Große Exkursion New York 2009_Reader
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[7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov 7. SOUTH STREET SEAPORT Von Ludmila Gerasimov Der South Street Seaport (vgl. Abb. 7.1), gelegen an der Südspitze Manhattans am rechten Ufer des East River, war ehemals der bedeutendste Hafen- und Werftstandort an der Ostküste der USA und hatte einen entscheidenden Einfluss auf die prosperierende Entwicklung New Yorks zu einem der weltweit führenden Handels- und Wirtschaftszentren. Einst das Glanzstück der glorreichen Hafenwirtschaft an der South Street, die in 200 Jahre langer, erfolgreicher Segelschifffahrts- und Handelstätigkeit als „The Street of the Ships“ Mitte des 19. Jahrhunderts Ruhm erlangte, ist der South Street Seaport heutzutage nur noch ein Relikt der florierenden, maritimen Vergangenheit am East River. Nachdem eine Revitalisierung sowohl mit der Gründung des South Street Seaport Museum in den 1960er Jahren, der Restauration der historischen Schermerhorn Row und der Ernennung zum Historic Landmark in den 1970er Jahren, als auch der Errichtung eines Festival Market in den 1980er Jahren kaum positive Impulse für die Aufwertung des Stadtviertels setzen konnte, soll nun ein ambitionierter Master Plan den South Street Seaport ab 2014 wieder in eine glanzvolle Zukunft führen. South Street Seaport Historic District Original Historic District (Designated May 10, 1977) Historic District Extension (Designated Designated July 11, 1989) 1989 Abb. 7.1: links: Lage und Abgrenzung des South Street Seaport Historic District in Manhattan, NYC.84 rechts oben: Luftaufnahme des Seaports vor dem Hintergrund des Financial District.85 84 85 Quelle: New York City Government (2008), erweiterte Darstellung. Quelle: General Growth Properties (2009b), S. 1. 57 Ludmila Gerasimov 7.1 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Historische Entwicklung der Hafenwirtschaft an der South Street Die Anfänge des South Street Seaport reichen bis in das Jahr 1648, als Gouverneur Peter Stuyvesant an der Pearl Street, dem eigentlichen Verlauf der natürlichen Küstenlinie Manhattans, den ersten Werftstandort errichtete und die Brooklyn Ferry bereits 1654 den Fährbetrieb für den Personen- und Güterverkehr zwischen Manhattan und Brooklyn am Peck Slip aufnahm. Als entscheidender Standortvorteil verschaffte der uneingeschränkt mögliche Schiffswarenverkehr mit küstennahen und transatlantischen Handelszentren New York City die Vormachtstellung gegenüber den anderen Hafen- und Handelsorten an der Atlantikküste wie Boston, Philadelphia oder Baltimore. „1790 wurden 6 %, 1830 bereits 37 % und 1870 57 % des gesamten amerikanischen Außenhandels über den Hafen New Yorks abgewickelt“86 und „1836 wird von 921 Schiffen berichtet, die an an den Piers der South Street lagen, weitere 87 320 warteten vor Anker am East River.“ Weiteren Anstoß für den wirtschaftlichen Erfolg an der South Street boten die neuen Handelsbeziehungen mit dem Orient, die Beschleunigung des Schifftransports durch den Einsatz von Dampf- statt Segelschiffen und die Eröffnung des Erie-Kanals 1825, der als landwärtiger und damit zeit- und kosteneffizienterer Wassertransportweg (Reduzierung von 20 auf 8 Transporttage und von 100 US$ auf 15 US$ pro Frachttonne) zwischen New York und den Großen Seen, die South Street zum Drehkreuz für den Umschlag von amerikanischen Agrarexporten einerseits und Fremdgüterimporten aus aller Welt andererseits machte. Mit der Eröffnung des Fulton Market 1822 an der Pearl Street / Maiden Lane entstand überdies der bedeutendste und größte Fischmarkt der USA.88 Die im Zuge des prosperierenden Schiffhandels erfolgte Ausweitung der Uferlinie, brachte durch Landaufschüttungen die Water Street, die Front Street und zuletzt die South Street (1810) hervor. Sie avancierten zu den Hauptgeschäftszeilen für den Handel mit (Über-) Seegütern und waren von Kontorhäusern, Speichergebäuden (z. B. der Schermerhorns), Werften (z. B. der Beekmans und Waltons), hafenverarbeitender Industrie und Geschäftsstellen der Händler und Aktionäre gesäumt (vgl. Abb. 7.2).89 Abb. 7.2: South Street 1828 von Maiden Lane aus.90 Infolge des Eisenbahnbaus, darunter der Erie Railroad 1832 entlang des Erie-Kanals und der Transcontinental Railroad 1869, die neue Warenströme vom Mittleren Westen bis zur Westküste (Californien) eröffnete, erforderte die Anbindung New York City’s an diese neuen Transportwege zusätzliche Flächen für Eisenbahnanlagen, die an der South Street kaum vorhanden waren, so dass neue Hafenareale Hafenareale am Hudson erschlossen wurden. In den 1850er 86 Pries, M. (2008), S. 131. Pries, M. (2008), S. 171. 88 Vgl. Brouwer, N. J. (1995a), S. 926 ff., Dillon, J. T. (1989), S. 2 f., South Street Seaport Museum (2009). 89 Vgl. Brouwer, N. J. (1995b), S. 1099, DeCheser, M., DeCheser P. (2005), Dillon, J. T. (1989), S. 2. 90 Quelle: The New Seaport (2009c). 87 58 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov Jahren erreichten der Holzschiffbau und die Hafenwirtschaft an der South Street ihren Zenit, als fortan große, robuste, aus Eisen und Stahl gebaute Hochseedampfer den Markt eroberten. Dieser technische Fortschritt brachte die Wende für das Hafenzentrum am East River, das sich an den Hudson verlagerte, wo seit den 1880er Jahren große Docks und Piers entstanden, die den Anforderungen der neuen Schiffe an mehr Tiefgang und ausreichend Platz für Wendemanöver besser gerecht wurden. Außerdem konnte auf diese Weise der Weitertransport effizienter über die Eisenbahnanlagen entlang des Hudson abgewickelt werden. In der Folge konzentrierten sich in New Jersey „die Frachtterminals der Bahngesellschaften für Massengüter, die Fährterminals zur Versorgung von Manhattan und Anleger der Personenfähren für die Pendlerströme“91 und in Brooklyn und Queens siedelten sich neue hafenbezogene Industriebetriebe und Unternehmen des Hafenumschlags an. Spätestens mit der Fertigstellung der Chelsea Piers 1907, der Anlegestelle für die prächtigen Ozeanliner im Westen Manhattans, verlor der South Street Seaport vollends seine einstige Vorrangstellung als Werftstandort und Überseehafen für den Warenumschlag und Personenverkehr.92 Die South Street verblieb als Verkehrsknotenpunkt für den inländischen Passagierverkehr nach Connecticut, Massachusetts und Eastern Long Island sowie als Fährverbindung nach Brooklyn, die jedoch mit der Eröffnung der Brooklyn Bridge (1883) fast zum Erliegen kam. Nachdem die Hafenfunktionen sukzessive in den Norden und an den Hudson abgewandert waren, ließen sich zahlreiche Redaktionen und Druckereien nördlich des heutigen Historic District an der Park Row, inoffiziell auch als Newspaper Row bezeichnet, nieder und Betriebe der fischverarbeitenden Industrie bezogen die leeren Speichergebäude.93 Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Motorisierung im Transportwesen um die Jahrhundertwende, signalisierte der Brücken- und Tunnelbau zwischen Manhattan und seinem städtischen Umfeld (z. B. Holland Tunnel 1927, Washington Bridge 1931), initiiert von der Port Authority of New York and New Jersey, dass neben der Schiene, v. a. die Straße den Güter- und Personenverkehr in Zukunft dominieren wird. Die verkehrsinfrastrukturelle Neugestaltung der Wasserkante durch Robert Moses zwischen 1924 und 1968, der mit dem Bau der Stadtautobahnen Harlem River Drive, Franklin D. Roosevelt Drive (FDR Drive) und East River Drive die städtischen Flächen Manhattans gänzlich von der Wasserkante trennte, forderte ihren Tribut, als ein Großteil der hafenwirtschaftlichen Einrichtungen entlang des East River abgerissen wurde. Der Verlust der lokalen Fischereibetriebe führte dazu, dass die Ware zum Fulton Market nicht mehr per Schiff, sondern vorwiegend per LKW geliefert wurde. Ferner bedurfte die voranschreitende Containerisierung des Frachtgütertransportes ab den 1950er Jahren größerer Hafenflächen und modernerer Anlagen für den Warenumschlag, die eingeschränkt nur noch in New Jersey vorzufinden waren. Zu Lasten des New Yorker Hafens konnten von den über 430 000 hafenbezogenen Beschäftigten im Jahr 1952 bis 1975 nur noch 3 % erhalten werden, wobei die containerisierte Fracht zu dieser Zeit schon 75 % betrug. Angesichts dieser Tatsachen schien ein Wiederaufleben der Schiffs- und Hafenindustrie an der South Street oder gar ein Anknüpfen an ihre erfolgreiche Zeit in Zukunft nicht mehr möglich. Von über den 50 Piers in den 1940er Jahren an der Wasserkante Manhattans sind bis heute nur noch weniger als 10 bestehen geblieben.94 91 Pries, M. (2008), S. 135. Vgl. Dillon, J. T. (1989), S. 3, Pries, M. (2008), S. 134 f., South Street Seaport Museum (2009). 93 Vgl. Dillon, J. T. (1989), S. 3, Downtown Alliance (2009b). 94 Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 407, Pries, M. (2008), S. 136, 172, South Street Seaport Museum (2009). 92 59 Ludmila Gerasimov 7.2 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Revitalisierungskonzepte und -maßnahmen am South Street Seaport Nachdem die Hafenwirtschaft abgewandert war und das historische Hafenviertel zunehmend einem isolierten, innerstädtischen Slum mit einer degradierten Wirtschaftsbasis Ende der 1950er Jahre glich, bemühten sich rivalisierende Interessensgruppen um die zukünftige Entwicklung des Viertels. Allen voran die Association for Downtown New York um David Rockefeller unterstützte die Überlegung, das Gebiet gänzlich abzureißen und es durch die Errichtung von neuen Hochhäusern, Luxusapartments und modernen Verkehrsanlagen gewinnversprechend und in Abstimmung auf die Bedürfnisse des angrenzenden Financial District und seiner Beschäftigten umzunutzen. Eine starke Gruppe, die sog. „Friends of the South Street Seaport Museum“, angeführt von Peter Stanford, trat gegen diese rigorose Abrisspolitik ein, mit dem Ziel das historische Erbe an der South Street zu wahren und das Gebiet in ein „Living Museum“, also in eine „maritime Stadtlandschaft zu verwandeln, die, durch Museumsschiffe ergänzt, den Besuchern die Hafengeschichte New Yorks und das Leben und Arbeiten am Wasser näher bringen sollte“95. Während das Museum in den ersten Jahren deutliche Fortschritte zu verzeichnen hatte, rückte das Ziel der Museumsgruppe in weite Ferne, als infolge von finanziellen Schwierigkeiten eine Kooperation mit dem Privatinvestor Rouse Company die Kommerzialisierung des historischen Tableaus nach sich zog.96 Im Laufe der nächsten Jahrzehnte versuchte die Stadt New York immer wieder das Stadtviertel wirtschaftlich und profitabel zu entwickeln. Der „Water Street Access Plan“ in den 1970er Jahren sah eine Ausweitung des Central Business District bis an die Water Street vor, die mit modernen Bürogebäuden bebaut werden sollte. In Anlehnung an die Entwicklung der Battery Park City in den 1980er Jahren sollte mit dem „East River Landing“ eine neue Büroentwicklung südlich der Fulton Street angestoßen werden. Darunter war auch ein Vorschlag Donald Trumps, das Gebiet durch Landaufschüttung zu erweitern und dort das höchste Gebäude der Welt zu errichten. In den 1990er Jahren plante das Guggenheim Museum eine Außenstelle am Pier 13 und 14 nahe der Wall Street zu eröffnen. Bis auf einige Bestandteile des „Water Street Access Plan“ wurde keines der Vorhaben bis dato realisiert.97 South Street Seaport Museum 1967: Peter Stanford Neben der Gründung des South Street Seaport Museum im Jahr 1967, ist es dem Engagement der Gruppe um Peter Stanford zu verdanken, dass die City Planning Commission 1969 elf Blocks (ca. 15 ha) um den Fulton Fish Market zur „Urban Renewal Area“ erklärte und der South Street Seaport unter Beibehaltung des historischen Charakters saniert und restauriert werden sollte, ohne zunächst jedoch mit Zuschüssen aus öffentlicher Hand unterstützt zu werden und nur unter der Bedingung, dass über die Hälfte der Fläche an hochpreisige Apartments, Büros und den Einzelhandel vermietet werden würde als Finanzierungsquelle für die Restaurierungsarbeiten. Ein weiterer Erfolg war die Ernennung zum Historic District 1977 von der New York City Landmarks Preservation Commission. Die zu restaurierenden Gebäude am South Street Seaport, meist stammend aus dem frühen 19. Jahrhundert, der Blütezeit der Hafenwirtschaft, repräsentierten als eine der ältesten in New York City eine 95 Pries, M. (2008), S. 173. Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 406, Pries, M. (2008), S. 172 f. 97 Vgl. New York City Government (2009a). 96 60 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov über 200-jährige Architekturgeschichte (z. B. Federal / Greek Revival), die es in solch konzentrierter Form nur an der South Street gab und die für die nächsten Generationen erhalten werden sollten. In den kommenden Jahren erfreute sich der South Street Seaport großer Beliebtheit, die Renovierung der Speicher- und Geschäftsgebäude der Schermerhorn Row, eindrucksvolle Museumsschiffe, wie die Windjammer Wavertree (1885) oder die ViermastStahlbark Peking (1911), das maritime Museum und zahlreiche Veranstaltungen lockten nicht nur eine Million Besucher an, sondern als Szenetreffpunkt auch die Künstler der Stadt.98 Obwohl das Museum bis Ende 1972 alle 68 Gebäude des South Street Seaport erworben hatte, entschloss es sich diese wieder an die Stadt zu übergeben, um stattdessen nur die Gebäude der Schermerhorn Row entlang der Fulton Street, die bis 1976 fertiggestellt werden sollten, für die nächsten 99 Jahre zu pachten. Im Gegenzug verlangte die Stadt 20 % der Einkünfte, die das Museum durch ihr Veranstaltungsangebot und die Weitervermietung der Räume an Dritte erzielte, obgleich diese Einnahmen dringend für die Aufrechterhaltung des Museumsbetriebs und seiner Aktivitäten gebraucht wurden. Bereits 1973 zeichnete sich ab, dass das Museum einer kommerziellen Entwicklung des South Street Seaport nicht mehr standhalten konnte, aufgrund der unzureichenden finanziellen Unterstützung von privater und öffentlicher Seite, die 1976 zur Entlassung von ca. 30 % der Angestellten führte.99 South Street Seaport Museum 1977: John Hightower 1977 markierte einen Wendepunkt für die zukünftige Ausrichtung des Museums. Unter der neuen Leitung von John Hightower unterzeichnete das Museum einen Vertrag mit der Rouse Company, die mit dem „South Street Marketplace“ ähnliche Erfolge wie mit der Eröffnung des „Quincy Market“ (1973) in Boston, Massachusetts feiern wollte. Hierbei wurde auf dem ehemaligen Hafengebiet Bostons ein sog. Festival Market errichtet mit dem Ziel, die brachliegende, innerstädtische Fläche mit Hilfe einer einzelhandelsorientierten Umnutzung aufzuwerten und mit „städtischem Leben“ zu füllen. In einer Public-Private-Partnership wurden in Anlehnung an einen öffentlichen Marktplatz die historischen Markthallen und die angrenzende „Faneuil Hall“ saniert und die umliegenden Freiflächen erhalten, die als Veranstaltungs-, Verkaufs- und Parkbereiche fungierten. Zusätzliche Restaurants und Cafés sollten den Eindruck eines „regen städtischen Treibens“ komplettieren. Der South Street Seaport schien für eine solche Transformation aus privatwirtschaftlicher Sicht bestens geeignet zu sein, da die funktionale Kombination aus Einzelhandel, Gastronomie, Kultureinrichtungen und Unterhaltung vor der historischen Kulisse des Seaports wieder mehr Menschen und damit Käufer anziehen würde, deren Ausgaben wiederrum der schlechten Haushaltslage des Museums zugutekommen würden.100 De facto bedeutete diese Privatisierung und Kommerzialisierung des historischen Kulturgutes an der South Street eine Abkehr von dem ursprünglichen Konzept eines „Open-AirMuseum“, worin das Anliegen der Beteiligten primär auf die ideellen und musealen Gesichtspunkte der Wiederbelebung der Historie ausgerichtet war, statt auf ihre Instrumentalisierung als historisches Beiwerk für den wirtschaftlichen Profit.101 98 Vgl. Dillon, J. T. (1989), S. 4, DeFilippis, J. (1997), S. 406 f., Pries, M. (2008), S. 172 f. Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 408. 100 Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 409, Dominus, S. (2008), Hahn, B. (2002), S. 121 ff. 101 Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 409, 412. 99 61 Ludmila Gerasimov [7. SOUTH STREET SEAPORT] Festival Market South Street Seaport 1983 / 1985 1979 wurde die Umsetzung des „Festival Market South Street Seaport“ in einer PublicPrivate-Partnership mit einem Gesamtbudget von 210 Mio. US$ vom Museum, der Rouse Company, der Stadt New York und der State’s Urban Development Corporation beschlossen, der 1983 bzw. 1985 fertiggestellt und künftig von der Rouse Company gemanagt wurde.102 Der South Street Seaport gliederte sich danach in zwei funktionale Bereiche (vgl. Abb. 7.3): einerseits in den Seaport Marketplace und andererseits in den Seaport District. Der Seaport Marketplace war durch den FDR Drive räumlich deutlich in zwei Bereiche aufgeteilt. Isoliert von den historischen Uplands, wurde östlich des South Street Viaduct die Shopping Mall Pier 17 Pavillon (1985) neu errichtet, die an das historische, denkmalgeschützte Tin Building angrenzte. Daneben befand sich in nordöstlicher Richtung der Fulton Fish Market, der weder Teil des Historic District, noch des Festival Market war. Zu den Uplands, den größtenteils restaurierten Gebäuden entlang der Fulton Street, gehörten neben Geschäften und Restaurants die Schermerhorn Row mit dem Seaport Museum, der Neubau des Fulton Market Building (1983), der die historischen Markthallen aus dem Jahr 1822 ersetzte, und das One Seaport Plaza, ein privat verwaltetes 35-stöckiges Bürohochhaus, das neue Anreize für die wirtschaftliche Entwicklung des South Street Seaport schaffen sollte. Fulton Fish Market Uplands Abb. 7.3: Plan des Festival Market South Street Seaport innerhalb des Historic District.103 102 103 Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 409. Quelle: Prospekt der General Growth Properties (Juli 2008), Auslage im Pier 17 Pavillon im Februar 2009, erweiterte Darstellung. 62 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov Im Gegensatz zum Seaport Marketplace war der Seaport District in geringem Maße saniert und vermarktet worden. Bis auf einige Einzelhändler und Gastronomiebetreiber, darunter die ältesten Cafés des Seaports, das Bridge Café (1794) und das Café Paris (1873), sowie das Best Western Seaport Hotel, waren die Gebäude in einem schlechten Bauzustand und wurden kaum genutzt. Ein beträchtlicher Anteil der Freiflächen diente zudem als Parkfläche.104 Trotz der hohen Investitionen in die Umgestaltung des historischen Hafenviertels litt das Museum fortwährend unter mangelnder finanzieller Unterstützung und unzureichenden Einnahmen. In Zusammenhang mit der Revitalisierung änderten sich die Mietvereinbarungen zwischen dem Museum und der Stadt. War bisher eine Ertragsabgabe des Museums von 20 % an die Stadt ausgemacht, so wurde sie 1980 auf 60 % angehoben bei gleichzeitiger Mietsenkung für die Flächen der fünf Blocks, die das Museum an der Fulton Street gepachtet hatte. Das Museum schlug nur geringfügig Kapital aus der Weitervermietung dieser Flächen an die Rouse Company, die ihrerseits nur 38 US$ pro m² an das Museum bezahlte und selbst 2 150 US$ pro m² von ihren Mietern verlangte. Diese hohen Mieten machten es den etablierten Künstlern, die seit den 1960er Jahren das Viertel kulturell wiederbelebt und bereichert hatten, sehr schwierig sich weiterhin am South Street Seaport halten zu können.105 Die Bilanz des Museums sah 1985 sehr ernüchternd aus: Über 95 % der Ausstellungsobjekte verblieben im Lager, die Beschäftigtenanzahl sank auf 25 und sollte Ende 1994 sogar nur noch 12 betragen und es gab Überlegungen, das Museum ganz zu schließen. Als dann 1996 die Rouse Company zum direkten Mieter der Stadt wurde, entzog sich dem Museum jegliche Existenzgrundlage für die weitere Restaurierung der historischen Gebäude.106 Entwicklung des South Street Seaport bis 1997 15 Jahre nach der Eröffnung des Festival Marketplace am South Street Seaport sind die erwarteten positiven Synergieeffekte auf das Viertel weitestgehend ausgeblieben bei einem anhaltend desolaten Zustand der Bausubstanz im Seaport District, wie die Kartierungen aus dem Jahr 1997 zeigen (vgl. Abb. 7.4 und Abb. 7.5). Demnach stand auf einer Gesamtverkaufsfläche von 25 734 m² rund ein Viertel leer, weitere 9 % waren unvermietet und ca. 15 % zwar vermietet, jedoch nicht genutzt.107 Anstatt eines lebendigen Museumsviertels, erweitert um ein reichhaltiges und diversifiziertes Einzelhandels-, Gastronomie- und Unterhaltungsangebot, hielt die Kommerzialisierung der maritimen Geschichte als Besuchermagnet und die Filialisierung der Geschäftseinheiten am South Street Seaport Einzug. Deutlich war dieser Prozess in den Uplands zu vernehmen, wo die steigenden Mieten den Zuzug von Einzelhandelsketten, wie Ann Taylor (Bekleidung), Brookstone (Geschenkartikel) oder The Body Shop (Kosmetik) in die restaurierten Gebäude an der Fulton Street begünstigten und damit individuelle, lokale Händler und ihre Käuferschicht zunehmend verdrängten. 104 Vgl. Pries, M. (2008), S. 178. Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 410, Pries, M. (2008), S. 175. 106 Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 411. 107 Vgl. Pries, M. (2008), S. 176. 105 63 Ludmila Gerasimov [7. SOUTH STREET SEAPORT] Die neue Kundenzielgruppe orientierte sich an den einkommensstarken „White-Collar Workers“ der Wall Street, die laut Jennifer Fine, der Sprecherin der Rouse Company, 1996 25 % der Besucher ausmachten neben 15 % aus dem restlichen Stadtgebiet und der stärksten Gruppe der Touristen mit 60 %. Auffällig war auch die Nutzungsentwicklung im Fulton Market Building. Während zu Anfang eine Branchenvielfalt mit 39 Mietern vorherrschte, stand das gesamte Obergeschoss 1997 komplett leer. Lediglich im Erdgeschoss verblieben ein Restaurant und die kleinen Fischverkaufsstände des Fulton Stall Market. In Zukunft sollten 1 800 m² der Verkaufsfläche der Bekleidungskette Gap / GapKids / BabyGap zur Verfügung stehen. Die Uplands waren ferner durch die museale und gastronomische Nutzung und Leerständen im Erdgeschoss und hauptsächlich Büros im Obergeschoss charakterisiert.108 Innerhalb des Seaport District, östlich der Beekman Street, waren dagegen erhebliche Nutzungsmissstände sowohl im Erd-, als auch im Obergeschoss ersichtlich. Nachwievor bestand hier ein hoher Anteil an Leerständen und Ruinen, der auf die bis dato noch nicht vorgenommene Sanierung der Altbausubstanz zurückzuführen war. Ausgenommen der Post und des Hotels als dauerhaften Mietern, dominierte die Wohnfunktion im Seaport District gegenüber dem Fischhandel im Erdgeschoss und der Büronutzung im Obergeschoss. Der Pier 17 Pavillon zeichnete sich durch einen hohen Filialisierungsgrad aus mit einem eher homogenen Warenangebot namhafter Einzelhandelsketten und großen Food Courts. Wider Erwarten zog es die Besucher des South Street Seaport weniger in die Geschäfte und Restaurants des historisch instandgesetzten Bereichs westlich des FDR Drive, als mehr in die überdachte, witterungsunabhängige Mall am Pier 17 mit Blick auf die Brooklyn Bridge und den East River, was sich negativ auf die Geschäftsbilanz der Fulton Street auswirkte.109 Ein entscheidendes Manko des Festival Market ist ein bis heute fehlender zentraler Veranstaltungsplatz, der in erster Linie nicht die Aufmerksamkeit der Touristen, sondern das Interesse der einheimischen Städter wecken sollte und auch dazu beitragen könnte, dass die beiden, durch das South Street Viaduct entscheidend separierten Bereiche des South Street Seaport wieder näher zusammengeführt werden mit Ausblick auf eine höhere Besucherfrequentierung der geschichtsträchtigen Umgebung zwischen Burling Slip und Peck Slip.110 Ein weiterer gravierender Nachteil des Festival Market war die Nähe zum Fulton Fish Market, der nach 183 Jahren an der South Street, 2005 in die Bronx, nach Hunts Point verlagert wurde. Begleiterscheinungen wie Müll und Fischabfälle auf offener Straße, Fischgerüche und Lärmbelästigung durch den Fischverkauf ab 4 Uhr morgens und der Warenabtransport per LKW schreckte mögliche Besucher des Festival Market eher ab, als dass es zum Flanieren und Verweilen in den Restaurants und Geschäften an der South Street einlud.111 Nichtsdestotrotz hatte die Umstrukturierung des South Street Seaport bis 1997 auch Positives zu verzeichnen. Große Fortschritte wurden in der Restauration und Sanierung der historischen Gebäude an der Fulton Street gemacht, wo neue Geschäftseinheiten entstanden und die erste Fußgängerzone New Yorks durchzog den South Street Seaport.112 108 Vgl. DeFilippis, J. (1997), S. 411, General Growth Properties (2009b), Pries, M. (2008), S. 176 f. Vgl. Downtown Alliance (2009a). 110 Vgl. Pries, M. (2008), S. 181, Spitz, R. (2008), Westfeldt, A. (2008). 111 Vgl. Dominus, S. (2008), Pries, M. (2008), S. 180, Russell, J. S. (2008). 112 Vgl. Pries, M. (2008), S. 175. 109 64 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov Abb. 7.4: Nutzungen am South Street Seaport 1997 (Erdgeschoss).113 Abb. 7.5: Nutzungen am South Street Seaport 1997 (Obergeschoss).114 113 114 Quelle: Pries, M. (1997). Quelle: Pries, M. (1997). 65 Ludmila Gerasimov 7.3 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Der South Street Seaport 2009 Laut den Angaben der General Growth Properties Inc. von 2009, die seit 2004 nach der Übernahme der Rouse Company die Geschäfte des Festival Market leitet, rangiert der South Street Seaport derzeit mit 80 Einzelhändlern auf einer Gesamtverkaufsfläche von 26 477 m² als größte Shopping Mall in der Downtown Manhattan an vorderster Stelle mit über 3 500 öffentlichen Parkplätzen, einem Einzugsgebiet von 18,8 Mio. Einwohnern mit einem Durchschnittsjahreseinkommen von 85 951 US$ pro Haushalt und einem jährlichen Besucherstrom von 12 Mio., was ihn zu den fünf Top-Destination in New York City macht.115 Abb. 7.6: Nutzungen am South Street Seaport 2009 (Erdgeschoss).116 115 116 Vgl. General Growth Properties (2009a). Quelle: Pries, M. (2009). 66 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov Abb. 7.7: Nutzungen am South Street Seaport 2009 (Obergeschoss).117 Vor dem Hintergrund eines solch positiven Urteils über die Entwicklung des South Street Seaport wird im Folgenden anhand eines Vergleichs von Kartierungen aus den Jahren 1997 (vgl. Abb. 7.4 und Abb. 7.5), 2003118 und 2009 (vgl. Abb. 7.6 und Abb. 7.7) herausgestellt, inwieweit der Aufwertungsprozess im Viertel (ohne Pier 17) tatsächlich vorangeschritten ist. Insgesamt ist eine sehr positive Entwicklung in der Umgestaltung der Erdgeschossflächen festzustellen. Während zwischen 1997 und 2003 noch ein Anstieg der Ruinen entlang der Front und Water Street zwischen Beekman und Dover Street zu verzeichnen war, konnten diese bis 2009 gänzlich durch Sanierungsarbeiten beseitigt werden und zu neuen Räumen für den Einzelhandel, Restaurants oder Wohnungen umfunktioniert werden wie das Beispiel aus der Abbildung 7.6 im Block Front, Beekman, Water Street und Peck Slip demonstriert. Signifikant ist die Zunahme an Gastronomiebetrieben im Seaport District, deren Anzahl innerhalb von 12 Jahren von ehemals 8 Restaurants 1997 auf 25 angestiegen ist.119 2009 befinden sich außerdem sieben neue Einzelhändler und zwei Büros in den Gebäuden am Peck Slip, die den Angebotsmix in dem bis dato wenig beachteten und von Geschäftsinhabern sogar eher gemiedenen historischen Bereich des South Street Seaport, östlich der Beekman Street, bereichern. Im Zuge dessen wurden Parkflächen in der Front Street, die zuvor an den Fischhandel gekoppelt waren, zu neuen Geschäftsflächen umgestaltet. Die Verlagerung des Fischmarktes im Jahr 2005 hat dagegen neue Leerstände geschaffen, speziell im Block South, Beekman, Front Street und Peck Slip, wo der Fischhandel fast die Hälfte der Erdgeschossfläche verein117 Quelle: Pries, M. (2009). Das Kartenmaterial von 2003 wird nicht abgebildet, fließt jedoch als Vergleichsdatenquelle in die Analyse ein. Vgl. Pries, M. (2008), S. 179 f. 119 Vgl. South Street Seaport (2009). 118 67 Ludmila Gerasimov [7. SOUTH STREET SEAPORT] nahmte, sowie im Fulton Stall Market (Fulton Market Building). Dabei ist jedoch zu betonen, dass der Leerstand im restlichen Seaport District im Vergleich zu 1997 und 2003 spürbar rückläufig ist. Die Anzahl der Wohneinheiten, die sich im Erdgeschoss ausschließlich auf den Seaport District beschränken, hat sich seit 1997 bereits schon zum Jahr 2003 leicht erhöht. Im Gegensatz zu den offensichtlichen positiven Revitalisierungsmaßnahmen im Seaport District, hat sich im Geschäftsbereich des Seaport Marketplace an der Fulton Street kaum etwas verändert. Wie schon 1997 dominieren textile Filialgeschäfte das Angebot, wie z. B. Coach, The Yankees Clubhouse, Guess? oder J. Crew in der Schermerhorn Row und dem Museum Block, wobei 2009 der sonstige Einzelhandel (z. B. Drogerien, Haushaltswarengeschäfte) zugenommen hat.120 Die Ausstellungsfläche des Museums ist seit 2003 etwas reduziert worden. Das Erdgeschoss des One Seaport Plaza wird gegenüber 1997 und 2003 vielseitiger durch Büros, Restaurants und den Einzelhandel genutzt. In Bezug auf die Neugestaltung und Inwertsetzung der Altbausubstanz am South Street Seaport hat sich im Obergeschoss ebenso wie im Erdgeschoss ein tiefgreifender Wandel ins Positive vollzogen. Die Kartierung von 2009 (vgl. Abb. 7.7) veranschaulicht insbesondere im Bereich des Seaport District die enorme Zunahme an Wohnungen, die nahezu alle Flächen im Obergeschoss belegen. Jegliche Ruinen und fast alle Leerstände, die 1997 und 2003 noch das schlechte Image des Seaport District prägten, sind in Apartments umgewandelt worden. Wenn noch 1997 und 2003 vorwiegend Büros zu den Hauptmietern im Obergeschoss gehörten, v. a. westlich der Beekman Street, so änderte sich das grundlegend bis 2009. In der Schermerhorn Row entstanden zwar auf der Hälfte der Geschossfläche neue Wohnungen, jedoch hinterließ die Abwanderung der Büros nicht weniger Leerstand. Im Museum Block sind die Büronutzungen bis 2009 zum ersten Mal um den Einzelhandel, Wohn- und Gastronomieeinheiten erweitert worden, allerdings unter Umständen auf Kosten des Museums, das derzeit im Obergeschoss überhaupt keine Ausstellungs- bzw. Lagerflächen mehr hat. Die Büros der Fischhändler an der South Street wurden teilweise zum neuen Zuhause für weitere Bewohner im South Street Seaport bzw. stehen derzeit noch zu ca. 50 % leer. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich das einst im Verfall befindliche historische Viertel an der South Street in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt hat. Die marode Altbausubstanz des Seaport District ist erfolgreich saniert und restauriert worden, Ruinen sind verschwunden, Leerstände minimiert und durch neue Wohnungen und Restaurants, unter anderem für die neue Nachbarschaft, ersetzt worden. Die erfolgreichen Maßnahmen des „Residential Conversion Program“, die 1995 eingeleitet wurden für die Umnutzung von Bürogebäuden in Wohngebäude, zeigen ihre Wirkung. Dass die Wohnfunktion 2009 zur Hauptnutzungsform avanciert, wäre 1997 noch unvorstellbar gewesen. In diesem Zusammenhang sind die Auswirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und der Einfluss des Wiederaufbaus Lower Manhattan auf den South Street Seaport nicht ganz unerheblich. Von dem Ziel die Downtown in eine „lively neighborhood and family-friendly 24 / 7 community with playgrounds, day care and schools”121 zu transformieren mit neuen Wohn-, Park- und Geschäftseinheiten, profitiert der South Street Seaport insoweit, als dass er in Anlehnung an TriBeCa und Battery Park City zum neuen attraktiven Stadtviertel werden könnte, wo Arbeiten, Wohnen, Familie und Freizeit in unmittelbarer Nähe zum Central Business District wieder zusammen gelebt werden können. 120 121 Vgl. South Street Seaport (2009). Planning Commission NYC (2009). 68 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov Den Trend, wieder in der Downtown leben zu wollen, unterstreichen unterstreichen die Angaben der Alliance for Downtown New York 2009, demzufolge sich die Zahl der Wohneinheiten in Lower Manhattan seit 2001 von 13 000 auf 27 000 im Jahr 2008 mehr als verdoppelt hat, wobei weitere 3 000 Einheiten bis 2011 noch fertiggestellt werden sollen. Die Verlagerung des Fischmarktes in die Bronx (Hunts Point) 2005 hat zu einer saubereren Umgebung und störfreieren Atmosphäre beigetragen, die mehr Chancen für die weitere Revitalisierung des South Street Seaport eröffnet.122 Allerdings macht der introvertierte Pier 17 Pavillon trotz eines Jahresumsatzes von über 100 Mio. US$ durch seine trostlose Einkaufsatmosphäre in einem künstlich inszenierten städtischen Umfeld Eindruck, statt durch attraktive Kauf- bzw. Unterhaltungsanreize. In versteckter Lage hinter dem lärmenden FDR Drive war er nur schwer über die schlecht zu passierende und verwahrloste Unterführung des South Street Viaduct zu erreichen, das als trennendes Element zwischen dem historischen Viertel und der Wasserkante ein unüberwindbares Hindernis darstellt.123 7.4 The New Seaport – Die Zukunft an der South Street In Zusammenarbeit mit dem New Yorker Architekturbüro SHoP Architects, dem New York City Department of City Planning, der New York City Landmarks Preservation Commission (LPC) und der Planungsbehörde Manhattan Community Board 1 konzipierte die General Growth Properties Inc. (GGP) einen umfassenden Master Plan124 für die Modernisierung des South Street Seaport (vgl. Abb. 7.8), der bis 2014 realisiert werden soll. Abb. 7.8: Zukünftiger Blick auf die Skyline Manhattans mit dem New Seaport.125 122 Vgl. Planning Commission NYC (2009), Pries, M. (2008), S. 178. Vgl. Pries, M. (2008), S. 181, Russell, J. S. (2008), The New Seaport (2009a). 124 Vgl. The New Seaport (2009a), The New Seaport (2009c), The New Seaport (2009f). 125 Quelle: The New Seaport (2009e). 123 69 Ludmila Gerasimov [7. SOUTH STREET SEAPORT] Folgende strategischen Ziele sind im Master Plan vorgesehen (vgl. Abb. 7.9): 1. 24-hour-community Mit einem ehrgeizigen Bauvorhaben auf Pier 17 sollen neue Wohn- und Arbeitseinheiten sowie ein Gemeinschaftszentrum und eine Schule im Fulton Market Building geschaffen werden, die vor dem Hintergrund der Downtown-Revitalisierung den Wandel in eine 24-hour-community am South Street Seaport ermöglichen, die gleichzeitig auf eine stabile Wirtschaftsbasis durch Ansiedlung von Geschäften und Hotels zurückgreifen kann. 2. Kultur, Freizeit und Versorgung Diversifizierte Unterhaltungs-, Gastronomie- und Einkaufsangebote, wie z. B. Ausstellungen, künstlerisch-artistische Veranstaltungen und (Open-Air-) Events, Bars und Restaurants oder (spezialisierte) Lebensmittelmärkte sollen in Zukunft nicht nur die Versorgung der umliegenden Bevölkerung decken, sondern auch die Lebensqualität an der South Street erhöhen und als Attraktion mit einem innovativen Angebotsmix für die gesamte Stadtbevölkerung und nicht nur für Touristen fungieren. 3. Bewahrung des historischen Charakters Große Aufmerksamkeit erfährt trotz des modernen Designs der Verweis auf das Erbe der „Street of the Ships“. Nicht nur, dass sich maritime Stilelemente in der Fassade der neuen Gebäude auf Pier 17 wiederfinden (z. B. Andeutung eines Fischernetzes im hexagonalen Außenskelet des Turms), der Erhalt und die Restaurierung der bestehenden historischen Strukturen und Architektur, bspw. des Fulton Stall Market und des Tin Building, sollen weiterhin im Fokus der Umbauarbeiten stehen. 4. Umwelt und Verkehr Neue und größere öffentliche Plätze und Promenaden, insbesondere auf dem Pier 15 und 17, die Schaffung freierer Sichtkorridore auf den East River und die Brooklyn Bridge von der Fulton und Beekman Street aus, die Ausweitung kopfsteingepflasterter Fußgängerwege sowie der Einbezug in die umwelt- und verkehrsinfrastrukturellen Revitalisierungsmaßnahmen des East River Waterfront und Fulton Street Corridor Projekts sollen künftig sowohl zur Begrünung und ökologischen Aufwertung der Wasserkante Manhattans, als auch zur Anbindung der Stadtbevölkerung an New Yorks Hafenkante beitragen. Abb. 7.9: East River Esplanade am Pier 17 mit dem neuen Boutique Hotel im Hintergrund.126 126 Quelle: The New Seaport (2009e). 70 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov Pier 17 Zu New York City’s „Aushängeschild“ am East River wird der Pier 17 umgestaltet, der eine neue Ära am South Street Seaport einläuten soll. Die einschneidenden Veränderungen sind der Abbildung 7.10 zu entnehmen und beinhalten127: • • • • 1,5 ha zusätzliche öffentliche Freiflächen auf dem Pier 15 und 17 als Veranstaltungs- und Erholungsfläche mit Fußgängerbereichen und Radwegen am Wasser, den Abriss des Pier 17 Pavillon sowie den Versatz und den restaurierten Wiederaufbau des denkmalgeschützten Tin Building an der Kaikante des Pier 17, den Bau von vier 2-stöckigen Einkaufszentren als Basis für ein Boutique Hotel und den Bau eines Hochhauses mit gemischter Nutzung aus Hotel- und Eigentumswohnungen in den oberen und Einzelhandel in den unteren Etagen. Aktueller Grundrissplan Grund Pier 17 Geplanter Grundrissplan Grund Pier 17 Legende Einzelhandel Boutique Hotel Wohnnutzung Gemeinschaftszentrum Hotel Freiflächen Legende Abgrenzung des South Street Seaport Historic District Abb. 7.10: Bauelemente des New Seaport auf dem Pier 17 mit neu gestaltetem Grundriss.128 127 128 Vgl. The New Seaport (2009a), The New Seaport (2009c), The New Seaport (2009f). Quelle: The New Seaport (2009d). 71 Ludmila Gerasimov [7. SOUTH STREET SEAPORT] Tin Building GGP plant das 1907 erbaute Tin Building, das bei einem Brand 1995 stark beschädigt wurde und seitdem ungenutzt blieb, wieder an seinen ursprünglichen Platz an der Hafenkante zu verlegen. Genauer gesagt soll die wenige, noch erhaltene historische Bausubstanz in ihre Einzelbestandteile zerlegt und in aufwendiger Restaurierungsarbeit nach alten Vorlagen am östlichen Ende des Pier 17 wieder zusammengefügt und aufgebaut werden. Es würde damit aus der derzeitigen Enge zwischen dem FDR Drive und dem Pier 17 Pavillon heraustreten und durch diese Verlagerung einen neuen Sichtkorridor und breiteren Zugang von der Beekman Street auf Pier 17 und den East River eröffnen und gleichzeitig eine unterbrechungsfreie Fortführung der East River Esplanade entlang der Wasserkante erlauben. Einwände gegen dieses Vorhaben gibt es von der LPC, die das gegenwärtige Gebäude unter Denkmalschutz gestellt hat. Sollte GGP das Einverständnis seitens der LPC erhalten, das einzige historische Gebäude östlich des FDR Drive zu versetzen, so würden auf der 5 110 m² großen Geschossfläche des neuen Tin Building Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten im Erdgeschoss entstehen, während die oberen zwei Etagen für Events reserviert wären.129 Auf der zum Wasser hin zugewandten Seite des Tin Building soll eine Open Public Plaza mit einer Fußgängerzone bis zur Kaikante als zusätzlicher öffentlicher Raum für Freizeit und Erholung entstehen, die Einwohner und Besucher zum Verweilen mit Blick auf den East River und die Brooklyn Bridge einladen würde (vgl. Abb. 7.11). Abb. 7.11: Promenade am Tin Building.130 Boutique Hotel und Einkaufszentren Am westlichen Ende des Pier 17 sollen vier freistehende Einkaufszentren mit jeweils zwei Etagen bei einer Höhe von insgesamt 12 m entstehen. Die aufgelockerte Gebäudestruktur würde eine weitläufige Blickrichtung, auch von den Uplands, auf die Hafenkante und die Brooklyn Bridge eröffnen. Des Weiteren sollen in diesem Bereich die Fußgängerzonen fortgeführt werden. In der Funktion als Sockelgeschosse, soll auf die Einkaufszentren ein Boutique Hotel aufgesetzt werden, dessen Gefüge aus zwei separaten Gebäudeeinheiten mit einerseits drei und andererseits sechs Etagen bestehen soll, die über zwei Luftbrücken miteinander verbunden werden sollen (vgl. Abb. 7.9). Sie sollen eine vielseitige Auswahl an Bars und Restaurants der mittleren und gehobenen Preisklasse beherbergen. Die Lobby des Hotels auf der dritten Etage wäre zudem aus der Richtung der Beekman Street direkt über spezielle Gästeaufzüge zu erreichen. Das Design der Außenfassaden und der Brücken ist vom maritimen Erbe am East River inspiriert und z. B. den Konstruktionen von Segelwerken entlehnt. Allerdings hat auch hier die LPC gewisse Vorbehalte gegenüber den Bauvorhaben, da die Gebäude innerhalb des Historic District liegen und zusammen mit dem Boutique Hotel die maximale Höhe von 36 m überschreiten, wodurch sie die historischen Bauten westlich des FDR Drive überragen würden. Eine endgültige Lösung diesbezüglich blieb 2009 jedoch aus.131 129 Vgl. Dunlap, D. W. (2008), Russell, J. S. (2008), Shapiro, J. (2008), The New Seaport (2009a). Quelle: The New Seaport (2009e). 131 Vgl. Dunlap, D. W. (2008), Shapiro, J. (2008), The New Seaport (2009a), The New Seaport (2009b). 130 72 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov Hotel und Eigentumswohnungen mit Einzelhandel Das neue Wahrzeichen des New Seaport und zugleich sein wirtschaftlicher Anker soll ein 42-stöckiges Hochhaus mit einem Fünf-Sterne-Hotel als Kongresszentrum, Apartments in den oberen Stockwerken und exklusivem Einzelhandel auf den untersten drei Etagen werden. Errichtet anstelle des vakanten New Market Building mit dem ehemaligen Fulton Fish Market, würde die eine, 23 m schmale Seite des 150 m hohen Turms zum Financial District zeigen, während die andere, 40 m breit, der Brooklyn Bridge zugewandt sein würde (vgl. Abb. 7.12). Diese vorgesehenen Größenverhältnisse für den Turm bedürfen jedoch der Bewilligung durch die LPC und dem Community Board 1, die darum bestrebt sind, dass die Bebauungspläne von SHoP Architects und GGP im Kontext mit der historischen Architektur stehen und sogleich die Forderung erfüllen, dass die um 45 m überschrittene Turmhöhe minimiert wird. Im Umkehrschluss würde dies für GGP bedeuten, dass bei einer Höhenabstufung, der Turm zwar niedriger, Abb. 7.12: Modell des Turms.132 jedoch in seiner Geschossfläche erweitert werden müsste, um gleichbleibende Einnahmen aus den geplanten Geschäftsflächen zu erwirtschaften. Dies hätte negative Auswirkungen auf das gesamte historische Viertel, da der Ausblick Richtung East River zu einem großen Teil versperrt wäre. Derzeit wird noch an einem Kompromiss gearbeitet. Anerkennung verdient sich dagegen die Integration von sog. „Green Systems“ in die Bauvorhaben, unter Anwendung von bspw. kraftstoffsparenden Baumaschinen, Recyclingmaterialien oder energieeffizienten Maßnahmen, gemäß den strengen Nachhaltigkeitsvorschriften des Local Law 86 der Stadt New York und des LEED Silver Zertifikats, das vom U.S. Green Building Council vergeben wird.133 Planmäßig sollen die Arbeiten am Pier 17 im Jahr 2014 abgeschlossen sein. Während der Umbauphase sollen ca. 5 750 Vollzeitstellen und über 2 000 neue Beschäftigungen entstehen, die langfristig im Viertel erhalten bleiben sollen. Resultierend aus den Bau- und Wirtschaftsaktivitäten sollen in den nächsten vier Jahren 1,4 Mrd. US$ der Stadt New York zukommen. Außerdem sollen über 23 Mio. US$ an Steuern jährlich in die Stadtkasse fließen, davon allein 15 Mio. US$, die als Gewerbe-, Verkaufs- und Umsatzsteuer aus dem South Street Seaport Development hervorgehen sollen. Somit soll der Weg vom reinen Historic District in einen Economic District am East River geebnet werden.134 132 Quelle: The New Seaport (2009d). Vgl. Dunlap, D. W. (2008), Shapiro, J. (2008), Spitz, R. (2008), The New Seaport (2009a). 134 Vgl. Spitz, R. (2008), The New Seaport (2009b). 133 73 Ludmila Gerasimov [7. SOUTH STREET SEAPORT] Historic Uplands Area Einige Neuerungen wird es auch im Bereich westlich des FDR Drive geben. Dazu gehört • • • die Umwandlung des Fulton Stall Market in einen Feinkostmarkt, die Eröffnung eines 2 787 m² großen Gemeinschaftszentrums und einer Schule im Fulton Market Building sowie die Schaffung weiterer hochklassiger Wohneinheiten im One Seaport Plaza und der Schermerhorn Row. Zusätzliche Marktstände, Imbisse und saisonale kulturelle Veranstaltungen im ganzen Historic District sollen das städtische Leben im Viertel bereichern (vgl. Abb. 7.13).135 Abb. 7.13: Belebte Fulton Street am Fulton Market Building mit Aussicht auf den neuen Pier 17.136 East River Waterfront und Fulton Street Corridor Projekt Eingebettet in das Revitalisierungsprogramm des Manhattan Greenway entlang der 52 km langen Wasserkante Manhattans, schließt das von der Bloomberg-Administration 2002 initiierte East River Waterfront Projekt die Lücke des noch verbliebenen, 3,2 km langen Streckenabschnittes zwischen dem Battery Park und dem Pier 42 / East River Park. Finanzielle Unterstützung erfährt das Projekt seitens der Lower Manhattan Development Corporation, die 2005 einen einmaligen Zuschuss von 150 Mio. US$ gewährte, dem zweithöchsten nach der Vergabe für die Errichtung des World Trade Center Memorial (800 Mio. US$). Die Verbesserungspläne beinhalten konkret für den South Street Seaport die Sanierung der Flächen unter dem FDR Drive sowie des Pier 15, des Peck Slip und Burling Slip und die Optimierung des Wasserzugangs bzw. -transports durch den Ausbau der East River Esplanade zu Promenaden und Grünflächen und der Anlegestellen für das New York Water Taxi am Pier 17. Als eine der Hauptverkehrsadern in der Downtown, wird die Fulton Street nach dem Wiederaufbau des World Trade Center als Einzige innerhalb Lower Manhattan durchgehend den Hudson mit dem East River verbinden. Die Revitalisierung des South Street Seaport wird daher einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg des Fulton Street Corridor Projekts leisten.137 135 Vgl. The New Seaport (2009a), The New Seaport (2009f). Quelle: The New Seaport (2009e). 137 Vgl. New York City Government (2009a), New York City Government (2009b), Russell, J. S. (2008), The New Seaport (2009f). 136 74 [7. SOUTH STREET SEAPORT] Ludmila Gerasimov FDR Drive Bisher wurden die desolaten Flächen unter dem FDR Drive hauptsächlich als Parkfläche für Busse, Autos und LKWs genutzt und versperrten den freien Zugang für Fußgänger vom Historic District zum Wasser. Der Bereich zwischen dem bereits bestehenden Radweg entlang der South Street, der derzeit zu einem „Class I Bikeway“ ausgebaut wird, und den Esplanaden am soll ästhetisch und funktional in Stand gesetzt und wieder zum Verbindungsglied zwischen der Historic Uplands Area und dem Pier 17 werden. Zahlreiche Pavillons (150 m² bis 750 m² Grundrissfläche), erweitert um kleine Kioske und Imbisse, sollen zusätzliche öffentliche Veranstaltungsflächen bieten mit abwechslungsreichen, saisonal abhängigen Kultur- und Freizeitangeboten, wie Kinderprogrammen, Tanzkursen und Martial-Arts-Trainings. Originelle Licht- und Soundinstallationen, integriert in den neu abgedeckten Wänden unter dem South Street Viaduct, sollen eine einladende und sichere Atmosphäre erzeugen.138 Peck Slip und Burling Slip Der Entwurf für den Peck Slip (vgl. Abb. 7.14) sieht zwischen den beiden Straßen in nördlicher und südlicher Richtung zwei große zentrale Verkehrsinseln vor, einerseits als Grünfläche, andererseits in Erinnerung an den ehemaligen Anlegeplatz als Bassin, das im Winter zur Eislaufbahn umfunktioniert werden könnte. Überdies soll die verstärkte Trennung von Fußgänger- und Verkehrsbereichen zu einer Entspannung der Verkehrssituation beitragen.139 Anstelle der Park- und Verkehrsflächen am Burling Slip (vgl. Abb. 7.15) soll ein großer Spielplatz als sozialer Treffpunkt für die Kinder und Eltern in der Nachbarschaft entstehen. Einige Parkplätze sollen jedoch für die Museumsbesucher und Einzelhändler im Viertel erhalten bleiben.140 Abb. 7.14: Seitenansicht Peck Slip 2014.141 Abb. 7.15: Draufsicht Burling Slip 2014.142 138 Vgl. New York City Government (2009a), New York City Government (2009c), S. 44 f., The New Seaport (2009a). 139 Vgl. New York City Government (2009c), S. 62. 140 Vgl. New York City Government (2009c), S. 60. 141 Quelle: New York City Government (2009c), S. 62. 142 Quelle: New York City Government (2009c), S. 60. 75 Ludmila Gerasimov [7. SOUTH STREET SEAPORT] Literatur- und Quellenangaben BROUWER, NORMAN J. (1995a): Port of New York. In: Jackson, Kenneth T. (Hrsg.): The Encyclopedia of New York City, New Haven, London, S. 926-929. BROUWER, NORMAN J. (1995b): South Street Seaport. In: Jackson, Kenneth T. (Hrsg.): The Encyclopedia of New York City, New Haven, London, S. 1099. DECHESER, MICHAEL, DECHESER, PETER (2005): South Street Seaport: Past, Present and Futur. 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In einem Central Business District wie diesem war neben dem „Daily Business“ ein Wohnen bis vor Kurzem nur schwer vorstellbar. Es stellt sich die Frage, wodurch ein solcher Prozess in Gang gesetzt wird. 8.1 CBD – City – Downtown Der „Central Business District“ bildet den zentralen Geschäftsbereich der US-amerikanischen Stadt, in dem Einrichtungen des Dienstleistungs- und Finanzbereiches überwiegen. Der Begriff „Downtown“ ist synonym mit dem Begriff „City“ zu verwenden. Die „City“ beschreibt „einen zentral gelegenen Stadtteil, in dem die vorhandenen Nutzflächen überwiegend administrativ und kommerziell genutzt werden und welcher höchste Verkehrsintensität aufweist“143. Die City äußerst sich als Funktionsbegriff und ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: • • • • • • • • 143 Räumliche Konzentration hochrangig zentraler Funktionen des tertiären und quartären Sektors Bildung von funktionalen Vierteln (Beispiel Financial District) Schnelle Entwicklungsdynamik Höchste Funktionsdichte Hohes Verkehrsaufkommen durch Einpendlerströme Enorme Arbeitsplatzdichte Überwiegend Tagbevölkerung Hohe Boden- und Mietpreise Besondere physiognomische Merkmale (hohe Bebauungsdichte großer Repräsentationsaufwand, hohe Schaufensterdichte) Bühler, T. (1990), S. 85. 79 Lena Heß, Annette Oelze 8.2 [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Abgrenzung „CBD“ nach Murphy Mitte des 20. Jahrhunderts haben die amerikanischen Stadtgeographen R. E. Murphy und J. E. Vance die Begriffe des „CBD-Höhenindex“ und des „CBD-Intensitätsindex“ entwickelt (vgl. Abb. 8.1). Für die Berechnung wurden zumeist quadratische Baublöcke zugrundegelegt, wobei CBD-untypische Nutzungen wie z. B. Wohnungen, Einrichtungen der Regierungen und Verwaltungen, Einrichtungen von Organisationen wie Kirchen, Industrie und Handwerk (mit Ausnahme von Zeitungsdruckereien), Großhandel und Lagerhäuser, leerstehende Gebäude und Geschosse, ungenutzte Flächen, Eisenbahntrassen und Rangierbahnhöfe aus der Indexberechnung ausgeschlossen wurden.144 CBD-Höhenindex (CBDHI) = CBD-Intensitätsindex = (CBDII) Gesamte Geschossfläche mit CBD-typischen Nutzungen (pro Baublock) Gesamte Gebäude-Grundfläche Gesamte Geschossfläche mit CBD-typischen Nutzungen (pro Baublock) x 100 Gesamte Geschossfläche Als CBD-Abgrenzungskriterien gelten: CBDHI CBDII ≥1 ≥ 50 % Abb. 8.1: CBD-Indexberechnung nach R. E. Murphy und J. E. Vance.145 8.3 Stadtstrukturmodelle Die klassische Stadtgeographie betrachtet drei wesentliche Stadtstrukturmodelle, mit deren Hilfe Regelhaftigkeiten aufgezeigt und erklärt werden können, als essentiell. Im Ringmodell von Burgess (1925) am Beispiel der Stadt Chicago wird die Stadt in fünf Ringe von innen nach außen eingeteilt. Burgess begründet seine sozialräumlichen Strukturen anhand der Hypothese des konzentrischen Wachstums, welche aussagt, dass eine Stadt sich von außen tendenziell in alle Richtungen gleichzeitig ausdehnt.146 Im Sektorenmodell von Hoyt (1939) ist die Stadtentwicklung auf die Veränderung der Wohnstandorte der wohlhabenden Bevölkerungsschichten zurückzuführen. Die Stadt gliedert sich in homogene Sektoren, die sich in unterschiedlicher Nutzungs- und Sozialstruktur keilförmig an die zentrale City anlagern.147 Das Mehrkerne-Modell von Harris und Ullman (1945) geht aus von der Annahme, dass ursprünglich mehrere selbständige Siedlungskerne existierten, die nach und nach zusammen 144 Vgl. Heineberg, H. (2006), S. 172. Vgl. Heineberg, H. (2006), S. 172. 146 Vgl. Heineberg, H. (2006), S. 111. 147 Vgl. Heineberg, H. (2006), S. 113. 145 80 [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Lena Heß, Annette Oelze gewachsen sind. Wichtigste Hypothese dieses Modells ist, dass mit der Größe einer Stadt auch die Zahl der Spezialisierungen ihrer Kerne wächst. Dabei erfolgt die Stadtentwicklung nicht um einen einzigen Kern, sondern um mehrere Kerne, die unterschiedlich ausgeprägt sind.148 Bei der Frage nach der Anwendbarkeit der genannten Stadtstrukturmodelle lässt sich feststellen, dass keines der drei Modelle genau auf Manhattan übertragbar ist. Gründe hierfür könnten zum Einen die Inselform der Stadt sein, da East und Hudson River auf natürliche Weise der städtischen Expansion Grenzen setzen. 8.4 Funktionsverlust des CBD Die Funktionsverluste der CBDs, die unter anderem durch die Überalterung ihrer (historischen) Bausubstanz, durch die allgemeine starke Bevölkerungssuburbanisierung, das Entstehen autofreundlicher Shoppingcenter oder neuer großer „Edge Cities“ an peripheren Standorten etc. hervorgerufen wurden und in zahlreichen CBDs deren wirtschaftlichen Verfall und räumliche Schrumpfung ausmachten, stellten in den vergangenen Jahrzehnten ein charakteristisches Merkmal der US-amerikanischen Stadtentwicklung und zugleich ein bedeutendes Stadtplanungsproblem dar. Zwar erweckt die Hochhausbebauung in den CBDs bzw. Downtowns US-amerikanischer Großstädte immer noch den Eindruck, als seien dies „Zonen höchster Wirtschaftskraft“149, allerdings verbergen sich „seit den [19]80er Jahren signifikante Leerstandsraten hinter den neuen Wolkenkratzern“150. Das Zentrum der US-amerikanischen Stadt war ursprünglich durch einen Bürogebäudeboom gekennzeichnet, der sich durch Spekulationen mit Hochhausbauten erklären lässt. In deren Folge kam es stets zu einem Überangebot an neuem Büroraum.151 8.5 Die Wiederentdeckung der Downtown In New York führten sehr hohe Mietpreise und die Veränderung der Kommunikationsmedien und der damit einhergehenden Lockerung der Face-to-Face-Kommunikation in den 1990er Jahren zu einer Abwanderung vieler Wirtschaftsunternehmen nach New Jersey und Brooklyn. Dies zog im Jahre 1993 einen Leerstand von über 26 % in Downtown Manhattan nach sich, der kompensiert werden musste. Dem Wandel vom rein wirtschaftlich genutzten Bürogebäude zu einer Funktionsmischung oder reiner Wohnnutzung stand nichts mehr im Wege. 148 Vgl. Heineberg, H. (2006), S. 114. Schneider-Sliwa, R. (1999), S. 49. 150 Ebd. 151 Vgl. Heineberg, H. (2006), S. 261. 149 81 Lena Heß, Annette Oelze [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Die Wohnbevölkerung im Financial District wächst. Grund für das Bevölkerungswachstum in Downtown Manhattan ist die Umnutzung von Bürohochhäusern, die aufgrund ihres Alters den heutigen Anforderungen an „intelligente“ Bürogebäude nicht mehr gerecht werden (Grund: Zoning Regulation: Das Zusammenlegen von Gebäuden ist verboten, so dass expansionswillige Unternehmen ihre Büros auslagern.). Laut Schätzungen der „Alliance for Downtown Manhattan“, die im Folgenden noch näher beschrieben wird, hat sich die Anzahl der Wohneinheiten seit 2001 von 13 000 auf 27 000 erhöht, mittlerweile wohnen hier über 56 000 Menschen. Im Jahre 2002 ist der private Wohnraum Manhattans um 5 %, in der Downtown um 23 % im Vergleich zu 2001 gewachsen.152 Durchschnittlich sind die Bewohner 35 Jahre alt, 52 % von ihnen arbeiten im FIRESektor (Abkürzung für Finance, Insurance und Real Estate) und verfügen über ein überdurchschnittliches Einkommen von 135 853 US$ jährlich. Anhand der unten stehenden Abbildung ist ersichtlich, dass die hier gezahlten Mietpreise für den durchschnittlichen Bewohner Lower Manhattans tatsächlich ein angemessenes Einkommem erfordern (vgl. Abb. 8.2). Abb. 8.2: Average Residential Rents 2008.153 40 % der hier lebenden kinderlosen Paare können sich vorstellen, innerhalb der nächsten drei Jahre Kinder zu bekommen. Die Voraussetzungen hierfür sind bestens – Kindergärten, Spielplätze, Vorschulen und Einkausmöglichkeiten für den täglichen Babybedarf sind in Planung oder bereits vorhanden. Wer ein wenig den Blick hebt, kann an jeder Ecke Werbeplakate für Luxuswohneinheiten im hoch verdichteten Lower Manhattan finden – ab 1,5 Mio. US$ für eine Eigentumswohnung mit zwei Schlafzimmern wird der Traum vom Wohnen im bekanntesten Stadtteil der Welt wahr. Motive für die Wahl: • • • 152 153 Einsparung der langen Pendelzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz (49% aller Downtown Bewohner gehen zu Fuß zur Arbeit) Gehälter sind im Durchschnitt hoch und ermöglichen daher auch die Bezahlung der hohen Mietpreise In–Status der Downtown Vgl. Pries, M. (2005), S. 4 ff. Quelle: www.downtownny.com/assets/research/Year%20In%20Review%202008-1.pdf, Stand 18.05.2009. 82 [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Lena Heß, Annette Oelze Lower Manhattan hat sich zu einer familienfreundlichen 24h-Community entwickelt, die das Nebeneinander von Arbeit, Wohnen, Familie und Freizeitgestaltung möglich und sogar wünschenswert macht. Im nachfolgenden Zeitungsartikel, der am 05. März 2009 im Hamburger Abendblatt erschienen ist, konnten wir die während unserer Exkursion deutlich spürbare Entwicklung in der Downtown nochmals mit einem Aufmerksamkeit erregenden Titel zum Ausdruck bringen (vgl. Abb. 8.3). Abb. 8.3: Zeitungsartikel „Weltfinanzzentrum wird zum ‚Windel‘-Distrikt“ aus dem Hamburger Abendblatt vom 05. März 2009.154 8.6 Beispiele für die Umnutzung von Büro- zu Wohngebäuden Abb. 8.4: Bei diesem Gebäude handelt es sich um ein Studentenwohnheim an der Fulton Street. Da Downtown Manhattan als besonders sicher gilt, bevorzugen viele Eltern von hier Studierenden diese zentrale Wohnlage. Abb. 8.5: Battery Place 17, in direkter Nähe zur Staten Island Ferry, hier mit großen Werbebannern für luxuriöses Wohnen in zentralster Lage. Abb. 8.6: 100 John Street, vom Architekten des Empire State Buildings im Art Deco Stil erbaut; zunächst Sitz von Versicherungsunternehmen. Verkauft für 17 Mio. US$ und für weitere 76 Mio. US$ umgebaut, sind 576 Appartments mit dem Eingang John Street 100 entstanden. Die unteren Etagen des Basements sind zu modernen Büroräumen renoviert worden, die über John Street 90 zu erreichen sind. 154 Vgl. Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 05.03.2009. 83 Lena Heß, Annette Oelze [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Abb. 8.4: Studentenwohni heim in Fulton Street.155 Abb. 8.5: Werbebanner in Battery Place 17.156 Abb. 8.6: Büro-/ Wohngebäude in 100 John Street.157 Auch die nachfolgend dargestellte Abbildung 8.7 veranschaulicht die Umnutzung von Bürozu Wohngebäuden in den letzten Jahren in der Downtown. Abb. 8.7: Beispielhafte Darstellung der Gebäudeumnutzung in der Downtown.158 155 Quelle: Pries, M. (2000). Quelle: Heß, L., Oelze, A. (2009), eigene Aufnahme. 157 Quelle: Pries, M. (2000). 158 Quelle: Pries, M. (2000): Protokoll New York Exkursion 2000, S. 28, bearbeitet im Rahmen der Exkursion 2009. Kartengrundlage: Robbins, Y. (Hrsg.) (1999): Office Building. Manhattan Downtown. New York. 156 84 [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Lena Heß, Annette Oelze 8.7 Alliance for Downtown „Since 1995, the Alliance for Downtown New York has has been working to enhance the quality of life in Lower Manhattan. We aim to provide workers, residents and visitors with a clean, safe and dynamic neighbourhood.“159 Die Alliance for Downtown New York (ADNY) wurde mit dem Hauptziel der Revitalisierung Lower Manhattans gegründet. Sie versucht, die ökonomische Entwicklung anzukurbeln und das Transportwesen zu verbessern, agiert in vielen städtischen Bereichen, beispielsweise im Security-Service in Zusammenarbeit mit dem NYPD (New York Police Department), im Tourismus sowie im infrastrukturellen Müll-und Begrünungsbereich. Die Alliance finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen der Mieter und Eigentümer. Sie zahlen einen kleinen Betrag pro Quadratmeter ihrer Nutz- bzw. Wohnfläche.160 Zeitlich einhergehend mit der Gründung der ADNY wurde der sog. „Lower Manhattan Revitalization Plan“ entwickelt. Dieser sah vor, durch Subventionen in Form von Steuererlass und -reduktion die Downtown für Investoren und Bewohner wieder attraktiv zu machen. Allerdings fanden diese Unterstützungen nur Anwendung für Büro- und gemischt genutzte Bürowohngebäude, die vor 1975 erbaut wurden und im Geltungsbereich des Planes lagen. Beispiel des Engagements der Alliance ist die Umwandlung des früheren Hauptsitzes der Bank of New York in der Wall Street 48, die in 277 Mietwohnungen umgewandelt wurde.161 Anhand der neuesten Ergebnisse der ADNY von 2009 (vgl. Abb. 8.8) ist ein deutlicher Anstieg der Bevölkerungszahl in der New Yorker Downtown ersichtlich. Während im Jahre 2001 22 961 Bewohner gezählt wurden, ist die Zahl der Downtownbewohner Downtownbewohner bis auf aktuell 53 900 Menschen im ersten Quartal 2009 angestiegen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch besonders in den aktuellen Zahlen der bereits vorhandenen vorhandenen bzw. sich im Bau befindlichen Wohneinheiten wider, die sich von 2001 bis heute verdoppelt haben. Im Jahre 2001 wurden rund 13 000 Wohneinheiten gezählt, aktuelle Zahlen aus dem Ersten Quartal Quartal 2009 liegen bei nahezu 27 500 Einheiten.162 Abb. 8.8: Residential Market: Residential Population and Development Growth.163 159 www.downtownny.com. Vgl. www.downtownny.com. 161 Vgl. Pries, M. (2001), S. 26 ff. 162 Vgl. www.downtownny.com/research/current/. 163 Quelle: www.downtownny.com/assets/research/Year%20In%20Review%202008-1.pdf, Stand 18.05.2009. 160 85 Lena Heß, Annette Oelze 8.8 [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] City Planning Commission Die City Planning Commission ist verantwortlich für die Durchführung der Planung im Zusammenhang mit dem methodischen Wachstum und der Entwicklung der Stadt. Hierzu gehört die Budgetierung und Zuordnung finanzieller Mittel in den Bereichen Hausbau, Geschäfte, Industrie, Transport, Vertrieb, Erholung, Kultur und Gesundheit zum Wohl der Bevölkerung. Darüber hinaus stimmt sie über Anträge zu den Themen Nutzung, Entwicklung und Verbesserung von Immobilienbesitz ab und steht unter der Regulierung der Stadt. 8.9 Landmarks Preservation Commission (LPC) Sie ist verantwortlich für die Identifizierung, Kennzeichnung und Regulierung der Wahrzeichen von New York City und größte Institution dieser Art in den USA. Die Kennzeichnung der Wahrzeichen dient dem Schutz des kulturellen und historischen Erbes, der Pflege und Förderung der Stadtattraktionen für Bürger und Touristen. Es werden vier verschiedene Typen von Wahrzeichen unterschieden: 5. Individual Landmarks (Einzelwahrzeichen wie z. B. Woolworth Building) 6. Interior Landmarks (Gebäudeinnenräume z. B. Waiting Room des Grand Central Terminals) 7. Historic Districts (Historische Viertel z. B. Tribeca oder South Street Seaport) 8. Scenic Landmarks (Landschaftliche Wahrzeichen wie z. B. der Central Park) 8.10 Mietregulierung in New York New York gilt als bekannteste Stadt, die Mietregulierungen vornimmt. Die Hälfte des privaten Mietwohnungsbestandes in New York City fällt unter die Mietregulierung. Nur für knapp 30 % der Mietwohnungen gelten Marktmieten (vgl. Abb. 8.9). Abb. 8.9: Number of Renter and Owners Units.164 164 Quelle: Housing Supply Report New York City Rent Guidelines Board (2008), S. 4. 86 [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Lena Heß, Annette Oelze Den größten Anteil mietregulierter Wohnungen in New York City hat Manhattan, die Bronx weist überdurchschnittlich viele öffentliche Wohnungen auf. Das System der Mietregulierung besteht seit 1942 und wird unterteilt in „Rent Control“ und „Rent Stabilization“. Rent Control: Vor 1947 errichtete und vor 1971 bezogene Wohnungen in Mehrfamilienhäusern und vor 1953 bezogene Ein-und Zweifamilienhäuser wurden mit Steuererleichterungen und Förderungen erbaut. Die maximale Mietsteigerung beträgt 7,5 % pro Jahr. Rent Stabilization: Gilt für Gebäude mit sechs oder mehr Wohnungen, die zwischen 1949 und 1974 erbaut erbaut wurden. Auch ehemals mietkontrollierte Wohnungen fallen darunter. Die festgelegte Mietsteigerungsraten betragen zwischen 2 % und 7 % pro Jahr. Für beide Modelle gilt Bestandschutz für die Mieter. Darüber hinaus kann die Regulierung auf die legalen Nachfolger übertragen werden kann.165 8.11 Resümee Die Umnutzung von Büro-zu Wohngebäuden hat sich in den letzten Monaten, nicht zuletzt aufgrund der Finanzkrise, entschleunigt. Dennoch scheint der Aufbau von neuen Wohneinheiten Fortschritte zu machen. Mehr als zehn Hotelprojekte, die Ende 2008 ins Leben gerufen wurden, spiegeln diese Entwicklung wider (vgl. Abb. 8.10). Abb. 8.10: Annual Additions to Residential Inventory.166 165 166 Vgl. Matuschewski, A. (2005), S. 16. Quelle: www.downtownny.com, Stand 18.05.2009. 87 Lena Heß, Annette Oelze [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] „From 2009 on, most residential projects will be new construction. This residential development boom spurred a dramatic increase in the population, changing the dynamics of Lower Manhattan. Population growth has created additional retail market demand that has improved the retail mix and also extended the hours of life on the street. The conversion of office buildings for residential uses has preserved many of Lower Manhattan’s historic buildings and converted obsolete office space.“167 167 www.downtownny.com/assets/research/Year%20In%20Review%202008-1.pdf, S. 6. 88 [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] Lena Heß, Annette Oelze Literatur- und Quellenangaben BÜHLER, THOMAS (1990): City-Center: Erfolgsfaktoren innerstädtischer Einkaufszentren. Wiesbaden, S. 85. HEINEBERG, HEINZ (2006): Stadtgeographie, 3. Aufl., Paderborn. HEß, LENA, OELZE, ANNETTE (2009): Weltfinanzzentrum wird zum „Windel“-Distrikt. In: Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 05.03.2009. MATUSCHEWSKI, ANKE (2005): Revitalisierung innerstädtischer Slums und Ghettos in New York City? Das Beispiel Harlem und South Bronx. In: Geographische Rundschau 57, H. 1, S. 14-21. PRIES, MARTIN (2005): New York und der 11. September – drei Jahre danach. In: Geographische Rundschau 57, H. 1, S. 4-12. PRIES, MARTIN (2001): Wiederentdeckung der Downtown NY / Lower Manhattan. In: Geographische Rundschau 53, H. 1, S. 26-32. SCHNEIDER-SLIWA, RITA (1999): Nordamerikanische Innenstädte der Gegenwart. In: Geographische Rundschau 51, H. 1, S. 54-61. www.downtownny.com, Stand 08.05.2009. www.downtownny.com/assets/research/Year%20In%20Review%202008-1.pdf, Stand 18.05.2009. www.downtownny.com/research/current/, Stand 08.05.2009. 89 Lena Heß, Annette Oelze [8. WOHNEN IN DOWNTOWN MANHATTAN] 90 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms 9. GROUND ZERO Von Henrik Horoschko und Anna Wilms Das durch die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001 zerstörte World Trade Center, abgekürzt WTC, war ein 1973 vollendeter Komplex aus sieben Gebäuden im Stadtteil Lower Manhattan in New York City. Die Tower 1 und 2 bildeten als markante Wolkenkratzer die „Twin Towers“ und waren mit 415 m und 417 m auf 110 Etagen bis 1974 die höchsten Wolkenkratzer der Welt. Nach anfänglicher Ablehnung und Protesten der New Yorker Bürger gegen den „schmucklosen“ Baustil der Türme wurden sie schnell zum Orientierungspunkt gen Süden und zum Symbol New Yorks, der Macht, der Moderne und des Geldes. Im Englischsprachigen bezeichnet Ground Zero den Punkt an der Erdoberfläche, auf dem oder über dem eine Bombenexplosion seine größte Kraft entfaltet. „Zero“ steht dabei für den Abstand zum Detonationsschwerpunkt. Da der Anblick nach den Einstürzen dem einer Bombenexplosion glich, wurde die Fläche „Ground Zero“ genannt (vgl. Abb. 9.1). Abb. 9.1: Baustelle Ground Zero im Februar 2009.168 Lage Die Gebäude des ehemaligen WTC waren um einen fast quadratischen Innenhof gruppiert, die World Trade Center Plaza. Das WTC wurde von der Church Street und West Street sowie der Liberty Street und Vesey Street umschlossen. In der Mitte der Westfront stand der Nordturm, das 1 World Trade. Vom WTC 6 führte eine Fußgängerbrücke zum gegenüberliegenden Financial Center mit seinem „Winter Garden“. Von diesem aus hat man heute die Möglichkeit, auf „Ground Zero“ und die Baustelle des zerstörten WTC zu blicken. Südlich des WTC 1 schloss sich das Marriott Hotel im WTC 3 an; die Gebäude 4, 4, 5 und 6 schlossen das Quadrat 168 Quelle: Wilms, A. (2009), eigene Aufnahme. 91 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] nach Osten. Sie entsprachen mit einer Höhe von 7 Stockwerken der in Manhattan üblichen Straßenrandbebauung. Das 7 World Trade Center (Vesey Street / Ecke Washington Street und West (Broadway) wurde als ein Gebäude im Komplex des World Trade Centers zwischen 1984 und 1987 errichtet und im März 1987 mit einer Bürofläche von 174 000 m² eröffnet. Der Entwurf stammte vom Architekturbüro Emery Roth & Sons. Es stand außerhalb des eigentlichen World Trade CenterVierecks nördlich der Vesey Street. Es hatte 47 Stockwerke bei einer Höhe von 174 m. Die Verwaltung des World Trade Centers vermietete Büroflächen unter anderem an Finanz- und Versicherungsunter-nehmen und Regierungseinrichtungen. Abb. 9.2: Lageplan des World Trade Center.169 Neben Bankengesellschaften wie Salomon Smith Barney und American Express Bank International waren Versicherungsunternehmen wie die ITT Hartford Insurance Group oder First State Management Group in dem Gebäude untergebracht. Außerdem arbeiteten in dem Hochhaus unter anderem die Strafverfolgungsbehörde United States Secret Service sowie die Central Intelligence Agency (CIA) und das US-Verteidigungsministerium. Terroranschläge von 1993 und 2001 Am 26. Februar 1993 wurde das World Trade Center erstmals Ziel eines Anschlags islamistischer Terroristen. Diese hatten einen Van mit einer TNT Sprengstoffladung in der Tiefgarage des Nordturms abgestellt, der durch die Explosion ein 30 m großes Loch in vier der sechs Untergeschosse riss. Weite Teile um den Bereich der Zwillingstürme wurden zerstört und sechs Menschen getötet. Der Anschlag sollte nach Aussagen des Hauptattentäters noch größere Ausmaße annehmen und den Nordturm zum Einsturz bringen. Am 11. September 2001 wurde der zweite Terroranschlag auf die Zwillingstürme verübt. Islamistische Terroristen steuerten zwei entführte Passagierflugzeuge des Typs Boeing 767 im Abstand von wenigen Minuten auf je einen der Türme. Das Stahlkorsett der Konstruktionen wurde durch die enorme Hitze von über 1 000 Grad Celsius, verursacht durch brennendes Kerosin und Kunststoffe, so stark geschwächt, dass die Bauwerke unter der eigenen Last senkrecht in sich zusammenfielen. Einige Geschosse brachen auch schon vorher teilweise in sich zusammen. Diese Zusammenstürze zerstörten die gesamte Fläche des World Trade Centers mit den sich darauf befindenden Bürogebäuden, dem Marriott Hotel im Tower 3, dem 169 Quelle: www.renewnyc.com, Stand 28.09.2009. 92 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms PATH Terminal und der Subway Station. Die Grundstücke, die an die Südseite des Geländes angrenzen, wurden ebenfalls beschädigt oder zerstört, darunter die Deutsche Bank in der 130 Liberty Street und die St. Nicholas Church an der 155 Cedar Street. Knapp 3 000 Menschen wurden unter den Trümmern begraben, 343 New Yorker Feuerwehrmänner verloren ihr Leben bei tagelang andauernden Rettungsaktionen. Die Aufräumarbeiten dauerten bis zum Mai 2002 an. Der Großteil der Trümmer kam auf die Bauschuttdeponie Fresh Kills auf Staten Island des Bundesstaates New York.170 Der Wiederaufbau des World Trade Centers Bereits kurz nach den Anschlägen am 11. September 2001 begannen Überlegungen zur Neubebauung der Fläche. Am 30. Mai 2002 wurden die Aufräumarbeiten endgültig abgeschlossen und es begannen die Rekonstruktionsarbeiten. Der Wiederaufbau beinhaltet einen Mix aus kommerziellen, öffentlichen und kulturellen Plätzen und Flächen mit einer Gedenkstätte, einem Museum und einem Besucher-Orientierungszentrum im Herzen des Geländes. Das Gelände ist in das eigentliche WTCGelände, einen Südteil und in ein Nordgelände unterteilt. Das World Trade CenterGelände mit den Türmen eins bis vier, dem Performing Arts Center, dem Memorial und der PATH Station ist nördlich von der Vesey Street / Ecke West Street bis zur Vesey Street / Ecke Church Street und südlich von der Liberty Street / Ecke Church Street im Westen und Liberty Street / Ecke West Street im Osten begrenzt. Der angrenzende Südteil ist im Norden durch die Liberty Street und im Osten durch die Greenwich Street abgegrenzt. Südlich begrenzt die Albany Street das Südgelände bis zum östlichen Bordstein der Washington Street und folgt dieser bis zur Cedar Street. Westlich entlang der Cedar Street bis zur Ecke West Street / Route A und Abb. 9.3: Redevelopment Plan World Trade Center Memorial.171 dann Richtung Norden bis zur Liberty Street wird der Südteil abgeschlossen. Der Nordteil grenzt unmittelbar an das WTC Gelände an. Im Westen wird er begrenzt durch die Vesey Street / Ecke Washington Street. Von der Barclay Street / Ecke Washington Street bis zur Ecke West Broadway verläuft die nördliche Grenze des Geländes. Die Vesey Street schließt den Nordteil im Süden wie auf dem „Redevelopment Plan“ zu sehen. Das ursprüngliche alte 7 World Trade Center unterbrach den Verlauf der Greenwich Street Richtung Norden. 170 171 Vgl. www.renewnyc.de. Quelle: www.renewnyc.de, Stand 28.09.2009. 93 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] Die Pläne der Neubebauung sehen vor, die Greenwich Street und damit auch den gesamten Nordteil in das World Trade Center Gelände zu integrieren. Die Pläne der LMDC sehen dabei den Zugang über die Greenwich Street sowohl für Fußgänger als auch für motorisierte Fahrzeuge vor. Das World Trade Center wird viele verschiedene und differenzierte Einzelhandelsgeschäfte beheimaten, die sowohl Besucher als auch Arbeiter aus Downtown und Nachbarstadtteilen anziehen sollen. LMDC Die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC) wurde nach den Angriffen vom 11. September im November 2001 gegründet, um den Wiederaufbau von Lower Manhattan zu planen. Sie verteilten fast 10 Mrd. US$ in Form von Bundes-Fonds, die sich ausschließlich an den Wiederaufbau der Innenstadt von Manhattan richten. Diese Organisation wurde von Gouverneur George Pataki und dem damaligen Bürgermeister gegründet. Da die LMDC nicht Eigentümer des WTC ist, gibt es oft Probleme bei der Planung mit der Port Authority und Larry Silverstein. Die LMDC wird finanziert durch eine Auszahlung der Community Development Block-Grants in Höhe von 2,783 Mrd. US$, die von der Bundesregierung im Anschluss an die 9/11 Anschläge und den daraus resultierenden Zerstörungen von Lower Manhattan die wirtschaftliche und strukturelle Basis des Stadtteils ruinierten. Aktuell sind die zentralen Aufgaben der LMDC, Anstrengungen über die Errichtung einer dauerhaften Gedenkstätte für die Opfer des 11. September und die Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Institutionen, um das Gelände des WTC neu zu entwickeln. Das sog. „Memorial and Cultural Program“, dessen Bau 2006 begann, beinhaltet die Planung, Auswahl und Koordination sowie die Konstruktion einer Gedenkstätte und eines Museums. Sie ist auch dafür zuständig, den Neuaufbau der kommerziellen Büroflächen und Ladenflächen, Konferenzcenter und Hotels um kulturelle Angebote zu ergänzen. Diese Planungen erfolgen in Zusammenarbeit mit der Port Authority. Dabei ist die LMDC für die Umsetzung der erinnernden und kulturellen Nutzungen, die das Memorial Programm umfasst, und die Port Authority für den Einzelhandel, die Konferenzcenter und Hoteleinrichtungen und die Infrastruktur verantwortlich. Port Authority Die Port Authority of New York and New Jersey (PANYNJ) ist die seit 1921 gemeinsame Hafenbehörde der US-Bundesstaaten New York und New Jersey. Die Aufgaben der Behörde umfassen neben dem Betrieb der Häfen in den beiden Bundesstaaten auch viele regional bedeutsame Verkehrsinfrastrukturen wie Brücken, Fähren und Fährstationen, Tunnel, den Betrieb der drei Flughäfen von New York City (JFK International Airport, La Guardia Airport und Newark Liberty International Airport) und der U-Bahnlinie Port Authority Trans-Hudson. Die Port Authority of New York and New Jersey ist Eigentümer des „Ground Zero“ Grundstücks in Lower Manhattan. Im Juli 2001 verpachten sie das Grundstück des World Trade Centers für 3,5 Mrd. US$ an Silverstein Properties für 99 Jahre. Als Grundstückseigentümer planen sie seit Ende 2001 den Wiederaufbau des World Trade Centers in Kooperation mit Silverstein Properties und der Lower Manhattan Development Corporation.172 172 Vgl. www.panynj.gov. 94 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms Silverstein Properties Silverstein Properties (SPI) wurde im Jahr 1957 von Präsident Larry Silverstein gegründet. Silverstein Properties ist eine der aktivsten und angesehensten Immobilienfirmen und Investoren in New York. SPI entwickelte, besitzt und verwaltet mehr als 24 Mio. m² Handels-, Wohn- und Einzelhandelsflächen im Nordosten der USA, Mid-Atlantic, Michigan und Florida. Im Juli 2001 erwirbt die SPI das 10 Mio. quadratfuß große Areal des WTC durch einen 99 Jahre dauernden Pachtvertrag. Die Port Authority New Yorks und New Jerseys bleiben weiterhin Eigner des Grundstücks, und Silverstein erhält die Nutzungsrechte. Nur sechs Wochen später wurden die Twin Towers und somit das gesamte Areal durch die Terroranschläge zerstört. Mit dem Wiederaufbau möchten sie mit dem neuen World Trade Center ein Geschäftszentrum von Weltrang entstehen lassen. Das derzeitige Portfolio von SPI umfasst: 7 World Trade Center, 120 Broadway, 120 Wall Street, 529 Fifth Avenue, 570 Seventh Avenue, 575 Lexington Avenue, 1177 Avenue of the Americans. Sich in der Entwicklung befindliche Immobilien sind drei Bürotürme auf dem World Trade Center Areal, ein Four Seasons Hotel im Tower 5 und Wohnungen in Downtown Manhattan und die Silver Towers, eines der größten MietWohn-Entwicklungen in New York. Mit ca. 10 Mrd. US$ sind es die größten Privatinvestitionen, die jemals getätigt wurden. Silverstein Properties ging eine Partnerschaft mit der Kette Four Seasons Hotels ein, um das zweite Four Seasons Hotel in New York und das erste 5 Sterne Hotel in Downtown Manhattan zu errichten. Das geplante Four Seasons Hotel mit anliegender Wohnresidence am 30 Park Place wird von dem Architekten Robert AM Stern entworfen. Dieses Projekt erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Wiederaufbau des WTC. Das 80 Stockwerke hohe 5 Sterne Hotel wird 175 Zimmer und 143 Dauerappartements umfassen. Auf vier Etagen befinden sich die öffentlichen Einrichtungen wie Lobby, Lounges, Restaurants, Säle, Konferenzräume, Grünflächen sowie ein Spa und Fitness Center. Die Fertigstellung soll 2010 erfolgen. Dann wird es nach Aussagen von Silverstein das höchste Wohngebäude New Yorks sein. Die umliegenden Stadtviertel Das Gelände des World Trade Centers ist umgeben von verschiedensten Stadtteilen, jedes mit ganz unterschiedlichen Charakteren. Tribeca im Norden entwickelte sich bereits mit Errichtung des ersten 1 World Trade Centers, unter dem Umbau von Kaufhäusern und Bürogebäuden zu Lofts, zu einem der exklusivsten Wohngebiete Manhattans. Im Süden befindet sich der Greenwich Süd Distrikt. Hier stehen dagegen B und C Klasse Bürogebäude. Einige von ihnen werden von privaten Investoren zu Wohnhäusern umfunktioniert. Im Osten liegt der Fulton Corridor, ein Einkaufsbezirk, der langsam zu einem Wohnbezirk umgewandelt werden soll. Die Wall Street und der alte Finanzkern befinden sich südöstlich des World Trade Centers. Im Westen ist „Ground Zero“ begrenzt durch die Route 9A / West Street, dem State Highway, die direkt am Hudson River vorbeiführt. 95 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] Erste Vorschläge für die Neubebauung Kurz nach diesen Anschlägen vom 11. September 2001 wurden bereits Pläne zur Neubebauung des Areals bei der Port Authority New York und New Jersey eingereicht. In den darauf folgenden Monaten hielten zahlreiche Architekten und Landschaftsplaner Meetings, um den Wiederaufbau zu planen und zu diskutieren. Verschiedenste Entwürfe für den Neubau wurden sowohl von Architekten als auch von Künstlern eingereicht. Im Januar 2002 wählte der New Yorker Galerist Max Protetch 50 der eingereichten Konzepte aus und stellte sie in der Chelsea Art Gallery aus. Im April 2002 beauftragte die LMDC 24 New Yorker Architekturbüros mit dem Wiederaufbau des Ground Zero. Dieser Auftrag wurde schnell wieder zurückgezogen und Beyer Blinder Belle mit der Planung für Ground Zero beauftragt. Im Juli 2002 präsentieren die LMDC und Port Authority sechs Entwürfe für die Bebauung des World Trade Center - Geländes. Sie sollen in erster Linie die öffentliche Diskussion der einzelnen Elemente anregen und beschränken sich deshalb nicht nur auf das Gebiet der Twin Towers, sondern beinhalten die gesamten 13 Hektar zwischen World Financial Center im Westen, Deutsche Bank an der Liberty Street im Osten, Century 21 und Liberty Plaza an der Church Street im Süden und Barclay Street im Norden. Alle Entwürfe enthalten die folgenden Elemente: • • • • • • • • • ein dauerhaftes Denkmal öffentliche Freiflächen 1 Mio. m² Bürofläche 56 000 m² Hotelfläche 56 000 m² Verkaufsfläche Anlagen für die Verkehrsanbindung an New York und New Jersey kulturelle und öffentliche Anlagen die wieder aufgebaute griechisch-orthodoxe Kirche St. Niklaus Wohnsiedlungen außerhalb des World Trade Center-Geländes Im Juli 2002 werden sechs vorgestellte Konzepte von 5 000 New Yorkern mit „poor“ und somit als nicht angemessen bewertet. Aufgrund dieser Reaktionen der Bevölkerung auf die ersten sechs eher schwachen Entwürfe wurde im August 2002 ein neues Pflichtenheft für den Wiederaufbau von Lower Manhattan erstellt. Es beinhaltet folgende neue Punkte: • • • • Die Grundrisse der Twin Towers sollen nicht wiederbebaut werden, sondern eine Gedenkstätte soll auf diesen errichtet werden. Es soll ein neues markantes, hohes Wahrzeichen in der Skyline von Manhattan geschaffen werden. Die Verbindungen innerhalb von Lower Manhattan sollen verbessert werden. Es soll eine Promenade entlang der West Street gebaut werden. Danach rief die LMDC eine neue internationale Design Competition für das WTC ins Leben. Diese bringt in Zusammenarbeit mit 21 Architekten, Ingenieuren, Landschaftsplanern und Design Organisationen und im Hinblick auf die neuen New Yorker Visionen sieben Halbfinalisten hervor. Neben Foster und Partner, dem THINK Team, Skidmore, Owings und Merrill treten auch der Berliner Architekt Daniel Libeskind in den Wettbewerb um den Master Plan für das neue World Trade Center ein. Die Entwürfe der Halbfinalisten werden im Dezember 96 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms 2002 im „Winter Garden“ des Financial Financial Center vorgestellt. Im Februar 2003 wählt die LMDC „THINK“ und Studio Daniel Libeskind als die zwei Finalisten aus. Als Gewinner geht schließlich das Studio Daniel Libeskind mit dem Entwurf „Memory Foundations“ (vgl. Abb. 9.3) hervor. Abb. 9.3: Entwurf World Trade Center vom Studio Daniel Libeskind.173 Daniel Libeskind Daniel Libeskind ist ein international renommierter Architekt und Stadtplaner. Er ist bekannt für einen neuen kritischen Diskurs in der Architektur und für seinen multidisziplinären Ansatz. Sein Schaffen reicht von größeren kulturellen und öffentlichen Einrichtungen, kommerziellen Projekten, wie Einkaufszentren und Kaufhäusern, über groß angelegte Generalplanungsprojekte bis hin zu Bühnendesign, Installationen und Ausstellungen. Er wurde 1946 in Polen geboren und nahm 1965 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Er studierte Musik in Israel (mit einem Stipendium der America-Israel Cultural Foundation) und in New York, wird im Anschluss professioneller Musiker und wechselt wechselt später von der Musik zur Architektur. 1970 schließt Libeskind sein Architekturstudium an der „Cooper Union for the Advancement of Science and Art“ in New York City ab und erlangt zwei Jahre später einen Postgraduierten-Abschluss in Architekturgeschichte Architekturgeschichte und Architekturtheorie an der „School of Comparative Studies“ in Essex. Seine Praxis in der Architektur beginnt mit dem Bau des Jüdi173 Quelle: z.about.com/d/architecture/1/0/T/H/libeskind01.jpg, z.about.com/d/architecture/1/0/T/H/libeskind01.jpg, Stand 28.09.2009. 97 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] schen Museums Berlin, einem Wettbewerb, den er 1989 gewinnt. Von 1989 bis 2002 lebt und arbeitet er in Berlin. Mit dem Auftrag, den Masterplan für das World Trade Center zu erstellen, entschließt sich Daniel Libeskind im Frühjahr 2003, sein Büro von Berlin nach New York zu verlegen. Als Grund für den Umzug nennt er später die Wichtigkeit vor Ort und somit präsenter zu sein. Durch den Masterplan und neue Projekte in New York, auch außerhalb des Wohnungsbaus, verschafft sich das Büro Daniel Libeskind eine neue Wahrnehmung in der Welt. Es folgen zunehmend Aufträge aus Asien und Singapur sowie einige größere Projekte von Wolkenkratzern. Das Büro erfährt einen grundlegenden Wandel durch den Umzug nach New York. Die aktuellen Projekte umfassen unter anderem: • • • das Contemporary Jewish Museum in San Francisco, California das Creative Media Center in Hong Kong ein Dream Hub im Yongsan International Business District in Seoul, South Korea (vgl. Abb. 9.4) Abb. 9.4: Designvorschlag „Dream Hub“ in Seoul, South Korea.174 • die Wohnanlage „Reflections“ in Keppel Bay, Singapur (vgl. Abb. 9.5) Abb. 9.5: Wohnanlage „Reflections“ in Keppel Bay, Singapur.175 174 175 Quelle: www.daniel-libeskind.com/projects, Stand 28.09.2009. Quelle: www.daniel-libeskind.com/projects, Stand 28.09.2009. 98 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms • New York Tower, New York, USA : ein Designvorschlag für ein New Yorker Wohngebäude nahe dem Madison Square Garden (vgl. Abb. 9.6) Abb. 9.6: Designvorschlag für ein New Yorker Wohngebäude.176 Der Master Plan von Studio Daniel Libeskind Bei unserem Treffen mit Stefan Blach in New York und einem Besuch des Studios von Daniel Libeskind im Februar 2009 bekamen wir einen Einblick in die Arbeit des Architektenteams. Wir erfuhren, dass ein Masterplan oftmals missverstanden und als Architekturentwurf gesehen wird. Vielmehr legt ein Masterplan Details wie die Höhe einzelner Gebäude, die jeweiligen Entfernungen zur Straße, die Dachneigung und Asymmetrien sowie die Anordnungen zueinander fest, so Stefan Blach. Der Masterplan von Daniel Libeskind legt mit seinem Entwurf „Memory Foundations“ also genau diese Details fest und hat mit dem gewusst gewählten Bezug zur Liberty und der Anordnungen der Gebäude zueinander großen Erfolg gehabt. Der Freedom Tower steht als das zentrale Element des Entwurfs. Die Idee eines Parks in der Luft (Gardens of the World) gilt dabei als vollkommen neu in den Entwürfen Libeskinds. Sie bilden als vorgehängte Gärten die Außenfläche der Büros. Diese Idee, die Stefan Blach auch als „Freiheit im Bunker“ bezeichnet, wurde in New York stark diskutiert. Seine Idee gilt als provokant, zumal Libeskind keinerlei Erfahrungen im Bau von Wolkenkratzern hatte. Für die beteiligten Architekten der „Memory Foundations“ war es ein Ausdruck, sich nicht „unterkriegen zu lassen“. Trotz enormen Widerstandes gegen die Entwürfe Libeskinds hatte er immer noch Hoffnung auf die eigene Gestaltung des Freedom Towers, erfuhren wir bei unserem Besuch. In der Regel ist es normal, dass der Masterplaner wenigstens ein Gebäude 176 Quelle: www.daniel-libeskind.com/projects, Stand 28.09.2009. 99 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] aus dem Entwurf selber umsetzt, so Stefan Blach. Da der Pächter Larry Silverstein aber von Beginn an gegen die „luftigen“ Entwürfe Libeskinds war, und der Freedom Tower als seine finanzielle Haupteinnahmequelle gilt, die er mit möglichst viel vermietbarer Bürofläche ausstatten wollte, wurde Libeskind schnell an den Rand gedrängt. Heute besteht die Aufgabe des Architekturbüros von Libeskind ausschließlich darin, den Bau und die einzelnen Entwürfe verschiedener Architekten zu prüfen und zu überwachen. Seit mehr als 5 Jahren realisiert nun das Studio Daniel Libeskind in Koordinierung mit der Port Authority von New York und New Jersey, der Lower Manhattan Development Corporation, Skidmore, Owings und Merrill, Foster and Partners, Maki and Associates, Richard Rogers Partnership und Santiago Calatrava die „Memory Foundations“ (vgl. Abb. 9.7). Abb. 9.7: Memory Foundations.177 Zusätzlich zu dem Freedom Tower, der von David M. Childs (vgl. Abb. 9.8) aus dem Architekturbüro von Skidmore, Owings und Merrill entworfen wurde, und der von Santiago Calavatra designten Transportation Hub sind vier weitere Türme und eine beeindruckende Gedenkstätte „Reflecting Absence“ in Planung. Abb. 9.8: Freedom Tower von David M. Childs.178 177 178 Quelle: www.daniel-libeskind.com/projects/show-all/memory-foundations/, Stand 28.09.2009. Quelle: www.thecityreview.com/nwwtc1.jpg, Stand 28.09.2009. 100 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms Die World Trade Center Towers Der Wiederaufbau beinhaltet einen Mix aus kommerziellen, öffentlichen und kulturellen Plätzen und Flächen mit einer Gedenkstätte im Herzen des Geländes. 7 World Trade Center Das 7 World Trade Center ist das erste große Projekt des Wiederaufbaus. Nach knapp vier Jahren Bauzeit wurde das 228 m hohe und 52 Stockwerke umfassende Gebäude 7 unter dem Design von Skidmore, Owings und Merrill im Mai 2006 fertiggestellt (vgl. Abb. 9.9). Da es nicht zum offiziellen Masterplan der WTC Site gehört, konnte der Bau 2002 ohne Verzögerungen beginnen. Die nunmehr sicherheitstechnischen Anforderungen waren enorm. In den USA gilt das 7 World Trade Center augenblicklich als der sicherste Wolkenkratzer. Alle Stockwerke, bis auf die obersten Zehn, sind vermietet. Somit ist das 7 World Trade Center zu mehr als 80 % belegt und an verschiedene Gruppen von Mietern vergeben.iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii Abb. 9.9: 7 World Trade Center, fertiggestellt 2006.179 Unter anderem an die Moody‘s Corporation, die ihr Headquarter hierher verlegte, die Kanzlei Darby & Darby, Mansueto Ventures (Herausgeber von Fast Company Inc. und Zeitschriften), an die New Yorker Akademie der Wissenschaften, die Deutsche Bank und die West LB. Viele Unternehmen sind von Midtown nach Downtown gezogen und haben ihre Räume hier gemietet. Die Fläche des neuen World Trade Centers inklusive des 7 World Trade Centers wird die gesamte durch die Terroranschläge ruinierte Greenwich Street restaurieren und den Financial District mit Tribeca wieder zusammenführen. Mit Fertigstellung wird die Downtown Skyline sieben glänzende neue Office Towers präsentieren, die 14 Mio. square feet der 1 A Büroflächen einnehmen werden. Freedom Tower Der Freedom Tower wird in Anlehnung an die Unabhängigkeitserklärung von 1776 die symbolträchtige Höhe von 1776 Fuß erreichen. Der eigentliche Turm wird 1362 feet hoch sein und damit so hoch wie der originale WTC Südturm. Eine erleuchtete Antenne wird in der Mitte des Towers errichtet und die symbolische Höhe von 1776 feet erreichen. Der Freedom 179 Quelle: Wilms, A. (2009), eigene Aufnahme. 101 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] Tower verkörpert eine enorme Anzahl an Merkmalen, die ihn nach Aussagen der LMDC beispiellos macht in Zeiten erhöhter Sicherheits- und Schutzbedürfnisse. Um diese Sicherheit zu erhöhen, haben David Childs und sein Team den Grundstein des Gebäudes auf eine 200 feet große Fläche reduziert. Damit steht der Tower 90 feet von der West Street entfernt und lässt mehr Platz für öffentliche Flächen und Sicherheitseinrichtungen. Wie bereits erwähnt, sah der ursprüngliche Entwurf von Daniel Libeskind vor, in den obersten Stockwerken sog. „Gardens of the World“ anzulegen. Diese sollten die verschiedenen Klimazonen wie Taiga, Tundra oder Sahara beinhalten. Daneben war ein „Keil des Lichts“ geplant, ein Platz, der jedes Jahr am 11. September in dem Zeitraum zwischen 8.46 Uhr, als das erste Flugzeug einschlug, und 10.28 Uhr, als der zweite Turm einstürzte, schattenfrei und mit Licht erfüllt sein sollte. Daneben waren Wasserfälle geplant. Unmittelbar nach der Auftragsvergabe 2003 mit dem Bau des Freedom Towers war Daniel Libeskind schon ins Spannungsdreieck zwischen LMDC, der Port Authority von New York und New Jersey und den Pächter Larry Silverstein geraten. Am 16. Juli 2003 wird überraschend bekannt, dass das Studio Daniel Libeskind (Berlin) den Wiederaufbau nicht leiten darf. Chefarchitekt und Projektleiter wird stattdessen David Childs. Hinter der Entscheidung steht der ungelöste Konflikt zwischen der Port Authority auf der einen und Larry Silverstein auf der anderen Seite. Während sich die Port Authority dem Libeskind-Entwurf und der öffentlichen Meinung verpflichtet fühlt, ist Silverstein v. a. daran interessiert, seinen derzeit nur virtuellen Besitz möglichst bald wieder profitabel zu machen. Nach der Überarbeitung des Entwurfs von Libeskind durch Childs (vgl. Abb. 9.10) ist vom eigentlichen Design kaum mehr etwas übrig: Das „luftige“ Design wird durch einen 77 Stockwerke hohen gläsernen Wolkenkratzer ersetzt, der auf einem 60 m hohen Betonsockel stehen wird. In Höhe des Nordturms wird der Freedom Tower ein Observation Deck haben. Im September 2008 berichtete die New Yorker „The Sun“ darüber, dass die Port Authority im August das Erreichen der Stahlkonstruktionen über Straßenhöhe feierte. Eine chinesische Immobiliengesellschaft hat zudem laut Presseberichten kürzlich Verträge über die Pacht von fünf Etagen unterzeichnet, und die Port Authority bewertet Vorschläge für ein Restaurant, das im 100. und 101. Stockwerk entstehen soll. Abb. 9.10: Der Freedom Tower aus Sicht der Upper Bay.180 180 Quelle: www.focus.de/.../freedom-tower_did_12386.html, Stand 28.09.2009. 102 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms Tower 2 Der Tower 2 an der 200 Greenwich Street / Ecke Vesey Street und östlich des Freedom Towers wird von Lord Norman Foster designt und wird mit 78 Stockwerken eine Höhe von 1254 feet erreichen. Durch seinen kreuzförmigen Kern und sein diagonales Dach, das sich in Richtung der Memorial Plaza neigt, wird er innerhalb der Anordnung herausragen. Es werden 60 Etagen mit Büroflächen besetzt werden, vier mit gewerblichen Einrichtungen. Der Tower 2 erscheint, als bestehe er aus vier schmalen Blöcken, die sich in Form eines Diamanten schließen. Das Glasdach beginnt mit seiner Neigung bereits im 59. Stockwerk, so dass mit der Morgensonne die Gedenkstätte beleuchtet werden wird. Die diagonale Silhouette passt außerdem in das Konzept „Keil des Lichts“ von Libeskind. Tower 3 Der von Richard Rogers Partnership designte Tower 3 an der 175 Greenwich Street befindet sich im Zentrum der Gebäude des WTC Geländes. Er steht zentral gelegen gegenüber der Footprints der Gedenkstätte, die die Hauptachse der Anordnung bilden. Das Design des Towers betont diese zentrale Position und setzt durch die Höhe von 71 Stockwerken als dritthöchstes Gebäude einen weiteren Akzent. Es wird 1155 feet über Null in die Höhe ragen und 54 Büroetagen auf 2,1 Mio. square feet bereit stellen. Tower 4 Designt von Maki und Partnern wird Tower 4 mit 61 Stockwerken und 947 feet über Null der vierthöchste Turm auf dem WTC Gelände. Die Büroflächen auf 53 Etagen beginnen ab 139 feet, und zwei Drittel davon werden durch die Port Authority von New York und New Jersey belegt werden. Im Erdgeschoss, drei Etagen darüber und zwei darunter werden sich Flächen für den Einzelhandel befinden. Von diesen besteht ein Zugang zur PATH Station und der Transportation Hub. World Trade Center Transportation Hub Von zentraler Bedeutung für die Revitalisierung von Lower Manhattan ist die Sanierung der öffentlichen Verkehrsmittel. Mit fünf Millionen zu erwartenden Besuchern pro Jahr und der wachsenden Zahl an Bewohnern in Lower Manhattan soll ein verbessertes Verkehrssystem geschaffen werden. Die WTC Transportation Hub wird Verkehrsknotenpunkt und erinnert mit dem Design an einen auf der Straße sitzenden Vogel kurz vor dem Flug. Calatrava sagte über seinen Entwurf, er ähnelte einem Vogel, der aus einer Kinderhand freigegeben würde (vgl. Abb. 9.11). Das Dach sollte im ursprünglichen Entwurf beim Öffnen Licht und Luft in den innen liegenden Raum bringen. Aus Sicherheitsgründen wurde das Design modifiziert, bringt aber weiterhin Licht in die 60 Fuß unter der Erde liegenden Bahnsteige der PATH. Mit Fertigstellung soll eine unterirdische Verbindung zwischen dem World Financial Center und der Subway Station „Fulton Street Transit Center“ entstehen. Durch diese werden Fußgänger Zugang zum Hudson River Fährterminal, den PATH Zügen, 13 U-Bahnlinien und möglicher103 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] weise eine direkte Zugverbindung zum JFK International Airport haben. Die WTC Transportation Hub wird eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung eines nahtlosen Transfers für eine große Anzahl von Pendlern darstellen. Abb. 9.11: Entwurf des World Trade Center Transportation Hub von Santiago Calatrava.181 Memorial „Reflecting Absence“ Bereits im April 2003 begann die öffentliche Ausschreibung für den Entwurf eines Mahnmals zu Ehren der Opfer der terroristischen Anschläge auf das World Trade Center vom 11. September 2001 und 26. Februar 1993. Für die Designer gab es von der Bauplanungs- und Entwicklungsgesellschaft, der LMDC, folgende Vorgaben: • • • Jedes Opfer der Anschläge in New York City, Washington und Pennsylvania musste namentlich gewürdigt werden. Zudem sollten in den Plänen für die Familienangehörigen genügend Rückzugsräume und eine Ruhestätte für die nicht identifizierten sterblichen Überreste berücksichtigt werden. Wichtigste Auflage war es jedoch, den Grundriss der beiden Türme in seiner ursprünglichen Form sichtbar zu erhalten. Am anonymen Auswahlverfahren beteiligten sich insgesamt 5 201 Bewerber aus 63 Ländern. Aus den zahlreichen Vorschlägen wählte eine unabhängige Jury aus 13 Mitgliedern im November 2003 acht Favoriten aus. In der Jury sind unter anderem Künstler, Architekten, Geschäftsleute, politische Repräsentanten sowie Familienangehörige, Anwohner und Beamte vertreten. Im Januar 2004 wurde schließlich der Gewinner des Wettbewerbs bekannt gege181 Quelle: www.lowermanhattan.info/news/world_trade_center_transportation_63250.aspx, Stand 28.09.2009. 104 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms ben: Der Entwurf „Reflecting Absence“ (Spiegelung des Abwesenden) stammt vom amerikanischen Architekten Michael Arad, der für die New Yorker Baubehörde tätig ist und zuletzt an der Konstruktion von zwei Polizeistationen beteiligt war. Neben Arad sind noch der Landschaftsplaner Peter Walker und der Architekt Max Bond am Projekt beteiligt. Michael Arad arbeitete als Architekt für die „NY Housing Authority“, als er „Reflecting Absence“ designte. Der Entwurf sieht vor, dass an der Oberfläche von „Ground Zero“ ein großer Park entsteht. Dort, wo früher die beiden „Fußabdrücke“ des ehemaligen World Trade Centers das Fundament der Zwillingstürme bildeten, werden nun zwei große, unterirdische Wasserbassins an die Opfer der Terroranschläge erinnern (vgl. Abb. 9.12). aaaaaaaaa aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa a Abb. 9.12: Entwurf der Footprints am Ground Zero Memorial.182 Insgesamt erstreckt sich das Mahnmal über drei Ebenen, dem Plaza Level, dem Memorial Hall Level und dem Bedrock Level. Sie wird nur für Fußgänger zugänglich sein. Auf dem Plaza Level, zu erreichen über zwei Zugänge, entsteht eine ausgedehnte Parkanlage mit Baumgruppen, Lichtungen, Gesträuch und Moosbeeten (vgl. Abb. 9.13). Abb. 9. 13: Entwurf des Plaza Level des Mahnmals „Reflecting Abscence“.183 Der grüne Stadtgarten, der Platz für 5 000 Menschen bietet, ist symbolisch als Bekräftigung des Lebens zu verstehen. Zwei große, rechteckige Hohlräume erinnern an die Fundamente der zerstörten Zwillingstürme und deren Verlust. Über zwei abschüssige, 200 m lange Rampen gelangt man weiter vom Stadtgarten in die Memorial Hall. Die Memorial Hall führt die Besucher weg vom lebendigen Alltag, der sich im Park abspielen wird. Es wird besinnlicher und ruhiger unter der Oberfläche auf insgesamt 10 000 m². 182 183 Quelle: www.renewnyc.com/ThePlan/memorial.asp, Stand 28.09.2009. Quelle: www.renewnyc.com/ThePlan/memorial.asp, Stand 28.09.2009. 105 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] Der Mittelpunkt dieser Ebene sind die zwei mit Wasser gefüllten Bassins, die durch zahlreiche Grotten, Gänge und Tunnel verbunden werden (vgl. Abb. 9.14). Um die äußeren, hüfthohen Wände der Pools, welche die originalen „Fußabdrücke“ der Twin Towers abgrenzen, sind die 2 980 Namen der Opfer in zwei Galerien aus Stein eingraviert. Ein Namensverzeichnis hilft den Angehörigen bei der Orientierung. Eigens vorgesehene Rückzugsräume dienen zur Reflektion und Rast. Auf dem Memorial Level (vgl. Abb. 9.15) werden zudem in Galerien Gegenstände ausgestellt, die aus dem Schutt des World Trade Centers noch geborgen werden konnten. Vom Memorial Center aus gelangt man – mittlerweile 23 m unter der Oberfläche – zum „Bedrock“, dem Urgestein, wo einst das Fundament der Zwillingstürme lag. Abb. 9.14: Blick auf den Entwurf „Reflecting Absence“.184 Dieser Weg führt an der Flutmauer (Slurry Wall) der Twin Towers vorbei, den letzten verbliebenen Überresten des Wolkenkratzers. Sie wird von Tageslicht beleuchtet und kann von den Besuchern berührt werden. In einem Mausoleum werden zudem nicht identifizierte sterbliche Überreste aufgebahrt. Speziell für Familienangehörige sind hier auch Rückzugsräume zur Andacht und Trauer eingerichtet worden.185 Abb. 9.15: Memorial Hall.186 184 Quelle: www.architecture.about.com, Stand 28.09.2009. Vgl. www.newyork.de. 186 Quelle: www.architecture.about.com, Stand 28.09.2009. 185 106 [9. GROUND ZERO] Henrik Horoschko, Anna Wilms Neueste Entwicklungen Knapp acht Jahre nach dem Anschlag wird nun in New York darüber spekuliert, ob im Zuge der Finanzkrise das Projekt überhaupt zu einem Abschluss kommen wird. Bis das Ensemble von Hochhäusern, Parks, dem Memorial und dem Verkehrsterminal realisiert wird, werden wohl noch mindestens 15 Jahre vergehen, so eine von der Port Authority in Auftrag gegebene Studie. Wahrscheinlicher ist, dass der Plan in seiner heutigen Form nie umgesetzt wird. Der Freedom Tower, kürzlich umbenannt in 1 World Trade Center, ist das einzige Gebäude an dem momentan gebaut wird. Der Kollaps vieler amerikanischer Banken und die radikalen Kürzungen vieler Unternehmen ließen die Nachfrage an Büroraum in der Umgebung von Ground Zero zusammenbrechen. Der Markt benötigt momentan einfach nicht 700 000 m² neue Bürofläche, so ein Immobilienhändler in der New York Times. Christopher Ward, Leiter der Port Authority betont aber, dass das Memorial und die öffentliche Infrastruktur auf jeden Fall wie geplant realisiert werden sollen. Literatur- und Quellenangaben www.daniel-libeskind.com. www.lowermanhattan.info. www.newyork.de/index.cfm?PID=142072. www.panynj.gov. www.rebuildgroundzero.org. www.renewnyc.com. www.silversteinproperties.com. www.wtc.com. 107 Henrik Horoschko, Anna Wilms [9. GROUND ZERO] 108 Martin Bo Ahlers, Norman [10. ETHNISCHE SEGREGATION] Borchert, James Sanon 10. ETHNISCHE SEGREGATION Von Martin Bo Ahlers, Norman Borchert und James Sanon Im Vergleich zu europäischen Städten war und ist die ethnische Segregation in den USA deutlich ausgeprägt. Das liegt daran, dass die USA von jeher ein klassisches Einwanderungsland waren und somit Menschen vieler verschiedener Kulturen und Ethnien beheimaten. Die Einwanderungsgeschichte der USA lässt sich in verschieden Phasen einteilen. Lassen sich in den jeweiligen Phasen die Herkunftsschwerpunkte der Einwanderer unterscheiden, verbindet sie die Tatsache, dass Neuankömmlinge den Kontakt zu ihren Landsleuten suchten und in deren Nähe zogen. Die Ostküste und insbesondere New York waren vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts oftmals die erste Anlaufstelle der zu dieser Zeit hauptsächlich aus Europa stammenden Einwanderer. Vertrieben von Hunger, Kriegen und Wirtschaftskrisen wanderten zu dieser Zeit oftmals mehr als eine Million Menschen jährlich in die USA ein. Da New York zu dieser Zeit über die beste Schiffanbindung nach Europa verfügte, landete der Großteil der Einwanderer in dieser Stadt. Die meisten von ihnen hatten weder die finanziellen Mittel noch die Kraft weiterzureisen, so dass sie in New York von zuvor emigrierten Familienmitgliedern und Landsleuten in Empfang genommen wurden, die sie bei der Eingewöhnung und Orientierung unterstützten. Mangelnde Sprachkenntnisse und der ungewohnte Lebensstil erschwerten den Immigranten den Start in ihr neues Leben und begünstigten somit die Abgrenzung zu anderen Ethnien und Kulturen, wodurch die klassische Viertelbildung entstand. Es bleibt festzuhalten, dass sich dieses Phänomen durch alle Einwanderungsgruppen zog. Wie unterschiedlich sich einige Einwandererviertel im Laufe der Zeit entwickelten wollen wir anhand der Beispiele Little Italy, Harlem und Chinatown betrachten. 10.1 Little Italy Während bis ca. 1890 hauptsächlich Nord- und Westeuropäer in die USA auswanderten, verlagerte sich ab diesem Zeitpunkt das Gewicht zu Gunsten von Süd- und Osteuropäern. Etwa zwei Millionen Italiener wanderten bis 1910 in die USA ein, von denen etwa 500 000 in New York blieben. Vertrieben von der Industrialisierung waren es hauptsächlich Bauern aus dem Süden Italiens, die in den USA auf eine bessere Zukunft hofften. Diejenigen, die in New York blieben, siedelten sich im Bereich Five Points, dem heutigen Columbus Park zwischen Baxter Street und Mulberry Street, an. Sie fanden Jobs in der zu der Zeit aufblühenden Industrie New Yorks, die meisten von ihnen im Straßenbau und in der Textilindustrie. Auch innerhalb von Little Italy gab es so etwas wie ethnische Segregation. Das ging so weit, dass einzelne Straßen von Italienern einer Region und einzelne Häuser von Einwanderern eines Dorfes in Italien bewohnt wurden. Die italienischen Einwanderer bewahrten ihre Traditionen, ihre Kultur, ihre Sprache und ihren katholischen Glauben. Dieser Zusammenhalt wurde im Laufe 109 Norman Borchert [10. ETHNISCHE SEGREGATION] der Zeit immer schwächer. Wer es sich leisten konnte, verließ das Viertel, um in ein besseres Viertel zu ziehen oder in nicht wenigen Fällen auch wieder zurück nach Italien zu gehen. So kommt es, dass das ursprüngliche Little Italy immer kleiner wurde, hauptsächlich zu Gunsten des benachbarten China Town, wo, im Gegensatz zu Little Italy und vielen anderen ethnischen Vierteln aus der Einwandererzeit, der ethnische und kulturelle Zusammenhalt bis heute ungebrochen ist. Heute konzentriert sich Little Italy fast ausschließlich in der Mulberry Street. Von den etwa 390 000 zur Hochzeit in Little Italy lebenden Italienern sind heutzutage noch etwa 5 000 Italiener in Little Italy geblieben. Das italienische an Little Italy ist fast ausschließlich an den vielen italienischen Restaurants und deren übermäßigem Einsatz italienischer Flaggen zu erkennen, die durch ihr gutes Preisleistungsverhältnis eine Magnetwirkung auf New Yorker und Touristen zugleich haben. Jedes Jahr im September findet in Little Italy das San Gennaro Festival zu Ehren des Schutzheiligen von Neapel statt. Jedes Jahr strömen mehr als eine Million Besucher nach Little Italy, um diesem Spektakel beizuwohnen. Abschließend kann man feststellen, dass Little Italy heute wohl nur noch wenig vom Charme vergangener Tage versprüht und in Zukunft ständig Gefahr laufen wird, von der immer weiter expandierenden China Town gänzlich verdrängt zu werden. Literatur- und Quellenangaben BOGEN, ELIZABETH (1987): Immigration in New York. New York. HÄUßERMANN, HARTMUT, SIEBEL, WALTER (Hrsg.) (1993): New York. Strukturen einer Metropole. Frankfurt am Main. www.census.gov. 110 [10. ETHNISCHE SEGREGATION] Martin Bo Ahlers 10.2 Harlem Der New Yorker Stadtteil Harlem liegt nördlich des Central Parks und erstreckt sich vom Hudson River im Westen bis zum East River im Osten und bis zum Stadtteil Washington Heights im Norden Manhattans. Im Laufe seiner Geschichte hat Harlem viele ethnische Gruppen beheimatet und dabei starke Bevölkerungswanderungen und –schwankungen erlebt. Waren es zuerst holländische und später irische Siedler, die vorrangig Landwirtschaft betrieben, brachte die ausgebaute Bahnverbindung ab 1880 ein rasantes Bevölkerungswachstum. Harlem entwickelte sich dabei als Wohngebiet für die weiße Mittel- und Oberschicht, für die vier- bis sechsstöckige Mehrfamilien-, Stadt- und Brownstone-Reihenhäuser entstanden.187 Im späten 19. Jahrhundert zogen vermehrt Immigranten aus Italien und russische Juden in das Viertel, was dazu führte, dass die weiße Mittelschicht in die Außenbezirke abwanderte. Da die neuen Bewohner finanziell oft nicht in der Lage waren die Mieten für die hochwertigen Wohnungen zu bezahlen, kam es in der Folgezeit zur Aufteilung in kleinere Wohneinheiten sowie zu Untervermietungen, was zu einer starken Verdichtung Harlems führte. Ab der Jahrhundertwende wurde der Mietmarkt, mangels alternativer Mieter, auch der schwarzen Bevölkerung geöffnet. Gehörten 1910 nur 9,9 % der Bevölkerung Central Harlems zur schwarzen Bevölkerungsgruppe, kam es durch die anhaltende Zuwanderung afroamerikanischer Bevölkerung aus anderen Stadtteilen New Yorks, aus den Südstaaten der USA und aus der Karibik zu einem Anstieg der schwarzen Bevölkerung auf 70 % im Jahre 1930188 Andere ethnische Gruppen, wie z. B. die osteuropäischen Juden verließen Harlem gen Norden (1917: 150 000; 1930: 5 000 Bewohner).189 Durch die starke Konzentration schwarzer Bevölkerung kam es zum Aufleben von afroamerikanischer Kultur im Stadtteil, was unter dem Begriff Harlem Renaissance bekannt ist. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war Harlem ein schwarzes Ghetto (1950: 98 % schwarze Bevölkerung in Central Harlem), das durch zunehmenden Gebäudeverfall durch ausbleibende Erhaltungsmaßnahmen der Eigentümer sowie starker Überbevölkerung gekennzeichnet war. Harlem wurde zur Keimzelle der amerikanischen Black Power- und Civil Rights- Bewegung und oftmals Zentrum schwarzer Aufstände. Um auf die angespannte Wohnsituation der Bevölkerung zu reagieren, kam es in dieser Zeit zu öffentlichen Investitionen in den Wohnungsbau. Im Zuge dieser „Slum Clearance“ wurde häufig auf den Neubau von punktverdichteten Sozialbauten gesetzt. Doch trotz baulicher Investitionen verlor Harlem zwischen 1950 und 1970 mehr als 200 000 Einwohner.190 Zurück blieb eine hohe Konzentration von Haushalten mit niedrigem Einkommen, hoher Sozialhilfeabhängigkeit und Arbeitslosigkeit. Ein Abwertungsprozess mit geringen Investitionen in den Gebäudebestand, schlechter Zahlungsfähigkeit der Mieter und hoher Kriminalität kennzeichnete Harlem bis in die 1980er Jahre hinein. 187 Vgl. Matuschewski, A. (2005), S. 15. Vgl. Beveridge, A. A. (2008), S. 363. 189 Vgl. Ebd. 190 Vgl. Matuschewski, A. (2005), S. 16. 188 111 Martin Bo Ahlers [10. ETHNISCHE SEGREGATION] Seit dem befindet sich der Stadtteil in einem Gentrificationprozess.191 Neben der baulichen Aufwertung, also Gebäudesanierungen und Neubauten sowie Wohnumfeld- und Infrastrukturverbesserungen, hat Harlem auch soziale Aufwertungen durch den Zuzug statushöherer Bewohner wie z. B. Yuppies, Künstler und Studierende erfahren. Funktionale Aufwertungen wie durch die Ansiedlung neuer Geschäfte hat z. B. durch die Eröffnung des Einkauf- und Entertainment Centers „Harlem USA“ an der 125th stattgefunden.192 Darüber hinaus ist auch das kulturelle Erbe der Harlem Renaissance zu einem wesentlichen Pull-Faktor nicht nur für die Touristen, sondern auch für potenzielle Bewohner geworden.193 Literatur- und Quellenangaben BEVERIDGE, ANDREW A. (2008): A Century of Harlem in New York City: Some Notes on Migration, Consolidation, Segregation, and Recent Developments. In: City & Community, Vol. 7, Issue 4, S. 358-365. HOFFMANN, LILY M. (2003): The Marketing of Diversity in the Inner City: Tourism and Regulation in Harlem. In: International Journal of Urban and Regional Research 27, H. 2, S. 286-299. KRAJEWSKI, C. (2004): Definition Gentrification. In: Heineberg, Heinz (2000): Stadtgeographie, 3. Aufl., Paderborn, S. 20. MATUSCHEWSKI, ANKE (2005): Revitalisierung innerstädtischer Slums und Ghettos in New York City. In: Geographische Rundschau 57, H. 1, S. 14-21. 191 Vgl. Krajewski, C. (2004), S. 103. Vgl. Hoffmann, L. M. (2003), S. 292. 193 Vgl. Matuschewski, A. (2005), S. 21. 192 112 [10. ETHNISCHE SEGREGATION] James Sanon 10.3 Chinatown Geschichte der Chinesen in den USA Die erste große chinesisch-amerikanische Einwanderungswelle fand in der Zeit des kalifornischen Goldrausches um 1848 statt. In der Hafenstadt San Francisco, wo die Mehrzahl der chinesischen Migranten einreiste (vgl. Abb. 10.1), entstand in dieser Zeit die erste Chinatown auf nordamerikanischem Boden. Als Gastarbeiter kamen sie fast immer ohne ihre Frauen und Kinder, die sie durch Geldüberweisungen von Amerika aus unterstützten. Abb. 10.1: Verteilung der chinesischen Bevölkerung auf dem US-amerikanischen Land.194 Die Chinesen und die Fremdenfeindlichkeit Von Anfang an waren die Chinesen einer erheblichen Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt. Bereits in den 1970er Jahren hatten nicht nur Politiker, sondern auch Sozialtheoretiker und Geographen auf die Gefahr für die westliche Gesellschaft von einer massenhaften asiatischen, v. a. chinesischen Auswanderung gewarnt. So wurde das Schlagwort „Yellow Peril“, auf Deutsch „Gelbe Gefahr“, v. a. zur innenpolitischen Mobilisierung gegen chinesische und japanische Immigranten benutzt. Ursprünglich begehrte Arbeitskräfte für den Eisenbau in Kalifornien, wurden die Chinesen schnell als existentielle Bedrohung für die einheimischen Arbeiter von den Gewerkschaften empfunden. Ihre geringen Ansprüche an Löhne und Arbeitsbedingungen drohten das Lohnniveau und damit damit auch den Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter drastisch absinken zu lassen, warnten die Gewerkschaften. Reaktionen 194 Vgl. US Census (2000): en.wikipedia.org/wiki/Chinese_American_history. 113 James Sanon [10. ETHNISCHE SEGREGATION] wie antichinesische Massendemonstrationen, Lynchmorde und Brandstiftungen waren zu dieser Zeit keine Seltenheit.195 Die Wirtschaftsflaute der 1870er Jahre führte zu Massenvertreibungen und gipfelte 1882 in der Verabschiedung des Chinese Exclusion Act, der die Zuwanderung von Chinesen für mehr als 60 Jahre gänzlich unterband. Dieser Auszug aus einem Artikel des kalifornischen Senators George Perkins, der 1906 für die Fortsetzung des Chinese Exclusion Act plädierte, zeigt den Ausmaß der Fremdenfeindlichkeit gegen die Chinesen in den USA: „The opposition to the Chinese is not an unthinking, unreasoning prejudice (…). Our experience has created an intelligent public opinion which is unalterably opposed to the immigration of Chinese peon labor. The reasons are not far to seek. They are fundamental-racial (…). When two races so radically different as Chinese and Americans freely intermingle in large numbers, there must be assimilation or the subjection of one of the other (…). But they [the Chinese] are not assimilative, they can be only a foreign body within our borders, and must either suppress or be suppressed (…).“196 Entstehung von Chinatowns Diese Entwicklung fiel mit einer Verdrängung chinesischer Arbeitskräfte aus vielen Wirtschaftsbereichen (Landwirtschaft, Fischerei, Leichtindustrie) und ihrer räumlichen Segregation zusammen. Nachdem die chinesischen Migranten bis dahin über den ganzen amerikanischen Westen verstreut gelebt und gearbeitet hatten, zogen sie sich – oftmals unter gesetzlichem Zwang – in die Chinatowns zurück. Auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten gingen viele in die großen Städte im Osten der USA, wo inzwischen ebenfalls Chinatowns entstanden waren. New Yorks Chinatown Heute leben ca. 1 165 000 Asiaten in New York von denen ca. 900 000 Chinesen sind. Etwa ein Drittel (also 300 000) der chinesischen New Yorker leben in der Chinatown von New York City. Somit ist die Chinatown von New York City heute die größte chinesische Siedlung außerhalb Asiens.197 New Yorks Chinatown liegt im traditionellen Einwandererviertel dieser Metropole, an der Lower East Side Manhattans, südlich der Canal Street und westlich der Bowery. Obwohl noch immer faszinierend für Touristen, kämpfen amerikanische Chinatowns heute mit den gleichen Problemen wie andere, ähnlich wie verslumte Stadtbezirke. Die sozio-ökonomische Zusammensetzung der Bevölkerung New Yorks in Chinatown besteht aus sowohl ungelern195 Vgl. Mehnert, U. (1998), S. 49-50. Mehnert, U. (1998), S. 51. 197 Vgl. Cannon, G., Dean, S., S. 104. 196 114 [10. ETHNISCHE SEGREGATION] James Sanon ten Gelegenheitsarbeitern, als auch aus Geschäftsleuten aus Taiwan und Hong Kong. Die steigende Anzahl neuer chinesicher Immigranten hat in Bezug auf die Struktur Chinatowns eine kontinuierliche Ausdehnung dieser ethnischen Enklave zur Folge, die sich mittlerweile mit anderen traditionell ethnischen Bezirken (wie z. B. Little Italy) überschneidet.198 Die Mehrzahl der Einwohner von Chinatown ist in Asien geboren. In Amerika geborene Chinesen bzw. diejenigen, die „zu Besuch“ und auf der Suche nach alten Wurzeln nach Chinatown kommen, werden daher nicht immer ernst genommen. Sie werden schlicht als ABCs (American born Chinese) oder im Spaß als Bananas („außen gelb, innen weiß“) bezeichnet.199 Chinatown ist eine Welt für sich in New York, manche nennen es einen Fremdkörper im Stadtbild, andere bewundern das kulturelle Zusammenleben. Die Architektur von Chinatown besteht aus alten drei- bis fünfstöckigen Stadthäusern aus dem Ende des 19. Jahrhunderts, während nach Osten hin viele Chinesen in den Wohnblocks der 1950er und 1960er Jahre leben.200 Mit bis zu 400 Restaurants, über 300 florierenden Textilbetrieben (dank Billiglohn) und sieben chinesischen Tageszeitungen behauptet sich Chinatown als eigenständige Metropole mitten in Manhattan. Es dehnt sich weiter aus: Little Italy wurde faktisch aufgekauft und auch große Teile der Lower East Side sind bereits in chinesischer Hand.201 Der Chinese Exclusion Act Der Chinese Exclusion Act (deutsch: Gesetz zum Ausschluss der Chinesen) war ein USamerikanisches Bundesgesetz, das vom U. S. Kongress am 6. Mai 1882 verabschiedet wurde. Der Chinese Exclusion Act bestimmte, dass für eine Dauer von zehn Jahren keine chinesischen Arbeiter (englisch: laborers) mehr in die Vereinigten Staaten einwandern durften. Auch Antragsteller, die tatsächlich Geschäftsleute oder hochqualifizierte Fachkräfte waren, wurden oft kurzerhand als Arbeiter eingestuft und damit an der Einreise gehindert. 1884 folgten Nachtragsgesetze (Chinese Exclusion Act, 1884 Amendments), die erstens die Bestimmungen verschärften, nach welchen bisherige Immigranten die USA verlassen und dorthin zurückkehren durften. Durch den Geary Act wurde die Gültigkeit der Bestimmungen des Chinese Exclusion Act 1892 um zehn Jahre verlängert. 1902 folgte eine weitere Verlängerung auf unbestimmte Zeit. Mit dem Magnuson Act wurde der Chinese Exclusion Act 1943 aufgehoben. Die Immigration chinesischer Bewerber wurde wieder zugelassen, fiel infolge der allgemeinen Einwanderungsgesetze von 1921 und 1924 jedoch unter eine Quotenregelung, unter deren Geltung pro Jahr nicht mehr als 105 chinesische Neuimmigranten einreisen durften. Erst mit dem Immigration and Nationality Services Act des Jahres 1965 wurden die Quoten aufgehoben, so dass wieder nennenswerte Zahlen von chinesischen Einwanderern ins Land kommen durften. Die Segregation endete erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nachdem die Einwanderungsgesetze von 1943 bis 1965 nach und nach liberalisiert wurden, größere Zahlen von chinesischen Frauen einreisen konnten und chinesische Migranten erstmals die Möglichkeit erhielten, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erwerben. 198 Vgl. Scholte, C. (1997), S. 55. Vgl. Kruse-Etzbach, D. (2006), S. 354. 200 Vgl. Ebd. 201 Vgl. Bourmer, A. (2005), S. 214. 199 115 James Sanon [10. ETHNISCHE SEGREGATION] Literatur- und Quellenangaben BOURMER, ACHIM (2005): New York, Verlag Baedeker. CANNON, GWEN, DEAN, SHEA: Michelin Travel Publications: New York City, Firm, Langenscheidt Publishers, Inc. Staff, S. 104. KRUSE-ETZBACH, DIRK (2006): New York, Verlag Iwanowski’s Reisebuchverlag. MEHNERT, UTE (1998): Deutschland, Amerika und die „Gelbe Gefahr“, Stuttgart: F. Steiner Verlag, S. 49-50. SCHOLTE, CHRISTIANE (1997): Bridging Cultures: Latino- und asiatisch-amerikanisches Theater und Drama in New York City, Kassel: Edition Reichenberger, S. 55. US CENSUS (2000): en.wikipedia.org/wiki/Chinese_American_history, Stand 28.09.2009. 116