Ausgabe 115 - Buchkultur
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Ausgabe 115 - Buchkultur
01_COVER_115_druck 15.01.2008 16:10 Uhr Seite 1 BUCHKULTUR Heft 115 | Februar/März 2008 P.b.b. Verlagspostamt 1150 Wien Nr. 02Z033122M Erscheinungsort Wien EURO 4,35/SFR 8,50 Das internationale Buchmagazin WAGEMUTIG Michael Kleeberg SCHWUNGVOLL Drago Jancar BALLSICHER Thomas Brussig AUTOR DES JAHRES Richard Ford begeistert mit dem Blick fürs Detail N m e d L E mit el G R de nd E a U E n aw Q n m i i Ke Kl E ES NUN WIRD ES ZEIT, DEINE FLAMME AUSZULÖSCHEN – ABER KEINE ANGST ... ... DER SCHMERZ, DEN ICH DIR BEREITE, WIRD DICH 978-3-7857-3439-1 | € 19,95 [A]* 978-3-431-03727-2 | € 20,60 [A] *unverbindliche Preisempfehlung AM ENDE BESONDERS HELL BRENNEN LASSEN www.luebbe.de www.luebbeaudio.de 03-05 edito/inhalt 15.01.2008 17:51 Uhr Seite 3 Editorial In diesem Sinne Ihr BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 240 Seiten | Verlage bewerben Bücher, von denen sie sich einen gewissen Erfolg erwarten, schon heute mit einer eigenen Website und bringen mitunter reiches Material dazu: Kleine Filme, sogenannte Buchtrailer, die in den USA schon sehr populär sind, sind hier zu Lande ziemlich neu. Aber sie beginnen sich zu etablieren. Ein Wettbewerb für die besten Buchtrailer wurde bereits ausgeschrieben, und schon haben einige WerbeagenTobias Hierl turen die Zeichen der Zeit erkannt und argumentieren, CHEFREDAKTEUR dass für Spielfilme ja auch Trailer gedreht werden und man das Lesen eben „fit fürs 21. Jahrhundert“ machen müsse. Denn es stünde im Wettbewerb mit anderen Freizeitbeschäftigungen, und deshalb wäre eine „emotional geprägte Buchwerbung“ nötig. Nichts gegen Werbung fürs Buch, doch was da nun im Internet oder – seltener zwar, aber auch – im Fernsehen zirkuliert, ist oft so erregend wie lauwarmer Kamillentee. Einen richtigen Film zu drehen, ist natürlich kostenintensiv. Bei einer Filmpromotion genügen dabei einige Szenenschnipsel, doch bei einem Buch? Da werden eben in der Regel Zitate aus Rezensionen eingeblendet und mit meloFür das Lesen zu werben, dramatischer Musik unterlegt. Dazu ist prinzipiell immer gut, schwenkt die Kamera noch über stimmungsvolles Ambiente, das irgendwie und die Clips werden einen Bezug zum Inhalt des Buchs aufmit der Zeit wohl auch weist. Nicht nur große Publikumsverlage, immer besser und auch manche Kleinverlage freunden sich professioneller. mit dieser Art von Werbung an. Zum Großteil sind es Bücher aus dem weiten Feld der Unterhaltung, wie Krimis, Thriller, Liebesromane, historische Romane. Hier sollen neue Zielgruppen gewonnen werden. Für das Lesen zu werben, ist prinzipiell immer gut, und die Clips werden mit der Zeit wohl auch immer besser und professioneller. Aber man wird trotzdem kein wirkliches Bild des Romans vermitteln können, vor allem bietet ein Roman die große Freiheit, Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Bei jeder Verfilmung gibt es die Diskussion, ob nun die Darsteller für die Protagonisten gut ausgewählt waren und mit den Bildern übereinstimmen, die sich die Leser/innen von ihnen gemacht haben. Nun bekommen sie jedoch schon, bevor sie das Buch überhaupt in der Hand hatten, ein Bild verpasst. Irgendwie ein Dilemma. Manche Clips können dabei interessant sein, wenn etwa eine Autorin interviewt wird – wie Sarah Wiener bei der Präsentation ihres Buchs. Das ist informativ und macht bestimmt neugierig. Neue Formen zu suchen, um speziell auf Bücher aufmerksam zu machen, ist grundsätzlich verdienstvoll und gut. Im vorliegenden Fall bestimmt allerdings nicht das Medium die Botschaft, sondern umgekehrt. Um für Bücher zu werben, müssen Inhalte vermittelt werden, und dafür braucht es Zeit. Ein kleiner Teaser ist zu wenig. Besonders wenn es darum gehen soll, Menschen anzusprechen, die eigentlich gar kein Buch lesen wollen. Die warten nämlich – dann erst recht – auf die Verfilmung. € [A] 17,50 Der Clip zum Buch Als man bei Sophie mit einundzwanzig Krebs diagnostiziert, möchte sie sich am liebsten verwandeln ... Wie sie mit ihrer Krankheit fertig wird, ist einzigartig - und nie zuvor hat jemand den Kampf gegen den Krebs derart freimütig, aber auch mit soviel Leichtigkeit beschieben. 03-05 edito/inhalt 15.01.2008 17:56 Uhr Seite 4 BUCHKULTUR HEFT 115 | 20. JG. I N H A LT ■ SPEKTRUM 6 ■ B U C H W E LT 14 Eros und Wort ........................................................................16 „Transflair“: Monique Schwitter und Robert Menasse über Generationen, Sexualität und Erzählen Ein slowenischer Daedalus ..................................................18 Autor Drago Jancar spricht über die Literatur seiner Heimat Slowenien Bis zu den Grenzen ..............................................................20 Thriller-Autor Michael Morley hat Erfahrung mit Serienmorden Vor der Tür des Lebens stehen..........................................22 Die Schweizer Literatin Regina Ullmann hätte sich mehr Aufmerksamkeit verdient FOTO: PETER PEITSCH / PEITSCHPHOTO.COM Seine Helden sind Verlierer ................................................14 Richard Ford ist Buchkultur-Autor-des-Jahres 2007 AUTOR DES JAHRES: Richard Ford begeisterte die Leserinnen und Leser der Buchkultur SEITE 14 Stille Wasser ..........................................................................23 Arnaldur Indridason ist mit brisanten Themen erfolgreich Das Lachen ist mein Geschäft............................................24 Absurdes ist Thomas Brussigs Spezialität 28 Belletristik ..............................................................................28 Zum Wiederlesen ..................................................................37 Krimi-Kolumne von Peter Hiess ........................................42 Taschenbuch ..........................................................................43 Bildbände................................................................................46 Sachbuch ................................................................................48 Medienmix ..............................................................................55 Hörbuch ..................................................................................56 ■JUNIOR 58 Lesen & mehr ........................................................................58 Mit dem interaktiven Jugendroman „Cathy’s Book“ Poesie in Bild & Text ............................................................60 Drei besondere Bilderbücher 3x3 ............................................................................................61 Buchtipps für alle Altersstufen ■ CAFÉ DRAGO JANCAR schreibt opulente historische Romane und berichtet von der Situation der AutorInnen in Slowenien SEITE 18 PERIPHERIE: Das Leben an Grenzen dokumentiert. Hier in Gmünd in Österreich (li.) und in Ceské Velenice in Tschechien (re.) SEITE 46 62 Aktuelle Interviews auf www.buchkultur.net ■ SCHLUSSPUNKT Das tägliche Kulturleben Márius Kopcsay über das Kulturverständnis in Bratislava und Wien 4 66 FOTO: SUSANNE SCHLEYER COVERFOTO: PETER PEITSCH / PEITSCHPHOTO.COM Buchkultur-Gewinnspiel ......................................................62 Kolumne von Christian Teissl ............................................64 Impressum..............................................................................64 Zeitschriftenschau................................................................65 www.buchkultur.net ■ M A R K T P L AT Z FOTOS: AUS „DIE DA DRÜBEN“/OTTO MÜLLER VERLAG Sehnsucht nach Romantik ..................................................26 Rüdiger Safranskis Werk folgt einem roten Faden FOTO: JOZE SUHADOLNIK Nicht nur für Männer............................................................25 Michael Kleeberg entschlüsselt das Rätsel Mann MICHAEL KLEEBERG Ein langjähriges Romanprojekt hat Michael Kleeberg in Angriff genommen. Dabei wurde er von Marcel Proust und John Updike beeinflusst, wie er ausfürhrlich im großen Interview schildert. Darüber hinaus schildert er seine spezielle Arbeitsweise. RÜDIGER SAFRANSKI: Eine rote Linie zieht sich durch das Werk von Rüdiger Safranski. Die Romantik lässt ihn nicht mehr los, wie er im großen Interview erzählt. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 03-05 edito/inhalt 17.01.2008 15:38 Uhr Seite 5 FEBRUAR/MÄRZ 2008 ■ ALLE BÜCHER Belletristik 28 Ali, Sabahattin: Der Dämon in uns Baldacci, David: Die Wächter Bennett, Ronan: Zugzwang Bordewijk, Ferdinand: Charakter Carter, Stephen: Die schwarze Dame Dahlquist, Gordon: Die Glasbücher der Traumfresser Fielding, Joy: Nur der Tod kann dich retten Harris, Robert: Ghost Huchel, Peter: Briefe 1925–1977 Huchel, Peter: Gedichte Huston, Nancy: Ein winziger Makel Kronauer, Brigitte: Errötende Mörder Läckberg, Camilla: Die Töchter der Kälte Lennox, Judith: Der einzige Brief McInerney, Jay: Das gute Leben Nagarkar, Kiran: Sieben mal sechs ist dreiundvierzig Phillips, Arthur: Angelica Poiarkov, Rosemarie: Wer, wenn nicht wir Porta, Carles: Tor Saramago, José: Eine Zeit ohne Tod Sealsfield, Charles: Ralph Doughby’s Esq. Brautfahrt Stadler, Arnold: Komm, gehen wir Suter, Martin: Der letzte Weynfeldt (Pro & Kontra) Thomas, Scarlett: Troposhere Trevor, William: Tod des Professors Viewegh, Michal: Der Fall untreue Klára Xinran: Die namenlosen Töchter Yates, Richard: Verliebte Lügner Sachbuch 38 40 31 35 41 41 40 28 37 37 28 29 30 40 35 33 38 39 32 30 34 34 36 33 39 32 38 31 48 Baumgartner, P., R. Hornbostel: Manager müssen Mut machen Engler, Wolfgang: Unerhörte Freiheit Harnoncourt, Nikolaus: Töne sind höhere Worte Hof, Holger: Benn. Sein Leben in Bildern Johnson, U., A. u. G. Grass: Der Briefwechsel Müller, Hans-Harald: Leo Perutz Pichler, B., C. Sanar: James Benning Schuh, Franz: Hilfe! Schwarz, Otto: Hinter den Fassaden der Ringstraße Sloterdijk, Peter: Gottes Eifer Thema: Bildbände Blut, Schweiß & Adrenalin 50 53 52 30 52 54 51 51 53 50 € 9,20 (A) / sFr. 16,80 € 10,30 (A) / sFr. 18,60 € 10,30 (A) / sFr. 18,60 46 Ecker, B. T. Starl: Harry Weber – Das Wien-Projekt Nimführ, Marcel u. a.: Hier spricht Radio PMR Schwelle, Dagmar: Die da drüben Thema: Klima 48 Anschober, Rudi, Petra Ramsauer: Die Klimarevolution Behringer, Wolfgang: Kulturgeschichte des Klimas Grundmann, Emanuelle: Wälder, die wir töten Hahlbrock, Klaus: Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren? Jäger, Jill: Was verträgt unsere Erde noch? Latif, Mojib: Bringen wir das Klima aus dem Takt? Monbiot, George: Hitze Pearce, Fred: Das Wetter von morgen Pearce, Fred: Wenn die Flüsse versiegen Reichholf, Josef H.: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends Schmidt-Bleek, Friedrich: Nutzen wirdie Erde richtig? Bei Kurt Aust müssen die Gäste eines Pariser Cafés zusehen, wie sich eine junge Historikerin direkt vor ihren Augen erschießt. Der mysteriöse Selbstmord löst die Jagd nach einer Newton’schen Erfindung aus. Eine, für deren Entdeckung jeder morden würde! Bernard Cornwells Wikinger-Held Uthred kehrt nach dem Sieg über die Dänen in die Heimat zurück. Doch Verrat von höchster Stelle kettet ihn an die Ruder eines Sklavenschiffs – und an ein ungewisses Schicksal! Bei Russel Andrews wird vor Siziliens Küste ein Frachter torpediert. Er war mit Platinbarren im Wert von zig Millionen Dollar beladen, mit denen ein internationaler Börsencrash inszeniert werden sollte. Ein blutiger Reigen um Geld und Macht beginnt ... Exklusive Leseproben unter: www.rororo.de/lesen 06_13 spektrum 15.01.2008 13:38 Uhr Seite 6 SPEKTRUM KRIMINELL DURCHBLICK Kompakt und handlich Seiten und Schluss ist das Motto für die kleine Krimireihe aus der Edition Nautilus. Das knappe Format betrifft aber nur den Umfang und nicht den Inhalt, denn die AutorInnen erwiesen sich bislang in der Regel äußerst einfallsreich. Für die kleinen Romane, ausschließlich Originalveröffentlichungen, werden die renommiertesten deutschsprachigen AutorInnen aufgeboten, etwa Robert Brack, Susanne Mischke oder Regula Venske. Jede Saison erscheinen drei weitere Bände. Zuletzt waren das Robert Hültner mit „Ende der Ermittlungen“, 64 Eigentor SYLVIA TREUDL W ahrscheinlich sind die ersten Bierfässer bereits eingekühlt und vorsichtshalber auch probegetrunken, die Devotionalien in den Vereinsfarben bereitgelegt und die Fanchoräle im FeinschliffStadium fürs Stadion. Natürlich. EM im Anrollen. Jaja. Ich stehe dem Phänomen Fußball relativ neutral gegenüber, soll heißen, ich kann ein gutes von einem schlechten Spiel durchaus unterscheiden, bin in der Lage, eine Art unterkühlter Begeisterung zu entwickeln (für Techniken, nicht für die Helden der Steilflanke), kenne mich selbstverständlich nicht mit der Abseitsregel aus – weder mit der alten noch der erweiterten (das ist ein bisschen so wie mit der neuen und der neu reformierten Rechtschreibung) –, ich habe mit Vergnügen eine Fußball-Anthologie mit literarisch hochwertigen Texten von Schweizer und österreichischen Autoren korrekturgelesen (erscheint demnächst im Verlag Bibliothek der Provinz, herausgegeben von Michael Stiller und Wolfgang Kühn) und finde, dass mein Teil zum Thema damit getan ist. Meine Haltung des mittelgelangweilten Schulterzuckens kann allerdings rasch in engagierten Zorn umschlagen, wenn im Zuge der ganzen Rasenhysterie zu weit über die Latte gepasst wird. Wenn schlicht und ergreifend plötzlich alles und jedes zum Untertan von König Fußball gestempelt wird, die Welt nur deshalb rund ist, weil sie wie die berühmte Wuchtel ausschaut. Als ich also letzthin wieder einmal einen Versuch unternahm, das wilde Chaos in meinen Bücherregalen in den Griff zu bekommen, fiel mir u. a. auch das letztjährige Gratisbuch der Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“ in die Hände. Seufzend legte ich also Nick Hornbys Fußballroman zu den für mich interessanteren Titeln von Frederic Morton, John Irving und Toni Morrison. Um dann doch wieder einen Band nach dem anderen zur Hand zu nehmen. Und da war er wieder, der Zorn, bloß mit einer anderen Klangfarbe. Gar nicht so sehr die Wahl des Themas für das Jahr 07 evozierte meinen Groll – vielleicht besteht ja tatsächlich die Chance, dass Leseunwillige über ein Sportthema auf den Geschmack kommen, es muss ja nicht unbedingt „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ sein … Eine gewisse Ambivalenz verspürte ich trotzdem, als Hornby zum Verteilen bereitlag, natürlich wäre mir z. B. Doris Lessing lieber gewesen, aber gut, eine Stadt verteilt ein Buch und alles ist halt Ball. Mein Unmut kam – und kommt seit Bestehen dieser Gratisbuchaktion, die ich grundsätzlich begrüße – aus einem ganz anderen Kreuzeck, bezieht sich auf die Aufmachung, Ausstattung. Nicht dass ich bei der Riesenauflage, die kostenlos unter die Leute gebracht wird, ein Hardcover mit Schutzumschlag erwarten würde. Aber Papier, Druck, Bindung sind von einer schamlosen Lieblosigkeit, das ganze Buch erinnert in seiner Aufmachung an jene akkurat zurechtgeschnittenen Zeitungspapierbündel, die in meiner Kindheit in ländlichen Gegenden in den Holzhüttchen mit dem Herzerl auf der Tür zu finden waren. Angesichts der vielen prominenten Sponsorenlogos am Ende der Publikationen wäre eine andere Qualität vielleicht hinzukriegen. Statt eines Eigentors, was die Attraktivität des Mediums BUCH betrifft. 6 in den 1920er-Jahren angesiedelt, Carlo Schäfers „Kinder und Wölfe“ mit einem höchst ungewöhnlichen Ermittler sowie Edith Kneifl, die eine schwarzhumorige Geschichte unter dem Titel „Der Tod ist eine Wienerin“ beisteuerte. Hier lässt sich bestens die lebendige Vielfalt im deutschsprachigen Krimi erlesen, und die kleinen Bände passen zudem bequem in jede Jackentasche – sie sind die ideale Krimilektüre für unterwegs und zwischendurch. AUSUFERND Duden Open 2007/2008 it 2342 Jugendlichen hat der Wettbewerb, bei dem Buchkultur erstmals Partner war, im 5. Jahr erneut seinen eigenen Teilnehmerrekord gebrochen. In der ersten Runde ging es wieder in einem Fragebogen um die Allgemeinbildung, in der lautete das Thema „Die olympischen Spiele 2008 in China“, über M das ein Artikel verfasst werden musste. Die Autoren der zehn besten Texte spielen im Frühsommer 2008 im Olympiamuseum in Köln um Praktika bei verschiedenen Medien wie der taz, der TV-Sendung „Galileo“ und anderen. Mehr Infos gibt es unter www.duden-open.de KNIFFLIG Schach-Rätsel-Block wischen Stefan Zweigs „Schachnovelle“ und Bettina Heinrichs „Die Schachspielerin“ sind viele Partien geschlagen worden und nicht wenige gegen virtuelle Partner. Eine besonders praktische Variante bietet hierzu der Schach-Rätsel-Block Fritz & Fertig von terzio. Über 80 Schachrätsel, die man einzeln abreißen und in der kleinsten Jeans-Tasche unterbringen kann, bringen den Kleinen und Großen von den Grundbegriffen wie der Auf- Z stellung bis zu exzentrischen Kniffen wie dem SchwalbenschwanzMatt einiges bei. Eine besondere Herausforderung stellen SchachSudokus unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade an die zukünftigen Meister. Schräge Zeichnungen und ebensolche Sinnsprüche sorgen für humorvolle Auflockerung, und die Lösung auf jeder Rückseite garantiert, dass man auch dann noch gut schläft, wenn man passen musste. Zu finden unter www.terzio.de BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 06_13 spektrum 15.01.2008 13:35 Uhr Seite 7 Beweglich im Büchermeer! Grete Weil Sir Karl Popper A U S G E S T E L LT Jüdische Porträts on 1986 bis 1989 porträtierte Herlinde Koelbl deutschsprachige jüdische Persönlichkeiten, die der Shoa entkommen waren, mit ihrer Kamera. Die Fotogalerie Westlicht zeigt nun rund 35 dieser großformatigen Originalabzüge in Verbindung V George Tabori mit Zitaten aus den Interviews. Unter den Porträtierten sind u. a. der Industrielle Karl Kahane, der Politiker Teddy Kollek, der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der Regisseur George Tabori und der ehemalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky. Vom 5.2. bis 23.3.2008 bei Westlicht – Schauplatz für Fotografie, Wien 7, Westbahnstraße 40, Tel.: +43 (0) 1 522 66 36 bzw. www.westlicht.com KARIBISCH Litradukt Verlag it dem Vorsatz, hierzulande unbekannte junge Autoren aus dem afrikanischen und karibischen Raum bekannt zu machen, hat Peter Trier den Litradukt Verlag gegründet. Während seiner Übersetzer- und Lektorentätigkeit in Frankreich mit „schwarzer“ Literatur beschäftigt, entdeckte er nahezu unbekannte junge Literatur aus Übersee. Der Schwerpunkt der ersten drei Bücher liegt auf Haiti, seinen afrikanischen und westlichen Einflüssen M und seiner parallelen französischen und kreolischen Geschichte. Die Autoren wie Gary Victor, Georges Anglade oder Louis-Philippe Dalembert sind ehemalige politische Gefangene und Minister, Wissenschaftler, erklärte Vagabunden oder subversive Kritiker der sozialen Verhältnisse. Litradukt wird pro Saison zwei Bücher herausgeben und arbeitet im Vertrieb mit Books on Demand zusammen. Näheres unter www.litradukt.de Andrea Maria Schenkel KALTEIS / Roman München in den 30er Jahren: Süß und sehnsüchtig ist der Traum vom Glück in der großen Stadt, den auch Kathie träumt. Dunkelhaarig und hübsch ist sie, wie die Frauen, die seit einiger Zeit spurlos verschwinden ... »Empathie ist ein rares Gut, und nur wenige verstehen sie so zu wecken wie Andrea Maria Schenkel.« Die Zeit Broschiert, € 13,30 (A) ZEITGERECHT Vorlass und Nachlass FOTOS: HERLINDE KOELBL HAROLD PINTER Die British Library hat den Vorlass des britischen Literatur-Nobelpreisträgers Harold Pinter gekauft. Teile davon befanden sich seit 1993 als Dauerleihgabe in der British Library. Nun wurde das gesamte Archiv von über 150 Kisten mit Manuskripten, Notizbüchern, Briefen, Fotografien, Programmheften und E-Mails mit Hilfe etlicher Geldgeber für 1,1 Millionen Pfund erworben. Der Bestand soll bis Ende 2008 katalogisiert werden. Vorab wird die Ausstellung „His own Domain: Harold Pinter, A life in Theatre“ bis 13. April 2008 einen Einblick gewähren. FRIEDRICH KARL WAECHTER Das Wilhelm-Busch-Museum, das 72 Originale des vor zwei Jahren verstorbenen Zeichners besitzt, hat mit dessen Witwe und den drei Söhnen einen Kauf- und Schenkungsvertrag geschlossen. Dadurch kommen 3400 Arbeiten von früheren Zeichnungen für „pardon“ bis zur letzten noch unveröffentlichten Bilderzählung „Höllenhund“ dazu. Für 2009 plant das Museum, das F. K. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Waechter schon 1978 und 1989 Ausstellungen widmete, eine große Retrospektive. PETER HANDKE Der Vorlass von Peter Handke, bestehend aus mehreren tausend Blatt handschriftlicher Werkmanuskripte, Notizen und Materialsammlungen, wurde vom Österreichischen Literaturarchiv der Nationalbibliothek für 500.000 Euro angekauft. Der Kaufpreis wurde mit Hilfe von Gutachten und Schätzungen ermittelt. Wendelin Schmidt-Dengler, Literaturwissenschaftler und Leiter des Archivs, spricht von einem „unerhört interessanten Textbestand“, der auch die neueren Romane „Don Juan (erzählt von ihm selbst)“, „Kali“ und die korrigierten Druckfahnen der noch nicht erschienenen Erzählung „Die morawische Nacht“ enthält. Besonders diese dokumentiert zahlreiche im Nachhinein in das Manuskript eingefügte Abschnitte. An der Aufbringung der Summe hat sich das Kulturministerium mit Mitteln aus dem Literaturbudget beteiligt. Hamid Skif GEOGRAFIE DER ANGST Roman Ein aufrüttelnder Roman über Emigration und Erinnerung. »Stark und dicht liest sich dieser Bericht eines anonymen Illegalen. Der Monolog über die absurden Praktiken einer ungleichen und zynischen Welt erinnern an Kafka und Ionesco.« Radio France Gebunden, € 16,50 (A) Nautilus In jeder guten Buchhandlung Mehr zum Programm im Netz: www.edition-nautilus.de 06_13 spektrum 15.01.2008 13:51 Uhr Seite 8 SPEKTRUM PERSONALIA ■ „Was wir in Henri Chopins ,poésie sonore‘ haben, ist die barbarische, rohe Annäherung an die Kunst. Chopin steckt Streichhölzer in die Löschköpfe seines alten abgenutzten Second-hand-Tonbandgerätes, stochert mit seinen Fingern innerhalb und außerhalb der Tonbandführung herum, traktiert auf andere Weise die Maschine, um seine mehrschichtige poésie sonore-Stücke zu produzieren“, schreibt Larry Wendt bereits 1985 über Henri Chopin. 1922 in Paris geboren, wurde Chopin zu einer der wegweisenden Persönlichkeiten und zum Förderer der konkreten und akustischen Poesie, der soundpoetry. Mitte der 1950er-Jahre begann er, mit dem Tonband zu experimentieren und publizierte seither diverse Bücher, Tapes und elektroakustische Werke. Chopin war als Vortragender (1992, 1993) auch der Wiener Schule für Dichtung verbunden. Er ist Anfang Jänner, 85jährig, in Dereham (Norfolk) gestorben. ■ Das Branchen- magazin BuchMarkt hat 2007 die Verlegerin Claudia Baumhöver zur Verlegerin des Jahres gekürt. Als sie vor 15 Jahren die Geschäftsführung eines neu gegründeten Verlags übernahm, glaubten nur wenige, dass die Nachfrage nach Hörbüchern steigen würde. Dennoch gelang es ihr, mit einem hochkarätigen Programm (jeder dritte der 700 lieferbaren Titel ist preisgekrönt) das Medium als fixen Bestandteil des Buchmarktes zu etablieren. Fast zugleich mit der Verlegerin wurde außerdem wieder eines der Produkte des Hörverlags prämiert. „Die Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss wurde von der Jury der hr2-Hörbuch-Bestenliste zum Hörbuch des Jahres 2007 erklärt. GRENZENLOS Die unbekannten Europäer er Schriftsteller Karl-Markus Gauß und der Fotograf Kurt Kaindl haben seit 1999 in Europa Volksgruppen aufgesucht, die niemals einen eigenen Nationalstaat anstrebten und dennoch eine kulturelle Eigenständigkeit bewahrten. Die Dokumente dieser Reisen wurden bisher in kleineren Ausstellungen sowie zwei Bildbänden und drei Essaybän- D den gezeigt. Nun vereint eine Ausstellung im Museum für Volkskunde erstmals 12 Volksgruppen von den Assyrern in Schweden über die slawischen Sorben in Deutschland, die deutschsprachigen Gottscheer in Slowenien, die Roma von Svinia bis zu den Sepharden von Sarajevo in einer Schau. Bis 23. März 2008 Info: www.volkskundemuseum.at SPITZZÜNGIG Schimpftirarden utoren können so gemein sein, besonders wenn es sich um ihre Kollegen handelt. Das zeigt sich in dem Buch mit dem Titel „Dichter beschimpfen Dichter“. Jörg Drews hat die „Kollegenschelte“ in erweiterter Fassung im Verlag Zweitausendeins neu herausgegeben. Da finden sich klingende Namen wie Thomas Bernhard oder Friedrich Dürrenmatt („Der Grass ist mir einfach zu wenig intelligent, um so dicke Bücher zu A schreiben.“) Sie schenken sich nichts und zu lesen ist es einfach nur spaßig. Ein Genuss für sich sind die Illustrationen, sie stammen von Jonathan Wolstenholme und zeigen sehr kämpferische Bücher. FOTOS: CARL VAN VECHTEN, PETER VON FELBERT, SCHULE FÜR DICHTUNG, KURT KAINDL (2), AUS „DICHTER BESCHIMPFEN DICHTER“/ZWEITAUSENDEINS ■ Als Norman Mailer 1948 mit seinem (Anti-) Kriegsroman „Die Nackten und die Toten“ mit einem Schlag berühmt wurde, war er 25 Jahre alt. Später resümierte er, dass dieser frühe Ruhm das Schlimmste gewesen sei, was einem Autor passieren könne. Dennoch setzte er seine Erfolgsserie fort: Mit „Hirschpark“ schockierte er 1955 Hollywood, indem er es als Psychopathen-Zoo darstellte. Für „Heere aus der Nacht“ (1968) und „Das Lied vom Henker“ (1979) erhielt er jeweils den PulitzerPreis. Norman Mailer war Zeit seines Lebens ein streitbarer und unsteter Geist. Er engagierte sich in der Anti-Vietnam-Bewegung, bekämpfte die US-Feministinnenbewegung („The prisoner of sex“) und war sechsmal verheiratet. Der am 31. Januar 1923 in New Jersey geborene Schriftsteller starb am 10. November 2007 in einem New Yorker Krankenhaus. Europäer ohne Nationalstaat, doch mit gelebter kultureller Eigenständigkeit. Fotografiert von Kurt Kaindl 06_13 spektrum 15.01.2008 13:56 Uhr Seite 9 Dr. Margareta Griessler CHINA GENUSSVOLL 1 ichkoche.at ie Verlage der Styria Verlagsgruppe haben auf dem Life-Style-Sektor und in der Kulinarik Tradition. Nun wurde mit www.ichkoche.at der Schritt zum Onlineauftritt vollzogen. Das Herzstück bilden Rezepte, bei denen auf österreichische Inhalte für österreichische User geachtet wird. Darüber hinaus gibt es im Servicebereich Catering-Tipps und vieles mehr. Kochblogs laden zur Diskussion ein, einsame Kocher D GENUSSVOLL 2 kuechengoetter.de m vergangenen Herbst starteten in München die GU-Kochkurse des führenden deutschen Kochbuchverlages Gräfe und Unzer. Die erfolgreiche erste Staffel umfasste drei Kurstypen (Herbst, Weihnachten und Festtage) mit mehrgängigen Menüs für Einsteiger und Fortgeschrittene und war so schnell aus- I finden eine kulinarische Flirtbörse. Starköchen wie Toni Mörwald, Asiaküchenspezialistin Kim, Chocolatier Josef Zotter und Kulinarik-Experten Christoph Wagner kann man brennende Fragen stellen. Mit den Bereichen Lieblingsrezepte, Lokale und Weinwelt, Basics, Länderküche, Tischkultur und schließlich Shopping stellt sich das Portal allen Herausforderungen der Esskultur. gebucht, dass weitere in anderen Städten folgen sollen. Unabhängig vom Standort präsentiert sich das Kochportal kuechengoetter.de. Es basiert auf den drei bewährten Säulen Rezepte, Community und Blog. Registrierte User können sich damit austauschen oder auch mal die Enttäuschung über ein gescheitertes Festmahl gestehen. Damit das nicht passiert, sollten Sie vielleicht vorher den Kochtypentest machen: eines der vielen Dinge wie Einkaufen, Kochen und Essen, die zum Thema Küche angeboten werden. Geschenkbänder eim Wort genommen lässt sich ein „Gedichtband“ nicht nur ins Regal stellen, sondern auch um einen Blumenstrauß oder ein Geschenk wickeln. Der Non-Book-Verlag MeterMorphosen gestaltet aus Wortspielen oder Griesslers Playdoyer für ein besseres Verständnis des bevölkerungsreichsten Landes der Welt. Die Presse Überzeugend und historisch nachvollziehbar argumentiert. Falter DOPPELDEUTIG B Erhellend. Wiener Zeitung Doppeldeutigkeiten seminützliche Objekte wie diese fünf farbigen Geschenkbänder, von denen jedes mehrfach mit einem schönen deutschen Gedicht bedruckt ist und sich also um größere oder kleinere Päckchen schnüren lässt. „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein …“ ist ebenso vertreten wie „Schläft ein Lied in allen Dingen …“. Zu Goethe, Heine, Eichendorff und Rilke gesellt sich überraschenderweise Busch, wo man doch Schiller erwartet hätte. Vielleicht, um die Assoziation zu den breiten bedruckten Schleifen, die Blumengebinde traditionell mit letzten Grüßen versehen, hintan zu stellen. Zu bestellen unter www.metermorphosen.de HELLSICHTIG 10 Jahre „schreiben zwischen den kulturen“ ie „MigrantInnenliteratur“ hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem eigenen innovativen Genre etabliert, das aus dem Zusammentreffen verschiedener Kulturen schöpft. Einer der Förderer dieser Entwicklung war und ist die Edition Exil, die seit 10 Jahren den Exil-Literaturpreis „schreiben zwischen den kulturen“ ausrichtet. Zum Jubiläum erscheint in der gleichnamigen Edition ein „best of“, das die Herausgeberin Christa Stippinger als „sehr subjektive Sammlung von preisgekrönten SiegerInnentexten der letzten 10 Jahre“ bezeichnet. Die AutorInnennamen dieser Sammlung zeigen, dass die österreichische Gegenwartsliteratur zu einem nicht D BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 geringen Teil von MigrantInnen geformt wird. Da sind neben vielen anderen die Sprachrebellin Alma Hadzibeganovic, der fulminante Erzähler Dimitré Dinev, die ausgezeichneten Kollegen Radek Knapp und Vladimir Vertlib und schließlich die Südkoreanerin Sohn Young zu nennen. Ihre Erzählung „leimkind“, die 2007 in der edition exil erschienen ist, wurde vom Kulturministerium mit der Autorenprämie für literarische Debüts ausgezeichnet. Natürlich hat die Edition auch die 2007 preisgekrönten Texte in einer eigenen Anthologie herausgebracht. „passwort“ nennt sich die Sammlung, in der zudem die Begründungen der Jury nachgelesen werden können. Frau Griessler ist gelungen, was die meisten Wissenschaftler scheuen: ein Bild von China zu zeichnen, das Gegenwart und Vergangenheit, Wirtschaft und Politik, Kultur und Geographie zu einem Ganzen vereint. o.Univ.-Prof.Dr. S. Weigelin-Schwiedrzik, Uni Wien Das vorliegende Buch ist ein Gewinn für jeden. o.Univ.-Prof.DDr. D. Stiefel, Uni Wien Die Autorin hat sich der Vermittlung eines besseren und vertieften China-Verständnisses verschrieben: dabei ist ein Buch entstanden, das umfassend und dennoch leicht zu lesen ist. Kontext, Radio Ö1 Die profunde China-Kennerin beschreibt Chinas Geschichte, Wirtschaftsentwicklung und die politische Lage der Gegenwart eindrucksvoll und verständlich. Kurier Holzhausen Verlag 369 Seiten mit Abb., geb. ISBN: 978-3-85493-141-6 EUR 32,00 06_13 spektrum 15.01.2008 13:59 Uhr Seite 10 ILL: AUS „DIE STAR WARS COLLECTION“/BLANVALET SPEKTRUM KURZMELDUNGEN ■ In Schweden waren 2007 erstmals Biografien und Gesellschaftsanalysen gefragter als Krimis. ■ Eine Neuübersetzung der Bibel in dänische Gegenwartssprache, die am 1. November erschienen ist, ist bereits ausverkauft und startet in die Neuauflage. ■ Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar hat den ersten Teil des umfangreichen Archivs des Rowohlt-Verlags ab 1948, das u. a. Briefe von Rolf Hochhuth, Hubert Fichte, Henry Miller, Friederike Mayröcker, Ludwig Marcuse und Wilhelm Genazino enthält, übernommen. ■ Der israelische Regisseur Dror Zahavi wird die Regie bei der Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Autobiografie „Mein Leben“, die im Sommer 2008 beginnen soll, übernehmen. ■ Eine spezielle Suchfunktion, aufbereitete Nachrichten, kindergerechte Internetseiten und sichere Chats finden Kinder seit Dezember 2007 auf der Kinderinternetseite fragFINN.de ■ Die einzige Literaturzeitschrift für Kinder zwischen 7 und 11 Jahren, „Der bunte Hund“, geht nach einer Pause neu an den Start und erscheint »Eine scharfsinnige Gesellschaftsanalyse.« FAZ 176 Seiten | € 10,30 [A] statt drei Mal jährlich im Abo nun zehn Mal im Jahr und ist auch am Kiosk erhältlich. ■ Der Braumüller Verlag wurde von der Initiative „Taten statt Worte“ als frauen- und familienfreundlichster Betrieb Wiens ausgezeichnet. ■ Der Brockhaus mit seinen 260.000 Lexikon-Artikeln ist erstmals auch als MP3-Datei mit 2200 Stunden Wissen zum Hören erhältlich. ■ In der Kaiserstraße 70 in Wien Neubau gibt es seit Kurzem die erste Hörbuchhandlung Wiens, das Audiamo, in dem man aus knapp 3000 Titeln wählen und im angeschlossenen Hörbuch-Café sogar Probe hören kann. ■ Die 16. Internationale Frühjahrsbuchwoche, die vom 27. Februar bis zum 7. März 2008 in München stattfinden wird, wird sich dem Schwerpunktthema „Literatur baut Brücken: Gastland Kanada“ widmen. ■ Die Stiftung Lesen hat in Zusammenarbeit mit der arvato AG die Kampagne „Zukunft Dienstleistung – ein Blick hinter die Kulissen“ ins Leben gerufen, die Jugendlichen Berufsfelder im Dienstleistungssektor aufzeigen will und dabei Schüler zu einem SMSPoesie-Wettbewerb aufruft. Für echte Jedi-Ritter: Drei Jahrzehnte „Star Wars“ in einer ultimativen Raritätensammlung V E R S P I E LT Sternenkrieger ls vor gut 30 Jahren der „Krieg der Sterne“ ins Kino kam, war man sich nicht sicher, ob diese Laserschwertoper überhaupt ein Publikum finden würde, doch heute zählen die beiden Trilogien zum Kanon der Populärkultur. In Internetforen wird heftig über einzelne Tricks oder über die Art der Kostüme diskutiert und die Filme ver- A zeichneten Millionen von Besuchern. Eine riesige Fangemeinde hat sich gebildet, zahlreiche Bücher wurden geschrieben, Comics veröffentlicht und das Interesse an „Star Wars“ ist noch immer ungebrochen. Zum Jubiläum erschien deshalb ein besonders aufwendig gestalteter Band mit bisher unveröffentlichtem Archivmaterial von Stephen J. Sansweet und dem leidenschaftlichen und langjährigen Sammler Peter Vilmur (Blanvalet). Über 50 originalgetreue, herausnehmbare Reproduktionen, Hunderte von faszinierenden Fotografien und zwei Audio-CDs mit über zwei Stunden Tondokumenten wollen ein lückenloses Panoptikum des Star-Wars-Imperiums zeigen. »Ein lesenwertes und kenntnisreiches Buch.« Magdeburger Volksstimme »Nach wie vor die beste Geistesgeschichte des 20. Juli.« Neue Zürcher Zeitung Eine glänzende Schilderung von Vergangenheit und Gegenwart Istanbuls. 288 Seiten | € 12,30 [A] 720 Seiten | € 15,40 [A] 128 Seiten | € 10,30 [A] Pantheon – das klassische Sachbuch www.pantheon-verlag.de Pantheon_BUCHKULTUR_115.310108.i1 1 03.12.2007 16:15:01 Uhr 06_13 spektrum 15.01.2008 14:03 Uhr Seite 11 SPEKTRUM AMBITIONIERT Die Edition Glück m das Glück im Spiel einigermaßen sauber vom Glück in der Liebe trennen zu können, haben die PR-Strategen der Casinos Austria im Englischen Anleihen genommen. „Seit vielen Jahrzehnten mit dem einen Aspekt des Glücks, dem im Englischen separat definierten ,luck‘ beschäftigt“, wollen sie nun „einen Beitrag zum anderen Aspekt, der ,happiness‘, dem seelischen Glück, leisten“. Dafür wurde eine breite Palette von Glücksversprechen ausgelotet und auf fünf stattliche kardinalrote Schuber verteilt. Apropos: Der Kardinal kommt mit der Frage „Macht Glauben glücklich?“ zu Wort und U der Philosophieprofessor Konrad P. Liessmann schreibt über das Glück des Philosophen. Daraus lässt sich schon erahnen, dass die Unterscheidung zwischen „luck“ und „happiness“ nicht die einzige ist, die wir dem Glück schulden. Kunst, Musik, Theater, Psychologie, Astrologie sind bunt gemischt wie im Hochglanzboulevard, wobei nicht darauf vergessen wird, die grafische Aufbereitung der Literaturzitate als besonderen „Leckerbissen“ anzupreisen. Alle fünf Schuber in einem DesignObjekt sind um 1500 Euro in jedem Casino oder im Online Shop unter shop.casinos.at erhältlich. BLUTVOLL Fortsetzungskrimi ls Willi Resetarits 2006 wieder begann, jeden Sonntag zwischen 13 und 14 Uhr auf Radio Wien Trost und Rat zu spenden, hat er eine neue Idee ins Sendungskonzept eingebaut: Den Wiener Kriminalroman, an dessen Fortsetzungen die Hörer mitschreiben. Nun kann das erste Heft auch in der Print-Fassung gemeinsam mit zwei CDs in Buchhandlungen, Trafiken oder direkt beim Falter Verlag erstanden werden. Die wechselnden Verfasser und die durchgehende Redaktion von Lemming- A Autor Stefan Slupetzky garantieren eine Story, die einen Haken nach dem anderen schlägt und dennoch aus einem Guss ist. „Maslak drückt ein Auge zu“ kommt im Jerry-Cotton-Look daher und mischt gängige wie weniger gängige Klischees auf: „Trinkst du, was der Zeuge trinkt, bald dem Fall die Klärung winkt.“ Diese lässt sich aber bis zum 24. Kapitel Zeit … TRÖSTLICH Die ganze Geschichte ILL: AUS „ENTE, TOD UND TULPE“/KUNSTMANN Das Thema Tod in einem Bilderbuch anzugehen, ist nicht einfach, doch Wolf Erlbruch hat es in „Ente, Tod und Tulpe“ (Kunstmann Verlag) auf wunderbare Weise gelöst. Der Tod kommt zu einer Ente, sie umkreisen sich, lassen sich dann aufeinander ein, freunden sich an – irgendwie –, und schließlich nimmt das Schicksal seinen Lauf. Hier verliert der Tod seinen Schrecken und muss selbst feststellen, dass es nicht einfach ist, jemanden gehen zu lassen. Erlbruch zeichnet sehr reduzierte Bilder, die trotzdem voller Leben und Facetten sind. Auf 32 Seiten klärt er alle offenen Fragen und hinterlässt seine LeserInnen erst irritiert, doch dann gelöst. Ein Bilderbuch für alle Generationen. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 D R . T R A S H E M P F I E H LT Unerwünschte Nebenwirkungen D ie große Revolution fand vor 40 Jahren statt. Sie beseitigte sämtliche Ungerechtigkeiten dieser Welt, ließ Arbeiter und Studenten Arm in Arm die Bastionen des faschistischen Systems stürmen, fegte den Kapitalismus hinweg und machte alle Menschen gleich. „Verdammich, welche Revolution?!“ werden Sie sich jetzt fragen. „Hab’ ich was verpasst?“ Nein, haben Sie nicht. Sie dürften nur der Propagandamaschine der Alt-68er und Hippies nicht zugehört haben, die sich vier Jahrzehnte nach dem versuchten Aufstand (und kurz vor der Zwangspensionierung) noch einmal ordentlich in allen Medien abfeiern. Blättert man, wie der Doc es zwangsweise alle halben Jahre tut, die Buchvorschauen für die kommende Saison durch, dann wird einem schlecht von all den verlogenen Erinnerungen, wehmütigen Reminiszenzen und falschen Rechtfertigungen der gescheiterten Revoluzzer. Sowohl der reale als auch der ideale Kommunismus sind gescheitert. Der lange Marsch durch die Institutionen war eher ein kollektives Arschkriechen, begleitet von grauenhaftem Bob-Dylan-Gequengel. Die Guten sind jung gestorben, wie das so üblich ist, und die Bösen sitzen jetzt in den Regierungen, Banken, Gewerkschaftsdirektionen und Medien – und denken gar nicht daran, die nachfolgenden Generationen ans Ruder zu lassen. 1968 ist die einzig gültige Wahrheit. Wer daran zweifelt, muss damit rechnen, von Gedankenpolizisten und Dokumentationsarchiven zur unerwünschten Person erklärt zu werden. Man nehme nur den Frühlingskatalog des einschlägig vorbelasteten Suhrkamp-Verlags (beispielhaft für viele andere, die ich jetzt nicht mehr aus dem Müll fischen will): Der bringt zur Erinnerung an das Mailüfterl gar eine ganze Reihe heraus, die sich „Suhrkamp 1968“ nennt. Da dürfen all die Untoten wieder aus ihren Gräbern steigen und neue Generationen mit ihrem Gedankengift zu infizieren versuchen: Enzensberger mit seinem „Kursbuch“, Habermas, Marcuse, Ernst Bloch, Peter Weiss und andere Kriegs-, Kolonialismus- und Kleinfamiliengegner — egal, ob ihre Thesen sich als falsch erwiesen haben oder mittlerweile völlig irrelevant sind. Dabei ist die Wahrheit so einfach: Es ist und bleibt alles, wie es war. Zwar sind heute wirklich alle Menschen gleich – nämlich gleich verblödet –, doch ein paar Schweine (die heute statt dem guten alten Fabrikantensmoking lieber Jeans, Bärte und Altherren-Parkas tragen) sind nach wie vor ein bisschen gleicher als die anderen, wie schon in Orwells „Farm der Tiere“. Doch das ist noch lange kein Grund, ihr Grunzen immer wieder neu zu drucken und weitere 40 Jahre lang auf die Menschheit loszulassen. 11 06_13 spektrum 15.01.2008 14:06 Uhr Seite 12 SPEKTRUM VORAUSGESETZT N AT U R V E R B U N D E N Freie Sicht Wenn es wieder wärmer wird, locken Rax und Semmering. Die altgedienten österreichischen Ausflugsziele zogen auch zahlreiche Schriftsteller an. Einem davon, Heimito von Doderer, ist ein ganzes Buch gewidmet, nämlich ein Ausflugs- und Wanderbuch der besonderen Art: „Heimito von Doderers Preinblicke“ von Claudia und Michael Girardi, erschienen in der Österreichische Verlagsgesellschaft. Doderer zog sich gerne in seinen Riegelhof zurück, erinnerte diese Landschaft ihn doch an seine Jugend. Ein einführender Text von Claudia Girardi unterstreicht – neben zahlreichen Zitaten aus seinen Romanen, Tagebüchern und Briefen – den engen Bezug von Doderer zum Land. Ein Lesebuch mit vielen historischen und aktuellen Fotos, das zum Schmökern, Vergleichen und natürlich auch zum literarischen Erwandern einlädt. I DIE ROTE ZORA Immer öfter gibt eine Verfilmung Anlass, einen Autor, ja oft sogar einen Literaturklassiker zu entdecken. Unbedingt empfehlenswert ist das für Kurt Helds (der eigentlich Kurt Kläber hieß) 1941 erschienenes Kinderbuch „Die rote Zora und ihre Bande“. Es erzählt die Geschichte einer Gruppe von Waisenkindern, die sich im kroatischen Küstenstädtchen Senj unter der Führung des rothaarigen Mädchens Zora zusammen- finden, um zu überleben. Bereits Ende der 1970er-Jahre führte eine Fernsehserie zur Wiederentdeckung des Buches für eine später geborene Generation. Dass die aktuelle Verfilmung von Peter Kahane dasselbe für die heutigen Kinder und Jugendlichen leistet, ist angesichts des hochkarätigen Ensembles (Mario Adorf, Ben Becker u. a.) fast sicher. In Deutschland wird sie deshalb von einer Schulkampagne der Stiftung Lesen begleitet. II DODO Die Bilderbuchreihe „Kleiner Dodo“ von Hans de Beer, der mit „Kleiner Eisbär“ schon eine unverwechselbare Figur geschaffen hat, findet nun auch eine filmische Umsetzung. Der neugierige kleine OrangUtan, der im Urwald eine Geige findet und nach allerhand skurrilen Verwendungsideen endlich die Musik entdeckt, ist eine wunderbare Projektionsfigur für Kinder mit und ohne eigenes Instrument. Das Buch zum Film, das die Geschichte auf 96 Seiten mit hohem Bildanteil erzählt, ist im NordSüd Verlag erschienen. III TANNÖD Wüste Film und Constantin Film beginnen im April 2008 mit den Dreharbeiten zur Verfilmung eines Bestsellers der jüngsten Zeit: Andrea Maria Schenkels Roman „Tannöd“ schaffte es rasch auf die Bestsellerlisten und wurde in Deutschland bisher 400.000 Mal verkauft. Die Kriminalgeschichte um den Mord an der Familie Danner in Tannöd, die mitsamt ihren Kindern in einer einzigen Nacht von einem Mör- der mit einer Spitzhacke ausgelöscht wurde, geht auf einen wirklichen, bis heute nicht gelösten Kriminalfall aus dem Jahr 1922 zurück. Das führte sogar zu einer Plagiatsklage in Bezug auf eine früher erschienene Dokumentation. Für die Verfilmung unter der Regie von Bettina Oberli konnte die Charakterdarstellerin Monica Bleibtreu verpflichtet werden. Man darf gespannt sein: Auf den Film und dann im Kino auf die Lösung. PREISE UND AUSZEICHNUNGEN Preis Bad Iburger Kinderliteraturpreis Alfred-Gesswein-Literaturpreis Bruno-Kreisky-Preis Der Meefisch Roswitha-Preis Alice-Salomon-Poetik-Preis Tukan-Preis Mitteleuropa-Preis Heinrich-Mann-Preis Buchpreis der Wiener Wirtschaft National Book Award National Book Award Karikaturen-Preis Mara-Cassens-Preis Jean-Paul-Preis Bremer Literaturpreis Kleist-Preis Angelus-Preis Elias-Canetti-Preis 12 Preisträger Veronica Ferres Linda Stift Christine Ockrent Kateryna Yerokhina Felicitas Hoppe Gerhard Rühm Fridolin Schley Karl-Markus Gauß Hans Schlaffer Trude Marzik Tim Weiner Denis Johnson Detlef Beck Larissa Boehning Uwa Dick Hans Joachim Schädlich Wilhelm Genazino Martin Pollack Alek Popov Buchtitel Schlossgeschichten Eine neue Saison Das Schwarzbuch zur Lage der Frauen ABC-Buch Gesamtwerk Gesamtwerk Wildes schönes Tier Gesamtwerk Gesamtwerk Gesamtwerk Legacy of Ashes Tree of Smoke Am Strand bei Windstärke 12 Lichte Stoffe Gesamtwerk Vorbei Gesamtwerk Der Tote im Bunker Die Hunde fliegen tief Preisgeld 1.000 € 2.000 € 2.000 € 2.000 € 5.500 € 6.000 € 6.000 € 7.200 € 8.000 € 8.000 € 10.000 $ 10.000 $ 10.000 € 10.000 € 15.000 € 20.000 € 20.000 € 41.000 € o. A. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTOS: AUS „HEIMITO VON DODERERS PREINBLICKE“/ÖSTERREICHISCHE VERLAGSGESELLSCHAFT, UNIVERSAL PICTURES, 2007 WARNER BROS. ENT. Der Film zum Buch 06_13 spektrum 15.01.2008 14:09 Uhr Seite 13 SPEKTRUM ONLINE SCHEINREICH Literatur im Internet SPIROGRAF Die langjährige Lektorin großer Verlage (S. Fischer, Hoffmann & Campe, Rowohlt) Bettina von Buelow hat im immer dichteren Netz der Literaturportale eine Nische erschlossen. www.spirograf.de wendet sich an professionelle Leser. In „Essentials“ zu wichtigen Buchtiteln und literarischen Neuentdeckungen wird über Autor, Thema, Inhalt, Sprache, Marktsituation, Übersetzbarkeit, Vergleichstitel und das Marketing rund ums Buch informiert. Ein Jahresabo kostet Euro 179,-, ein Probe-Essential steht zum kostenlosen Herunterladen bereit, und im Forum können Lektüreempfehlungen, Lizenzanfragen und Leseempfehlungen gegeben werden. ZENO Das Offline-Angebot der größten deutschen Internetbibliothek www.zeno.org wird kontinuierlich erweitert. Kostenlos kann man schon in ca. 1,6 Millionen Seiten Texten und Bildern stöbern. Offline sind nun unter anderem die Werkverzeichnisse von Édouard Manet und Antoine Watteau sowie zahlreiche Quellenverzeichnisse oder „Deutschland in frühen Farbfotografien – 1400 Farbfotos von 1913 bis 1930“ erhältlich. Zum vierten Mal erscheint das aktuelle (Stand August 2007) Wikipedia mit über 600.000 Stichwörtern und 400.000 Abbildungen auf einer DVD-Rom. HÖRVERLAG Seit Ende 2007 präsentiert sich der Hörverlag unter www.hoerverlag.de im Internet Bibliophiles Sparbuch komplett neu, und zwar in einer von der Webagentur Design Aspekt realisierten Gestaltung. Unter anderem wurde dazu eine komplette Autoren- und Künstlerdatenbank mit Hörbeispielen zu allen 700 lieferbaren Titeln angelegt. Außerdem werden erstmals die Titel sowohl nach Genres als auch nach HörbuchFormaten wie Lesung, Inszenierte Lesung, Hörspiel, Feature oder O-Ton sortiert. Selbstverständlich kann man auf der Seite auch das Magazin Schallwelten als pdf herunterladen oder den Newsletter des Verlags bestellen. Woche des Wissens und Forschens In einem Land, in dem sich die Bundeskanzlerin als weltweit erste Regierungschefin wöchentlich per Video-Podcast an die Öffentlichkeit wendet, ist die vielfältige Nutzung dieses Mediums vorprogrammiert. Jetzt launcht das Verlagshaus Droemer Knaur mit „Der Killer Club“ den ersten kostenlosen Fortsetzungskrimi im Podcast-Format. 10 hochkarätige Autoren verfassen auf www.krimipodcast.de im monatlichen Wechsel die Plots, und zum Finale kürt die Web-Gemeinde zur Buchmesse 2008 ihren Favoriten. Im Prolog von Sebastian Fitzek erfahren die Hörer vom wahnsinnigen Plan des todkranken Milliardärs Roderick van Larven, einen Wettbewerb unter der internationalen crème de la crème der Gewaltverbrecher auszuloben. Dann geht es mit Michael Böckler („Tödlicher Tartufo“) und Simone Buchholz („Revolverherz“) weiter. Damit ist Spannung über viele Monate garantiert. Sachbücher stoßen auf immer größeres Interesse und die Zuwächse im Buchhandel sind beachtlich. Da war es nahelie7. - 12. APRIL 2008 gend, erstmals eine Wahl zum „Wissenschaftsbuch des Jahres“ zu veranstalten. Viele Menschen interessieren sich heute immer mehr für aktuelle Forschungen, da von Gentechnologie bis Klimaforschung die Ergebnisse auch ihren Alltag betreffen. Vom 7. bis 12. April findet deshalb in Österreich die „Woche des Wissens und Forschens“ statt. Zahlreiche Wissenschaftler/innen werden dabei in Buchhandlungen, Büchereien und Bibliotheken über ihre Forschungen und Publikationen berichten. Bereits im Vorfeld vergibt der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung den Preis für das beste wissenschaft- BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Verschwender und dem Geizhals mit dem Zaunpfahl winken, indem man ihm ein Sparbuch schenkt. Mit oder ohne Guthaben? Ein kleines Startkapital ist sicher ein Ansporn, es zu vermehren. Das Spar- KRIMI-PODCAST Das beste Wissenschaftsbuch des Jahres Man kann dem Buch von MeterMorphosen lässt sich sogar elegant im Bücherregal unterbringen. Als Hohlbuch verfügt es über ein Geheimfach für Geldverstecke aller Art und einen Schlitz an der Oberseite. 32 Seiten mit Texten berühmter Autoren – von Seneca bis zu Goethe, Flaubert und Raymond Chandler zu den Themen Lesen, Buch, Geldbesitz und Geldmangel – umrahmen diese bibliophile Sparbüchse. Abbildungen von thailändischem Bootsgeld, Tabak- und Muschelgeld bis zu afrikanischen Salzfladen aus dem Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main vermitteln Einblicke in die regionalen Eigentümlichkeiten eines globalen Maßstabs. liche Sachbuch des Jahres. Gewählt werden kann in vier Kategorien: Medizin und Gesundheit, Wissenschaft und Technik, Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sowie Kinder- und Jugendbuch. Aus einer Longlist der wichtigsten Bücher des Jahres 2007 erstellt eine kompetente Jury eine Shortlist, die über Folder und auf einer eigenen Website veröffentlicht wird. Und dann kommen die Leser/innen zum WOCHE DES WISSENS & FORSCHENS Zug. Sie können nämlich abstimmen, Die besten Wissenschaftsbücher Die Aktion 2008 des Jahres 2007 und die Bücher mit Machen Sie jetzt mit bei der Wahl und gewinnen Sie tolle Preise ■ WETTBEWERB den meisten NenDie Wahl Wählen Sie in 4 Kategorien Die Jury Longlist Naturwissenschaften/ Technik nungen gewinnen. All-time favorites Medizin/Gesundheit ■ AKTIONSWOCHE Unter den TeilnehTerminkalender Geistes-/Kultur-/Sozialswissenschaften ■ ÜBER DIE AKTION Junior-Wissensbücher mer/innen am Die Idee Partner Tolle Preise zu gewinnen Presse Wenn Sie bei der Wahl mitmachen und Ihre Adresse angegeben haben, Publikumsvoting können Sie tolle Preise gewinnen. ■ DAS MAGAZIN Wir verlosen zahlreiche Buchpakete und attraktive Sachpreise… Wissen aktuell werden auch ■ IMPRESSUM É wertvolle Preise Info unter www.woche-des-wissens.at vergeben. Weiter zur Wahl 13 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:12 Uhr Seite 14 B U C H W E LT Seine Helden sind Verlierer Richard Ford ist dieses Mal unser Autor des Jahres. Ein Versuch, sich dem Werk von Richard Ford zu nähern. VON KONRAD HOLZER erlierer können oberflächlich geschwätzig sein oder introvertiert, wortkarg. Beide Varianten bietet Richard Ford an, oft in ein und demselben Buch. Er hat den Blick fürs Detail, auf das er sich sehr gerne einlässt – und für das Große, Ganze, „Die Lage des Landes“, wie sein letzter Roman heißt. Das Leben eines Menschen kann er in ein paar Sätzen skizzieren. Seinen Helden Frank Bascombe begleitet er aber nun schon durch drei Bücher. Es ist seine Bandbreite, die fasziniert. Kurze Erzählungen und viele hundert Seiten dicke Romane, Gewalt und innere Einkehr, Details in Sachen Mode und Beobachtungen sozialer und politischer Natur, das alles beherrscht Richard Ford. Und – er fordert einen, er verlangt zu reagieren, sich auf ihn einzulassen, zu bekennen, um letztlich dann „Ich“ zu sagen. Wobei einem sein Held Frank Bascombe auch ganz nahe kommt, einen direkt anspricht, auch wenn das per „Sie“ ist. V DIE STELLEN Natürlich behält man die großen, langen Romane irgendwie in Erinnerung, die Grundstimmung, die in ihnen herrscht. Aber – und das ist ein Phänomen, das bei Ford besonders zu Tage tritt – man merkt sich auch Stellen, und das nicht aus irgendeinem Grund, sondern weil sie entweder so intensiv erzählt sind oder weil einen die Sprache gefangen nimmt oder einen die Situation fesselt, eine einmalige Situation, die scheinbar einfach nur so dahin erzählt wird. Solche findet man zumeist in seinen Erzählungen, die sowieso viel intensiver, genauer gearbeitet sind, zwar mit demselben Aufwand an Gefühl, aber mit weniger Aufwand an Worten. Als kleines Beispiel eine Stelle aus der Erzählung „Abgrund“: Ein Mann und eine Frau im Grand Canyon. Er soll sie fotografieren, und während 14 seiner Vorbereitungen spricht sie: „Dieser Canyon ist eigentlich ganz jung, er sieht nur alt aus. Oha.“ Die Bedeutung dieses „Oha“ kann er – und auch der Leser – nicht gleich erkennen. Das Erschrecken kommt erst später, dafür umso intensiver. Mit diesem „Oha“ hat sie wahrscheinlich ein Ausrutschen kommentiert, das zum tödlichen Absturz führt. DIE GEWALT Ein eigenartiges Phänomen bei Ford ist sein Umgang mit der Gewalt. Sie spielt nicht nur in seinem Romanerstling „Ein Stück meines Herzens“ eine große Rolle, beginnt doch dieses düstere Buch, das ganz im Stil der großen, alten Südstaatenromane geschrieben ist, mit einem Mord. Nein, auch in „Die Lage des Landes“ wird Frank Bascombe einige Male damit konfrontiert. Sei es, dass er sich am Boden einer Bar raufend herumwälzt oder dass ihm ein kleiner Bösewicht in die Brust schießt. Während er nach diesem Attentat dann in die MayoKlinik geflogen wird, denkt er hoch oben in der Luft – der wie schon angeführt ins Detail verliebte Autor weiß genau wie hoch, nämlich 23.000 Fuß: „Die Gewalt, dieser Hochstapler, verkürzt unsere Erwartungen, unsere Logik, unsere nächsten Tage, unsere Nachmittage, unsere süßen Abende, unsere ganze Geschichte.“ Und da oben überschaut er „nordwärts und ostwärts bis zum lila Horizont hin die Lage des Landes“. Gibt somit am Ende des Romans seinem Titel eine ganz andere, nämlich geografische Bedeutung, wo man doch vorher annehmen hat können, dass es sich um die politische, soziale und wirtschaftliche Lage gehandelt hätte. Frank hat auch gleich so gewalttätige Vergleiche bei der Hand: „Erzählen Sie keinem Menschen jemals, Sie wüssten, wie er sich gerade fühlt, es sei denn, Sie rammen in derselben Sekunde zufällig dasselbe Mes- AUTOR DES JAHRES 2007 Die Wahl ist vorbei. Richard Ford wurde von den Buchkultur-Leserinnen und -Lesern zum Autor des Jahres gekürt. ser an der selben Stelle in dasselbe Herz, das er gerade durchbohrt. Denn sonst wissen Sie nicht, wie dieser Mensch sich fühlt.“ ZUR PERSON Richard Ford wurde am 16. Februar 1944 in Jackson, Mississippi, also in den Südstaaten der USA geboren, studierte Creative Writing an der University of California und entschied sich schon relativ früh, mit 24 Jahren, für eine Karriere als Schriftsteller. Er unterrichtete 1975 an der University of Michigan und veröffentlichte 1976 seinen ersten Roman „A Piece of My Heart“, dt. „Ein Stück meines Herzens“ (Nominierung für den „Hemingway Award for Best First Novel“), 1981 folgte „The Ultimate Good Luck“, dt. „Verdammtes Glück“. In diesem Jahr wurde er Sportreporter bei einem New Yorker Magazin. Als das Magazin eingestellt wurde, begann er mit seiner Arbeit an „The Sportswriter“, dt. „Der Sportreporter“. Das Buch kam 1986 heraus und wurde von der „Times“ zu einem der fünf besten Bücher des Jahres gewählt. 1987 erschien seine Erzählsammlung „Rock Springs“, 1989 wurde er mit dem „American Academy of Arts and Letters Award in Literature“ ausgezeichnet, 1990 kam „Wildlife“, dt. „Wild leben“, heraus und 1995 „Independence Day“, dt. „Unabhängigkeitstag“. Für diesen Roman bekam er 1996 – und das zum ersten Mal in der Geschichte der amerikanischen Literatur – sowohl den „PEN/Faulkner Award“ und den Pulitzer Prize. 1997 erschien „Women with Men“ und 2002 die Erzählsammlung „A Multitude of Sins“, dt. „Eine Vielzahl von Sünden“. 2006 kam „Lay of the Land“, dt. „Die Lage des Landes“, heraus. 2007 war Richard Ford – gemeinsam mit Jeffrey Eugenides – als Dichter zu Gast bei den Salzburger Festspielen im Schloss Leopoldskron. Das Schloss wurde für diese Veranstaltung zum ersten BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 14-27 buchwelt 17.01.2008 15:32 Uhr Seite 15 Die BuchkulturLeserinnen und -Leser haben gewählt! Der AUTOR DES JAHRES ist bestimmt – wer noch dabei ist auf den vorderen Plätzen, stößt jedes Jahr auf entsprechende Aufmerksamkeit. Wohl auch deshalb, weil die von der Redaktion erstellte „Nominierungsliste“ exzellente Namen vorwies. Gute Tipps, die die Qual der Wahl erleichtern sollten. Autor/inn/en des Jahres 2007 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Kurze Erzählungen, dicke Romane, Gewalt und innere Einkehr, das alles beherrscht R. Ford. Mal nach Max Reinhardts Emigration für eine Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen geöffnet. FOTO: PETER PEITSCH / PEITSCHPHOTO.COM FRANK BASCOMBE Bascombe ist für Ford das, was Harry „Rabbit“ Armstrong für John Updike und Nathan Zuckerman für Philip Roth ist, ein Sprachrohr, das auf die Situation in der amerikanischen Gesellschaft hinweist und wie sie sich im Laufe der Zeit ändert – oder gleich bleibt. Er setzt in „Unabhängigkeitstag“ und in „Die Lage des Landes“, das rund um Thanksgiving spielt, er setzt also an den zwei amerikanischen Feiertagen „dem amerikanischen Traum die Wirklichkeit des amerikanischen Dilemmas entgegen“ (Kurier). Man darf nur nicht den Fehler machen zu glauben, dass Frank Bascombe Richard Ford ist. Eines haben sie gemeinsam, dass sie beide Sportreporter waren. Während der eine Autor geworden ist, um über den anderen schreiben zu können, hat der wieder sein Glück als Immobilienmakler gesucht und gefunden. Ford hat ja zu der Zeit, als er „Die Lage des Landes“ geschrieben hat, nicht ahnen können, was mit den amerikanischen BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Immobilien passieren wird. Eine Frage, die sich nun aufdrängt, ist, ob diese neue Situation Ford bewegen könnte, aus der Trilogie eine Tetralogie zu machen, einen vierten Roman zu schreiben. DER SCHLUSS Richard Ford ist – besonders in seinen Erzählungen – ein Meister der letzten Sätze. Die fallen entweder in die völlige Verzweiflung – oder versprühen Optimismus: „Und bald schon (…) würde er eine kleine Entlastung verspüren, eine Erleichterung, das Gefühl eines Ereignisses, das sich vollendet hatte, sodass er mit der Zeit immer weniger daran denken würde, bis ihm schließlich alles im Nachhinein fast vollkommen erschiene.“ In diesem Sinn zieht auch Frank Bascombe sein Fazit: „dass die Dinge auch besser laufen können, als man gedacht hat“. DER AUTOR Richard Ford wurde 1944 geboren und lebt in den USA. Seine Werke erscheinen auf Deutsch im Berlin Verlag. |Die Lage des Landes| Übers. v. Frank Heibert. Berlin Verlag 2007, 720 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 43,70 Richard Ford (Berlin Verlag) Robert Menasse (Suhrkamp) Julia Franck (S. Fischer) Ian McEwan (Diogenes) Gerhard Roth (S. Fischer) Peter Henisch (Zsolnay) Michael Köhlmeier (Hanser) Cormac McCarthy (Rowohlt) Don DeLillo (Kiepenheuer&Witsch) Kathrin Passig (Rowohlt Berlin) Julia Franck, die den Deutschen Buchpreis 2007 gewonnen hat, wurde um Nasenlänge von zwei Herren geschlagen: Robert Menasse schaffte es mit seinem kontroversiell aufgenommenen Roman auf Platz 2, übertroffen nur vom großen US-Autor Richard Ford. Erfreulich auch die Platzierungen von Gerhard Roth und Peter Henisch sowie Michael Köhlmeier. GEWINNER DER BUCHPAKETE: Unter den zahlreichen Einsendungen haben wir 10 Buchpakete verlost. Diese gehen an: • Herr Folke D’haemer, Biel-Benken • Frau Daniela Köck, Salzburg • Frau Elisabeth Lengauer, Perchtoldsdorf • Frau Veronika Lichtenberger, Rust • Frau Anita Maindl, Ardning • Frau Karin Naglik, Oberndorf • Frau Christine Plattner, Filderstadt • Herr Peter Georg Rager, Salzburg • Frau Hemma Sturmlechner, Wien • Herr Wilhelm Voß, Osnabrück 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:21 Uhr Seite 16 Über Sexualität zu schreiben, gehört zu den schwierigeren Übungen für AutorInnen: R. Menasse und Monique Schwitter Eros und Wort H Das Lebensgefühl einer Generation, einer Epoche findet man seit jeher in der Romandichtung geschildert, von Cervantes über Grimmelshausen bis García Márquez oder Kundera. Dabei geht es immer – und nicht zuletzt – um Sexualität und Tod, Lust und Sterben. In welcher literarischen Verknüpfung erscheint uns dies gegenwärtig, lautete die Frage der 15. Folge von „Transflair“. Dazu lasen, darüber sprachen Monique 16 Monique Schwitter und Robert Menasse bei TRANSFLAIR über Generationen, Sexualität und Erzählen. VON KLAUS ZEYRINGER Schwitter, die Schweizer Schauspielerin-Autorin, die in Hamburg am Theater engagiert ist, und Robert Menasse: beide fulminante Lesekünstler. Ein weiblicher Zugang und ein männlicher, das Lebensgefühl der Nach-Achtundsechziger und jenes der Nach-Neunundachtziger. Monique Schwitter trägt zunächst eine unveröffentlichte Kurzprosa aus ihrem Projekt „Höhepunkte. Texte für begabte Spielerinnen“ vor, zu dem sie mit Frauen über deren sexuelle Phantasien gesprochen hatte, sodann die Erzählung „Anflug“ aus ihrem Debütwerk, die präzise beschriebene Beobachtung eines Wartens, das ins Existenzielle spielt: Ein weibliches Ich soll den Liebhaber am Flughafen abholen, der Countdown zum Treffen lässt dieses dann doch platzen. Der Titel von Schwitters erstem Band, „Wenn’s schneit beim Krokodil“, vermag ebenso zweideutig zu klingen wie die Stimmung in den Geschichten. Begegnungen und Rückzüge vermitteln sie aus knapper Innensicht; hinter der Gefühlsnüchternheit blinkt eine Heftigkeit von Affekten auf, und es bleibt ein geheimnisvoller Rest. Ob die Frauenfiguren das sind, was sie erzählen, bleibt offen. „Du bist, was du erzählst“, sagt eine Geliebte, Christa, Dozentin für alte Sprachen, zum Ich-Erzähler Nathan, der auch ins narrative Er wechseln und dies reflektieren kann. Robert Menasse liest aus seinem Roman „Don Juan de la Mancha“. Mit fein-ironischem Ton, als sei es eine Kreuzung von Flaubert und Kundera im heutigen Sprachgewand, schafft er eine gegenwärtige „Education sentimentale“ einer Bildungsbürgerschicht nach 1968. Nicht die Erziehung der Herzen, sondern die „Erziehung der Lust“ betont der Untertitel. Es ist das Porträt eines Don Juan im Kampf mit den Lustmühlen in einer Zeit problematischer Männlichkeit und schwierigen Genusses. In einem der Exkurse, die den Roman in Menasses Poesie des Konters pointieren, denkt Nathan, wie seltsam es sei, dass so viele große Autoren sich bei ihren Landschaftsbildern an den schönsten Beispielen der Literaturgeschichte orientieren, bei der Beschreibung von Sex jedoch an billigen Illustrierten. Geschichten von Illusionen und Desillu- sionen, verschiedene Höhepunkte und der Satz „Lust muss herrschen“... Eine dezidierte geschlechtsspezifische Sichtweise erkenne sie allerdings nicht, sagt Monique Schwitter, bei der Lektüre des „Don Juan de la Mancha“ habe sie eine starke Nähe empfunden. Ihre Erzählung „Anflug“, betont Robert Menasse, habe ihm eben auch bestätigt, dass eine männliche und eine weibliche Perspektive verschwimmen mögen, wo profunde Menschheitssehnsüchte ins Spiel kommen. Er selbst spüre ebenso diese Sehnsucht, die bei Monique Schwitter die wartende Frau in sich trägt, während ihr Gegenüber in der Flughafenhalle, der Mann ohne Unterleib, dies nicht ausdrückt. Sein eigenes Buch bezeichnet Menasse als „Sehnsuchtsroman“, in dem das Objekt der Begierde die Lust ist, bei Monique Schwitter hingegen gehe es um eine Art Ordnung in der Welt, in der auch die Gefühle eingebettet sind. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTOS: WOLFGANG KÜHN/ULNÖ inten im Raum reicht eine schmale, leicht gewundene Büchersäule fast bis zur Decke. Die Bände scheinen kunstvoll fragil geschichtet, aufeinander geklebt, als seien sie Fragezeichen einer Leselust. Der Saal im Literaturhaus Krems/ Stein ist fast voll, es geht um „Die Erziehung der Lust“, nachdem der 14. Abend der Serie „Transflair“ von den „Lebensrändern“, dem Tod gehandelt hatte: die Menschheitsthemen Eros und Thanatos. „Das war doch das Beste, was wir gehabt haben“, sagt der Held am Ende von Flauberts „Education sentimentale“ zu seinem Freund. Sie erinnern sich eines jugendlichen Bordellbesuchs, als jener Frédéric Moreau einen Strauß Blumen darbot, „wie ein Verliebter seiner Braut“. Die Gewissensbisse und der Genuss, „mit einem Blick so viele Frauen ihm zu Gebote zu sehen, erregten ihn dermaßen, dass er sehr bleich wurde“. Die Mädchen lachen über seine Verlegenheit, er läuft davon. „Ja, vielleicht war das wirklich das Beste, was wir gehabt haben“, lautet der letzte Satz in Flauberts Roman, der in dieser Szene noch einmal das Lebensgefühl einer gescheiterten Generation konzentriert und so dieses Hauptwerk der Desillusionsromantik schließt. 14-27 buchwelt.qxd 17.10.2013 13:01 Uhr Seite 17 Sie sieht das anders. Bei Menasse erschei- eben in der plausiblen sozialen sowie histone Lust als Erlösung, die Figuren in ihrer Pro- rischen Fixierung, während sie ihre eigenen sa jedoch suchen die Begegnung, können sich Figuren meist aus derartigen Gegebenheiten daran reiben und daran scheitern. Es gebe herausnimmt: Oft haben sie keinen Namen, keine andere Erzählliteratur als jene vom scheint der Ort nicht wichtig, geht es vielScheitern, antwortet Menasse: Die Menschen mehr um dieses Phänomen, dass sich jemand wurden aus dem Paradies vertrieben, seit- in die Welt geworfen fühlt. her suchen sie panisch zumindest den HinAuf die Frage, wie Sexualität und Lust betereingang – im Paradies aber werden sicher schrieben werden sollen, meint Robert Mekeine Romane geschrieben, und seit dem nasse, dies sei vermutlich das Schwierigste in ersten bürgerlichen Roman lässt sich nur dar- der Literatur. Was wäre einfacher?, wirft stellen, wie ein Scheitern von Hoffnungen Monique Schwitter ein. Schreiben Sie nie!, und Kämpfen konkret verlief. Balzac sieht ja ruft Menasse ins amüsierte Publikum, schreidie Erzählung als einen Bericht, bei dem die ben sei ohnehin entsetzlich schwer, und im Zeitgenossen sich wieDeutschen gebe es dererkennen und sie von eigentümlicherAnstelle einer heutigen späteren Generationen weise keine auverstanden werden. Das thentische SpraBastelanleitung für IKEA„Scheitern“ gelte es zu che für Sex, sie Möbel galt es, Wilhelm definieren, wirft Moniwerde sofort zotig Reichs Bastelanleitung zum que Schwitter ein und oder kitschig oder Orgasmus umzusetzen. verweist auf die Verphrasenhaft. (Als störungen in der GeGegenbeweis schichte des Nathan, dieses Don Juan gegen kommt einem etwa die Philadelphia-Szene die Lustmühlen. Er ist glücklich verheiratet in Evelyn Schlags Roman „Architektur einer und wie alle glücklich verheirateten Männer Liebe“ in den Sinn.) „Sich lieben“, fährt Mechronisch ein bisschen unglücklich. Dieser nasse fort, sei zudem zeitgeistig geprägt; verSatz konzentriere beredt einen Ansatz des schiedene Generationen in verschiedenen Buches und enthalte ein Scheitern am eige- Epochen lieben anders. Dies gelte es zu erzählen, und dazu müsse man eine Sprache für nen Glücklichsein. die körperlichen Vorgänge finden. Schwitters Prosa aus dem Projekt „Höhepunkte“ Der Unterschied zwischen ihnen beiden liege im anderen Anspruch, mit dem sie sieht er als ansprechende Möglichkeit, Sexuajeweils in ihrer Generation sozialisiert wor- lität zu erzählen. Sie habe, präzisiert Moniden seien, sagt Menasse: In den 1970er-Jah- que Schwitter, überhaupt aus diesem Grund ren war nur der größte Anspruch gut genug, begonnen, mit den sechzig Frauen zu reden: dass sich ein Student aus dem Bett oder ins Sie wollte erfahren, ob es eine gemeinsame Bett bewegt hat; anstelle einer heutigen Bastel- Sprache gibt, um über Sexualität zu reden. anleitung für IKEA-Möbel galt es, Wilhelm Die Interviews haben ihr klargemacht, dass Reichs Bastelanleitung zum Orgasmus umzu- diese Sprache gesellschaftlich nicht besteht setzen, und zwar so, dass er auch gleich auf – man vermag sie sich literarisch anzueigdem Weg der Weltrevolution einen Schritt nen. Auf dass Eros und Wort zueinander finweiterbringe. Alles sei mit Freiheitskämp- den. fen verbunden worden, mit einer Befreiung vom Kapital, einer Befreiung der SexualiZUM THEMA tät, der unterdrückten Völker, und sei es später schließlich nur jene der ausgebeuteten Die grenzüberschreitende LeseBauern durch den Kauf von Fair-Trade-KafGesprächsserie „Transflair“ findet seit fee. Unter dieser Last habe sich alles schwer März 2004 im Unabhängigen Literaturund kompliziert gestaltet. haus (ULNÖ, www.ulnoe.at) statt. In Auf die Erfahrung einer sich selbst so beGesprächen österreichischer Autorinstimmenden und beschreibenden Gesellschaft nen und Autoren mit Kolleginnen und greift Monique Schwitter nicht zurück, stamKollegen von anderswo werden mithilfe me sie doch aus einem Mittelstand ohne Beder Literatur Bekanntes und Fernes wusstsein für den eigenen Stand. Für sie stellmiteinander verbunden. te 1989 den tiefen Einschnitt dar; danach Monique Schwitter |Wenn’s schneit beim Krokodil| habe es sich als nicht nötig und nicht mögDroschl 2005, 184 S., EurD/A 19/sFr 34 Robert Menasse |Don Juan de la Mancha oder Die lich erwiesen, eine Befreiung zu suchen. Die Erziehung der Lust| Suhrkamp 2007, 274 S., EurD 18,80/ Bedeutung der lokalen Verortung und der EurA 19,40/sFr 32,80 Codes in „Don Juan de la Mancha“ sieht sie BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:26 Uhr Seite 18 Drago Jancar schreibt auch gegen den Zeitgeist ATTENZIONE! DER NEUE GRISHAM Einst umjubelter Football-Star, steht Rick Dockery plötzlich vor dem Aus. Ein Angebot aus dem fernen Italien kommt da wie gerufen: Die »Parma Panthers« suchen einen neuen Spielmacher. Rick zögert nicht, und aus der Reise ins Ungewisse wird die Reise in ein neues Leben. 352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag € 18,50 [A] · ISBN 978-3-453-26591-2 Auch als Hörbuch bei Random House Audio Ein slowenischer Daedalus Drago Jancars Roman BUCHKULTUR: Ihr Roman „Katharina, der Pfau und der Jesuit“ spielt im 18. Jahrhundert. Was haben Geschichte und Gegenwart gemeinsam? Drago Jancar: Ich könnte antworten wie Umberto Eco: weil mich die Vergangenheit mehr interessiert als die Gegenwart. Aber das reicht meiner Meinung nach nicht aus. Mir eröffnet das Eintreten in eine andere Zeit einen Raum der Imagination. Ich kann ein Märchen über erwachsene Menschen erzählen, über Kampf, Liebe, Tod, Schmerz, über die Gier nach Erfolg im Kampf und Ruhm, aber es ist immer noch eine Geschichte, die ich erfinde und erzähle. Andererseits ist das 18. Jahrhundert seinem Weltgefühl nach der heutigen Zeit sehr ähnlich. Der Katholizismus erfuhr in dieser Zeit gleichsam seine Götterdämmerung, ging ab in eine Art Dekadenz, während Aufklärung und Nationalismus heraufstiegen. Dieser Bruch in der Zeit ist in uns erhalten geblieben, wenn auch nur in Fragmenten. Das 20. Jahrhundert mit seinen Ideologien, die die Welt retten wollten, hat diese Brüche verdeckt. Den kulturellen Schwung jener alten Zeit spüren wir noch. Maria Theresia hat bei uns die Schulpflicht eingeführt, das war ein weitaus bedeutenderes Ereignis als die Oktoberrevolution. BUCHKULTUR: Wie steht es um die Wirkung von slowenischer Literatur im Ausland? „Katharina, der Pfau und der Jesuit“ schildert das Schicksal dreier Menschen im Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763. Der vielfach ausgezeichnete slowenische Autor über seinen Roman, die Wirkung slowenischer Literatur und seine Rolle auf dem Buchmarkt. VON ERNST GRABOVSZKI Jancar: Es wird jetzt mehr slowenische Lite- ratur als je zuvor ins Deutsche übersetzt, nicht zuletzt weil Slowenien selbst Übersetzungen seiner Literatur in andere Sprachen finanziell unterstützt. Wie jede kleine Nation wünscht sich auch Slowenien mehr Außenwirkung seiner Kultur. Das hat eine gute und eine schlechte Seite. Die gute Seite ist, dass auf diese Weise die slowenische Literatur im Ausland bekannt wird, die schlechte Seite ist, dass auch viel Mittelmäßiges über die Grenzen kommt. Das ist nicht zuletzt eine Folge von falsch eingesetzten Subventionen. BUCHKULTUR: Und wie erleben Sie den Buchmarkt in Slowenien? Jancar: In Slowenien werden jährlich 4000 Titel gedruckt. Verglichen mit der Ukraine ist das viel: Dort erschienen noch vor wenigen Jahren 500 Titel bei einer GesamtbeBUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 www.heyne.de FOTO: JOZE SUHADOLNIK Ein Amerikaner entdeckt seine italienische Seele 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:33 Uhr Seite 19 B U C H W E LT völkerung von 50 Millionen. Kurz gesagt: In Slowenien wurden noch nie so viele Bücher gedruckt, noch nie wurden so viele Bücher subventioniert, aber auch noch nie haben so wenige Menschen gelesen. BUCHKULTUR: Worauf ist das zurückzuführen? Jancar: Die Medienkonkurrenz ist größer Jancar: Wir nennen die 1970er-Jahre die „Bleierne Zeit“, weil sich damals die ideologischen Repressalien sehr verstärkt haben. Doch trotz dieses Drucks konnten sich zahlreiche Avantgarden entwickeln. Vielleicht war das eine Suche nach einem Ausweg. Die Ergebnisse waren dennoch herausragend, auch in der Kunst. Mein Unglück war, dass mich auch andere Dinge interessiert haben, etwa die Frage, warum nach dem Krieg so viele Menschen umgebracht wurden. Das brachte mich in Konflikt mit dem Staat. geworden. Die Menschen lesen lieber kurze, anspruchslose Texte, falls sie überhaupt lesen. Als sich das Fernsehen durchsetzte, hofften wir, dass sich die Menschen den Künsten öffnen würden, mehr über die Welt erfah- BUCHKULTUR: Welche Rolle spielen die ren wollten. Das GegenSchriftsteller heute in teil war der Fall. Die Slowenien? Die ästhetischen Inhalte Menschen wissen nun Jancar: Als Slowenien zwar mehr über lokale unabhängig wurde, ist haben sich auf das Gegebenheiten, über die eingetreten, was ich imNiveau von Seifenopern Welt hingegen wissen mer befürchtet hatte. reduziert. sie nichts. Die ästhetiMeine Hoffnung war schen Inhalte haben sich gewesen, dass sich Sloauf das Niveau von Seifenopern reduziert. wenien für die europäischen Strömungen Diese Mentalität der Vereinfachung, der Ent- öffnen würde, aber das war nicht der Fall. ästhetisierung, wirkt sich nun auch auf die Die lokale Kultur interessiert sich nur für Literatur aus. Die Verleger bevorzugen Bü- sich selbst: kleine Prestigekämpfe, Kämpfe cher, die den oberflächlichen Geschichten im um Preise und Subventionen. Das ist zwar Fernsehen entsprechen. Anspruchsvolle Ver- überall so auf der Welt, auf einem so kleilage gehen zu Grunde. Das Verlagswesen nen Raum hingegen ist es erstickend. selbst wird immer mehr zur Industrie. BUCHKULTUR: Wie intensiv ist Ihr KonBUCHKULTUR: Wie passt dann Ihr jüngstes Buch „Katharina, der Pfau und der Jesuit“ in einen solchen Kontext? Jancar: Dieses Buch ist mit Absicht gegen den Zeitgeist geschrieben. Es richtet sich an einen Leser, der sich auf das epische Geschehen einlassen möchte, der Freude am Wort, am Satz, am Dahinfließen einer Geschichte hat, der bereit ist, mit den Helden zu leben, sie zu lieben, mit ihnen mitzufühlen, sie vielleicht auch abzulehnen. Für einen anspruchsvollen Leser ist dieses Buch spannend, für einen Leser, der sich die Ästhetik einer Seifenoper erwartet, ist mein Roman nicht geeignet. BUCHKULTUR: Sie waren 1974 wegen feindlicher Propaganda und publizistischem Ungehorsam inhaftiert. Wie schwer war es in dieser Zeit, Literatur zu schreiben? ZUM AUTOR Drago Jancar wurde 1948 in Maribor geboren und gilt als der bedeutendste zeitgenössische Autor Sloweniens. Seine Romane, Essays und Theaterstücke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt Drago Jancar den Jean-Améry-Preis für Essayistik. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 takt mit der jüngeren Autorengeneration in Slowenien? Jancar: Die jüngere Generation von Auto- ren ist meiner überdrüssig, ich bin ihr über den Kopf gewachsen, und sie würden mich gerne loswerden. Es gibt eine Reihe von Autoren und auch Literaturkritikern, mit denen ich Freundschaft pflege. Den Begriff „Generationen“ mag ich in der Literatur zwar nicht, aber es ist wohl doch so, dass eine neue Generation herangewachsen ist, die sich einem blutrünstigen Kampf um Preise, Subventionen und Platz in Zeitschriften ausgesetzt sieht. Das ist die neue Zeit, die mir ein wenig fremd ist; ich verstehe das zwar, kann mich damit aber nicht anfreunden. Zwei Theaterstücke werden gerade von mir aufgeführt, nämlich „Leichte Kavallerie“, das von den gesellschaftlichen Veränderungen in Slowenien handelt, von Menschen, die plötzlich reich geworden sind und ihre neuen Werte und ihre neue Existenz suchen. Ein zweites Stück über die Sieben Todsünden wird im Slowenischen Nationaltheater aufgeführt. Und im Berlin Verlag wird demnächst mein allerneuester Roman „Der Wandler der Welt“ erscheinen. Es geht darin um den Mythos des Daedalus – eines slowenischen Daedalus allerdings. Das Gespräch wurde von Klaus Detlef Olof aus dem Slowenischen übersetzt. Sinnlich und wüst Es ist 1756, da Katharina sich dem slowenischen Pilgerzug nach Köln am Rhein anschließt. Singend und betend, aber auch fluchend und um das armselige Leben zitternd, wälzt sich der Tross durch die österreichischen Lande. Drei Personen stehen im Vordergrund des Romans: Katharina, die fast 30jährige Jungfrau, die sich entschließt, ganz allein aus dem Dorf in der Krain aufzubrechen, um ihr Leben von Grund auf zu ändern. Die Ursache dafür ist schnell gefunden: Katharina und der abtrünnige Jesuitenpater Simon entbrennen in Liebe. Doch gibt es für die beiden kein Entrinnen aus der katholischen Meute von selbst ernannten Richtern. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, und nach ihrer Trennung von Simon begegnet Katharina dem von ihr so benannten „Pfau“ wieder, einem eitlen Offizier, dem Mittelpunkt ihrer Jungmädchenträume am heimatlichen Hof ... Drago Jancar schickt seine Figuren ganz verschiedenartig auf Reisen, um sie nicht nur der Fremde, sondern auch der Bewährung vor sich selbst auszusetzen. Vor dem Hintergrund von sinnlichen, aber auch wüsten Bildern schafft Drago Jancar einen Spannungsbogen von der jeweils sehr persönlichen Entwicklung seiner Figuren über geschichtliche Fakten bis hin zur Schilderung einer Welt voller Mythen und Aberglauben, voll unsichtbarer Geister und Dämonen. Über die Grenzen des kleinen Slowenien hinaus hat sich der 1948 in Maribor geborene Autor Drago Jancar einen Namen gemacht. In zahlreichen Essays, Dramen und Romanen widmet er sich nicht nur kritisch der Gegenwart, sondern auch hingebungsvoll historischen Stoffen. Wie es scheint, hat sich der Autor für den vorliegenden Roman von ebenso prachtvollen wie schwülstigen Barockgemälden und Heiligenbildern inspirieren lassen. Mit beeindruckender Farbigkeit – und sehr flüssig übersetzt von Klaus Detlef Olof – erzählt Drago Jancar vom Glauben an die göttliche Vorsehung, der der irdischen Versuchung nicht standhält und den Menschen immer weiter weg führt vom Ideal des reinen Gedankens hin zum Elend der Wirklichkeit. BEATRICE SIMONSEN Fazit: Sinnliche Erzählkraft prägt das spannende Sittengemälde aus der Zeit Maria Theresias. Drago Jancar |Katharina, der Pfau und der Jesuit| Übers. v. Klaus Detlef Olof. Folio 2007, 472 S., EurD/A 24,90/sFr 43,70 19 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:35 Uhr Seite 20 B U C H W E LT VERMARKTUNG DER SCHEINHEILIGKEIT Als ob es – selbst für bekennende Krimi-Afficionados – nicht schon genug wäre, wenn Filme, Bücher und TV-Serien zunehmend bevölkert werden von Staatsanwälten, die direkt im Gerichtssaal dreiste Verbrechen aufklären. Von Forensikern, die die neuen Helden der Crime-Prime-Time sind und die den guten alten Alten längst auf den Schrotthaufen geschickt haben. Von ultracoolen Gerichtsmedizinerinnen, die zwar nervige Schreckschrauben sind, aber den arroganten Kriminalern lehren, wo der Bartl den Most geholt hat – nein, offenbar reicht es immer noch nicht. Und wenn sich ein Verlag dann voll ins Zeug legt, bleibt kein Auge trocken, selbst wenn die Story von „Spider“ so abgelutscht ist, dass sie keine Erwähnung im Rahmen der Krimiliteratur verdient – ausgebrannter Profiler steigt doch wieder ins Geschäft ein, gefährdet Ehe damit, bändelt beinahe mit attraktiver Fachkollegin an, gerät auf Serientäter-Spur, Serientäter will nicht letztes Opfer, sondern Profiler, Profiler-Familie wird gekidnappt – Ende gut, Killer tot. So weit, so langweilig als kriminalliterarischer Plot. ABER: Der Autor „kommt aus dem investigativen Journalismus. Er hat zahlreiche Serienkiller interviewt und dabei mehr erfahren, als bei den Polizeiermittlungen zutage kam.“ Und auf der „aufwendigen Website“ gibt es „Gedanken eines Serienkillers“ zum Nachlesen, in einem Quiz lässt sich austesten, „wie Ihre Fähigkeiten als Profiler zu bewerten sind“. Und wer sich nicht komplett bloß vor den Bildschirm setzen mag, zieht am besten ein Spider-T-Shirt über, das im Webshop angeboten wird (Aufdruck: „Wer weiß, wer Ihnen damit ins Netz geht“), gönnt sich einen nervenstärkenden Kaffee aus der Spider-Tasse, scheucht die Maus übers Spider-Mousepad, informiert sich auf der Spider-Uhr über die Stunde des Wolfs und packt die Leichen in die SpiderRetro-Bag. Und bevor man den Computer erschöpft abdreht, kann man noch eine ECard an gute FreundInnen verschicken, die verkündet: „Nur die Wirklichkeit ist grausamer.“ Wie wahr. SYLVIA TREUDL Fazit: 08/15-Serienkiller-Thriller mit scheinheiligem Moralpostulat. Michael Morley |Spider| Übers. v. Jürgen Bürger. Heyne 2007, 448 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 34,90 20 Bis zu den Grenzen Der Journalist Michael Morley hat seinen ersten Krimi vorgelegt, in dem es um einen Serienmörder geht. Denn damit hat er seine Erfahrungen gemacht, wie er KURT LHOTZKY berichtet. enn man Michael Morley gegen- Menschen zu solchen Grausamkeiten treibt. übersitzt, kann man schwer glauben, Ein Roman kann da eine ganz andere Antdass der freundliche, verschmitzt wort geben als ein Artikel oder ein Hinlächelnde Brite seine Leserinnen und Leser tergrundbericht.“ in seinem ersten Thriller „Spider“ auf eine Reise durch die grausige Psyche eines sadis- Michael Morley hat für seine Reportagen tischen Serienmörders schickt. mit Spitzenprofilern des FBI und von ScotMorley weiß, worüber er schreibt. Der land Yard gearbeitet. Er ist mitunter an seizwischen den Niederlanden und Derbyshire, ne eigenen Grenzen gegangen: „Als wir England, pendelnde Familienvater ist ein im Haus von Bob Berdella gedreht haben, Star des investigativen Journalismus. Für hat sich mein Kameramann geweigert, das die Dokumentation „Murder in Mind“ über Zimmer, in dem Berdella seine Opfer umgeden englischen Serienmörder Denis Nilsen bracht hat, auch nur zu betreten. Also habe heimste er mehrere Auszeichnungen ein, ich selber die Kamera geschultert und bin ebenso wie für zahlreiche andere einschlä- die Treppen hinaufgegangen. Als ich oben gige Reportagen. Er konnte lange Gespräche war, war ich schweißnass. Ich bin normamit Robert „Bob“ Berdella führen, der zwi- lerweise sehr ruhig, aber ich habe am ganzen schen 1984 und 1987 in Kansas City min- Körper gezittert. Beim Schneiden haben wir destens sieben dann festgestellt, dass Männer vergewaldie Einstellung komAls ich oben war, war ich tigt, gefoltert und plett verwackelt war. schweißnass. Ich bin normalerdann ermordet Trotzdem glaube ich hat. Schwer ernicht an das abstrakweise sehr ruhig, aber ich habe schüttert hat ihn te ,Böse‘ – aber es gibt am ganzen Körper gezittert. aber vor allem ein ganz furchtbare, böse Interview mit eiMenschen.“ nem Opfer: Anne-Marie West. Die Tochter Michael Morley ist an Spider mit der Eindes serienmordenden Ehepaars West, das in stellung des Journalisten herangegangen. seinem Haus in Gloucester mindestens 12 Am Anfang steht nicht die Tat, sondern der junge Mädchen und Frauen ermordete und Täter. „Das ist eben mein Handwerk – zuerst vergrub bzw. die Leichen einmauerte, berich- muss etwas geschehen, dann kann ich dartete ihm für eine Dokumentation über ihr über berichten“, meint der Autor. Und so eigenes Schicksal, das durch sexuellen Miss- beginnt auch in Georgetown, South Carobrauch und Erniedrigungen aller Art geprägt lina, die mörderische Partie zwischen dem war. Michael Morley: „Nach der Sendung Black-River-Killer und dem in der Toskahabe ich mir geschworen, nie wieder ein na seine Wunden leckenden Ex-Profiler des Projekt anzupacken, das auch nur im Ent- FBI Jack King, der mit seiner Frau dort ferntesten mit Kindesmord oder Kindes- ein kleines, aber feines Hotel betreibt. King ist daran zerbrochen, dass ihm der grausamissbrauch zu tun hat.“ Spider ist der fiktionale Erstling Mor- me Serienmörder immer einen Schritt vorleys. Warum nach all den Reportagen und aus war. Für sein Versagen zahlt er mit beDokumentationen nun auch noch ein Ro- klemmenden Albträumen und einer bestänman? „Wenn wir in den Nachrichten etwas digen Unruhe, welche die Beziehung zu seiüber Serienmorde lesen, dann wollen wir ner Frau und seinem kleinen Sohn Zack mitmeistens ganz unwillkürlich wissen, was unter schwer belastet. W BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 14-27 buchwelt 17.01.2008 15:36 Uhr Seite 21 _ Drei Mal Leben _ Vladimir Vertlib Mein erster Mörder ZUM AUTOR Lebensgeschichten Michael Morley arbeitete als Enthüllungsjournalist und Dokumentarfilmer im Bereich Verbrechensaufklärung. Er lebt teilweise in den Niederlanden, wo er bei einer großen TV-Gesellschaft arbeitet, und in England. „Spider“ ist sein erster Roman, der gleichzeitig auch als Hörbuch erscheint. Auf www.spiderdasbuch.de ist die Vorgeschichte des Protagonisten nachzulesen. Spiders quälende, langsame Mordtechnik wird detailliert beschrieben – muss das wirklich sein? „Als Schriftsteller hat man hier eine Verantwortung. Ich beschreibe ja nicht voyeuristisch die Gewalt um der Gewalt willen. Ich stelle das Opfer ins Zentrum. Ich versuche, zumindest ahnen zu lassen, was Menschen Menschen antun.“ FOTO: PETER VON FELBERT Serienkiller sind mittlerweile ein geläu- figer Topos der Kriminalliteratur geworden. Die Fiktion bildet hier – wenn auch übersteigert – eine traurige Realität ab. Woran erkennt man eigentlich „den“ Serienmörder? „Eben an gar nichts. Das ist das Erschreckende! Sonst könnten Serienmörder ja oft nicht jahrelang ihre Serien fortsetzen. Sie sehen aus wie wir, sie sind oft hochintelligent, sie lachen, sie arbeiten wie wir. Aber wenn wir die Biografien der meisten von ihnen miteinander abgleichen, kommen wir auf einen wesentlichen gemeinsamen Punkt: einen Mangel an Liebe. Ich meine nicht Sex – Serientäter sind zu sexuellen Handlungen keineswegs unfähig! Ich meine ihre Unfähigkeit, irgendeine andere Person zu lieben, also nicht nur den Sexualpartner. Ich meine, dass sie es nicht schaffen, BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 einen Menschen in den Arm zu nehmen und dieses unbeschreibliche Gefühle von Wärme und Nähe zu erleben. Sich danach zu sehnen, diesen Menschen zu sehen oder neben ihm aufzuwachen oder ihm ein Geschenk oder eine kleine Freude zu machen. Serienkiller haben sich oft als Kinder ungeliebt gefühlt, und sie haben oft recht damit. Kraft ihrer Intelligenz können sie diese mangelnde Liebesfähigkeit oft übertünchen. Ich will damit natürlich ihre Taten nicht entschuldigen. Aber wir müssen auch sehen, dass es sehr wohl ein gesellschaftliches Umfeld gibt, das diese Phänomene hervorbringt.“ Was kann einen abgebrühten Verbrechensexperten wie Michael Morley, der gerade an seinem zweiten Jack-King-Roman schreibt, eigentlich noch schockieren? „Es gibt Dinge, die sind für einen Autor einfach schrecklich: Du stehst um zwei Uhr morgens auf, setzt dich an den Computer und schreibst und schreibst und schreibst – und dann drückst du die falsche Taste, und 40.000 Zeichen sind unwiederbringlich beim Teufel. Oder, fast genauso schlimm: Du kommst drauf, dass Du keine Milch für den Kaffee im Kühlschrank hast.“ 256 Seiten ¤ 9,30 ISBN 978-3-423-13634-1 Vertlib zeichnet das Leben dreier Menschen nach, die zwischen politischer Willkür und schicksalhaften Gegebenheiten ihre Würde oder auch nur ihr nacktes Leben zu bewahren versuchen. »Vladimir Vertlib ist ein großer Realist, er verbindet Geschichte, Politik und Alltagsleben ... Unbedingt lesen, dieses Buch ist erhellender als jede Ausstellung.« Verena Auffermann in der ›Süddeutschen Zeitung‹ www.dtv.de – Ihr Kulturportal 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:40 Uhr Seite 22 B U C H W E LT Die Schweizer Dichterin Regina Ullmann hatte und hat viele prominente Verehrer und Befürworter, doch zu wenig Leserinnen. VON DITTA RUDLE gar nicht im Rampenlicht stehen: Sie hatte „sich selber unter die eigene Treppe des Hauses gesetzt“, wie eine ihrer Frauenfiguren. Es ist also keine Schande, Regina Ullmann nicht zu kennen, zumal die Ausgaben ihres zugegeben schmalen Werkes rar sind. Dennoch wünscht sich Peter Hamm in seinem ausführlichen Nachwort zur neuesten Veröffentlichung des ersten Erzählbands von 1921 durch Peter von Matt, dass sie „den Nachgeborenen nicht verloren“ gehe. Zum besseren Verständnis der Dichterin und ihrer Kunst sollte dieses Nachwort als Vorwort gelesen werden. „Ihre Prosa der fürsorglichen Beobachtung des Abseitigen, verbunden mit der Witterung für drohende Katastrophen und bildstarke Sinnlichkeit“ (von Matt) sperrt sich gegen oberflächliches Konsumieren. UmRilke schätze ihr Talent ständlich, sogar verschroben wandert sie erzähebenso wie später lend, einsam und müde, Hermann Hesse oder über die Landstraße, den Thomas Mann. scharfen Blick meist nach innen gesenkt. „Eine unie aus Holz geschnitzt sitzt sie da, heimliche Landstraße war das. Eine allwisim Schwabinger Café Stephanie mit- sende Landstraße. Da ging nur, wer in irgendten unter Münchens Bohème, den einem Sinne allein gelassen worden war.“ Blick in ferne Welten gerichtet, (Aus „Die Landstraße“, Titelerzählung des wenn sie spricht, kommen die Worte nur hol- jüngsten Bandes.) pernd aus ihrem Mund. „Sie sprach, sie lachte, wie nach innen“, beschreibt Lou Albert- Auch wenn Peter Hamm in seiner WürLasard Regina Ullmann. In drei Porträts digung für „die Zurückgebliebene“ (Titel des hat die junge Malerin zwischen 1908 und Essays) feststellt, dass Ullmann, wie Robert 1914 die angehende Literatin auch mit Pin- Walser‚ immer vor der Tür des Lebens stand, sel und Farbe festgehalten. Ihr späterer Gelieb- bewegte sie sich mit ihren Wünschen und ter Rainer Maria Rilke war es, der die Frau- Sehnsüchten doch auch ganz real mitten im en bekannt machte und voll bewundernden Leben. In einem abenteuerlichen, schwieriEifers die Münchner Intelligenzija, Verle- gen Leben, Tragödie und Komödie zugleich. ger und Dichterkollegen auf die scheue, ja Den Lebensroman der Regina Ullmann lethargische Regina Ullmann aufmerksam zu Literatur gesponnen hat die Schweizer machte. Rilke schätze ihr Talent ebenso wie Schriftstellerin Eveline Hasler. „Stein bedeuspäter Hermann Hesse oder Thomas Mann, tet Liebe“ nennt sie die Romanbiografie, eine doch zu wirklichem Ruhm konnten auch die- Zeile aus einem Ullmann-Gedicht zitierend. se und andere Geistesgrößen, die sie hoch- Gekonnt lässt Hasler die überraschend bunschätzten, der introvertierten Schweizerin ten Lebenslinien Ullmanns rund um deren nicht verhelfen. Eigentlich wollte sie auch Affäre mit dem anarchistischen Sexualrevo- W 22 Regina Ullmann kam am 14. Dezember 1884 in St. Gallen als zweite Tochter des jüdischen Kaufmanns Richard Ullmann zur Welt. Der Vater stammt aus dem vorarlbergschen Hohenems, Regina ist Österreicherin. Sie „war das, was man ein ‚zurückgebliebenes Kind‘ nennt“, schreibt Hamm. Schielend, stotternd, lernschwach, verhemmt wich sie kaum von der Seite ihrer Mutter. Und so blieb es bis zum Tod des „Muttergebirges“ (Hasler). Sie gebar zwei uneheliche Töchter, die ihre Kindheit bei Pflegeeltern verbringen mussten. Camilla ist die Tochter von Otto Gross, der sich in ihrem Geburtsjahr 1908 im schweizerischen Sanatorium Burghölzli einer Therapie bei C. G. Jung unterzog und es ablehnte, für das Kind zu sorgen. Gross ist 1920 elend zugrunde gegangen. Regina Ullmann hat auch seinen Treuebruch überlebt. 1936 musste sie Deutschland verlassen und kehrte über Umwege 1938 nach St. Gallen zurück. 1950 erhielt sie endlich das Bürgerrecht, zum 70. Geburtstag auch den St. Gallener Kulturpreis. Sie ist 1961 im bayerischen Ebersberg gestorben und wurde in München begraben. Ihr Werk aber verdient es, weiter zu leben. ZUR AUTORIN Regina Ullmann (1885—1961), viel gelobte, aber wenig bekannte Schweizer Dichterin. Geboren als österreichische Jüdin, trat sie später zum Katholizismus über und erhielt die Schweizer Staatsbürgerschaft. Der erste Erzählband, erschienen 1921, ist jetzt originalgetreu wieder aufgelegt worden: Regina Ullmann |Die Landstraße. Erzählungen| Nagel & Kimche 2007, 184 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 36 Eveline Hasler |Stein bedeutet Liebe. Regina Ullmann und Otto Gross| Nagel & Kimche 2007, 176 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 36 Eveline Hasler, geboren 1933 in Glarus, erhielt für ihr literarisches Werk zahlreiche Preise, darunter auch – wie Regina Ullmann – den Kulturpreis der Stadt St. Gallen. Ausgangspunkt ihrer Romane ist immer wieder die Lebensgeschichte von Schweizer Frauen. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTO: KANTONSBIBLIOTHEK VADIANA/ST. GALLEN Vor der Tür des Lebens stehen lutionär Otto Gross kreisen. Hasler lenkt ihren Blick mäandernd auch an andere Orte, in andere Lebensabschnitte, schildert Gross’ nicht minder aufwühlende Lebensgeschichte und lässt Bilder aus Regas Kindheit entstehen. Die Mischung aus Fakten (und Zitaten) und Fiktion zeigt nicht nur das Drama zweier sich für kurze Zeit kreuzender Leben, sondern auch ein lebendiges Bild der aufregenden Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, als Gross die erotische Revolution ausrief und Drogenkonsum zum guten Ton gehörte. 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:43 Uhr Seite 23 Stille Wasser Wie ein typischer Bestsellerautor wirkt der Isländer Arnaldur Indridason nicht gerade, doch er gewann zweimal hintereinander den „Nordic Crime Novels Award“. Nicht nur deshalb war RAINER SCHEER von ihm beeindruckt. as Treffen mit Arnaldur Indridason hätte auch in einem Café stattfinden können. Er freut sich, dass kein statisches Interview gemacht werden soll, sondern dass das Treffen bei einem Glas Wasser oder einer Tasse Kaffee mehr ein interessiertes Plaudern über die bislang erschienenen sechs Romane um den Ermittler Erlendur Sveinsson von der Polizei in Reykjavík sein soll. Indridason, 1961 geboren und zunächst als Journalist tätig, betrat 1997 die Krimiszene mit dem Roman „Menschensöhne“. In Deutschland erscheint zuerst „Nordermoor“, ein brisantes Buch vor dem Hintergrund des realen Plans, alle Isländer in einer Datenbank genetisch erfassen zu wollen. Brisante Themen. Themen, über die auch in der Zeitung zu lesen ist. Aber kommt die Inspiration wirklich daher? Arnaldur Indridason lacht und winkt ab. Natürlich sind Themen, die die Menschen aktuell interessieren, auch Themen seiner Bücher. Doch eigentlich würde er immer nur Familiengeschichten erzählen. Sein gewähltes Thema macht er an dem Schicksal einiger Personen fest. Ob es um Gewalt in der Ehe wie in „Todeshauch“ geht, um ein Verbrechen Jugendlicher aus Langweile im bislang letzten Buch, das in deutscher Übersetzung erschienen ist („Frostnacht“), oder um den Schatten, den die Vergangenheit werfen kann, hier sogar die Stasi-Vergangenheit. Angesprochen darauf, dass „Kältezone“ deutsche Geschichte berührt, erzählt der Autor von einem beeindruckenden Besuch im Stasi-Museum in Leipzig und tatsächlicher Fundstücke, die in sein Buch Eingang gefunden haben. Indridason interessieren aber vor allem die Figuren, allen voran natürlich Erlendur. Seine Geschichte, das Verschwinden seines Bruders in einem Schneesturm, bezeichnet der Autor schon als etwas typisch Isländisches, auch die Melancholie in seinen Büchern. Dass seine Romane nun verfilmt werden, freut den bescheiden-zurück- FOTO: RALF BAUMGARTEN D BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 haltenden Autor. Für ihn ist es auch kein Problem, wenn Erlendurs Mitarbeiter deutlich anders gezeichnet sind als im Buch. Ob sich sein Leben verändert hat mit dem Erfolg seiner Bücher? Indridason schmunzelt. Er führe ein ganz normales Leben, das aber organisiert sein will. Er ist ein Familienmensch und arbeitet, wie viele andere Menschen auch, von 9 bis 17 Uhr, ganz strukturiert. Derzeit ist Indridason mit dem insgesamt achten Fall von Erlendur und seinem Team befasst. Das deutsche Publikum wird im Juni 2008 mit dem Roman „Todesrosen“ endlich die Möglichkeit bekommen, die Lücke in der Chronologie der Romane mit Erlendurs zweitem Fall schließen zu können. ZUM AUTOR Arnaldur Indridason, 1961 geboren, ist der erfolgreichste Krimiautor Islands. Seine Romane werden in zahlreiche Sprachen übersetzt. |Frostnacht| Übers. v. Coletta Bürling. Lübbe 2007, 400 S., EurD 18,95/ EurA 19,50/sFr 33,90 |Kältezone| Übers. v. Coletta Bürling. Bastei Lübbe 2007, 416 S., EurD 8,95/ EurA 9,20/sFr 16,80 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:47 Uhr Seite 24 B U C H W E LT Thomas Brussigs Bücher haben hohen Unterhaltungswert. Mit seinem „Schiedsrichter Fertig“ eröffnet der Residenz Verlag die literarisch-humoristische Reihe „Eine Litanei“. VON HANNES LERCHBACHER einen ersten Roman „Wasserfarben“ hat Thomas Brussig, nachdem er sich zuvor als Tellerwäscher, Museumspförtner und Reiseführer verdingte, 1991 noch unter Pseudonym veröffentlicht. Und sich danach mit den beiden erfolgreich verfilmten Ostberlin-Romanen „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ unter seinem eigenen einen Namen gemacht. Im bislang umfangreichsten Roman „Wie es leuchtet“, erschienen 2004, erzählte er von Wendezeit, Mauerfall, von Menschen in Berlin und ihrem Alltag während der (Wieder-)Vereinigung. Wiewohl der in Ostberlin aufgewachsene Autor immer wieder gerne als DDR-Experte befragt wird, setzt er sich auch mit anderen Themen literarisch auseinander. Für seine etwas flauen Reportagen über das Berliner Rotlichtmilieu durchstreifte er zahlreiche einschlägige Etablissements und erkannte, dass es „die Qualen des an den Mast gefesselten Odysseus wirklich gibt“. Ein anderes Thema und zugleich auch eine S 24 große Leidenschaft von Brussig ist der Fußball: „Dass ich in diesem Maße damit Zeit verbringe, ist verantwortungslos. Wenn ich anstatt Fußball zu schauen die Zeit zum Schreiben genutzt hätte, hätte ich bestimmt schon einen Roman mehr auf der Werkliste.“ Wenngleich die Schiedsrichter ihm im Grunde egal sind, so kann er sich dennoch gut daran erinnern, einmal einen richtig beschimpft zu haben: „Ich war bei der Weltmeisterschaft 2002 beim Vorrundenspiel Deutschland gegen Kamerun im Stadion. Da war ein spanischer Schiedsrichter, der das Spiel durch kleinliches Pfeifen völlig zerrissen hat. Das hat mich wahnsinnig aufgeregt. Den habe ich wirklich beschimpft, aber davon lässt sich so ein Schiedsrichter natürlich nicht beeindrucken.“ Nach „Leben bis Männer!“, der Tirade eines Provinz-Trainers, hat er für die neue LitaneiReihe des Residenz Verlags jedenfalls einen Schiedsrichter als Protagonisten gewählt. „Schiedsrichter Fertig“ ist der zartbittere Monolog eines Unparteiischen, der in einem sehr knappen Zeitrahmen, während er einen Platz vor einem Gerichtsgebäude überquert, mit sich und seiner Umwelt abrechnet. Beim Schreiben des Buches, das ihn, wie er sagt, von allen am meisten gequält hat, machte ihm Thomas Bernhards „Der Untergeher“ Mut: „Bernhards Roman spielt sich zwischen der Tür der Gastwirtschaft, durch den Gastraum, die Treppe rauf, bis zur Tür des Raumes, in dem er wohnt, ab. Der Weg ist kürzer und das Buch doppelt so dick.“ Uwe Fertig, der eben einen Prozess gegen sich selbst geführt hat, ist eine tragische Figur, die, im Gegensatz zu anderen Figuren Brussigs, nicht zum Lachen einlädt: „Die Reihe heißt ja nicht Highlights des Humors, sondern ‚Eine Litanei‘. Ich habe es auch nicht auf komisch getrimmt. Aber es ist bei mir unvermeidbar, dass man hier und da mal grinsen muss, da ich eine Freude an Absurditäten und Kurzschlüssen habe.“ Und trotz aller Tragik hat auch Schiedsrichter Fertig die sympathische Eigenschaft, selbst den traurigen Momenten im Leben Komik und Ironie abzugewinnen: „Es gibt ZUM AUTOR Thomas Brussig, Jahrgang 1965, lebt und schreibt in seiner Geburtsstadt Berlin und in Mecklenburg. Für seine Bücher und Drehbücher für Film und Theater wurde er unter anderem mit dem Hans-Fallada-Preis ausgezeichnet. |Schiedsrichter Fertig| Residenz 2007, 96 S., EurD 12,90/EurA 12,90/sFr 22,70 |Berliner Orgie| Piper 2007, 208 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 30,60 |Helden wie wir| S. Fischer 2005, 336 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,50 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTO: PRIVAT Das Lachen ist mein Geschäft diesen schönen Gedanken, der Kern einer Komödie ist die Tragödie. Wenn Menschen, denen es gut geht, lachen, ist das langweilig, aber wenn Menschen, denen es dreckig geht, lachen, dann wird es interessant. Das Lachen ist mein Geschäft, da fühle ich mich zuhause, da komme ich weiter als manch anderer. Deshalb steuere ich das an, wo Lachen besonders kostbar ist.“ Und das kann auch der Tod sein: „Für mich ist Lachen etwas sehr Wertvolles, das eigentlich nirgends vorgesehen ist. Die Naturgesetze erfordern nicht, dass es ein Lachen auf der Welt gibt. Wenn man über etwas lachen kann, ist nichts mehr so wie vorher. Man kann über die DDR lachen, über die Berliner Mauer und man kann auch über den Tod lachen. Über den Tod zu lachen, ist fast so eine große Absurdität wie der Tod selber.“ Nach den Litaneien von Trainer und Schiedsrichter fehlt jetzt noch die eines Spielers: „Ich denke darüber nach, das zu einer Trilogie zu machen, und da sowohl der Trainer als auch der Schiedsrichter Typen von der Peripherie sind, wird auch der Dritte von der Peripherie sein.“ Ob sich seine Romanfiguren für eine Fortsetzung eignen, darüber denkt er bei jedem zu Ende gebrachten Buch nach. Die Gedanken hat er aber zumeist verworfen, „ein Roman sollte für sich abgeschlossen sein“. Mit den Protagonisten von „Wie es leuchtet“ kann er sich hingegen durchaus vorstellen, mehr zu machen. „Das ist ein großer Zeitroman vor dem Hintergrund Mauerfall und deutscher Einheit. Das sind wirkliche Charaktere, nicht nur literarische Figuren. Dieses Personal würde sich dazu eignen, fortgesetzt zu werden. Oder vielleicht einfach so, wie es Günther Grass macht: Er schreibt keine Fortsetzung, er zitiert sich selbst. Grass hat einen Figurenkosmos und lässt Figuren aus früheren Büchern auch einfach mal durchs Bild laufen.“ 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:51 Uhr Seite 25 B U C H W E LT Nicht nur für Männer Michael Kleeberg begann mit „Karlmann“ ein Erzählprojekt, in dem er nicht einfach nur die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, sondern vor allem schildert, wie ein Mann funktioniert. VON TOBIAS HIERL s gibt ein paar Möglichkeiten, sich dem Roman von Michael Kleeberg zu nähern. Seine Frau etwa meinte dazu, er hätte darin alle Betriebsgeheimnisse der Männer verraten. Eine Rezensentin beschrieb ihn als „Proust-Joyce-MusilThomas-Mann-Projekt des Jahres 2007“. Und Michael Kleeberg selbst: „Mir ging es tatsächlich unter anderem darum: Wie funktionieren die männliche Psyche, die männliche Seele, der männliche Geist, und zwar nicht nur der westliche oder gar der deutsche Mann in den 80er-Jahren, sondern allgemein.“ Deshalb hatte der Roman auch den Arbeitstitel „Das Y-Chromosom“. Wie auch immer, er hat sich viel vorgenommen. Die Eckdaten sind leicht überschaubar. Im Mittelpunkt steht ein junger Mann um die 25, am Ende des Romans ist er 30 Jahre alt und hat schon viel Alltag hinter sich gebracht. Karlmann Renn, kurz Charly genannt, spürt zu Beginn das unbändige Gefühl, alles erreichen zu können. Am Abend vor seiner Hochzeit – er heiratet die Frau, die er immer heiraten wollte – sieht er mit seinen Freunden ein Tennismatch, das Endspiel in Wimbledon 1985. Das erste Mal gewinnt mit Boris Becker ein Deutscher das Turnier. Und wenn der das kann, dann kann auch Charly alles erreichen. Am diesem Abend macht ihm sein Vater ein Hochzeitsgeschenk, nämlich ein Autohaus. Nicht irgendeine Nobelmarke – er wird hinkünftig Opel verkaufen. Nun folgt im Jahresrhythmus immer wieder ein exemplarischer Tag. Aus dem hoffnungsfrohen Fast-Akademiker wird ein passabel-abgebrühter Geschäftsmann, der sich bei seinen Mitarbeitern nicht immer durchsetzen kann, der seine Frau betrügt und der schließlich von ihr verlassen wird. Keine Zwischentexte und Einleitungen, keine Zusammenfassungen. Doch das genügt. denn wir erfahren oder erahnen auch so, was in der Zwischenzeit passiert sein könnte. Und erleben damit den für den Großteil der männlichen Bevölkerung in den 1980erJahren typischen Alltag. Charly kümmert sich herzlich wenig um einen schöngeistigen Bildungskanon, aber für Kleeberg ist FOTO: SUSANNE SCHLEYER E BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Michael Kleeberg konnte auch aus eigenen Erinnerungen schöpfen er trotzdem ein „kluger Mensch“. „Wenn ich Proust gelesen habe, habe ich mir einen Kosmos, einen Reichtum erschlossen, wo ich vieles Andere im Leben nicht brauche. Charly würde sagen: Wenn ich einen Job und damit materielle Sicherheit habe, fühle ich mich den Fährnissen oder Stürmen, die noch auf mich zukommen mögen, viel gewachsener.“ Um nun mit der Psyche eines 25-Jährigen klarzukommen und nicht altväterlich zu werden, hat Kleeberg für sich ein erzählerisches Verfahren entwickelt, dem er den vollmundigen Titel „Erzählplasma“ gegeben hat. Dadurch umschiffte er die dröge Möglichkeit der Ich-Erzählung sowie eines auktorialen Beichtvaters, der seinem Protagonisten immer über die Schulter schaut. Zum Teil spricht dieses „Erzählplasma“ aus Charly heraus, sieht mit seinen Augen die Umgebung, steht ihm dann wieder gegenüber und kann mit ihm in einen Dialog eintreten. Diese Variante bot dem Autor viele Möglichkeiten und macht den Roman lebendig. Ansonsten verlässt sich der Autor auf seinen Erinnerungen und Tagebuchnotizen. „Ich hatte schon das Gefühl, dass ich viel mehr weiß und auch wissen muss als Erzählinstanz, dass ich viel mehr Verknüpfungen machen kann, als es Charly hätte machen können oder wollen, aber es fiel mir auch nicht schwer, in die Haut des ewig sexuellhungrigen 25-Jährigen zu schlüpfen. Ich kann mich noch gut erinnern, was für eine fürchterlich anstrengende Zeit das gewesen ist!“ Die ersten Seiten des Projekts hat er wieder verworfen, denn er stellte fest, „ich schreibe schlechten Proust“. Aus dieser Anziehungskraft musste er sich befreien und beschäftigte sich mit moderner US-amerikanischer Literatur. Konkret mit John Updike und seinen Rabbit-Romanen, in denen dieser beißend vom Leben in den US-amerikanischen Vorstädten erzählt. Und der Plan, „einen Roman über jemanden zu schreiben, der mit Kunst und Kultur gar nichts am Hut hat, über einen der vielen Leute, die ich kenne, für die ich als Schriftsteller so eine Art weißer Elefant bin und die in ihrem Leben auch noch keine belletristischen Bücher gelesen haben“, nahm konkrete Formen an. „Ich wollte einen Roman über eine Zeit schreiben, in der eigentlich nichts passiert ist.“ Die Idee, sich auf fünf Tage zu beschränken, hat sich dann beim Schreiben entwickelt. Das war wiederum der Einfluss von Proust. „Und da habe ich bald gesehen, dass eine Szene, die zwei Stunden in Realzeit dauert – wie beispielsweise dieses Boris-Becker-Match –, 45 Seiten lang wurde.“ Ein – hochgerechnet – 3000Seiten-Buch wollte er aber auch nicht schreiben. Umfangreicher wird das gesamte Projekt dennoch ausfallen: Ähnlich wie Updike will Kleeberg seinem Helden auch in den nächsten Jahren nachspüren. ZUM AUTOR Michael Kleeberg, 1959 in Stuttgart geboren, studierte Politologie und Geschichte. Er lebte in Rom, Amsterdam, längere Zeit in Paris und wohnt heute in Berlin. Er arbeitet als Schriftsteller und Übersetzer aus dem Französischen (Marcel Proust) und aus dem Englischen (John Dos Passos). Diverse Preise. Zuletzt erschienen bei DVA „Der König von Korsika“ und das libanesische Reisetagebuch „Das Tier, das weint“. Das ausführliche Interview mit Michael Kleeberg lesen Sie auf unserer Website unter www.buchkultur.net. |Karlmann| DVA 2007, 472 S., EurD 22,95/EurA 23,60/sFr 39,90 25 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:56 Uhr Seite 26 B U C H W E LT insbesondere der deutschen Kultur, wofür ich kompetent bin – denn ich bin ja nicht für die französische oder englische Kultur kompetent –, also: diese Grenzgänger des Irrationalen, so könnte man auch sagen, in ihrer produktiven Rolle für den kulturellen Prozess, die sind der gemeinsame Nenner meiner Arbeiten – und meiner Leidenschaft.“ Nicht nur positive Reaktionen gab es auf sein Buch. Einer der zentralen Kritikpunkte war, dass er sich ausschließlich auf „Romantik“ von Rüdiger Safranski war nicht nur eines der die deutsche Romantik konzentriert und meist besprochenen Bücher des vergangenen Herbstes, soneine englische Romantik überhaupt nicht vorkommt, auch keine französische oder dern wird auch dieses Jahr diskutiert werden, wenn die 40russische, obwohl die Romantik in allen Jahre-Feiern der „68er“ anstehen. Hat doch Safranski ausführ- europäischen Nationalliteraturen eine Rolle spielte. Als 1797 Friedrich Schlegel von lich deren romantische Vorstellungen kommentiert. Jena aus Kontakt zu Tieck, Wackenroder VON TOBIAS HIERL und Bernhardi aufnahm, als die Brüder Schlegel ihren klassizistischen Anfängen afranski, auch populär geworden als man in Deutschland wieder romantisch sein abschworen, trafen sich junge englische Teilnehmer am Philosophischen darf, Romantik wieder zulassen kann. Der Schriftsteller im Norden Englands in einem Quartett, konnte bislang mit jeder Überlegung kann Safranski auch etwas abge- Seengebiet nahe der Grenze zu Schottland, seiner Biografien und Abhandlun- winnen. „Es könnte sein, dass so etwas mit- dem Lake District. Die „Lakers“ und die gen sein Publikum finden. Egal ob es sich spielt. Mir ging es darum aufzuzeigen, dass Frühromantiker waren sich auch in ihrer um Nietzsche, das Böse, Schiller oder nun die Romantik ein grandioser Zaubergarten Begeisterung für die Französische Revoum die Romantik handelt. Die Kombina- war, ein Genieaufkommen, wie es im Buche lution einig und suchten den entsprechention macht es. Die Mischung aus Materi- steht. Es ist aber auch – und das steckt ja den stimmungsvollen Hintergrund für ihre alfülle, Anekdoten, wohlgeformter, aller- im Untertitel drinnen – ein Buch über Be- poetischen Bestrebungen. Davon erfährt dings nicht beschwerlicher Sprache und triebsunfälle, über die Heikelkeiten, die man bei Safranski nichts. „Ich hatte eben noch etwas Wortwitz reicht aus. Da müs- entstehen, wenn Romantik und Politik die Entscheidung getroffen, mich auf die sen nicht noch etwas Innovatives zu finden zusammenkommen. Es ist also ein Buch deutsche Romantik zu beschränken. Diesein oder neue Erkenntnisse ausgegraben über einen wichtigen Teil der deutschen se Entscheidung heißt nicht, dass ich ableugwerden. Und das Romantikthema ist für Sa- Kultur, aber auch über dessen gefährliche ne, dass es eine europäische Romantik gegefranski sowieso ein Heimspiel, hat er doch Verknüpfungen mit der Politik.“ ben hat. Was sich bei der deutschen Romandie literarische Bühne mit einer Monogratik zeigt – vor allem in der klassischen Epofie über E. T. A. Hoffmann betreten. Damals Er schreibt in seinen Porträts und che von 1790 bis 1830 – ist, dass sehr viemusste er sich entscheiden, ob daraus eine Essaybüchern eigentlich eine fortlaufende le romantische Motive zu einem klassischen Habilitationsarbeit werden sollte oder ein Geschichte. Bei allen seinen Büchern – Vollbild vereinigt sind, sodass man typoBuch. Es hat sich ein Buch ergeben, meint begonnen bei E. T. A. Hoffmann bis zum logisch das romantische Phänomen begreier im Rückblick, und heute ist er froh, dass jetzigen, aber auch bei fen kann, wenn man nur ihm seine Leidenschaft auch ein entspre- den Porträts von Schodie deutsche Romantik chendes Auskommen sichert. Und mit der penhauer, Nietzsche beschreibt. Das Zweite In unserer Lebenswelt Romantik hat er jetzt wieder einmal den und Heidegger – lässt ist aber, dass sich in haben wir heute ganz richtigen Treffer gelandet: „Ich glaube sich eine rote Linie finDeutschland etwas ganz im Gegenteil eher die schon, dass mein Buch an ein Defizit rührt, den. „Das GemeinsaBesonderes gezeigt hat Gefahr, dass allzu sehr an einen Mangel in der Wahrnehmung auch me, das mich bei den – und man hat sich in fantasielose Politik beder eigenen Geschichte. Auch der Unter- Figuren in meinen bisder Folge in England, titel – ,eine deutsche Affäre‘ – macht offen- herigen Arbeiten beFrankreich, Russland trieben wird. bar neugierig. Ich hatte zuvor mit dem schäftigt, ist – um es und Italien anregen lasSchiller- und mit dem Nietzsche-Buch ca. einfach zu sagen – ihr sen von dem, was in 120.000 Stück Auflage.“ Er zielt auf ein Versuch, den ganzen Bereich des Irratio- Deutschland passierte. Diese Vorbildwirklassisches bildungsbürgerliches Publikum, nalen in ein Konzept einzubinden, das in kung für andere europäische Länder wird das es auch heute noch – und offenbar in einem erweiterten Sinne natürlich immer schon bald nach dem Aufkommen der deutnicht geringer Zahl – gibt. Beim Thema noch etwas mit Vernunft zu tun hat, bloß schen Romantik greifbar. Zum Dritten: Romantik würde man auf den ersten Blick keiner exklusiven, sondern einer inklusi- Anders als in den anderen Ländern ist in nicht an einen Bestseller denken, doch es ven, die das Irrationale selber versucht zu Deutschland das Romantische zu einer Affäkam ganz anders. Womöglich ist ein Grund fassen, zum Ausdruck zu bringen. Also die- re geworden – in diesem etwas skandalifür den Erfolg auch darin zu finden, dass se radikalen Grenzgänger der Kultur und sierenden Sinn. Eine romantische Affäre in Sehnsucht nach Romantik S 26 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 14-27 buchwelt 15.01.2008 14:58 Uhr Seite 27 B U C H W E LT FOTO: SUSANNE SCHLEYER Rüdiger Safranski: Spezialist für Romantik England beispielsweise gibt es nicht. Politisch blieben die Engländer auf ihrem imperialistischen Common-Sense-Kurs. Und in Frankreich war es eigentlich noch immer der napoleonische Klassizismus, der die Politik des 19. Jahrhunderts beherrschte. Das heißt, es gibt eine europäische Romantik, aber eine Affäre mit der Romantik in diesem Sinne gibt es halt nur in Deutschland.“ Und die deutsche Romantik hatte auch ihre besonderen Ausprägungen und Verläufe. Arnold Hauser schreibt in seiner „Sozialgeschichte der Kunst und Literatur“ sinngemäß: Während in anderen Ländern die Romantik revolutionär war, war sie in Deutschland schon im konservativen Lager und eigentlich am Boden. Safranksi weicht diesem Vorwurf geschickt aus, indem er schreibt, die Romantiker wurden konservativ aus revolutionären Gründen. Dass sie vom Protestantismus zum Katholizismus wechselten, wäre an sich schon ein provokanter Akt gewesen. „Wenn, beziehungsweise sofern die Romantiker konservativ wurden, dann war das nicht einfach ein Konservatismus, der sich selbst treu bleibt, sondern einer, BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 der sich selbst neu erfindet. Und das ist ja eigentlich ein Widerspruch in sich. Es war durchaus ein provokativer Akt. Dazu muss man sagen: Die katholische Wende z. B. bei Friedrich Schlegel hatte neben dem Provokativ-Revolutionären noch folgenden Grund: Er war davon überzeugt, dass der neu entstehende Nationalismus die Pest des 19. Jahrhunderts wird. Der Nationalismus als Religionsersatz. Davor hat Friedrich Schlegel gewarnt. Warum geht er nach Wien? An die Seite des Fürsten Metternich? Weil für ihn das alte Habsburgerreich die Ruine des Universalismus ist. Das ist noch übernational, ein Überbleibsel einer politischen Vergesellschaftung, das von der Torheit des modernen Nationalismus noch nicht beherrscht wird. Bei dieser Option für Metternich – was immer nur als reaktionär angesehen wird – handelt es sich – von ihm aus verstanden – darum, einem anderen reaktionären Unwesen, nämlich dem modernen Nationalismus, etwas entgegenzusetzen. Man begreift Friedrich Schlegel nicht, wenn man diesen Gesichtspunkt nicht berücksichtigt.“ Safranski plädiert dafür, dass die Romantik etwas mit dem Leben zu tun haben muss und sich nicht in die Politik begeben darf. So verfolgt er im zweiten Teil seines Buches das Lebensgefühl der Romantik bis zum Nationalsozialismus, der die Romantik pervertierte, und schließlich bis zu den 68erJahren, die nun ein Jubiläum feiern. „Dieser Aufbruch 1968 war wieder, wie um 1900, eine Jugendbewegung – ich gehörte ja selbst dazu, denn das ist auch meine Geschichte, als ich jung war. Wir waren selbstbewusst, wir hatten das Gefühl, mit uns kommt eine neue Zeit. Damals hätte man uns nicht sagen dürfen, dass wir romantisch sind, das hätten wir weit von uns gewiesen – aber wir waren es. Das war dionysisches Lebensgefühl, das sich auch in der damaligen Musik niederschlug – man muss diese Musik über Jahre hören, dann merkt man, was für ein Lebensgefühl da drinnen war. Und man hat aus dieser Bewegtheit ein enormes politisches Selbstbewusstsein geschöpft, von dem man glaubte, dass es in die Politik eingespeist werden könnte. Heute, in unseren Breiten, sehe ich nirgendwo, dass das Romantische in die Politik drängen würde und dass man gar davor warnen müsste. Heute haben wir eher die Gefahr des Durchbruchs des religiösen Fundamentalismus in die Politik, aber das berührt nicht so sehr unsere Lebenswelt. Bei uns, in unserer Lebenswelt, haben wir heute ganz im Gegenteil eher die Gefahr, dass allzu sehr fantasielose Politik betrieben wird.“ ZUM AUTOR Rüdiger Safranski wurde 1945 in Rottweil geboren. Er studierte Germanistik, Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte. Er lebt als Philosoph und Schriftsteller in Berlin. Zahlreiche Preise. Letzte Veröffentlichungen: Nietzsche. Biografie seines Denkens (2000), Wie viel Globalisierung verträgt der Mensch? (2003), Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus (2004). Ein längeres Interview mit Rüdiger Safranski lesen Sie auf unserer Website unter www.buchkultur.net. |Romantik| Hanser 2007, 415 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 44,50 27 28-41 marktplatz 17.01.2008 15:43 Uhr Seite 28 M A R K T P L AT Z Marktplatz der Bücher Aktuelles. Gutes oder Schlechtes. Auf alle Fälle Bemerkenswertes finden Sie auf den folgenden Seiten. 28 GEISTERVERSCHWÖRUNG Schon wieder hat ein Thriller zum Thema Verschwörungstheorien das Licht der Welt erblickt. Ausnahmsweise nicht US-amerikanischer Provenienz, diesmal geht es um den langjährigen britischen Premier Adam Lang (alle Personen der Handlung sind usw. usf.), und somit ist wenigstens die Achse des Guten erhalten geblieben. Adam Lang scheidet nach einer glanzvollen Karriere aus dem Amt und möchte nun seine Memoiren veröffentlichen. Da Premiers nicht einmal zu Amtszeiten ihre Reden selber schreiben, wird ein Ghostwriter angeheuert. Dieser glücklose Mensch quält sich mit langweiligen Fakten zu Werden und Wirken des Adam Lang – jedenfalls so lange, bis an den Gestaden von Martha's Vineyard, wo der Ex-Premier samt Ehefrau und Bodyguard-Hofstaat auf Einladung des amerikanischen Verlegers residiert, seine Leiche angespült wird. Da der Ghostwriter nun tatsächlich eine eher geisterhafte Exis- men Themen erneut auf, variieren und beleuchten bereits Gesagtes von einer anderen Seite. Es gelingt der Autorin mühelos, die Spannung zu halten, ihre Figuren plastisch zu zeichnen und der Ahnung des Lesers und der Leserin stets noch ein bisschen mehr als die bloße Bestätigung hinzuzufügen. Zu Recht erhielt Nancy Huston, 1953 in Kanada geboren, in den USA aufgewachsen und seit 1973 in Paris lebend, für diesen Roman den Prix Femina. MARLEN SCHACHINGER Fazit: Ein Roman, der in Frankreich die Bestsellerlisten stürmte, was einmal wirklich die Empfehlung „lesenswert“ nach sich zieht! Nancy Huston |Ein winziger Makel| Übers. v. Uli Aumüller u. Claudia Steinitz. Rowohlt 2008, 368 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 35,40 tenz zu führen gezwungen ist, Lang aber keinesfalls auf läppische 10 Millionen Dollar Vorschuss verzichten möchte, tritt als Plan B der Ich-Erzähler in Aktion – ein routinierter Ghostwriter, der nun in viel zu knapp bemessener Zeit mit einem schwierigen Klienten das Unmögliche termingerecht schaffen soll. Aber natürlich liegen die wahren Probleme bei den Leichen im Keller und auch im nassen Grab von Ghost 1, der offenbar nicht bloß auf fade Lebensdaten des Adam Lang gestoßen ist und ein wenig zu genau recherchiert hat. Nun hat Ghost 2 einen aufregenden Job, eine Affaire mit der Gattin von Lang und berechtigte Ängste. Wen wundert's, dass sich in Langs Vergangenheit weltbedrohliche Ungeheuerlichkeiten finden – und der Schlüsselsatz (wieder einmal) lautet: cherchez la femme. SYLVIA TREUDL Fazit: In flüssigem Journalismusstil geschrieben, mit nicht besonders überraschendem Ausgang. Robert Harris |Ghost| Übers. v. Wolfgang Müller. Heyne 2007, 400 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 34,90 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTO: JEAN-JACQUES COURNUT Nancy Huston gelang mit „Ein winziger Makel“ („Lignes des faille“) ein ausgezeichneter Roman, in dem sie mehrere Themen miteinander verknüpfte, manche nur lose, andere engmaschiger. Die Sängerin Erra ist Sols Urgroßmutter und die erste, die in ihrem Muttermal in der Armbeuge einen Talisman sieht. Sie lebt mit ihrer mexikanischen Lebenspartnerin auf eine unkonventionelle Art: Der Haushalt wird dann gemacht, wenn es nötig ist. Eine Lebenshaltung, die Sols Mutter Tessa ärgert, denn sie ist Erras genaues Gegenteil: eine überaus perfekte Mutter, eine behütende, achtsame, die den eigenen Sohn zum Anfang und Ende ihres Universums erklärt. Erra hingegen wurde mit achtzehn Jahren schwanger und ließ ihre uneheliche Tochter Sadie bei den Großeltern zurück, um sich als Sängerin durchzusetzen. Auch Sadie ist von jenem Muttermal gezeichnet. Ihres befindet sich auf ihrer Pobacke, weshalb sie es als Schandmal interpretiert – so wie sie alles an sich selbst als Kind zu hassen scheint: die eigene Tollpatschigkeit, die Langsamkeit. Sadies Kindheit ist von dem Gefühl geprägt, nie zu genügen – den Großeltern nicht und auch nicht den Klassenkameradinnen in der elitären Privatschule. Erst als ihre Mutter sie zu sich holt, wendet sich das Blatt. Als Erwachsene studiert sie Geschichte, verbeißt sich insbesondere in jene ihrer Familie und versucht, Erras Lebensweg zu erforschen – Ukraine, Deutschland, Kanada, mehr als diese Eck- QUERGELESEN WIE EIN KONGENITALES MUTTERMAL DAS LEBEN PRÄGT pfeiler seien hier noch nicht verraten. Über ihre Beschäftigung mit der Vergangenheit verliert sie ihren Mann, einen Schriftsteller, und ihren Sohn Randall aus den Augen. Auch Randall trägt das Muttermal durch sein Leben; es sei eine kleine Fledermaus, die ihm auf der Schulter sitzt und ihm in schwierigen Situationen immer wieder hilft. Sol, Randalls Sohn, soll nun nach dem Wunsch seiner Mutter eben jenes Muttermal, das sich bei ihm an der Schläfe befindet, was Tess als Makel interpretiert, entfernt werden. Ein spannender Roman, dessen einzelne Abschiede je einer dieser Personen gewidmet sind – vom nervig-altklugen Sol (2004), über den fantasievollen Randall (1982) zur unglücklichen Sadie (1962) bis hin zu Erra/Klarysa/Kristina (1944-45). Thematisch greifen diese Passagen ineinander, neh- 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:06 Uhr Seite 29 EIN BAROCKES WELTTHEATER „Errötende Mörder“ – Der meisterhafte Roman von Brigitte Kronauer Was für ein Buch! Was für eine Erfindungskraft, was für eine Sprache! Brigitte Kronauer, die 67-jährige Georg-BüchnerPreisträgerin, hat mit ihrem Roman „Errötende Mörder“ ein Meisterwerk geschaffen: Ein hochartifizielles, großartiges Werk über das Leben, über das Altwerden, über den Tod. Was soll einer tun, wenn er versehentlich anstatt in den Linienbus in einen Ausflugsbus für alte Menschen eingestiegen ist und ihn nicht mehr verlassen kann? Nicht vor dem Ziel. Da sitzt Sven Strör nun in Lederkluft, mit dem Helm auf dem Schoß, wollte seine erste Honda abholen – um ihn herum lauter Weißhaarige, Gezeichnete vom Schlaganfall, von Alzheimer, Parkinson … Sie sind auf einer Rapsblütenfahrt und wundern sich nicht über den einen jugendlichen Reisebegleiter. Im Gegenteil: Sie betrachten ihn gleich als zugehörig. Eine Weile spielt er mit, dann setzt er sich zur Wehr, heißt den Fahrer anhalten, will aussteigen, gerät in Panik. Neurochirurg a. D. Eibisch beruhigt: „Wir kommen bestimmt ans Ziel. Ich versprech’s Ihnen.“ Das „Ziel“ der sich im Zeitraffer abspulenden Lebensreise wird ein Meeresstrand im Norden sein. Dort wird Sven Strör, alt und weißhaarig geworden, in einer Szene, die an Thomas Manns „Tod in Venedig“ erinnert, in die verschwimmende Weite sehen und „blass im Blassen“ ein sich näherndes Segelschiff erkennen. Diese Geschichte ist eine der drei Novellen, die, miteinander szenisch und thematisch verzahnt, in den Roman eingegliedert sind. Gemeinsam sind ihnen allen die Urthemen der Literatur: die Liebe und der Tod. Brigitte Kronauers Sprache allerdings überwindet herkömmliche Zugriffe, trägt sich fernab abgetragener Denkmuster zu. So verbindet sie Wirklichkeit und Magie, löst Grenzen des Beobachtbaren auf, verwendet Märchenhaftes, Naturmetaphorisches, Symbolträchtiges. Ihre Sätze winden und ranken sich üppig lustvoll, rauschhaft, ekstatisch ineinander. Und doch kontrolliert. Kurz: maßvoll maßlos. Oder einfach: barock. Ein barockes Welttheater, einmal mehr, hat sie geschaffen, ein Stück (Literatur) voller Dramatik und gleichzeitiger Komik, mit einem Personal, wie nur sie es zu erfinden vermag. Mit Figuren, die, gezeichnet mit zwei, drei nicht zimperlichen Sätzen, gleich BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 lebendig auferstehen, unverwechselbar skurril, dabei liebenswert und berührend. So wie Jobst Böhme, der Ladenbesitzer aus Hamburg. Er, der Held der Rahmenerzählung, lebt in Scheidung von seiner Ellen, deren stetiges Abspreizen des kleinen Fingers er nicht länger erträgt. Ein Schriftsteller, Kunde seines kleinen Geschäfts, übergibt ihm ein Manuskript – die drei Novellen – zur Begutachtung. Und, damit er dies in Ruhe tun kann, den Hausschlüssel seiner Ferienwohnung in den Schweizer Bergen. Dort, in den Bündner Alpen, erwandert Jobst Böhme drei Tage lang das BinozTal. Immer mit einer Geschichte im Rucksack und jedes Mal tiefer ins Tal eindringend. Und von Mal zu Mal dem seltsamen Alten begegnend, der ihn zu verfolgen scheint, der ihn mehr und mehr bedroht, mit dem es schließlich zum Kampf kommt. Nach den drei Tagen reist er nicht wie geplant ab. Er wird überhaupt nicht mehr abreisen, denn: „Er brannte darauf, den Mann noch einmal zu sehen und mit Haut oder Waffe zu berühren. (…) Treffen muss ich den Spaßvogel oder auch Idioten ums Verrecken, auf Biegen und Brechen und unter allen Umständen! Es ist eine Einladung, eine Verabredung, eine, jawohl, geheime, streng geheime Verordnung.“ Das verordnete Treffen ist unausweichlich, da hilft kein zur Wehr setzen, keine Panik, kein Wahn – das verordnete Treffen mit dem Tod. Was soll einer tun, sitzt er mal im Bus? Die Antwort ist bekannt: „Wir kommen bestimmt ans Ziel.“ An den Start zurück können wir nicht. Die Strecke dazwischen will bestritten sein. Mit Komik, mit Dramatik, mit Kritik an Politik, Kultur und Gesellschaft, laut und schrill zu Beginn, dann, je näher das Ziel kommt, leiser und verhaltener. So wie im neuen, brillanten Roman der Brigitte Kronauer. Und es ist ihrem Werk dieser gleiche Ruf zu wünschen, der einer ihrer Figuren widerfährt: „Seht her, ich habe Liebhaber, die das Abweichende zu schätzen wissen – und wie!“ Dann, wenn mit dem „Abweichenden“ das Einmalige SILVIA HESS gemeint ist. w$AS¬ "àCHERJAHR¬ ¬STARTET¬ MIT¬EINER¬ 3ENSATIONi 3TEPHAN¬3ATTLER¬&OCUS %RZËHLUNG ¬3EITEN¬'EBUNDEN¬¬¬! w$IE¬MORAWISCHE¬.ACHT¬ IST¬DAS¬BISHER¬ RAFlNIERTESTE¬VON¬ (ANDKES¬"àCHERNi¬ 6OLKER¬(AGE¬$ER¬3PIEGEL Fazit: Ein fulminanter Roman über Leben und Tod, voller Komik und Dramatik, maß-voll maßlos. Brigitte Kronauer |Errötende Mörder| Klett Cotta 2007, 333 S., EurD 21,50/EurA 22,10/sFr 38 3UHRKAMP ¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬¬WWWSUHRKAMPDE 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:08 Uhr Seite 30 ERLESEN M A R K T P L AT Z DITTA RUDLE Ein großformatiger Bildband hat mir zu einer intensiven Begegnung mit Gottfried Benn verholfen. Nicht nur mit dem Arzt und Dichter, der öffentlichen Figur also, sondern auch mit dem privaten Gottfried, dem Menschen Benn. Zu verdanken ist diese nahe Bekanntschaft dem Herausgeber des Buchs „Benn. Sein Leben in Bildern und Texten“ (Klett-Cotta) Holger Hof. Er hat in Archiven und Privatnachlässen gewühlt, um Benn-Kennerinnen bisher Unentdecktes und Benn-Verehrerinnen Vertiefendes, Überraschendes und einiges Intimes zu zeigen. Auf 280 Seiten bietet Hof mit 450 schwarz-weißen Abbildungen (Bilder aus dem privaten Album, großformatige Porträtfotos, Notizzettel, Tagebucheintragungen, Zeitungsausschnitte und private Dokumente) und Zitaten einen tiefen Blick in die Person und Persönlichkeit Gottfried Benns. Immer wieder werde ich den Band trotz seines erheblichen Gewichts zur Hand nehmen, darin blättern, um wieder eine Facette aus dem Tun und Denken Benns aufblitzen zu lassen. Natürlich eignet sich die Sammlung auch als repräsentative Dekoration auf dem Couchtisch: dunkelblaues Halbleinen, Fadenheftung, zweifarbiger Druck auf hochwertigem 135-Gramm-Papier. Einen Schuber gäbe es auch, doch den habe ich entsorgt, damit die Begegnungen unkompliziert bleiben. Gottfried Benn ist 1886 geboren und im Sommer 1956 gestorben. So sehr hatte er sich gewünscht: „Am allerschlimmsten: nicht im Sommer sterben, wo alles so licht u hell u die Erde {für Spaten} leicht“. Die Totenmaske vom 7. Juli ist das letzte Bild. Das erste zeigt neben einem erst kürzlich entdeckten Gedicht über die Fotografie („auf der Platte die Iche – Züge des Nichts“) einen verträumten 38-Jährigen, abgebildet von der bekannten Berliner Fotografin Fried G. Riess. Das schönste Bild ist auf Seite 133 zu finden: Benn im Grünen. Schlafend. Vielleicht träumend. 30 MÜTTER UND TÖCHTER In ihrem dritten Roman erzählt Camilla Läckberg aus dem schwedischen Fjällbacka gleich zwei Leben. Das aktuelle der Familie Klinga, die – wie alle Figuren Läckbergs – im Fischerdorf Fjällbacka lebt. Die querulante und mit allen Nachbarn verfeindete Lilian, die aufopferungsvoll ihren zweiten Mann pflegt; ihre Tochter Charlotte mit zwei Kindern, der wilden Sara und dem kleinen Albin, und ihr Mann Niclas, ein notorischer Frauenheld, leben unter einem Dach und wissen nichts voneinander. Auch die schreckliche Nachricht, die Patrik Hedström, der Ortspolizist überbringen muss, lässt sie nicht näher zusammenrücken. Die siebenjährige Sara ist im Meer ertrunken. Ein Unfall. Nicht wirklich. Denn in ihrer Lunge findet sich Badewasser. Patrik und Kollegen müssen ermitteln, und das gestaltet sich ziemlich schwierig, weil in diesem Dorf jeder eine Leiche im Keller zu haben scheint und deshalb lügt, dass sich die Schiffsbalken biegen. Das andere Leben gehört der verwöhnten Tochter eines reichen Unternehmers und beginnt in Strömstad 1904. Damals wurde Agnes geboren, die Mutter starb bei der Geburt. Mit 19 verschaut sich Agnes in einen einfachen Steinmetz, und weil sie gewohnt ist zu bekommen, wonach ihr der Sinn steht, DER „TOD“ KOMMT VIOLETT Der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago hat eine Geschichte über „Eine Zeit ohne Tod“ geschrieben. In einem nicht näher benannten Land kann ein halbes Jahr lang niemand sterben. Nach dem Nicht-Sehen in der Stadt der Blinden, dem Nicht-Wählen in der Stadt der Sehenden nun also das Nicht-Sterben. „Mit Parabeln, die durch Fantasie, Mitleid und Ironie unterstützt sind, ermöglicht er es uns, eine schwer fassbare Wirklichkeit zu begreifen“, so lautete damals, 1998, der Spruch der Nobelpreis-Jury. Parabelhaft beginnt er auch diesmal, die handelnden Personen haben keine Namen, sondern werden nur durch ihre Funktion beschrieben. Seine Fantasie hat er sich bewahrt. Es ist verblüffend, welche Möglichkeiten und Situationen er als Folge des Nicht-Sterben-Könnens erfindet. Mit kalter Ironie, bösem Humor und sarkastischem Witz beschreibt Saramago das Unvermögen der Institutionen, mit dem Ausbleiben des Todes fertig zu werden. Und was Saramago da beschreibt, wie das Land mit Alten, Moribunden, Gebrechlichen, Dahinsiechenden, die nicht sterben können, übervölkert gelingt es ihr, den Arbeiter zu verführen. Nach dem Kind, das sie von ihm empfängt, stand ihr nicht wirklich der Sinn. Kunstvoll verbindet Läckberg die beiden Geschichten, die scheinbar so gar nichts miteinander zu tun haben, und lockt die Leserin immer wieder auf falsche Fährten. Der jungen Autorin Weltbild ist nicht gerade rosig. Die Männer sind Schweine, Betrüger, Lügner – doch die Frauen sind auch nicht netter. Aber gerade das, dass die handelnden Personen nicht glatt gestrickt sind, hebt den komplexen Roman über einen simplen Krimi hinaus. Bei aller Bösartigkeit ihrer Figuren, lässt Läckberg die Leserinnen immer wieder schmunzeln, paart ihre Beobachtungsgabe mit feinem Humor. Bei Licht besehen, ist der Mord an Sara nur Ausgangspunkt und Anlass, die komplizierten und vielfältigen Beziehungen von Müttern und Töchtern (auch von Vätern und Söhnen) zu analysieren. DITTA RUDLE Fazit: Aufregender Blick in die Wohnstuben, unter die Teppiche und in die Köpfe von gewöhnlichen Leuten. Camilla Läckberg |Die Töchter der Kälte| Übers. v. Gisela Kosubek. Aufbau 2007, 474 S., EurD 19,95/ EurA 20,60/sFr 38,60 wird, ist ja nicht so weit weg von einer Wirklichkeit, wie sie uns in die Soziologen für die nächsten Jahrzehnte ausmalen. Doch dann kommt der Brief, der alles wieder ins rechte Lot rückt. Geschrieben ist er auf violettem Briefpapier, unterzeichnet mit „tod“. Es soll wieder gestorben werden, doch in Zukunft wird der Tod vorher mit einem violetten Brief angekündigt. Grafologen finden heraus, dass diesen Brief eine Frau geschrieben hat. Dazu erklärt uns der Autor, dass nur im Portugiesischen der Tod weiblich ist. Der Tod wird zur Heldin. Sie muss damit fertigwerden, dass ihr Brief an einen ganz gewöhnlichen Menschen, einen Cellisten, nicht angenommen wird und immer wieder zurückkommt. Musik beginnt eine Rolle zu spielen, Elemente aus früheren Romanen Saramagos kehren wieder. Und wenn der weise Alte aus Portugal seinen Roman „Die Stadt der Sehenden“ mit einem Schock hat enden lassen, findet er diesmal eine wunderschöne, märchenhafte Lösung. KONRAD HOLZER Fazit: Meisterhafte Parabel mit Witz und Ironie. José Saramago |Eine Zeit ohne Tod| Übers. v. Marianne Gareis. Rowohlt 2007, 256 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 35,40 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:09 Uhr Seite 31 NICHT WEINEN, TRINKEN Zeit seines Lebens hatte Richard Yates bei Kritik und Kollegen Kultstatus, gut verkauft wurden seine sieben Romane und zwei Erzählungsbände nicht. Als er 1992 starb, war er beinahe vergessen. Erst Stewart O’Nan und Richard Ford haben sich für seine Wiederentdeckung eingesetzt. Im deutschen Sprachraum wurden seine Romane „Zeiten des Aufruhrs“ (DVA 2002) und „Easter Parade“ (DVA 2006), sowie sein Erzählungsband „Elf Arten der Einsamkeit“ (DVA 2005) mit Begeisterung aufgenommen. Und nun also wieder ein Erzählband: „Verliebte Lügner“, in dem man miterlebt, wie Liebe entsteht, aufflammt, einige Zeit später nur mehr gewisse Eigenschaften am anderen einem liebenswert erscheinen, andere wenig und manche gar nicht und schließlich alles vergeht. Oder doch noch ein Hoffnungsschimmer bleibt? Oder die Freiheit, einsam sein zu können, als Lösung gewählt wird? Irgendwer hat Richard Yates sehr treffend mit Edward Hopper verglichen: Die Stimmung auf den Bildern dieses Malers findet man in vielen Geschichten des Schriftstellers. Yates hat Autobiografisches in seine Erzählungen eingebaut, seinen Militärdienst in Europa, seine Anfänge als Schreiber und seine spätere Existenz als erfolgloser Schriftsteller. Wahrscheinlich ist auch die Scheidung der Eltern eines der Traumata aus sei- DAS LEBEN EIN SCHACHSPIEL St. Petersburg 1914: Zwei Morde versetzten die vorrevolutionäre Stadt in Aufruhr. Der gut situierte und bekannte Psychoanalytiker Dr. Otto Spethmann wird von der Polizei verdächtigt, darin verwickelt zu sein. In analytischer Manier stellt er vorerst nur gedankliche Nachforschungen an, wird aber nach und nach in ein Netz aus düsteren Machenschaften gezogen, das seinem Umfeld entstammt. Niemand scheint der zu sein, der er zu sein vorgibt, und so entwickelt sich ein ganzes Panoptikum aus verschwörerischen Tumulten, Hinterhalten und Intrigen, welche gegen Ende des Buches durch den Ich-Erzähler Spethmann entwirrt werden. Ein Schachspiel, jenes zwischen Spethmann und einem seiner engsten Freunde, zieht sich durch das Buch und fungiert dabei als metaphorisches Element. Es spiegelt die politischen Ereignisse, taktierenden Charaktere und fragilen Lebenssituationen wider. Aus der Verfahrenheit der Situationen resultiert der Titel des Buches: „Zugzwang“. Diese BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 ner Kindheit, das in vielen, vielen Varianten beschrieben, vielleicht be-arbeitet, aber sicher nie ver-arbeitet wird. Diesen ganz eigenartigen Verbindungen zwischen Menschen in einer Familie geht er gleichzeitig hoffend und verzweifelnd nach: „Die Freude, sie im Haus zu haben, brachte einen zur Verzweiflung.“ Lässt er einen Vater über seine Töchter denken. (Auch Yates hatte zwei Töchter.) Die Liebe zwischen Geschwistern ist ein roter Faden, der sich durch viele seiner Erzählungen zieht, aber lange nicht so knallrot wie sein Alkoholismus. Nahezu auf jeder Seite wird ein Drink zubereitet, der selbstverständlich ausgetrunken wird und dem noch einige oder viele, meist zu viele folgen. Yates ist ein Meister des letzten Satzes. Mit dem relativiert er das all zu Traurige, Trostlose, das sich im Laufe der Geschichte aufgebaut hat, schwächt es ab. Der letzte Satz hat nicht die Kraft, alles noch einmal herumzureißen, aber doch so viel, es erträglich zu machen, vielleicht dem Geschehen noch eine kleine Spur von Freude abzuringen. Er lässt die handelnden Personen – und damit Leserin und Leser – glauben: „Alles wird gut werden.“ Wie ernst auch immer das gemeint ist. KONRAD HOLZER Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. 236 S., 4 Ktn. Geb. EUR 18.90[D] / EUR 19.50[A] In ihrem poetischen Reisebericht schildern Érik Orsenna und Isabelle Autissier ihre einsame Fahrt in die Antarktis, das Reich extremer Gefahren und außerordentlicher Schönheiten. Fazit: Sieben Meistererzählungen darüber, wie Menschen versuchen, einander zu lieben. Richard Yates |Verliebte Lügner| Übers. v. Anette Grube. Deutsche Verlagsanstalt 2007, 320 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 34,90 Bezeichnung steht für eine Situation im Schach, in der ein Spieler ziehen muss und seine Position nur verschlechtern kann. Das Schachspiel bezeichnet der in Irland geborene Autor Ronan Bennett als Kunstform und ästhetischen Genuss. Er selbst hat es im Gefängnis gespielt, als er 1978 im Zuge des Nordirlandkonfliktes 16 Monate unschuldig in Untersuchungshaft war. Diese Erfahrungen lässt er zumeist in seine Literatur einfließen. In dem Roman „Zugzwang“ verknüpft Bennett sie mit realen Ereignissen und Figuren, welche er mithilfe detaillierter Recherche aus dem Permafrost der Vergangenheit meiselt. Dabei gelingt es ihm Ernsthaftigkeit mit einem unterhaltsamen Erzählstil zu paaren, mit illuster Akribie private und öffentliche Geschehnisse, Emotion und Rationalität, Schachspiel und die Schwierigkeit alltäglicher Entscheidungen zu beschreiben. ELISABETH PUTZ Fazit: Unterhaltsam, aufregend und mit analytischem Gespür geschrieben. Ronan Bennett |Zugzwang| Übers. v. Stefanie Röder. Bloomsbury 2007, 315 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 35,40 Auch als Hörbuch im Hörverlag erhältlich. Aus dem Englischen von Thomas Filk. 303 S., 67 Abb., 1 Kte. Geb. EUR 19.90[D] / EUR 20.50[A] „Ein packend geschriebener Wissenschaftskrimi.“ Geneviève Lüscher, NZZ am Sonntag C.H.BECK www.chbeck.de 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:10 Uhr Seite 32 M A R K T P L AT Z © Isolde Ohlbaum MIT DER AKRIBIE EINES BESESSENEN der neue sennett Das große neue Werk eines der bedeutendsten Denker unserer Zeit. Eine fulminante Kulturgeschichte unseres Verhältnisses zur materiellen Welt – ein ebenso überraschendes wie notwendiges Plädoyer, sich wieder auf die Welt der Dinge und der Arbeit einzulassen. Richard Sennett, Handwerk Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff 432 Seiten. Gebunden. Euro 22,– [D] / Euro 22,70 [A] ISBN 978-3-8270-0033-0 BERLIN VERLAG www.berlinverlage.de Im Juli 1995 wird der Gutsbesitzer Sansa ermordet in seinem Haus im abgelegenen Pyrenäendorf Tor aufgefunden. Nur wenige Monate zuvor war ihm von einem Gericht der alleinige Besitzanspruch auf den an das Dorf angrenzenden Berg Monte Particular zugesprochen worden. Einige Zeit später erhält der Journalist Carles Porta den Auftrag, für das katalanische Fernsehen eine Reportage über die Ereignisse zu drehen. In seinem Tatsachenroman „Tor. Das verfluchte Dorf“ hat Porta seine Reportage nun zu einem Buch ausgearbeitet. Ihren Anfang nimmt die Geschichte im Jahr 1896, als die „Gesellschaft der Miteigentümer“ von Tor gegründet wird, die beschließt, dass der Berg allen dreizehn ortsansässigen Familien gemeinsam gehört. Der Vertrag enthält eine Klausel, welche besagt, dass jeder Bewohner, der sich nicht ständig im Dorf aufhält, seine Besitzansprüche automatisch verwirkt. In den folgenden Jahrzehnten wird dieser Paragraph für eine unklare Rechtslage sorgen, die zu Gewaltausbrüchen und letztendlich wohl auch zur Ermordung Sansas führen wird. FATALE ERMITTLUNGEN Vordergründig ist es ein Detektivroman. Der bekannte Schriftsteller Norbert Cerný wendet sich an den Prager Privatdetektiv Denis Pravda, weil er wissen will, ob ihn seine zwanzig Jahre jüngere Freundin, die Studentin Klára, betrügt. Dem Detektiv erzählt er, dass er nur Beratung wegen eines Romanprojekts braucht. Detektiv Denis berichtet nun, wie er seinen Klienten schonen will, ihm nichts von Kláras Seitensprüngen erzählt und ihr schließlich selbst etwas zu nahe kommt. Das wäre biederer Alltag und Michal Viewegh wäre nicht der Meister literarischer Gaukelei, wenn damit die Geschichte zu Ende wäre. Dass dem nicht so ist, erfährt man schon zu Beginn, denn da erzählt ein anderes Ich, dass es mit der Pistole auf Denis zielt und ihn zwingt, zu erzählen. Natürlich von Anfang an, denn die chronologischen Geschichten sind es, die Viewegh liebt, klar und schnörkellos erzählt, damit die Leserinnen ganz fest in der Falle sitzen. Der Detektiv, der sich da als Therapeut seines Romanautors benimmt und sich mit dessen Geliebter einlässt, ist ja eine Erfindung eben dieses Romanautors. Oder ist der Romanautor, dieser Norbert Cerný, eine Erfindung des Detektivs? Jedenfalls sind beide eine Erfin- Grund, ihn zu töten, hätten viele gehabt: die um ihre Anteile geprellten Dorfbewohner, der Immobilienmakler, der den Berg in ein Skiparadies verwandeln wollte, oder die Banditen, die ihn zum Schmuggel aus dem angrenzenden Andorra nutzten und die ihre Pläne durch den von Sansa geplanten Verkauf des Monte Particular durchkreuzt sahen. Carles Porta gibt sich nicht damit zufrieden, die Geschehnisse einfach nur zu rekapitulieren – nichts Geringeres als die Aufklärung des Mordes hat er sich zum Ziel gesetzt. Mit der Akribie eines Besessenen gräbt er sich in den Fall hinein, und das überträgt sich auch auf den Leser. Dass es keine Auflösung gibt – der Mörder wurde nie gefasst –, kann man dem Autor nicht vorwerfen: Die Realität folgt nun einmal nicht den Gesetzen eines Kriminalromans. ANDREAS RESCH Fazit: Carles Porta begibt sich auf die Spuren eines obskuren Mordes. Carles Porta |Tor. Das verfluchte Dorf| Übers. v. Charlotte Frei. Berlin Verlag 2007, 368 S., EurD 22/ EurA 22,70/sFr 38,90 dung des Schriftstellers Michal Viewegh, und schon die Namenswahl für seinen Detektiv zeigt, wie gefinkelt Viewegh vorgeht: Pravda bedeutet im Tschechischen „Wahrheit“. Auf Russisch übrigens „Prawda“, und so hieß das Zentralorgan der KPdSU, auch ein Scherz. Am Schluss passiert ein Mord, also hat Viewegh (auch) einen Krimi geschrieben, der in der Chronologie doch verkehrt herum läuft. In Wahrheit aber ist der Fall Klára eine Abhandlung über die Eifersucht, über das Misstrauen und das Verlangen, getäuscht zu werden. Wenn auch nicht ganz klar wird, warum am Ende der Pistolenschuss knallt, so ist diese verschlungene Eifersuchtsgeschichte (natürlich sind auch Norbert, der arglistige Schriftsteller, und Denis, der abgeklärte Menschenkenner, aufeinander eifersüchtig) doch eine köstliche Insulinspritze für alle, die an der ätzenden Sucht kranken. Und in der Übersetzung von Eva Profousová ein Lehrbuch für die Kunst perfekt gebauter Sätze eines Trapezkünstlers, der mit Humor zwischen diesen turnt. DITTA RUDLE Fazit: Vergnüglich, überraschend, philosophisch und rätselhaft. Michal Viewegh |Der Fall untreue Klára| Übers. v. Eva Profousová. Deuticke 2007, 208 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 36 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 15.01.2008 15:13 Uhr Seite 33 DURCH ZEIT UND RAUM Dass ein Roman gespickt mit kleinen wissenschaftlichen Exkursen, der sich zwischen Philosophie und Naturwissenschaften bewegt, voll Rasanz und Witz sein kann, beweist das neue Buch der jungen Engländerin Scarlett Thomas. Die Heldin ihres siebten Romans, etwa im gleichen Alter wie die Autorin, eher Ende als Anfang dreißig, heißt Ariel Manto, ist hoffnungslos pleite, sie schreibt als pfiffige Kolumnistin in einer monatlich erscheinenden Zeitschrift und arbeitet als Doktorandin im Fach englische Literatur an der Universität. Sie, aus kleinen Verhältnissen stammend, sprüht vor Intelligenz, gleichzeitig vor Zynismus, sie verschlingt in ihrer eisigen Wohnung statt warmen Essens Bücher und betreibt statt Sport Akrobatik im Gehirn, indem sie Gedankenexperimente durchspielt. Die Quellenlage zu ihrer Dissertation über den viktorianischen Schriftsteller T. E. Lumas ist verheerend, ihr betreuender Professor seit über einem Jahr spurlos verschwunden, und zu allem Überfluss stürzt auch noch das UniGebäude ein. Dazu kommen neue Arbeitskollegen, sexuelle und intellektuelle Nöte VIELSTIMMIGES CHAOS Der indische Autor Kiran Nagarkar hat mit seinen Romanen auch im deutschen Sprachraum Verehrer und Freundinnen gewonnen. Nun ist auch das Debütwerk des bedeutenden Schriftstellers auf Deutsch erschienen. Roman kann man die fragmentarischen und keineswegs chronologisch erzählten Erinnerungen des Protagonisten an Kindheit und Jugend, an Armut und verlorene Liebe, an Freundschaft und Einsamkeit kaum nennen. Der Titel sagt es schon: Die übliche Ordnung gilt hier nicht. Doch was bei Erscheinen des Buches, 1974, in Indien neu und nahezu revolutionär wirkte, ist in Europa literarischer Alltag. An sprudelnde Assoziationen und erzählerisches Chaos haben wir uns längst gewöhnt. Der wahre Charme der humorvollen und auch poetischen Gedanken des Erzählers ist, wie im Nachwort gestanden wird, im Deutschen nicht wiederzugeben. Nagarkar, der seine Romane, Theaterstücke und Drehbücher sowohl in Marathi als auch Englisch schreibt, benutzt in diesem Erstling nicht nur die beiden in ganz Indien geltenden Amtssprachen – Hindi und Englisch –, sondern auch Marathi und andere indische BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Nichts wird sein wie es war einer jungen Frau, die, abgebrüht und erfahren wie sie ist, nicht mehr an das Wahre, Gute und Schöne im Leben glaubt und meint, bereits alles zu kennen. Da fällt ihr plötzlich das als verschollen geltende Buch Lumas’ in die Hände, und voller Glück vertieft sich Ariel in die Geschichte des Mr. Y. Letzterer versetzt sich mithilfe eines Elixiers in eine andere Dimension. Dort, in der so genannten Troposphäre, ist es möglich, durch die Gedanken anderer Menschen und damit auch durch Zeit und Raum zu reisen. Ariel, ganz Skeptikerin, glaubt weder an Wunderdrogen noch an andere Dimensionen oder Flüche. Dennoch startet sie einen Selbstversuch. Das Buch nimmt nun einen rasanten Lauf durch fremde Gedanken und Zeiten. Und bleibt dabei doch (scheinbar) realistisch, witzig, frech, voller Selbstironie und Begebenheiten, die einem „ganz einfach“ passieren. KAROLINE PILCZ Fazit: Richtige Mischung aus Unterhaltung, Intelligenz, Eleganz, Schnelligkeit und Fantasie. Scarlett Thomas |Troposphere| Übers. v. Jochen Stremmel. Kindler 2008, 576 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 35,40 Sprachen, um die sprachliche Wirklichkeit seiner Welt – in der es auch als chic gilt, die jeweils gesprochene Sprache durch englische Wörter aufzuwerten – wiederzugeben. Diese sprachliche Vielfalt – oder, nennen wir es ruhig: dieses vielstimmige Kauderwelsch – zu transponieren, ist auch dem Übersetzerpaar Ditte und Giovanni Bandini (studierte Indologen) nicht möglich. So bleibt nur, diese hervorgesprudelte Lebensgeschichte Kushanks, der mal wütend, mal melancholisch und gleich darauf überaus witzig, jedenfalls immer sehr direkt ist, als Porträt einer fremden Außenwelt (Bombay) und einer vertrauten Innwelt (Kushank) zu nehmen und zu wissen, dass ein Talent sich in der Stille bildet. Kiran Nagarkar ist 65 Jahre alt und lebt zurückgezogen in Bombay. Dem Literaturbetrieb entzieht er sich so gut es geht. Schriftstellerkollege Ilija Trojanow nennt ihn „den“ Geheimtipp der indischen Literatur. DITTA RUDLE Fazit: Nicht ohne Anstrengung zu genießen. Einfach ins Wasser springen und schwimmen – das Vergnügen kommt mit der Zeit. Kiran Nagarkar |Sieben mal sechs ist dreiundvierzig| Übers. v. Ditte und Giovanni Bandini. A1 Verlag 2008, 360 S., EurD 22,80/EurA 23,50/sFr 41 33 © HildenZwei.de 28-41 marktplatz Ein hochintelligenter Katastrophenthriller Ein mysteriöser Virus katapultiert die Welt zurück in ein finsteres Mittelalter. Der Virologe Greg Gerard ahnt als Einziger die wahre Ursache der Katastrophe. Seinen Spuren folgt ein perfekter Killer, der jeden tötet, der in die Nähe der Wahrheit kommt. R. Scott Reiss Black Monday `[D] 8,95 / `[A] 9,20 / sFr 16,90* ISBN 978-3-548-26851-4 * unverbindliche Preisempfehlung www.blackmonday-ullstein.de 28-41 marktplatz 17.01.2008 15:45 Uhr Seite 34 M A R K T P L AT Z EIN HUMANER WILDFANG Rolf Vollmann hat in der Anderen Bibliothek einen kleinen Roman von Charles Sealsfield (1793–1864) herausgegeben und eingeleitet. In eben diesem Vorwort erzählt er fast nichts über den Roman, aber das, was er erzählt, ist so spannend, dass man in dieses Buch hineingezogen wird. Ort der Handlung ist der Mississippi, die Schiffe, die auf ihm verkehren, die Pflanzungen an seinen Ufern. Handelnde Personen sind reiche Pflanzer, zarte Frauen und ganz eigenartige Typen, die man als Karl-May-Leser schon kennt. Und damit zu einem Gedanken, der einen während der ganzen Lektüre nicht loslässt: Karl May muss Sealsfield gelesen haben. Die Parallelen ergeben sich sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Seien es die vorhin erwähnten Typen, ein „grelles Ensemble“ von Hinterwäldlern, Hausierern und Jägern oder aber auch dieses berühmte „Pshaw“ und die vielen englischsprachigen Einschübe. Was unterscheidet die beiden aber? Wenn May ins Pan-Religiöse abzuheben beginnt, dann ist Sealsfield das Politische viel wichtiger. Zeit der Handlung ist das Jahr 1829, eine Präsidentenwahl steht bevor. Im rein republikanischen Amerika beginnen sich auch Eliten zu bilden, aristokratische Familien drängen an die Macht. Und Sealsfield – oder besser: Sein Erzähler, ein junger Pflanzer aus gutem Hause, weiß nicht, was er davon halten soll. Natürlich begeistert ihn das rein Republikanische von der Idee her, andererseits ist dieser Erzähler noch zu sehr von Sealsfields europäischen Wurzeln beeinflusst, um nicht auch an eine gewisse Rangordnung unter den Menschen zu glauben. Es ist eigenartig, was man alles bei der Lektüre assoziiert: Stifter bei der Beschreibung der Landschaften, obwohl Sealsfield das Übersteigerte hervorhebt. Ja, und dann Nestroy, dessen giftige Beobachtungsgabe er besitzt. Worum es geht? Um einen jungen Farmer aus Kentucky, dem es nicht gelingen will, eine Frau zu bekommen. Aber Sealsfield weiß, was er seinem lesenden Publikum schuldig ist. Am Schluss bekommt dieser Ralph Daughby natürlich eine Frau und alles löst sich in Friede und Wohlgefallen auf. KONRAD HOLZER Fazit: Charles Sealsfield ist der viel bessere Karl May. Charles Sealsfield |Ralph Doughby´s Esq. Brautfahrt| Eichborn 2006, 320 S., EurD 28,50/EurA 29,30/sFr 52 34 DAS GLÜCK ZWISCHEN RABENSCHWARZEM UNGLÜCK „Komm, gehen wir“ – ein Roman von Arnold Stadler über eine dörfliche Weltgemeinschaft. Wer als Autor etwas auf sich hält, der schreibt heute einen Großstadtroman. Der berichtet von Partys und Vernissagen und Alkohol und Drogen und Einnachtslieben und Eintagsjobs und Geilheit und Grellheit und denkt sich, zusammengepinselt ergäbe sich so ein zeitgeistiges Abbild – Kunst eben. Ein paar andere verkleinern den Blickwinkel, nehmen die Kleinstadt ins Visier oder das Landleben und erschaffen so, im Glücksfall, aus einer Dorfgemeinschaft die Weltgemeinschaft – Kunst eben. Sie schreiben ich oder er oder sie, aber sie meinen wir: Wir alle sind gemeint. Arnold Stadlers Dorf heisst Messkirch. Dort, in seiner schwäbischen Heimat, dem Geburtsort Heideggers, spielen alle seine Bücher. Auch (teilweise) sein neuestes, der Roman „Komm, gehen wir“. Schwer zu sagen, woher sie kommt, diese „Schwarzwaldtannenschwermut“. Roland, der eigentliche Held der „Liebesgeschichte“, wie es im Untertitel heisst, leidet daran. Natürlich gibt es immer Vorgeschichten, und wahr ist auch: „Den einen tat es mehr weh, den anderen weniger. Ihm mehr.“ Und Rolands Vorgeschichte hat schon kurz bevor er das Licht der Welt erblickte angefangen, damals, als er, wie später auf einem Parkplatz, nicht wusste, ob er „aussteigen“ soll. Dann war er, linkshändig und linksfüßig, durch seine Kindheit gestolpert – stotternd und verbunden mit Menschen, die bei einem Festessen auch ohne Tischordnung alle wussten, wo ihr Platz ist – „wie im Stall“. Dass sein Platz weder auf der Bühne noch im Stall sei, wusste Roland spätestens, nachdem er die angefangenen Ausbildungen an der Ballett- und der Landwirtschaftshochschule abgebrochen hatte. Eigentlich träumte er davon, Schriftsteller zu werden, und das Philosophiestudium – Heidegger geschuldet – blieb auch eine Episode. Dass er schliesslich zu schreiben anfing, ist tragisch zu nennen, denn „tragisch ist, wenn es nicht anders geht“. Dass es tragischerweise nicht mehr anders ging, hatte seinen Anfang in Capri, wohin Roland mit seiner Verlobten Rosemarie, der Medizinstudentin, in die Ferien fuhr. Denn in Italien ergab sich aus der Zwei- eine Dreisamkeit. Jim, der Amerikaner und Zufallsbekannte, erweiterte das Liebesduo zum Trio und das Spiel ging von da ab, eine Zeit lang, mehr oder weniger munter ringsum. Dann nicht mehr. So wie das Leben der Menschen, von denen Arnold Stadler erzählt, an deren Ende der Tod steht und sagt: Komm, gehen wir. Zuvor sind sie unterwegs in ihrer Zeit, mit dem Koffer in der Hand, darin das katholische Gebetsbuch und das Pornoheft – säuberlich getrennt. Manchmal sagen sie sich: „Jetzt warst du gerade glücklich.“ Manchmal fühlen sie sich blutsverwandt mit Schweinen, die „ihre Gefangenschaft bis zur Schlachtreife“ verbringen. Oder es wird ihnen bewusst, dass sich das Leben vorwiegend aus Augenblicken zusammensetzt, die gleich wieder vergessen werden. Arnold Stadlers Personal ist manchmal hinreissend komisch – dann läuft es einem beim Lesen kalt über den Rücken – und manchmal rabenschwarz unglücklich – dann entschlüpft einem ein Schmunzeln. Meistens sind sie beides gleichzeitig. Meistens liest man Buchseite um Buchseite mit jener konzentrierten Ernsthaftigkeit, die von tiefer Freude kommt. Und vom Glück. Weil man spürt, dass da einer von sich erzählt – und damit von uns allen. Dass da einer sich selbst ausbeutet – und damit uns alle. Wir sind gemeint. „Komm, gehen wir“ ist ein Buch, bis zum Rand gefüllt mit Geschichten und mit Sätzen, die man alle zitieren möchte, und mitten drin lebt Roland, bis zum Rand gefüllt mit Glück und Unglück, auf der Suche nach Liebe, wartend auf die Liebe und leidend daran. Am Ende des Buches sagt er „Ja“ zur Tragik seines Lebens. Denn: „als es aus war mit der Liebe, begann er darüber zu schreiben“. So mag dieses Buch entstanden sein. Diese gleichnishaften Geschichten von Dorfmenschen und ihrem Leben zwischen Anfang und Ende. Von unser aller Zwischenspiel auf dieser Welt. Zwischen „Komm, gehen wir“ und „komm, gehen wir“. SILVIA HESS Fazit: Ein beeindruckend dichter Roman über ein Dorf, das Leben, die Liebe, die Welt – über uns. Arnold Stadler |Komm, gehen wir| S. Fischer 2007, 396 S., EurD 18,90/EurA 19,50/sFr 33,40 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:17 Uhr Seite 35 Intensiv und unvergesslich EIN ROMAN VON SOHN UND VATER Jacob Willem Katadreuffe hat es von Anfang an nicht leicht. Ein Kaiserschnitt eröffnet ihm die Welt, und ab da beginnt die eigentliche Malaise, ein hartes Ringen mit sich selbst und mit dem unerbittlichen Vater, seinem augenscheinlichen Erzfeind. Zäh und verbissen arbeitet der junge Katadreuffe an Karriere und Charakter. Letzteres steht in Bordewijks († 1965) Roman, in den Niederlanden in mehr als 40 Auflagen erschienen und nun erstmals ins Deutsche übertragen, für die Idee und nicht den Prototypen. In seiner Mutter begegnet K. einer stolzen unnachgiebigen Frau, die ihn früh wissen lässt: Selbst in der trostlos inferioren Welt der kleinen Dienstboten hat man Charakter und Selbstbewusstsein an den Tag zu legen. Es gibt nichts geschenkt, und durch harte Lebensweise gepaart mit kühler Kalkulation bleibt man selbst sich treu, moralisch integer und schafft es allemal, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Rechtschaffenheit ist oberstes Prinzip, Gefühlen gibt man keinen Raum. Es ist diese nahezu beängstigende Kargheit des konstruierten Raumes, innerhalb EIN WEDER-NOCH-ROMAN Bei der Arbeit an seinem neuen Buch scheint Jay McInerney, der in den 1980erJahren neben Bret Easton Ellis als Wunderkind der amerikanischen Literatur galt, nicht so recht gewusst zu haben, was er möchte: Ein Porträt der kultivierten New Yorker Oberschicht zeichnen oder einen Roman über die Auswirkungen des 11. September schreiben? So hat er sich an beidem versucht, aber die Hälften wollen einfach nicht ineinandergreifen. Erzählt wird die Geschichte der ExAnwältin Corrine und des ehemaligen Wall-Street-Bankers Luke. Beide sind verheiratet, desillusioniert und wissen nicht, was sie mit ihren Leben anfangen sollen. Bis der 11. September 2001 kommt und sie von nun an jede Nacht in einer Suppenküche am Ground Zero arbeiten und sich, na klar, alsbald ineinander verlieben. Von nun an wächst der Kontrast zwischen Luke und Corrine auf der einen und ihren Familien und Freunden auf der anderen Seite, die einfach nur ihr gewohntes Leben dessen sich die drei Protagonisten bewegen – der machtbesessene Vater, die materiell höchst anspruchslose, doch keineswegs sanftmütige Mutter, und eben der aufstrebende, vom Vater immer wieder in die Knie gezwungene Sohn –, die ungeheure Spannung erzeugt. Am Ende kommt es nicht zur Versöhnung mit dem Vater, stattdessen wird vergolten: Der Sohn, dank seiner unermüdlichen Beharrlichkeit nun am Zenit seiner Karriere, rechnet endlich mit dem Vater ab – gerade so, als würde die fatale Ähnlichkeit der beiden Charaktere in ihrer Hartnäckigkeit den Schulterschluss gar nicht zulassen. Davon lebt dieser Roman, der, 1938 entstanden, sich gewissermaßen in einem politischen Vakuum präsentiert, denn von den Wirren im Holland der Zwischenkriegszeit bleiben die Charaktere offenbar unbehelligt. Und wir natürlich auch. BRIGITTE SCHNEIDER Fazit: Fesselndes, zeitloses Psychogramm einer glücklosen Familie. Eine Trouvaille. Ferdinand Bordewijk |Charakter| Übers. v. Marlene Müller-Haas. C. H. Beck 2007, 364 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 34,90 fortführen wollen. Und die Frage, auf die alles hinausläuft, lautet: Handelt es sich bei den durch den Anschlag herbeigeführten Veränderungen nur um vorübergehende Erscheinungen oder um einen fundamentalen Paradigmenwechsel? Der Autor scheint zur ersten Annahme zu tendieren. In seinen besten Momenten reicht das Buch in seiner Bildhaftigkeit an das Niveau von Don DeLillos brillanter 9/11-Studie „Falling Man“ heran, während es in seinen schlechtesten auf die Stufe schwülstigen SocietyKitsches herabzusinken droht, ohne dass man den Eindruck hätte, McInerney würde hier irgendetwas ironisch meinen. So bedauert man, dass sich der Autor nicht für ein Thema hat entscheiden können und befürchtet gleichzeitig, dass, wenn er es getan hätte, es weder für das eine noch für das andere gereicht hätte. ANDREAS RESCH »Dieser Roman weckt eine Lesefreude, wie es nur guter Literatur gelingt.« Los Angeles Times Fazit: Milieustudie oder 9/11-Roman? McInerney kann sich nicht entscheiden, und das hat seinem Buch nicht gut getan. Jay McInerney |Das gute Leben| Übers. v. Ingo Herzke. Kiepenheuer & Witsch 2007, 443 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 40 | Hoffmann und Campe | Das will ich lesen BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:20 Uhr Seite 36 CHRISTIAN MÄHR Anziehende Sinnsuche und ungewöhnliches Gesellschaftspanorama. Adrian Weynfeldt steht etwas verloren zwischen den Zeiten. Der elegante und kunstsinnige Großbürger lässt das Leben eher an sich vorbei träufeln. Arbeiten müsste er eigentlich nicht, da er von seinen Eltern reichlich geerbt hat, doch da er sich gerne mit schönen Dingen umgibt, ist der Job in einem internationalen Auktionshaus gerade richtig für ihn. Alte Kunstwerke zu betrachten und einzuschätzen, ist ihm ein Vergnügen, da fühlt er sich sicher. Sein Leben ist geordnet, und so richtig lässt er niemand an sich heran. Regelmäßig trifft er sich mit zwei unterschiedlichen Freundeskreisen, der eine ist erheblich älter als er, alles Menschen, die noch seine Eltern kannten, und der andere erheblich jünger. Wirklich ernst genommen wird er weder da noch dort. Sein Geld allerdings schon, und es macht ihm auch nichts aus, andere damit zu unterstützen, im Gegenteil. Alles hat sich gut eingespielt, bis er eine Frau kennen lernt, die ihn an seine Foto: © Christian Schoppe + einzige Liebe erinnert, und genau die will sich vor seinen Augen vom Balkon stürzen. Er kann sie davon abbringen, doch nun ist er für ihr Leben verantwortlich – sagt sie. Dadurch kommen gehörige Änderungen auf ihn zu. Elegant und mit leichter Hand entführt uns Martin Suter in eine ungewöhnliche und schräge Welt. Der – zumindest was technische Neuerungen und Emotionen betrifft – manchmal etwas tollpatschige, doch sehr geradlinige Protagonist ist eigentlich der einzige integre in dem ganzen Reigen von aufgeblasenen und vortäuschenden Menschen. Und das macht ihn sympathisch. Man begleitet ihn gerne auf seinen Wegen, da Suter diese Welt in warmen Pastelltönen zeichnet und sie heimelig gestaltet. Es ist fast ein wenig ein märchenhaftes Tableau menschlicher Niedertracht und Gaunereien rund um einen, der noch an seine Ideale glaubt, sich aber nicht einmischen möchte. Dieser reizvolle Widerspruch ist eine der Stärken des Romans. TOBIAS HIERL Pro & Kontra: Martin Suter »Der letzte Weynfeldt« 272 Seiten. Gebunden. € 20,50 [A] Diogenes 2008, 320 S., EurD 19,90/EurA 20,90/sFr 35,90 Ein blendend erzählter Roman mit einem ordentlichen Schuss Zynismus, den man von der ersten bis zur letzten Seite mit großer Spannung liest. Leseware, zum baldigen Verbrauch bestimmt. Leidlich Ergötzliches über Lügen und Lieben, schnell gelesen, schnell wieder vergessen. Als ehemaliger Werbetexter hat der in die Sonne von Ibiza ausgewanderte Schweizer die Kunst, aus genauen Beobachtungen knappe Sätze zu drechseln, perfektioniert. Mit lockerem Zynismus blickt er in Wohnungen, Schneiderwerkstätten, Designerläden und auf die Menschen samt ihren Klamotten und Marotten. Der „letzte Weynfeldt“ zählt zur Zürcher Hautevolee und hat als Erbe und Experte für Schweizer Kunst ein Vermögen samt Immobilien angehäuft. Anfangen kann er damit nicht viel, weil ihm die Liebe fehlt. Natürlich taucht sie doch noch auf, knapp bevor er seinen 60sten feiern muss. Zuerst will sie vom Balkon springen, danach sich sein Vermögen greifen. Noch bevor er seinen Siegelring ab- und ihr, der rothaarigen Lorena, die teure Designerhülle angelegt hat, weiß ich schon, wie’s enden wird. Und wo natürlich auch: im Bett. Suters Roman ist Leseware – perfekt auf ein Publikum zugeschnitten, das – sich nicht anstrengen will, sich gern über andere (in diesem Fall vor allem alte Herren der Schweizer Gesellschaft, Möchtegernkünstler und andere Schmarotzer) mokiert und an der Aufzählung bekannter Namen (aus aktuellen Maler- und DesignerLexika) Gefallen findet. Ich kenne die Zürcher Gesellschaft nicht (und auch ihr Pendant in Wien ist mir fremd) und ihr Mitglied, Adrian Weynfeldt mit seinen eingefahrenen Gewohnheiten und dem Monogramm auf den 14 Pyjamas interessiert mich gar nicht, und die Frau mit den bunt lackierten Zehennägeln und dem Hang, das Geld anderer auszugeben, ebenso wenig. Noch weniger aber kann ich der minutiösen Beschreibung von Mahlzeiten, Immobilieneinrichtungen und Garderoben der Herren und Damen abgewinnen. Ich bezweifle, dass man von der Grille, im Stresemann beim Begräbnis zu erscheinen, auf das Innenleben einer Person schließen kann. Und von dem, vom Innenleben, vom Wirken der neuronalen Schaltkreise im Hirnkasten, erfahre ich nichts. Ich sehe nur die akkurat geätzte Oberfläche. Kein Bild. DITTA RUDLE www.deuticke.at 36 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:22 Uhr Seite 37 M A R K T P L AT Z Zum Wiederlesen Der Deutsche Autor Peter Huchel ist vielen Lesern unbekannt. Richard Christ findet, er gehört einfach wieder gelesen. RICHARD CHRIST Peter Huchel |Wie soll man da Gedichte schreiben. Briefe 1925-1977| Suhrkamp 2000, 534 S., EurD 17,95/EurA 18,50/sFr 32,60 Peter Huchel |Gedichte| Suhrkamp 2001, 178 S., EurD 14,80/EurA 15,30/sFr 27,10 Peter Walther (Hg.) |Peter Huchel: Leben und Werk in Texten und Bildern| Insel 1995, 336 S., EurD 11,99/EurA 12,40/sFr 22,10 © Corbis Von allen Autoren der inneren Emigration ist er am schwierigsten einzuordnen, ein sperriger, kantiger Charakter, nicht zu denken ohne die Landschaft der Mark Brandenburg. Aufgewachsen ist Peter Huchel, Jahrgang 1903, auf dem Bauernhof des Großvaters in Alt-Langerwisch. 1931 veröffentlicht er in der „Literarischen Welt“ (1925-34) einen autobiografischen Aufsatz unter der für sein Dichten und Leben programmatischen Überschrift „Europa neunzehnhunderttraurig“: „Der Großvater schreibt Verse in ein blaues Heft ... Er glaubt nicht an Gott, aber an die Macht von Kuhbeschwörungen. So hat er den Knaben bald soweit ... Er fängt früh damit an, lebensuntüchtig zu denken. Einige Jahre später schreibt er auch in ein blaues Heft ...“ Im Jahr darauf erhält Huchel dafür den Lyrikpreis der „Kolonne“. Nach dem Studium in Berlin, Freiburg und Wien führt Huchel ein zurückgezogenes Leben, geht auf Reisen, heiratet in Siebenbürgen, er finanziert alles mit Arbeiten für den Rundfunk. Den Gedichtband „Der Knabenteich“ zieht er 1933 beim Machtantritt der Nazis zurück. Er emigriert nicht wie viele seiner Freunde; 1941 wird er eingezogen zu einer Nachrichteneinheit, gerät bei Kriegsende in russi- sche Gefangenschaft, wird bereits 1945 entlassen. Als freischaffender Autor wollte und konnte er nie leben, also war ihm das Angebot Johannes R. Bechers willkommen, die Leitung der neugegründeten „Sinn und Form“ zu übernehmen. Als Chefredakteur des anspruchsvollsten literarischen Periodikums schafft sich Huchel viele Feinde, weil er Beiträge einflussreicher SED-Funktionäre ablehnt, stattdessen fördert er Poeten wie etwa Johannes Bobrowski. 1962 wird Huchel gefeuert und öffentlich beschuldigt, ein Gegner der sozialistischen Kulturpolitik zu sein. Der aufmüpfige Poet wird isoliert, Post und Telefon und seine Besucher werden überwacht. Fast ein Jahrzehnt kämpft er um eine Ausreisegenehmigung, 1971 lässt man ihn ziehen, als Gegenleistung muss er auf alle Pensionsansprüche verzichten! Wie in einem Rausch versucht er die verlorenen Jahre nachzuholen, reisend und dichtend. Sein letzter Wohnsitz wird Staufen im Breisgau, dort stirbt er 1981 nach langer Krankheit. Zahlreiche auch internationale Ehrungen erleichtern seinen Lebensabend. 1972, nach dem Lyrikband „Gezählte Tage“ (Suhrkamp), kommt Kritik auf, Huchels Lyrik sei wegen ihrer politischen Entstehungsbedingungen überbewertet. Die Kindheitserinnerungen las ich wieder mit Gewinn, das Gesamtwerk ist mir heute regional und thematisch zu eng umgrenzt, zu eindeutig auf Moll gestimmt – da bevorzuge ich von seinen Zeitgenossen der inneren Emigration Günther Eich, Benn oder Wilhelm Lehmann, vor allem auch Theodor Kramer. Wer vergessen will, was geschah, sollte bedenken, was wird. 368 Seiten. € 20,50 (A) 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:23 Uhr Seite 38 M A R K T P L AT Z SUCHE NACH LEBEN Sabahattin Ali (1907–1948) hat kein umfangreiches Werk hinterlassen: Drei Romane, einige Bände mit Erzählungen und einen Gedichtband. Doch seine Texte erregten damals – und noch heute – Aufsehen und beweisen ihn als wichtigen Autor der literarischen Moderne. Ali kam immer wieder in Konflikt mit der Obrigkeit und wurde beim Versuch, nach Bulgarien zu fliehen, ermordet. Einer seiner wichtigen Romane wurde nun in der Türkischen Bibliothek erstmals auf Deutsch herausgebracht. Er spielt Ende der 1930er-Jahre in Istanbul und damit in den Anfangsjahren der türkischen Republik. Der Philosophiestudent Ömer lernt die junge Macide kennen. Sie verlieben sich und beschließen zusammen zu ziehen. Er selbst kommt mit seinem Studium nicht recht weiter und bezieht ein schmales Gehalt als Angestellter bei der Post. Macide stammt aus einer Kleinstadt und besucht das Konservatorium. Doch bald tauchen Spannungen auf, die nicht nur mit Geld zu tun haben. Macide schätzt die Freunde von Ömer nicht, denn zum einen sind sie eingebildete Intellektuelle und zum anderen politische Verschwörer, die pan-türkische Ziele verfolgen. Ömer fühlt sich auch noch nicht reif für eine Beziehung. So kommt es zum Bruch. „Der Dämon“ ist zum einen eine Ausrede von Ömer, bestimmte Dinge, die er vorhat, nicht zu tun, wie er gegen Ende einbekennt, zum anderen ein nicht näher zu definierendes Böses, das ihn bedrängt. Sabahattin Ali beschreibt ein Land im Aufbruch, zeigt die unterschiedlichen Strömungen und Schichten, z. B. Zuwanderer aus Anatolien, die nicht wissen, ob sie sich an der Tradition oder der Moderne orientieren sollen, und schließlich auch emanzipierte Frauen, die konsequent ihre Position vertreten. Ihm wurde vorgeworfen, zu sehr individuelle Schicksale zu beschreiben, weshalb die gesellschaftlichen Positionen bei ihm zu kurz kämen, doch heute wird er als ein Erneuerer der türkischen Literatur geschätzt. TOBIAS HIERL Fazit: Ein höchst moderner Roman, der manche überraschen dürfte. Sabahattin Ali |Der Dämon in uns| Übers. v. Ute Birgi-Knellessen. Unionsverlag 2007, 349 S., EurD/A 19,90/sFr 34,70 38 EIN STÄBCHEN KANN KEIN DACH TRAGEN China, das Land mit der weltgrößten Bevölkerung, mit einer großen kulturellen aber auch traurigen Vergangenheit und Gegenwart. Hier ist auch der dritte Roman von Xinran situiert. Xinran ist als Radiojournalistin in ganz China bekannt, auf Basis ihrer Sendung „Words on the Night Breeze“ entstand ihr erster Roman „Verborgene Stimmen. Chinesische Frauen erzählen ihr Schicksal“. 1997 verließ die Autorin China und lebt in London, wo sie die Organisation „The Mothers’ Bridge of Love“ gründete. Die Grundlage für ihren dritten Roman fand Xinran in Gesprächen mit Frauen, die gemeinhin als „Essstäbchen“, also als leicht zerbrechlich bezeichnet werden – während die Burschen und Männer die „Dachbalken“ und somit die Stützen der Familie und Gesellschaft darstellen. Verschiedene Erlebnisberichte junger Frauen hat die Autorin zu einem spannenden Roman verknüpft, indem sie aus ihnen Schwestern macht. Die sechs Töchter wachsen in der Provinz Anhui auf, der Vater kann seine Scham nicht verbergen und ist im Dorf nicht angesehen, schließlich konnte er keine „Eier legen“. Da jede Geburt eines weiteren Mädchens nur Anlass zu Sorge und Enttäuschung war, bekamen die Kinder nie Na- WAS IST WAHRHEIT? Dass es eine einzige Wahrheit und Wirklichkeit nicht gibt, führt Arthur Phillips in seinem neuen Roman eindringlich vor Augen, indem er eine Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven schildert, aufgezeichnet von einem noch hinzukommenden IchErzähler, der sich freilich meist hinter einer auktorialen Erzählerfigur verbirgt und der erst nach und nach zu identifizieren ist. Die Ausgangssituation ist weder neu noch eine besondere: London im späten 19. Jahrhundert. Ein nicht mehr ganz junger alleinstehender Mann in guter Position hat sich vor ein paar Jahren die blutjunge Schreibwarengehilfin Constance, die außerdem als Vollwaise aus dem Armenhaus kommt, zur Gattin erwählt. Ihr sehnlicher Kinderwunsch blieb lange unerfüllt, sie erlitt einige Fehlgeburten, doch schließlich brachte sie, wenn auch mit großen Komplikationen, eine Tochter, Angelica, zur Welt. Mittlerweile ist das Mädchen vier Jahre alt und genießt die ungeteilte Aufmerksamkeit, Sorge und Liebe ihrer Mutter – natürlich auf Kosten des Vaters sowie des ehelichen Zusammenlebens. Für diese Situation und für das, was kommt, legt men, sie wurden schlicht und einfach durchnummeriert, von eins bis sechs. Die einzige Möglichkeit, die Mädchen loszuwerden, war, sie zu verheiraten. Die junge Drei flüchtet aus dieser Welt in die Stadt Nanjing, wo sie sehr rasch eine Arbeitsstelle, aber vor allem, und das ist viel wichtiger, Anerkennung und Freiheit erlangt. Später kommen auch ihre Schwestern Fünf und Sechs (letztere ist die einzige, die eine Mittelschulbildung genossen hat) in die Stadt, und auch sie beweisen, dass sie alles andere als nur „Essstäbchen“ sind. Das Leben in der Stadt eröffnet den drei jungen Frauen viele neue Möglichkeiten und trotzdem ist es schwierig für sie, sich an die neuen Regeln, Gepflogenheiten und Werte zu gewöhnen, die zu jenen des Dorfes oft in großem Gegensatz stehen. Während die Geschichte der drei Schwestern im Roman ein positives Ende nimmt, sind die Lebensgeschichten jener jungen Frauen, die als Vorlage für diesen Roman dienten, ungewiss oder sogar von keinem Erfolg gekrönt, wie die Autorin in ihrem Nachwort ausführt. HEIKE FETZ Fazit: Ein nachdenklich machender Roman, in schöner blumiger Sprache geschrieben. Xinran |Die namenlosen Töchter| Übers. v. Michaela Grabinger. Droemer 2007, 333 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90 sich nun jede der Figuren ihre individuelle Wahrheit zurecht, aus der sich der Leser jeweils sein eigenes Bild machen muss. Constance, die sich ihrem Gatten Joseph in körperlicher Hinsicht völlig verweigert (auf Anraten der Ärzte, wohlgemerkt!), hält ihn für ein brutales Ungeheuer, sieht mysteriöse Erscheinungen im Haus und sucht deswegen Hilfe bei Anne Montague, einer Scharlatanin und angeblichen Teufelsaustreiberin. Joseph seinerseits erschrickt zunehmend über die menschliche Kälte in seinem Haus und sieht mit Beunruhigen den wachsenden Wahnsinn seiner Frau. Jeder erzählt also seine Wahrheit. Diese sind zu einer Geschichte verwoben, die so raffiniert ist, dass sich Fakten und Handlung erst nach und nach wie Puzzleteile zusammenfügen. Ein Psychogramm, das den Leser schaudern lässt und das durch die Kälte und dargestellte Enge Beklemmungen erzeugt. KAROLINE PILCZ Fazit: Trotz einiger Längen überzeugendes düsteres Familienschicksal in nicht ganz alltäglicher Aufmachung. Arthur Phillips |Angelica| Übers. v. Sigrid Ruschmeier. Goldmann 2007, 413 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 34,90 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:26 Uhr Seite 39 PIPER. BÜCHER, ÜBER DIE MAN SPRICHT. DAS NICHTSSAGENDE UND DAS NICHTGESAGTE William Trevor erzählt ruhig, unprätentiös und unaufdringlich. Auch seine Charaktere bewahren Haltung, haben ihre Emotionen unter Kontrolle. Dennoch lässt einen die Intensität dieser schmerzlichen, oft makaberen Geschichten schon nach dem ersten Hineinlesen nicht mehr los. Trevors Romane und Erzählungen handeln vom Alltag in ländlichen Gegenden in Irland und England, von Bauern, Prostituierten, Senioren, Betrügern, Polizisten, Pfarrern, Hausbesitzern und ähnlichen Figuren. Auf den ersten Blick wenig aufsehenerregend, entwickeln sie sich zu faszinierenden, manchmal auch perversen Charakteren, deren Träume und Ängste den engen Rahmen ihrer Lebenssituationen sprengen. Überraschungen bietet oft der Verlauf der Handlung: Da geht es etwa zuerst um Teetrinken, Fliesenlegen und Gartenarbeiten. Nach und nach erfahren wir die Vorgeschichte: Wie einer unaufgefordert einer Unbekannten zu einem Alibi für einen Mord verhilft, sie so vor dem Gefängnis bewahrt und in die Konsequenzen einer nie stattgefundenen amourösen Beziehung verstrickt. Mit ihrer stillen, einfühlsamen Art, ihren FAMILIENSAGA EXTRA-LIGHT Viele Verwandtenbesuche und ein Todesfall – damit ist die Handlung von Rosemarie Poiarkovs Erzählung fast vollständig umrissen. Ach ja, eine Wohnung wird auch noch frei nach dem Ableben der Inhaberin. Um diese beginnen sich Fantasien der Ich-Erzählerin zu ranken. Außenwelt-Action findet man wenig in „Wer, wenn nicht wir“. Umso ausgefeilter wird die Innenwelt der 30-jährigen Heldin konstruiert: aus Träumen, Kindheitserinnerungen, Assoziationen und Beobachtungen eines nachweihnachtlich stillen Kleinstadt-Kosmos. Die einzelnen feinen Stücke fügen sich zu einem komplexen und feinen Stimmungsbild. Dort wo es gelingt, kann man in die Welt der Protagonistin eintauchen. An Stellen, wo es nicht ganz so klappt, wird die Sache nebelig trüb. Und man ist sich nicht mehr ganz sicher, wohin die Autorin den Leser jetzt führen wollte. Auf die Sprache ist dabei immer Verlass. Auch wenn’s mit dem Erzählen mal nicht so BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 bescheidenen Mitteln und liebevollen, detaillierten Schilderungen erzielen diese Short Stories ihren größten Effekt: Es scheint, als entführten sie ihre Leser nicht in die Fiktionen des Autors, sondern in die Vorstellungsund Phantasiewelten seiner Figuren. Trevor feiert nächstes Jahr seinen 80. Geburtstag und wird oft als „Altmeister der irischen Literatur“ oder gar als „unangefochtener Meister der Short Story“ bezeichnet. Vielfach ausgezeichnet, hat er u. a. die Vorlage für Atom Egoyans Film „Felicia, mein Engel“ geliefert, und die Encyclopedia Britannica hat ihm bereits einen ausführlichen Eintrag gewidmet. Man spürt, dass hier ein Autor auf der Höhe seines Könnens angelangt ist – seine Ironie ist beißend, seine Beschreibungen treffend, die Ereignisse bestürzend. Aber die Virtuosität des Erzählens selbst, die ganz ohne Spezialeffekte und Theaternebel auskommt, sorgt nicht nur für Spannung, sie ist hier fast ebenso sichtbar und einprägsam wie Figuren und Handlung. MATTHIAS GOLDMANN Bombenterror in Wien. Fazit: Zwölf Meistererzählungen über Männer und Frauen und ihre versäumten Gelegenheiten. William Trevor |Tod des Professors| Übers. v. HansChristian Oeser. Hoffmann und Campe 2007, 272 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 34,90 recht vorangehen will, die Wörter stehen am richtigen Platz und finden ihren Rhythmus. Die Sätze erzeugen Bilder, die nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch Stimmungen. Gefühle ohne Pathos zu skizzieren, darin liegt die Stärke des Buches. Ab und zu stößt man auf einen wirklich gelungenen Satz. Manchmal scheint kurz ein Sonnenstrahl durch die winterliche Nebeldecke, eine Hoffnung auf Glück. Ein volleres Leben scheint sich die Erzählerin zu wünschen, eine Biografie mit mehr Kern, vielleicht eine eigene Familie. Dann müssten sie auch nicht mehr alle ihre Gefühle auf die Herkunftsfamilie und ein paar Liebschaften beziehen. Nur über Dinge zu schreiben, die man selbst kennt – diesen Grundsatz hat Poiarkov offenbar beherzigt. Als Leser wünscht man sich stellenweise, sie oder ihre Heldin hätten schon ein wenig mehr erlebt. ANDREAS KREMLA Fazit: Stimmungsvolle Detailaufnahmen aus dem Innenleben einer 30-Jährigen. Rosemarie Poiarkov |Wer, wenn nicht wir| Czernin 2007, 128 S., EurD 19,80/EurA 20,35/sFr 35,90 In der Wiener Altstadt detoniert eine Bombe. Opfer des brutalen Anschlags ist Eli, ein Freund des israelischen Agenten Gabriel Allon. Ein Ableger der Al-Qaida bekennt sich zum Attentat. Doch Allon verfolgt eine ganz andere Fährte. SP 5107. € 8.95 (D)/€ 9.20 (A) ISBN 978-3-492-25107-5 www.piper.de 28-41 marktplatz 15.01.2008 15:30 Uhr Seite 40 M A R K T P L AT Z DIE VERSCHWÖRUNG DER KAMELE Zugegeben: Ein Autor, der es mit bislang 10 Romanen jeweils auf die Bestsellerliste der New York Times, zu Übersetzungen in 40 Sprachen und einer Gesamtauflage von über 50 Millionen Exemplaren in mehr als 80 Ländern bringt, ist für einen Verlag ein schlagendes Argument. Und dass der ehemalige Strafverteidiger und Wirtschaftsanwalt David Baldacci über beträchtliche Informationen sowie Insiderkenntnisse bezüglich der amerikanischen Politik verfügt, sei ebenfalls unbestritten. Bleibt also die Frage offen, wie viele Thriller zum Funktionieren bzw. Außer-Kontrolle-Geraten der diversen US-Geheimdienste im Zuge des Kampfes gegen die Achsen des Bösen die Welt noch verkraften kann/mag. Fairerweise sei konzediert, dass der Autor sich nicht zu einer völlig simplifizierten Sicht der Dinge versteigt, in welcher die Erde in gute Amerikaner und böse Kommunisten/Muslime/Terroristen aufgeteilt ist – im Gegenteil, die Stimme der so genannten Anderen ist deutlich zu hören – und klingt verblüffend vernünftig. Trotzdem fügt der Plot sich nach dem sattsam bekannten Muster der Helden („die Wächter“), einer eher kuriosen Viererbande von Randgestalten, die sich zum Ziel gesetzt haben, „die Wahrheit“ zu finden und darüber hinaus auch noch die ganze Welt vor dem finalen Knall zu retten. Ein abgehalfterter CIAAgent und eine schöne Anwältin (die, völlig überraschend, schließlich doch noch ein Paar werden) und eine fundamentalistische Abtreibungsgegnerin mit polnischer Herkunft verstärken den Trupp der „Wächter“, die sich unter dem Deckmantel „CamelClub“ zusammenfinden, ihre Verschwörungstheorien ausbrüten – und, siehe da, damit am Ende Recht behalten … Wer mag, kann mithilfe des Anhangs die Abkürzungen und Aufgaben der diversen US-amerikanischen Dienste mehr oder weniger geheimer Natur auswendig lernen, und der eher unbedarfte Leser, die weltpolitisch schlecht informierte Leserin erhält einen Crash-Kurs in Sachen Weltpolitik unter besonderer Berücksichtigung der Arabischen Liga. SYLVIA TREUDL Fazit: Ein verzichtbarer Thriller zum laschen Dauerbrennerthema Amerika und der Rest der Welt. David Baldacci |Die Wächter| Übers. v. Uwe Anton. Lübbe 2007, 592 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 35,90 40 IM DUNKELN GETAPPT Englische Unterhaltungsliteratur ist ja niemals pure geistlose Zerstreuung, sondern zwischen den locker fließenden Zeilen immer auch Gedankenspiel, Themendebatte, Gesellschaftsbild. Bestsellerautorin Judith Lennox, 1953 in Salisbury geboren, macht da keine Ausnahme. In den bisher 13 Romanen erzählt sie neben romantischen Liebesgeschichten immer auch von den Läufen der Zeit, den Wandlungen der Gesellschaft und dem Durst nach Freiheit und Eigenständigkeit der Frauen. Frauen, mutigen und schüchternen, einsamen, abhängigen, erfolgreichen und auch solchen, die es doch nicht schaffen, sind ihre Romane gewidmet. Der jüngst übersetzte zieht sich nahezu durch das gesamte vergangene Jahrhundert, das vor allem in der ersten Hälfte durch die beiden großen Kriege geprägt war. Aber diese Kriege kommen nur am Rande vor, in der Mitte steht Bess, die in Australien geboren ist, dort geheiratet und einen Sohn geboren hat und dann von der bösen Schwiegermutter vertrieben wird. Fortan lebt sie in England, heiratet, gebiert Zwillinge, doch der Bub stirbt LEICHEN IM KELLER Mit ihrem dreizehnten Roman offeriert die kanadische Autorin Joy Fielding einen raffinierten Psychothriller, der den Leserinnen ein sprudelndes Wechselbad aus hochgradiger Spannung und beruhigender Entspannung beschert. Torrance ist eine typische amerikanische Provinzstadt, jede kennt jeden und jeder schläft mit jeder und die Bett- und sonstigen Geheimnisse sind nur scheinbar welche. Man tuschelt, kichert, meckert, aber toleriert. Nur wer so dick ist wie die 17-jährige Delilah oder sich nicht für das andere Geschlecht interessiert wie Brian, wird verspottet und ausgestoßen. Cal Hamilton aber, der seine Frau nahezu täglich blau schlägt, ist so lange ein unbescholtenes Mitglied der Gesellschaft, bis ihre Leiche gefunden wird. Am Straßenrand, unter einem Erdhaufen nur schlecht verborgen, einfach abgelegt. Fiona Hamilton ist aber nicht die erste Leiche in Torrance. Zwei Mädchenleichen liegen bereits mit zerschossenem Gesicht in der Pathologie. Als der Sheriff glauben will, mit Cal hätte er endlich den Mörder gefasst, weiß die Leserin genau, dass Cal zwar prügelt und harte Sexspiele liebt, aber nicht raffiniert genug ist, um die Morde begangen zu haben. Dennoch entspannen sich alle in der kleinen Stadt, die Schulaufführung wird ein Erfolg, die Kids- an der Grippe. In einer zweiten Ehe versucht sie, die beiden verlorenen Söhne wieder erstehen zu lassen, doch schließlich hat sie vier Mädchen und wartet auf den in Australien zurückgelassenen Sohn. Zwar gibt es auf den letzten vierzig Seiten noch ein „schreckliches“ Geheimnis aufzudecken, doch davor plätschert die Geschichte vom Lebens- und Liebeskampf der ebenso schönen wie eigenwilligen Bess als milder Waldbach dahin. Nicht der beste Wurf von Judith Lennox, doch mit Sinn für gesellschaftliche Strömungen, die Plagen des Alltags und ohne rosarote Brille geschrieben. Wie der Verlag auf den Titel „Der einzige Brief“ kommt, bleibt bis zum Schluss unerklärt. Im Original heißt der Roman „A Step in the Dark“, und das ist Metapher und reales Ereignis zugleich. DITTA RUDLE Fazit: Keine Schande, eine Lennox für entspannende Lesestunden am Kamin aufzuschlagen. Judith Lennox |Der einzige Brief| Übers. v. Mechthild Sandberg-Ciletti. Piper 2007, 592 S., EurD 19,90/ EurA 20,50/sFr 35,90 Party danach nicht für alle. Die Erwachsenen sitzen im Chester’s und schütten sich mit Cocktails zu. Allein, der Schrecken geht wieder um, Megan, Star der sommerlichen Schulaufführung, ist verschwunden. Fielding setzt ihre Leserinnen nicht unter Druck und nimmt sich genügend Zeit, das Innenleben der Stadt und ihrer Charaktere auszuleuchten. Nur die Oberfläche ist intakt, darunter ortet die Autorin Risse und Sprünge, die oft recht tief gehen und Tun und Lassen der Menschen mehr beeinflussen, als sie selbst wahrhaben wollen. Und doch gibt es nur einen, dessen Verletzungen so schwer sind, dass auch andere verletzt werden müssen. Menschen zuzusehen, wie sie ihr Leben bewältigen, oder eben nicht, ist ebenso spannend, wie hinter einem Serienmörder herzuhetzen. Wer aber schnurgerade Straßen und dementsprechend schnell erreichte Ziele liebt, wird für den aufregenden Bericht aus Torrance Geduld aufbringen müssen. Durchhalten ist dennoch die Parole, der Showdown ist ebenso atemberaubend wie überraschend. DITTA RUDLE Fazit: Mördersuche im ironisch beschriebenen Kleinstadtmilieu. Wohlige Gefühle wechseln mit Gänsehaut. Bemerkenswerter Thriller. Joy Fielding |Nur der Tod kann dich retten| Übers. v. Kristian Lutze. Goldmann 2007, 480 S., EurD 19,95/ EurA 20,60/sFr 34,90 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Seite 41 GEHEIMNISVOLLES IN ZEHN FOLGEN S P E Z I A LT I P P In einer Kassette mit zehn Bänden werden die Glasbücher der Traumfresser ausgeliefert, eine turbulente Achterbahnfahrt für Liebhaber geheimnisvoller Geschichten aus der viktorianischen Zeit. Drei ungewöhnliche Heldinnen und Helden stehen im Mittelpunkt: eine verwöhnte reiche junge Erbin, Celeste Temple, ein Arzt und Spion aus Mecklenburg namens Dr. Abelard Sevenson und ein schillernder geheimnisvoller Attentäter in langem roten Mantel, der Kardinal Chang genannt wird. Sie müssen eine Reihe Abenteuer bestehen, bis sie endlich eine groß angelegte Verschwörung aufdecken, die letztlich die ganze Welt betreffen könnte. Wer so etwas im Schilde führt, muss natürlich wirklich böse sein, und so kann die übermächtige Riege der Bösewichte ebenso mit originellen Charakteren aufwarten, wie der geheimnisvollen Adeligen, dem mächtigen Industriekapitän, dem korrupten Politiker, dem karrierebewussten Offizier und dem genia- TÖDLICHER MEHRERTRAG Sind die Ökonomen in Wahrheit die Retter der Menschheit, weil sie die Existenz auf die Formeln ihrer Wissenschaft herunterbrechen und somit z. B. auch unter der Prämisse „Maximierung des Glücksstrebens“ eine praktikable Norm für den optimalen Ehebruch herausarbeiten? Kellen Zant, brillanter Volkswirt und unwiderstehlicher Charmeur oder widerlicher Casanova, hat jedenfalls einen sehr individuellen Zugang zur Lehre von der Ökonomie und ist für seine StudentInnen ein recht fragwürdiges Vorbild. Seine erotische Präferenz gilt verheirateten Frauen – und als das Ehepaar Carlyle in dunkler Winternacht seine Leiche am Rand einer nahezu unbefahrenen Straße entdeckt, drängen sich unangenehme Interpretationen zu Zants gewaltsamem Tod auf. Julia Carlyle, Theologin an jener amerikanischen Ostküstenuni, deren Präsident ihr Ehemann Lemaster seit kurzem ist, gerät auf Schleuderkurs. Sie war zu Studentinnentagen Zants Geliebte und der Kontakt ist nie völlig aufgegeben worden. Nun gerät Julia immer tiefer in die Rolle einer Ermittlerin – der schillernde Zant hat für sie in einer Art makaberer len Erfinder. Die Menschen werden durch ein spezielles Verfahren einer Art Gehirnwäsche unterzogen und so zu sexuell enthemmten Marionetten der Verschwörer, während ihre Erinnerungen in Glasbüchern und Glaskarten aufgefangen werden. Die Szenerien erinnern an die Hochblüte der Schauerromantik. Die Jagd führt durch geheimnisvolle Schlösser, in unterirdische Labyrinthe, hinter Geheimtüren und in leere Kirchen. Immer wieder geraten die Helden in ausweglose Situationen, aus denen sie nur durch ihre Gewitztheit entkommen können, um sich wenig später in noch größerer Gefahr zu befinden. Der ein wenig offene Schluss mag vielleicht irritieren, doch wer solche Figuren erschaffen hat, kann sich vielleicht nicht so leicht von ihnen trennen und möchte sie wieder einmal einsetzen. SE Fazit: Opulente Hommage auf die großen Romane der Schauerromantik. Gordon Dahlquist |Die Glasbücher der Traumfresser| Übers. v. Bernhard Kempen. Blanvalet 2007, 896 S., EurD 24,95/EurA 25,70/sFr 43,90 Schnitzeljagd zahlreiche Hinweise hinterlassen, die auf einen ominösen „Mehrertrag“ und dessen Abschöpfung abzielen. Offenbar ein recht riskantes Unternehmen mit äußerst kritischem Warenbestand. Im Zuge der politischen Ranküne wird buchstäblich mit allen Mitteln gekämpft. Stephen Carter legt mit seinem zweiten Roman ein sehr komplexes Buch vor, in dem auch die Nebenfiguren unglaubliche Tiefenschärfe gewinnen, sich die Handlungsstränge logisch und sehr stringent ineinander verweben. Es ist ein Buch über Rassismus – der nicht nur zwischen dem schwarzen und dem weißen Amerika Gräben aufreißt; eine glaubwürdige Fragestellung zu den Begriffen Ethik und Moral – und danach, wie beides im Zuge der unbarmherzigen Gier nach Macht ins Gegenteil verkehrt werden kann. Allerdings hätte es nicht dermaßen ausufernde 740 Seiten gebraucht, um die Geschichte darzulegen – und auch der Showdown gerät bedauerlicherweise in das abgelutschte Fahrwasser amerikanischer Action-Filme. SYLVIA TREUDL Fazit: Fundierter Roman über Machtgier, Skrupellosigkeit und Rassismus. Stephen Carter |Die schwarze Dame| Übers. v. Charlotte Breuer u. Norbert Möllemann. Ullstein 2007, 736 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 39,90 Foto: © Katharina Behling 15.01.2008 15:31 Uhr 192 S. | gb./SU | B 18,50 (A) | ISBN 978-3-8218-5773-2 28-41 marktplatz »Niemand schreibt so präzise und leise und gewaltig wie Jenny Erpenbeck.« FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 www.eichborn-berlin.de 15.01.2008 15:33 Uhr Seite 42 Neue Krimis Schmauchspuren 42-54 TB_SB VON PETER HIESS ■ Michael McGillis ist ein „shit magnet“ – also einer, der Probleme und Geistesgestörte anzieht, ohne es zu wollen. Die USRegierung kann dieses ungewöhnliche Talent gut brauchen. Der Stabschef des Präsidenten (naturgemäß ein perverser Junkie) erteilt ihm den Auftrag, die „Geheime Verfassung“ des Landes aufzuspüren; sie sei die einzige Chance, den moralischen Verfall und die Pornografisierung der Bürger aufzuhalten. Also macht sich der Detektiv (in Begleitung eines polymorph perversen Szene-Girlies) auf die Reise durch die Abgründe Amerikas, weil das geheimnisumwobene Dokument natürlich genau in den Kreisen kursiert, die es bekämpfen soll. Der britische Comic-Autor Warren Ellis (dessen wichtigstes Werk „Transmetropolitan“ eine Hommage an den großen Hunter S. Thompson ist) lässt in seinem ersten Roman all die sexualverrückten und popkulturellen Gestalten aufmarschieren, die er bei seinen Recherchen im Internet und in seiner schrägen Phantasie täglich entdeckt: Bodybuilder, die sich Salzlösung in die Hoden spritzen, inzestuös-debile texanische Milliardäre und „Godzilla Bukkake“-Fans (fragen Sie nicht). Alles, was einem hier besonders krank vorkommt, ist wahrscheinlich wahr – oder eben gut erfunden. Auf jeden Fall aber ist „Crooked Little Vein“ unglaublich skurril, lesenswert und jederzeit für einen Lacher gut. Ein Krimi für weit Fortgeschrittene. Warren Ellis |Crooked Little Vein| William Morrow 2007, 280 S., 21,95 US-$ ■ Eher rückschrittlich kommt John Katzenbachs „Der Fotograf“ daher. Da die Psy42 chiatrie-Thriller des ehemaligen Gerichtsreporters („Die Anstalt“, „Der Patient“) im deutschen Sprachraum so erfolgreich waren, wirft Knaur jetzt auch die Backlist des Autors auf den Markt. In diesem Fall handelt es sich um einen Roman aus dem Jahre 1987, als Serienkiller noch nicht den Krimimarkt überschwemmt hatten, sondern sichere Garanten für Spannung und Gänsehaut waren. Der Täter ist hier ein berühmter Fotoreporter, der seine Taten mit der Kamera dokumentiert und nun eine Literaturstudentin kidnappt, die seine Biografie aufschreiben soll. Die Einzigen, die den Wahnsinnigen stoppen können, sind eine Polizistin aus Miami und der Bruder des Täters – natürlich ein Psychiater. Das Buch liest sich zwar recht flüssig, ist aber mit seinen Serienmörder-Klischees schlecht gealtert und mit fast 700 Seiten einfach zu lang. John Katzenbach |Der Fotograf| Übers. v. Anke Kreutzer. Knaur TB 2007, 680 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,90 ■ Meanwhile, in Hard Case Country: Die Lieblings-Taschenbuchserie aller Pulp-Fans wird nicht nur munter fortgesetzt, sondern ab Frühjahr 2008 – wenigstens teilweise – bei Rotbuch auch in deutscher Sprache erscheinen. Dass an dieser Stelle wieder einmal von der strengen Berichtsreihenfolge abgewichen wird, liegt an der sehnlichst erwarteten Fortsetzung der Ken Bruen/Jason StarrKollaboration „Bust“: In „Slide“ begegnen wir den charakterschwachen, strohdummen Protagonisten Max Fisher und Angela Petrakos wieder. Max ist nach den kriminellen Katastrophen aus Teil eins auf einer Sauftour in Alabama gelandet, wo er in einem schmuddeligen Motel ausgerechnet Crack entdeckt – und sich darauf stürzt „like flies on shit“, wie der Amerikaner sagt. Er beginnt eine Karriere als Dealer für den Mittelstand von Manhattan, stylt sich als „Gangsta“ mit allen HipHop-Klischees und ist selbst sein bester Kunde. Angela hingegen hat es nach Irland verschlagen, wo sie sich mithilfe ihrer Silikonbrüste und diverser Männerbekanntschaften mehr schlecht als recht durchschlägt – bis sie Slide kennen lernt, einen irren Iren, der alle Serienkiller-Rekorde brechen will. Natürlich verschlägt es das seltsame Paar nach New York, und natürlich läuft Angela wieder Max über den Weg, und alles endet in genial-blutigem Blödsinn. Eine brillante Satire auf Krimiklischees und den ungesunden Einfluss der Massenmedien auf Kleinkriminelle. John Langes „Grave Descend“ (Hard Case Crime 26) ist ein netter kleiner Krimi aus dem Jahr 1970, der auf Jamaika spielt, wo der Berufstaucher Jim McGregor eine gesunkene Yacht heben soll und in ein sinistres Komplott verwickelt wird. Ungewöhnlicher Handlungsort, cooler Held, noch coolere Kriminelle – alles in allem ein sympathischer, solider Roman, den es sich zu entdecken lohnt. Ken Bruen & Jason Starr |Slide| Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2007, 222 S., 6,99 US-$ John Lange |Grave Descend| Hard Case Crime (Dorchester Publ.) 2006, 203 S., 6,99 US-$ ■ Ebenso wiederentdecken sollten Krimileser den ersten Roman der Polit-ThrillerLegende Ross Thomas, der nun im Berliner Alexander-Verlag neu aufgelegt wurde. „Kälter als der Kalte Krieg“ stellt die Helden Mac McCorkle (ehemaliger GI) und Mike Padillo (Sprachgenie und CIA-Agent) vor, die in Bonn gemeinsam eine Bar namens Mac’s Place betreiben. Als Padillo wieder einmal in geheimer Mission abberufen wird, entdeckt Mac, dass der Geheimdienst seinen Freund opfern will – und reist selbst über die Mauer nach Ostberlin, um ihn zu retten. Und das ist nicht nur sehr clever, realistisch und spannend erzählt, sondern versetzt uns auch gekonnt in eine andere Zeit, die heute wie Fiktion erscheint. Mehr davon! Ross Thomas |Kälter als der Kalte Krieg| Übers. v. Wilm W. Elwenspoek. Alexander Verlag 2007, 265 S., EurD 12,90/ EurA 13,30/sFr 23,70 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTO: ANGELA HERGOVICH Wer glaubt heute noch an den Kalten Krieg? Oder an clevere Serienkiller? In Wahrheit sind wir doch von Perversen und verbrecherischen Idioten umgeben – und das wissen natürlich auch Krimiautoren. Peter Hiess hat’s selbst gelesen. 42-54 TB_SB 15.01.2008 15:42 Uhr Seite 43 TA S C H E N B U C H | M A R K T P L AT Z VIELFÄLTIG Mit einer Auswahl der besten Romane und Erzählungen von Honoré de Balzac unternahm der Diogenes Verlag erneut einen mutigen Versuch, das umfangreiche Werk eines der wichtigsten Literaten zugänglich zu machen. Begleitend dazu erscheinen als Taschenbuch auch zentrale Werke von und über Balzac neu oder in überarbeiteter Form. Etwa „Tolldreiste Geschichten“ mit allen Illustrationen von Gustave Doré oder ein umfangreicher Leseband „Leben und Werk“. Berühmte Kollegen wie Victor Hugo oder Théophile Gautier erzählen darin von ihren Begegnungen mit Balzac. August Strindberg, Bert Brecht oder Friedrich Dürrenmatt schildern ihre Leseerfahrungen. Aber auch die Gegner kommen zu Wort. Eine Lebenschronik, Bibliografie und ein Repertorium der zweihundert wichtigsten Romanfiguren der Menschlichen Komödie beschließen den Band. Von Léon Gozlan stammt ein intimer Werkstattbericht, der eine sehr persönliche Sicht auf Balzac zeigt. Kurzweilig und sehr amüsant zu lesen. Vielleicht die unkomplizierteste Einführung in dessen Werk und Leben überhaupt. Claudia Schmölders, Daniel Keel (Hg.) |Balzac. Leben und Werk| Diogenes 2007, 503 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 22,90 Léon Gozlan |Balzac intim| Übers. v. Ossip Kalenter. Diogenes 2007, 115 S., EurD 8,90/EurA 9,20/sFr 15,90 FOTOS: AUS „GONE BABY GONE“/ULLSTEIN HOMMAGE Von Joe Gores, der immerhin dreimal den Edgar oder korrekt den E A Poe Award, einen der wichtigsten Krimipreise erhalten hat, stammt eine feine Hommage auf den neben Raymond Chandler wohl innovativsten Krimiautor des letzten Jahrhunderts: Dashiell Hammett. Der Roman, lange vergriffen, der auch in einer eher verkorksten Verfilmung von Wim Wenders ins Kino kam, liegt nun in neuer Übersetzung wieder vor. Er spielt 1928 in San Francisco. Korrupte Politiker, Polizisten und Gangster haben sich die Stadt aufgeteilt und Hammett schreibt an seinen ersten Romanen, die später zu Klassikern des Genres werden sollen. Doch dann wird ein Freund von ihm ermordet, er muss sein Skript zur Seite legen und wieder ermitteln. Und das kann er mit der gleichen Entschlossenheit wie sein literarisches Pendant Sam Spade. Wie Hammett arbeitete auch Gores, bevor er Autor wurde, als Detektiv, und wie dieser versteht er es, eine glaubwürdige Atmosphäre zu entwickeln, die sich vor dem Vorbild nicht verstecken muss. Joe Gores |Hammett| Übers. v. Friedrich A. Hofschuster. Unionsverlag 2007, 318 S., EurD/A 9,90/sFr 17,90 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Ben Affleck am Set und das Detektivpärchen (Amy Madigan, Titus Welliver) beim Dreh UNTERNEHMUNGSLUSTIG Für Ausflüge oder auch größere Touren ist der literarische Führer von Wolfgang Straub gut zu gebrauchen. Wer überprüfen möchte, wie die realen Vorlagen für Romane und Erzählungen aussehen, kann sich etwa auf den Weg nach Türnitz in Niederösterreich machen und findet dort die Landschaft, die Franz Nabl prägte. Alle Orte sind nach Bundesländern eingeteilt und alphabetisch aufgelistet. Kurz wird beschrieben, wo österreichische Autoren wie Thomas Bernhard oder Georg Trakl wohnten oder urlaubten und sich Inspiration verschafften. Auch ausländische Autoren wie Ernest Hemingway, Ezra Pound, August Strindberg oder Mark Twain statteten Österreich Besuche ab. Trotz Informationsfülle zeigen sich verständlicherweise auch Lücken – denn alleine Wien als literarischen Schauplatz ausführlich beschreiben zu wollen, hätte den Umfang gesprengt. Wie auch immer, es sind zahlreiche Entdeckungen zu machen und man wird manchen Ort, etwa Rankweil, mit ganz anderen Augen sehen. Ein Verzeichnis von Museen, Literaturgedenkstätten und Archiven rundet den Band ab. Wolfgang Straub |Literarischer Führer Österreich| Insel 2007, 228 S., EurD 12,50/EurA 12,90/sFr 26,80 VERZWEIGT Parallel zum Filmstart (Regie führte Ben Affleck) erscheint der erfolgreiche Roman von Denis Lehane unter neuem Titel. Im Mittelpunkt stehen das Detektivpärchen Angela Gennaro und Patrick Kenzie, die beauftragt werden, ein vierjähriges Mädchen wieder zu finden, das aus der Wohnung verschwunden ist. Es kommt zu einer Geldübergabe, die schiefgeht – und nun wird der Fall erst recht verwickelt, die Ermittler werden von den Ereignissen bald überrollt. Dennis Lehane spielt in seinen Büchern gerne mit der Realität, unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen und Wahrheiten sowie der Vergangenheit. Das zeigte sich schon in den Romanen „Mystic River“ oder „Shutter Island“, und auch hier, in „Gone Baby Gone“, das sich mit dem albtraumhaften Thema von Entführung und Kindesmissbrauch beschäftigt. Obendrein versteht es Dennis Lehane zu packen, die Spannung gut zu dosieren, die Handlung voranzutreiben und gleichzeitig sehr pointiert und bildhaft zu erzählen. Dennis Lehane |Gone Baby Gone| Übers. v. Andrea Fischer. Ullstein 2007, 526 S., EurD 8/EurA 8,30/sFr 15 VERFÜHRERISCH ODER WEINERLICH Auch im jüngsten Band der Reihe Filmgenres, dieses Mal zum Thema Melodram und Liebesglück, ist man nicht vom generellen Konzept abgerückt und hat dadurch wieder einen höchst informativen und kurzweiligen Band geschaffen, der spannend zu lesen und höchst informativ ist. 77 Filme quer durch die Filmgeschichte, von „Way Down East“ aus dem Jahr 1920 bis zu „Brokeback Mountain“ aus 2005, werden als Beispiele herangezogen und ausführlich beschrieben. Nach einem kurzen Inhaltsabriss folgen die filmhistorische Einordnung und Querverweise auf soziale und kulturelle 43 42-54 TB_SB 15.01.2008 15:44 Uhr Seite 44 M A R K T P L AT Z | TA S C H E N B U C H Thomas Koebner, Jürgen Felix (Hg.) |Filmgenres: Melodram und Liebeskomödie| Reclam 2007, 435 S., EurD 9,80/EurA 10,10/sFr 18 BOULEVARD INTIM Die vier Ts, nämlich Titten, Tiere, Tränen, Tote, sind der Grundstoff für eine ordentliche Boulevardgeschichte, und so nennt auch Kerstin Dombrowski ihre Erinnerungen an ihre Zeit als Reporterin. Zuerst arbeitete sie für das Flaggschiff des Boulevards, die Bildzeitung. Damals war sie 22 Jahre alt und suchte einen Praktikumsplatz. Ein wenig skeptisch war sie schon, doch bald mit Feuereifer dabei, wenn sie sich in eine Sex-Sekte einschleichen sollte oder die Hinterbliebenen der Opfer eines Flugzeugabsturzes interviewte. Später wechselte sie zu RTL. Thematisch war das kein großer Unterschied. Zehn Jahre hielt sie durch, dann war ihr die Recherche über die „Sexlust im Sommer“ zu viel und sie kündigte. Heute studiert sie Psychologie und arbeitet als freie Journalistin. Es sind keine spektakulären Geschichten, die sie erzählt, doch vermittelt sie plausibel den Prozess, wie aus einer einfachen Alltagsbegebenheit mit den entsprechenden Zutaten etwas Spektakuläres wird. Wie sich Journalisten selbst unter Druck setzen und für eine Geschichte moralische Maßstäbe vergessen. So erfährt man im O-Ton, wie eine Geschichte gemacht wird. Vielleicht ist es für manchen abgründig, für die Journalisten ist es ihr Alltag. Kerstin Dombrowski |Titten Tiere Tränen Tote| rororo 2008, 207 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,80 KOLUMNEN EINS Einige Jahre lang hat das gewitzte Duo Ira Strübel und Kathrin Passig, das sich internetnomadisch mit diversen „Textdingen“ beschäftigt, eine Kolumne für die TAZ geschrieben. Thema: das Leben im 21. Jahrhundert. 2003 war damit Schluss, beileibe nicht, weil den beiden die Themen ausgegangen wären oder ihnen oder den LeserInnen langweilig geworden wäre. Aber es war einfach so, und da die kurzen Textstücke noch immer mit einigem Unterhaltungswert aufwarten können, haben sie sich entschlossen, eine Art „Best of“ herauszugeben. Hierbei lässt sich einerseits der Zahn der Zeit in der digitalen Welt erleben, andererseits auch feststellen, wie wenig sich mitunter seither getan hat. Die beiden schreiben unter anderem über die Körperwelten-Ausstellung, über die Erforschung der Emoticons oder eben über den Job einer Internetkolumnistin. Es sind launige Kommentare, nach deren Lektüre doch die Frage bleibt, warum die Kolumne eingestellt wurde. Denn über die modernen Menschen und ihr elektronisches Umfeld war selten Unterhaltsameres zu lesen. Ira Strübel, Kathrin Passig |Strübel & Passig| Verbrecher Verlag 2007, 135 S., EurD 12/EurA 12,40/sFr 22,30 GEZEICHNET Zum 100. Todestag von Wilhelm Busch erschienen eine Reihe von Biografien über den deutschen Humoristen und Zeichner oder wurden neu aufgelegt. Auch Michaela Diers hat in einem reich illustrierten Band sein Leben nachgezeichnet. Soweit es denn möglich war, denn Busch stand nicht sehr gerne in der Öffentlichkeit und liebte auch keine Inszenierungen. Vor den Feiern zu seinem 70. Geburtstag etwa – da war er schon landesweit bekannt – verzog er sich lieber aufs Land. Anhand von Briefen, Berichten von Zeitgenossen und den wenigen autobiografischen Texten verfolgt Diers das Leben Buschs, dessen Bildgeschichten bis heute viel Vergnügen bereiten. Er selbst hat diese eher als „Tand“ bezeichnet, mit wenig „künstlerischem Gehalt“ im Vergleich zu Malerei und Dichtung. Diers diskutiert auch seine politische Haltung und seine Stellung zum Antisemitismus und zeigt facettenreich das vielschichtige Bild des außergewöhnlichen Künstlers. Sein bekanntestes Werk, „Max und Moritz“, wurde bislang in 70 verschiedene Mundarten übersetzt. Welche Arbeit die diversen ÜbersetzerInnen zu bewältigen hatten, lässt sich an dem Auswahlband „Max und Moritz mundartgerecht“ ersehen, der jetzt erschienen ist. Zehn Versionen sind angeführt, vom Hamburger Platt bis zum Wienerischen. Auf Münchnerisch hören sich die ersten Zeilen so an: „Mei, wos hört und liest ma heit / Net von Saubuam ois, es Leit! / A Bagasch wia de zwoa do, / Max und Moritz, schaugts as o.“ Und auf Wienerisch klingt es so: „So vü liest ma von verlognan / Gschroppn, von total verzognan! / Wia zum Beispü do de Buam: / Max und Moritz, diese Ruam.“ Einfach köstlich! Michaela Diers |Wilhelm Busch – Leben und Werk| dtv 2008, 195 S., EurD 14,50/EurA 15/sFr 25,20 Manfred Görlach (Hg.) |Max und Moritz mundartgerecht| dtv 2007, 191 S., EurD 8/EurA 8,30/sFr 14,30 BIOLOGISCH Ein Jubiläum mit Nachhall: Zum 100. Todestag von Wilhelm Busch erscheinen zahlreiche Biografien, und natürlich wird sein berühmtestes Buch auch wieder aufgelegt. Manche Leute erleben mehr auf dem Weg zu ihrem Briefkasten als andere auf einer Expedition. Jürgen Brater ist so ein Typ, der mit seinem Hund jeden Tag einen Spaziergang macht und diesen Weg als Aufhänger für sein Biologiebuch nimmt. Von Januar bis Dezember erzählt er locker über ZelBUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 ILL: AUS „WILHELM BUSCH – LEBEN UND WERK“/DTV Eigenheiten der jeweiligen Zeit. Dadurch werden die einzelnen Beiträge ineinander verzahnt, die Entwicklung der Genres lässt sich gut mitverfolgen, obwohl eben bewusst nur von einer Auswahl ausgegangen wird, die sich zudem auf europäische und angloamerikanische Filme konzentriert. Interessant wäre darüber hinaus etwa eine Konfrontation mit dem asiatischen Kino und dessen Umgang mit dem Genre. Doch auch so bietet diese materialreiche und vor allem – das kann gar nicht oft genug betont werden – lesbare Reihe hinreichend Material. 42-54 TB_SB 15.01.2008 15:58 Uhr Seite 45 TA S C H E N B U C H | M A R K T P L AT Z len, Fotosynthese, Moleküle oder Immunreaktionen. Seine Ausführungen entsprechen in etwa einem Volkshochschulkurs, kommen ohne Formeln, allerdings auch weitgehend ohne Bilder aus. Er nimmt Alltagsvorgänge als Anlass, um wissenschaftliche Zusammenhänge zu erklären oder ein wenig etwas über das Leben und die Arbeit der wichtigsten Vertreter des Faches zu erzählen. So weit, so kurzweilig. Bei manchen Fragen wäre aber etwas größere Informationsdichte oder Vertiefung nicht schlecht gewesen, etwa beim Thema Gentechnologie. Hier kommt es vor allem zum Appell, die Diskussion nicht so emotional zu führen und nicht gleich alles aus dieser Ecke unreflektiert zu verteufeln. Jürgen Brater |Wie mein Hund die Biologie entdeckte| S. Fischer 2008, 360 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,80 HANDLICH Da gehen der Chemiker Gregor Bornes und Max Anna, der Co-Autor von „We feed the World“, schon etwas anders mit dem Thema Gentechnologie um. Das erste Drittel ihres Buchs bietet einen Überblick über die Anwendungsgebiete der Gentechnologie und erzählt, wie die genetischen Codes entschlüsselt und mit dem Klonen begonnen wurde. Dann wird die Arbeit in den Labors der Genfirmen oder Saatgutproduzenten beschrieben. In knapper Form wird historisches, ökonomisches und kulturelles Wissen gesammelt, um in die aktuelle Debatte einsteigen zu können. Den Großteil des Buches nehmen Kurzkapitel zu einzelnen Lebensmitteln oder Produkten ein, von Bier über Kartoffeln bis Tomaten und Schokolade, bei denen die unterschiedlichen Herstellungsmethoden beschrieben werden, ferner die jeweiligen Möglichkeiten der Gentechnologie und wie sie derzeit zum Einsatz kommen. Die Berichte sind informativ und wohltuend unaufgeregt. Man bekommt genug Material in die Hand, um sich eine Meinung – etwa auch über die Kennzeichnungspflicht – zu bilden und diese argumentieren zu können. Max Anna, Gregor Bornes |Das GenBuch Lebensmittel| Orange Press 2007, 190 S., EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 18,90 ILL: AUS „STIMMT’S? FOLGE 5“/RORORO EXPERIMENTELL Kennen Sie den freundlichen Herrn, der seit vielen Jahren im Fernsehen populärwissenschaftliche Sendungen (von der „Knoffhoff-Show“ bis „Abenteuer Forschung“) moderiert und dabei vor Aufregung kaum an sich halten kann? Er heißt Joachim Bublath und bringt seine Erkenntnisse auch in Buchform heraus, weil: „Naturwissenschaft BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 kann sehr einfach und sehr aufregend sein“. Genau. In diesem Sinne veröffentlicht dtv auch Bublaths Bücher „Chaos im Universum“, „Geheimnisse unseres Universums“ und „Die neue Welt der Gene“, ursprünglich zwischen 1999 und 2003 erschienen, in überarbeiteten und aktualisierten Neuausgaben. Darin erfahren wir einiges über unser Sonnensystem, über mögliches Leben auf fremden Planeten, Zeitreisen, Urknall- und andere Theorien, Weltformeln sowie die Versprechungen und Gefahren der Gentechnik. Das alles ist so aufbereitet, dass es auch für Laien verständlich ist – und macht tatsächlich Lust auf Weiterbildung. Oder auf noch mehr Bublath im TV … Joachim Bublath |Chaos im Universum/Geheimnisse unseres Universums/Die neue Welt der Gene| dtv 2007, 212/244/239 S., je EurD 10/EurA 10,30/sFr 17,60 Stimmt’s?... Alltagsmythen im Test KOLUMNEN ZWEI Wenn wir wieder einmal wissen wollen, was es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt, dann greifen wir zu Armin Risi. Der verspricht uns, in seinem zur Gänze überarbeiteten Werk „Machtwechsel auf der Erde“ alles über „Die Pläne der Mächtigen, globale Entscheidungen und die Wendezeit“ zu verraten. Genauso bunt liest sich auch der Inhalt des Buches – da geht es von aktuellen Verschwörungstheorien über UFOs, den Bibel-Code 666 und mysteriöse Technologien bis hin zu den üblichen Geheimkulten. Und dahinter steht der große Kampf Gut gegen Böse, der zwischen übernatürlichen Licht- und Dunkelwesen seit Anbeginn der Zeit geführt und auch auf unserem Planeten ausgetragen wird, ob wir das nun wahrhaben wollen oder nicht. Sagt zumindest Risi. Und er belegt seine Thesen auch ganz gut, schreibt eingängig und fasst den aktuellen Stand der VerschwörungsNew-Age-Ecke schön zusammen. Nur durch die langen Passagen mit dem „multidimensionalen“ Kosmos muss man sich mit Geduld durchackern. Ebenfalls auf einer Kolumne, dieses Mal in der „Zeit“, beruhen die modernen Legenden von Christoph Drösser. Schon der fünfte Band ist nun erschienen, wieder mit Illustrationen von Rattelschneck versehen. Über Material verfügt er ausreichend, denn schon seit zehn Jahren schreibt er an der Kolumne und hat mittlerweile über 500 Fragen beantwortet. Eine ganze Menge an Alltagsmythen wird auch dieses Mal wieder auf ihren Wahrheitsgehalt hin abgeklopft, etwa ob Lachs früher wirklich eine typische Speise für Dienstboten war, weil es soviel davon gab. Ob Frauen Farben besser unterscheiden können als Männer, Hunde keine Hühnerknochen fressen sollten oder Blitzlichtaufnahmen im Museum den Gemälden schaden. Es sind einfache Fragen, die aber immer wieder Diskussionen provozieren und die man einfach gerne geklärt haben will – und das ist der Grund für die Beliebtheit dieser Kolumne. Und nun ganz kurz: Wildlachs war schon immer teuer; durch ein spezielles Gen ist das Farbspektrum von Frauen reicher; Hunde essen auch in der Wildnis Hühner, nur gegrillt sollten sie nicht sein; und das Fotografieren von Gemälden ist eher ein Problem des Urheberrechts. Aber es gibt noch mehr zu wissen, etwa ob Kokosmilch Blutplasma ersetzen kann. Wissen Sie es? Armin Risi |Machtwechsel auf der Erde| Heyne TB 2007, 599 S., EurD 11,95/EurA 12,30/sFr 21,40 Christoph Drösser |Stimmt’s? Folge 5| rororo 2007, 188 S., EurD 8,95/EurA 9,20/sFr 16,80 VERSCHWÖRERISCH 45 46-47 bildbände 15.01.2008 16:28 Uhr Seite 46 M A R K T P L AT Z | B I L D B Ä N D E Der Sohn von Gena Tschokaley fiel im unbekannten Krieg 1992 Anna Michajlowa, hat einen sicheren Job in der Schuhfabrik In Tiraspol eine Größe: derSchauspieler und Musiker Artjom Zwei ungewöhnliche Fotobände zeigen Bilder von Menschen in Grenzregionen. VON LORENZ BRAUN eit sechs Jahren erkunden die beiden Fotografen und Autoren Marcel Nimführ und Kramar ein merkwürdiges Land, die PMR. In der Langfassung heißt das Pridnestrowskaja Moldawskaja Respublika und wir kennen es vielleicht als Transnistrien. Es liegt zwischen der Ukraine, Moldawien und Rumänien. Über 600.000 Menschen leben dort, doch der Staat wird nicht anerkannt. Wenn die Bewohner von PMR vom Krieg sprechen, meinen sie den von 1992, aber auch den kennen wir eigentlich nicht, denn in unseren Medien tauchte er kaum auf. Nimführ und Kramar, die das Leben hinter der Medienwirklichkeit erfahren wollten, haben auf ihren Reisen Andrey Smolensky kennen gelernt, und dieser ermöglichte ihnen sowohl den Kontakt als auch den richtigen Zugang zu den Transnistriern. Sie erzählen im Buch nämlich selbst, sprechen – wenn auch manchmals etwas gehemmt – zu den LeserInnen. Die zahlreichen Bilder, Porträts, Szenerien – Menschen beim Kochen, vor einem Denkmal oder bei der Arbeit – vermitteln ein sehr direktes und nahes Bild. Aus S 46 dem „Operettenstaat“ werden Menschen mit ihren Vorstellungen, Wünschen und Träumen lebendig, die man nicht sofort wieder vergisst. Das Buch wurde übrigens mit dem deutschen Fotobuchpreis 2008 ausgezeichnet. Geht es bei Radio PMR um ein Land, das um seine Identität und Grenze ringt, dreht es sich bei „Die da drüben“ von Dagmar Schwelle um ehemalige Grenzstädte, die heute in der EU zwar keine mehr sind, doch die Grenze gibt es noch immer: in den Köpfen der Menschen. Dagmar Schwelle, die früher als Journalistin arbeitete und dann zur Fotografie wechselte, hat sich vier Städte ausgesucht: Narva bzw. Iwangorod zwischen Estland und Russland, Guben bzw. Gubin in Polen und Deutschland, Valka bzw. Valga in Lettland und Estland sowie Ceské Velenice bzw. Gmünd in Tschechien und Österreich. Alle vier Orte haben gemeinsam, dass die Grenze mitten durchs Ortsgebiet führt. Aus Menschen, die gemeinsam lebten, aus Nachbarn wurden Feinde, weil es einem politischen Kalkül entsprach, weil es einfach so bestimmt worden war. So konnten sich ungehemmt Vorurteile entwickeln und die gemeinsame Vergangenheit wurde langsam aber sicher vergessen. Zwischen Narva und Iwangorod gibt es heute eine EU-Außengrenze. Je nachdem, wer vor 1991 am rechten oder linken Ufer seinen Wohnsitz nahm, ist heute EU-Bürger oder eben nicht. Mit kurzen Kommentaren stellt Schwelle die Fotos aus der einen und BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTOS: AUS „HIER SPRICHT RADIO PMR“/VERLAG FÜR BILDSCHÖNE BÜCHER Leben an der Peripherie 46-47 bildbände 17.01.2008 15:51 Uhr Seite 47 B I L D B Ä N D E | M A R K T P L AT Z HARRY WEBER: DAS WIEN-PROJEKT FOTOS: AUS „DIE DA DRÜBEN“/OTTO MÜLLER (2), MUSEUM AUF ABRUF (2) Die Geschichte beginnt im Stadtmuseum von Gubin erst mit Kriegsende 1945 Der Deutsche Wilfried Domann lebt im polnischen Gubin, doch Polnisch spricht er bis heute nicht der anderen Stadthälfte auf einer Doppelseite gegenüber. Dadurch wird das Trennende, aber auch das Verbindende umso offensichtlicher. Sie fotografierte nicht nur in jeweils beiden Ortshälften, sondern befragte auch immer einen jungen und einen älteren Menschen über die Nachbarn jenseits der ehemaligen und gegenwärtigen Grenze, über ihr eigenes Leben und ihre Vorstellungen. Das richtige Buch zur Schengen-Erweiterung. Der Fotograf Harry Weber, 1921 in Wien geboren, bekam 2003 von der Kulturabteilung der Stadt Wien den Auftrag, ein neues Bild der Stadt zu erarbeiten. Weber sollte 2005 ein Jahr lang Wien in allen Facetten festhalten. Für dieses Projekt entschloss sich Weber, erstmals digital zu fotografieren. So entstanden 30.000 Aufnahmen. Aus dieser Unmenge haben die Herausgeber des Buchs eine überschaubare Auswahl getroffen. Das Ergebnis ist ebenso vielfältig wie beeindruckend. Man kann behaupten, Weber inszenierte den Zufall. Das Foto hält jenen Augenblick fest, der durch den Standpunkt des Fotografen determiniert wird, und in dem Moment seine Vergänglichkeit verliert, sobald der Auslöser ihn von anderen heraushebt. Weber ging es nicht darum, Porträts von Menschen oder Gebäuden festzuhalten, sondern Atmosphäre und Charaktere einzufangen. Wie bereits Henri Cartier-Bresson wählte er ungewöhnliche Blickwinkel, gerne von hinten, von der Seite oder von oben. Besonders liebte er es, mit Brechungen und Spiegelungen zu spielen, mit dem Bild im Bild. Und viele seiner Bilder erzählen Geschichten. Viele Jahre war Weber Chef-Fotograf des Österreich-Stern sowie Mitarbeiter zahlreicher Magazine. Bei diesem Projekt konnte er seine Kreativität voll zur Geltung bringen, musste keinerlei Rücksicht nehmen auf journalistische Gegebenheiten oder illustrative Vorgaben. Die Fertigstellung des vorliegenden Buchs hat er leider nicht mehr erlebt. Am 10. April 2007 verstarb Harry Weber, der in der Emigration die Nazi-Herrschaft überlebt hatte. Ein autobiografischer Text ergänzt das Buch über den Menschen und Fotografen Harry Weber. MANFRED CHOBOT Fazit: Wien-Bilder und ein außergewöhnliches Fotobuch eines zu Unrecht unterschätzten Fotografen. ■ Die Ausstellung „Harry Weber: Das Wien-Projekt“ ist noch bis zum 16.2.2008 im Museum auf Abruf in Wien zu sehen. Info: www.musa.at Berthold Ecker, Timm Starl (Hg.) |Harry Weber: Das Wien-Projekt| Fotohof Edition 2007, 400 S., EurD/A 33/sFr 56 Marcel Nimführ, Kramar, Andrey Smolensky |Hier spricht Radio PMR – Nachrichten aus Transnistrien| Verlag für Bildschöne Bücher 2007, 240 S., EurD 35/EurA 36/sFr 58 Dagmar Schwelle |Die da drüben| Otto Müller 2007, 136 S., EurD/A 36/sFr 62,10 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 47 42-54 TB_SB 17.01.2008 15:57 Uhr Seite 48 M A R K T P L AT Z | S A C H B U C H Die Klima-Misere Je ärgere Kapriolen das Wetter schlägt, desto mehr erholt sich der Sachbuchmarkt. Einschlägige Literatur über die Klimakatastrophe erscheint im Wochentakt – und orientiert sich zum überwiegenden Teil an der Panikmache der Massenmedien. VON PETER HIESS Es geht zu Ende. Vor ein paar Monaten prophezeite eine amerikanische Studie, dass uns (oder wenigstens denen von uns, die so lange durchhalten) die heißesten Tage des vergangenen Sommers in 40 Jahren wie laue Frühlingsabende vorkommen werden. In den Mittelmeerländern wird es dann zwischen April und Oktober mit Temperaturen von mehr als 50 Grad unerträglich sein. Gleißende Todeshitze wird sich mit Unwetterkatastrophen, Sturmfluten und Tornados abwechseln, Ernten werden vernichtet, Landstriche leergefegt, Küsten überflutet. Die Diskussion über die (vom Menschen verursachte?) Klimaerwärmung und ihre Folgen ist längst staatstragend geworden. Bundeskanzler und EU-Kommissare konferieren bei eingeschalteten Klimaanlagen; Umweltexperten fliegen um viel Geld (und mit vielen Kerosinabgasen) durch die Welt, um ihren Standpunkt bei internationalen Konferenzen zu erläutern; Großkonzerne werben mit 48 dem Oko-Schmäh – und die Amis unter Bush junior pfeifen dem Rest der so genannten Staatengemeinschaft was, weil Gott und der Kapitalismus sie schon retten werden. Wer früher links und engagiert war, setzt sich jetzt für eine nachhaltige Wirtschaft ein. Wer heute fortschrittlich ist, will zurück zur Natur. Und als aufgeklärt gelten nur jene (selbst ernannten oder amtlich gut bezahlten) Experten, die – spät, aber doch – dafür plädieren, dass ganz schnell alles anders werden muss, bevor es endgültig zu spät ist. Wenn sich in Sachen Apokalypse alle so unheimlich einig sind, kann das zwei Ursachen haben: Entweder der Weltuntergang steht wirklich vor der Tür – oder wir alle sitzen einem Riesenschwindel auf, der uns dazu bringen soll, den Gürtel enger zu schnallen, den Müll zu trennen und auf Fernreisen zu verzichten, während andere an der künstlichen Panik verdienen. Vielleicht bilden wir uns die große Hitze ja auch nur ein … Die steigende Anzahl der ZeigefingerBücher, -Fernsehsendungen und -Dokumentarfilme weist jedenfalls darauf hin, dass die bevorstehende Umweltkatastrophe zumindest für die Medienkonzerne höchst einträglich ist. Auch der Münchner Zoologieprofessor Joseph H. Reichholf scheint sich verkaufsträchtige Sorgen zu machen – darauf deutet wenigstens der Titel seines Sachbuchs hin: „Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“. Aber keine Angst, Reichholf meint gar nicht, dass nach diesem Jahrtausend keines mehr kommt (da ist er nur einer beliebten sprachlichen Unschärfe aufgesessen), sondern vielmehr, dass wir bei aller Besorgnis aus dem vergangenen Jahrtausend lernen sollen. Das, was wir derzeit als „Klimakatastrophe“ bezeichnen, hat sich in der Erd- und auch der Menschheitsgeschichte schon mehrmals und viel schlimmer abgespielt – und zwar ganz ohne FCKW und durch die Industriegesellschaft erzeugten CO2-Ausstoß. Das Weltklima verändert sich eben immer wieder; und die Erwärmungs- und Abkühlungsphasen (man denke nur an die „kleine Eiszeit“ vom 14. bis zum 18. Jahrhundert) führen zu Völkerwanderungen und Seuchen, aber auch blühenden Kulturen mit fruchtbaren Anbauflächen. Das seit den 90er-Jahren stattfindende Ansteigen der Durchschnittstemperatur könnte – egal, was die politisch korrekten Instanzen behaupten – auch eine Rückkehr zu einer BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTOS: ARCHIV Die Suche nach den wahren Ursachen der Klimaveränderungen ist unvermindert in Gang 42-54 TB_SB 17.01.2008 16:03 Uhr Seite 49 S A C H B U C H | M A R K T P L AT Z Warmzeit (wie im Hochmittelalter) oder ein statistischer Ausrutscher sein. Damit will der Autor die aktuelle Lage keineswegs verharmlosen, sondern nur ein Korrektiv zur herrschenden Panikstimmung mit ihren beinahe religiösen Untertönen liefern. Weil man aus der Geschichte immer lernen kann und soll … Der britische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce weist in seinem Buch „Wenn die Flüsse versiegen“ auf eine Gefahr hin, die mindestens genauso bedrohlich ist wie der Klimawandel: den zunehmenden Trinkwassermangel auf unserem Planeten. Ganz abgesehen von dem Wasser, das wir täglich beim Trinken, Baden, Zähneputzen und Kochen verbrauchen, nimmt jeder von uns „virtuelles Wasser“ in Anspruch – also die Wassermenge, die für die Herstellung von Nahrungsmitteln und anderen Produkten verbraucht wird. So werden für ein Kilo Reis 5000 Liter, für ein T-Shirt fast 8500 Liter und für ein Kilo Kaffee ganze 20.000 Liter Wasser benötigt. Kein Wunder also, dass Wasser zum knappen Gut wird, von dem sich die üblichen Verdächtigen in den Konzernen riesige Gewinne versprechen (wenn sie es mithilfe der Politik schaffen sollten, das blaue Gold privatisieren zu lassen). Pearce zeigt in den hervorragend recherchierten Kapiteln seines Buches sehr anschaulich, dass nicht nur die steigende Bevölkerungszahl am Wassermangel schuld ist, sondern auch unser Umgang mit Flüssen und unterirdischen Wasserreservoirs, der nur als unsinnige Verschwendung bezeichnet werden kann. Anhand zahlreicher Beispiele (Indus, Rio Grande etc.) wird offensichtlich, dass eine „blaue Revolution“ dringend nötig ist, wenn wir für unser Wasser nicht bald hohe Preise zahlen wollen. Pearces Nachfolgeband „Das Wetter von morgen“ trägt nicht umsonst den Untertitel „Wenn das Klima zur Bedrohung wird“. Hier stößt er in dasselbe Horn wie all die Warner aus Politik und den Medien: Hitzewellen und Hurrikans sind nur Vorwarnungen für das, was uns allen bevorsteht, wenn wir nicht bald etwas an unserer Lebensweise ändern. Der Autor berichtet aus eigener Anschauung über die Trockenheit an den Polen, das Auftauen der Permafrostböden in Sibirien, das Abschmelzen der Antarktis und ähnliche Anzeichen der Klimakrise. Und er warnt davor, dass das Klimasystem sich erfahrungsgemäß nicht graduell verändert, sondern in kürzester Zeit „umkippen“ kann, wie es das im Lauf der Erdgeschichte schon oft getan hat. Wir müssen also umdenken – aber versuchen Sie einmal, das den geldBUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 gierigen Firmenbossen und Politikern zu sagen … Die wahren Schuldigen an dem Drama mit dem Klima neigen nämlich dazu, die Verantwortung dem Einzelnen zuzuschieben, der dann ein schlechtes Gewissen hat, wenn er beim Zähneputzen das Wasser rinnen lässt oder mit dem Auto am Wochenende die Oma besuchen fährt (während die KonzernGangster aus Globalisierungs- und Kostengründen ganze Landstriche vernichten und sinnlose Warentransporte quer über die Kontinente durchführen). Ins selbe Horn stößt scheinbar auch die Fischer-Taschenbuchreihe „Forum für Verantwortung“, die ihrer Leserschaft bange Fragen stellt: Nutzen wir die Erde richtig? Oder: Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren? Und: Was verträgt unsere Erde noch? Oder auch: Bringen wir das Klima aus dem Takt? O ja, danke. Panik! Wir sind schuld. Nicht die da oben, nicht die Spekulanten, Betriebswirte und Einsparer, sondern wir einzelnen braven Niedriglohnempfänger, die plötzlich einen ökologischen Rucksack herumschleppen und auf all ihren Wegen ökologische Fußabdrücke hinterlassen. Wir müssen „dematerialisieren“, uns der Verantwortung gegenüber der Dritten Welt bewusst sein, uns von der Diktatur in Washington oder der in Brüssel eventuell doch die Gentechnik vorschreiben lassen, naturgemäß nachhaltig leben und uns bitte ans Kioto-Protokoll halten. So wissenschaftlich haltbar die vorliegenden Bände auch sein mögen, so sehr dienen sie doch den Interessen der Klima-Gutmenschen, die uns plötzlich alle zu „Hütern unserer Welt“, am besten gleich „für unsere Kinder“ machen wollen. Und zwischendurch dürfen wir bange auf die nächste Teuerungs- oder Entlassungswelle warten. Weil: Wir sind ja eh selber schuld. DIE BÜCHER Josef H. Reichholf |Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends| S. Fischer 2007, 336 S., EurD 19,90/EurA 20,50/ sFr 35,40 Fred Pearce |Wenn die Flüsse versiegen| Übers. v. Gabriele Gockel u. Barbara Steckhan. Antje Kunstmann 2007, 400 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 41,70 Fred Pearce |Das Wetter von morgen| Übers. v. Gabriele Gockel u. Barbara Steckhan. Antje Kunstmann 2007, 336 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 34,90 Friedrich Schmidt-Bleek |Nutzen wir die Erde richtig?| Fischer TB 2007, 256 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 17,90 Klaus Hahlbrock |Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren?| Fischer TB 2007, 318 S., EurD 9,95/EurA 10,30/ sFr 17,90 Jill Jäger |Was verträgt unsere Erde noch?| Fischer TB 2007, 232 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 18,60 Mojib Latif |Bringen wir das Klima aus dem Takt?| Fischer TB 2007, 255 S., EurD 9,95/EurA 10,30/sFr 18,60 Die Polkappen schmelzen – was dann? KURZTIPPS 1 Und noch einmal ein Aufruf an „uns alle“, gefälligst die Welt zu retten. Die Autoren bringen Klima-Katastrophennachrichten aus aller Welt, verlassen sich auf das Vereinte Europa und sagen uns dann, wie wir PC-konform das Ruder herumreißen können: Stoßlüften im Winter, Laptop statt Desktop und keine Klimaanlagen! Der Hitzschlag wartet schon. Rudi Anschober, Petra Ramsauer |Die Klimarevolution| Deuticke 2007, 222 S., EurD 17,90/EurA 18,40/sFr 32,50 2 Übrigens: Die Wälder töten „wir“ auch – behauptet zumindest die französische Autorin Emmanuelle Grundmann. (Sie erinnern sich sicher noch daran, wie Sie das letzte Mal einen Forst eigenhändig abgeholzt haben …) In Wahrheit geht es aber um die Machenschaften der üblichen Verdächtigen – in Asien, Brasilien und Afrika. Emanuelle Grundmann |Wälder, die wir töten| Übers. v. Elisabeth Liebl. Riemann 2007, 319 S., EurD 18/EurA 18,50/sFr 31,90 3 Ein deutscher Geschichtsprofessor geht das Thema in seiner exzellenten „Kulturgeschichte des Klimas“ schon wesentlich vernünftiger an. Hier erfahren wir, wie das Klima den Menschen beeinflusst und umgekehrt. Unstet war es jedenfalls immer schon, und die Menschheit konnte und musste sich stets irgendwie anpassen. Wolfgang Behringer |Kulturgeschichte des Klimas| C. H. Beck 2007, 352 S., EurD 22,90/EurA 23,60/sFr 40,10 4 Der Ökoaktivist George Monbiot verrät uns zu guter Letzt in seinem Buch „Hitze“, „wie wir verhindern, dass sich die Erde weiter aufheizt und unbewohnbar wird“. Sein durchaus durchdachtes Rezept: eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um 90 Prozent bis zum Jahre 2030. Und wenn wir dann herausfinden, dass CO2 gar nicht an der Misere schuld ist …? George Monbiot |Hitze| Übers. v. Gisela Kretzschmar. Riemann 2007, 416 S., EurD 19/EurA 19,60/sFr 33,90 49 42-54 TB_SB 15.01.2008 16:14 Uhr Seite 50 M A R K T P L AT Z | S A C H B U C H HAHNENKAMPFPLATZ FÜR APOSTEL S P E Z I A LT I P P Die Udo-Keller-Stiftung, die an die Bedeutung des geistigen und religiösen Erbes der Weltkulturen erinnern möchte, engagiert sich aus diesem Grunde auch im neu gegründeten Verlag der Weltreligionen. Damit wird die Tradition der religionsgeschichtlichen Publikationen in den Verlagen Suhrkamp und Insel, im Jüdischen Verlag und im Deutschen Klassiker Verlag fortgesetzt. Im Mittelpunkt des Programms – so schreibt Ulla Unseld-Berkéwicz – stehen die Editionen der Schriften des Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und Daoismus, des Judentums, Christentums und des Islams. Aber, man scheut dort auch nicht zurück, Kritikern eine Stimme zu geben. Und so erscheint in diesem Verlag auch der große Essay von Peter Sloterdijk „Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen.“ Der macht das ungemein schlau, wie er einen mit dem Wort von den „Sonntagen des Lebens“ behaglich in die Geschichte hineinzuziehen scheint, um dann aber gleich auf der zweiten Seite mit einem DerridaZitat zu erschrecken: „Der Krieg um die Aneignung von Jerusalem ist heute der Weltkrieg.“ Dieses Zitat entkräftet Sloterdijk dann im Zuge seiner Ausführungen, bleibt aber von sich aus weiter provokant, wenn er den Gegenstand seiner Überlegungen, also die drei monotheistischen Religionen, als „Radioaktives Material, als manisch-aktivistische oder messianisch-expansionistische Masse“ bezeichnet. Überhaupt ist man geneigt, bei den Betrachtungen des wortgewaltigen Philosophen an ein Zitat aus Goethes „Faust“ zu denken: „Von allen Geistern, die verneinen, ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.“ Sloterdijk warnt aber vor seinen Provokationen, nimmt für sich eine Art Blasphemie-Klausel in Anspruch und lässt den Leser, die Leserin entscheiden, die Lektüre fortsetzen zu wollen. Er beginnt sein Buch damit, die Konfliktparteien – also Judentum, Christentum und Islam – zu präsentieren. (Ob das Judentum damit zufrieden sein kann, Abrahams Gottes-Überhöhung aus dem Joseph-Roman von Thomas Mann vorgesetzt zu bekommen – so wie Sloterdijk das macht –, darf allerdings bezweifelt werden.) Der setzt dann fort, die Fronten aufzuzeigen, wobei er vom Johannes-Evangelium bis zum jüdischen Anti-Judaismus auf 12 bis SCHEITERN IM EIS – ERFOLG IM UNTERNEHMEN Wissen Sie, wer Ernest Shackleton war? Nichtwissen macht auch nichts. Sein Name ist in der Galerie historischer Helden ein wenig zugehängt: von Roald Amundsen und Robert Falcon Scott zum Beispiel. Denen gelang, woran Shackleton scheiterte: die Eroberung des Südpols. Im Jahr 1914 misslang auch die nächste Expedition des Polarforschers gründlich. Sein Ziel, die Antarktis zu durchqueren, musste er aufgeben, bevor er den weißen Kontinent überhaupt erreichte. Sein Schiff, die Endurance, wurde im Packeis zerquetscht. Die Mannschaft fand sich auf einer treibenden Eisscholle wieder – lebend, aber chancenlos. Die Schrecken des Eismeeres sind die erste Welt, die Baumgartner und Hornbostel in ihrem Buch über Führungskunst betreten: „Manager müssen Mut machen“. Und dafür ist Shackletons Endurance-Expedition ein gutes Beispiel. Fast zwei Jahre lang musste er seine Truppe bei Laune halten, um sie ohne Schiff und fast ohne Ausrüstung nach Hause zu bringen. Wider aller Wahrscheinlichkeit erreichte er sein verzweifeltes Ziel Zwei: alle kehrten lebend heim. Wie er das anstellte, versuchen die Autoren zu analysieren und auf die zweite Welt ihres Buches zu übertragen: den Kosmos zwischen Unternehmensphilosophie und MitarbeiterInnen-Motivation. Vorbildwirkung, Wertschätzung, Mitgefühl – die Elemente von Shackletons Führungsstil lassen sich auf heutige Unternehmens-Aufgaben umlegen. Auch rund um den Boss vergleichen die Autoren, was das Zeug hält: Schlittenhunderennen auf ewigem Eis mit Fitness-Einrichtungen in Großbetrieben etwa; oder Skorbut-Prävention mit gesundem Essen in der Mittagspause. 50 18 Möglichkeiten solcher Frontenbildungen kommt und beschreibt die Feldzüge, die die Monotheismen gegeneinander führ(t)en, hat aber unter dem Titel „Pharmaka“ auch weise Ratschläge bereit, wo er meint, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern auch Grau, nicht nur Entweder-Oder sondern SowohlAlsauch. Außerdem setzt er auf den Humor. In einem ausführlichen Abschnitt weist er auf die Schwierigkeiten beim Verständnis der Ringparabel hin. Zwei Voraussetzungen führt er schließlich an, die zu einem Trialog führen könnten: sich auf eine gemeinsame Außenpolitik gegen die Nichtmonotheisten zu einigen und den Universalismus abzulegen. Im Schlusswort spricht er dann von der Globalisierung, der Zivilisation und bleibt damit – eigentlich enttäuschend – voll und ganz im Diesseits. KONRAD HOLZER Fazit: Eine blendend geschriebene Provokation, der man sich als gläubiger Mensch aussetzen sollte. Peter Sloterdijk |Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen| Verlag der Weltreligionen 2007, 218 S., EurD 17,80/EurA 18,30/sFr 31 Gewagte Vergleiche zwischen Eismeer und Wirtschaftswelt – das ergibt einen bemerkenswert bunten Cocktail. Das Erstaunlichste an dieser Mischung ist: sie funktioniert. Neuausrichtung heißt das Generalthema im Business-Teil des Buchs. Unternehmens-Analyse, Kernkompetenzen, Prozessverlauf-Optimierungen – das sind Begriffe, bei denen es trocken zu werden droht. Doch nicht, wenn man auf die Erfahrungen einer Antarktis-Expedition zurückgreifen kann! Von den sehr konkreten Erfahrungen der Männer im Eis geht es zum geistigen Überbau der Führungskunst-Überlegungen. Die erfolgreiche Umsetzung einiger Prinzipien klingt verblüffend einfach und wird dadurch spannend – auch wenn man weder Polarforscher noch Manager ist. Das Grundgerüst überrascht, aber es hält: die Handlungsstränge sind gewagt gedrechselt, aber gekonnt miteinander verbunden. Das darüber gespannte Sprachgeflecht lässt manchmal an Feinheit zu wünschen übrig. Stellenweise wird man das Gefühl nicht los, die Autoren schrieben in Wahrheit lieber Abenteuer-Romane als Management-Ratgeber. Immerhin lässt sich das Buch auch stilistisch mit Shackletons Expedition vergleichen: manchmal am Rande des Abgrunds wandelnd, stürzt es doch nie ab. Erst 75 Jahre später, 1989, überquerten Arved Fuchs und Reinhold Messner die Antarktis samt Pol per Pedes. Messner spendet den Autoren Baumgartner und Hornbostel auch ein kurzes, aber stilsicheres Vorwort. ANDREAS KREMLA Fazit: Das mehrschichtige Werk pendelt zwischen Polar- und Businesswelt und ist nicht nur für Manager spannend. Peter P. Baumgartner, Rainer Hornbostel |Manager müssen Mut machen – Mythos Shackleton| Böhlau 2007, 251 S., EurD 29,90/EurA 30,73/sFr 52,20 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 42-54 TB_SB 15.01.2008 16:15 Uhr Seite 51 DIE GUTE GELEGENHEIT Der „Versuch zur Güte“, wie der Kritiker und Philosoph Franz Schuh seinen Essay nennt, kreist um Moral und Qualitätsbewusstsein. Herausgekommen ist dabei nichts weniger als eine Analyse der (all-)gemeinen Güte als Herrschaftsinstrument. Schuh wäre aber nicht der mit allen Wassern gewaschene Dialektiker, würde er das Kind mit dem Bade ausschütten und das Böse zum Leitbild stilisieren. Er zeigt jedoch am Beispiel der Reaktionen auf die Tsunami-Katastrophe die Korrumpierbarkeit der Güte. Zum einen durch Condoleezza Rice’ offen geäußerte Freude über diese Gelegenheit, das Image Amerikas durch seine Hilfsbereitschaft aufzupolieren, zum anderen durch die Anmaßung klerikaler Autoritäten, den Tod von 200.000 Menschen als Argument zur Forderung nach einer spirituellen Umkehr zu instrumentalisieren. Diese Einbeziehung der Alltagsrealität bewahrt seine Untersuchung vor akademischer Exklusivität, ohne ihre Verankerung in der abendländischen Tradition aus den Augen zu verlieren: Dass der Philosoph Seneca seinen Text KONTINUITÄT UND BRÜCHE James Benning, einem der letzten großen amerikanischen Autorenfilmer, ist ein von Synema und dem Wiener Filmmuseum herausgegebener Band gewidmet. Diese großartige Publikation erschien als wissenschaftliche „Begleitmaßnahme“ zu der ersten vollständigen Retrospektive im Filmmuseum und der Welturaufführung seines neuesten Filmes „Casting a glance“ bei der Viennale 2007. Aus verständlichen Gründen – einerseits die Herkunft der meisten Autoren, aber auch wegen des größeren Absatzpotenzials im anglofonen Raum – ist der aufwendige Band ausschließlich auf Englisch erschienen. In ebenso kompakter wie fragmentarischer, damit einzelne Entwicklungsmomente nicht einebnender Weise entsteht das große, sicher noch nicht abgeschlossene Oeuvre (und dadurch auch der Lebenslauf dieses faszinierenden Filmers) vor den Augen des Betrachters. Die Lektüre der Texte – übrigens mit einer Ausnahme alles Originalbeiträge – wird in ganz entscheidender Weise durch die „Lektüre“ der eingestreuten Bilder aus Bennings Filmen unterstützt. Auswahl und Platzierung dieser Shots sind eine ästhetische, die optische Qualität der Wiedergabe eine technische Meisterleistung. Der Leser wird die Filme, die er kennt, exemplarisch erfasst finden und sich so sicher sein können, auch von den ihm unbekannten eine BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 „De Clementia – Über die Güte“ dem blutrünstigen Tyrannen Nero widmet, der ihn später zum Selbstmord zwingen wird, erweckt im Autor den Eindruck einer paradoxen Intervention, durch die das offensichtlich Abwesende herbeigelobt werden soll. Eine frappierende Aktualität ergibt sich durch die persönliche Betroffenheit von der Bedürftigkeit seiner sterbenden Eltern, die in einem Lob der institutionalisierten Pflege mündet. Diese ist nämlich im Stande, alles Notwendige bereitzustellen, ohne den Helfenden mit dem Zwang zur liebenden Freiwilligkeit zu überfordern. Und: an der selbstverständlichen Pflichterfüllung der professionellen Helfer/innen zeigt sich die Verlogenheit von Nietzsches Moralkritik ebenso klar, wie das egozentrische Machtkalkül prominenter Charity-Events. CHRISTA NEBENFÜHR Fazit: Erhellende Lektüre über Menschheitsfragen, an der Alltagsrealität abgehandelt. Franz Schuh |Hilfe! Ein Versuch zur Güte| Styria/Bibliothek der Unruhe und des Bewahrens 2007, 160 S., EurD/A 19,90/sFr 34,90 zuverlässige Idee vermittelt zu bekommen. Im Werk Bennings verschränken sich Kontinuität und Bruch zu einem organischen Ganzen. Entsteht zunächst oberflächlich der Eindruck der Entwicklung von einem politischen Künstler der 68er-Generation hin zu einem elegischen Landschaftsmaler der Postmoderne, wird bei genauerer Betrachtung sehr schnell klar, dass die ganz eigene Qualität des Benningschen Filmens in einer unauflöslichen Verquickung von Natur und Kultur besteht. In der so kommerzialisierten Kino- und Fernsehwelt des 21. Jahrhunderts sind es leider wenige punktuelle Anlässe, bei denen solche Glanzlichter des Filmes abseits vom Mainstream in die Öffentlichkeit treten können. Eine Idee von der Rarität derartiger Lichtblicke gibt im ganz ausgezeichneten, informativen Appendix die Auflistung öffentlicher Aufführungen. Für eine künftige Auflage wäre zu hoffen, dass sie nicht nur durch den einen oder anderen neuen Film, sondern vor allem auch durch einen in dieser Hinsicht wesentlich längeren Anhang um einiges gewichtiger ausfallen würde. THOMAS LEITNER Fazit: Ästhetisch wie inhaltlich überzeugende Film-Biografie für Cineasten und an Extravagantem Interessierte. Barbara Pichler, Claudia Sanar (Hg.) |James Benning| Filmmuseum/Synema 2007, 264 S., EurD 20/EurA 20,60/sFr 35,50 Traum und keit Wirklichkeit Sepp Moosmann Asche und Stern Auf der Suche nach einem geeigneten Refugium führt ein Traum den Autor zu einem Biedermeierhaus, das zum Gefäß seiner Gedanken und Gefühle werden wird. Sepp Moosmann formuliert feinsinnig und in nahezu lyrischer Form, was sich ihm im Wechsel der Jahreszeiten von Natur und Leben und in einer tief empfundenen Verbundenheit mit dem Haus und seinem Standort mitteilt. Jugenderinnerungen und Gedanken über zwischenmenschliche Begegnungen und Abschiede verbinden sich mit sensiblen Naturbeobachtungen, die über das persönliche Wahrnehmen hinaus in ihrer sprachlichen Durchdringung Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Hardcover | 2 Bände im Sleeve 14 x 22 cm | 160 und 72 Seiten euro 22,– ISBN 978-3-902612-34-2 BUCHER VERLAG Hohenems Austria Tel +43-55 76-71 18-0 [email protected] www.quintessence.at 42-54 TB_SB 17.01.2008 16:05 Uhr Seite 52 M A R K T P L AT Z | S A C H B U C H MUSIKALISCHER PLAUSCH Das Gedichtbuch für das 21. Jahrhundert Wer kennt ihn nicht, den österreichischen Dirigenten und Guru der Alten Musik Nikolaus Harnoncourt? Mit seinem „Concentus Musicus“ in großen Musikstätten des In- und Auslandes sowie in den Medien präsent, lacht er uns nicht nur von CD-Covern entgegen, sondern mittlerweile auch von Bucheinbänden. Der neueste Titel auf dem Buchmarkt gibt sich als des Maestros Auseinandersetzung mit der Musik des sogenannten „Romantischen Jahrhunderts“, also mit Werken und Komponisten des 19. Jahrhunderts, unter ihnen Beethoven, Schubert, Verdi, Schumann, Dvorák, Brahms, Bruckner und Johann Strauß. Wer freilich annimmt, es handle sich dabei wie in vorangegangenen Büchern Harnoncourts um Aufsätze, die, wenn auch nicht grundsätzlich Neues, so doch Wissenswertes bringen, der wird enttäuscht sein. Das Buch beinhaltet lediglich Interviews der letzten beiden Jahrzehnte, einst in verschiedenen Medien zu unterschiedlichen Anlässen erschienen, jetzt vereint und thematisch geordnet: Hier geht es um Einspielungen von Beethoven-Werken, dort um das Komische JOHNSON JAHRE DANACH 800 Gedichte auf 1000 Seiten · Ein lebendiger Kanon deutschsprachiger Lyrik · Souverän ausgewählt von Heinrich Detering · Elegant gestaltet von Friedrich Forssman. »Ein Anhang unterrichtet in kurzen, funkelnden Miniaturen, die ihrerseits kleine Sprachkunstwerke sind, über die Dichter und ihre Werke. Und sachte erläutert der Herausgeber Stellen, die dem heutigen Leser sich nicht immer von allein erschliessen könnten. Ein schönes, ein wichtiges Werk.« Neue Zürcher Zeitung Reclams großes Buch der deutschen Gedichte Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert Ausw. u. Hrsg.: H. Detering Leinen mit Schutzumschlag, Lesebändchen 1004 S. · € (D) 36,90 / € (A) 38,00 ISBN 978-3-15-010650-1 w w w. r e c l a m . d e Viel mehr als Klassiker in Gelb. Der Briefwechsel zwischen Uwe Johnson und Anna und Günter Grass beginnt mit einem Porträt von Johnson, das Grass 1961 angefertigt hat. Was beim ersten Brief von Grass an Johnson gleich einmal auffällt, dass sich der mit Graß (!!!) unterschreibt, die Anrede in der Antwort lautet aber dann schon „Lieber Grass!“. So weit, so äußerlich. Im ersten – nicht so wirklich interessanten – Teil dieses Briefwechsels geht es um ein deutsch-italienisch-französisches Literaturprojekt, in das die beiden Schriftsteller verwickelt sind, das sich aber dann ohnehin zerschlägt. Ansonsten schreiben Anna und Uwe einander Alltägliches – sie sind ja Nachbarn in Berlin, Günter und Uwe tauschen kleine Boshaftigkeiten über befreundete und nicht befreundete Schriftsteller aus, aber auch das hält sich in Grenzen. So berichtet Grass dem in New York lebenden Johnson nichts von der Gruppe 47, sondern mehr davon, was er zu seinem Geburtstag gekocht hat. Der Ton ist durchgehend lieb und freundlich – der Herausgeber nennt ihn „außerordentlich liebenswürdig und spürbar herzlich“. Johnson hat in „Carmen“, andernorts um aufführungspraktische Details oder Persönliches. Dabei alles ein bisschen durcheinander und, wie es einem Interview eben entspricht, nicht profund. Schade. Denn dass Nikolaus Harnoncourt, der mit Überzeugung und Leidenschaft musiziert und dabei fundiertes Wissen und Quellenstudium nicht vermissen lässt, einiges zu sagen hat, steht außer Frage. Auch, dass seine Essays zu Musik weniger für den Fachmann und Kenner als für musikinteressierte Leser einen leicht fassbaren, schönen Zugang in das weite Feld der Musik und der historischen Aufführungspraxis bieten. Die Interviews hingegen lassen – naturgemäß – Tiefe und Systematik vermissen. Nicht eigentlich ein Sachbuch, sondern vielmehr ein Schmökerband als Illustration zu gehörter Musik. KAROLINE PILCZ Fazit: Plaudereien für Musikinteressierte. Nikolaus Harnoncourt |„Töne sind höhere Worte“. Gespräche über romantische Musik| Residenz 2007, 414 S., EurD 22,90/EurA 22,90/sFr 41,50 eine prophetische Ader, indem er schon 1967 schreibt, dass er sich auf die „Nachfeiern zum Preis Nobel“ freue. Aber so kann’s natürlich nicht weitergehen, mit Johnson tun sich alle schwer, egal ob Frisch, Unseld, Ahrendt, Raddatz. So muss auch Grass am 29. Juni 1971 feststellen: „unsere Freundschaft scheiterte an mangelndem Vertrauen“. Trotzdem gab es später immer wieder noch freundliches Beisammensein. Es ist dieser Johnson-Briefwechsel mit Grass von allen, die bisher erschienen sind, der Uninteressanteste. Zu viel wird von den beiden Männern verschwiegen, vieles haben sie vielleicht auch direkt, mündlich austauschen können. Der Herausgeber wird das auch gespürt haben und lässt auf den Bildteil noch Materialien folgen – da steht dann, was jeweils der eine über den anderen wo gesagt und geschrieben hat – und eine Zeittafel, die das Geschehen außerhalb des Briefwechsels festhält, und dann noch ein Nachwort. KONRAD HOLZER Fazit: Ein beiläufiger Briefwechsel für Johnson-Fans. Uwe Johnson, Anna Grass, Günter Grass |Der Briefwechsel| Suhrkamp 2007, 231 S., EurD 22,80/EurA 23,50/sFr 39,20 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 42-54 TB_SB 15.01.2008 16:17 Uhr Seite 53 FREIHEIT, ARBEIT, BILDUNGSBÜRGER Frei von Arbeit – das steckt hinter der „unerhörten Freiheit“, die Wolfgang Engler im Titel verspricht. Was brächte ein staatliches Grundeinkommen der Gesellschaft? Um diese Frage kreist der Soziologe bis weit über die Hälfte seines Werks. Thematisch bildet dieses eine Fortsetzung seines 2005 erschienenen Buchs „Bürger ohne Arbeit“. Das Kreisen bleibt des Autors Lieblingsbewegung. Essayistisch bewegt er sich um die Themen Arbeit und Grundsicherung. Als Angelpunkt philosophischer Ausschweifungen kehrt er immer wieder zum Grundsatz des Gesellschaftsvertrags zurück. Diesen formuliert er alle paar Kapitel ein Stückchen weiter – eine Schleife, die man als poetisch oder penetrant empfinden mag. Der stilistische Zugang hat etwas erfrischend Klassisches: Da bleibt Zeit zum Ausführen, zum Widerlegen, zum dialektischen Entwickeln. Auf der Schattenseite mangelt es manchmal an prägnanten Aussagen. Auch statistische Tatsachen oder Studienergebnisse zum Thema sucht man vergeblich. Das lässt viel Raum für Subjektivität. Staatliche Versorgung ohne Gegenleistung verwirft Engler als kapitalistische Masche GESCHICHTE UND GERÜCHTE Aufstieg und Untergang der RingstraßenÄra in Anekdoten – so lässt sich der Entwurf des großformatigen Bandes von Kulturhistoriker Otto Schwarz beschreiben. Dafür umrundet der Autor den Wiener Ring mehrmals aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Einmal konzentriert er sich auf die Palais, dann auf die Theater, die Kaffeehäuser, ein anderes Mal auf die Technik hinter den Gebäuden. Epstein, Ferstel, Rothschild, Sacher – wer immer schon wissen wollte, welche Schicksale hinter diesen Namen stehen, kommt hier voll auf seine Rechnung. Die Prominenz des Fin de Siècle steht im Rampenlicht – im Text und in Schwarz-Weiß-Bildern. Geschichten und Gerüchte sind sauber recherchiert. Auch wer auf historische Details aus ist, kann zufrieden sein. Wer sich vor allem für Architektur und Stadtplanung interessiert, wird anderswo besser bedient. Manche Ikonen des Stadtbilds verkommen zur Randnotiz – etwa die Universität oder die Börse. Fotos von architektonischen Details sind Mangelware. Anlage und Stil des Werks passen gut zur und nennt sie „Grundsicherung als Schmiere fürs große Geschäft überhaupt“. Und was dann? Erst spät bringt Engler das zweite große Thema des Buches ins Spiel: Bildung. Diese betrachtet er nicht als Ideal, sondern als notwendige Grundvoraussetzung einer funktionierenden Gesellschaft – die diese daher auch uneingeschränkt zu finanzieren hätte. Hardcore-Humanismus jenseits der ökonomischen Realität? Englers Antwort fällt letztlich erstaunlich einfach aus: Die Freiheit von Arbeit, das Grundeinkommen, wäre an eine Bedingung zu binden: die Pflicht zur Bildung. Wer sich nun von der Banalität einer lebenslangen Bildungskarenz bedroht sieht, findet auf den verbleibenden Seiten noch Trost in einigen anregenden Gedanken. Für eine „soziale Utopie“, wie sie der Verlag im Klappentext verheißt, reichen diese aber nicht aus. ANDREAS KREMLA Fazit: Anregender Abriss einer alternativen Arbeitswelt ohne nennenswerten Nutzwert. Wolfgang Engler |Unerhörte Freiheit| Aufbau 2007, 175 S., EurD 16,95/EurA 17,42/sFr 33 adelig-großbürgerlichen Prunkstraße. Breite und Glanz zählen oft mehr als funktionale Eleganz oder witzige Details. Der prachtvollen Ringstraße steht das nicht schlecht. Bei den kleinen G’schichtln ihrer Bewohner fehlt oft der Feinschliff. Manche Anekdote bleibt etwas grob behauen und ohne Pointe stehen. Mitunter hantiert der Autor auch mit älteren Versatzstücken unserer Sprache. Das wirkt zeitweise wie überschüssige Stukkatur. Auch die unsichtbaren Erbauer der Ringstraße bekommen ein Kapitel. Die erbärmlichen Verhältnisse der Arbeiter werden allerdings mit dem Weichzeichner dargestellt. Prägnanter erfasst der Historiker die technischen Neuerungen in der Architektur jener Zeit. Unbestreitbaren Wert hat sein Werk als anschauliche Etymologie des Wiener Stadtplans: Nicht nur die Innenstadt erhielt damals reihenweise neue Straßennamen. Auch in den grauen Außenbezirken wurde vieles nach den Lichtgestalten des Rings benannt. AK Fazit: Breites Who was Who aus den Prunkzeiten der Wiener Prachtstraße. Fußballsatire vom Feinsten Was ist Abseits wirklich und wie erkläre ich es meiner Frau? Wie verliere ich richtig? Wie stehe ich im Mittelfeld zu weit weg vom Mann und bin in Gedanken noch in der Kabine? Wie erkläre ich Niederlagen schon, bevor sie überhaupt stattgefunden haben? Wie finde ich mich mittels Mannschaftsaufstellungen in Europa zurecht? Wie zieht man sich in Liechtenstein am besten aus der Affäre, wie in Polen, wie in Schottland? Wie begegnet man einem Duschschlapfenföner? Und warum ist das Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland noch immer prekär? Egyd Gstättner, Schriftsteller und bekennender Fußballanhänger, erhebt – wie weiland Günter Eich den Maulwurf – den Fallrückzieher zum literarischen Genre, trifft den Ball, den Punkt, die Sache oder den Gegner an einer Stelle, an der es niemand vermuten würde, und beantwortet auf höchst überraschende und lustvolle Weise die wirklich wichtigen Fragen der Zeit – vor der EURO im eigenen Land. Egyd Gstättner FEINE FALLRÜCKZIEHER Kleine Fußball-Kunststücke ca. 240 Seiten, 12,5 x 18,5 cm Hardcover mit Schutzumschlag € 19,95 ISBN 978-3-85431-455-4 Otto Schwarz |Hinter den Fassaden der Ringstraße| Amalthea 2007, 280 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 43,70 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 w w w. p i c h l e r v e r l a g . a t 42-54 TB_SB 15.01.2008 16:18 Uhr Seite 54 M A R K T P L AT Z | S A C H B U C H DIE CHEMIE DES LESENS Terroristen, Naturwissenschaftler, Weltverschwörer und Filmkomiker: PETER HIESS lädt zur bunten Sachbuch-Rundschau. Willi Winkler |Die Geschichte der RAF| Rowohlt Berlin 2007, 528 S., EurD 22,90/EurA 23,50/sFr 40,40 ■ Die Amis nehmen sich wenigstens kein Blatt mehr vor den Mund. Dort stört es keinen der Machthaber, wenn die Journaille seine Schweinereien und Morde aufdeckt. Ein paar beschwichtigend-patriotische Worte vor dem Hauptabendprogramm, und das Volk fällt wieder in seine Trägheit zurück. Da macht es überhaupt nichts, dass ein Journalist der New York Times, einer wie Stephen Kinzler, in seinem Buch „Putsch!“ durchaus kritisch davon erzählt, wie die US-Regierungen seit 1893 (damals war es Hawaii) viel Geld, Propaganda und „Menschenmaterial“ investieren, im Namen der Demokratie ausländische Regierungen zu stürzen – unter dem Vorwand, dass die Gegner Terroristen und böse Diktatoren mit Massenvernichtungswaffen seien. Ordentlich geschrieben und sehr überzeugend (auch wenn wir in Europa das schon längst wissen). Stephen Kinzer |Putsch! Zur Geschichte des amerikanischen Imperialismus| Übers. v. Ulrich Enderwitz. Die andere Bibliothek/Eichborn 2007, 562 S., EurD 28,50/EurA 30,40/sFr 52 ■ Wer Chemie aus dem Schulunterricht als Horrorfach in Erinnerung hat, der hätte wohl einen Lehrer wie Klaus Roth (der derzeit an der Freien Universität Berlin unterrichtet) gebraucht. Der Mann versteht es, seinen Studenten/Lesern die „Königsdisziplin unter den Wissenschaften“ anhand praktischer Beispiele nahezubringen. In seinen Beiträgen für die Zeitschrift „Chemie in unserer Zeit“ – die nun unter dem Titel „Chemische Delikatessen“ in Buchform vorliegen – zeigt er, wie Chemie unseren Alltag auf Schritt und Tritt beeinflusst, aus Kaffeebohnen Espresso, aus 54 bitterem Kakao Schokolade und aus Hopfen und Malz Bier macht. Zudem sorgt sie dafür, dass uns Papier nicht nach wenigen Monaten unter den Händen zerfällt, dass Donald Duck immer etwas zu experimentieren hat und dass Krimiautoren Ideen für ihre mörderischen Plots finden. Auf diese Art verträgt man auch komplizierte Formeln … Und für das Cover, das aussieht wie eines dieser Bilder, die vor türkischen Imbisslokalen zu lange in der Sonne darben, kann Prof. Roth schließlich nichts. Klaus Roth |Chemische Delikatessen| Wiley-VCH 2007, 198 S., EurD 29,90/EurA 30,80/sFr 48 ■ Der ZDF-Filmemacher und -Moderator Felix R. Paturi macht es dem Leser da schon leichter: In seinem Buch „Die großen Rätsel der Vorzeit“ präsentiert er 36 unbeantwortete archäologische Fragen aus der Vorund Frühgeschichte der Menschheit. Das fängt bei legendären Großreichen an, geht mit den derzeit so angesagten Megalithen S P E Z I A LT I P P ■ Viele Geschichten gibt es auch um die Rote Armee Fraktion alias „Baader-MeinhofBande“ – und sie alle werden zu den Jubiläen des deutschen Herbstes immer wieder erzählt. Der Journalist und Autor Willi Winkler schreibt sie in „Die Geschichte der RAF“ ein weiteres Mal nieder (im wahrsten Sinne des Wortes), stellt den Befreiungskrieg der Stadtguerilla gegen das angeblich faschistische Regime der BRD als etwas dar, das nur in Deutschland möglich gewesen sei, hält sich aber im Wesentlichen an die amtlich belegten Fakten und gesteht der RAF als ganzen Sinn nur „ihr Scheitern“ zu: Bequeme Ansichten, wie sie ins politisch korrekte EU-Deutschland passen. Und jetzt alle: Wer hat uns verraten …? NICHTS ÜBER MICH „Ich halte es auch für ganz nutzlos, über meine Person zu schreiben.“ Entgegnete Leo Perutz auf die Bitte um biografisches Material, und weiter: „Bitte schreiben Sie nichts über mich und alles über meine Romane.“ Mit diesen Zitaten beginnt Hans-Harald Müller seine Leo-Perutz-Biografie, die nun zum 50. Todestag des Autors erschienen ist. Perutz wurde 1882 in Prag geboren und starb 1957 in Bad Ischl. Sein Buch „Nachts unter der steinernen Brücke“ ist einer der Höhepunkte des phantastischen, historischen Romans im 20. Jahrhundert. Müller nennt seine Einleitung „Annäherungen“ und macht darin gleich einmal klar, dass Perutz zum Schreiben nicht durch „innere Nötigung“ kam, auch keine ethische Verpflichtung dazu verspürte, sondern „Wert darauf legte, als einfacher Privatmann und Kaffeehausbesucher angesehen zu werden.“ Und dennoch ist dieses nun vorliegende Buch eine – auf seinen Notizbüchern und seiner Korrespondenz basierende – Biografie geworden. Und dennoch hat sich Hans-Harald Müller – der übrigens die Werke von Perutz bei Zsolnay herausgibt – an die Forderung des Autors gehalten und sich auch ganz besonders auf die Werke konzentriert. weiter, wendet sich irgendwann den Pyramiden zu und hört schließlich mit Germanen und Kelten auf. Wer sich für Geschichte interessiert und die „sicheren Erkenntnisse“ der Historiker nicht als der Weisheit letzten Schluss akzeptieren will, findet hier Ansatzpunkte – für weitere Lektüre oder zumindest die nächsten Urlaubsziele. Felix R. Paturi |Die großen Rätsel der Vorzeit| Eichborn 2007, 279 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 33,90 ■ Gar kein Rätsel ist der Erfolg des französischen Komikers Louis de Funès, der die zivilisierte Menschheit jahrzehntelang erfreute: Er war einfach unglaublich begabt, witzig und diszipliniert. Da er leider nicht mehr unter uns weilt, haben sich nun seine Söhne Patrick und Olivier der Aufgabe gestellt, der Welt die bisher unbekannten Seiten ihres Vaters nahezubringen, mit privaten Erinnerungen, Tagebucheintragungen, Briefzitaten, Fotos aus dem Familienalbum. Die Mischung sorgt für kurzweiliges Lesevergnügen und weckt den unstillbaren Wunsch, die Filme des Meisters sofort wieder zu sehen. Patrick & Olivier de Funès |Louis de Funès – Der Querkopf| Übers. v. Alexander Drechsel. Militzke 2007, 254 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 35,40 Dazwischen aber findet Leben statt, nicht immer ganz und gar dokumentiert. Der Biograf weiß von seiner Arbeit als Versicherungsmathematiker, nennt nicht alle seine Liebschaften, aber fast alle seiner Freunde. Oberflächlich betrachtet meint man, es mit einer dieser Jahrhundertwende-Kaffeehaus-Figuren zu tun zu haben. Aber der Biograf weiß mehr, er kennt die politischen Einstellungen von Perutz und seine Arbeitsweise, erzählt von seinen Reisen und Geldsorgen genauso wie vom Soldaten und Emigranten Perutz, berichtet aber auch von seiner Verzweiflung darüber, als Autor im deutschen Sprachraum – nach dem Zweiten Weltkrieg – vergessen worden zu sein. Dazwischen befasst sich Müller mit den Problemen des „Historischen Romans“ im 20. Jahrhundert, lässt verschiedene Schriftsteller sich zu diesem Genre äußern. Und auch wenn man schon so oft vom Schicksal der Emigranten gelesen hat, es ist doch immer wieder ein anderes Schicksal, ein anderes Leiden, ein anderes Heimweh. KONRAD HOLZER Fazit: Eine Biografie, die ihrer Aufgabe – von einem immens interessanten Leben zu erzählen – perfekt nachkommt und Lust auf die Lektüre der Werke macht. Hans-Harald Müller |Leo Perutz| Zsolnay 2007, 408 S., EurD 24,90/EurA 25,60/sFr 44,50 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 55-57 HB_NM 15.01.2008 16:40 Uhr Seite 55 M E D I E N M I X | M A R K T P L AT Z DVDs aktuell CD-ROMs Heimkino: Literatur zum Ansehen DIE ??? 1001 NACHT BOX-SET. In den 1940er-Jahren entwickelte sich das Genre der Orientfilme in Hollywood, die auch unsere Vorstellungen vom Orient geprägt haben. Inhaltlich bediente man sich forsch aus der Geschichtensammlung 1001 Nacht, allerdings wurde sehr freizügig damit umgegangen. Und manchmal erinnern die Filme an Western, die einfach in einer anderen Gegend spielen, und statt Revolver werden Schwerter gezogen. Abgesehen davon machen die Filme „Arabische Nächte“, „Ali Baba und die vierzig Räuber“ sowie „Die schwarzen Teufel von Bagdad“ heute noch Spaß, sind rasant, exotisch und bieten unterhaltsames Popcornkino der Frühzeit. Die Technicolor-Farben wurden sorgfältig restau- ALATRISTE riert, der Ton ist überzeugend. Einzig das Bonusmaterial ist mehr als mager, aber das kann man ja hoffentlich bei der nächsten Box verbessern. Regie: J. Rawlings, A. Lubin, Ch. Lamont Darsteller: Jon Hall, Maria Montez, Sabu u. a. Koch Media. 3 DVDs. Dauer: 245 Min., Format: 4:3, Ton: Deutsch, Englisch DD 2.0 HOMO FABER MEIN NESTROY Die drei Hobbydetektive Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews aus dem sonnigen wie fiktiven Rocky Beach gehören zu den Klassikern der Kinderliteratur und erleben gut 40 Jahre nach ihren Anfängen ein Revival mit Büchern, Hörspielen, Kinofilmen und auf CD-ROM. SpielerInnen ab 10 Jahren versuchen, im 3D-Adventure „Das Gold der Inkas“ in acht Episoden nach Hinweisen um einen verschwundenen Schatz zu finden. Dabei schlüpft man abwechselnd in die Rollen der drei Freunde. Natürlich lauern dabei auch Gefahren, die es zu bestehen gilt. Die gemeinsame Reise führt nach Panama und bietet anhaltenden Spielspaß. |Die ??? – Das Gold der Inkas| United Soft Media, 1 CD-ROM für Win FOTOS: KOCH MEDIA, E-M-S, ARTHAUS, HOANZL WILHELM BUSCH Regie: Agustín Díaz Yanes Darsteller: Elena Anaya, Viggo Mortensen u. a. Regie: Volker Schlöndorff Darsteller: Julie Delpy, Sam Shepard u. a. Regie: Herbert Föttinger Darsteller: Sandra Cervik, Karl Markovics u. a. Nachdem im vergangenen Jahr der 175. Geburtstag Wilhelm Buschs Anlass für einige Buch-Sonderausgaben war, ehrt Directmedia den Dichter zu seinem 100. Todestag am 9. Januar 2008 mit einer digitalen Werkausgabe auf CD-ROM. „Wilhelm Busch: Gesammelte Werke“ ist in der Reihe „kleine digitale bibliothek“ erschienen. Darauf enthalten sind seine Beiträge für die Münchner Zeitschrift „Fliegende Blätter“ sowie die nach wie vor bei Jung und Alt beliebten Bildergeschichten, außerdem Prosa, Lyrik sowie chronologisch angeordnete Briefe. Über sein Leben gibt die für dieses Projekt digitalisierte Busch-Biografie „Wilhelm Busch. Leben und Werk“ von Michaela Diers (dtv 2008) Auskunft. HANNES LERCHBACHER e-m-s. Dauer: 139 Min., Format: 1,85:1 (anamorph), Ton: Deutsch, Spanisch DD 5.1, deutsche Untertitel Arthaus. 2 DVDs. Dauer: 109 Min., Format: 16:9 (1.78:1) anamorph, Ton: Deutsch, Englisch DD 2.0, deutsche Untertitel optional Hoanzl. Dauer: 122 Min., Format: 16:9 (1,85:1) anamorph, Ton: Deutsch DD 2.0 |Wilhelm Busch. Leben und Werk| Directmedia, 1 CD-ROM für Win DRAMA. Arturo PérezRevertes Trilogie um den Söldner Diego Alatriste aus dem 17. Jahrhundert war die Grundlage für den teuersten spanischen Film aller Zeiten. Prächtige Kulissen und gute Ausstattung, daneben eine interessante Darstellerriege, allen voran Viggo Mortensen, sorgen für die passende Optik. Wer die Bücher nicht kennt, wird manchmal durch Handlungssprünge irritiert sein. Bild und Ton der DVD sind eindrucksvoll, Bonusmaterial ist eigentlich nicht vorhanden. DRAMA. Volker Schlöndorffs sehenswerte Verfilmung des gleichnamigen Romans von Max Frisch. Walter Faber, arbeitsamer Ingenieur in den besten Jahren, erfährt durch die Liebe einer jungen Frau, dass es auch etwas jenseits technischer Berechenbarkeiten gibt. Er lässt sich auf eine Reise ein, die ein erfüllteres Leben zu versprechen scheint, ihn aber stattdessen endgültig ins Unglück stürzt. Dazu gibt es u. a. ausführliche Interviews und entfallene Szenen. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 THEATER. Ein Stück über die spannungsgeladene Beziehung von Johann Nestroy und seiner Lebensgefährtin Marie Weiler – von Peter Turrini anlässlich des Intendanzantritts Herbert Föttingers am Wiener Theater an der Josefstadt 2006 verfasst. Die Regie führte Föttinger selbst, der in dieser Funktion zwei Jahre zuvor mit Nestroys „Kampl“ debütierte. Karl Markovics und Sandra Cervik in den Hauptrollen sorgen für beste Unterhaltung. Ohne Bonusmaterial. 55 55-57 HB_NM 15.01.2008 16:44 Uhr Seite 56 M A R K T P L AT Z | M E D I E N M I X Hörbuch-Tipps ERFOLGVERSPRECHEND EIN RICHTIG SCHÖNER WESTERN Er begann als Szenarist, also als Erfinder von Geschichten für Comics, mit dem Zyklus um den Raumdetektiv John Difool: Alexandro Jodorowsky. In Chile geboren, in den 1950er- und 1960er-Jahren in Frankreich lebend, Freund von Roland Topor und Fernando Arrabal (dessen Stücke er inszenierte), mit dem großen Moebius als Zeichner eben die Incal-Geschichten und John Difool entwickelnd (bislang 13 Bände, 6 davon mit Janjetov als Zeichner). Einen Ausflug ins Western-Milieu macht Jodorowsky seit 2001 – als Band 1 von „Bouncer“ erschien die Geschichte des einarmigen Rausschmeißers eines berüchtigten Lokals. Und die lange Geschichte um drei einander in tiefstem Hass zugeneigte Brüder und um einen „Diamant fürs Jenseits“, wie Band 1 untertitelt ist. Mit Band 5 hat sich der Bogen dieser wüsten Geschichte um Brudermord und Rache, Herkunft und Historie geschlossen. Und so wie er klassisch mit Rückblenden in Band 1 den Plot entwickelt, löst Jodorowsky die heftige Handlung um den Rausschmeißer Bouncer und dessen Neffen Seth, der besessen ist von der Vergeltung für seines Vaters grausige Ermordung. Geradezu versöhnlich mutet der Schluss an, nach all den Schrecken und Irrwegen bis dahin. Boucqs Zeichnungen sind realistisch, genau, genüsslich anzuschauen. Kein „Ausrutscher“ des Alexandro Jodorowsky, eher eine Bereicherung des mannigfaltigen Incal-Universums. Ein richtig schöner Western halt, formal wie inhaltlich erste Klasse. NJ Boucq, Jodorowsky |Bouncer. Band 5 – Die Beute der Wölfinnen| Egmont Ehapa 2007, 64 S., EurD 12/EurA 12,40/sFr 22,30 56 Kaum ein Adjektiv, das diese Geschichten treffend zu beschreiben vermag. Ungewöhnlich? Schrill? Außerordentlich? Schräg? – Die Liste ist fast beliebig fortzusetzen, und doch muss jeder Zuhörer selbst herausfinden, welche Pointen, welcher Witz und welcher kaum zu überbietende Unterhaltungswert sich hinter dem eher nüchternen Titel „Werbepause“ verbirgt. „Werbepause“, das sind zwölf ausgewählte Geschichten von Augusten Burroughs, eingelesen von einem in Höchstform agierenden Dirk Bach. Da wird vom Versuch des Erzählers berichtet, in einem Werbefilm groß herauszukommen, da ist er sich plötzlich sicher, in Wahrheit ein Vanderbilt-Erbe zu sein, und und und … Diese Geschichten reihen sich zu einer mehr oder weniger fiktiv anmutenden Biografie, die irgendwie auch die Biografie des Vortragenden sein könnte. Anders ist sein Engagement hinter dem Mikrofon jedenfalls nicht zu erklären. Dirk Bach scheint diese DER VORGÄNGER DES MEISTERDETEKTIVS Der Name Arthur Conan Doyle ist untrennbar mit den Abenteuern von Sherlock Holmes verknüpft. Doch gibt es daneben noch zahlreiche andere Texte des Autors zu entdecken, wie etwa die Abenteuer um Professor Challanger, dessen Reise in die „vergessene Welt“ immer wieder Stoff für Fernsehserien oder Neuverfilmungen bietet. „Die geheimnisvolle Kiste“ ist eine einzelne Erzählung, fünf Jahre vor Sherlock Holmes entstanden. Doch bereits hier ist die Kraft logischer Deduktion, die zum Ziel führt, zu erkennen. Überaus unterhaltsam folgt der Zuhörer also dem jungen Hammond, der sich auf eine Schiffsreise begibt und dabei zwei Männer beobachtet, die eine geheimnisvolle Kiste bei sich haben. Das erinnert an aktuelle Terrorängste. Hammond ist sich nämlich sicher: Auf das Schiff soll ein Anschlag verübt werden. Doch wie diese Theorie beweisen? Texte zu lieben. Folglich lebt er sie und macht es zu einem akustischen Bonbon, dieser „Werbepause“ zu lauschen. Das Hörbuch „Werbepause“ war übrigens die erste Veröffentlichung des ambitionieren Hörbuch-Kleinverlags „Schall & Wahn“, der neben diesem noch mit zwei weiteren Lesungen gestartet ist: Terry Pratchetts „Schweinsgalopp“, vor kurzer Zeit erst im Fernsehen gesendet, und „Alles Sense!“, gleichfalls von Pratchett, sind der Auftakt zu einem Programm, das auf spielerische Weise Anspruch und Hörvergnügen verbinden soll. Die beiden Pratchett-Titel hat Rufus Beck eingelesen. Gute Qualität bei der Auswahl der Stoffe und Überraschendes, das könnte eine erfolgversprechende Mischung sein. Das kleine Startprogramm kann alle Erwartungen erfüllen. Weiter so! RS |Augusten Burroughs – Werbepause| Lesung ausgewählter Geschichten. Gesprochen von Dirk Bach. Schall & Wahn 2007, 3 CDs, 220 Min., EurD/A 19,95/sFr 36,90 Die Buchausgabe ist bei Rowohlt erschienen. Doyle zeichnet Hammon keineswegs als Held, eher als neurotischen Antiheld, der zwar logische Schlüsse zieht, doch müssen hier, anders als später bei Holmes, die Folgerungen nicht zwangsläufig richtig sein. Philipp Schepmann nimmt den Zuhörer mit auf diese außerordentlich spannende Seereise, macht die inneren Konflikte von Hammond spürbar und bezieht immer wieder satirische Distanz. Inszeniert als Lesung mit Geräuschen und Musik, ist die CD ein kleines Schmankerl, denn auch die musikalische Gestaltung wirkt kommentierend oder verstärkend, je nach Situation eingesetzt, und folgt damit den Vorbildern guter Filmmusik. „Die geheimnisvolle Kiste“ ist eine schöne, ganz unerwartete Begegnung mit einem etwas anderen Arthur Conan Doyle. RAINER SCHEER Arthur Conan Doyle |Die geheimnisvolle Kiste| Inszenierte Lesung mit Musik. Gesprochen von Philipp Schepmann. Vollständige Textfassung. Stimmbuch 2007, 1 CD, 55 Min., EurD 9,95/EurA 10,10/sFr 18 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 ILL: AUS „BOUNCER, BD. 5“/EGMONT EHAPA Comic 55-57 HB_NM 15.01.2008 17:12 Uhr Seite 57 H Ö R B U C H | M A R K T P L AT Z DER LACHENDE PESSIMIST Wer kennt sie nicht, die Streiche von Max und Moritz? Wilhelm Busch ist mit seinen Bildergeschichten und gereimten Texten in zahllosen Haushalten vertreten, wird gerne in passenden und weniger passenden Momenten zitiert und stets erwähnt, wenn es um die theoretische Diskussion der zeitlichen Festlegung des ersten Comics geht. Im vergangenen Jahr erschien die Biografie „Wilhelm Busch. Der lachende Pessimist“ von Eva Weissweiler, jetzt auch eingelesen von Bastian Pastewka. Dem Comedian bereitet es spürbare Freude, die zahlreichen Facetten des am 15. April 1832 in Wiedensahl geborenen Wilhelm Busch vor dem Zuhörer auszubreiten, so z. B. die zunächst ganz andere berufliche Ausrichtung nach dem Willen des Vaters (Beginn einer Ausbildung zum Maschinenbauer). Doch schon bald dominiert das Interesse an der Zeichnung und an der mündlichen Überlieferung von Volksliedern, PAUL TEMPLE RETURNS Der Todestag von Francis Durbridge, dem Erfinder des Helden Paul Temple, der später mit seinen TV-Mehrteilern für sogenannte Straßenfeger sorgte, jährt sich heuer zum zehnten Mal. Was wäre aus diesem Anlass besser geeignet, als ein akustisches Treffen mit seinem populärsten Helden, dem Kriminalschriftsteller und Detektiv Paul Temple, der im Hörspiel Ende der 1930er-Jahre seine Ermittlungen aufnahm. „Paul Temple Intervenes“ schließt eine Lücke in den Geschichten, wird doch an anderer Stelle auf den Fall mit dem genialen Verbrecher „The Marquis“ hingewiesen. Acht Tote zeichnen ein unmissverständliches Bild von der Brutalität, BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Sagen und Märchen, die Busch sammelt, um sie später veröffentlichen zu können. 1865 erscheint „Max und Moritz“ als erste Bildergeschichte, der zahllose weitere Werke folgen sollen. Die Biografie zitiert aus Texten und Dokumenten, und immer dann – also nicht im beschreibenden Textteil sondern in den kleinen O-Ton-Intermezzi – ist Bastian Pastewka am stärksten, hier kommen Ausdruck und Spontaneität durch, die den vielseitigen Comedian auszeichnen. Wilhelm Busch stirbt am 9. Januar 1908 in Mechtshausen. Es gilt also, heuer seinen 100. Todestag zu begehen. Und da bietet sich diese akustische Biografie in überzeugender Form an. RS Eva Weissweiler |Wilhelm Busch – Der lachende Pessimist| Eine Biografie von Eva Weissweiler. Lesung. Gesprochen von Bastian Pastewka. Gekürzte Textfassung. tacheless!/ROOF Music 2007, 3 CDs, 217 Min., EurD 19,95/ EurA 20,20/sFr 34,90 Das gleichnamige Buch ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. aber auch von der Genialität des Gegners, dem es immer wieder gelingt, durch das Netz von Scotland Yard zu schlüpfen. Die Aufnahme aus dem Jahre 1942 klingt wunderbar nostalgisch, fast vermutet der Zuhörer, es mit einer knisternden Schallplatte zu tun zu haben. Aber das kann der Stimmung nur zuträglich sein. Die Veröffentlichung der Originalhörspiele in der Reihe „English Edition – BBC Audio“ wird mit einer Rarität fortgesetzt, voller Spannung, voller Atmosphäre und eben jenem Klang, bei dem Spannung wirklich noch knistert. Wunderbar, dass jemand dieses rare Schmuckstück aus einem Archiv ausgegraben hat. RAINER SCHEER Francis Durbridge |Paul Temple Intervenes| Hörspiel/ BBC Production 1942. Gesprochen von Carl Bernard. Der Hörverlag 2007, 2 CDs, 140 Min., EurD/A 19,90/sFr 35,20 TOTE WINZER Regelmäßig überrascht Eva Rossmann mit einem neuen Krimi um ihre Protagonistin Mira Valensky. Die Reporterin wird immer in neue Kriminalfälle verwickelt und muss sie dann natürlich lösen, mit Witz, der nötigen Abgebrühtheit sowie der Unterstützung ihrer Putzfrau, aber gleichzeitig auch Freundin Vesna Krajner. Und nachdem sie einen Hang zum guten Leben hat, haben die Fälle mitunter einen kulinarischen Bezugspunkt. Bei „Wein & Tod“ geht es um Winzer im Weinviertel in Österreich. Mira will eine Geschichte über einen neuen Starwinzer schreiben, doch der wird beim Joggen erschossen – und so steckt sie schnell mittendrin in einem Intrigendschungel. Daneben lernt sie aber viel über den Wein und dessen Ausbau. Die Schauspielerin Silvia Vas entlockt dem Text schöne Nuancen und bringt dafür die nötige charmante Abgebrühtheit mit. Eva Rossmann |Wein & Tod| Lübbe Audio 2007, 2 CDs, 139 Min., EurD 14,95/EurA 15,10/sFr 28,70 VERBORGENE FARBEN Auch ein Literaturkurs kann immens spannend sein. Das beweist Azar Nafisi mit „Lolita lesen in Teheran“. Sie unterrichtete Literatur an der Uni in Teheran, wollte jedoch nicht mehr den Schleier tragen und kündigte deshalb. Mit einigen wenigen Schülerinnen hält sie, bevor sie emigriert, dann doch noch ein Seminar bei sich zuhause ab. Dort ist es möglich, die grauen Mäntel abzulegen und die Farbe der Kleider, die darunter verborgen sind, kommt zum Vorschein. Aber auch eine geistige Öffnung findet statt in der Auseinandersetzung mit Literatur, da die Studentinnen aus unterschiedlichen Schichten kommen und langsam beginnen, ihre Ohnmacht zu hinterfragen. Nafisi erzählt also aus dem Leben ihrer Schülerinnen und ihre eigene Geschichte. Jasmin Tabatabei, die selbst aus Teheran stammt, liest höchst lebendig. Wie wenn man einer Freundin zuhören würde, die sich Zeit nimmt, aus ihrem Leben zu erzählen. Azar Nafisi |Lolita lesen in Teheran| Eichborn Lido 2007, 5 CDs, 415 Min., EurD 22,95/EurA 23,20/sFr 40 57 58-61 junior 15.01.2008 16:54 Uhr Seite 58 JUNIOR ie aufgeweckte 17-jährige Kunststudentin Cathy ist ziemlich überrascht, als ihr Freund Victor plötzlich Schluss macht und sang- und klanglos verschwindet. Nicht mir ihr! So geht Cathy also dem Ganzen nach, forscht, stöbert und findet Dokumente und Briefe, Notizen und Zettel, allesamt sehr geheimnisvoll und verwirrend, auf mysteriöse, gar verbrecherische Taten deutend? Was hat das alles zu bedeuten? Schon sind wir mitten in der Story von Cathy’s Book. Als dann diese auch noch verschwindet, bleibt man als Leserin, als Leser vorerst alleine gelassen, scheint’s. Aber: Wir haben ja Cathy’s Aufzeichnungen. Und: Wir können mithilfe angegebener Telefonnummern und Internetadressen weiter recherchieren! Das ist ARG. Nein, nicht arg, ARG ist die Abkürzung für Alternate Reality Game. Ein Spiel, das auf verschiedene Medien zurückgreift, Fiktion und Realität wechseln dabei, wir können sogar den Spielverlauf beeinflussen, wenn wir hinter die Geheimnisse kommen und die Rätsel lösen. Wir könnten sogar mit Cathy kommunizieren! Und selbst wenn wir nicht hinter all die mysteriösen Sachen kommen wollen, auch kein Schaden: Dann lesen wir einfach eine spannende Geschichte, punktum. Denn die Geschichte „allein“ hält, auch ohne die medialen weiterführenden Schnipsel, beigelegten Briefe, Telefonnummern, NetAdressen. Das betont auch Autor Sean Stewart: Das Buch sollte als Lesebuch ebenso halten wie als ARG insgesamt. Und das dürfte gelungen sein. Diese Idee war Grundvoraussetzung, als sich Stewart und Partner Weisman mit dem Thema auseinandersetzten. Also: Niemand ist gezwungen, sich das intermedial anzutun. Lies einfach das Buch, und fertig. Dass man als Leser, als „Finder“ des Tagebuchs von Cathy dann doch weiter recherchieren kann und möglicherweise das Rätsel knackt, macht den besonderen Reiz dieses Produkts aus: Warum ist Cathy verschwunden? Hat das mit ihrem verschwundenen Freund Victor zu tun? Und was hat der mit den streng geheimen chinesischen Connections am Hut? Cathy sieht zwar einiges, anderes aber übersieht sie, meint Jordan Weisman. Der Leser, die Leserin weiß da schon mehr, das reizt. Und die Web-unterstützte Recherche eröffnet eine neue Dimension. Weisman hat als Entwickler von Fan- Unverkennbar Tomi Ungerer: Grafikkunst mit Tiefgang Lesen & mehr Sean Stewart und Jordan Weisman hatten eine Idee. Herausgekommen ist ein Buch mit Zusatznutzen. Mit den Erfindern dieses interaktiven Jugendromans, „Cathy’s Book“, sprach NILS JENSEN. 58 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 ILL: AUS „CATHY’S BOOK“/BAUMHAUS (3) D 58-61 junior 15.01.2008 17:44 Uhr Seite 59 Cathy’s Book – Lesestoff mit Mehrwert tasy-Rollenspielen begonnen. Machte weiter mit PC-Spielen (von denen einige millionenfach verkauft wurden), schließlich wurde er Leiter der gesamten Abteilung „Unterhaltung“ bei Microsoft. Damit nicht genug, gründete er weitere Firmen, darunter „42 Entertainment“. Die spezialisierte sich auf den damals noch völlig unbeackerten Bereich Alternate Reality Game. Und Cathy’s Book ist ein Produkt dieser Ideenschmiede. Ein Lese- und Actionbuch. „Viele sagen heute, die Kinder lesen nicht mehr. Das stimmt nicht. Sie lesen mehr als jemals, nur halt nicht ausschließlich zwischen Buchdeckeln.“ Weisman betont das mit Nachdruck. „Das ist doch ziemlich erfreulich. Weil wenn ich’s vergleiche mit meiner Generation damals ... da hat man ja kaum was gelesen, da hockte man vorm Fernseher. Das Internet heute unterstützt eigentlich das Lesen, hat es noch verstärkt.“ Warum heißt die Hauptfigur eigentlich gerade Cathy? Etwa, weil die Zeichnerin des Buches, die diese netten Illustrationen entwarf, Cathy Briggs heißt? Weisman grinst, sagt: Vielleicht, und weist auf eine deutsche Austauschschülerin hin, die einst bei seiner Familie wohnte und lebte, sie hat wohl zur Cathy inspiriert. Jedenfalls ist den beiden Autoren mit dieser Protagonistin eine starke Figur gelungen, die vor allem bei den Leserinnen bestens ankommen dürfte. So stand die US-Originalausgabe auf der Bestsellerliste der New York Times, knapp 200.000 Ausgaben sind bis heute verkauft. Und die ersten Reaktionen von deutschsprachigen Leserinnen der entsprechenden Altersgruppe, die ich im Bekannten- und Freundeskreis erhob, sprechen eine eindeutige Sprache: begeisterte Zustimmung. Jungs schreiben kein Tagebuch – oder? www.vonidiotenumzingelt.de Sean Stewart, Jordan Weisman |Cathy’s Book| Baumhaus 2007, 176 S., EurD 16,90/EurA 17,40/sFr 30,60 SPEZIALTIPP ILL: AUS „PRINZESSINNEN“/CBJ PRINZESSINNEN Ein ungewöhnliches Bilder- und Schaubuch, an das man sich jedoch schnell gewöhnt: „Prinzessinnen“ von Philippe Lechermeier. Der gebürtige Straßburger hat diese verzweigte, verästelte Historie entworfen, und zusammen mit den zauberischen Illustrationen von Rebecca Dautremer ist dadurch ein kleines Buch-Kunststück entstanden. Eine quasi wissenschaftliche Aufzählung der verschiedensten Prinzessinnen-Typen, von der Prinzessin „Wölkchen“ (aus der Familie der Faulpelzkönige) bis zur verwöhnten „Kapriziosa“. Inklusive ausführlichem Anhang (Prinzessinnen auf Reisen; Vertraute&Freunde; Verkleidungen etc.) und in Genuss förderndem Großformat ein wahres Fundstück für all jene, die gerne Detailreiches und zugleich Spielerisches erkunden. (Ganz geheim: Es gibt sogar einen Prinzessinnen-Test!) CHRISTA HIMMELBAUER *EFF+INNEY 'REGS4AGEBUCH 6ON)DIOTENUMZINGELT eBERSETZUNG#OLLIN-C-AHON XCM3EITEN(ARDCOVER )3". `! Ein ComicRoman von Jeff Kinney Philippe Lechermeier |Prinzessinnen| Übers. v. Antoinette Gittinger, Ill. v. Rebecca Dautremer. cbj 2008, 92 S., EurD 19,95/EurA 20,60/sFr 34,90 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 "AUMHAUS6ERLAG'MB( WWWBAUMHAUSVERLAGDE 58-61 junior 17.01.2008 16:08 Uhr Seite 60 Hilfe! Die Bienen sind krank! JUNIOR Köstliches Schau-Buch: Lulu im Museum Wer bestäubt die Pflanzen, damit wieder Früchte wachsen? Poesie in Bild & Text Überzeugende Illustrationen und bestechende Inhalte: BieBu Mein Bienen- und Blümchenbuch Bilderbuch € 14,90 / sFr. 27,90 ISBN 978 3 7017 2034 7 www.residenzverlag.at Nilpferd im Residenz Verlag Es erstaunt doch, wenn zum hundertsten Todestag eines bedeutenden Künstlers so viel Tamtam gemacht wird, sein 175. Geburtstag vor knapp einem Jahr jedoch beinahe unbemerkt vergangen ist. Es geht um Wilhelm Busch, der die Bilder das Gehen und Sprechen lehrte und damit bis heute ein Vorbild für die größten Comic-Künstler ist. 1832 als Kind einfacher Leute in der Nähe von Hannover geboren, starb er reich und berühmt in der Nähe von Göttingen Anfang 1908. Nun erschien eine Reihe von Biografien, ich möchte aber auf ein besonderes Bilderbuch hinweisen. Darin sind elf Gedichte Buschs versammelt, diesmal aber nicht mit Bildern des Urvaters der Neunten Kunst, sondern von einem kongenialen Kollegen illustriert, von Klaus Ensikat: „Es sitzt ein Vogel auf dem Leim ...“ Ein Versbüchlein für die ganze Familie, auch wenn’s der Verlag „Poesie für Kinder“ untertitelt. Ein weiteres Buch für Groß & Klein und eine bestens bekannte Geschichte obendrein ist „Alice im Wunderland“. Diesmal illustriert von der vielfach ausgezeichneten Wiener Künstlerin Lisbeth Zwerger. Ein Hausbuch der Sonderklasse. Die bestechenden Bilder Zwergers unterstreichen pointiert den Carrollschen Text, den kein Geringerer als Christian Enzensberger übersetzt hat, der auch ein erläuterndes Nachwort mitlieferte. Ebenfalls wiederaufgelegt ist „Lulu im Museum“, diese köstliche Geschichte um die kleine Lulu, die ihren Vater plus kleinen Bruder ins Museum begleiten muss, obwohl sie viel lieber im Schnee herumtollen würde. Sie raunzt und quengelt, bis sie der Vater im Museumsfoyer aufs Sofa platziert: „Bis deine Laune besser ist, dann triffst du uns bei den Dinos“, sagt er und startet mit dem Brüderlein im Tragesack. Schon im nächsten Moment beginnt Lulus wundervolles Abenteuer: Zwei Putten, die sich aus ihren Bilder lösen, schnappen die raunzende Kleine und machen sich mit ihr auf eine besondere Museumstour. Das Bilderbuch ist bereits 1990 auf Deutsch erschienen, damals unter dem etwas holperigen Titel „Lulu und die fliegenden Babys“ . Ein Museumsbesuch der anderen Art, mit Witz und Vergnügen, wie sie junge Leser ab dem Vorlesealter bestimmt fesseln wird. DIE BÜCHER Wilhelm Busch |Es sitzt ein Vogel auf dem Leim ...| Ill. v. Klaus Ensikat. Kindermann 2007, 32 S., EurD 15,50/EurA 16/ sFr 27,80 Lewis Carroll |Alice im Wunderland| Übers. v. Christian Enzensberger, Ill. v. Lisbeth Zwerger. Kein & Aber 2007, 136 S., EurD/A 24,90/sFr 42,50 Posy Simmonds |Lulu im Museum| Übers. v. Erica Ruetz. Diogenes 2007, 24 S., EurD 14,90/EurA 15,40/sFr 26,90 BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 ILL: AUS „LULU IM MUSEUM“/DIOGENES Michael Stavarič / Renate Habinger Drei Bilderbücher, die mehr sind als bunte Begleiter – jeweils ein Klassiker aus England und einer aus Deutschland sowie ein überraschender Museumsbesuch. VON HANNA BERGER 58-61 junior 15.01.2008 17:18 Uhr 3x3 Seite 61 BUCHTIPPS FÜR ALLE ALTERSSTUFEN ✮ ZUM VORLESEN, ANSCHAUEN UND FÜR ERSTLESER Weiß weiß Bescheid von Paul Köntopp, Baumhaus 2004, 24 S., EurD 9,90/EurA 10,20/sFr 18,10. Ein buntes Farben-Entdecker-Buch mit amüsanter Geschichte: Da macht sich Weiß an einem grauen Regentag auf, um was Helles zu finden, sucht die Farbe Gelb. Und findet die erst mithilfe anderer Farben. Die aquarellierten Bilder passen bestens! Wenn ich einmal groß bin sagt das Kind von Gerda Anger-Schmidt, Ill. v. Angelika Kaufmann, Bibliothek der Provinz 2007, 32 S., EurD/A 20/sFr 35. Ein Mutmach-Buch, und ein gescheites dazu: Was alles sein kann, „wenn ich einmal groß bin“, und wie die ärgsten Klippen elegant umschifft werden können, beschreiben die kurzgehaltenen Texte, begleitet von den verspielten wie prägnanten Illustrationen. Leon Pirat von Christine Nöstlinger, Ill. v. Thomas M. Müller, Beltz & Gelberg 2007, 32 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 25,30. Leon auf dem Kaperschiff seines Piraten-Vater-Kapitäns, und dann das: Der Koch geht über Bord, und keiner sonst kann kochen. Vor Hunger sterben ist noch schlimmer als vor Kummer sterben, resümiert der kleine Pirat, und damit steht seinem Erfolg als erster Koch im Kapitänsrang nichts mehr im Wege. Wahrlich köstlich! ✮ FÜR LESERATTEN AB 8 An der Arche um Acht von Ulrich Hub. Illustriert v. Jörg Mühle. Sauerländer Patmos 2007, 64 S., EurD 13,90/EurA 14,30/sFr 24,90. Eine gelungene Version der Arche-Noah-Geschichte, mit diversen Preisen ausgezeichnet. Da streiten sich im wahrsten Sinn des Wortes drei Pinguine „über Gott und die Welt“. Nicht nur für den Ethikunterricht bestens geeignet, auch als Hausbuch brauchbar. Alle deine Zähne von Nathalie Tordiman. Ill. v. Jörg Mühle. Hanser 2007, 48 S., EurD 12,90/EurA 13,30/sFr 23,60. Ein heikles Thema, bestens verpackt und sauber dargereicht: Zähne und Zahnpflege bis hin zum Zahnarzt. Wie entstehen die Zähne, wie wachsen und werden sie? Wozu brauchen wir die eigentlich, wenn sie bisweilen wehtun können? Wie hält man die Zähne ein Leben lang gesund? Antworten darauf bekommt man mit diesem Sachbuch, das noch dazu witzig aufbereitet ist. Das Haus der kleinen Forscher von Joachim Hecker. Ill. v. Sybille Hein. Rowohlt Berlin 2007, 206 S., EurD 19,90/EurA 20,50/sFr 35,40. Noch ein weiteres ausgezeichnetes Sachbuch mit Experimenten zum Selbermachen. Entstanden aus einer Initiative mehrerer privater Firmen, u. a. Siemens, soll damit der „Forschergeist in Kinderköpfen“ entfacht werden. Dürfte mit den ausführlichen Anleitungen und Fallbeispielen wohl gelingen. A. J. Lake ✮ FÜR BÜCHERWÜRMER AB 12 Heartbeat Hotel von Renée Karthee. rororo rotfuchs 2007, 188 S., EurD 6,90/EurA 7,10/sFr 13. Ein preiswertes Taschenbuch aus der Reihe „Chaos Küsse Katastrophen“, in erster Linie für junge Leserinnen gedacht. Maxi lebt in einem Hotel, das ihren Eltern gehört. Und erlebt somit hautnah Herzschmerz und Halbpension, bis auch ihr Herz etwas aus dem Takt gerät. Flotter Lesestoff! Bei Einbruch der Nacht von Marcus Sedgwick. dtv Reihe Hanser 2007, 252 S., EurD 7,95/EurA 8,20/sFr 13,95. Wer „Das Buch der toten Tage“ von Sedgwick kennt, kann sich freuen auf vorliegenden „Einbruch der Nacht“. Also etwas für Fans von Grusel&Spannung mit dem Schwerpunkt Gothic-Novel. Denn bei Einbruch der Nacht entscheidet sich das Schicksal so unterschiedlicher Personen wie einem Jungen, einem verrückten König und einem schrecklichen Phantom. Schaurig-schön! Das gestohlene Lachen von Jon Berkely. Übers. v. Gerald Jung und Katharina Orgaß. Ravensburger 2007, 400 S., EurD 16,95/EurA 17,50/sFr 30,10. Eigentlich ist Berkeley Illustrator, aber mit seinem ersten Roman hat er ein fulminantes Debüt hingelegt: einen Abenteuerroman mit leicht verzauberter Handlung und interessantem Plot. Jeder, der in den Palast des Lachens gerät, verliert die Kraft, glücklich zu sein. Doch zur Er-Lösung der Geschichte muss der Waisenjunge Miles dort hinein … Feiner Schmöker. HB BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 Eisdrache Chroniken der Dunkelheit Band 1 Prinz Adrian, Thronfolger von Sussex, ist auf der Flucht nach Gallien, da das Königreich von Feinden bedroht wird. Doch sein Schiff geht in einem Sturm unter, der von einer schrecklichen Kreatur heraufbeschworen wurde: dem Eisdrachen Taragor ... ISBN 978-3-473-34722-3 256 Seiten • 7 [A] 15,40 Ab 11 Jahren www.ravensburger.de 62-63 BK_RÄTSEL_essig! 15.01.2008 17:24 Uhr Seite 62 GEWINNSPIEL Mitmachen & Gewinnen Das anspruchsvol le UND WIEDER SIND SECHS LITERARISCHE FRAGEN ZU BEANTWORTEN, DIE ES IN SICH HABEN. Dieses Mal haben wir einen originellen Preis für Sie gefunden, nämlich feine Essigsorten der Manufaktur Gegenbauer. Seit 1929 gibt es diesen Traditionsbetrieb in Wien. Heute hat sich Erwin M. Gegenbauer der Produktion hochwertiger Essigprodukte verschrieben. Alle Essigsorten werden ohne Zusätze, naturbelassen und schonend verarbeitet. Gemeinsam ist ihnen auch die lange Lagerung, bevor sie auf den Markt kommen, und der Einsatz frischer und bester Früchte. 1 GEWINNFRAGE Schon in seinem Elternhaus wurde unser gesuchter Autor mit der Musik und vor allem der Oper vertraut gemacht. Das führte dazu, dass er später zahlreiche Libretti schreiben sollte. Er selbst komponierte Liederzyklen und Kammermusik, hatte neben Jus auch Musikwissenschaft und Klavier studiert. Schon relativ früh konnte er sich mit seinen Erzählungen und Romanen durchsetzen, doch war er als Förderer und Entdecker junger Autoren und Musiker mindestens genauso erfolgreich wie mit seinen literarischen Arbeiten. Besonders ein Autor hat ihm eine Weltkarriere zu verdanken. Zeit seines Lebens, auch nach seiner Emigration, beschäftigte er sich intensiv mit Religion und theologischen Fragen. Seine ersten Schritte als Schriftsteller begann er recht pragmatisch: Nach dem Studium suchte er einen Job, der ihm genügend Zeit für das Schreiben ließ, und zwar bei der B Post C Bahn D Versicherung 62 2 GEWINNFRAGE Unser gesuchter Autor, der heute für seine Romane bekannt und berühmt ist, schlug zuerst eine Karriere als Kaufmann ein. Dabei war er sehr erfolgreich und leitete bald drei Geschäftshäuser. Doch dann begann ein Krieg, und nach großen Verlusten musste er Konkurs anmelden. Er rappelte sich zwar wieder auf, aber bald kamen ihm seine politischen Ansichten in die Quere. Zeit seines Lebens hat er sich nämlich mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigt und zahlreiche Artikel, Essays und Traktate geschrieben. Sie fanden regen Zuspruch, doch musste er schließlich dafür ins Gefängnis. Letztlich verlegte er sich ganz aufs Schreiben. Sein erster und bis heute oft verfilmter Roman, den er erst mit 59 Jahren veröffentlichte, war allerdings eher für seinen Verleger ein gutes Geschäft. Es folgte eine Reihe weiterer umfangreicher Arbeiten, die ihm ein gutes Auskommen sicherten. Sein Vater hatte sich eine andere Karriere für seinen Sohn ausgedacht. Und zwar als E Architekt O Priester U Arzt 3 GEWINNFRAGE Er liebte, wie so manche Autoren, Bleistifte, nahm Schnitzereien an ihnen vor, hob auch die kleinen Reste auf und verschenkte sie letztlich gerne. Aber er sammelte auch begeistert Alltagsgegenstände jeglicher Art sowie Versteinerungen, die er auf langen Spaziergängen fand. Dazu hatte er Zeit, denn schon mit 39 Jahren trat er die Frühpension an. Er wollte sich mehr dem Schreiben – viel Lyrik, weniger Prosa – widmen; außerdem unterrichtete er noch Literatur. Sein Leben verlief insgesamt eher ereignislos, bis auf eine Affäre in jungen Jahren mit einer schönen geheimnisvollen Frau, die er jedoch bald löste. In seinen Gedichten, die von renommierten Komponisten vertont wurden und die ihn bekannt machten, tauchte diese Frau aber noch auf. In der Pension heiratete er dann schließlich, doch im gemeinsamen Haushalt wohnte auch seine Schwester, und so gehörten Konflikte nach einiger Zeit zum Alltag, was für den Schreibprozess auch nicht gerade förderlich war. Wie hieß seine Schwester? T Marie R Klara S Fanny BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 62-63 BK_RÄTSEL_essig! 15.01.2008 17:28 Uhr Seite 63 Hauptpreis: FOTOS: GEGENBAUER Gewinnen Sie eine exklusive Auswahl feiner Essigsorten und dazu das Standardwerk zum Thema: „Das saure Milieu“. ol le Literaturrätsel 4 GEWINNFRAGE Die Ausbildung unseres gesuchten Autors war umfassend, denn er konnte gleich mit drei Doktoraten und einer Habilitation aufwarten. Er unterrichtete einige Zeit an der Universität, entschloss sich aber später dazu, ausschließlich karitativ zu arbeiten. Dafür wurde er mehrmals ausgezeichnet, später jedoch auch heftig kritisiert. Er hatte einen Hang zur Musik und brachte es darin zu großer Fertigkeit. Besonders die Orgel war für ihn ein zentrales Instrument und im Speziellen die Musik von Bach, über den er eine umfangreiche Arbeit schrieb. Musiziert wurde gerne im familiären Kreis. Davon profitierte auch sein Großneffe, der selbst Klavier lernte und in seinen späteren Büchern häufig von einer musikalischen Grundstimmung ausging. Wer war der Großneffe? C André Malraux D Albert Camus G Jean Paul Sartre 5 GEWINNFRAGE Er hinterließ ein umfangreiches Werk und war zu seiner Zeit höchst populär. Sein bekanntestes Buch erzielte um die 300 Auflagen. Seine Leidenschaften hießen aber Wandern und Zeichnen. Die finanziellen Verhältnisse seiner Familie erlaubten ihm auch ein beschauliches Leben. Anfangs verfolgte er eine juristische Laufbahn, wurde Dozent, kurze Zeit Hofbibliothekar, und ließ sich letztlich wieder in seiner Heimatstadt nieder, wo er in Ruhe Lieder und Balladen verfassen konnte. Dort heiratete er, doch die Ehe währte kurz, und als ein Sohn auf die Welt kam, lebten die Eltern schon getrennt. Da er glaubte, die Mutter würde das Kind vernachlässigen, entführte er es kurzerhand. Erst kurz vor seinem Tod, 20 Jahre später, kam es zur Versöhnung. Der allein erziehende Vater frischte aber inzwischen die Beziehung zu seiner nun verwitweten Cousine wieder auf. Wie hieß sie? A Caroline E Emma O Josephine FOTO: ARCHIV, CZECH TOURISM 6 GEWINNFRAGE Da sein Vater früh starb und ihm ein ansehnliches Vermögen hinterließ, konnte sich unser gesuchter Autor ganz den Studien widmen. Zuerst interessierte er sich für Medizin, dann für die Philosophie, und er beschäftigte sich später mit altindischen Lehren. Er strebte eine Universitätskarriere an, doch einige Versuche schlugen fehl, was auch damit zusammenhing, dass er gegen seine Kollegen, besonders wenn sie erfolgreicher waren, mitunter sehr scharf argumentieren konnte. Schon zu Lebzeiten hatte er zahlreiche Leser und Anhänger, doch nach seinem Tod wuchs der Einfluss seiner Arbeiten beständig an und wurde prägend für einen Großteil der modernen Literatur. Er war nicht unbedingt leutselig. Die Gesellschaft von Männern fand er unnötig. Die von Frauen akzeptierte er widerwillig, aber die von Hunden schätzte er. Zeit seines Lebens hatte er einen Hund, und zwar immer einen P Mops T Spitz S Pudel BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 DER HAUPTPREIS: Eine köstliche Auswahl exklusiver Essige, wie ein Spargel-Essig, passend zum Frühjahr, ein verführerischer Weinessig aus einer Bouvier Beerenauslese und ein milder Apfel-Balsam-Essig. Alle stammen aus der Essigmanufaktur Gegenbauer. Dazu gibt es das sicher beste Buch zum Thema: „Das saure Milieu“ (Verlag Holzhausen) von Christa Hanten und Peter Hämmerle. Eine Reise zu den wichtigen Essigproduzenten der Welt, wo man erfährt, wie etwa Balsamessig aus Modena wirklich hergestellt wird und warum er so teuer ist. Teilnahmebedingungen: Das Buchkultur-Literaturrätsel geht in die nächste Runde. Lösen Sie das „Literarische Rätsel“ dieser Ausgabe und schicken Sie uns die Antwort. Aus den Buchstaben der 6 Fragen bilden Sie das Lösungswort. Kleiner Tipp: Das gesuchte Lösungswort ist der Nachname eines renommierten Autors, der sich gerne vorlesen ließ und einen Hang zu Bibliotheken hatte. 1 2 3 4 5 6 Die Gewinne werden unter den TeilnehmerInnen verlost, die das richtige Lösungswort bis zum 3. März 2008 eingesandt haben. Die Gewinnspielteilnahme ist bei gleichen Gewinnchancen auch mit einfacher Postkarte oder über unsere Website möglich (www.buchkultur.net). Schreiben Sie an: Buchkultur VerlagsgmbH., Hütteldorfer Str. 26, 1150 Wien, Österreich, Fax +43.1.7863380-10 E-Mail: [email protected] Eine Barauszahlung ist nicht möglich. Die GewinnerInnen werden von der Redaktion benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Auflösung von Heft 114: Der gesuchte Autorname war: Dobský, d. i. Marie von Ebner-Eschenbach Die GewinnerInnen sind: Hauptpreis: Frau Anna Huber, Salzburg • Buchpreise: Herr Gerhard Horn, Neuhausen • Frau Gisela Jager, Bürmoos • Frau Susanne Maas, Steinheim • Frau Petra Meyer-Gattermann, Hessen-Oldendorf 63 64-65 BK cafe 15.01.2008 17:38 Uhr Seite 64 B U C H K U LT U R C A F É FOTO: JUERGEN WIESER K O M M E N TA R Der Büchernarr, der Dandy und ich VON CHRISTIAN TEISSL D ie Redeweise von der „Leseratte“ und dem „Bücherwurm“ habe ich immer als Zumutung empfunden; als „Büchernarr“ bezeichnet zu werden halte ich jedoch nach wie vor für ein Kompliment. Dass allerdings auch die Prägung dieses Begriffs ursprünglich eine andere, weit weniger positive war, davon zeugt Sebastian Brants „Narrenschiff“, ein großer, Ende des 15. Jahrhunderts entstandener und von Dürer illustrierter Narrenreigen in Versen, den nicht von ungefähr ein Büchernarr eröffnet: „Daß ich im Schiffe vornan sitz'/ das hat fürwahr besondern Witz;/ ohn Ursach kam ich nicht dahin:/ nach Büchern trachtete mein Sinn,/ von Büchern hab ich großen Hort,/ versteh' ich gleich drin wenig Wort',/ so halt' ich sie doch hoch in Ehren:/ Es darf sie keine Flieg' versehren.“ Brants Büchernarr setzt sich eine Brille auf die Nase und umgibt sich mit dicken Folianten, die er wie Fetische hegt und pflegt, in der Hoffnung, so vor aller Welt als Gelehrter zu gelten. Zu ihm in scharfem Gegensatz steht der absichtslose, müßiggängerische Leser, wie ihm Richard von Schaukal in seinem Buch „Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser“ (1907), einer Hommage an das Wiener Dandytum jener Jahre, seine Stimme geliehen hat. „Man stößt auf Bücher“, sagt der Dandy, „berühmte und unberühmte, wie man Bekanntschaften macht, in Seebädern, Höhenluftkurorten, auf dem Verdeck. Mir fällt ein Buch von Goltz, von Immermann, von Hauff, von Baudelaire, von Dickens in die Hand; ich lese darin auf einer Tagesfahrt in die Alpen: die Lokomotive verkündet pfeifend die Station, ich springe auf, werfe das Buch zu oberst in die ausgezeichnete englische Ledertasche vor mir (...). Vielleicht in Jahren schlage ich das Buch wieder auf, erinnere mich jener Tagesfahrt, rieche den Duft der langen Lindenallee, durch die man zum Schloß M. fährt ...“ Entscheidender als der Zeitpunkt einer Lektüre ist ihr Ort. Als passionierter Querfeldeinleser entwickelt man in der Folge zwar kein gutes Textgedächtnis, dafür aber fast wie von selbst ein gutes Ortsgedächtnis. So auch Schaukals Dandy, der im Vorübergehen liest und dabei ganz auf den Zufall vertraut. Ich für meinen Teil will mich nicht auf den Zufall verlassen und lese daher ebenso systematisch wie stationär: Zeitungen nach Möglichkeit auf der Toilette, Wissenschaftliches am Schreibtisch, Romane am Küchentisch, Kriminalromane bei offenem Fenster, Satiren bei geschlossenem, Biografien im Bett, Gedichte und Briefe allüberall. Christian Teissl, geboren 1979, lebt in Graz, wo er an einer germanistischen Dissertation und als Verlagslektor arbeitet. Er veröffentlichte Gedichtbände und ein Buch über den Lyriker Michael Gutenbrunner. 64 BuchTV 2.0 – das neue Videoangebot rund um Bücher und Medien Ab Mitte Februar 2008 gibt es BuchTV ganz neu. Aufgeteilt in unterschiedliche Channels zu spannenden und informativen Themen. Ob man sich für Krimis, Geschichte, Hörbücher, Autoren oder elektronische Medien interessiert: BuchTV bietet ausreichend Videos zu all diesen und zahlreichen anderen Themen. Und natürlich viele, viele Lesetipps. Denn beliebte Rubriken wie das Buchkultur-Café oder die Autorenporträts wird es natürlich auch weiterhin geben. Also: Viel Spaß bei BuchTV 2.0 – unter www.buch.tv IMPRESSUM Buchkultur Nr. 115 Februar/März 2008 ISSN 1026–082X Anschrift der Redaktion A-1150 Wien, Hütteldorfer Straße 26 Tel.: +43/1/786 33 80-0 Fax: +43/1/786 33 80-10 E-Mail: [email protected] Eigentümer, Verleger Buchkultur VerlagsgesmbH., A-1150 Wien, Hütteldorfer Straße 26 Herausgeber| Michael Schnepf, Nils Jensen Chefredaktion| Tobias Hierl Art Director| Manfred Kriegleder Chef vom Dienst| Hannes Lerchbacher Redaktion| Konrad Holzer, Ditta Rudle, Sylvia Treudl, Hannes Vyoral Redaktion Berlin: Richard Christ Mitarbeiter dieser Ausgabe| Hanna Berger, Lorenz Braun, Simon Eckstein, Dörte Eliass, Heike Fetz, Matthias Goldmann, Sylvia Hess, Peter Hiess, Alexander Kluy, Márius Kopcsay, Andreas Kremla, Thomas Leitner, Christa Nebenführ, Karoline Pilcz, Elisabeth Putz, Andreas Resch, Marlen Schachinger, Rainer Scheer, Brigitte Schneider, Helmuth Schönauer, Beatrice Simonsen, Horst Steinfelt, Christian Teissl, Klaus Zeyringer, Anna Zierath Geschäftsführung, Anzeigenleitung| Michael Schnepf Vertrieb| Christa Himmelbauer Abonnementservice| Agnes Posch, Tel. DW 25, E-Mail: [email protected] Druck| Bauer Druck, A-1110 Wien Vertrieb| D: W. E. Saarbach GmbH (Kiosk) Ö: Mohr Morawa, A-1230 Wien, Morawa Pressevertrieb, A-1140 Wien Erscheinungsweise| jährlich 6 Ausgaben sowie diverse Sonderhefte Preise, Abonnements| ■ Einzelheft: Euro 4,35 ■ Jahresabonnement: Euro 25 (A)/Euro 28 (Europa)/Euro 31 (andere) ■ Studentenabonnement: Euro 17 (A)/Euro 20 (Europa) (Inskriptionsbest. Kopie!) Auflage| 15.100 Die Abonnements laufen über 6 Ausgaben und gelten, entsprechend den Usancen im Pressewesen, automatisch um ein Jahr verlängert, sofern nicht ein Monat vor dem Ablauf die Kündigung erfolgt. Derzeit gilt Anzeigenpreisliste 2008. Über unverlangt eingesandte Beiträge keine Korrespondenz. Namentlich gezeichnete Beiträge müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen. Copyright, wenn nicht anders angegeben, bei den Urhebern bzw. den Rechtsnachfolgern. Wir danken den Verfügungsberechtigten für die Abdruckgenehmigung. Alle Preisangaben sind ohne Gewähr. Gefördert von Im Internet: www.buchkultur.net BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 64-65 BK cafe 15.01.2008 17:41 Uhr Seite 65 B U C H K U LT U R C A F É >Zeitschriftenschau@ die horen 228 Die Lyrik, ach ja – ein Stoßseufzer, der vielen wohlbekannt sein dürfte. Ist die kurze Form, die Verdichtung, doch lange schon ein Stiefkind, unserer Aufmerksamkeit ungewiss, zugleich nicht so zugänglich wie die liebe Erzählung oder der ernste Roman. Und doch: immer wieder Lichtblicke, wie diesmal die neue WinterAusgabe der Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik im 52. Jahrgang, die horen. Herausgeber Johann P. Tammen stellte den Hauptteil des Heftes zusammen: „Die Poesie und ihre Masken“, Gedichte aus Schottland, Weißrussland und anderen Gegenden. Vor allem der Blick nach Weißrussland ist interessant: Hierzulande ist die Literatur dieses nahen-fernen Landes kaum geläufig, daher ist diese Zusammenstellung umso lesenswerter. Die Nachdichtungen stammen von Katharina Narbutovic, die zusammen mit Valzyna Mort für die Auswahl und Zusammenstellung verantwortlich zeichnet, von Elke Erb, Hendrik Jackson, Martina Mrochen und Uljana Wolf. (Sie seien stellvertretend für die Urheber genannt, deren Namen es – dank der Hilfe der ÜbersetzerInnen – erst zu entdecken gilt.) Und noch einmal Lyrik, aus Schottland. Zwei schottische Lyrik-Anthologien der jüngsten Zeit liegen der Auswahl zugrunde („Dream State“, „The Order of Things“). Kein spezieller Überblick soll geboten werden, dafür aber kommen „herausragende schottische Dichterstimmen aus verschiedenen Generationen und mit unterschiedlichen poetischen Ansätzen“ zu Wort. Ebenfalls erstklassig übertragen, ermöglicht diese Sammlung eine interessante Gegenüberstellung der weißrussischen und der schottischen Sichtweisen und Schreibarten. Im Weiteren noch Porträt und Gespräch mit dem Holz-Bildhauer Rudolf Wachter. Eine seiner Stamm-Skulpturen steht ja im Park von Passignano, wo auch Paul Wühr seinen Wohnsitz hat. Und Paul Wühr wird aus gegebenem Anlass (zum runden Geburtstag) ebenso gewürdigt wie Ludwig Harig und Jay- ne-Ann Igel (Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung). Zum Abschluss das Bücherforum mit diversen Besprechungen und Rezensionen. Info: www.die-horen.de Zwischenwelt 1/2 2007 Eine Zeitschrift, die im Untertitel „Literatur. Widerstand. Exil“ führt. Verdienstvoll, mag man da denken, aber sonst? Dabei ist die im 24. Jahrgang in Wien erscheinende „Zwischenwelt“ nicht nur eine verdienstvolle, sondern auch eine besonders (wieder-)lesenswerte Schrift. Bringt sie doch immer wieder Texte von und Porträts über verdrängte, verstorbene, zu Unrecht vergessene Autorinnen und Autoren. Heinz R. Unger macht sich diesmal Gedanken zum „Schicksal schreiben“ anlässlich seiner Laudatio zu Jakov Lind, der kurz vor Verleihung des Theodor-KramerPreises 2007 verstarb. Und Erich Hackl nennt seinen Beitrag streng und bündig „Aufforderung, endlich Diego Viga wahrzunehmen“, zum 100. Geburtstag des österreichischen Erzählers Paul Engel vulgo Diego Viga. Weitere Entdeckungen und Würdigungen bitte selbst nachlesen! Info: [email protected] Lettre international 78 Großformatig, eine stets gelungene Mischung von Lesen und Schauen, diesmal zum Beispiel mit einer „Deutschstunde“, darin: eine Heine-FreudMiniatur von Klaus Heinrich, Grischa Meyer auf den Spuren von Brecht und Picasso am Beispiel „Guernica“, Christian Lindner wandelt durch „Bölls gesammelte Welt“ und Renate Kramer entbietet eine Landpartie. Empfehlenswert auch Auszüge von Martha Gellhorns Korrespondenz (sie war lange Hemingways Geliebte, vier Jahre auch seine Angetraute), und, neben den anderen bildnerischen Beigaben, der nachdrückliche Hinweis auf den Photoessay des portugiesischen Objektkünstlers Jorge Molder, „Pinocchio“. Info: www.lettre.de Jeremy Scahill BLACK WATER Die blendend dokumentierte Enthüllungsgeschichte über die größte Privatarmee der Welt. Spannend wie ein Thriller. Unglaublich packend erzählt und von großer politischer Sprengkraft … Auf Jahre hinaus das wichtigste und bestürzendste Buch über die tödlichen Gefahren, die der US-Demokratie drohen, ein Triumph des investigativen Journalismus. NAOMI KLEIN Von allen aberwitzigen Privatisierungskampagnen ist keine erschreckender als die Übertragung militärischer Macht an Privatfirmen. Jeremy Scahill enthüllt ein vernichtendes Beispiel dieses finsteren Plans. Bewundernswert! MICHAEL MOORE 352 Seiten, geb. , Euro 22,60, ISBN 978-3-88897-512-7 Offenlegung lt. §25 Mediengesetz | Eigentümer: Buchkultur Verlagsges.m.b.H (geschäftsführender Gesellschafter: Michael Schnepf). Unternehmensgegenstand: Herausgabe von Druckwerken rund um die Buch- und Medienbranche, redaktionelle Dienstleistungen, Konzeption und Durchführung von Branchenaktivitäten. Sitz: Österreich, 1150 Wien, Hütteldorfer Str. 26. Grundlegende Richtung: Redaktionell unabhängige Informationen und Service zum Thema Buch und Lesen sowie buchnahe Medien. verlag antje BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 kunstmann 66_schlußpunkt 15.01.2008 17:47 Uhr Seite 66 SCHLUSSPUNKT● is vor kurzem fuhren die Einwohner von B Bratislava zum Konzertbesuch nach Wien, um Sänger und Gruppen der ersten wohl es dank des nahen Fabrikkamins beim Blick vom anderen Donau-Ufer auffällig an ein Kraftwerk erinnert.) Liga zu hören, die es – unterwegs von Prag Außer dem Slowakischen Nationaltheanach Wien oder Budapest – nicht geschafft ter hat Bratislava auch einige kleinere Bühhatten, einen Zwischenstopp in der Slowa- nen – das Musicaltheater Nová scéna, Astorkei einzulegen. Einigen gelingt das inzwi- ka, Štúdio L + S und das Underground-Theaschen, wenigstens ab und zu. David Bowie ter GuNaGu. oder die Rolling Stones waren bisher nicht Trotzdem fehlt mir zum Beispiel das Brain Bratislava, aber dafür spielten Depeche tislavaer Theater Stoka, das in einer Art und Mode oder Sting voriges Jahr hier, und die- Weise entstanden ist, wie es sein sollte – ses Jahr kamen die französische Gruppe Air, nämlich nicht aus dem Willen von PolitiGeorge Michael und der Jazzmann Marcus kern und Beamten, sondern dank der schöpMiller oder die Blueslegende Joe Cocker. ferischen Begeisterung des Regisseurs Blaho Klar, Wien hat trotzdem noch immer ein Uhlár und seiner Kollegen, die zuerst eine anderes Format. Hier kann man große Sachen klare Vorstellung darüber hatten, welches wie Bilder von Monet bis Theater sie spielen wollten, Picasso, aber auch eine Menund erst dann versuchten, ihr ge von kleineren und ganz Projekt unter Dach und Fach kleinen Sachen sehen. Man zu bringen. Leider wurde dieschaut zum Beispiel auf der ses Theaterkapitel nach vieStraße durch die Schaufenslen Jahren wechselhafter fiter der Galerie Atrium et nanzieller ÜberlebensproArte und bemerkt plötzlich, bleme endgültig geschlosdass es dort eine Ausstellung sen, und mit ihm ging auch des tschechischen Künstlers ein angenehmer Raum autoFrantišek Skála gibt, der nomer Kultur unter. Das Geunlängst auch in Bratislava bäude ging unter dem Aufausstellte und der – neben Márius Kopcsay wurde am 21. bau von Hochhäusern verloseinem Hauptberuf – auch April 1968 in Bratislava gebo- ren, in denen ähnliche PoeMusiker und Schauspieler des ren. Er ist verheiratet, hat zwei sie sicher nicht zu finden sein Prager Theaters Sklep ist. Söhne und arbeitet als Redakteur wird. Im Stadtzentrum funDas Kulturleben sollte der Tageszeitung Pravda. Im Ver- giert der autonome Kulturnämlich aus einem bunten lag L.C.A. sind drei Erzähl- raum A4, in dem auch die Angebot bestehen. Aber die- bände erschienen. 2005 wurde Theatergruppe Skrat, die an ses will in Bratislava irgend- sein Roman Domov (Das Zuhau- den Stil von Stoka anknüpft, wie nicht erneuert werden. se) publiziert, für den er im litera- tätig ist. Es ist nur eine FraDas Theater ist ein Para- rischen Wettbewerb Großer Preis ge der Zeit, wie lange es dem debeispiel dafür, wie die Kul- für Osteuropäische Literatur einen starken kommerziellen Druck turaktivitäten unter ein Dach, der Preise in Form des einmona- standhalten wird, hinter dem nämlich in das Betongebäu- tigen Stipendiums in Wien gewon- das Interesse an lukrativen de des Slowakischen Natio- nen hat. Aktuell schreibt er an Räumlichkeiten im Herzen naltheaters umgesiedelt wur- seinem nächsten Roman unter dem der Stadt steht. Das sind anden, weil sich die Kommu- Arbeitstitel Mystifikátor (Mysti- schauliche Beispiele dafür, nisten das irgendwann aus- fikator). was dem Kulturleben in Bragedacht hatten und die detislava fehlt und was das Kulmokratischen Regierungen diesen Unsinn turleben in Wien beinhaltet. dann nicht mehr stoppen konnten. (Die österKultur meint nämlich nicht nur Kunstreichische Öffentlichkeit kann sich mit der werke. Im breiteren Sinne geht es um etwas Tatsache beruhigen, dass das Theater im wesentlich Allgemeineres. Es geht um die Unterschied zu anderen Betonkolossen we- Lust des Menschen zu schaffen, seine Gefühnigstens keinen Atomabfall produziert, ob- le, Erlebnisse und Haltungen auszudrücken 66 In Kooperation mit KulturKontakt Austria lassen wir an dieser Stelle in jeder Ausgabe eine Autorin / einen Autor des writerin-residence-Programms zu Wort kommen. BUCHKULTUR 115 | Februar/März 2008 FOTO: PRIVAT Das tägliche Kulturleben und mit anderen Menschen zu kommunizieren. Kultur – das sind eingebürgerte Regeln, die uns zwingen, gute Dinge zu tun, Rücksicht auf unsere Umwelt zu nehmen, und die uns ganz natürlich daran hindern, Böses zu tun. Kultur ist das, was aus uns Menschen macht. Und nur dank der Kultur kann unser Leben auch würdig und angenehm sein. Kultur bedeutet also nicht zuletzt die Möglichkeit, unsere Freizeit nützlich und angenehm zu gestalten, Freunde zu treffen und zu diesem Zwecke auch einen Lebensraum zu haben. Deswegen kann man auf allen Wiener Straßen, Plätzen oder in Höfen einen Sportplatz, einen Park, Grünflächen – einfach ein paar Quadratmeter, die für Menschen und ihr Wohlbefinden bestimmt sind – vorfinden. In Bratislava wird jedes freie Grundstück zum Bauplatz, und anschließend verwandelt es sich in ein Hochhaus oder ein sogenanntes polyfunktionelles Objekt, das alles und nichts ist. Büros, Laminat und Glas, Aluminium, kalte Gänge, leuchtende Neonlichter und große Aufschriften „for rent“. In Wien bilden traditionelle Kaffeehäuser, in denen keine Spielautomaten lärmen und das Personal nicht unfreundlich wird, weil der Gast bei einem Kaffee oder einem Bier sitzt, einen Bestandteil der Kultur. Bratislava ging mit seinen traditionellen Kaffeehäusern stiefmütterlich um. Café Luxorka, das von Schriftstellern besucht wurde, existiert nicht mehr. Stefanka war eine Zeit lang ein chinesisches Restaurant, eine Weile gar nichts, bis es wieder in seiner heutigen Gestalt hergestellt wurde. In Wien und in Bratislava kann man offensichtliche Spuren einer gemeinsamen Tradition finden, aber diese Tradition wurde bei uns durch vier Jahrzehnte Kommunismus zerstört, und heute wird dieses Vakuum um so wilder durch den Marketing-Terror der Konsumgesellschaft aufgefüllt. Menschen, die Geld und Macht haben, mangelt es oft an einer kulturellen Dimension, und so geben sie der Gesellschaft erfolgreich ihre unkulturelle Prägung. Die Rockstars kommen zwar schon ab und zu nach Bratislava, aber wegen des täglichen Kultur(er)lebens ist es noch immer ratsam, nach Wien zu fahren. BUCHLIEBLING-WAHL vom 31. Jänner bis 15. März 2008 Holen Sie sich das neue Buchliebling-Magazin im ausgewählten Buch-Fachhandel! Kostenlos! Wählen Sie Ihre Lieblingsbücher! Unter allen Teilnehmern werden tolle Preise verlost: Reise, Digitalkameras, Künstler-Farbstifte, Global-Translators ... Ausführliche Informationen unter www.buchliebling.com Österreich wählt seine Lieblingsbücher 2008 Stimmzettel im Buchhandel abgeben oder einsenden an: Verlagsbüro Schwarzer, Ziegelofengasse 27/1/2, 1050 Wien Eine Initiative des Verlagsbüros Schwarzer in Kooperation mit Welches der Bücher, die Sie im letzten Jahr gelesen haben, verdient es, als Buchliebling nominiert zu werden? sowie zahlreichen Partnern aus der österreichischen Medienlandschaft ERWACHSENE Wählen Sie aus diesen acht Kategorien Ihre Lieblingsbücher: Biografien | Literatur | Krimis/Thriller | Geschichte/Politik/Wirtschaft | Hörbuch | Kochen | Gesundheit/Wellness/Reise/Sport | Wissen/Kunst/Kultur Autorin/Autor Buchtitel Kategorie Verlag ISBN KINDER & JUGENDLICHE aus den Kategorien: Bilderbuch | Kinderbuch | Jugendbuch | Hörbuch | Schulbuch | Wissen/Nachschlagen/Lernhilfen Autorin/Autor Buchtitel Kategorie Verlag ISBN LIEBLINGS-BUCHHANDLUNG & LIEBLINGS-BUCHHÄNDLER(IN) Name der Lieblings-Buchhandlung / Ort Name der Lieblings-Buchhändlerin/des Lieblings-Buchhändlers ABSENDER Stimmzettel in der Buchhandlung abgeben oder einsenden an das Verlagsbüro Schwarzer, Ziegelofengasse 27/1/2, 1050 Wien Vorname / Nachname PLZ Geb. Dat. Inserat_buchkultur_01_2008.indd 1 Ort Straße Telefon E-Mail 20.12.2007 15:19:57 buchkultur_115_08_diogenes_h01.qxp:hc_standard.qxd 11.12.2007 14:31 Uhr Seite 1 Diogenes www.diogenes.ch Ein wohlhabender Junggeselle, der sich von der Liebe nichts mehr verspricht. Eine schöne junge Frau mit schillernder Vergangenheit. Ein Bild und sein Preis. Eine Auktion, die die Kunstszene in Aufruhr versetzt – und einige Zukurzgekommene, die teilhaben wollen am großen Geld. »Martin Suter schreibt aufregende, gut und nahezu filmisch gebaute Geschichten; er fängt seine Leser mit schlanken, raffinierten Plots.« Wie können wir wissen, wer wir sind, wenn wir nicht wagen, was in uns steckt? Ein Junge namens Baby wächst ohne Eltern in einem Kibbuz auf und interessiert sich brennend für Brieftauben. Er ahnt nicht, dass ihm neun Jahre später das Wissen über diese Brieftauben von großem Nutzen sein wird, um den sehnlichsten Wunsch seiner Geliebten zu erfüllen. Die Geschichte einer alten Liebe, die eine neue wurde, zu verlöschen drohte – und doch siegte. »Ein brillantes Stück Literatur von einem der besten Autoren unserer Zeit.« Tages-Anzeiger, Zürich Der Spiegel, Hamburg Auch als Diogenes Hörbuch Auch als Diogenes Hörbuch 208 S., Ln., € (D) 18.90 / sFr 33.90* / € (A) 19.50 304 S., Ln., € (D) 19.90 / sFr 35.90* / € (A) 20.50 Auch als Diogenes Hörbuch 320 S., Ln., € (D) 19.90 / sFr 35.90* / € (A) 20.50 Harry Driscoll, 26, tut alles, um ein klischeefreies Leben zu führen, beruflich wie privat. Das größte Klischee von allen ist für ihn die Liebe. Bis Evie auftaucht und er merkt, dass Liebe neu erfunden werden kann, wenn sich dafür nur die richtigen Verrückten finden. »Der witzigste Junger-Mann-inNew-York-Roman seit langem.« Die Heldin des neuen Romans von Paulo Coelho ist eine junge Rumänin, die als Kind von libanesischen Christen adoptiert wurde. Jetzt wohnt sie in London und führt dort das Leben einer modernen, erfolgreichen jungen Frau. Durch das Tanzen entdeckt sie plötzlich übernatürliche Kräfte in sich, die sie zutiefst verstören. Und nicht nur sie … Bret Easton Ellis 496 S., Ln., € (D) 22.90 / sFr 40.90* / € (A) 23.60 Das Schlimmste am Heiraten ist die Hochzeitsnacht. Zumindest für Edward und Florence, 1962 im prüden England. Begierde und Befangenheit, Anziehung und Angst sind miteinander im Widerstreit in der Hochzeitssuite mit Blick aufs Meer. Die Nacht verändert das Schicksal der Liebenden – für immer. »Atemberaubend.« Brigitte, Hamburg Exjockey Sid Halley, der sich nach einem Sturz gezwungen sah umzusatteln und der seither als Privatdetektiv tätig ist, kommt auf der Rennbahn von Cheltenham einem Wettbetrug auf die Spur. Die Polizei hat keine Zeit, sich um den Fall zu kümmern. Deshalb nimmt Sid Halley die Sache selbst in die Hand – womit er jedoch sich und seine Liebsten der blinden Wut eines Unbekannten aussetzt. 144 S., Ln., € (D) 17.90 / sFr 31.90* / € (A) 18.40 368 S., Ln., € (D) 24.90 / sFr 43.90* / € (A) 25.60 384 S., Ln., € (D) 19.90 / sFr 35.90* / € (A) 20.50 * unverbindliche Preisempfehlung Ein Leben wie ein Roman, voller Hoffnungen und Träume. Ruhm, Geld und Liebe, all das schien für Balzac immer in Reichweite zu sein, blieb ihm aber doch zeitlebens verwehrt. Der ausgewiesene Biograph Johannes Willms schildert mit Verve, was Balzac umtrieb, im Leben wie in der Kunst. Auch als Diogenes Hörbuch 416 S., Ln., € (D) 21.90 / sFr 38.90* / € (A) 22.60 Armand, Philosoph im Ruhestand, glaubt das Leben hinter sich zu haben. Auch Pauline, 20, denkt, sie kenne es. 50 Jahre trennen die beiden, und doch ergeht es ihnen gleich: Sie waren allein in der Stadt der Liebe, bevor sie einander trafen. Nicht um Sex und nicht nur um Freundschaft geht es in ihrer Begegnung, wohl aber um die Wiederentdeckung der Lebensfreude.