechnischen und architektonischen Gründen ab
(West 2002a, S.95 f).
Die Flächen zwischen diesen Hauptachsen sollten mit meist rechteckigen Baublöcken
in geschlossener Bauweise bebaut werden. An die Ringstraße stieß ein großer Park,
der in ein Villengebiet übergehen sollte. Auch für öffentliche Einrichtungen und
Industriebetriebe waren Plätze ausgewiesen. Die Stadtgemeinde als Eigentümerin des
Baugeländes übte über Festlegungen in den Kaufverträgen einen starken Einfluss auf
die Bebauung aus, was die Bodenspekulation weitgehend ausschaltete.
Baumeisters erste Überlegungen zu einer Theorie der planvollen Stadterweiterung
wurden in den "Thesen über die Stadterweiterung" von 1874 und der Schrift
16
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
"Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirthschaftlicher Beziehung"
von 1876 veröffentlicht. Er forderte Eingriffsmöglichkeiten für die Stadtverwaltung bei
der Planung, damit diese die Wachstumsentwicklungen für die Städte positiv gestalten
konnten. Nur so konnte ein geregelter Wohnungsbau und eine Verkehrs- und
Versorgungsplanung bestmöglichst umgesetzt werden.
Ferner entwickelte er seine Vorstellungen von der funktionalen Stadt, wobei er ein
Auseinandersiedeln der Bevölkerungsgruppen ablehnte. Ihm schwebte ein Mittelweg
zwischen absoluter Vermischung und Segregation vor, die er durch Zonen- und
Staffelanordnung erzielen wollte (West 2002a, S. 99).
Den Plänen der drei Pioniere ist gemeinsam, dass sie eine soziale Mischung fordern,
wenn auch in unterschiedlichem Maße. Während Hobrecht eine soziale Mischung aller
Schichten auf engstem Raum (im gleichen Haus) propagiert, befürworten Baumeister
und Cerdà die Bildung von sozialen Gruppierungen, die z.B. auf der Ebene des Hauses
zusammenleben sollen, sich auf der Ebene der Stadtviertel aber mischen (West 2002b,
S. 37).
Vergleicht man die Haltung der Städteplaner bezüglich der Idee der Zonenbildung, so
findet sich bei Cerdà und Hobrecht eine klare Absage. Sie setzen auf eine Mischung
der Funktionen, die hingegen von Baumeister abgelehnt wird. Als Konsequenz aus der
funktionalen Ordnung befürwortet Baumeister zur Gestaltung des Straßennetzes das
Dreiecksystem, da hierdurch die benachbarten funktionalen Einheiten am schnellsten
zu erreichen sind. Hingegen greifen Cerdà und Hobrecht auf das Rechtecksystem
zurück, da durch die Funktionenmischung im Idealfall keine langen Wege entstehen
(West 2002a, S. 100).
6.1.4 Die Eixample heute
Mit dem Bau der Eixample bekam der Passeig de Gràcia eine Breite von 60 m und war
bis zum Ausbau der Avinguda Diagonal die breiteste Straße in Barcelona. Die
Hauptfunktion des Passeig war, den Verkehr aus der Altstadt zur Av. Diagonal, der
zweiten großen Verkehrsachse zu leiten. Während Cerdà noch 1 bis 2-geschossige
Wohnhäuser mit Vorgärten als Bebauung plante, siedelten sich im Laufe der Zeit immer
mehr Geschäfte an, so dass die Straße schon um 1900 zu Barcelonas Flanier- und
Geschäftsstrasse wurde. Gleichzeitig wurde sie zum bevorzugten Wohnstandort des
Großbürgertums und wohlhabender Fabrikanten, da sie hier ihre Bedürfnisse nach
baulicher Selbstdarstellung befriedigen konnten. Von den Architekten des Modernisme
17
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
wurden am Passeig prunkvolle Häuser errichtet, die dem Viertel den Namen „Quadrat
d'
Or“ einbrachte (West 2000, S. 36).
In Katalonien versteht man unter dem Gattungsnamen "Modernisme" eine umfassende
künstlerische Bewegung während der letzten Jahrzehnte des 19. Jhs. und der ersten
des 20. Jhs.. Ihren Höhepunkt erreichte sie gegen 1900 als eine auf fließende,
asymmetrische Linienführung basierende Kunstrichtung mit floralen und koloristischen
Ornamentsformen, wie sie u.a. in der Architektur, der Glaskunst, der Typographie und
im Möbelhandwerk zu finden war.
Dem katalanischen Modernisme parallele Bewegungen sind die "Art Nouveau" in
Frankreich und Belgien, der "Modern Style" in England und den USA und der
"Jugendstil" in Deutschland (Generalitat de Catalunya 1992, S.1). Zwei Gebäude am
Passeig de Gràcia seien hier kurz erwähnt:
Das Casa Battló wurde von dem katalanischen Architekten Antoni Gaudí 1905
vollkommen umgebaut; betroffen waren sowohl die Außenformen (wellenförmiges
Mosaik, Erker mit knochenförmigen Säulen, Balkone mit geschwungenen gusseisernen
Brüstungen, an schuppenförmige Drachenhaut erinnernde Dachziegeln) als auch das
Innere (Treppenhaus mit Fliesen in Blauton-Schattierungen). Der Besitzer dieses
Gebäudes, der Stoff-Fabrikant Josep Battló, wollte es ursprünglich abreißen lassen,
beantragte aber im Jahr 1904 bei der Stadt eine umfassende Neugestaltung des
Gebäudes und beauftragte Gaudí mit dem Umbau (Zerbst 1991, S. 162).
Bei dem Umbau der Casa Amatller im Jahr 1898 verwendete der Architekt Puig i
Cadafalch flämische Elemente und verband sie mit denen des Modernisme. Er erstellte
eine harmonische Frontseite mit Stufengiebel, eine Galerie nach katalanischer Tradition
und Erker im neogotischen Stil (Sureda 2001, S. 17).
Die Eixample ist heute noch Wohnstandort der gehobenen Mittel- und Oberschicht. Die
zentrale Lage, die mittlere Wohndichte, die repräsentativen Bauten und die gut
ausgestatteten Wohnungen sind Gründe dafür, dass diese Bevölkerungsschichten in
der Eixample wohnen.
Der
Passeig
de
Gràcia
beheimatet
viele
hochrangige
und
spezialisierte
Dienstleistungen; zahlreiche in- und ausländische Banken und Versicherungen haben
hier ihren Verwaltungs- und Repräsentationssitz. Daneben war der Passeig schon
immer eine renommierte Adresse für Hotels der obersten Kategorie oder für Anbieter
von Gütern des langfristigen Bedarfs im Hochpreissegment (West 2000, S. 138).
18
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Ende der 1970er Jahre wanderten Teilbereiche der Banken und Versicherungen auf die
Av. Diagonal; ihnen folgten Hotels und Exklusivgeschäfte. Die freiwerdenden
Räumlichkeiten wurden nach und nach von Esslokalen und Bars belegt, womit eine
andere Gruppe von Klienten, vor allem einfache Konsumenten und Touristen,
angesprochen wurden. Es folgten Niederlassungen großer Handelsunternehmen, die
mittelfristige Bedarfsgüter des mittleren Preissegments anboten.
Seit 1998 ist ein Wandel im Geschäftsbesatz zu verzeichnen: Die Kundenräume der
Banken werden in die benachbarten billigeren Straßen verlagert, die Anbieter von
Gütern im mittleren Preissegment haben den Passeig verlassen. Als neue Nutzer
erschienen Anbieter mittel- und langfristiger Güter im Hochpreissegment. Nationale und
internationale Unternehmen, hauptsächlich aus der Modebranche, suchen ein
Ladenlokal an der Renommieradresse Barcelonas zu mieten (West 2000, S. 138).
In der übrigen Eixample wechseln Ladenlokale, Bars, Restaurants, Dienstleistungen
und Wohnnutzung miteinander ab. Generell kann man sagen, dass die Dreta Eixample
einen höherwertigen Besatz an Dienstleistungen und besser ausgestattete Wohnungen
aufweist als die linke Hälfte.
6.2
Museu d’Art Contemporani de Barcelona / El Raval
Das Viertel El Raval (kastilisch: arrabal = Vorstadt) entstand infolge der fortschreitenden
Expansion der Stadt im 14. und 15. Jh.. Nachdem auch die zweite Mauer, die die
heutige Altstadt bis zu den Rambles umschloss, schon nach kurzer Zeit ein Hindernis
bildete, erweiterte man die Stadt nach Westen. Bis zum 18. Jh. waren hier
hauptsächlich
Klöster,
Krankenhäuser
und
Gärten
gelegen;
diese
religiösen
Einrichtungen hatten sich schon vor dem Bau der dritten Stadtmauer außerhalb der
Stadt hier angesiedelt (Bähr/Gans 1986, S. 10).
Ursache für die weitere Bebauung des Viertels im 18. Jh. war der Bevölkerungszustrom
aus dem Hinterland aufgrund des zunehmenden Bedarfs an Arbeitskräften für die sich
entwickelnde Industrie (Textilherstellung, Metallverarbeitung). Die Fläche innerhalb der
mittelalterlichen Mauern war Mitte des 19. Jhs. vollständig mit Industrieanlagen und
Wohnungen bebaut und erreichte dadurch eine hohe bauliche und demographische
Dichte (West 2000, S. 33).
Die Stadterweiterung Cerdàs ermöglichte eine weitere Ausdehnung der Stadt, wodurch
sich die Situation in der Altstadt änderte. Die Führungsschicht wanderte in die Eixample
19
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
ab, städtische Infrastruktur und Wohngebäude wurden nicht erneuert und es folgte die
Marginalisierung der gesamten Altstadt, insbesondere des Viertels El Raval.
Das degradierte Zentrum entwickelte sich zum Zuzugsgebiet für mittellose und
arbeitssuchende Immigranten; in den 1980er und 1990er Jahren wurde El Raval zum
Wohnstandort von meist asiatischen und afrikanischen Einwanderern. Dadurch bekam
das Viertel eine eigenständige Prägung; viele der Geschäfte werden von Asiaten
geführt (West 2000, S. 139).
Im Jahr 2001 lebten in der Altstadt 88.793 Einwohner (1996: 83.829) bei einer
Einwohnerdichte von durchschnittlich 19.757 EW/km² (El Raval: 34.445 EW/km²,
Barceloneta: 10.308 EW/km²) (Ajuntament de Barcelona 2003e). Im Vergleich zu den
übrigen Distrikten Barcelonas weist die Ciutat Vella die höchste Steigerungsrate der
Bevölkerungszahl auf. Diese positive Veränderung überrascht umso mehr, da der
Distrikt seit den 1980er Jahren ein “Abwanderungsdistrikt” war. Wo liegen die Ursachen
für diese Entwicklung?
Evolución de la población por distritos 1996-2001
1996
2001
Distrito
Población
%
Población
%
Variación
2001-1996
Absolutas
BARCELONA
1.508.805
100,0
1.505.325
100,0
-3.480
-0,2
83.829
248.777
167.390
81.864
129.573
5,6
16,5
11,1
5,4
8,6
88.793
248.383
167.189
82.291
132.864
5,9
16,5
11,1
5,5
8,8
4.964
-394
-201
427
3.291
5,9
-0,2
-0,1
0,5
2,5
115.753
169.832
170.849
135.579
205.359
7,7
11,3
11,3
9,0
13,6
114.018
165.942
164.163
135.281
206.401
7,6
11,0
10,9
9,0
13,7
-1.735
-3.890
-6.686
-298
1.042
-1,5
-2,3
-3,9
-0,2
0,5
1. Ciutat Vella
2. Eixample
3. Sants-Montjuïc
4. Les Corts
5. Sarrià-Sant
Gervasi
6. Gràcia
7. Horta-Guinardó
8. Nou Barris
9. Sant Andreu
10. Sant Martí
%
Tab. 3: Bevölkerungsentwicklung 1996-2001 (Ajuntament de Barcelona 2003d)
Eine mögliche Erklärung ist die Umsetzung des Stadtteil-Entwicklungsplans “Àrea de
Rehabilitació Integrada”, der die Sanierung der Gebäude und Wohnungen in der Ciutat
Vella zum Ziel hatte und der Marginalisierung dort ansässiger sozialer Gruppen
entgegenwirken wollte. Dazu wurde eine privatrechtliche Gesellschaft in Form einer
Public-Private-Partnership
(PPP)
gegründet,
zu
der
die
Stadtverwaltung,
die
Landesregierung und private Geschäftsleute und Gesellschaften gehörten. In der Zeit
von 1988-1996 wurden 1.774 Wohnungen neu gebaut und 12.397 Wohnungen auf
Privatinitiative mit einer Förderung durch öffentliche Gelder renoviert (West 2000,
S. 71 f).
20
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Um die Attraktivität des Viertels auch für höhere Sozialschichten zu steigern, wurde
versucht, mit kleinen geplanten Eingriffen eine Art Initialzündung für die Regenerierung
der Umgebung auszulösen (Theorie der „Strategischen Metastasen“ von Oriol Bohigas,
Architekt und oberster Stadtplaner Barcelonas in den 1980er Jahren). In diesem Sinne
wurde das Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA) gebaut. Das von dem
US-Amerikaner Richard Meier entworfene Museum wurde 1995 eröffnet und sammelt
vorrangig neueste Tendenzen der katalanischen Kunst und internationale Trends.
Der Bau des Museums zog eine Reihe von Galerien und Kunsthandwerkläden nach
sich, was den gewünschten Effekt der Theorie Bohigas zum Ausdruck bringt. Dennoch
sei die Frage erlaubt, ob das Projekt einen positiven Effekt im Sinne „strategischer
Metastasen“ auf sein Umfeld hat oder ob es nicht eher wie ein Fremdkörper in einer
andersartigen Umgebung wirkt.
6.3
Plaça Central del Raval
Bestandteil des Stadtteil-Entwicklungsplans für die Ciutat Vella war auch der Bau einer
großen öffentlichen Platzanlage im Zentrum des Viertels El Raval, im Zuge dessen
auch neue Wohnungen gebaut werden sollten. Die Innenstadt zu entrümpeln, ohne ihre
Identität zu zerstören, war das Leitmotiv zahlreicher Eingriffe im historischen Bestand
des Zentrums. Sorgfältiger Umgang mit vorhandener Substanz und die Anlehnung an
klassische Platzkonzeptionen sollten auch den neuen Platz kennzeichnen.
Neben finanziellen Mitteln der EU beteiligte sich die bereits oben erwähnte PPP
PROCIVESA (Promoció de Ciutat Vella SA) an dem Projekt. Auf einer Fläche von 55 m
x 300 m entstand ein Platz, der die Straßen Carrer de Sant Pau und Carrer de
L’Hospital miteinander verbindet (Esquinas 2003, S. 1)
Versucht man die Frage der sozialen Bedeutung der Platz- und Parkanlagen zu
beantworten, so erscheint der Umgang Barcelonas mit dem öffentlichen Raum
beispielhaft für das moderne Verständnis von Öffentlichkeit. Öffentliche Räume sind
Bestandteil und Ausdruck von Lebensformen einer Gesellschaft; sie sollen den Verfall
der Öffentlichkeit stoppen, der sich darin äußert, dass sich gesellschaftliches Leben fast
nur noch innerhalb der Familie in den eigenen vier Wänden abspielt. Im Gegensatz zu
Orten des Konsums und der reinen Fortbewegung sind Plätze und Parkanlagen soziale
Orte der Versammlung, der Kommunikation und des Austauschs. Diese Freiräume sind
Ausgangspunkt für die Umwandlung des passiven in ein aktives Gesellschaftsleben.
Daher gehört die Neugestaltung und die Wiederbelebung bereits bestehender, ebenso
21
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
wie die Schaffung neuer Platz- und Parkanlagen zu den bedeutendsten städtebaulichen
Maßnahmen (Dutli 1991, S. 9 ff).
6.4
Rambla dels Caputxins
Durch die Bebauung des Viertels El Raval im 18. Jh. wurde die zweite, innere
Stadtmauer nutzlos, sodass diese geschleift werden konnte. Es entstand eine
großzügige Allee, die Rambla, die als Marktort zum Zentrum der Stadt wurde und von
den Repräsentativbauten des wohlhabenden Bürgertums gesäumt waren (West 2000,
S. 33).
Die fast zwei Kilometer langen Rambles im Zentrum der Altstadt verbinden die Plaça de
Catalunya mit der Plaça Portal de la Pau am Hafen. Das Wort Rambla ist arabischen
Ursprungs und bedeutet Flussbett; es lässt darauf schließen, dass hier ehemals ein
Fluss vom Tibidabo zum Meer floss. Da die Straße für die damaligen Verhältnisse sehr
lang war, erhielt sie den Plural Rambles und wurde in fünf Abschnitte unterteilt: Rambla
Canaletes, Rambla dels Estudis, Rambla Sant Josep, Rambla dels Caputxins und die
Rambla Santa Mònica (Schröder 1997, S. 210).
An der Plaça de la Boquería beginnt die Rambla dels Caputxins, auch Rambla del
Centro genannt. Sie ist nach einem Kapuzinerkloster benannt, das früher an der Plaça
Reial stand. Neben der Funktion als Marktort sollte man auch die stadtklimatische
Funktion der Rambles erwähnen: Ein wesentlicher temperaturerhöhender Faktor ist die
dichte Bebauung der Kernstadt, denn das Baumaterial hat eine höhere Wärmekapazität
(d.h. das Material kann mehr Wärme speichern) als der Boden oder die Vegetation des
Freilandes. Hier ermöglichen die breit angelegten Rambles die Frischluftzufuhr vom
Hafen her. Ferner trägt der Baumbestand dazu bei, dass infolge des pflanzlichen
Transpirationsprozesses der Umgebungsluft Wärme entzogen wird und sich dadurch
das Mikroklima verbessert (Kuttler 1998, S. 135).
6.5
Plaça Sant Jaume / Barri Gòtic
Auch wenn sich die Altstadt aus verschiedenen Teilen mit ihrem jeweils eigenen
Charakter zusammensetzt, ist sie im Großen und Ganzen ein homogenes Ensemble
geblieben. Jedes Jahrhundert hat seinen architektonischen und städtebaulichen Beitrag
geleistet, ohne die Ausgewogenheit des Stadtbildes zu gefährden.
22
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
6.5.1 Historische Entwicklung Barcelonas bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts
Das Gotische Viertel (Barri Gòtic) ist das Herzstück der Altstadt und entspricht in seiner
Lage weitgehend den römischen Anfängen der Stadt; hier wurde im 2. Jh. v. Chr. die
Kolonie Barcino gegründet. An der Plaça Sant Jaume befand sich das Forum der
römischen Siedlung; auch heute noch hat sich dieser Kern als Standort von weltlicher
Macht erhalten. Hier befinden sich das Rathaus (Palau del Ayuntament) mit
neoklassizistischer Fassade und gotischem Innenhof und der Sitz der Landesregierung
(Palau de la Generalitat) aus dem 15. Jh.. Die Fassade beinhaltet Elemente der Gotik
und der Renaissance, den Innenhof prägen gotischen Treppen.
Von der römischen Gründung der Stadt zeugen nur noch wenige Bauwerke. So sind
z.B. in der Nähe der Kathedrale noch Reste der ehemaligen Stadtmauer und der
rekonstruierte Aquädukt zu sehen. In der Carrer Paradis steht ein alter Mühlstein, der
die höchste Erhebung des Hügels Táber und einen ehemaligen römischen Tempel
markiert.
Nach dem Niedergang des römischen Reiches fiel Barcelona 415 unter die Herrschaft
der Westgoten. Doch weder die Westgotenzeit (415-711) noch die Herrschaft der
Mauren (713-801) prägten Barcelona in seiner Entwicklung. Erst mit der Vertreibung der
Mauren durch die Karolinger wurde der Grundstein zur katalanischen Nation gelegt.
Barcelona wurde unabhängige Grafschaft, Hauptstadt der spanischen Mark und
bedeutender Handelsplatz (Schröder 1997, S. 189).
Das Barri Gòtic erhielt seine charakteristische Prägung in der Gotik-Epoche, als
Barcelona
neben
Genua
und
Venedig
die
bedeutendste
Handelsstadt
im
Mittelmeerraum war. Aus dieser wirtschaftlichen Blütezeit (1150-1450) stammen
zahlreiche Bauten, die im Gotik-Stil errichtet wurden (u.a. die Kathedrale 1298-1450; die
Fassade wurde zu Beginn des 20. Jhs. vollendet).
Die rasch zunehmende Bevölkerung führte im 13. Jh. zum Bau einer neuen
Stadtmauer, die die heutige Altstadt bis zu den Rambles umschloss. Allerdings bildete
auch die neue Mauer bereits nach kurzer Zeit ein Hindernis für die städtische
Ausdehnung, so dass man die Altstadt im Südwesten (El Raval) erweiterte. Hier lebte
die Bevölkerung Barcelonas bis Mitte des 19. Jhs. auf engstem Raum, eingezwängt
zwischen den Stadtmauern (Bähr/Gans 1986, S. 10).
6.5.2 Die Ciutat Vella heute
Die Altstadt hat sich teilweise zur City gewandelt; dabei wird die Straßenfront im
Erdgeschoss zunehmend vom Einzelhandel dominiert, während die oberen Stockwerke
23
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
weiterhin Wohnfunktion übernehmen. Ungünstiger gelegene, nicht renovierte Bereiche
der Altstadt sind dagegen typische Wohnviertel unterer sozialer Schichten.
Resumen de indicadores Ciutat Vella
BARCELONA
Dto.1
Ciutat Vella
Zeg: 1
Barceloneta
Zeg: 2
Parc
Zeg: 3
Gòtic
Zeg: 4
Raval
Población. 2001
1.505.325
88.793
15.083
19.951 16.261
37.498
Población. 1996
1.508.805
83.829
14.981
20.132 13.845
34.871
14.910
19.757
10.308
17.854 19.714
34.445
Esperanza de vida 19951999
hombres
mujeres
78,5
73,2
72,4
74,9
73,1
73,0
74,5
82,2
68,0
79,0
66,8
78,5
70,1
79,6
67,5
79,7
67,6
79,0
% nascidos Catalunya. 2000
66,6
52,1
63,0
54,2
49,3
47,7
% nascidos extranjero. 2000
7,2
22,7
11,5
19,5
26,0
27,6
Tasa natalidad. 2000
8,3
8,6
7,7
7,2
6,8
9,1
Tasa mortalidad. 2000
10,3
14,7
16,5
13,2
13,2
13,3
Tasa inmigración. 2000
15,7
24,3
19,2
23,9
27,2
21,6
Tasa emigración. 2000
25,9
32,70
26,9
30,5
35,2
30,2
Turismos/1000 hab. 2000
410
276
259
300
344
224
Densidad (hab/km2). 2001
Tab. 4: Zusammenfassung statistischer Indikatoren für den Distrikt Ciutat Vella
(Ajuntament de Barcelona 2003e)
In ihrer Analyse der Raum- und Sozialstruktur in Barcelona von 1986 bis 1996 (West
2000) hat West die Wohnsegregation untersucht. Dabei versteht sie Segregation als
Prozess, aber auch als statisches Merkmal. Das Merkmal stellt die ungleichmäßige
Verteilung von Bevölkerungsgruppen im Raum dar. Es können sowohl einzelne als
auch mehrere segregierende Merkmale für die Verteilung eine Rolle spielen.
Segregation als Prozess beschreibt den Vorgang und die Stadien der Entmischung
oder Abgrenzung von Bevölkerungsgruppen und das Entstehen mehr oder weniger
homogener Nachbarschaften (West 2000, S. 11).
Sie kam u.a. zu folgenden Ergebnissen: Gruppen, die eine niedrige Sozialposition
beziehen (Bildung und Einkommen werden als Indikatoren für den Sozialstatus
verwendet), zeigen eine Tendenz zur stärkeren Segregation, während Gruppen, die
mittlere oder hohe Sozialpositionen aufweisen, in ihrer Neigung zur Segregation
abnehmen.
24
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Die Abnahme der Segregation der akademischen Bildungsgruppen ist gleichzusetzen
mit einer Ausdehnung über neue Standorte. Die traditionellen ZEG der Oberschicht
(Pedralbes, Sarrià etc.) bleiben bestehen, während gleichzeitig neue Lebensräume
gesucht werden. Gefunden werden diese vor allem im Distrikt Ciutat Vella, obwohl
dieser eigentlich nicht ihrem Sozialniveau entspricht. Welches sind die Ursachen für
diesen Prozess?
Wie für deutsche Großstädte schon analysiert wurde, geht mit einer Pluralisierung der
Lebensformen eine Suche nach geeigneten Wohnstandorten einher. So wurde für die
1980er Jahre eine Zuwanderung junger Menschen in die Innenstädte deutscher
Großstädte festgestellt, die hier die erste Lebensphase nach Verlassen des
Elternhauses verbringen. Da Barcelona eine der größten Universitäten des Landes ist
und sich ein Teil der universitären Einrichtungen am Rande der Altstadt befinden, kann
von einem ähnlichen Phänomen ausgegangen werden. Nach Beendigung der
Ausbildung wird der Wohnort häufig beibehalten, da die angrenzenden Bereiche der
Ciutat Vella eine gute Versorgung ermöglichen (West 2000, S. 136).
Ein weiterer Grund liegt sicherlich in den Sanierungs- und Aufwertungsmaßnahmen der
älteren Bausubstanz in der Kernstadt, die zu einer Verbesserung der Lebensqualität
beitragen. Sie begünstigen die Zuwanderung einkommensstarker Gruppen, führen aber
gleichzeitig zur Verdrängung einkommensschwacher Mietergruppen (Gentrification =
stadtteilbezogener Aufwertungsprozess, der auf der Verdrängung unterer Einkommensgruppen durch den Zuzug wohlhabenderer Schichten basiert und zu Qualitätsverbesserungen im Gebäudebestand führt).
6.5.3 Exkurs: Citybegriff und andere Bezeichnungen für das zentrale Stadtgebiet
Zur Bezeichnung des zentralen Stadtraumes hat sich in der deutschsprachigen
Stadtgeographie der Begriff „City“ gegenüber synonymen Bezeichnungen wie
Stadtmitte, Stadtkern und Zentrum durchsetzen können. Problematisch ist dabei
allerdings, dass „City“ auch ein Begriff aus dem Alltag ist, der in der Umgangssprache
mehr oder weniger unreflektiert benutzt wird.
Zur Unklarheit trägt außerdem bei, dass der Citybegriff im angelsächsischen und
angloamerikanischen Kulturraum eine andere Bedeutung hat. In Großbritannien wird
mit „City“ nicht das zentrale Stadtgebiet, sondern eine Großstadt als ganze Einheit
bezeichnet; zur Bezeichnung des zentralen städtischen Teilraumes ist der Citybegriff
jedoch ungebräuchlich. Stattdessen wird der Begriff „central business district“ (CBD)
angewendet (Zehner 2001, S. 70).
25
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Der deutsche Begriff „City“ leitet sich von der City of Westminster her mit ihrer
Konzentration öffentlicher Einrichtungen und von der östlich davon gelegenen City of
London, in der sich vor allem das Banken- und das Zeitungsviertel entwickelten. Dieser
Umstand hat zu Kontroversen über den Begriffsinhalt geführt, die allerdings in einer
weitgehenden Einigung mündeten, dass unter „City“ sowohl die höchstrangigen
Wirtschafts-
wie
Verwaltungsfunktionen
verstanden
werden
(Hofmeister
1993,
S. 161).
Heineberg sieht den Begriff „City“ vorrangig als einen Funktionsbegriff. Danach ist die
City „der zentralst gelegene Teilraum ... einer größeren Stadt ... mit einer räumlichen
Konzentration hochrangiger Funktionen des tertiären und quartären Sektors, ...“
(Heineberg 2001, S. 162).
Für die Standorte dieser Funktionen lassen sich verschiedene Merkmale festhalten:
-
es existieren Standort- oder Funktionsgemeinschaften, z.B. von Einzelhandel,
Gastronomie und Arztpraxen in einer Hauptgeschäftsstraße,
-
es lassen sich funktionale Viertel ausmachen durch räumliche Gliederung der
Standorte,
z.B.
Bankenviertel,
Unterhaltungs-
und
Vergnügungsviertel,
Regierungs- und Universitätsviertel,
-
die Entwicklungsdynamik einzelner Standorte differiert.
Weitere Citymerkmale sind:
-
Verdrängung der Wohnbevölkerung und Auffüllung mit kommerziellen
und administrativen Funktionen,
-
Überwiegen der Tag- gegenüber der Nachtbevölkerung,
-
hohe Arbeitsplatzdichte,
-
hohe Dichten des ÖPNV und des Fußgängerverkehrs,
-
Einrichtungen für den ruhenden Verkehr,
-
hohe Boden- und Mietpreise,
-
besondere physiognomische Merkmale: großer Repräsentationsaufwand,
hohe Bebauungs- und Schaufensterdichte, Geschäftspassagen
(Heineberg 2001, S. 162).
Die Funktionen der City
Neben den physiognomischen Merkmalen ist für die City die Standortgemeinschaft
bestimmter Funktionen wesentlich.
Vorrangig zu nennen ist der Einzelhandel, der in der City am frühesten und bis in die
Gegenwart aufgetreten ist. Dabei führt die Spezialisierung zu unterschiedlichen
Betriebstypen, wie z.B. Fachgeschäft, Kaufhaus, Shopping-Center.
26
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Leitbranchen
sind
Bekleidungsgeschäfte,
Juweliere
und
Uhrengeschäfte,
Fotofachgeschäfte und Geschäfte der Unterhaltungselektronik (Hofmeister 1993,
S. 165).
Die zweite große Gruppe von Cityfunktionen sind die privaten Dienstleistungen und
Unternehmensverwaltungen.
Dabei
zeigen
Einrichtungen
des
Geld-
und
Versicherungswesens eine besonders hohe Citygebundenheit. Ebenso weisen Makler-,
Architekten- und Ingenieurbüros, Werbeagenturen und Anwaltskanzleien eine hohe
Konzentration in der City auf. Als citybestimmende, nicht aber citytypische Funktionen
(im Sinne der Definitionen von Heineberg) seien an dieser Stelle die Arzt- und
Facharztpraxen erwähnt, die zahlreich in der City vorhanden sind, aber zu hohen
relativen Anteilen auch über das übrige Stadtgebiet verteilt sein können (Hofmeister
1993, S. 168).
Häufig hat sich ein Teilbereich der City zum Unterhaltungs- und Vergnügungsviertel
entwickelt mit Cafés, Bars, Kinos, Theatern. Dabei sind die Grenzen zu den
Funktionsbereichen Kunst einerseits und Gaststätten- und Beherbergungswesen
andererseits fließend.
Administrative Einrichtungen und offiziöse Funktionen wie z.B. Büros von Parteien,
Verbänden, Organisationen und diplomatische Vertretungen sind relativ häufig in
zentraler Lage anzutreffen; dabei kommt es innerhalb der City auch zu einer
Schwerpunktnutzung in Form eines Regierungsviertels (Hofmeister 1993, S. 170).
Gliederung und Abgrenzung der City
Kennzeichen der City sind ihre räumliche Geschlossenheit und bauliche Kompaktheit.
Dabei erfolgt die Gliederung und Abgrenzung mittels o.g. Merkmale, die z.B. in
Kartierungen der Flächennutzungen festgehalten werden können.
Der Citykern, der durch besonders große Häufigkeiten oder Dichten citytypischer
Einrichtungen gekennzeichnet ist, wird auch als Hauptgeschäftsbereich bezeichnet.
Indikatoren sind z.B. die hohe Passantendichte sowie die Ausweisung und Gestaltung
von Fußgängerbereichen (Heineberg 2001, S. 164).
Außerhalb des Citykerns, aber noch innerhalb der City gibt es gerade in Großstädten
eine Reihe funktionaler Viertel mit charakteristischen Standort- und FunktionsGemeinschaften ähnlicher oder sich ergänzender Branchen, z.B. Banken-, Regierungsund Vergnügungsviertel.
Der Cityrand stellt den äußeren Bereich der City dar und ist die Übergangszone zu den
angrenzenden innerstädtischen Teilräumen. Hier treten die citytypischen Merkmale und
Funktionen in geringerer Dichte und Intensität auf als im Citykern, insbesondere ist der
27
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Anteil der Wohnfunktion an der Gebäudenutzung höher. Häufig findet am Cityrand eine
Expansion der City durch Nutzungswandel statt, z.B. die Umwandlung von
Wohnhäusern in Geschäfts- und Bürohäuser (Heineberg 2001, S.165).
6.6
Moll de Bosch i Alsina / Port Urbà
Eines der wesentlichen Merkmale des gegenwärtigen Wandels Barcelonas ist die
Wiederherstellung einer offenen Beziehung zwischen der Stadt und dem Meer. Trotz
seiner direkten Lage am Mittelmeer ist für Barcelona diese Beziehung nicht
selbstverständlich. Mit dem Wachstum der Stadt im 19. Jh. verlor Barcelona im Laufe
der Umsetzung des Cerdà-Planes schrittweise den direkten Kontakt zum Meer
("espalda al mar" = Rücken zum Meer). Die Industrialisierung des Viertels Poblenou
und der Bau der ersten spanischen Eisenbahnlinie 1849 entlang der Küste schnitten die
Stadt zunehmend vom Meer ab (Reimann 1996, S. 168).
Für Barcelona bedeutet die Rückorientierung auf das Meer ("cara al mar" = Gesicht
zum Meer) nicht nur eine neue Beziehung zwischen dem Hafen und der Stadt, sondern
auch die Wiederentdeckung des gesamten städtischen Küstenbereiches.
Die Moll de Bosch i Alsina wurde von 1982-87 erneuert; diese Sanierung fand in der
ersten Phase der urbanistischen Erneuerung seit der Demokratisierung des Landes
statt. Unter dem Namen „Espais urbans“ wurden räumlich punktuelle Kleinobjekte allein
unter städtischem Management und städtischer Finanzierung durchgeführt. Vorrangig
ging es um die Schaffung von Frei- und Grünflächen, um die Lebensqualität innerhalb
der dichtesten Zonen der Stadt zu erhöhen.
Bei der Erneuerung der Mole sollte einerseits die Ausdehnung des öffentlichen Raums
bis zum Wasser (der Kai war lange Zeit für die Öffentlichkeit unzugänglich),
andererseits ein reibungsloser Verkehrsfluss gewährleistet sein. So entstand zwischen
dem Passeig de Colom und der eigentlichen Mole als Kernstück der Gesamtanlage
eine 25 m breite, leicht erhöhte Aussichtsterrasse, die ein Großteil der Fahrspuren des
Küstenringes überdeckt. Man versuchte, widersprüchliche Funktionen möglichst dicht
an- und übereinander zu lagern und als ästhetische Einheit zu behandeln (Dutli 1991,
S. 48 f).
Die Umgestaltung des alten Hafens war Bestandteil des Programms "Àrees de Nova
Centralitat", welches die Stadtplanung von 1987 bis 1992 maßgeblich beeinflusste. Ziel
war es, eine ökonomische und qualitative Verbesserung in den weniger wohlhabenden
Quartieren zu erreichen. Durch die Gestaltung des öffentlichen Raumes sollte das
Gleichgewicht zwischen Zentren und Peripherie wieder hergestellt werden mit der
28
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Absicht, Urbanität in den konturlosen und substanzlosen Vorstädten der 1960er Jahre
zu entwickeln (West 2000, S. 60).
Um dieses Ziel zu erreichen, sollte eine polyzentrische Stadtstruktur durch
Dezentralisierungsprojekte geschaffen werden. Dabei handelte es sich um zwölf Areale
im Stadtgebiet, die die Funktionen Verkehr, Büroraum, Verkaufsflächen, Wohnraum und
Freizeitanlagen integrieren. Die Abhängigkeit vom historischen Kern und von der
Eixample sollte vermindert werden; gleichzeitig sollten diese neuen Zentren die Altstadt
und die Eixample entlasten und der dortigen Verdrängung des Wohnraums durch Büround Dienstleistungs- bzw. Einzelhandelsflächen entgegenwirken (Reimann 1996, S.
155 f).
Heute bietet das Areal des alten Hafens Potential unterschiedlicher Nutzungen wie
Einkauf, Freizeit und Tourismus. So ist der Port Urbà zu einem Yachthafen umgebaut
worden, und über die neu errichtete Rambla de Mar sind auf der Moll d’Espanya u.a.
ein Groß-Aquarium und ein IMAX-Kino-Center zu erreichen.
Es besteht allerdings die Gefahr, dass stereotype Erscheinungsbilder vieler
amerikanischer und europäischer Häfen wiederholt werden, ohne das historische Erbe
Barcelonas zu berücksichtigen. Die Rückbesinnung auf die maritime Vergangenheit
sollte nicht vergessen werden, „Waterfront Development“ bedeutet mehr als nur die
Stärkung der städtischen Ökonomie (Schubert 2002, S. 23). Dass ein Nachbau der
Santa María (Kolumbus‘ Flaggschiff) das historische Erbe nur unzureichend
widerspiegelt, hat man inzwischen auch erkannt: das Schiff wurde aus dem
Hafenbecken entfernt.
6.7
Carrer d’Andrea Doria / La Barceloneta
Bis Anfang des 18. Jhs. war das Gebiet des heutigen Barceloneta nur dünn von
Fischern besiedelt, die außerhalb der Stadtmauern lebten. Durch den Bau einer
Festung auf dem Gelände des heutigen Parc de la Ciutadella wurden dort Tausende
von Menschen wohnungslos, die in den folgenden Jahren auf der dem Hafen
vorgelagerten Landzunge Notunterkünfte errichteten.
Im Jahr 1753 wurde das Viertel Barceloneta als erste planmäßige Stadterweiterung
angelegt; man baute es nach den Plänen des Ingenieurs Cermeño in einem
rechtwinkligen Raster unter Einhaltung präziser Vorgaben (identische Einfamilienhäuser
mit maximal zwei Stockwerken). Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums im
19. Jh. lockerte man die Stockwerksbeschränkung und ermöglichte den Bau von
29
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
5-geschossigen Wohngebäuden. Im 20. Jh. verlor Barceloneta sein einheitliches
Aussehen, weil es nun möglich war, den Gebäudetyp zu variieren (Ajuntament de
Barcelona 2003g).
Auffällig ist heute die renovierte Wasserfront Barcelonetas, die sich deutlich von den
Fassaden im Inneren des Viertels abhebt. Besondere Bedeutung wurde hierbei der der
Stadt zugewandten Seite zugemessen. An der Moll de Depòsit, der Hafenseite des
Viertels, wurde eine ehemalige Lagerhalle völlig restauriert und zum Palau del Mar
umgebaut. Restaurants und Einzelhandelsgeschäfte des Hochpreissegments teilen sich
das sanierte Gebäude mit dem katalanischen Geschichtsmuseum.
Um den maritimen Charakter Barcelonetas zu bewahren, wurden die Strände an der
Meeresseite des Viertels neu gestaltet. Dabei ging durch die Anwendung des
Küstengesetzes auch historisches Erbe verloren, z.B. ein Teil der nostalgischen
„Badeanstalten“ direkt am Meer. Da eine Bebauung nur in einer Entfernung von
mindestens 100 m zum Meer erlaubt ist, wurden nur einige wenige dieser Bäder saniert.
6.8
Vila Olímpica
In Barcelona wurden die Olympischen Spiele als die große Chance gesehen, einige der
generellen Stadtentwicklungsprobleme zu lösen. Wie in anderen Olympiastädten wurde
das Großereignis als Katalysator für die notwendige Städtebaupolitik und für die
Realisierung von Infrastrukturmaßnahmen und sozialen Projekten genutzt (West 2001,
S. 152).
Charakteristisch für das Projekt Olympische Spiele 1992 war, dass es nicht an einem
Nullpunkt ansetzte. Es war eingebettet in einen viel breiteren Prozess der langfristigen
Stadtplanung, den "Strategischen Plan Barcelona 2000", mit einer größeren Reichweite
als die Planung für die Olympischen Spiele (Ehrenberg/Kruse 2000, S. 89).
Der Plan zielt auf eine Modernisierung der örtlichen Wirtschaft und auf die Veränderung
der Lebensverhältnisse ab. Er ist ein Programm, das von allen wesentlichen sozialen
Gruppen der Stadt (einschließlich Unternehmerverbände, Gewerkschaften und
Universitäten) seit 1988 gemeinsam erarbeitet und 1990 beschlossen wurde.
Das übergeordnete Ziel lautet: Konsolidierung Barcelonas als europäische
Wirtschaftsmetropole, mit Einfluss auf die Makroregion, in der sie liegt, mit einer
modernen Lebensqualität, sozial ausgeglichen und fest in der mediterranen Kultur
verankert (Reimann 1996, S. 155).
Um dieses Ziel zu erreichen, werden drei Handlungslinien verfolgt:
- Ausbau Barcelonas zu einer der führenden Zentren der Makroregion,
- Verbesserung der Lebensqualität und des Fortschritts der Bürger,
30
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
- Potenzierung von Industrie und Unternehmensdienstleistungen
(West 2000, S. 62).
Für die städtische Erneuerung im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen war
entscheidend, dass man kein zusammenhängendes Areal zur Austragung wählte,
sondern dass die Spiele auf vier olympische Zentren verteilt wurden. Wie der Port Urbà
wurden auch diese Zentren Bestandteile des Programms „Areale neuer Zentralität“
(vgl. Kap. 5.6). Durch diese Vorgehensweise war die Möglichkeit gegeben, die gesamte
Stadt in die Neuplanung einzubeziehen. Es wurden Großprojekte durchgeführt, die
unmittelbar auf die Struktur der Stadt wirkten, wie im Falle der Neuordnung und dem
Ausbau des Verkehrs-, Abwasser- und Versorgungssystems für die Besucher und
Sportler.
Die Durchführung des Programms erfolgte im Rahmen der "Public Private Partnership";
dazu wurden unabhängige, private Unternehmen mit öffentlichem Kapital
(Risikokapitalgesellschaften, Investitionsclubs) gegründet. Durch diese Form konnte
man unterschiedliche Akteure wie lokale und internationale Unternehmen, kommunale
Körperschaften, zentrale Ministerien und Stadtteilgruppen verbinden und in die Planung
mit einbeziehen. Die Kontrolle und Koordination der verschiedenen Projekte blieb
jedoch in den Händen des Stadtrates (West 2001, S. 153).
6.8.1 Die Olympischen Areale
Die vier Bereiche, in denen sich das Programm der Olympischen Spiele konzentrierte,
sind das Olympische Dorf mit dem Olympia-Hafen, der Olympische Ring auf dem Berg
Montjuïc, das Vall d'
Hebron nordwestlich der Stadt und das Areal an der Avinguda
Diagonal auf der Höhe der Metro-Station Zona Universitària. Die Standorte der
Sportanlagen wurden nach einem dezentralen Modell gewählt. Exemplarisch für die vier
olympischen Zentren soll an dieser Stelle das Olympische Dorf näher untersucht
werden.
Zusammen mit dem Olympia-Hafen bildet das Olympische Dorf La Nova Icària das
Kernstück des Projektes "Öffnung der Stadt zum Meer". Durch zwei Hochhäuser
markiert, zeichnet sich dieses neue Areal deutlich in der Silhouette Barcelonas ab. Das
Vila Olímpica entstand auf einem Teil des ehemaligen Industriegebietes des Viertels
Poblenou, das als Industriebrache seit den 1970er Jahren keiner Nutzung mehr
zugeführt werden konnte. Zum Projekt gehören u.a. 2000 Eigentumswohnungen im
Hochpreissegment, acht Bürogebäude, ein Hotel, ein Kongresszentrum und eine
öffentliche Bibliothek. In der nördlich angrenzenden Zone wurden weitere 500
Wohnungen gebaut, von denen 150 die Stadt gefördert hat (West 2000, S. 65).
Die Fassaden der Gebäude an der Av. Icària sind eine Reminiszenz an die ehemals
das Gelände prägende Industriearchitektur. Dominierend sind rote Backsteinfassaden
und geradwinklige, auf den ersten Blick schmucklose Fassaden, die teilweise durch
Außentreppen ergänzt wurden.
31
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Das kurzfristige Planungsziel bestand darin, etwa 15.000 Athleten während der Spiele
hier zu beherbergen; heute ist das Vila Olímpica zu einem Wohngebiet für mittlere bis
höhere Einkommensgruppen geworden. 220 Firmen haben sich dort niedergelassen,
und 1.854 Wohnhäuser sind entstanden (García 1993, S. 257).
Auch das Projekt des Olympischen Dorfes wurde in Partnerschaft zwischen dem
öffentlichen und privaten Sektor durchgeführt. Planung und Durchführung lagen bei der
Vila Olímpica SA, einer Aktiengesellschaft, die sich aus der Stadt Barcelona, dem
Ministerium für öffentliche Arbeiten und Transport, der staatlichen Eisenbahngesellschaft RENFE, weiteren Institutionen des öffentlichen Sektors, dem Versicherungskonzern MAPFRE und einer US-amerikanischen Hotelkette zusammensetzt.
6.8.2 Sozio-ökonomische Wirkungen der Olympischen Spiele
Eine exakte Abschätzung der sozio-ökonomischen Folgen, die ein Ergebnis wie die
Olympischen Spiele für eine Stadt mit sich bringt, steht vor mehreren Problemen. U.a.
muss die zu untersuchende Zeitspanne festgelegt werden. Sollte der Oktober 1986 als
Ausgangspunkt genommen werden? Oder sollten frühere Strategien einbezogen
werden? Weitere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn man die Grenze zwischen
eindeutig durch die Olympiade verursachten Kosten und Nutzen und anderen
Investitionen ziehen will, die nicht das direkte Ergebnis der Spiele sind und vielleicht
auch ohne sie erfolgt wären (García 1993, S. 264).
6.8.2.1 Beschäftigung und wirtschaftliche Aktivitäten
Die dem olympischen Projekt vorangehende Periode (1980-1985) war durch eine hohe
Arbeitslosenquote in der Stadt gekennzeichnet; die Strukturveränderungen in der Textilund Schwerindustrie schlugen auch in Barcelona voll durch.
Die Arbeitslosenquote verringerte sich während der Zeit der Vorbereitung der
Olympischen Spiele von 18,8% auf 9,6%. Nach Schätzungen von Brunet hat das
Projekt von 1987-1991 im Jahresdurchschnitt unmittelbar für 35.000 Personen neue
Arbeitsplätze geschaffen (Brunet 1995, S. 24).
Diese
Arbeitsplätze
entstanden
mehrheitlich
im
Baubereich.
Auch
im
Dienstleistungsbereich stieg die Zahl der Beschäftigten, hier vor allem im Hotel- und
Gaststättengewerbe, im Bereich Reinigung, Sicherheit und im Einzelhandel. In diesen
Branchen ist die Beschäftigung aber weitgehend ungesichert, und es waren häufig
Arbeitsplätze mit geringem Verdienst, die hauptsächlich von Frauen, Schülern und
Studenten wahrgenommen wurden (Ehrenberg/Kruse 2000, S. 109 f).
6.8.2.2 Der Wohnungsmarkt
Die Stadtentwicklung im Zuge der Olympischen Spiele hat zu erhöhten Boden- und
Wohnungspreisen geführt. Die "olympische Operation" mit ihren starken privaten
Investitionen hat das öffentliche Angebot an Wohnraum bzw. an Sozialwohnungen nicht
wesentlich vergrößert, denn Investitionen wurden nur dort getätigt, wo auch
32
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Gewinnaussichten bestanden. Die zunehmende Konzentration auf die Ansiedlung
moderner Dienstleistungsunternehmen hat die Tendenz der Verteuerung weiter
verschärft.
So ist dann auch von verschiedenen Seiten das Projekt Vila Olímpica kritisiert worden,
da von Beginn an mittlere und gehobene Einkommensschichten als Nachfolgenutzer
geplant waren. Der Anstieg des Bildungsniveaus und der ökonomischen Kapazität in
der ZEG Poblenou (West 2000, S. 120, 125) bestätigen diese Feststellung. Somit
vollzieht sich Gentrification in diesem Gebiet, das früher zu den verfallensten und
wertlosesten der Stadt gehörte (García 1993, S. 258).
Ferner kam es als Folge der hohen Miet- und Wohnungspreise zu verstärkten
Wanderungsbewegungen aus Barcelona heraus; die Mehrheit der die Stadt
verlassenden Bevölkerung zog wegen der dort niedrigeren Wohnungspreise in andere
Bereiche des Großraums Barcelonas (Ehrenberg/Kruse 2000, S. 109). Die negative
Entwicklung der Bevölkerungszahlen von 1981 bis 2000 widersprechen dieser Aussage
nicht (Tab. 2, S. 13).
6.8.2.3 Auswirkungen des Sportanlagenbaus
Die Stadt hat im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen die Zahl der
Sportstätten stark vergrößert und durch die dezentrale Lage den Zugang zu ihnen
teilweise erleichtert. Von den 14 neuen Hallen wurden sieben in Arbeitergebieten, vier
in Mittelschichtquartieren und die restlichen drei in gehobenen Wohngebieten errichtet.
Diese Verteilung weckte nicht nur in der Bevölkerung ein Gefühl der symbolischen
Teilhabe an den Spielen, sondern die Bewohner der jeweiligen Stadtviertel wurden
tatsächlich Nutzer dieser Anlagen.
Die Gesamtkosten für die Sportanlagen betrugen weniger als 7% der
Gesamtinvestitionen in die städtische Infrastruktur; denn der Olympische
Planungsausschuss (COOB'
92) war entschlossen, die Kosten in Grenzen zu halten und
schloss sehr früh Verträge mit zukünftigen Nutzern wie Sportvereinen und -verbänden
ab (García 1993, S. 271).
Es ist aber nicht auszuschließen, dass eine Überangebot an Sportstätten geschaffen
worden ist, und es könnte schwierig werden, sie rentabel zu nutzen. Dann besteht die
Gefahr, dass die neuen Sportstätten schnell unbrauchbar werden wie es in den 1930er
Jahren nach der erfolglosen Olympia-Bewerbung geschah (Ehrenberg/Kruse 2000,
S. 113).
6.8.2.4 Die Zugänglichkeit der Stadt
Die umfangreichen Straßenbaumaßnahmen gehörten zu den wichtigsten
städtebaulichen Veränderungen im Rahmen des Projekts Olympische Spiele. Drei der
vier Standorte liegen an der neugebauten Stadtautobahn, die als Verbindungsglied
zwischen dem innerstädtischen und dem regionalen Verkehrsnetz dient.
33
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Allerdings haben die massiven Investitionen in das Straßennetz ausschließlich den
privaten PKW-Verkehr gefördert; eine Strategie der Verbesserung des ÖPNV wurde
nicht entwickelt. Es fehlen die Koordinierung der verschiedenen Schienennetze (Metro,
städtische und regionale Eisenbahn im Großraum) und die tarifliche Integration aller
Nahverkehrsmittel. Eine grundlegende Reform des Busnetzes steht ebenso aus wie
schärfere, restriktive Maßnahmen gegenüber dem Individualverkehr. Die Folge ist, dass
die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zurückgeht (Ehrenberg/Kruse 2000,
S. 126 f).
6.8.2.5 Fazit
Das "olympische Projekt" hat Gewinner und Verlierer hervorgebracht; den größten
Nutzen bescherte die Olympiade städtischen Immobiliengesellschaften, Teilen des
Hotel- und Gastronomiegewerbes, Architekten und Designern und einigen der
Bauwirtschaft zuzurechnenden Unternehmensgruppen. Am anderen Ende der Skala
finden sich marginalisierte Gruppen, die von den Preiserhöhungen besonders stark
betroffen waren und die auch auf dem "Olympia-Arbeitsmarkt" keine Chancen hatten.
Dennoch waren verschiedene soziale Gruppen, darunter auch die Gewerkschaften, der
Auffassung, dass die Olympiade Barcelona zu einem Aufschwung verholfen hat; es
bestand Konsens darüber, dass die Lebensqualität verbessert wurde (García 1993,
S. 274).
Aber der Schwung der Entwicklungsphase, die durch die Olympischen Spiele 1992
charakterisiert ist, hat sich gewissermaßen aufgebraucht. Das Ziel, zu einer der
bedeutendsten Metropolen im Mittelmeerraum zu werden, wurde erreicht; die
Rahmenbedingungen für die Konkurrenz der Metropolen haben sich aber seit 1992
durch den Schub der Globalisierung erneut tiefgreifend verändert (Ehrenberg/Kruse
2000, S. 81).
Als zentrale Hemmnisse werden immer wieder der mangelnde Konsens der
verschiedenen beteiligten Administrationen (Stadt, Generalitat, Zentralregierung)
genannt und die Unklarheit darüber, wie die Bedeutung der metropolitanen Region
Barcelonas mit der Entwicklung von Katalonien insgesamt in eine produktive Beziehung
gesetzt werden kann.
6.9
Plaça de les Glòries Catalanes
Nach den Plänen von Cerdà sollte die heutige Pl. de les Glòries ein neues Zentrum der
Stadt werden, denn hier schneiden sich die großen Achsen Av. Diagonal, Gran Via de
les Corts Catalanes und die Av. Meridiana. An diesem Platz sollten administrative
Gebäude errichtet werden, ganz im Sinne der gerechten Verteilung sozialer und
öffentlicher Einrichtungen zur Gewährleistung der stadtteilbezogenen Autonomie.
34
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Die Realität stellte sich allerdings anders dar, denn um die Pl. de les Glòries wurden
statt administrativer Gebäude Wohn- und Fabrikanlagen gebaut, auf dem Platz selbst
verlor sich das Raster zwischen sich kreuzenden Betontrassen und Bahngleisen.
Kleingewerbe, Lagerhallen und ein Flohmarkt prägten den typischen Vorortcharakter
dieses Platzes (Reimann 1996, S. 165).
Die Aufnahme in das Programm „Areale neuer Zentralität“ soll den Platz als neues
Zentrum der sich nach Norden ausbreitenden Kernstadt ausweisen. In dieser Funktion
soll er Ungleichgewichte in den Beziehungen zwischen dem traditionellen Zentrum der
Stadt und den in der Nähe des Meeres gelegenen Stadtteilen ausgleichen.
Ausgangspunkt der Neugestaltung dieses Bereiches war eine neue Verkehrsführung
der hier zusammenlaufenden Verkehrsachsen. Dazu wurde ein auf 10 m angehobener
Straßenring gebaut, unter dem sich ein Parkhaus befindet. Die Kombination von
Verkehrsknotenpunkt und Metrostation sollten dieses Parkhaus am Eingang der Stadt
zu einer Schnittstelle zwischen öffentlichem Nahverkehr und Individualverkehr machen.
Bislang scheint dies allerdings noch nicht gelungen zu sein: das Parkhaus ist in der
Regel nur wenig ausgelastet (Reimann 1996, S. 165).
Verschiedene öffentliche Projekte in diesem Bereich sollen das vorhandene
Entwicklungspotenzial unterstreichen. Im südlichen Teil des Platzes entstand auf dem
Gelände eines ehemaligen Bahnhofs das katalanische Nationaltheater und ein MusikAuditorium. Mit dieser Ansammlung kultureller Einrichtungen soll ein völlig neuer
„kultureller Pol“ im Norden der Stadt entstehen.
Zusätzlich wurde der an den Platz angrenzende Teil der Av. Diagonal städtebaulich
verbessert und umgenutzt. Auf dem ehemaligen Gelände von Olivetti befinden sich
heute ein Einkaufscenter und Gebäude mit städtischen Einrichtungen, wie das
Stadtplanungsamt und das städtische Rechenzentrum. Auf den angrenzenden
Industriebrachflächen wurden die alten Produktionsgebäude weitgehend abgerissen
und ersetzt durch moderne Büro- und Wohnkomplexe, die von städtischen Grünflächen
umgeben sind (West 2000, S. 120).
Im Programm „La Segona Renovació“ (Die zweite Erneuerung), welches von 19911995 aufgelegt wurde, ist auch die Pl. de Glòries involviert. Dieses Programm war wie
das Konzept der Areale neuer Zentralität durch PPP, Partizipation der Bürger an
Entscheidungsprozessen und der Versuch eines Ausgleichs zwischen Zentrum und
Peripherie gekennzeichnet. Die gewählte Art und Weise, eine Verknüpfung zwischen
Städtebau, Stadtmanagement und Bürgern herzustellen, wurde als modellhaft („model
Barcelona“) bezeichnet.
35
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Das Programm enthielt drei Großprojekte, von denen ein Projekt die Weiterführung und
den Ausbau der Av. Diagonal umsetzte. Bereits Cerdà beabsichtigte die städtebauliche
Erschließung der restlichen Av. Diagonal, um die Integration des Distriktes Sant Marti in
die restliche Stadt zu ermöglichen. Bis 1991 war diese Avinguda von Südwesten nur bis
zur Pl. de les Glòries für den Kfz-Verkehr durchgängig erschlossen, während der
nordöstliche Teil zwischen dem Platz und dem Meer teilweise verbaut war mit
Fabrikationsgebäuden der Schwerindustrie und ausschließlich für den Güterumschlag
genutzt wurde. Heute ist die Av. Diagonal direkt an die städtischen Umgehungsstraßen
angebunden (West 2000, S. 67).
Wie attraktiv ist der Distrikt Sant Martí für die Bevölkerung Barcelonas? In ihrer
Untersuchung kommt West zu dem Ergebnis, dass dieser Distrikt die höchste positive
Wanderungsbilanz aller Distrikte Barcelonas hat. Dieses Ergebnis für das Jahr 1996
kann zumindest teilweise auf die Schaffung von neuem Wohnraum im Rahmen der
Programme „Àrees de Nova Centralitat“ und „La Segona Renovació“ zurückgeführt
werden. Die zwei Großprojekte „Pl. del les Glòries“ und „Carles I – Av. Icària“ liegen
ebenso wie die Projekte „Diagonal-Prim“ und „Front Maritím del Poblenou“ innerhalb
des Distrikts Sant Martí (West 2000, S. 131).
6.10 Carrer d’Astúries / Gràcia
Der Stadtteil Gràcia entstand im 18. Jh. ebenso wie Sant Gervasi und Sant Andreu als
ländliche Siedlungsgemeinschaft außerhalb der Festungsmauern. Mitte des 19. Jhs.
war Gràcia noch eine selbstständige Gemeinde und unterlag somit nicht den strengeren
Flächennutzungs- und Bauvorschriften wie sie in der Eixample zur der Zeit Gültigkeit
hatten. Daher ließen sich hier nach der Schleifung der Stadtmauern zahlreiche
Spinnereien und Webereien nieder, die entweder Betriebsverlagerungen oder
Neuansiedlungen darstellten (Bähr/Gans 1986, S. 16).
Der Industrieansiedlung folgte der Wohnungsbau, der ausgelöst wurde durch einen
gewaltigen Bevölkerungszuwachs. Die Einwohnerzahl vervierfachte sich innerhalb von
50 Jahren und erhöhte sich bis zum Jahr 1900 auf etwa 50.000. Die Gebäude wurden
dicht nebeneinander errichtet, ihre Höhe nahm auf bis zu 16 m zu. An der Grundrissund Parzellenstruktur änderte sich bis heute nichts, d.h. die aktuelle Straßenbreite
beträgt immer noch ca. 6 m und die Blöcke sind vollständig bebaut. Obwohl die
Bevölkerungszahl in den letzten Jahren zurückging (Tab. 3, S. 18), errechnet sich für
Gràcia mit 27.237 Einwohnern pro km² im Jahr 2001 noch immer eine der höchsten
Dichtewerte aller Distrikte (Tab. 5, S. 35).
36
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Densidad de población 2001
Distrito
Población
Superficie
km2
Densidad
Hab./Km2
BARCELONA
1.505.325
101,0
14.910
88.793
248.383
167.189
82.291
132.864
114.018
165.942
164.163
135.281
206.401
4,5
7,5
21,3
6,0
20,1
4,2
12,0
8,0
6,6
10,8
19.757
33.275
7.832
13.675
6.612
27.237
13.879
20.422
20.610
19.118
1. Ciutat Vella
2. Eixample
3. Sants-Montjuïc
4. Les Corts
5. Sarrià-Sant Gervasi
6. Gràcia
7. Horta-Guinardó
8. Nou Barris
9. Sant Andreu
10. Sant Martí
Tab. 5: Bevölkerungsdichte in den Distrikten 2001
(Ajuntament de Barcelona 2003h)
Bis heute geblieben ist die Mischung in der Flächennutzung. Es sind nicht die großen
Industriebetriebe, die das Gesicht des Viertels prägen, sondern das Nebeneinander von
Läden, Cafés, Werkstätten, Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben.
Allerdings sind auch in Gràcia Aufwertungsprozesse sichtbar: In günstiger Lage zur
Eixample wurden alte Häuser abgerissen und durch moderne Appartementgebäude
ersetzt. Die neuen Mieter bzw. Eigentümer gehören einer besser verdienenden
Bevölkerungsschicht an, die sich weniger auf den alten Ortskern, sondern vielmehr zur
City hin orientiert (Bähr/Gans 1986, S. 17). Dieser Stadtteil ist inzwischen durch
Zugezogene überprägt und Gentrification ist zu beobachten.
Die Platzgestaltungen von Gràcia bildeten Teil einer umfassenden Sanierung im
Rahmen des Programms „Espais Urbans“. Neben der Verkehrsberuhigung und
Neugestaltung der bestehenden Plätze zielte die Politik der Stadt langfristig auf den
Erwerb ganzer Häuserblocks und die Umfunktionierung der Höfe in öffentliche
Grünräume. Erklärtes Ziel war es, den Plätzen durch verhaltene Eingriffe eine neue
Identität zu verleihen, z.B. durch die Schließung der platzbegleitenden Straßen für den
Durchgangsverkehr, was zu einer physischen wie optischen Vergrößerung der Plätze
führte und ihnen einen einheitlichen Charakter gab. Gelungenes Beispiel dieser
Platzgestaltung ist die Plaça de la Virreina (Dutli 1991, S. 102).
6.11 L’Illa / Avinguda Diagonal
Die Av. Diagonal verbindet die Eixample mit den bevorzugten Wohnstandorten der
gehobenen Bevölkerungsschicht (Pedralbes, Sarrià, St. Gervasi). Sie wurde im Laufe
37
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
der Jahre gleichermaßen zur repräsentativen Adresse für die Oberschicht wie auch für
Anbieter von hochwertigen Dienstleistungen und für die Verwaltungsgebäude von
Banken und Firmen. Die Ausweitung von kommerziellen Aktivitäten stimmt mit der
Wanderungsrichtung der Oberschicht entlang der Av. Diagonal überein (West 2000,
S. 139 f).
Im Rahmen des Programms „Areale neuer Zentralität“ wurde an der Av. Diagonal ein
Projekt ausgewiesen, das auf der Fläche eines ehemaligen Krankenhauses
verschiedene Nutzungen mit einem großen Angebot an öffentlichen Flächen und
Dienstleistungen umfasst. Zwischen der Carrer de Numància und der Carrer d’Entença
erstreckt sich ein Komplex, der das Potenzial dieser wichtigen Entwicklungsachse der
kommerziellen und finanziellen Aktivitäten der Stadt stärken soll. Ziel dieses Projektes
ist eine Stärkung des Image Barcelonas als europäisches Finanzzentrum und Global
City. Ein 35.000 m² großes Einkaufszentrum, knapp 2500 Einstellplätze, ein Vier-Sterne
Hotel und 48.000 m² Büroflächen gehobenen Standards bilden das Kernstück dieses
Komplexes. Ergänzt werden diese Nutzungen durch ein Finanzzentrum, einen
Schulbereich und einen großen öffentlichen Park im Inneren des Blocks (Reimann
1996, S. 163).
Folgende Fragen seien an dieser Stelle erlaubt:
-
Hat sich die geplante Mischnutzung behauptet oder haben sich die rein tertiären und
kommerziellen Nutzungen durchgesetzt?
-
Beeinflusst
das
Areal
seine
unmittelbare
Umgebung
in
Sinne
einer
Nutzungsmischung?
7
Schlussbetrachtung
Die Wirksamkeit der Stadtplanungsmaßnahmen in Barcelona ist im Wesentlichen auf
die Stadtentwicklungspolitik unter Ausnutzung der Olympischen Spiele und auf die
aktive Beteiligung wichtiger Organisationen aus Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit
zurückzuführen.
In Barcelona stand die Stadtplanung speziell nach 1986 unter dem strategischen
Charakter lokaler Politik, der im "Pla Estratègic econòmic i social Barcelona 2000" zum
Ausdruck kommt. Bei dieser Form wird Stadtentwicklung als ein Prozess verstanden,
der durch relativ kurzfristige Projekte vonstatten geht. Durch die Form der PublicPrivate-Partnership wurden unterschiedliche Akteure verbunden und in die Planung und
Durchführung mit einbezogen. Das Programm "Arees de Nova Centralitat" hat
38
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
allerdings gezeigt, dass es "partnerschaftswürdige" und marginalisierte Restbereiche
gibt (West 2000, S. 72).
Wohnungsbauprogramme wie das "Vila Olímpica" schufen lediglich Wohnraum
gehobenen Standards, so dass sich die Lebensqualität sozial schwacher Schichten
trotz der Milliardeninvestitionen nicht wesentlich verbesserte.
Derzeit befindet sich Barcelona in einem städtebaulichen Transformationsprozess.
Mehr als sieben Millionen Quadratmeter Gewerbeflächen werden in den nächsten
Jahren innerhalb des Stadtgebietes erschlossen. Die geplanten Investitionen
übersteigen insgesamt das im Vorfeld der Olympischen Spiele im Jahr 1992
eingesetzte Volumen.
Im Zentrum der Aktivitäten liegt der Ausbau des ehemaligen Arbeiter- und
Industrieviertels Poble Nou zu einem modernen Dienstleistungszentrum vor allem im
Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Nach den Plänen der
Stadtregierung werden mehr als 140.000 Menschen in umgebauten oder neu
errichteten Büro- und Gewerberäumen arbeiten (Holzer 2003, S.1).
Weitere geplante Großprojekte in Barcelona betreffen den Ausbau des Metronetzes
sowie die Erweiterung des Messegeländes. Im vergangenen Jahr begannen die
Bauarbeiten
zur
Vorraussetzung
Verschiebung
für
eine
des
Flussverlaufes
Vergrößerung
des
des
Llobregat.
Hafengeländes.
Diese
Ziel
ist
dieser
Infrastrukturmaßnahmen ist nicht zuletzt die Positionierung der Stadt als Logistik- und
Wirtschaftszentrum im Mittelmeerraum. Barcelona sucht den Wandel - wie würde Cerdà
diese Projekte bewerten?
39
Phasen der Stadtentwicklung und Konzepte der Stadtplanung in Barcelona
Literaturverzeichnis
Ajuntament de Barcelona (1990): Plano de la Ciudad. Barcelona
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