Südengland (mit Einführung)

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Südengland (mit Einführung)
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Südengland
mit einer Einführung zu den Britischen Inseln
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Südengland
Seite
5
Einleitung
I
Die Britischen Inseln
1
Geschichte und Politik
2
Land und Leute
3
Verkehr, Bildung und Wirtschaft
9
9
16
28
II
Südosten
1
Kent
2
Sussex
3
Hampshire und die Isle of Wight
4
Surrey
5
Berkshire
6
Buckinghamshire
7
Oxfordshire
34
34
41
52
60
66
74
81
III
London
1
Wissenswertes über London
2
Bei den Regenten
3
Kensington und Belgravia
4
West End bis zum Regent’s Park
5
City of London und South Bank
6
East End
7
Interessante Viertel
87
89
100
110
117
130
150
160
IV
Südwesten
1
Wiltshire
2
Dorset
3
Devon
4
Cornwall und Isles of Scilly
5
Somerset und Bath
6
Gloucestershire
175
176
183
190
198
209
217
Quellennachweis
Ortsverzeichnis
226
229
Schluss
Joachim Vogt © 2010 (Creative Commons)
3
4
Einleitung
Britannien – welche Definition ist eigentlich genau darunter zu verstehen? Mit den zahlreichen
Begriffen von Commonwealth bis zum Vereinigten Königreich kann man sich leicht vertun. Auf
Grund der Unterschiede der einzelnen Völker, die diese auch bewusst leben, sollte jedoch auf gewisse Feinheiten geachtet werden.
Mit dem Commonwealth, oder genauer dem Commonwealth of Nations wird ein loser Staatenbund bezeichnet, der im Wesentlichen aus dem Vereinigten Königreich und dessen ehemaligen Kolonien
besteht. Gegenwärtig sind darunter 53 Staaten zu verstehen, deren Auflistung hier zu viel Raum
in Anspruch nehmen würde, daher sollen die wichtigsten genügen: Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, Australien, Kanada, Neuseeland, Südafrika, Indien und Pakistan. Daneben zahlreiche kleinere Staaten auf der ganzen Welt, aber auch noch in Europa ist das Commonwealth mit Zypern und Malta vertreten. Die Republik Irland, die zwar geografisch zu den
Britischen Inseln zu zählen ist, gehört nicht dem Commonwealth an – wenngleich Irland politisch einmal zum Königreich zu zählen war.
Die Insel Großbritannien bezeichnet die größere der beiden Britischen Inseln zwischen Nordsee
und Nordatlantik und wird aus den Ländern England, Wales und Schottland gebildet. Ein Kleinbritannien ist übrigens historisch bekannt, wenn auch nicht unter diesem Namen, sondern als die
französische Provinz Bretagne (siehe auch I/1.2). Die kleinere der Britischen Inseln ist die Irische
Insel. Insofern gehört Irland also zu den Britischen Inseln, jedoch nicht zu Britannien, wenn man
es genau nimmt – denn genau genommen ist Britannia schlicht der historische Name Englands
aus der Römerzeit. Aber auch hier war Britannien Veränderungen unterlegen und Begrifflichkeit
einmal für die gesamte Insel und dann wiederum lediglich für das römisch besetzte Gebiet – neben einigen anderen Verwendungen.
Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland umschließt, wie der Name bereits sagt,
die Insel Großbritannien und den nördlichen Teil der Irischen Insel, Nordirland. Um die
Hauptinsel liegen noch mehrere Inselgruppen mit insgesamt über eintausend kleineren Inseln,
insbesondere die Shetland- und Orkneyinseln im Nordosten und die Hebriden im Nordwesten,
sowie die Scilly-Inseln südwestlich von England in der keltischen See und die Isle of Wright im
Ärmelkanal. Nicht zum Vereinigten Königreich wird die Isle of Man in der Irischen See gerechnet, obwohl sie der britischen Krone untersteht.
In England wird das Vereinigte Königreich landläufig einfach Britain, also Britannien, genannt; im
Deutschen wurde einfach Großbritannien übernommen, obwohl hier Nordirland ja eigentlich
ausgenommen wäre. Die Engländer bezeichnen sich selbst auch als Briten. Es empfiehlt sich jedoch, den anderen Volksstämmen (Schotten, Walisern, Nordiren) ihre Identität zu lassen, da sie
einigen Wert darauf legen, nicht als britisch zu gelten. Dennoch sollen in diesem Schriftsatz für
die Nation des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland der Einfachheit halber
die Begriffe Vereinigtes Königreich, Großbritannien und Britannien die gleiche Bedeutung besitzen. Und
sollte bei allgemeinen Informationen auch nur vom Briten oder vom Engländer die Rede sein, so
kann dies ruhig auf die anderen Völker bezogen werden. Denn, so sehr sie auf ihre Unterschiede
beharren, so gleich sind sie doch im Grunde ihres Wesens und in ihren Gepflogenheiten.
Diese Landesbeschreibung kann natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, dazu
gibt es einfach viel zu viele Sehenswürdigkeiten und Attraktionen. Besonders bei Beschreibungen
größerer Orte wird die Hinzunahme eines Reiseführers nahegelegt. Sie ist auch örtlich an persönliche Vorlieben des Verfassers angelehnt, daher werden viele Orte und Landstriche weniger eingehend betrachtet und manche deutlich intensiverer beobachtet. Dennoch sollte es für den Leser
möglich sein, insgesamt einen guten ersten Eindruck und einige Reisetipps für den Aufenthalt zu
erhalten.
5
Einen Vorteil bietet dies: Es werden Sehenswürdigkeiten beschrieben, die sonst eher nicht in einem Reiseführer Beachtung finden und abseits der üblichen Touristenwege liegen.
Noch ein Hinweis sei gestattet: Die Einwohnerzahlen beruhen auf den offiziellen Zahlen des Office for National Statistics, der Internetpräsenz citypopulation.de und Wikipedia.
Die Regionen der Britischen Inseln
Schottland
Nordosten
Nordirland
Nordwesten
Irland
Yorkshire
and the
Humber
East
Midlands
Wales
West
Midlands
East
Anglia
London
Südwesten
6
Südosten
Für Irland, Schottland, Wales und Nordirland mag diese geografische Darstellung der Regionen
genügen. England ist jedoch in zahlreiche Grafschaften eingeteilt, die hier noch einmal grob aufgezeigt werden sollten – teilweise mit alten Namen (z.B. Avon für den Bereich South Gloucestershire, Bristol ...). Eine genauere Einteilung findet sich in den einzelnen Kapiteln – dort sind
auch kleine Grafschaften deutlicher zu sehen.
7
Und für die genauere Orientierung bei der Reise eine Karte mit den größeren Orten:
8
I
Die Britischen Inseln
1
Geschichte und Politik
1.1
Frühzeit
Bereits in der Altsteinzeit kamen Einwanderer aus Westeuropa auf die Britischen Inseln. Es entwickelte sich eine jungsteinzeitliche Bauernkultur, die in erster Linie von eingewanderten iberischen Völkern getragen wurde. Sie entwickelten auch eine erste Megalithkultur, die sich durch die
Errichtung von Dolmen, imposanten Grabstätten, auszeichnete. Im zweiten Jahrtausend vor
Christus
erreichten
mehrere Wellen aus
dem Gebiet der Niederlande
kommend
der nach den glockenförmigen
verzierten
Tonbechern benannten
Glockenbecherkultur
Britannien. Diesem Kulturkreis sind auch die
gewaltigen
kreisförmigen Steinsetzungen
zuzuschreiben,
Stonehenge
darunter Stonehenge.
Ab dem 5. Jh. v. Chr. wanderten von Frankreich
aus keltische Stämme in Britannien ein, unter anderem auch die Gälen (um 400 v. Chr.) und die
Brythonen – die Briten, die um 300 v. Chr. einfielen. Soweit man weiß, lebten die Kelten in
Stammesverbänden ohne übergreifende Herrschaft, lediglich die Druiden nahmen eine höhere
Position ein.
Die Kelten leisteten den Römern, die unter Julius Cäsar Britannien zu erobern versuchten, erheblichen Widerstand, mussten jedoch 43 v. Chr. das südliche England abtreten. Nachdem auch 122
n. Chr. Wales und das nördliche England von den Römern einverleibt worden war, errichteten sie
zum Schutz gegen die Stämme im Norden – die Pikten (lat. die Bemalten) – den Hadrianswall.
Die Römer litten im vierten Jahrhundert zunehmend unter den Einfällen der Pikten und Scoten –
einem irischen Keltenstamm, auf den der Name der Schotten zurück geht – und verließen
schließlich 410 n. Chr. die Britischen Inseln, da die Legionen an anderen Grenzen des niedergehenden römischen Reichs als letzte Verteidigung benötigt wurden. Die lange aufrecht erhaltene
Behauptung, dass Irland nie von den Römern betreten worden sei, lässt sich durch neuere archäologische Funde widerlegen. Jedoch blieb der römische Einfluss zeitlich und lokal (Küstennähe
nach Britannien zu) beschränkt.
Der irische Nationalheilige St. Patrick wurde 389 A.D. als Sohn eines Diakons in Schottland
(heutige Ortschaft Kilpatrick) geboren und im Alter von sechzehn Jahren von Piraten als Sklave
nach Irland verkauft. Sechs Jahre später gelang ihm die Flucht und ihm befahl eine Vision, Irland
zum christlichen Glauben zu bekehren, weswegen er sich in Gallien zum Priester ausbilden ließ.
432 kehrte er als Bischof zurück und gründete eine Reihe von Schulen, Kirchen und Klöstern.
Ihm gelang es, viele keltische Fürsten und deren Untertanen friedlich zum christlichen Glauben
zu bekehren, auch durch die Integration bestehender heidnischer Gebräuche und Strukturen.
9
Die Iren brachten ihre Glaubensmaxime der gewaltfreien Mission zunächst nach Nordengland
und Schottland, später auch auf den Kontinent (z.B. St. Kilian). Hier wurden sie fälschlicherweise
oft als Schotten bezeichnet, ihre Gründungen werden heute noch gelegentlich Schottenkirchen
oder -klöster genannt.
Ab 449 wanderten vom europäischen Festland germanische Stämme (Jüten, Angeln und Sachsen)
ein, vor deren Druck die romanisierten und christlichen Briten teils nach Wales und Cornwall,
teils nach Gallien zur Halbinsel Armorica, der sie den neuen Namen Bretagne gaben, zurückwichen. Die Erinnerung an die Kämpfe gegen die germanischen Stämme fand sich wieder im keltischen Sagenkreis um König Artus, den um 1200 die höfische Ritterdichtung aufgriff. Jüten, Angeln und Sachsen sollten schließlich zu den Angelsachsen verschmolzen sein, die vor allem in
England zahlreiche Kleinkönigtümer gründeten. Die christliche Missionierung Englands begann
ab 596 A.D., also 164 Jahre später als in Irland.
1.2
Mittelalter
Eine politische Zusammenfassung Englands erfolgte in einem ersten Ansatz im 9. Jh. mit dem
Königtum Wessex, wurde aber durch die massive Invasion der Dänen ab 866 aufgehalten. Ab 800
kam es sowohl in Nordengland als auch an den nordirischen Küsten immer wieder zu Überfällen
norwegischer Wikinger. Die Dänen machten sich zunächst nur im Nordosten breit, herrschten
aber ab 1016 über ganz England. Im Gegensatz hierzu schlugen die Iren 1014 die Dänen in der
legendären Schlacht von Clontarf. Der irische Heerführer Brian Ború verlor hier zwar sein Leben,
die Ära der Wikinger war in Irland damit jedoch beendet. In Britannien kam erst 1042 wieder ein
Angelsachse auf den Thron.
Mit der Schlacht von Hastings, die der normannische Herzog Wilhelm (the conqueror, der Eroberer), gegen den Angelsachsen Harold II. gewann, wurden die Britischen Inseln ein letztes Mal
erobert. Wilhelm führte als König von England das normannische Feudalsystem ein und unterdrückte die Angelsachsen, die
ihre Macht und Besitztümer an
normannische Adelige abtreten
mussten. Die herrschende
Schicht sprach Französisch und
schrieb Latein, während das Angelsächsische zur Sprache der
Ungebildeten wurde.
Im Jahr 1135 erlosch das Haus
Normandie in erster Linie, und
England stürzte in einen erbitterten Bürgerkrieg, der erst mit
der Thronbesteigung Heinrichs
II. aus dem Haus Anjou-Plantagenet endete. Heinrich erhielt
1155 vom Papst das Recht, die
irische Kirche – deren SelbstänSchlacht bei Hastings
digkeit war dem Papst ein Dorn
(Teppich von Bayeux)
im Auge – zu reformieren und damit die Möglichkeit,
auch politisch in Irland einzugreifen. Seine Herrschaftsgewalt ließ er 1172 in Irland bestätigen. Johann I. Ohneland (John Lackland; 1199 bis 1216), Nachfolger Richards I Löwenherz (1189 bis 1199), welcher
sich in den Kreuzzügen einen Namen gemacht hatte, verlor den größten Teil der kontinentalen
Gebiete an Frankreich und wurde daraufhin vom Adel im Jahr 1215 A.D. zum Unterschreiben
10
der Magna Charta Libertatum (große Urkunde der Freiheiten) gezwungen. Aus dieser anfänglichen
Beschränkung der Königsmacht entwickelte sich das Parlament, das seit Anfang des 14. Jh.s aus
den heute noch exisitierenden Kammern, dem Unter- und dem Oberhaus, besteht. 1285 wurde
Wales erobert, aber erst 1536 formell ins englische Reich übernommen.
Bis 1250 hatten die englischen Normannen 75 % der irischen Insel erobert, sie waren den Iren
durch bessere Ausrüstung überlegen. Gewaltige Festungen, zahlreiche neue Siedlungen, Kirchen
und Klöster entstanden. Mit dem Einzug der Bettel- und Predigerorden erlebte die Kirche in Irland einen neuen Aufschwung und begründete ihre bis heute anhaltende Volksnähe.
Innerhalb von nur 150 Jahren passten sich die Normannen in Irland soweit an, dass England
einen Machtverlust befürchtete und 1366 mit den Statuten von Kilkenny seinen Einfluss zu sichern suchte, indem Mischehen und die irische Sprache verboten wurden. Diese Gesetze konnten
jedoch auf Grund der innen- und außenpolitischen Auseinandersetzungen nicht durchgesetzt
werden, der englische Einfluss beschränkte sich nur noch auf kleine Gebiete.
Als Edward III. (1327-1377) Anspruch auf den französischen Thron erhob, entbrannte der
Hundertjährige Krieg. Nach erfolgreichen Eroberungen in West- und Südwestfrankreich wurde
1420 der Anspruch gezwungenermaßen durch Frankreich anerkannt. Die Kriegslage verschlechterte sich in der Folgezeit jedoch rapide, sodass der gesamte Kontinentalbesitz 1453 von Frankreich zurückgeholt werden konnte – außer Calais, das 1558 folgte. Aus der Niederlage gegen die
Franzosen entwickelten sich in Britannien die sogenannten Rosenkriege (1455-1485) – der Bürgerkrieg zwischen der Dynastie Lancaster (mit einer roten Rose als Symbol) und dem Haus York
(weiße Rose). Zunächst übernahm ab 1461 York die Landesherrschaft, musste sich jedoch 1485
dem letzten lebenden Lancaster beugen, der als Heinrich VII. die Dynastie der Tudors begründete.
1.3
Neuzeit
In der Ära der Tudors weigerte sich der Papst, die Scheidung Heinrichs VIII. von seiner Ehefrau
Katharina von Aragon und eine Neuvermählung mit Anna Boleyn zu genehmigen, weswegen
sich England vom Heiligen Stuhl löste und Heinrich 1535 die Anglikanische Kirche mit dem
König als Oberhaupt gründete. 1541 wird Heinrich auch König von Irland und führt hier die Reformation ein. 1553 wurde durch Maria Tudor wieder der Katholizismus als Staatsreligion eingeführt, woraufhin eine blutige Protestantenverfolgung begann. Doch Marias Nachfolgerin Elizabeth I. (1558-1603) etablierte erneut die Anglikanische Kirche. In diesem Zusammenhang ist auch die
Bewegung des Nonkonformismus (engl. nonconfirmism) zu nennen, in der sich zahlreiche Engländer,
auch viele Adelige, gegen die anglikanische Staatskirche auflehnten und vehement, auch mit Gewalt,
um die persönliche und Religionsfreiheit kämpften.
Das bedeutendste Ereignis dürte hier die Schießpulververschwörung, der Gunpowder Plot, sein (siehe
V/1.12), auf den die Guy Fawkes Night am 5. November mit Feuerwerk zurückzuführen ist. Durch die Intervention Elizabeths I. im schottischen Bürgerkrieg
wurde die Grundlage für das Bündnis der protestantischen Staaten England und Schottland gelegt, das
nach Elisabeths Tod ohne Erben und der Benennung
des schottischen Königs Jakob
zu ihrem Nachfolger die Realunion im Jahr 1703 ermögElizabeth I.
lichte. Jakob war ein Sohn der
11
katholischen schottischen Königin Maria Stuart, die 1587 wegen (angeblichen?) Hochverrats auf
Veranlassung Elizabeths hingerichtet worden war. Dieser Vorfall war Auftakt für Spanien, das
sich, als stärkste europäische Macht des 16. Jh.s, von Englands Angriffe auf spanische Besitzungen in Amerika durch Francis Drake bedroht sah, die spanische Flotte gegen England zu entsenden. Der Angriff der als unbesiegbar geltenden Großen Armada auf die Britischen Inseln
1588 scheiterte, ihre Vernichtung leitete den Aufstieg Englands zur Seemacht ein. Im Jahr 1600
wurde die Ostindiengesellschaft gegründet, zum Aufbau von Handelsverbindungen in den südostasiatischen Raum, womit auch Englands Kolonialzeit begann.
Die Iren versuchten sich seit der Reformation durch Heinrich vergeblich von der englischen
Usurpation zu befreien, verloren jedoch 1607 bei Kinsale die entscheidende Schlacht. Die Flucht
der Grafen, die daraufhin das Land verließen, ist seitdem Zeichen der Niederlage, aber auch Symbol dafür, lieber zu fliehen als in Unfreiheit zu leben. Die irischen Ländereien wurden in der Folgezeit englischen und schottischen Großgrundbesitzern zugesprochen, die jedoch in ihrer Heimat
blieben und die irischen Bauern mit hohen Ertragserwartungen, Pachten und Zinsen ausbeuteten.
Dieses System führte in den folgenden Jahrhunderten dazu, dass Irland zum Armenhaus Europas
herabsank.
Nachdem unter Jakob I. der Absolutismus in Britannien zunahm und es ab 1629 sogar elf parlamentslose Jahre gab, wurde schließlich der Konflikt zwischen Krone und Parlament ausgelöst.
Die Truppen der Parlamentsanhänger wurden von Oliver Cromwell angeführt und schlugen das
königliche Heer in zwei Schlachten, worauf Karl I. hingerichtet und die Monarchie für beendet erklärt wurde. Cromwell errichtete als Lord Protector eine Diktatur und zerschlug 1649 auch den aufflammenden irischen Widerstand
(Konföderation von Kilkenny), worauf wiederum der größte Teil Irlands von England einverleibt wurde. Cromwell
konnte aber ebenfalls nicht die Unterstützung des Parlaments erreichen. Adel und Parlament holten 1660 den im
Exil lebenden Karl II. zurück, der jetzt jedoch in einer konstitutionellen Monarchie regierte, die endgültig durch Wilhelm III. (1688-1702) in der
Declaration of Rights anerkannt
Oliver Cromwell,
wurde.
Wilhelm III. von Oraniportraitiert von
en war der protestantische
Samuel Cooper, 1657
Schwiegersohn des von ihm
vom Thron vertriebenen katholischen Jakob II. Jakob kam 1689 mit Truppen aus dem
französischen Exil nach Irland, die katholischen Iren schlugen sich unter Patrick Sarsfield auf seine Seite und leisteten den Oraniern bis 1691 Widerstand. Nach dem Sieg der Protestanten am
Boyne am 12. Juli 1691 – dieser Tag wird mit einer Parade von dem Oranierorden bis heute alljährlich in Derry (Londonderry) gefeiert, was zu regelmäßigen Auseinandersetzungen mit den
Katholiken führt – wurde der Vertrag von Limerick ausgehandelt, der Irland religiöse Toleranz
zusichern sollte, jedoch nie vom englischen Parlament ratifiziert wurde. Bald darauf verloren die
Iren durch die antikatholischen Diskriminierungsgesetze (penal laws) ihre Rechte: Eigene Schulen,
Teilnahme an Wahlen, höhere Ämter und das Tragen von Waffen waren verboten.
Im Act of Settlement (1701) wurden die Stuarts zu Gunsten des Hauses Hannover von der Thronfolge ausgeschlossen. 1707 wurden das englische und das schottische Parlament offiziell vereint;
der neue Staat nahm die Bezeichnung Großbritannien an.
In der zweiten Hälfte des 18. Jh.s begann in England die, von dort ausgehende, industrielle Revolution mit fabrikmäßiger Produktion, gestützt durch die Erfindung der Dampfmaschine (1769)
und des mechanischen Webstuhls (1790). Außerdem wurde die Position als Kolonialmacht ausgebaut, immenser Gebietszuwachs gewonnen (Kanada, Louisiana, Florida, Besitzungen in Westafrika und Südindien). Indien wurde zur wichtigsten Kolonie im Empire, nachdem dreizehn Kolonien, die späteren USA, die Unabhängigkeit erkämpft hatten. Die Kolonialisierung schaffte neue
12
Industrielle Revolution:
Bildnis eines Stahlwerks
Absatzmärkte, die
die Wirtschaft des
Landes wiederum
belebten.
Die von den Unabhängigkeitsbestrebungen Amerikas
und Frankreichs beflügelten Irländer formierten unter Wolfe Tone die United Irishmen. Eine Landung von
Franzosen und Spaniern, die Waffenhilfe leisten wollten, scheiterte 1769 an der rauen irischen See. Die
Reaktion Englands war eindeutig: Mit dem Act of
Union wurde 1801 Irland endgültig Teil des Vereinigten Königreiches – der irische Widerstand aber blieb
ungebrochen. O’Connell gründete 1823 die Catholic
Association und erreichte mit Massenkundgebungen
und gewaltfreien Protesten 1829 die Aufhebung der
antikatholischen Gesetze.
In der Zeit nach der französischen Revolution erwies
sich Großbritannien als ärgster Gegner Napoleons
und konnte ihn in der Schlacht von Waterloo 1815
A.D. mit den britischen (Wellington), holländischen und preußischen (Blücher) Truppen schließlich schlagen.
1.4
Viktorianisches Zeitalter
Unter Queen Victoria (1837-1901) war Großbritannien,
das seit 1801 eine Realunion mit Irland (siehe I/1.3) bildete, politisch und wirtschaftlich die erste Macht der Erde.
Es erlangte unter anderem Herrschaft über Hongkong,
Burma, Zypern, Ägypten und Südafrika (Burenkrieg
1899-1902). Es entwickelte sich zu einem modernen demokratischen Staat, die alte Aristokratie erlaubte sogar im
Lauf des 19. Jh.s die schrittweise politische Einbindung
des durch die industrielle Revolution aufstrebenden Bürgertums.
In Irland führte die Kartoffelpest, die Mitte des 19. Jahrhunderts ganz Europa heimsuchte, zu einer riesigen Hungerkatastrophe in den Jahren 1845 bis 1849. Schuld daran
war die englische Misswirtschaft: fruchtbares Land im Osten wurde den Iren genommen, sie wurden in den unfruchtbaren Westen getrieben, Getreide und Vieh wurde
nach England exportiert. So hatten die Iren nahezu nur
noch Kartoffeln als Nahrungsmittel, weswegen sie die
Victoria I. (1887)
Kartoffelpest mit ganzer Härte traf. Etwa eine Million Menschen
starben und eine Million verlor das Land durch Auswanderung.
Die Auswirkungen der europäischen Revolution 1848 schwappten auch nach Irland über, zahlreiche Geheimbünde entstanden. Der Protest erreichte auch die Landbevölkerung, deren Zorn sich
1880 gegen einen englischen Verwalter namens Boycott richtete, der trotz schlechter Ernten
überhöhte Pachten und Zinsen verlangte. Er erlitt eine Niederlage, die englische Regierung musste Landreformen zustimmen. Aus diesem Ereignis entwickelte sich der heutige Boykott. Die Diskriminierung der katholischen Kirche wurde 1869 ganz aufgehoben, der Ruf nach irischer Selbst13
verwaltung formierte sich 1870 in der Bewegung des sogenannten home rule unter Charles Stewart
Parnell. Er konnte im Londoner Parlament Boden- und Sozialreformen durchsetzen, denen sich
die nordöstliche Ulster-Provinz jedoch entgegen stellte. Ulster lehnte republikanische Bestrebungen ab und wollte Teil des Königreichs bleiben.
1.5
Das zwanzigste Jahrhundert und heute
1911 entmachtete eine Verfassungsreform das Oberhaus und machte das frei gewählte Unterhaus
zur wichtigsten politischen Entscheidungsinstanz im Land.
Die Gesetze des home rule wurden 1914 für die sechs nördlichen, mehrheitlich protestantischen
Provinzen Ulsters für sechs Jahre ausgesetzt, die Loslösung Nordirlands begann. 1916 brach ein
schlecht organisierter Aufstand (Osteraufstand) aus, wobei Deutschland Waffen an die Republikaner liefern sollte. Das entsandte Schiff jedoch sank oder wurde versenkt, die Waffenlieferung
blieb aus und der Aufstand wurde von den Briten blutig niedergeschlagen. Die meisten Anführer
wurden hingerichtet, den späteren irischen Präsidenten Eamon de Valera rettete allein seine amerikanische Herkunft.
Im Ersten Weltkrieg nahm Britannien auf Seiten seiner Verbündeten Frankreich und Russland
gegen Deutschland und Österreich-Ungarn teil und zeigte hier, trotz der traditionellen militärischen Stärke zur See, ein wachsendes Engagement im Landkrieg. Die erstmals in der Geschichte
von Britannien 1917 eingesetzten Panzer (Tanks) erwiesen sich hier als kriegsentscheidend. Im
selben Jahr wurde der mittlerweile verhasste deutsche Name Sachsen-Coburg-Gotha nach der
Sommerresidenz der königlichen Familie in Windsor umbenannt.
Zunächst gelang es dem Weltkriegssieger, sein Imperium zu vergrößern (z.B. durch Inbesitznahme deutscher Kolonien und Verwaltungsübernahme in Teilen des zerfallenen Osmanischen
Reichs), jedoch strebten wenige Jahre danach viele Kolonien in die Unabhängigkeit. Das Westminster-Statut von 1931 war Grundlage zur späteren Entkolonialisierung und Umwandlung des
British Empire zum Commonwealth.
1918 siegte bei den irischen Wahlen die illegale Partei Sinn Fein, deren Mandatsträger sich weigerten, nach Westminster zu gehen und eine Nationalversammlung in Dublin einberiefen. Britannien
versuchte wiederum mit Gewalt einzugreifen, was durch die blutigen Auseinandersetzungen in
Nordirland zu einem Bürgerkrieg eskalierte. Da ein militärischer Sieg aussichtslos schien, gab
England nach und richtete 1920 zwei Parlamente ein, eines in Belfast, das andere in Dublin. 1921
erhielt Irland seine Autonomie als Freistaat, nur sechs der neun Grafschaften der Region Ulster
verblieben als Nordirland bei Britannien. 1949 vollzog Irland mit der Ausrufung der Republik
und dem Austritt aus dem Commonwealth auch offiziell den letzten Schritt zur Unabhängigkeit.
Der britische Irlanderlass schrieb Nordirland als Teil des Vereinigten Königreichs fest und ermöglichte den Bewohnern der Republik Irland die problemlose Zuwanderung nach Großbritannien.
Der deutsche Nationalsozialismus wurde von Britannien
unterschätzt, Premierminister Chamberlain versuchte lediglich, zu beschwichtigen (Appeasement-Politik). Unter
Winston Churchill (ab 1940) gelang es Britannien, die
Demokratie in Europa nach der Niederlage Frankreichs
zu verteidigen und schließlich zusammen mit den USA
und der Sowjetunion, sowie Restkräften Frankreichs,
die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan zu besiegen. Obwohl es auf der Siegerseite stand, verlor das
Land am Ende des Krieges seine Weltgeltung, die USA
und die Sowjetunion bestimmten von nun an das
Winston Churchill
weltpolitische Geschehen.
14
1947 wurde durch die erste Labour-Regierung mit der Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit
die Auflösung des Kolonialreiches eingeleitet, zur Vermeidung eines sonst drohenden, im kriegsmüden England unpopulären Kolonialkriegs. Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre begann die
zweite Entkolonialisierungswelle – jetzt vorwiegend in Afrika. Hongkong wurde als bislang letztes Kolonialgebiet 1997 an China zurückgegeben. Britannien verlor in der Nachkriegszeit an wirtschaftlicher Bedeutung und wurde schließlich, auch auf Grund der jetzt fehlenden Rohstoffe und
Absatzmärkte in den ehemaligen Kolonien, zur industriellen Mittelmacht. Unter Premierministerin Margaret Thatcher wurden im Land staatliche Unternehmen privatisiert, Sozialleistungen und
Gewerkschaftsrechte beschnitten, weswegen ihr der Titel Eiserne Lady nachhing. 1982 besetzten
argentinische Truppen die Falkland-Inseln, die jedoch nach zehnwöchigem Kampf von den Briten wieder zurückerobert wurden.
Eines der größten innenpolitischen Probleme ist der seit 1969 offen ausgebrochene NordirlandKonflikt zwischen den dortigen Katholiken (suchen Anschluss an Irland) und den Protestanten
(neigen zu Großbritannien), wobei auch vor terroristischen Aktionen nicht zurückgeschreckt
wurde – besonders zu nennen sind die IRA auf katholischer und die UDA, UFF und UVF auf
protestantischer Seite. Friedliche Demonstrationen der Katholiken lösten übertriebene Reaktionen der Protestanten aus, in Beflast und Derry kam es 1969 zu regelrechten Pogromen gegen die
Katholiken. 1972 wurde der Bloody Sunday, bei dem britische Fallschirmjäger 14 unbewaffnete,
zum großen Teil minderjährige Teilnehmer einer katholischen Bürgerrechtsdemonstration erschossen, zum Stigma der Katholiken und Shankill Road zum Inbegriff brutaler Auseinandersetzungen. Der militante Widerstand im Untergrund formierte sich, bürgerkriegsähnliche Zustände
und terroristische Aktivitäten (insbesondere durch die IRA, die Irish Republican Army) häuften
sich. Teilweise willkürliche Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch die britische Regierung
schürten das Feuer weiter, auf beiden Seiten eskalierte die Gewalt, Katholiken wurden diskriminiert.
Ab Mitte der Achtzigerjahre kam
es zum Sinneswandel, auf höchster
politischer Ebene wurden zwischen Britannien und Irland Gespräche geführt. Ziel war ein gemeinsames Vorgehen gegen den
immer stärker werden Terrorismus
(IRA, Ulster Defence Association,
Ulster Volunteer Force und Ulster
Freedeom Fighters). Die Verhandlungen zu den Waffenstillstands- und Friedensabkommen
von 1994 bis 1998 beruhigten die
Situation zeitweise, aber immer
wieder flammten Auseinandersetzungen auf. In der irischen VerfasBelfast, 1. Januar 1998: Britischer
sungsänderung von 1999 wurde
Soldat hinter Mauer mit IRA-Schriftzug
der Anspruch auf Nordirland aufgegeben, die IRA gab bis heute
dreimal ihre Waffen ab. Jedoch gibt
es sowohl auf katholischer als auch auf protestantischer Seite immer noch Waffen und kampfbereite Aktionisten. Eine endgültige Lösung des Konflikts konnte bis heute nicht wirklich gefunden
werden und es braucht hierfür einen steten vertrauensbildenden Annäherungsprozess. Nach 350
Jahren gibt es jedoch langsam die Aussicht auf ein wirklich friedliches Miteinander, trotz erneuter
Anschläge von IRA-Splittergruppen im März 2009. Im Jahr 1999 erhielten unter Premierminister
Tony Blair Schottland, Wales und Nordirland eigene Länderparlamente. Im Jahr 2003 unterstützte Britannien die USA im Irak-Krieg (wie auch schon 1991 im Zweiten Golfkrieg oder Kuwait-Krieg)
gegen Saddam Hussein, obwohl es im eigenen Land erhebliche Gegenpositionen gab.
15
Großbritannien und Irland sind seit 1973 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die Gemeinschaftswährung Euro wurde in Großbritannien bislang jedoch nicht eingeführt.
2
Land und Leute
»Für viele Engländer beginnt das Ausland bereits auf der anderen Seite der Straße«. So witzelte
der Autor Antony Miall. Tatsache ist, dass so gut wie jeder Engländer Vorfahren hat, die selbst allesamt Landesfremde waren, etwa Römer oder Normannen, Angeln, Jüten oder Sachsen – die
keltischen Ureinwohner hat man nach Irland und Wales abgedrängt.
Die Stammbäume selbst nobelster Familien reichen »nur« bis zu Wilhelm dem Eroberer (siehe
I/1.2) zurück. Und Prinz Charles – ist er ein Engländer? Mit dieser Frage bringt man britische
Patrioten in Verlegenheit. In den Adern Seiner Königlichen Hoheit wie in denen seiner Eltern
fließt überwiegend deutsches Blut. Die Windsors stammen nämlich aus der Linie Sachsen-Coburg-Gotha (siehe I/1.5), und der Ehemann der Queen heißt mit bürgerlichem Namen
Battenberg, woraus man Mountbatten gemacht hat.
2.1
Zahlen und Fakten
Größter Teilstaat ist England mit einer Fläche von 130 395 km² und rund 50,4 Millionen Einwohnern. Er bedeckt rund zwei Drittel der Insel Großbritannien und besteht zum größten Teil
aus Tiefebenen, die von Hügelketten durchzogen sind. Die Tees-Exe-Line, eine zwischen den
Flüssen Tees in Yorkshire und Exe in Devon gezogene imaginäre Linie, unterteilt England in
zwei unterschiedliche Regionen.
Der Nordwesten und der Norden sind geprägt von Mittelgebirgen aus metamorphen und magmatischen Gesteinen. Dazu gehören die Cumbrian Mountains und die Pennines. Aus älteren Sedimentgesteinen besteht der südlich an die Pennines anschließende Peak District in Mittelengland. Weitere Mittelgebirge sind Dartmoor und Exmoor im äußersten Südwesten.
Im Süden und entlang der Ostküste liegen bedeutend flachere Hügelzüge aus jüngeren Sedimentgesteinen. Dazu gehören einerseits die Kalksteinhügel der Yorkshire Wolds, der Lincolnshire
Wolds, der Cotswolds und der Isle of Purbeck, andererseits die süd-englische Kreideformation,
bestehend aus Salisbury Plain, Chiltern
Hills, North Downs
und South Downs.
Der höchste Berg
Englands ist mit 978
Metern der Scafell
Pike in den Cumbrian
Mountains.
Die wichtigsten Flüsse sind Themse, Severn, Trent, Great
Ouse und Humber.
Die größten Städte
sind London, Birmingham, Liverpool,
Leeds, Sheffield, BrisGreat Ouse bei Ely,
tol und Manchester.
wichtigster Schifffahrtsweg in East Anglia
16
England gliedert sich in neun Regionen, die – außer Greater London – aus insgesamt 35 Counties
(Grafschaften), sechs Metropolitan Counties (Großstadt-Grafschaften) und vierzig Unitary Authorities
(Einheitsverwaltungen) bestehen. Diese Gebietskörperschaften werden als administrative counties
bezeichnet.
Die Counties und Metropolitan Counties sind weiter in districts unterteilt, welche mit Landkreisen in
Deutschland zu vergleichen sind. Mit den London boroughs (Londoner Bezirken) und der City of
London (die einen Sonderstatus hat) gibt es somit insgesamt 353 Distrikt-Verwaltungen in England. Zählt man die Isle of Wight dazu, so sind es 354. Diese bilden mit den vierzig Unitary Authorities die Lokal- bzw. Gemeindeverwaltung Englands. Die Unitary Authorities sind von ihrer Aufgabenstellung her sowohl Grafschaft als auch Distrikt oder anders ausgedrückt, es sind eigentlich
Counties, die jeweils nur aus einem Distrikt bestehen. Die einzelnen Verwaltungsbezirke Englands
(Districts und Unitary Authorities) können unterschiedliche Titel haben, die sie entweder aus historischer Zeit führen oder auch in jüngerer Zeit (z.B. wegen ihrer Größe) erhalten haben. Man unterscheidet Cities (Städte), Boroughs (Bezirke) bzw. Metropolitan Boroughs (Großstädtische Bezirke) und
London Boroughs sowie Royal Boroughs (Königliche Bezirke). Haben sie keine besondere Bezeichnung, so handelt es sich um Metropolitan Districts bzw. Non-Metropolitan Districts.
Geografie: Das Vereinigte Königreich besteht aus der Hauptinsel Großbritannien und etwa einem Sechstel der Insel Irland. Um die Hauptinsel liegen mehrere Inselgruppen mit über eintausend kleineren Inseln. Die wichtigsten Inselgruppen sind Shetland und Orkney in der Nordsee
nördlich von Schottland, die Äußeren Hebriden und die Inneren Hebriden im Atlantischen
Ozean westlich von Schottland, Anglesey in der Irischen See nördlich von Wales, die Scilly-Inseln
in der Keltischen See südwestlich von England sowie die Isle of Wight im Ärmelkanal vor der
englischen Südküste. Die einzige Landgrenze besteht auf der Insel Irland zur Republik Irland;
diese ist 360 km lang. Nicht zum Vereinigten Königreich gehören (obwohl sie der britischen Krone unterstehen) die Isle of Man in der Irischen See und die Kanalinseln im Ärmelkanal vor der
Nordküste Frankreichs. Die Gesamtfläche des Vereinigten Königreichs beträgt rund 244 820 km²
(zum Vergleich Deutschland: 357 104), die Einwohnerzahl wurde Mitte des Jahres 2007 mit 61,0
Mio. (82,4 Mio.) gezählt.
Religion: Etwa 72 % der Einwohner sind Christen, wobei 50 % auf die Anglikanische Kirche,
rund 14 % auf die katholische und 4 % auf die presbyterianisch schottische Kirche entfallen, der
Rest geht in kleineren Kirchenzugehörigkeiten auf. Die zweitgrößte Religion bildet mit nur 3 %
der Islam. Hinzu kommen im 1-%-Bereich Hindu, Sikh, Juden und Buddhisten.
Städte: Die größten Städte in England mit einer Einwohnerzahl über 400 000 sind London (7,5
Mio.), Birmingham (994 900), Liverpool (477 600), Leeds (448 000), Sheffield (446 300), Manchester (442 800) und Bristol (440 100).
In Schottland sind Städte dieser Größe Glasgow (605 000) und Edinburgh (441 000), in Wales ist
die größte Stadt Cardiff (307 000) und in Nordirland Belfast (275 000).
In Irland sind die größten Städte Dublin (506 000) und Cork (120 000).
2.2
Klima
Die Britischen Inseln liegen ganz in der gemäßigten Klimazone. Das Klima ist feucht und auf
Grund des Einflusses des Golfstroms wärmer als in Gebieten auf den gleichen Breitengraden.
Auf Grund der Lage der Inseln in der Konvergenzzone von kalter polarer und warmer tropischer
Luft ist das Wetter sehr unbeständig. Allgemein ist das Klima im Süden und Osten wärmer und
trockener als im Norden und Westen. Die Regenmenge beträgt im Norden durchschnittlich 1000
mm pro Jahr, im Süden 700 mm. Am feuchtesten ist es in den westlichen Highlands mit über
3000 mm jährlich, am trockensten in Essex mit 600 mm (in besonders trockenen Jahren sogar
17
nur 450 mm). Während zwei Dritteln des Jahres ist der Himmel bewölkt, so dass die durchschnittliche jährliche Sonnenscheindauer relativ gering ist. An der englischen Südküste beträgt
diese 1750 und 2100, im westlichen Schottland oft weniger als 1000 Stunden. Das Land ist relativ
selten von Naturkatastrophen betroffen, im Winter können jedoch starke Sturmwinde und Überschwemmungen auftreten. Nebel tritt vor allem im Winter in den bergigen bzw. hügeligen Regionen sowie an der Küste auf.
Die höchste je im Vereinigten Königreich gemessene Temperatur war 38,5° C am 10. August
2003 bei Faversham in Kent, während der Hitzewelle 2003. Am kältesten war es am 30. Dezember 1995 bei Altnaharra in Sutherland mit -27,2° C. Da die Durchschnittstemperatur auch im
Winter meist über dem Gefrierpunkt liegt, fällt nur wenig Schnee. Ausnahme sind die schottischen Highlands, wo während einigen Wochen die Schneedecke dick genug ist, um Wintersport
ausüben zu können.
2.3
Flora und Fauna
Die Pflanzenwelt Großbritanniens ist so vielfältig wie seine Landschaften. Jahrhunderte menschlicher Besiedlung haben die Vegetation stark geprägt. Nur im Süden des Landes hat sich noch ursprünglicher Wald erhalten. In Schottland, Südwestengland, Wales und Nordirland gibt es noch
Heide- und Moorland. Zu den Pflanzen dieser Gegenden gehören Heidekraut, Ginster, Torfmoos, Vogelbeere und Blaubeere. Aber bereits vor über 200 Jahren wurde mit der Trockenlegung
der großen Sumpfgebiete des Landes, wie den Fens in East Anglia und den Somerset Levels, begonnen. Seit 1945 führte der erhöhte Bedarf an Ackerland und Baugebieten zu umfangreichen Eingriffen auch in kleinere Moor- und Sumpfgebiete.
Die einzigen wild lebenden Großsäugetiere Großbritanniens sind die Rothirsche, die in den
schottischen Highlands und in Exmoor vorkommen sowie die Rehe in den Wäldern Schottlands
und Südenglands. In Exmoor, auf den Shetland-Inseln und im New Forest trifft man noch auf
halbwilde Ponys. Andere heimische Säugetiere sind außer dem Fuchs noch Dachs, Wiesel, Marder, Iltis, Eichhörnchen, Igel, Maulwurf und Feldhase. Einige Tiere, wie z.B. das Hermelin, der
Luchs oder auch das rote Eichhörnchen, sind vom Aussterben bedroht. Rund 200 Vogelarten
sind auf den Inseln heimisch. Zu den selteneren Exemplaren gehören hierbei der Königsfischer,
Zaunkönig und Specht. Die häufigsten Süßwasserfische sind der Lachs und die Forelle, aber auch
die Plötze, der Flussbarsch und der Hecht.
2.4
Sprache und Umgangsformen
Mancher Engländer gibt bereitwillig zu, dass er sehr bedauert, keine weitere Sprache außer der
seinen zu beherrschen, und obwohl Deutsch oder Französisch an Gymnasien und Gesamtschulen gelehrt werden, werden sie in der Realität nicht gesprochen. Englisch ist schließlich
die internationale Weltsprache, und deshalb können Engländer sich ja überall auf der Welt in ihrer eigenen Sprache verständlich machen. Der Sprachschatz ist enorm, größer als im Französischen. Und dennoch macht man normalerweise nur von einem Minimum dessen Gebrauch.
Gewisse Anfangskenntnisse werden jedoch bei jedem Ausländer, der nach Britannien kommt,
vorausgesetzt. Selbst in kleineren Städten werden Englischkurse angeboten, in denen sich der Zugereiste vervollkommnen kann. Und wenn man einem Gespräch am Tresen ganz und gar nicht
mehr folgen kann, dann handelt es sich vielleicht auch um einen der zahlreichen County- oder
Dorfdialekte. Im Allgemeinen ist der Engländer aber bestrebt, ein »sauberes« Englisch zu sprechen.
18
Wichtig ist, die typischen und oft verwendeten Redensarten richtig zu deuten. »To spend a penny«
heißt nichts weiter, als mal eben die Toilette aufsuchen zu müssen, »pulling one’s leg«, jemanden
zu necken, und »not my cup of tea« heißt, dass jemand für eine Sache nicht zuständig ist. In manchen Unterhaltungen hagelt es solche Redensarten geradezu.
Und falls die Abkürzung 2YK Gebrauch findet: Das bedeutet Year 2000. Das K für 1000 wird
häufig verwendet. Achtung bei großen Zahlen: a billion ist nicht eine Billion, sondern eine Milliarde.
Ist man nach anfänglichem small talk over the fence erst einmal in den engeren Kreis der Nachbarsfamilie aufgenommen worden, bleibt es nicht bei der nächsten Tasse Tee. Der Hausherr präsentiert seine erst kürzlich bei Sotheby’s ersteigerte elektrische Eisenbahn von 1936, und als ob
man sich seit ewigen Zeiten kennen würde, verrät man die Geheimnisse des Fliegenfischens, die
Vorteile des Barfußgehens im Garten und die Freuden des Rosenzüchtens, wohl auch das Ersatzteilproblem bei Großvaters altem Morris 1100, den Kummer mit dem nicht funktionierenden
Toaster und der Schwiegertochter Nelly, die doch viel lieber Schokolade und Bonbons bei Marks
& Spencer als Fischbrötchen bei MacDonalds verkaufen würde.
Wer den Engländern Kühle, Distanziertheit oder Steifheit nachsagt, hat sie nur am Zollschalter,
nicht aber zu Hause, im Pub oder bei der jährlichen Ruderregatta in Henley-on-Thames kennen
gelernt! Allerdings gelten die Bewohner Südenglands als reservierter im Vergleich zu ihren Landsleuten in den nördlicheren Regionen.
Der erwachsene Engländer diskutiert über Wirtschaft und Politik ebenso gern wie über Fußball,
schnelle Autos und über das Wetter. Jedoch ist Vorsicht geboten: In England schafft man sich
keine Freunde durch Rechthaberei. In seiner Meinungsäußerung pflegt der Brite dabei gern gewisse Unter- oder Übertreibungen. Die Antwort »well, not too bad...« (nun, gar nicht so schlecht)
auf die Frage nach dem Wohlbefinden kann sehr wohl bedeuten: Mir geht’s ziemlich schlecht, es
ist gerade noch auszuhalten. In solchen Fällen liegt die Betonung – genau hinhören! – auf dem
Wörtchen too. Und ein »could be worse...« (könnte schlimmer sein) signalisiert: Es ist wirklich arg
schlimm – das Wetter oder das Befinden.
Vieles in Großbritannien ist nach unserem Verständnis unzulänglich, sei es die Installation mancher Wasserleitung oder die Sicherung von Straßenbaustellen. Für den Engländer ist das cultural
heritage (kulturelles Erbe) wirklich wichtiger als zu wenig Druck auf dem Wasserhahn oder ein
Streik bei Ford – wenn man nicht gerade in Dagenham lebt, einem Stadtviertel im Nordosten
Londons, in dem sich seit 1931 ein Ford-Werk befindet.
Stonehenge, Shakespeare und die Mayflower genießen höhere Stellenwerte als alle nicht gesicherten Schlaglöcher auf der A 422 zwischen Banbury und Brackley zusammen! Das bestätigt
Ihnen jeder Taxifahrer, selbst wenn er den Sommernachtstraum oder Stonhenge (siehe I/1.1) noch
nie gesehen hat.
Es überrascht den Nichtbriten schon bei seinem ersten Kontakt mit Engländern, mit dem Vornamen angesprochen zu werden. Selbst der Boss eines großen Unternehmens wird sich Ihnen mit
»my name is George« vorstellen. Lassen Sie sich von dem vertraulichen Klang auch in geschäftlicher Post (»John, William, Frank und David sind von Deiner Teilnahme am Meeting informiert,
Melanie erwartet Dich im Hotel....«) aber nicht täuschen: Die Engländer sind harte Verhandler,
nicht immer gute Zuhörer, aber stets disziplinierte Gesellschafter. Einander beim Vornamen zu
nennen, signalisiert im Business nicht gleich freundschaftliche Verhältnisse, sondern Pragmatismus, Offenheit und Unvoreingenommenheit. Es ist nur eine Schein-Vertraulichkeit. So, wie die
Gentlemen bei Tisch – sei es bei einem Meeting oder zum Lunch – das Jackett ablegen und herausgegebenes Wechselgeld nicht nachzählen.
Es ist erstaunlich, was in Britannien alles mit dem Prädikat »nice« (nett) versehen wird. Das neblige Wetter, die magersüchtige Nachbarstochter, der langweilige Job, der klappernde Gebrauchtwagen, die Kathedrale von Winchester, das künstliche Feuer im Kamin, das jämmerliche
Klaviergeklimper des unbegabten Enkelsohnes, das huldvolle Lächeln der Queen, die mitreißen19
de Seifenoper im Fernsehen, die todlangweilige Geburtstagsparty – alles lässt sich als nice bezeichnen, wenn die Höflichkeit eine Meinungsäußerung gebietet. Und immer werden Sie hören:
»nice to meet you« (nett, Sie kennenzulernen). Das ist dann aber auch wirklich so gemeint.
»The British type is produced by the climate,« hat George Bernhard Shaw einmal gesagt, womit
der in Irland geborene Dichter zum Ausdruck bringen wollte, dass der Charakter seiner britischen
Landsleute der Wechselhaftigkeit des britischen Wetters entspräche. Aber es gibt sie dennoch, die
typischen Engländer, und da jeder von ihnen – so darf man unterstellen – ein good sports zu sein
bemüht ist, dürfen wir auch weiterhin mit einigen Verallgemeinerungen operieren, die ja auch the
krauts (die Deutschen) hinnehmen müssen.
Der Engländer bedankt sich außerordentlich oft, beispielsweise nicht nur für die Ware, die er
beim Einkaufen erhält, sondern auch dafür, dass er der Verkäuferin den Geldschein oder die Kreditkarte in die Hand geben darf. Und wenn der Kunde die Karte oder das Wechselgeld zurück erhält, sagen beide wieder thank you. Und ein angehängtes my dear, Sir oder Madam macht die, denen es gilt, noch froher. Sehr oft werden auch die Floskeln please und excuse me verwendet. Die
Frage »Können Sie mir sagen, wo die Kirchenstraße ist?« würde der in Deutschland also Angesprochene nicht unbedingt als unhöflich empfinden. Aber in England gehört ein vorangestelltes
please oder besser excuse me unbedingt dazu.
Ähnlich wie das
thank you lässt sich
auch das sorry
wechselseitig verwenden: Nicht nur
die kurzsichtige alte
Dame, von der man
im
Supermarkt
durch ihren Einkaufswagen voller
Katzenfutterdosen
rücklings zu Boden
gebracht
wurde,
Morrisons. Neben Tesco, Asda (Wal-Mart)
haucht einem ein aufrichtig geund Sainsbury einer der größten
Supermärkte in Britannien
meintes »I am so sorry, Sir« zu –
auch an einem selbst ist es, ein
ebenso ehrliches »sorry, Madam«
noch im Liegen zu erwidern: als Ausdruck des Bedauerns, sich ihr in den Weg gestellt zu haben
(ein »thank you« allerdings würde, solange man sich noch am Boden krümmt, zu Irritationen führen). Auch die Umstehenden werden ihr »sorry« oder »are you allright, Sir?« beitragen, selbst
wenn einem mehrere Gliedmaßen abgetrennt worden sein sollten, und die erwartete Antwort
sollte »Oh, I’m perfectly allright, honestly,« lauten. Ein paar sorrys und thankyous kann man folgen lassen, wenn die Leute von der Ambulanz einen auf der Bahre forttragen.
Die Filmkomiker Monty Python oder Mr Bean, so grell überzeichnet sie präsentiert werden, sind
klassische Prototypen ihrer Landsleute. In ihrer Komik entdeckt man die Normalität, die ihr zugrunde liegt. Englische Normalität natürlich.
Staatlichen Institutionen oder Uniformträgern aller Art zollt der Brite längst nicht jenen Respekt,
wie ihn Amtstitel oder dekoratives Tuch vermuten lassen könnten. Die von der Gemeinde eingesetzte meter maid, zuständig fürs Kontrollieren der Parkuhren, könnte ihrem Outfit nach zwar
einen höheren Offiziersrang bekleiden, ebenso der Wachmann am Eingang eines Warenhauses,
doch am liebsten ist der Engländer ein unauffälliger Zivilist, allenfalls mit Regenschirm und einer
zusammengefalteten Zeitung bewaffnet. Viel besser als durch eine schmucke Uniform ist der
Wing Commander der Royal Air Force an seinem exzentrisch gezwirbelten Riesenschnauzbart zu
erkennen, und wenn die Horse Guard mit ihren Bärenfellmützen über den TV-Bildschirm reitet,
gilt das Interesse der fernsehschauenden Engländer meist mehr den Pferden oder den Royalties
auf dem Balkon des Buckingham Palace, an welchem die rotberockte Elitetruppe so theatralisch
20
vorüberreitet. Einen Commander oder Colonel, auch wenn er bereits mehrere Jahrzehnte außer
Dienst ist, mit seinem militärischen Dienstgrad anzureden, ist eine durchaus übliche Gepflogenheit. Das Land ehrt und verehrt seine Veteranen sehr. Träger akademischer Titel hingegen scheinen weniger Wert darauf zu legen, mit diesen angesprochen zu werden.
2.5
Das Verhältnis zu den Deutschen
Dem alten Klischee nach genießen die Krauts den zweifelhaften Ruf, alles besser zu wissen und
andere zu ihrem Ordnungssinn bekehren zu wollen. Abends gibt es immer wieder mal TV-Filme,
vor drei, vier Jahrzehnten gedreht und die Zeit von 1935 bis 1945 reflektierend: Ein wenig von
dem, was in jenen Streifen die Rollen der tumben Teutschen bis zur Karikatur kennzeichnet, glauben einige Briten in den Deutschen noch immer zu erkennen: Sie organisieren alles perfekt, gehorchen dem Vorgesetzten aufs Wort und fallen auf die einfachsten Tricks der schlauen Engländer herein. Die Franzosen zeigen solche TV-Filme ebenfalls gern...
Indessen, bei der jüngeren Generation haben schiefe Bilder längst Korrekturen erfahren. Ihr
Weltbild hat neue Konturen bekommen und ist ein anderes als das ihrer Eltern und Großeltern,
denn junge Briten reisen heute sehr viel häufiger ins Ausland als früher und bilden sich ihr eigenes Urteil über das, was sie sehen und erfahren. Pauschal vorgetragenen Antipathien gegen alles
Deutsche wird man bei vernünftigen Leuten kaum noch begegnen. Kommt gelegentlich das Gespräch auf die Schrecknisse des Zweiten Weltkrieges, wird man sich natürlich über die deutschen
Luftangriffe auf London oder Coventry unterhalten, wohl auch über die Home Guard und den DDay – wie der Engländer eben über alle militärischen Konflikte der letzen 300 Jahre (sofern sein
Land darin verwickelt war) gern und ausgiebig zu debattieren liebt. Es braucht nur jemand Reizworte wie Waterloo, Trafalgar, El Alamein, Agadir, Damaskus oder Bagdad in die Gesprächsrunde zu streuen.
Allerdings ist ein Phänomen zu registrieren, das nicht in unsere aufgeklärte Zeit passt: Unter den
Zehn- bis Sechzehnjährigen hat sich in den letzten Jahren eine zunehmende Ausländerfeindlichkeit ausgebreitet. Sie richtet sich vor allem gegen Farbige, seltener auch gegen Franzosen,
Spanier und Deutsche. In Videospielen und Comicheften finden derlei Trends gute Nahrung,
und viele Boulevardblätter scheuen sich nicht, ausländerfeindliche Themen auf primitive Weise
aufzugreifen und zu stänkern. Den Fremden eins auf den Hut zu geben, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet, sehen sie als patriotische Pflicht. Die Tatsache, dass ideologische Gräben, die
es in der Vergangenheit zur Genüge gab, längst zugeschüttet sind, ist einigen Zeitgenossen eben
immer noch nicht ganz bewusst geworden. Neue Feindbilder kommen genügend hinzu, nicht nur
aus dem Irak.
2.6
Der Tagesablauf und die englische Küche
In den meisten Büros in Großbritannien beginnt der Betrieb nicht vor 9 oder 9.30 Uhr, in Werkstätten um 8 oder 8.30 Uhr. Viele Geschäfte öffnen erst um 10 oder gar 10.30 Uhr.
An jedem Arbeitsplatz gilt die erste Amtshandlung am Morgen der Inbetriebnahme des Wasserkochers. Denn tea time ist immer und überall – ohne eine Tasse Tee (white and with sugar?) geht
nichts. In früheren Zeiten war das Ritual der gewerkschaftlich durchgesetzten Teepause gleichbedeutend mit einer Unterbrechung der Arbeit; das gibt es nur noch in Ausnahmefällen. Der mug
(Pott Tee) steht also jederzeit irgendwo in Reichweite, nachgefüllt wird bei Bedarf.
Mit einem full English oder auch cooked breakfast beginnt nicht jeder Engländer seinen Tag, bevor
er das Haus verlässt. Viele Berufstätige kippen zwischen Badezimmer- und Haustür hastig ihren
Kaffee hinunter, ehe sie zum commuter (Vorortzug) sprinten, oder sie bekennen sich zur Müsli21
Sekte und verzehren statt einer gewaltigen Portion ham and eggs and kippers and mushrooms and toast
nur ein paar Cornflakes mit geschnipseltem Obst plus Joghurt.
Der am Morgen geübte
Verzicht auf NahrungszuFull English Breakfast
führung wird in aller Regel
mittags zwischen halb eins
und halb zwei bestens ausgeglichen. »I’m just popping out for lunch« (ich bin
nur mal eben kurz zum
Lunch weg) klingt beim
Briten so, als sei er in zehn
Minuten wieder zurück.
Aber dann wird es doch
eine Stunde, denn allein
schon der Bestellvorgang
für die Portion Pommes
mit Riesenscampi dauert
dreißig Minuten, weil genau
zur selben Zeit drei Dutzend Gleichhungriger ähnlich lautende Bestellungen
aufgeben. Das mit dem
kurzen pop out funktioniert nur bei denen, die sich in der Fast-Food-Salatbar nebenan mit einem
Schinken- oder Käsesandwich versorgen, es in transparenter Hartplastikumhüllung mit ins Büro
nehmen und dort bei einer cuppa zwischen Mausklick und der nächsten E-Mail herunterwürgen.
Wer eine solide Frühstücksgrundlage hat, bei dem hält das bis zum Abend vor. In gepflegten
Landhaushalten spielt sich der Lunch nicht ganz so frugal ab, aber ein ordentliches Mittagessen
ist es meist auch nicht.
Dazwischen wird natürlich
auch die klassische tea time
gepflegt, ein Begriff, der
eher außerhalb Großbritanniens geläufig ist. Die
richtige Bezeichnung lautet
eigentlich afternoon tea
oder low tea (da er traditionell an einem niedrigen Salontisch
ausgeschenkt
wird). Der Nachmittagstee
ist eine komplette Zwischenmahlzeit gegen vier
Uhr nachmittags (auch mal
eine halbe oder ganze
Stunde früher oder später).
Richtig zelebriert wird er
jedoch aus Zeitgründen
Der Nachmittagstee mit Scones (kleiner Teller
meist nur am Wochenende,
links oben) und Gebäck (großer Teller rechts)
dann aber auch gerne auf
Einladung oder in einem
der renommierten Hotels.
Die dazu gereichten Speisen bestehen gewissermaßen aus drei Gängen, wobei alle mit den Fingern gegessen werden: Der erste Gang besteht aus Sandwiches in verschiedenen Variationen, wo22
bei Gurken-, Lachs- und Schinken-Sandwiches fast schon obligatorisch sind. Der zweite Gang
sind scones, weiche Teebrötchen, die grundsätzlich mit ungesüßter Schlagsahne oder clotted cream
und Marmelade serviert werden. Als dritter Gang werden Gebäck und kleine Süßigkeiten wie
kandierte Früchte und Pralinen gereicht. Die Mahlzeit dauert mindestens eine Stunde.
Für den formellen afternoon tea gibt es feste Regeln, die zumindest in der Oberschicht nach wie
vor beachtet und von einer Generation an die nächste weitergegeben werden: das Einschenken ist
Aufgabe der Gastgeberin, klirrende Geräusche beim Umrühren sind zu vermeiden, der Löffel
wird nicht abgeleckt, der Henkel wird nur mit Daumen und Zeigefinger gehalten, die Untertasse
wird beim Trinken mit angehoben, scones werden nicht aufgeschnitten, sondern abgebrochen und
bestrichen und niemals in den Tee getunkt. Wichtig ist besonders, dass während des Teetrinkens
niemals geraucht wird, da dies das Aroma beeinträchtigen würde.
Eine einfache Variante des Nachmittagstees ist als cream tea bekannt, die ursprünglich aus Südengland stammt. In diesem Fall gibt es zum Tee nur die erwähnten scones mit Schlagsahne und Marmelade. In den unteren Schichten gab es zum afternoon tea früher nur Brot und Butter. Als geringwertig eingestufte Tees werden von Briten daher als bread and butter tea bezeichnet.
Die Hauptmahlzeit (früher auch high tea) wird als dinner oder supper abends eingenommen.
In den Büros wird bis fünf oder sechs Uhr gearbeitet. Freitags früher Schluss zu machen, ist wie
bei uns üblich geworden. Die Läden schließen zu sehr verschiedenen Tageszeiten (ihre Öffnungszeiten stehen nicht immer an der Ladentür), aber sie haben samstags meist ebenso lange
auf wie an den anderen Werktagen, viele auch am Sonntagvormittag.
Im großen und ganzen entspricht der englische Tagesrhythmus also dem unseren. Sonntags wird
ein wenig länger geschlafen, der Garten besorgt, am Haus gewerkelt oder am Rasenmäher gebastelt. Oder man fährt mit Familie, Picknickkorb und Klappstühlen an die See, in einen Safaripark
oder zu einem Oldtimer-Bergrennen. Auch wenn der angekündigte Tiefausläufer wieder einmal
für die sonntagstypische Intensivdurchfeuchtung sorgt. » Well, not too bad...« wird der Engländer
antworten, sollte er am nächsten Morgen von seiner Frau gefragt werden, wie das Wetter am Ausflugsziel gewesen sei. War es einigermaßen sonnig, könnte die Antwort auch lauten: »It was terribly hot«.
Wollte man behaupten, die vielen Spottlieder auf die englische Küche träfen nicht zu, würde
man sich unglaubwürdig machen. Aber die englische Gastronomie hat sehr viel mehr zu bieten
als nur fish and chips. Es gibt kaum eine Kleinstadt, die nicht eine beträchtliche Auswahl an chinesischen, italienischen, indischen und französischen Restaurants zu bieten hätte, ganz abgesehen
von Fast-Food-Lokalen.
Bleiben wir bei der
englischen
Küche.
Wenn sie dem kontinentalen Gaumen etwas zu bieten vermag,
dann gehören ein
knackiges
Gemüse
oder raffiniert zubereitete Salate zwar
nicht unbedingt dazu,
wohl aber meist sehr
gute Pasteten, Geflügelvarianten, Fischgerichte und natürlich
Roastbeef sowie saftige Steaks. Eine diesIrish Stew
bezügliche Zurückhaltung hat sich bei den Engländern
schon seit einiger Zeit wieder gelegt. Alternativ bieten sich
23
nach wie vor lamb chops an: Lamm mit Minzsoße und eine in der Folie gebackene Kartoffel ist immer noch ein paar Meilen Umweg wert, wenn das am Wegesrand liegende Pub nur Spiegeleier
mit Pommes frites zu bieten hat. Ohnehin sind die Eintopfgerichte, wie z.B. das bekannte Irish
Stew (mit Lammfleisch, Kartoffeln, Zwiebeln u.a.), durchaus genießbar.
In den klassischen Pubs mit Restaurantbetrieb wird bei der Bestellung am Tresen auch gleich bezahlt. Das gilt fürs Bier – gleich zum Mitnehmen – ebenso wie für die Mahlzeit. Wenn Bedienungspersonal zu Ihnen an den Tisch kommt, dann nur, um Ihnen den Teller mit Ihrem Gericht
zu bringen.
Eating out (Essen gehen) ist ein beliebtes Business-Ritual. Geschäftsleute mit ordentlichem Spesenkonto erkennt man am ausgezogenen Jackett, das über der Stuhllehne hängt, spätestens aber
an der goldenen Kreditkarte beim Zahlen. In einem Restaurant für den anspruchsvolleren Gast
zahlt dieser fürs Ambiente kräftig mit. Pro Person sind £ 50 für ein gar nicht einmal sehr aufregendes Dinner die Regel. Was darüber liegt, hat meist mit der Wahl des Weins zu tun: Die Engländer legen Wert auf edle Tropfen aus aller Herren Länder (zunehmend aus Südafrika, Australien und Neuseeland) und investieren gern in eine oder zwei Flaschen vom Besten, wenn die Qualität der Tischrunde dafür steht.
In Restaurants gibt man ein Trinkgeld, ein tip, von zehn bis fünfzehn Prozent, in Irland maximal
zehn Prozent. Ist auf der Rechnung bereits ein service charge aufgeführt, darf es weniger sein.
Die gastronomische Kultur Britanniens ist für den facettenreich, der sie zu entdecken vermag.
Auf regionale Spezialitäten trifft man selten, dafür haben Selbstversorger eine auf dem Kontinent
unbekannte Auswahl an exotischen Lebensmitteln in kleinen Shops, die von Afrikanern, Asiaten
und Einwanderern aus karibischen Ländern geführt werden. Experimentierfreudige Köche werden hier reichlich fündig.
Und im Notfall kann man immer noch auf die Fertiggerichte vom Warenhaus Marks & Spencer,
neben Sainsbury's das größte Kaufhaus in Britannien, zurückgreifen.
Das Trinkwasser in den Leitungen Englands zeichnet sich durch große Qualitätsschwankungen
aus. Wer auf gleichbleibende Kaffee- und Teequalität Wert legt, installiert einen Filter in der heimischen Küche.
Marks & Spencer in Manchester
24
2.7
Freizeitgestaltung
Die englische Geselligkeit lernt
man am besten im Pub (kommt
von public house) kennen. Dort
kommt man schnell ins Gespräch
– nur keine Scheu. Die Umgangsformen sind unkompliziert; der
Pub ist einer der wenigen Orte in
Großbritannien, an dem Klassenunterschiede eine geringe Rolle
spielen. Getrunken wird traditionell Bier bzw. Ale und Bitter oder
Lager (dem deutschen untergärigen
Bier am ähnlichsten) aus einer reichen Auswahl, das man sich selber
an der Theke holen muss und auch
sofort bezahlt. Allerdings sind
auch andere Getränke wie Wein
Typisches Bild eines Pubs zur Mittagszeit
oder Spirituosen verbreitet. Cocktails sind unoder nach der Arbeit
üblich.
Anders als in Deutschland ist in Großbritannien die Gepflogenheit weitverbreitet, nach der Arbeit mit den Kollegen Bier zu trinken. Folglich
stellt der Feierabend die wesentliche Einnahmequelle der Betreiber dar. Allerdings sieht man auch
tagsüber schon Geschäftsleute in Pubs, die dort ihre Mittagspause verbringen und dabei auch
durchaus schon ein Pint (entspricht 0,56 l) Bier zu sich nehmen (bzgl. Bier siehe auch Mittelengland: III/6.3). Die Auswahl an Getränken ist meist größer als die Auswahl an Speisen. Traditionelles Pub-Essen sind britische Spezialitäten wie Steak und kidney pies und andere Fleischpasteten
oder auch Eintopfgerichte.
Es ist selbst in überfüllten Pubs verpönt, sich durch auffälliges Rufen oder Geldscheinwedeln
beim Wirt Gehör zu verschaffen. Stattdessen wird von diesem erwartet, dass er die Reihenfolge,
in der die Gäste eingetroffen sind, im Auge behält. Verliert der Wirt dennoch einmal den Überblick und bedient einen Gast, der noch nicht an der Reihe wäre, so verlangt die Konvention, dass
dieser ablehnt und den Wirt auf den übergangenen Gast hinweist.
Es ist höchst unüblich, im Pub Trinkgeld zu geben. Um sich dennoch für guten Service erkenntlich zu zeigen, kann man dem Wirt mit den Worten »… and one for yourself« ein Bier ausgeben. Dieser antwortet darauf gelegentlich mit den Worten »I’ll save it for Ron« (kolloq. für »later on«), er wird also später ein Bier auf Kosten des Gastes trinken – vorher aber sicherstellen,
dass er dem Spendierenden zuprostet.
Sehr beliebt sind die
sogenannten Pub-Quiz-Abende, an denen
von einem Quizmaster
Fragen gestellt werden,
die das Publikum einzeln oder in Teams lösen muss. Dem Sieger
winken als Preis kleinere Geldbeträge. In
England ist auch der
Abends mit Live-Musik
pub-crawl (eine Kneipen-Tour) weit verbreitet, dabei werden
möglichst viele Pubs an einem Abend hintereinander besucht.
25
Die Sperrstunde in den Pubs wurde im Jahr 1915 gesetzlich eingeführt. Damit sollte verhindert
werden, dass die englischen Rüstungsarbeiter bis tief in die Nacht hinein tranken und am nächsten Tag verkatert in der Fabrik standen. Die Öffnungszeiten wurden (regional abweichend) auf
11 bis 16 Uhr und 19 bis 23 Uhr festgelegt. Um 22:45 Uhr läutete der Wirt eine Glocke, und es
konnte nach dem Ausruf last order die letzte Bestellung getätigt werden. Dieses Ausrufen führte
häufig zu größeren Panikbestellungen der Pubgäste, die die bestellten Alkoholika bis 23 Uhr in
sich hineinschütteten. Inzwischen wurde diese Sperrstunde deutlich gelockert, so dass besonders
in Großstädten die Pubs bis zwei Uhr geöffnet haben können. Man will damit die oben erwähnten Trinkgelage verhindern. Kritiker bemängeln allerdings, dass hierdurch noch mehr Alkohol getrunken wird und die Ausschreitungen daher noch stärker werden. Sie fordern von der Regierung
die gesetzliche Wiederaufnahme der Sperrstunde.
Die Briten verstehen sich als
Sportsleute und sind davon
überzeugt, viele Sportarten
wenn nicht erfunden, so
doch in Europa eingeführt
zu haben – vom Tennis bis
zum Hockey, vom Polo bis
zum Golf, vom Fußball bis
zum Cricket. Besonders
Fussball mit den Traditionsmannschaften Arsenal London, FC Liverpool, Aston
Villa oder Manchester United stehen im absoluten
Zentrum des sportlich Interessierten, aber auch Rugby
ist seit je her sehr beliebt.
Rugby – angeblich in der
Man sollte sich nicht scheuen, Einladungen
gleichnamigen
Stadt erfunden
zu einer competition anzunehmen. Gemeinsame sportliche Interessen verbinden, und
diese Verbindungen haben durchaus auch
in anderen Beziehungen – gesellschaftlich, nachbarschaftlich, geschäftlich – positive Auswirkungen. Wem sportliche Betätigung mehr zur körperlichen und geistigen Erbauung statt als
Wettkampf dient, der wird sicher gleichgesinnte Partner finden.
Im Übrigen ist Golfspielen in England der wohl am meisten verbreitete Volkssport; es gibt dort
mehr als 250 gepflegte Golfplätze. Die Aufnahmegebühren und Jahresbeiträge der Clubs sind
meist niedriger als in Deutschland.
Fast überall in England findet man ein Kulturangebot, das vielen Ansprüchen gerecht wird. Liebhaber klassischer Musik oder des Jazz, der Folklore oder der Oper kommen ebenso auf ihre Kosten wie Kinofreunde (es gibt selbst in kleinsten englischen Städten noch immer Lichtspieltheater)
oder Bewunderer historischer Baukunst. Ganz selbstverständlich spielt das historische Erbe von
Shakespeares Dramen eine feste Rolle im Theaterleben.
Für viele Engländer ist aber bereits das abendliche TV-Programm gleichbedeutend mit dem Gesamtbegriff Kultur. Auch sind nicht bei allen prall gefüllte Bücherregale zu finden. Kein Grund
zur Überheblichkeit: Der Trend zum Zweitbuch ist auch in anderen Ländern noch nicht überall
erkennbar.
Britannien ist in den letzten Jahrzehnten zu einem multikulturellen Land geworden – durch die
vielen Einwanderer aus allen Teilen der Welt. So feiern verschiedene Bevölkerungsgruppen ihre
eigenen Feste und Bräuche, von denen andere wiederum nicht viel mitbekommen.
An Weihnachten werden die Kinder nicht am Abend des 24. Dezember beschert, sondern erst
26
am Morgen des 25. Dezember. Am zweiten Weihnachtsfeiertag ist boxing day, was nichts mit dem
Boxsport zu tun hat, sondern mit dem Zurücklegen der Geschenke in ihre bunten Verpackungen,
in die boxes. Als offizielle Feiertage gelten in Großbritannien ferner der 1. Januar, Ostermontag
und Karfreitag, der erste Montag im Mai, der letzte Montag im Mai (Spring Bank Holiday) und der
letzte Montag im August (August Bank Holiday). Gedenktage gibt es jede Menge, so den V-Day
am 8. Mai, den Empire Day am 24. Mai, den Coronation Day am 2. Juni und den Guy Fawkes Day am
5. November. Der Gründonnerstag heißt Maundy Thursday, und man kennt auch den Muttertag
(Mothering Day) und im September sogar einen Grandparents’ Day. Die Schlacht bei Hastings im
Jahre 1066 fand an einem 14. Oktober statt, sieben Tage später (allerdings im Jahre 1805) die von
Trafalgar.
Die Engländer sind, wenn es ums Freizeitvergnügen geht, ein geselliges Volk, Sie suchen und finden Gemeinsamkeiten mit anderen – wenn diese sich aufgeschlossen geben.
2.8
Das britische Zeitungswesen
Es gibt kaum einen Engländer, der nicht mit Leidenschaft die Zeitung liest, auch im Zeitalter der
Internet-News. Wobei der Begriff newspapers (oder nur papers) sich auf alles erstrecken kann, was
auf weißem, grauem oder rosafarbenem Papier gedruckt und verbreitet wird.
Ungleich populärer als anderswo auf der Welt ist in England die sogenannte yellow press, im Vergleich zur Financial Times oder zum Daily Telegraph meist kleinformatige (Tabloid), aber immer reißerisch aufgemachte Boulevardblätter. Ihre Welt ist die der Skandale, der wirklichen und der erfundenen, und obwohl niemand zugeben mag, diese Druckerzeugnisse mit den übergroßen Lettern auf der Titelseite ernst zu nehmen, bewegen sich ihre Druckauflagen in astronomischen Höhen. Die als Mittel zum Zweck der Auflagensteigerung ebenfalls praktizierte, bereits erwähnte
Engstirnigkeit, Voreingenommenheit und Häme in bezug auf die Pflege nachbarstaatlicher Beziehungen ist eine eigenartig unbritische Verhaltensweise der Regenbogenpresse, die sich damit an
sehr junge, also noch wenig lebenserfahrene Leser wendet – aber auch an verhältnismäßig alte,
deren Weltbild sich seit 1940 nicht geändert hat. Typische Vertreter sind The Sun und der Daily
Mirror.
Im Gegensatz hierzu stehen die sogenannten Quality papers für seriöse Berichterstattung. Diese lassen sich in ein überwiegend konservatives (Daily Mail, Daily
Telegraph, The Times) und ein linksliberales
Lager (The Guardian, der wöchentlich erscheinende The Observer) aufteilen, was
Zwei der größten Zeitungen:
von der »lagerlosen« The Independent und
»The Times«, »The Guardian«
der wirtschaftsliberalen Financial Times
(keine reine Handelszeitung) komplettiert
wird.
Mit Leidenschaft – und keineswegs nur auf den dritten Seiten der Boulevardpresse – diskutiert
man in England Themen, die heutzutage den Nerv jedes Einzelnen treffen, etwa das Vordringen
ausländischer Großunternehmen in bislang rein britische Domänen. Als die Japaner ihren Fuß
erstmals in die Tür zur britischen Wirtschaft stellten, der US-Gigant Ford den Autohersteller Jaguar übernahm, BMW – um beim Thema zu bleiben – Rolls-Royce sowie Mini und der Volkswagen-Konzern Bentley schluckte, waren dies jedes Mal Vorgänge von weltanschaulicher Dimension. »Ich weiß gar nicht, warum in diesem Lande so viel über den Verkauf von Rover und Mini
geklagt wurde,« sagte ein britischer Wirtschaftsjournalist auf einer Pressekonferenz. »Hätten die
Engländer vor fünf, sechs Jahren mehr Patriotismus bewiesen und vorzugsweise bei uns produzierte Autos anstatt von Volkswagen, Honda, Peugeot oder Fiat gekauft, wäre es ja gar nicht soweit gekommen...«
27
3
Verkehr, Bildung und Wirtschaft
3.1
Verkehr
Die meisten Briten bekennen sich mit Leidenschaft zum Autofahren (am liebsten auf dem Kontinent). Das Straßennetz Großbritanniens ist zum überwiegenden Teil in einem sehr guten Zustand. So oder so bedarf es einer Gewöhnung an den Linksverkehr und an die Rechtslenkung.
Viele Autofahrer vom Kontinent kommen damit aber schon nach kurzer Zeit zurecht. Sie verursachen nach Auskunft der Automobilclubs auch nicht mehr Unfälle als Briten am Steuer ihrer
Rechtslenker. Benzin wird in England nicht mehr nach Gallonen, sondern nach Litern abgegeben. Autofahren ist in Britannien ein relativ teures Vergnügen, dennoch liegt der Kraftstoffpreis
noch leicht unter deutschem Niveau.
Das Verhalten des Engländers am Steuer ist ganz und gar nicht als aggressiv, eher als defensiv zu
bezeichnen. Man hält sich auf dem motorway an die Höchstgeschwindigkeit von 70 Meilen pro
Stunde (113 km/h) – sonst außerhalb geschlossener Ortschaften 60 mph (96 km/h) und innerorts 30 mph (48 km/h). Wenn ein Zeitgenosse es besonders eilig haben sollte und darauf besteht,
mit illegalen 140 oder 160 überholen zu wollen, macht ihm jedermann bereitwillig Platz. Der Versuchung, ihm nachzujagen, unterliegen aber meist nur ausländische Kraftfahrer. Nicht zuletzt
trägt die eher gemächliche Fahrweise der Engländer zu der langen Lebensdauer ihrer Autos bei.
Höchstbeanspruchungen werden vermieden. Und auf vielen Landstraßen wird besonders vorsichtig gefahren; sie sind eng und kurvenreich, von hohen Hecken gesäumt und streckenweise
auf 30 oder 40 mph limitiert. Etwas höheres Tempo legen hier nur die lorries (Lastwagen) vor –
oder Sportwagen à la Lotus, Morgan und Aston Martin, deren Lenker am Sonntagmorgen die
Abwesenheit des Berufsverkehrs genießen und mal ordentlich aufs Gaspedal treten möchten. Geschwindigkeitsüberwachungen sind auf den motorways aber ziemlich häufig anzutreffen. Telefonieren während der Fahrt ist dem Fahrzeuglenker verboten, außer mit der Freisprechanlage. Überhaupt empfiehlt es sich sehr, die Regeln einzuhalten, die Bußgelder sind etwas höher als in
Deutschland. Parkraum ist generell knapp, auch in kleinen Ortschaften, aber es gibt meist gekennzeichnete Parkflächen, auf denen man sein Auto auch längere Zeit abstellen kann.
Die Beschilderung an den Landstraßen und an den motorways, von
denen die meisten dreispurig angelegt sind, und auf den dual carriageways – zweispurige Hauptverkehrsstraßen (primary roads) der A-Kategorie – ist klar und übersichtlich.
Blaue Tafeln kennzeichnen die motorways, grüne mit gelber Schrift
die primary roads, weiße mit
schwarzer Schrift die Gemeindestraßen. Hinweisschilder für Sehenswürdigkeiten des English HeriStraßenschild einer primary road
tage, der staatlichen Behörde zur Erhaltung
und Pflege historisch bedeutsamer Stätten,
sind braun gehalten. Baustellenschilder sind
Wegweiser zu einem Kulturerbe
gelbgrundig – und es nimmt nicht wunder,
dass auf einigen von ihnen ein höfliches
»Sorry for any delay« steht. Schließlich ist
man in Großbritannien!
Verkehrsstauungen nimmt der Brite mit Gelassenheit. Wenn im Winter mal alles still
steht, weil einer der wenigen Schneetage ein
Vorankommen so gut wie unmöglich macht
28
(es gibt weder Schneepflüge noch Winterreifen), dauert das Chaos eben ein wenig länger – kein
Grund, die Nerven zu verlieren!
Der Partnerclub des ADAC ist die Automobile Association (AA), der des AvD der Royal Automobile Club (RAC). Beide verfügen über ein gutes Servicesystem. Im Pannenfall ist Hilfe telefonisch landesweit unter der Nummer 0800-0289018 (AA) oder 0800-828282 (RAC) anzufordern; wer ein Mobiltelefon benutzt, wählt 0162-2762342. Die Nummer für den Polizei- und
Unfallnotruf ist 999, per Mobilfunk 112.
Viele Briten sind auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Zum einen,
weil in vielen Familien kein Zweitwagen vorhanden ist. Zum anderen, weil viele Pendler es
in Anbetracht der Verkehrssituation während
der berüchtigten rush hours (etwa 8 bis 9:30
Uhr, 16:30 bis 18:30 Uhr) und wegen der Parkplatzknappheit in den Städten vermeiden, mit
dem Auto zur Arbeit zu fahren. Man kommt
Double Arrow, das Logo der
so oder so zu spät, sei es per Auto oder per
britischen Bahn (British Rail)
Bus und Bahn: Pünktlichkeitsfanatiker haben
es in England nicht leicht. Übrigens gibt es an
den Bahnhöfen auch noch die Kofferträger,
die gerne ihr Gepäck tragen und dafür üblicherweise ein Pfund Trinkgeld bekommen.
Der morgendliche Vorortbahn- und Busverkehr spielt sich in England nicht anders als in jedem
anderen Industrieland ab; würden deren Teilnehmer sämtlich auf ihren eigenen zwei oder vier
Rädern zur Arbeit pendeln, wäre es um den Straßenverkehr im Ballungsbereich der Metropolen
noch schlimmer bestellt. Die kommunalen und regionalen Bussysteme (wobei man mit bus den
Doppeldecker, mit coach den normalen Bus zu bezeichnen pflegt) erstrecken sich über verhältnismäßig dichte Netze.
Immer mehr Geschäftsleute, bei denen der Zeitfaktor von ausschlaggebender Bedeutung ist, bedienen sich des Luftfluges. Außer dem Knotenpunkt Heathrow bei London sind weitere internationale Flughäfen in Hauptstadtnähe Gatwick, Stanstead und Luton; wichtige Regionaldestinationen in England sind außerdem Newcastle, Leeds/Bradford, Liverpool, Manchester,
Sheffield, Birmingham, Bristol, Cardiff, Southampton, Plymouth und Newquay.
Vom Flughafen zur Stadt nimmt man, wie überall auf der Welt, den Zubringerbus oder bedient
sich eines Taxis. Nur sollte man sich über den Tarif vor Antritt der Fahrt erkundigen. Eine Quittung wird vom Taxifahrer in England nur selten verlangt, deshalb führt er im Allgemeinen auch
keinen Quittungsblock bei sich, sondern quittiert die Summe auf seiner Geschäftskarte. Als
Trinkgeld bietet sich an, den Betrag auf ein ganzes Pfund aufzurunden. In den Städten gibt es
viele kleine Taxiunternehmen, wie Ihnen ein Blick in die yellow pages (Gelbe Seiten) verrät. Die
Stichworte lauten cabs oder mini cabs. Einen Wagen auf der Straße heranzuwinken, gelingt einem
nur in sehr großen Städten; andernorts ist ausschließlich die telefonische Bestellung üblich.
3.2
Bildung
Das Schulsystem in Großbritannien ist von regionalen Unterschieden geprägt, weswegen hier
nur das englische erläutert wird. Die Unterschiede ergeben sich aus den Gestaltungsfreiheiten der
Local Education Authorities (LEAs) bei der Einrichtung von Schulen. Privatschulen machen einen
wichtigen, wenn auch nur kleinen Teil des englischen Schulwesens aus. Grundsätzlich ist das System folgendermaßen gegliedert: Elementarbereich (Vorschule; für Kinder unter 5 Jahren freiwil29
lig); Primärbereich (5-11 Jahre); Sekundärbereich I (12-16 Jahre); Sekundärbereich II (17-18
Jahre); Akademische Ausbildung (Universität).
In England und Wales gibt es zwei Abschlußqualifikationen, die am Ende der Schulzeit abgelegt
werden können. Das General Certificate of Secondary Education (GCSE), das planmäßig nach elf Jahren Schulbesuch im Alter von sechzehn Jahren erworben wird, und das General Certificate of Education at Advanced Level (GCE A-Level), das nach zwei weiteren Jahren im Alter von achtzehn Jahren
abgelegt wird. Bei den Prüfungen handelt es sich nicht um Schulabschlüsse in der Art, wie sie in
Deutschland üblich sind. Es handelt sich vielmehr um Einzelfächerprüfungen, die in beliebigem
Umfang und variabler Zusammenstellung absolviert werden können. Der Mittleren Reife entsprechen etwa fünf GCSE-Prüfungen. Mindestens zwei, faktisch aber drei GCE A-Levels entsprechen etwa dem Bildungsniveau des Abiturs. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß mit A-Levels
immer nur eine fachgebundene Hochschulzugangsberechtigung erreicht wird. Seit September
1987 wird zusätzlich eine weitere Form der A-Level-Prüfungen angeboten, die als Advanced/Supplementary Level (ergänzendes Fortgeschrittenen-Niveau, GCE A/S-Level) bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich um Zusatzprüfungen, die in etwa die
Hälfte des Lehrplanes für ein
volles A-Level abdecken. Mit
der Einführung der A/S-Level
Prüfungen wurde beabsichtigt,
einer frühzeitigen Spezialisierung auf wenige Fächer entgegenzuwirken, wie sie durch die
Beschränkung auf die traditionellen A-Levels geschieht.
Die achtziger Jahre sind durch
die verstärkten Bemühungen
der Regierung gekennzeichnet,
die vorbereitende Berufsbildung im allgemeinen Schulwesen auszubauen, wofür der Begriff des New Vocationalism
Studenten der Universität in Oxford
(Neue Beruflichkeit) geprägt
wurde.
Der Bereich der Hochschulbildung ist nicht gesetzlich geregelt. Indirekt erfolgt eine Definition
anhand der Lehrpläne der angebotenen Kurse und Studiengänge sowie der zu erreichenden akademischen Abschlüsse, die vom DfEE (Department for Education and Employment) durch das Higher
Education Funding Council finanziert werden. Allgemein wird als Hochschulbildung jede Art fortgeschrittener Bildung anerkannt, die als Eingangsvoraussetzung das GCE A-Level oder ein Äquivalent verlangt.
Der größte Anteil der Hochschulbildung wird von den Universitäten abgedeckt. Sie sind selbständige Organe, die durch eine königliche Gründungsurkunde dazu berechtigt sind, akademische
Abschlüsse zu verleihen. Die Zulassung der Studenten liegt in der Verantwortung der einzelnen
Universität, die ihre eigenen Bestimmungen erläßt. Die ältesten britischen Universitäten stammen
aus dem 12. bis 15. Jh., so unter anderem Oxford, Cambridge, St. Andrews, Glasgow und Aberdeen. Die großen City-Universitäten wurden zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet. Die jüngeren Universitäten gehen auf Gründungen in den sechziger und siebziger Jahren zurück und sind meist als Campus-Universitäten errichtet worden. In dieser Zeit entstanden auch die New Universities, die ehemaligen polytechnischen Hochschulen.
Neben den Universitäten gibt es noch etwa hundert andere Einrichtungen im Bereich der Hochschulausbildung. Hierbei handelt es sich um Institutes oder Colleges of Higher Education, an denen
auch akademische Abschlüsse erreicht werden können. Manche dieser Institute haben sich in ih30
ren Angeboten auf die Lehrerausbildung oder andere Bereiche wie etwa Kunst oder Design spezialisiert. Diese Institute stellen, da sie neben Vollzeitstudiengängen auch Teilzeitstudienmöglichkeiten anbieten, einen bedeutenden Teil der Hochschulausbildung des Landes dar. Sie sind jedoch nicht berechtigt, eigene akademische Titel zu verleihen.
Die Open University ist eine Einrichtung des Hochschulbereichs, die keine formale akademische
Eingangsqualifikation verlangt. Sie wendet sich an Teilnehmer, die vom regulären Hochschulwesen wegen Fehlens einer formalen Eingangsqualifikation ausgeschlossen sind.
3.3
Wirtschaft
Das Vereinigte Königreich hat eine Marktwirtschaft mit sozialen Zügen. Es zählt zu den am
stärksten deregulierten und privatisierten Volkswirtschaften der Welt. Die britische Ökonomie ist
Ursprung des sogenannten angelsächsischen Kapitalismus, der auf den Prinzipien der Liberalisierung,
des freien Marktes, niedriger Besteuerung und geringer Regulierung beruht.
In der EU setzt sich Großbritannien nachdrücklich für Liberalisierung und Deregulierung im
Rahmen der Lissabon-Strategie (EU-Wirtschaftsreform-Agenda) ein. Sozialstaatliche Elemente sind
am deutlichsten sichtbar im Gesundheitswesen, das in staatlicher Regie geführt wird.
Angesichts struktureller Defizite und jahrzehntelanger Unterfinanzierung hat die Regierung die
Investitionen in den Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen (Gesundheitsdienst, Bildungs- und
Erziehungswesen, Verkehrsinfrastruktur) in den letzten Jahren deutlich erhöht, oft durch Projekte
in öffentlich-privater Partnerschaft.
Das Land hat das weltweit fünftgrößte Bruttoinlandsprodukt (BIP), nach Deutschland das zweitgrößte in Europa. Im Vergleich mit dem BIP der EU (ausgedrückt in Kaufkraftstandards oder
Kaufkraftparität) erreicht das Vereinigte Königreich einen Index von 116,2 ( im Jahr 2003;
Deutschland: 112 – als Maßgabe ist der Schnitt der 25 EU-Länder, noch ohne Bulgarien und Rumänien, mit 100 gesetzt). Das Wirtschaftswachstum im Jahr 2007 erreichte über 3 %, wobei die
Konjunktur weiterhin auch durch hohe Staatsausgaben gestützt wird.
Die Industrielle Revolution hatte ihren Ursprung im Großbritannien. Zu Beginn gab es eine
Konzentration auf die Schwerindustrie, die Schiffbau, Kohlebergbau, Stahlproduktion und Textilherstellung umfasste. Das weltumspannende Reich schuf einen Überseemarkt für britische Produkte, was es dem Land erlaubte, während des 19. Jahrhunderts den internationalen Handel zu
kontrollieren. Als sich aber auch andere Staaten industrialisierten und die Landwirtschaft keine
überschüssigen Arbeitskräfte mehr stellen konnte, folgte im Verlaufe des gesamten 20. Jahrhunderts der langsame Niedergang der Schwerindustrie.
Die Industrie hat heute noch etwa einen
Anteil von einem Sechstel am BIP. Ein bedeutender Zweig ist die Automobilindustrie,
wenn auch alle Unternehmen mittlerweile in
ausländischer Hand sind. Die Luftfahrt- und
Rüstungsindustrie wird dominiert von BAE
Systems und Rolls-Royce hat einen bedeutenden Anteil an der weltweiten Raumfahrtindustrie. Ein wichtiges Standbein ist
die chemische und pharmazeutische Industrie; das zweit- und das drittgrößte Pharmaunternehmen der Welt – GlaxoSmithKline und AstraZeneca – haben ihren HauptEin Jaguar XJ der Serie 3.
sitz in Britannien.
Auch diese Marke ist in
fremden Händen: Ford.
31
Der Dienstleistungssektor hingegen wuchs ständig an und hat nun einen Anteil von 73 % am
BIP. Da das verarbeitende Gewerbe in den vergangenen Jahren kaum gewachsen ist, wird die Dynamik der britischen Volkswirtschaft wesentlich durch den starken Dienstleistungssektor, besonders durch den Finanzsektor geprägt.
London ist der wichtigste Finanzplatz in Europa. Alle größeren Banken, Versicherungen, Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfungsfirmen sowie internationale Rechtsanwalts-kanzleien
sind vertreten. Auch in Hochtechnologiebranchen wie Telekommunikation, Informationstechnik,
Biotechnologie, Pharma- und Chemieindustrie sowie beim Fahrzeugbau und in der Elektrotechnik hat das Land eine gute internationale Wettbewerbsposition.
Ebenfalls von großer Bedeutung ist der Tourismus; mit über 27 Millionen Touristen pro Jahr ist
das Vereinigte Königreich das sechstwichtigste Reiseziel der Welt.
Skyline der City of London, dem Finanzplatz Britanniens
Die britische Landwirtschaft ist im europäischen Vergleich klein und durch einen anhaltenden
Strukturwandel gekennzeichnet; sie trägt 0,8% zum Bruttosozialprodukt bei und beschäftigt 1,9%
aller Arbeitskräfte. Hingegen besitzt das Land große Reserven an Kohle, Erdgas und Erdöl. Die
Ausbeutung der Energiequellen trägt zu 10 % zum BIP bei, was für einen Industriestaat ein außerordentlich hoher Anteil ist. Bedeutende britische Unternehmen dieser Branche sind unter anderem BP und Royal Dutch Shell. Der Export deutscher Produkte aus der Land- und Ernährungswirtschaft nach Großbritannien boomt; u.a. ist Großbritannien der wichtigste Exportmarkt
für deutschen Wein.
Das Sozialsystem besteht aus dem britischen Wohlfahrtsstaat, einem Universalsystem. Es deckt
die gesamte Bevölkerung ab (statt nur die Gruppe der versicherten Arbeitnehmer), er finanziert
seine Leistungen überwiegend durch Steuergelder (statt über Einkommensbeiträge), seine Auszahlungen erfolgen in einheitlichen, oft geringen Pauschalleistungen (statt auf Grundlage des
vorherigen Verdienstes). Die britische Arbeitsmarktpolitik gilt seit Jahren als sehr erfolgreich. Die
Zahl der Beschäftigten liegt mit 29 Mio. auf historischem Rekordhoch, die Arbeitslosenquote ist
seit 2000 mit etwa 5% vergleichbar niedrig (Januar 2008: 5,3%). Kernelemente der Labour-Politik
sind die Reform der staatlichen Arbeitsverwaltung und ihre Zusammenlegung mit der Sozialverwaltung, geringes Arbeitslosengeld in Verbindung mit intensiver Unterstützung bei der Arbeitsuche, die Einführung eines Mindestlohns sowie Arbeitsanreize durch Steuergutschriften für Geringverdienende.
Altersarmut ist in Großbritannien seit Jahrzehnten ein großes Problem. Die Zahl der Rentner, die
unterhalb der Armutsgrenze leben, konnte durch die Einführung einer Mindestsicherung von 2,9
Mio. (1997) auf 1,8 Mio. (2007) verringert werden. Im Mittelpunkt der Rentenpolitik steht nun
das Bemühen, die Menschen zu eigener Vorsorge zu aktivieren und dabei auch Arbeitgeber und
Staat zu beteiligen.
32
Das britische Gesundheitswesen ist staatlich organisiert (National Health Service, NHS) und bietet
prinzipiell eine für alle Bürgerinnen und Bürger kostenlose Gesundheitsversorgung. Allerdings
gilt der NHS, trotz deutlicher Budget-Steigerungen in den vergangenen Jahren, als chronisch unterfinanziert, mit der Folge von deutlich spürbaren Versorgungsengpässen. Übrigens gilt seit Juli
2007 im gesamten Vereinigten Königreich ein generelles Rauchverbot in öffentlichen geschlossenen Räumen und öffentlichen Verkehrsmitteln.
Übergewicht und gesunde Ernährung, insbesondere von Kindern, spielen in der öffentlichen
Diskussion eine große Rolle. Die Regierung beschloss im Januar 2008 einen Aktionsplan gegen
Fettleibigkeit, der vor allem auf Aufklärung und Anreize setzt. Außerdem fordert die Regierung
weiterhin eine deutliche Kennzeichnung von Lebensmitteln hinsichtlich ihres Zucker-, Fett- und
Salzgehaltes sowie ihrer Umwelt- und Klimaauswirkungen.
Großbritanniens Umweltpolitik beansprucht auch unter Premierminister Brown eine globale
Führungsrolle in einer integrierten Klima- und Energiepolitik (ökologische Industriepolitik), die
unter dem Primat der Kohlenstoffdioxid-Reduzierung den Übergang zu einer kohlenstoffarmen
Wirtschaft vorbereiten soll. Britannien will den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 von derzeit
knapp 2% auf 15% steigern (insb. Offshore-Windkraft, Gezeiten-, Wellen- und Meeresströmungs-Wasserkraft).
Im Verkehrsbereich werden Kapazitätsengpässe bei allen Verkehrsträgern zunehmend deutlich.
Die lang anhaltende Phase des Wirtschaftswachstums geht einher mit einer überproportional steigenden Nachfrage nach Transportdienstleistungen. Die massiven Ausbaupläne der privatisierten
Flughäfen stehen teilweise im Widerspruch zur Umwelt- und Klimaschutzpolitik der Regierung.
Im Bereich des Straßenverkehrs favorisiert die Regierung – nach Londoner Vorbild – die Einführung lokaler und regionaler City-Maut-Lösungen.
33
II
Südosten
Von der Grafschaft Kent, dem »Garten Englands« zur atemberaubenden Küste von Dorset und
der Isle of Wight bis hin zu den Cotswolds in Oxfordshire – der Südosten Englands bietet mit
seinen malerischen Dörfern, sanften Hügellandschaften, spektakulären Küsten, schicken Seebädern und historischen Städten die perfekte Mischung für einen abwechslungsreichen Urlaub.
Denn der Südosten zeigt England von seiner besten Seite: Ob ländliche Stille, städtische Sehenswürdigkeiten, aufregendes Küstenpanorama oder Spiel und Spaß am Strand – hier wird jeder Urlaub zum Erlebnis. Dutzende von Gärten laden im Südosten zum Besuch ein, vom weltberühmten Sissinghurst und dem romantischen Nymans, über Savill Garden im Windsor Great Park bis
zum exotischen Leonardslee nahe Horsham.
Auch die Geschichte hat überall ihre Spuren hinterlassen und kann besichtigt werden, so im Fishbourne Roman Palace, der Kathedrale von Canterbury oder in herrlichen Schlössern wie Leeds
Castle in Kent oder Windsor Castle, der offiziellen Residenz der Königin.
Niemals ist der Besucher weit von der Küste und dem damit verbundenen maritimen Erbe Großbritanniens entfernt. Im Historic Dockyard in Chatham werden 400 Jahre britischer Seefahrtsgeschichte lebendig und in
Portsmouth sind die Mary Rose
(ein Schiff von Heinrich VIII.),
Admiral Nelsons HMS Victory
und die HMS Warrior zu besichtigen.
Wer die Abgeschiedenheit
sucht, sollte die Cotswolds in
Oxfordshire, bekannt wegen ihrer reetgedeckten Cottages, besuchen oder sich auf eine Wanderung in den North und South
Downs oder den Surrey Hills
begeben.
Mit 19 000 km² hat der Südosten die drittgröße Flächenausdehnung der englischen Regionen. Hier leben 8 Mio. Einwohner,
womit der Südosten die bevölkerungsstärkste Region Englands ist. Der Verwaltungssitz der Region befindet sich in Guildford in der Grafschaft Surrey.
1
Kent
Kent wird im Norden durch die Themse und die Nordsee und im Süden durch die Straße von
Dover und den Ärmelkanal begrenzt. Frankreich befindet sich in Sichtweite, 33 km entfernt.
Eine der auffälligsten geografischen Eigenschaften sind die Täler und Hügelketten, die sich in
Ost-West Richtung durch die Landschaft ziehen. Dies sind geologische Überreste des Wealdsattels, der sich von Ostfrankreich bis Sussex erstreckt und durch die Erdverschiebungen vor 20
Mio. Jahren entstanden ist. Dieser Sattel besteht aus einer oberen Kreideschicht die über verschiedenen Greensand-, Ton-, Lehm- und Buntsandsteinschichten liegt. Die Hügel und Täler entstan34
den, als die Erosion die Tonschichten eher verschwinden ließ, als die übrigen Gesteinsschichten.
Es sind zwei Kohlefelder vorhanden, wobei sich eins bis unter den Ärmelkanal zieht.
Seismische Aktivitäten wurden gelegentlich in Kent bemerkt , deren Epizentren aber vor der
Küste lagen. Im April 2007 kam es zu einem Erdbeben der Stärke 4,3, das Folkstone beschädigte.
Die Küste von Kent verändert sich fortlaufend durch tektonischen Druck und Küstenerosion.
Bis zum Jahr 960 war die Isle of Thanet eine Insel, die durch den Wantsum-Kanal vom Festland
getrennt war. Durch Kreideablagerungen versandete der Kanal immer weiter. Ähnlich verlief es
in der Romney Marsh und bei Dungeness, die ebenfalls durch Schlickablagerungen entstanden
sind.
Der Medway ist der größte Fluss der Grafschaft. Bis zur Schleuse bei Allington macht sich der
Tidenhub im Fluss bemerkbar. Der Fluss bildet die Grenze zwischen Westkent und Ostkent. Die
Einwohner Ostkents werden »Männer/Mädchen aus Kent« genannt, während die Einwohner
Westkents als »Kentische Männer/Mädchen« bezeichnet werden.
In den letzten Jahren verschwanden immer mehr landwirtschaftliche Betriebe in der Grafschaft,
während Industrie und Dienstleistungen zunahmen. Nordkent ist das Industriezentrum der
Grafschaft. In Northfleet und Cuxton wird
Zement
produziert,
Ziegel in Sittingbourne, Schiffbau findet
auf dem Medway und
in Swale statt, Maschinenbau und Flugzeugbau in Rochester. Chemieindustrie
findet
sich in Dartford, Papierherstellung in Swanley und die Ölraffinerien befinden sich
bei Grain. Schon im
19. und 20. Jahrhundert waren die Zementindustrie, die Papierherstellung und der
Umgebautes Malzhaus bei Frittenden
Bergbau wichtige Industrien für die Grafschaft. Die Zementherstellung rückte im 19. Jahrhundert in den Vordergrund, als große Siedlungen gebaut wurden. Vorteilhaft war, dass die Kalkstein- und Kreidevorkommen in unmittelbarer
Nähe in den Gruben zwischen Stone und Gravesend abgebaut werden konnten. Da in vorindustrieller Zeit praktisch in jedem Ort eine eigene Papiermühle stand, hat es zeitweise über 400 Papiermühlen gegeben. 28 dieser alten Papiermühlen sind in der Grafschaft noch erhalten, zuzüglich zweier Nachbauten.
Der Westen der Grafschaft gilt als wohlhabender als der Osten. Dies hängt mit der Nähe zu London zusammen, weil viele Pendler sich dort niedergelassen haben.
Viele Schriftsteller und Künstler haben sich von Kent inspirieren lassen. Canterburys Stellung als
religiöses Zentrum führte zu Geoffrey Chaucers Canterbury Tales, ein Meilenstein der englischen
Literatur. Der Vater des Schriftstellers Charles Dickens arbeitete auf den Docks von Chatham
und deshalb findet man in vielen Romanen von Dickens Eindrücke aus Chatham und Umgebung
wieder. Der Landschaftsmaler William Turner verbrachte Teile seiner Kindheit in Margate und
kam auch später oft dorthin zurück. Die Küste Ostkents inspirierte viele seiner Werke einschließlich einige seiner Seelandschaften.
35
1.1
Dover
Wer kennt sie
nicht, die berühmten weißen
Klippen,
die
man schon von
weitem
sieht,
wenn man sich
England mit der
Fähre
nähert.
Dover (28 156
Einw.) ist sicherlich die berühmteste Hafenstadt
Englands, von
hier kommt man
ja auch am schnellsten per Boot auf den
»Kontinent«. Der Ort wurde im Zweiten
Weltkrieg stark beschädigt, was auch heute leider noch Auswirkungen auf die Atmosphäre hat.
Fähre vor den Kreidefelsen
Die Attraktion Nummer eins ist Dover Castle, deren älteste Strukturen auf das zwölfte Jahrhundert zurückgehen. Es liegt spektakulär hoch über der Stadt. Schon die Römer waren sich dieser
strategischen Lage bewußt, sie errichteten zwei Leuchttürme, von denen heute nicht einer übrig
ist, der direkt neben der Kirche St. Mary-in-Castro steht. Ebenfalls innerhalb der Burgmauer ist
der Norman Keep, der normannische Festungsturm. Innen findet sich eine Ausstellung zum
Thema Spionage. Besonders schön ist die Aussicht, an guten Tagen geht der Blick bis nach
Frankreich.
Eine weitere Attraktion befindet sich im Dover Castle: Die Secret Wartime Tunnels. Gegraben
wurden diese zu Zeiten der Napoleonischen Kriege. Sie wurden im Zweiten Weltkrieg erweitert,
in dieser Zeit wurden diese als Luftschutz und Kommunilationszentrale genutzt. Die ca. einstündige Tour lohnt sich. Dann ist da noch das Roman Painted House, ein Gebäude aus dem zweiten
Jahrhundert nach Christus, das im Jahre 1970 entdeckt wurde. Hier sind einige der schönsten
Wandmalereien in Großbritannien ausgestellt, auch römische Mosaike.
Wer ein wenig mehr über die bewegte Geschichte Dovers (knapp 30 000 Einwohner) erfahren
will, kann das Museum am Marktplatz besuchen. Ebenfalls sehenswert ist das Maison Dieu, ein
Gebäude aus dem 13. Jahrhundert und Teil des heutigen Rathauses. Früher war es eine Stätte, in
der Pilger auf ihrem Weg nach Canterbury ausruhen konnten.
1.2
Sandwich
Der vierte Earl of Sandwich, John Montague, war ein so leidenschaftlicher Kartenspieler, dass er
einen Weg finden musste, zu essen ohne die Karten zu beschmutzen. Also befahl er seinem Diener ein Stück Fleisch zwischen zwei Brotscheiben zu legen – das Sandwich war geboren. Sicherlich ist es streitbar, ob dieser Imbiss wirklich hier erfunden wurde. Unbestreitbar ist jedoch, dass
es nach diesem kleinen Ort (6800 Einw.) in Kent benannt ist.
Abgesehen von dem berühmten Produkt besteht Sandwich aus einer Reihe von hübschen geschichtsträchtigen Häusern, teilweise im Fachwerkstil. Der mittelalterliche Ort ist in Teilen noch
gut erhalten. Sehenswert ist dabei besonders der Barbican, ein Wachturm aus dem 16. Jahrhundert,
36
an dem früher Wegezölle bezahlt
werden mussten. Ebenfalls aus dieser Zeit ist die Guildhall, in der
heute die Touristeninformation
und das Heimatkundemuseum untergebracht sind. Ansonsten bummelt man vielleicht in den Antiquitätenläden, die es hier reichlich
gibt. Die Strände jedenfalls sind ein
Stück entfernt und erst muss der
örtliche Golfkurs überwunden
werden, um dort hinzugelangen.
Dieser ist allerdings weltberühmt
und es finden jedes Jahr die Open
Championships bzw. British Open
statt.
Der weltbekannte Imbiss soll hier
seinen Namen erhalten haben
Ebenfalls zwischen dem Ort und dem Meer ist das Naturschutzgebiet Gazen Salts mit vielen seltenen Vogelarten.
Etwa drei Kilometer nordwestlich von Sandwich liegt das Richborough Fort aus römischer Zeit.
Es war eine bedeutende militärische Anlage im Kampf gegen die Sachsen. Heute sind fast nur
noch die Grundmauern erhalten und es ist schwer, sich einen echten Eindruck von der Anlage zu
machen.
1.3
Ramsgate
Hafen von Ramsgate
Ramsgate (39 639 Einwohner) sticht aus der
Masse heraus: Ein hübscher Ort am Meer mit
schönen Stränden. Was
fehlt sind die Touristenmassen wie in Brighton
oder
Southend-on-Sea.
Und das ist das besondere: Relative Ruhe vom
Rummel.
Viele Gebäude sind aus
viktorianischer Zeit, rote
Backsteinhäuser mit gusseisernen
Verzierungen.
Der Hafen ist der Höhepunkt. An sonnigen Tagen kann man sich südländisch
fühlen
und
Cappuccino trinken. Auch befindet sich hier das Ramsgate Maritime Museum im alten Uhrenhaus direkt am
Hafen, das einem die Seefahrtsgeschichte des Ortes näher bringt. Das darf natürlich in einem solchen Ort
nicht fehlen.
37
1.4
Margate
Margate (59 100 Einwohner) ist ähnlich wie Southend-on-Sea durch und durch ein traditioneller
Badeort samt Vergnügungsviertel. Wer also Spielcasinos, Fish & Chips, Souvenirs und Eiscreme
mag, der ist hier goldrichtig. Einst war es eines der beliebtesten Ausflugsziele von Londonern,
mittlerweile zieht es eher nicht die Besserverdienenden an. Wer allerdings gerne recht günstig einfach nur ans Meer möchte, für den ist Margate sicherlich eine Alternative zum weitaus teureren
Brighton.
Der Ort hat neben dem Margate Museum noch die sogenannten Shell Grottos zu bieten, deren
Decken und Wände mit über 4 Millionen Muscheln bedeckt ist. Dieser »Tempel« ist 1835 wiederentdeckt worden, der Ursprung dieses Ortes ist jedoch umstritten und niemand weiß genau, ob
es sich wirklich um ein historisches Monument oder um eine Schwindelei von ausgefuchsten Geschäftsleuten handelt.
1.5
Rochester
Rochester wird beherrscht von
der großen normannischen Burgruine in Form eines Turmes,
die sich eindrucksvoll über die
Stadt erhebt. Der gesamte
Komplex wurde teilweise auf
den Resten der römischen
Stadtmauer erbaut. Im Innern
schlängelt sich eine schmale
Treppe das mächtige Gemäuer
entlang. Böden sind keine mehr
vorhanden, sodass man sich im
Innern einen guten Eindruck
von der gesamten Anlage machen kann. Außerhalb des
Turms sind noch Teile der alten
Mauer zu sehen, in deren InRochester Castle
nern sich heute ein Garten befindet, in dem Jung und Alt sich
gerne aufhalten.
Rochester (27 000 Einwohner) hat neben der Burg auch noch die zweitälteste Kathedrale Englands zu bieten. Die ältesten Teile des ebenfalls normannischen Bauwerks gehen auf den Anfang
des siebten Jahrhunderts zurück. Wenn Ihnen jetzt der Sinn nach etwas anderem steht, können
Sie sich noch das Charles-Dickens-Museum anschauen, dass sich wie erwartet mit dem Leben des
Schriftstellers beschäftigt.
1.6
Tunbridge Wells
Royal Tunbridge Wells (61 300 Einwohner) liegt inmitten des Gartens von England malerisch in der
Landschaft. Es ist ein Ort, der eine gewisse Eleganz ausstrahlt. Im Jahre 1606 wurde hier eine
Quelle entdeckt, der heilende Kräfte nachgesagt wurde. Somit wurde Tunbridge rasch zu einem
Heilbad. Elegante Architektur vermischt sich hier mit weiträumigen Parkanlagen, in denen Besucher ausgiebig spazieren gehen konnten.
38
Allen voran tragen die Pantiles zu dem vornehmen Image der Stadt bei. Es handelt sich dabei um
eine mit Säulen bestückte Prachtstraße. Hier findet man Cafés, Läden und Restaurants – alles
geht hier etwas langsamer. Auch befindet sich hier die Quelle, die etwas unscheinbar am Nordende der Pantiles liegt. Für ein paar Pence kann man das eisenhaltige Wasser probieren, dass von einer charmanten Dame in
historischem Kostüm gereicht wird.
Eine Anekdote am Rande: Das Badehaus aus
dem Jahre 1804, direkt
neben der Quelle, war ein
absoluter geschäftlicher
Reinfall, weil das Wasser
eine eigenartige Farbe annahm, sobald es erhitzt
wurde. So blieben die
Kunden aus. Heute befindet sich eine Apotheke in
dem Haus, in Großbritannien ein gewinnbringendes Geschäft.
Pantiles
In der Ausstellung A Day at the
Wells ist die Geschichte des Ortes anzusehen. Anschaulich
wird gezeigt, wie das Leben
hier im 18. Jahrhundert ablief.
Danach kann man dann Tunbridge so erleben, wie es die
Besucher der Heilquelle taten:
Schlendern, dinieren, spazieren
– alles in sehr gemächlichem
Tempo.
Chalybeat-Quelle
in Turnbridge Wells
1.7
Canterbury
Canterbury ist berühmt für seine Kathedrale und die Canterbury Tales von Chaucer. Ein schönes
mittelalterliches Stadtbild rundet die Ausstrahlung des wichtigsten Bischofssitzes in England ab.
Der Erzbischof dieser Stadt steht über allen anderen Kirchenoberhäuptern der anglikanischen
Kirche auf der Insel. Doch Canterbury hat noch einiges mehr zu bieten.
Die Stadt (43 432 Einwohner) atmet Geschichte. Canterbury ist noch teilweise von Festungswällen umgeben, das mittelalterliche Flair folgt den Besucher auf Schritt und tritt. Wer die Kathedrale besuchen möchte, tritt zuerst durch das prachtvolle Christ Church Gate aus dem 16. Jahrhundert
39
Kathedrale von Canterbury
Die Ermordung des Thomas Becket
(mittelalterliches Bidnis)
hindurch. Die Kathedrale mit ihren drei Türmen bestimmt noch immer das Stadtbild. Sie ist sicherlich
nicht die älteste, schönste oder größte ihrer Art in
England, doch strahlt sie eine ungeheure Herrlichkeit
aus, wenn man sich ihr nähert. Hier wurde Erzbischof Thomas Becket von des Königs Schergen ermordet und somit zum Märtyrer. Ihm half es nichts,
doch wurde Canterbury danach zum Wallfahrtsort
und somit bedeutend reicher. Auch ist hier der
Schwarze Prinz, Sohn von Edward III., 1376 beerdigt
worden. Dieser schlug die Franzosen in den legendären Schlachten von Crecy und Poitiers im Hundertjährigen Krieg.
Pracht und Verfall liegen oft dicht beieinander. St.
Augustine’s Abbey war einst ein großer Rivale der
Kathedrale, zumindest was die Größe der jetzt in
Ruinen liegenden Kirche betrifft. Sie teilte das
Schicksal von vielen anderen Kirchenkomplexen und
fiel 1538 der gnadenlosen Hatz Heinrichs VIII. auf
den Katholizismus zum Opfer. Heute deuten die Ruinen immer noch an, welche Bedeutung diese Kirche
einst gehabt haben muss. Der heilige Augustin, erster
Erzbischof von Canterbury, hat von hier aus gewirkt
und man könnte diese Stelle, von der nur ein paar
Steine übrig sind, als Geburtsplatz des englischen
Katholizismus bezeichnen.
Um noch die dritte im Bund zu erwähnen: St. Martin
befindet sich etwas außerhalb des Stadtzentrums und
behauptet von sich, die älteste noch benutzte Kirche
Englands zu sein. Nachgewiesen im Gebäude sind jedenfalls wiederverwertete römische Backsteine.
Auch ein Spaziergang durch die Stadt selbst ist lohnenswert, wenn man sich denn durch die Massen an
europäischen und asiatischen Touristen kämpfen
kann. In der Attraktion Canterbury Tales kann man
einen weiteren großen Sohn Canterburys kennenlernen: Geoffrey Chaucer, der mit dem Titel Vater der
englischen Literatur bedacht wird. Die Canterbury Tales
sind die Geschichten einiger Pilger auf dem
Weg nach Canterbury Ende des 14. Jahrhunderts, um des ermordeten Thomas Becket zu
gedenken. Die Zeit während des langen Pilgerwegs vertreiben sie sich mit dem Erzählen von
Geschichten. Bei allen geht es um die Unzulänglichkeiten des menschlichen Charakters,
was manchmal humorvoll, manchmal ernst
beschrieben wird. Das Werk spiegelt die Lebensweise der damaligen Mittelschicht wider
Originaltitelblatt der Canterbury Tales
40
und ist somit, neben seinem künstlerischen, auch von großem historischen Wert. Besser und informativer als die Canterbury Tales ist allerdings das Museum of Canterbury, in dem man alles über
die Gegend erfahren kann.
Das Roman Museum beinhaltet die Ausgrabungsfunde aus der ehemaligen römischen Stadt Duroverum. Anschaulich wird hier der Alltag der Menschen gezeigt. Besonders lohnenswert ist auch
das Eastbridge Hospital, das im zwölften Jahrhundert gegründet wurde. Unten ist eine Ausstellung zum Leben Chaucers zu sehen. Weiterhin gibt es noch das Royal Museum and Art Gallery
anzuschauen. Dieses Museum ist für seine militärische Ausstellung bekannt, hat aber auch einige
interessante Bilder, z.B. von Gainesborough zu bieten.
The Canterbury Tales
Visitor Attraction
in der St. Margaret's Street
2
Sussex
Die historische Grafschaft Sussex ist unterteilt in West Sussex und East Sussex, die heute eigenständige Grafschaften sind und die Unitary Authority City of Brighton and Hove. Bis 1974 war
Sussex noch eine einheitliche zeremonielle Grafschaft, bis die Teilung in West und East Sussex
erfolgte.
Die Grenzen von Sussex entsprechen in etwa denen des alten Königreichs Sussex, das im fünften
Jahrhundert von den Angelsachsen gegründet wurde. Das Reich bestand bis Anfang des elften
Jahrhunderts, als es wie fast der gesamte Süden Englands den Dänen zufiel.
Die Küste in Sussex wird in zwei Abschnitte unterteilt: Das erste Teilstück verläuft von Selsey Bill
bis Beachy Head, das zweite von Beachy Head bis Dungeness, was bereits im angrenzenden Kent
liegt. Die vielen Städte und Häfen entlang der Küste machen die Gegend zum zehntgrößten Ballungsgebiet in England. Die schönen Sand- und Kiesstrände in Sussex haben zusammen mit dem
milden Klima und dem Fischfang, der vor allem vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert ein
wichtiger wirtschaftlicher Faktor war, die Besiedlung des Gebietes südlich von London begünstigt.
Heute ist der Tourismus besonders wichtig für Sussex; die vielen Urlaubsressorts an der Küste,
aber auch historische Gemäuer wie beispielsweise alte Burgen oder Festungen ziehen Besucher
aus dem In- und Ausland an. Eine Area of Outstanding Natural Beauty ist The High Weald, ein Teil
des Weald, was wörtlich übersetzt so viel wie »offene Landschaft« bedeutet. Es handelt sich hierbei um eine geologische Besonderheit, nämlich eine Aufwölbung geschichteter Gesteine. Das geschützte Gebiet erstreckt sich über eine Fläche von 1 300 km².
41
In den South Downs, einer hügeligen Kreidelandschaft, die
durch einen Wald von den parallel verlaufenden North Downs
getrennt sind, verläuft der
South Downs Way. Dieser long
distance footpath (also ein Fernwanderweg) ist ca. 160 km lang
und verläuft von Winchester in
Hampshire bis nach Eastbourne
in East Sussex.
South Downs Way
östlich von Amberley in West Sussex
2.1
Battle
Battle heißt übersetzt Schlacht und genau danach ist die kleine Stadt (6171 Einwohner) benannt.
Wenige Kilometer landeinwarts entfernt von Hastings fand hier eine der wichtigsten Schlachten
Englands statt. 1066 landete William the Conqueror (Wilhelm der Eroberer) mit seinen Normannen auf der Insel, wenige Tage später trafen sie auf die Sachsen von Harold II. Es ging um nichts
weniger als die Krone Englands.
Nach seinem Sieg und dem Tod seines Gegners ließ William an dieser Stelle ein Kloster bauen,
Battle Abbey. Heute sind auf Grund der Zerschlagung der katholischen Kirche durch Heinrich
VIII. im 16. Jh. nur noch Ruinen übrig, die allerdings durchaus eindrucksvoll sind. Funde und Videofilme geben einen Eindruck aus dem Mönchsleben vor der Zerstörung.
Was natürlich ebenfalls nicht fehlt, ist eine Audiotour, die das berühmte Schlachtfeld genauestens
erläutert. Mit ein wenig Phantasie werden Sie um fast 1000 Jahre zurückkatapultiert und müssen
sich nun ein Gemetzel vorstellen. Nun, es war nicht das erste,
und leider auch nicht das letzte
auf der Insel.
Allerdings brachte die Tronbesteigung Williams tiefgreifende
gesellschaftliche Veränderungen
mit sich.Mit der Zeit gewöhnten
sich Normannen und Sachsen
aneinander und wie heißt es so
schön am Ende der Audiotour:
»Normans, Saxons, who can tell
the difference a thousand years
later?« – »Normannen, Sachsen
– wer kann schon nach tausend
Jahren noch den Unterschied
nennen?«
Ruinen bei Battle Abbey
42
2.2
Hastings
Vom Namen ist Hastings (85 400 Einwohner) am ehesten durch die Schlacht zwischen Wilhelm
dem Eroberer und König Harald II. bekannt. Diese jedoch fand etwas weiter nördlich, im heutigen Battle statt. Wilhelm jedenfalls brachte hier vor dem
Kampf seine Truppen unter
und führte auch von hier aus
seine erfolgreiche Invasion der
Insel aus. Auch Schmuggler fanden in späteren Jahrhunderten
ihren Weg mit ihren Waren zu
diesem Ort. Die vielen natürlichen und versteckten Höhlen in
der Gegend halfen bei ihrem
zweifelhaften Gewerbe.
Heute ist Hastings eine Mischung aus Hafenstadt und typisch englischem Badeort mit
Kieselstrand, Pier und Spielhöllen. In Teilen ist es atmosphärisch schön, andere Teile hingegen sind eher heruntergekommen. Beides
Kieselstrand bei Hastings
wechselt sich auf manchmal nur wenigen Metern Entfernung ab.
Hastings unterhält noch immer eine Fischfangflotte und man kann noch frischen Fisch, fast direkt aus dem Netz, kaufen. Am besten tut man
das in den sogenannten Net Shops, schwarze Holztürme aus dem 19. Jahrhundert, für die Hastings
bekannt ist.
Nicht weit davon entfernt ist die die East Cliff Railway, die sie auf den Schlosshügel befördert.
Von der eigentlichen Wehranlage ist nicht mehr viel übrig, man hat aber einen phantastischen
Blick auf Hastings und natürlich auf das Meer. Im Rest der Burg kann man sich die 1066 Story
anschauen und sich somit über die Ereignisse der normannischen Invasion erkundigen.
Ganz in der Nähe ist das Smugglers’ Adventures, eine sehr anschauliche Darstellung der Schmugglergeschichte der Stadt,
die vor allem ihren Platz in den Höhlen
selber hat.
Keine Seestadt ohne entsprechende Museen: Das Fisherman’s Museum und das
Shipwreck Heritage Museum befassen
sich mit der Fischereiindustrie, beide natürlich von anderen Seiten.
Darsteller des
Smugglers' Adventure
43
2.3
Bodiam Castle
Gewaltig sieht sie
schon aus, die mächtige Ruine, die dort idyllisch in der Landschaft
liegt. Die Burg aus
dem 14. Jahrhundert
ist wie vor Jahrhunderten von Wasser umgeben und war, als sie erbaut wurde, das Nonplusultra in der damaligen militärischen Architektur. Der Grund
für die Errichtung einer Militäranlage war
eine vermutete französische Invasion, die allerdings nie stattfand.
300 Jahre später jeBodiam Castle
doch wurde Bodiam während des Bürgerkrieges von den Parlamentstruppen eingenommen und seines Daches entledigt. Das ist
der Grund für das heutige Aussehen der Burg. Wind und Wetter zerrten an dem alten Gemäuer.
Man kann dennoch auf einen der vier Türme klettern und von hier die Aussicht genießen.
2.4
Eastbourne
Wenn einem die Touristenmassen Brightons auf den Wecker gehen, dann ist Eastbourne eine
gute Alternative. Es liegt ca. 30 Kilometer weiter östlich von seinem großen Bruder entfernt und
ist trotz seiner Größe (110 400 Einwohner) wesentlich ruhiger. Auch hier sind Kiesel- und Sandstrände und ein Pier zu finden. Es ist nicht ganz so vornehm wie Brighton mitunter sein kann,
doch wenn man nur einen Tag am Strand verbringen möchte, ist Eastbourne ideal.
Auch sagt man Eastbourne
nach, zusammen mit der Isle
of Whight das beste Wetter
Englands zu haben. Ruhiger
geht es hier zu. Eastbourne
hat den Ruf, ein Paradies für
Menschen zu sein, die hier ihren Lebensabend verbringen
möchten. Da ist sicherlich etwas dran, allerdings scheint
der Ruf doch etwas schlimmer zu sein als die Realität.
Auf jeden Fall ist Eastbourne
weniger »tacky« (kitschig) als
Brighton, und es ist sauberer.
Die Häuserfassaden der Hotels am Meer machen einen
Eastbourne Pier
gepflegten Eindruck.
44
Sehr viel gibt es hier nicht zu tun. Einzig vielleicht das Eastbourne Heritage Centre gibt eine Einsicht in die Geschichte Eastbournes.
Aber eine Wanderung von hier aus zum Beachy Head ist sicherlich beeindruckend. Schöner und
weißer als die Klippen von Dover ist er und von hier aus gibt es eine phantastische Sicht auf das
Meer und Eastbourne. Beachy Head hat allerdings noch einen anderen, eher zwielichtigen Ruf:
Es ist mit 162 Metern Höhe einer der beliebtesten Orte für Selbstmörder.
2.5
Brighton
Brighton (138 200 Einwohner) ist leicht und auf direktem Weg in ungefähr einer
Stunde von London aus zu
erreichen. Das macht es im
Grunde zu einem Londoner
Vorort,
sozusagen
den
Strandteil der Hauptstadt.
Nach schwierigen wirtschaftlichen Jahren des Niedergangs und Verfalls in den
Achtzigern, erlebt Brighton
seit einiger Zeit einen Boom.
Reiche Londoner leben heute hier, ebenso wie Künstler
und Musiker. Dazu kommen
die Wochenendausflügler der
Souvenir- und Fischkiosk (Huts) am Strand
Millionenstadt. Brighton hat
alles, was die Inselbevölkerung in einem Seeort braucht: Kilometerlange Kieselstrände, Fish and Chips, Restaurants jeder
Preisklasse, Bars und Pubs, ein ausgeprägtes Nachtleben und Spielhöllen. An manchen Tagen im
Sommer ist der Strand nachts voll mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Parties am
Meer feiern.
Besondere Wahrzeichen der Stadt sind die beiden Piere. Auf dem Brighton Pier oder Palace Pier,
1899 errichtet, befinden
sich Rummelattraktionen
und Spielhöllen.
Wie es heute leider aussieht, wird nur dieser überleben. Der jahrelang vernachlässigte ältere sogenannte West Pier, 1866 erbaut, stürzte in mehreren
Stürmen zwischen 2002
und 2005 zu großen Teilen
ein. Einst beherbergte das
architektonische Meisterwerk luxuriöse Restaurants
und prächtige Theater.
Heute ragt nur noch eine
Brighton oder Palace Pier
Ruine aus dem Meer empor. Jahrelange Bemühun45
gen Gelder zu bekommen verliefen bislang im Sande und es ist wohl nur noch eine Frage der
Zeit, bis dieses sehr englische Wahrzeichen endgültig in den Fluten versinkt.
West Pier vor dem Verfall (links) und heute (rechts)
Neben langen Spaziergängen am Strand entlang und durch die kleine Altstadt hat Brighton noch
einige andere Sehenswürdigkeiten. Als erstes zu nennen ist der Royal Pavillion. Der spätere König
Georg IV. hat diesen Anfang des 19. Jahrhunderts in seinen Tagen als Prinzregent errichten lassen. Die Nähe zum Meer sollte seine Gicht mildern. Der Palast war aber auch ein heimliches Liebesnest: Georg IV. hat hier seine katholische Frau getroffen, die er illegal geheiratet hat. Die Vermählung wurde für null
und nichtig erklärt.
Georg IV. ist es sicherlich zu verdanken,
dass Brighton von einem kleinen unbedeutenden Fischerdorf zu einem beliebten Erholungsort wurde. Man wird seinen Augen nicht trauen, wenn man den
Royal Pavillion das erste mal sieht. In indischem Stil erbaut sieht er wahrlich exotisch in einer typisch englischen Stadt
aus. Innen wird er noch interessanter:
chinesische, indische und islamische Stilrichtungen vermischen sich und spiegeln
den lebhaften Charakter des PrinzregenRoyal Pavillon im indischen Stil
ten wider.
Zu einem Ort wie Brighton gehört auch ein
Sea Life Centre. Es ist eines der schönsten
Aquarien in England. Es bietet Haie, die um
Wracks herumkreisen, exotische Fische, tropische Korallen und Riesenschildkröten.
Wer jetzt noch möchte, kann das Fishing
Museum besuchen. Mit anschaulichem Material wird liebevoll die Geschichte
Brightons, als die Fischerei noch zu den
Haupteinnahmequellen gehörte, gezeigt.
Auch wenn die Fischerei nicht mehr nehezu allein Brightons Wirtschaft
ausmacht, gibt es dennoch überall Fisch, Fisch und ... Fisch
46
2.6
Crawley
Crawley ist die größte Stadt (99 300
Einw.) in West Sussex in England und
liegt rund 25 km südlich von London
bzw. 45 km vom Zentrum der Hauptstadtd in unmittelbarer Nachbarschaft
des Flughafens London-Gatwick. Beliebt sind Ausflüge an die Küste,
Brighton liegt nur 30 km weiter im Süden.
Nachdem die Gegend bereits seit der
Steinzeit besiedelt war, begann mit der
Eroberung Englands durch die Römer
um Crawley der Aufbau einer Eisenindustrie. Die Angelsachsen nannten den
Ort »Craw leah«, was so viel wie »von
Crawley County Mall
Krähen bevölkerte Lichtung« bedeutet;
hier entstanden die Kirchengemeinden
Ifield und Worth, die beide im DomesTypisch für Sussex (auch Kent): Für manchen
day Book erwähnt werden. Schon im
Engländer ist sein liebstes Hobby die Gartenarbeit (unten). Der Walled
Jahre 1203 erhielt Worth das Recht, Garden (ganz unten) war ursprünglich der Küchengarten des Tilgate
einen Wochenmarkt abzuhalten. Auch
Estate und ist heute
ein Jahrmarkt wurde seit 1279 abgehalumgewandelt in ein öffentliches, hervorragendes Beispiel englischer
ten.
Gartenkunst mit Café und Labyrinth.
Der Aufschwung Crawleys begann allerdings erst, als 1848 hier ein Eisenbahn-Knotenpunkt entstand: In Crawley zweigt seither von der Linie London-Brighton die Strecke nach Horsham ab. 1891 entstand im benachbarten Gatwick eine Pferderennbahn, in
den 1930er Jahren kam ein Flugplatz
dazu, der sich neben Heathrow zum
bedeutendsten Flughafen Londons entwickelte. Mit Anschluss an die Autobahn M23 wurde die Entwicklung weiter gefördert.
1947 erhielt Crawley den Status einer
New Town, einer Art Planstadt, die besondere Förderung erhielt. Dadurch
wuchs die Bevölkerung rapide an, so
dass Crawley in den 1960er Jahren bereits 60 000 Einwohner zählte. Mehrere
angrenzende Gemeinden wurden dabei
in das Stadtgebiet eingemeindet. Auch
in den 1980er Jahren hielt das Wachstum in Crawley an, das als die Stadt mit
der geringsten Arbeitslosigkeit in
Großbritannien galt.
47
2.7
Horsham
In Horsham leben 47 804 Menschen
nur 5 km westsüdwestlich von Crawley
entfernt. Horsham liegt am Fluss Arun
in West Sussex. Ideal für einen Ausflug:
Der große Badeort Brighton ist auch lediglich 30 km weiter südlich entfernt.
Horsham hat mehrere Schulen. Zwei im
Stadtzentrum (die Mädchenschule Millais und das männliche Pendant Forest),
eine Gesamtschule in Nord Horsham
(Tanbridge) und zwei am Stadtrand (das
Krankenhaus von Christus und das
Weald). Das Krankenhaus von Christus
ist ein großes Gymnasium im Osten
von Horsham. Es war der Drehort für
die Fernsehsendung Felsschule.
Die Umgebung ist landwirtschaftlich
geprägt, wodurch Horsham zu einem
wichtigen Markt und Einkaufszentrum
wurde. Außerdem befinden sich Maschinenbaubetriebe, Brauereien und Fabriken für Arzneimittel in der Stadt.
Ähnlichkeiten: Carfax (oben) und der Pavillon, oder »Bandstand«,
also Platz der Musikkapelle, im Park (unten)
Die Stadt selbst wuchs um das Zentrum
Carfax an. Carfax ist der Knotenpunkt
von fünf Straßen, darunter auch der
Causeway nach Süden hin. In dieser
friedvollen, kaum veränderten Straße
reihen sich alte Häuser aneinander, die
letztlich zur anglikanischen Pfarrkirche
St. Mary führen, die in normannischer
Bauweise errichtet wurde. Hinter der Kirche ist der Fluss Arun, Prewett's-Mühle und das städtische Kricketfeld. Ein kleines Stück am Ufer des Arun entlang findet sich in südöstlicher Richtung
Chesworth Farm.
Nördlich vom Carfax ist ein großer Park.
Eigentlich ist der richtige Name Hurst
Park Estate gewesen, aber er ist in der
Bevölkerung nur als Horsham Park bekannt. Um den Park herum finden sich
mehrere Vergnügungsstätten, wie zum
Beispiel ein modernes Schwimmbad.
An der Brighton Road, vom Zentrum
nach Osten, ist die Iron Bridge. Die Umgebung nördlich der Brücke wird von
hübschen viktorianischen und edwardianischen Häusern dominiert, während
südlich der Brighton Road Nachkriegsbauten stehen, es ist die sogenannte New
Town.
Am Westende des Stadtzentrums steht
Old Town Hall
48
eine moderne Wasserskulputur, der Rising-Universe-Brunnen, örtlich auch »Shelley Fountain« genannt. Er wurde von Angela Connor in Erinnerung an den Lokalpoeten Percy Bysshe Shelley gestaltet, der am Warnham Place nahe Horsham geboren war.
Die alte Stadthalle am Marktplatz ist ein umgebautes Markthaus von 1648. Nach einigen anderen
Zweckbestimmungen kam es 1888 in den Besitz der Stadtverwaltung.
2.8
Amberley
Hier ist das Amberley Museum.
Auf 15 Hektar wird hier die Geschichte der industriellen Entwicklung im Südosten Englands gezeigt. Die Ausstellungen beinhalten
eine Schmalspurbahn und eine
Sammlung alter Busse, wobei sowohl die Bahn als auch ein Bus die
freie Fahrt über das Gelände anbieten. Weiterhin gibt es die Elektrizitätshalle, eine Druckerwerkstatt
und eine Darstellung des Straßenbaus. Seit dem Sommer des Jahres
2009 ist die Connected-Earth-Halle geöffnet.
Unterwegs in der nostalgischen Bahn
2.9
Bognor Regis
Bognor Regis ist ein Seebad in West Sussex am Ärmelkanal mit circa 63 800 Einwohnern. Die
Stadt liegt 40 km westlich von Brighton und 35 km östlich von Portsmouth.
Bognor Regis besitzt einen acht Kilometer langen Strand und ist ein beliebter Ferien- und Kurort.
Im Mittelalter entstand der Ort als
Fischerdorf mit dem Namen Bornor und entwickelte sich im 18.
Jahrhundert zu einem Ferienort.
Viele Bauten wie das Dome House
(heute eine Lehrerbildungsanstalt)
wurden im georgianischen Stil erbaut. Seit 1929 heißt der Ort Bognor Regis (von lat. rex, also König), weil König Georg V. dort eine
schwere Krankheit kurieren konnte. Von 1800 bis 1803 lebte der
englische Dichter William Blake im
nahe gelegenen Felpham.
Der Strand von Bognor Regis
49
Jungs beim Angeln am Meer
In Bognor Regis befindet sich ein sehr
populäres Bowling-Green
2.10
Chichester
Die in West Sussex gelegene Stadt Chichester hat rund 24 000 Einwohner, und während der
Sommermonate verdreifacht sich die Bevölkerung auf Grund der Nähe zu den schönen Stränden
der Südküste Englands. Dieses saisonbedingte Bevölkerungswachstum ist auch der Grund dafür,
dass die Stadt über vergleichsweise viele öffentliche Einrichtungen, Geschäfte usw. verfügt. Chichester ist die county town von West Sussex.
Das heutige Stadtzentrum von Chichester befindet sich an der Stelle der Überreste der römischen
Siedlung Noviomagus Reginorum, und es gibt Theorien, dass die Gegend um die heutige Stadt
der Brückenkopf für die römische Invasion der britischen Insel war. Die römische Stane Street,
die die Stadt mit London verband, verläuft heute noch durch die Innenstadt. Auch Teile der
Stadtmauer sind bis zum heutigen Tag erhalten geblieben und laden zu einem Spaziergang ein.
Auch in der Kathedrale von Chichester finden sich Spuren aus römischer Zeit in Form eines Mosaikbodens im Kirchenschiff, den man durch ein Glasfenster betrachten kann. Die Kathedrale,
auf dem Standort einer ehemaligen römischen Basilika erichtet, stammt ursprünglich aus dem
Mittelalter, allerdings musste sie, ähnlich wie viele andere Kathedralen und Kirchen, mehrmals zu
Teilen neu errichtet bzw. erneuert werden; zuletzt stürzte im Jahr 1861 der Kirchturm ein und
wurde unter George Gilbert Scott wieder aufgebaut. Eine Besonderheit der Kathedrale ist der
Glockenturm, der nicht in das Kirchengebäude integriert ist, sondern einige Meter davon entfernt steht. Schutzpatron der Kathedrale ist Richard von Chichester, dessen Standbild vor der
Kirche steht und dessen Grab in der Kathedrale bis zu seiner Zerstörung in der Reformation ein
Wallfahrtsort war.
50
Orgel der Kathedrale
Market Cross im Zentrum
Der im zwölften Jahrhundert erbaute Bischofspalast birgt in seinem Inneren einen Speisesaal aus
dem fünfzehnten Jahrhundert mit Deckenbildern Bernaris und eine Kapelle im Early English
Style. Im St. Mary's Hospital, 1562 als Heim für mittellose Frauen errichtet, ist das holzgetäfelte
Refektorium und die Kapelle aus dem dreizehnten Jahrhundert sehenswert.
Das Marktkreuz wurde in den Jahren 1478 bis 1503 erbaut und später verändert. Es gilt als eines
der schönsten seiner Art in ganz England und wurde errichtet, damit auch die Armen der Stadt
einen Platz hatten, an dem sie ihre Waren verkaufen konnten.
Chichester ist bekannt für das Chichester Festival Theatre, welches jedes Jahr namhafte Schauspieler, Regisseure und Autoren anzieht und in der englischen Theaterszene für Qualität und Innovation steht. Die Stadt hat auch ein Orchester, das Chichester Symphony Orchestra, das 1881
gegründet wurde und in der Gegend bis heute einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der klassischen Musik leistet. Modernere Musik wie Jazz, Blues und R&B hat das Chichester RAJF zu bieten, ein Musikfestival, das seit 1981 jedes Jahr im Juli stattfindet.
Ein Spaziergang zum Yachthafen an
einem lauen Sommerabend
kann
Yachthafen bei
richtig romantisch
Sonnenuntergang
sein.
Im nahegelegenen Goodwood, fünf
Kilometer nordöstlich von Chichester,
findet alljährlich auf Einladung des
Earl of March das Goodwood Festival of
Speed statt. Es ist eher eine Hommage
an den Motorsport denn ein ernsthaftes Rennen, wenngleich ein solches
den Hintergrund für die Veranstaltung bildet. Zu sehen sind Rennwagenlegenden und Rennfahrerlegenden als alten und gegenwärtigen Zeiten. Das Besondere an diesem Festival ist, dass die Fahrerlager allesamt für die Besucher zu betreten sind.
51
3
Hampshire und die Isle of Wight
Hampshire bietet eine Fülle an Sehenswürdigkeiten, von sanft welligen Landschaften, idyllischen
Stränden, großartige Gärten und hübschen Dörfern bis hin zu alten Wäldern, lebendigen Marktstädten, historischen Schiffen und beeindruckenden Schlössern. Für den Wanderer, den Fahrradfahrer oder den Reitersmann gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben und natürlich – man ist am Meer – auch mit Bootsfahrten.
Southampton und Portsmouth waren bis 1997 Teil der Grafschaft Hampshire, bis sie als Unitary
Authority in die verwaltungstechnische Selbständigkeit entlassen worden sind. Zeremoniell sind
sie natürlich immer noch an die traditionelle Grafschaft angebunden.
Die Isle of Wight ist der perfekte Ort für einen entspannenden Tagesausflug und zwar zu jeder
Jahreszeit. Es ist eine atemberaubend schöne Insel unberührter Landschaft, die zum Spazieren
und Verweilen einlädt. Das Meer und der Wind sind wie geschaffen zum Windsurfen, Segeln
oder Gleitschirmfliegen.
3.1
Portsmouth
Portsmouth ist die einzige Inselstadt Englands und befindet sich auf der Insel Portsea. Die Stadt
hat rund 190 000 Einwohner und wird von den Engländern auch Pompey genannt. Die Meisten
besuchen Portsmouth, um sich die Historic Dockyards anzuschauen. Denn es ist ein Erlebnis,
dass jeder Englandbesucher mitnehmen sollte, erzählt doch die Stätte die vielen Geschichten eine
Seefahrernation, so anschaulich eben, wie es überhaupt nur möglich ist.
Direkt neben dem Eingang zu den Docks befindet sich die HMS Warrior aus dem Jahr 1860, eines der ersten Kriegsschiffe, dass mit Eisenplatten besetzt wurde. Sie war in ihrer Zeit der Stolz
der englischen Flotte. Sie werden viele Waffen an Bord sehen, was alleine schon kurios ist, denn
während ihrer 22jährigen Dienstzeit schoß sie nicht ein einziges Mal eine Kanone ab. Sie ist übrigens erhalten, weil zu der Zeit, in der sie verschrottet werden sollte, kein Bedarf für Eisen bestand.
Prunkstück der Hafenanlage ist aber zweifellos die
HMS Victory. Sie war das
Flaggschiff von Admiral
Nelson in der Schlacht
von Trafalgar 1805, auf
welcher er auch sein berühmtes Ende fand. Hier
steht dieses geschichtsträchtige Schiff, jetzt auf
trockenem Boden. Es
kann nur durch eine Führung besichtigt werden,
was das Erlebnis allerdings nur um so spannender macht, denn die Erzählkunst der Führer in
ihren historischen Kostümen ist unterhaltsam und
HMS Victory, das Flaggschiff Admiral Nelsons
lehrreich zugleich. Man
wird sicher einen Eindruck bekommen, wie das
52
Leben auf einem Kriegsschiff im 18. oder 19. Jahrhundert ausgesehen hat. Die räumliche Enge
ist förmlich spüren, welche bisweilen erdrückend wirkt. Direkt gegenüber befindet sich das Royal
Naval Museum, das sich mit der Geschichte von mehr als tausend Jahren Seefahrt beschäftigt.
Im Jahre 1982 ist mit großem Aufwand die Mary Rose geborgen worden. Heinrich VIII. musste
1545 mit ansehen, wie der Stolz seiner Flotte im Ärmelkanal damals aus nicht nachvollziehbaren
Gründen mit Mann und Maus versank. Gegenüber vom Eingang ist das dazugehörige Museum.
Der Rumpf ist ausgestellt, ebenso wie Tausende von Funden. Sehr interessant sind die Dokumentationen um die Bergung des Schiffes und natürlich die Klärung der Ursache seines Sinkens.
Auf dem Gelände befinden sich noch mehr Ausstellungen und Schiffe, auch modernere sind dabei.
Die Stadt Portsmouth liegt ein wenig im Schatten der Hafenanlage. Eine Sehenswürdigkeit ist bereits von weitem zu sehen: Der Spinnaker
Tower. Dieser moderne Turm ist 165 Meter
hoch, die Aussicht ist phantastisch. Um den
Turm herum liegen die Gunwharf Quays, früher Hafenanlage, jetzt ein typisch englisches
Einkaufszentrum mit vielen Restaurants und
Cafés. In Portsmouth selbst bleibt jetzt eigentlich nur noch das Charles-Dickens-Birthplace-Museum zu erwähnen. In dem bescheidenen Haus sind heute drei Zimmer so
hergerichtet, wie sie zu Dickens' Zeiten ausgesehen haben mochten. Gelegentlich finden im
Museum öffentliche Lesungen aus seinen Werken statt.
Nicht weit entfernt ist Old Portsmouth mit vielen historischen Gebäuden. In der alten Hafenanlage Camber, von der aus Sir Walter Raleigh
die ersten Kartoffeln nach England brachte,
ankern heute viele moderne Boote. Einen Abstecher wert ist die ungewöhnliche St.-ThomasKathedrale. Der sehr helle Bau mit Teilen aus
dem zwölften Jahrhundert strahlt viel Freundlichkeit aus.
Nicht weit von Old Portsmouth entfernt ist
Southsea. Hier findet man die typisch englische Strandesplanade, mit Fish-and-ChipsShops und Spielhöllen. In Southsea sind
weitere Militär-Museen, z.B. das D-Day Museum, dass sich mit der Invasion 1944 auf
das von Deutschland besetzte Frankreich
befasst. Gleich nebenan ist Southsea Castle,
erbaut von Heinrich VIII. Es ist möglich,
dass der alternde König von hier aus den
Untergang der Mary Rose mit ansehen musste.
Im Portsmouth ist außerdem das Royal Marine Museum anzuschauen, eine Hommage
an diese Eliteeinheit der britischen Armee.
oben: Spinnaker Tower bei Nacht
unten: Southsea
53
Etwa zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt befindet sich Portchester Castle. Einst haben
schon die Römer hier eine Befestigungsanlage gebaut. Da die Normannen, die die Anlage später
nutzten, keine Veranlassung sahen, diese Festung zu verändern, ist Portchester Castle eine der am
besten erhaltenen römischen Wehranlagen in Nordeuropa. Viel später wurde noch eine Burg erbaut, die schon von weitem zu sehen ist.
Römische Festung Portchester Castle
3.2
Winchester
Als »unberührte« Stadt der Kathedrale am Ende der hügeligen South Downs präsentiert sich die
ehemalige, alte Hauptstadt und früherer Sitz König Alfreds des Großen: Winchester.
Heute kombiniert Winchester das Beste aus modernem Stadleben mit der Frische des umgebenden Landes. Nur eine Stunde von London entfernt, ist dies ein Beispiel von England, wie dieses
Land sein sollte – und nun mal meistens auch ist. Winchester hat 41 420 Einwohner und liegt 15
km nördlich von Southampton.
Besonders die Kathedrale aus dem elften Jahrhundert ist wohl den meisten Engländern ein Begriff, wie auch die Große Halle, in der der große runde Tisch steht, von dem die Legende erzählt
wird, die Tafel König Arthurs zu sein – eher Mythos denn Wirklichkeit, aber was wären solche
Orte ohne ihre Geschichten.
Das Winchester College ist die älteste durchgehend als Lehranstalt betriebene Schule der Grafschaft. Das Heilig-Kreuz-Hospital bietet immer noch, wie vor achthundert Jahren als Armenhaus,
dem bedürftigen Reisenden eine
milde Gabe. Es wurde 1132 von
einem Enkel Williams des Eroberers am Ufer des Flusses Itchen
gegründet. An seinem Flusslauf
entlang bieten sich dem Fußgänger auch schöne Pfade zum Spazieren.
Die Stadt ist bekannt für ihre geschäftigen Einkaufsstraßen, seiner
Blumenpracht in den Blütemonaten und den schrulligen
Freiluftveranstaltungen. Ein kleines Stück Weg vom Stadtzentrum
ist das Intech Science Centre, das
wissbegierigen Kindern hunderte
Aktivitäten bietet.
Hospital St. Cross am Itchen
Lebendige Straßentheater, eine
54
gedeihende zeitgenössische Kunstszene und interessante Architektur tragen ihren Teil dazu bei,
aus der Stadt ein attraktives Besuchsziel zu machen. Tatsächlich ist Winchester als Heim des
größten Bauernmarktes des Landes, Geburtsort des modernen Cricket, Ruhestätte der Schriftstellerin Jane Austen († 1817) bekannt und Inspiration für viele hier ansässige Handwerker und
Künstler – ein Reiseziel für alle Jahreszeiten.
3.3
Basingstoke
In Basingstoke (92 700
Einwohner) zeigt sich 77
km südwestlich von London und 48 km nordöstlich von Southampton
entfernt eine Stadt im
Quelltal des Flusses Loddon mit einem reichhaltigen Erbe, das bis auf
die Römerzeit und noch
weiter zurückgeht. Dies
wird am nahegelegenen
Cavella Atrebatum mit
seinen hervorragend erBasingstoke, Bahnhof
haltenen Verteidigungswällen eindrucksvoll gezeigt.
Die Stadt bietet dem Besucher viele Gelegenheiten,
sich zu informieren und zu amüsieren, sei es nur
beim Kaffeetrinken oder beim Einkaufen – am besten in einem der besten Einkaufszentren des
Südens, Festival Place.
The Anvil, ist mit seiner exzellenten Akustik eines der beliebtesten Aufführungsorte der Region
für Musik. Aber auch andere Künste kommen dort nicht zu kurz, so werden verschiedene Programme mit Tanz, Theater, Oper oder Komödie angeboten. Und dann ist da noch das jährlich
stattfindene Ballon-Festival und das Musikfestival Basingstoke Live.
Die Woll- oder Seidenherstellung hatte in
der Entwicklung Basingstokes eine wichtige
Rolle gespielt. Dies ist zum Beispiel an der
Whitchurch Silk Mill zu sehen, die heute
noch Seide von höchster Qualität fertigt,
welche für Theaterkostüme oder Herrenhäuser benutzt wird. Die Mühle bietet
einen guten Einblick in die Tradition dieses
Herstellungsverfahrens.
Und dann gibt es in Basingstoke einige interessante Anwesen zu sehen. Stratfield
Saye House lässt einen am Leben des Herzogs von Wellington teilhaben, dessen Familie dort von 1817 an lebte. In dieser Zeit
war es auch, als Jane Austen zu glaDas Sommerhaus des Anwesens The Vyne
55
mourösen Empfängen in The Vyne einlud, einem Herrenhaus der Tudorzeit, das ursprünglich
Heim des Kammerherren Heinrichs VIII. war. Basing House spielte eine bedeutende Rolle im
englischen Bürgerkrieg und in Highclere Castle ist eine Ausstellung mit antiken ägyptischen
Schätzen zu besichtigen, die vom fünften Earl von Carnarvon gesammelt wurden, der das Grab
von Tutanchamun entdeckt hatte.
Der Freizeitpark bietet Eislaufen, Bowling und Kino. Außerdem steht dort ein großes Schwimmbad, Anziehungspunkt für die ganze Familie.
Gleich neben dem Freizeitpark befindet sich das faszinierende Milestones Museum, wo Straßenzüge aus der viktorianischen Zeit bis zu den 1930er Jahren begangen werden können. Geschäfte,
Häuser und Werkstätten aus diesen vergangenen Jahren bieten einen Einblick in das Leben, das
in dieser Zeit alltäglich geführt worden ist.
3.4
Andover
Die malerische Marktstadt Andover (rund 50 000 Einwohner, 30 km westlich von Basingstoke
und 40 km nördlich von Southampton), im Testtal gelegen, geht auf angelsächsische Zeiten zurück, wenngleich die meisten Gebäude aus dem 18. Jahrhundert stammen. Denn zu dieser Zeit
blühte Andover auf, es war ein wichtiger Haltepunkt für die Reisenden auf ihrem Weg nach London, Southampton oder Oxford.
Die Mühlen in der Nähe des Fluss Anton zeugen von den Anfängen der Stadt. Der Andover Time
Ring zeigt historische Schlüsselereignisse der Stadtgeschichte in einer Ansammlung von zehn Mosaiktafeln entlang der High Street. Dann gibt es noch zwei sonderbare, aber interessante Pfade –
einer befindet sich an der High Street, während der andere sich an den Flusslauf des Anton anschmiegt –, wo verschiedene Gedichte in Steine und Metallplaketten eingraviert oder in Glas eingeritzt sind.
Wer mehr über die Geschichte der
Umgebung erfahren will, der kann das
Andover Museum oder das Museum
of the Iron Age im Stadtzentrum besuchen. Auch das Museum of Army
Flying im nahen Middle Wallop ist
eine Stippvisite wert.
Ganz im Gegensatz zu den historischen Orten steht The Lights, ein
Treffpunkt für zeitgenössische neue
Kunst und Unterhaltung. Mehrere
Veranstaltungen mit freiem Eintritt
sind unter der alljährlichen Reihe Andover Live zusammengefasst. Ein hübscher Straßenmarkt wird jeden Donnerstag und Samstag in der High
Street abgehalten.
Zentrum von Andover
56
3.5
Southampton
Die historische Stadt Southampton (239 100 Einwohner) ist viel mehr als nur ein Ausflugs- oder
Einkaufsziel. Seine Ausstrahlung liegt in seinem vielfältigen Nachtleben und verschiedenen Vergnügungseinrichtungen, in exquisiter Kunst und geschichtsträchtigen Attraktionen, lebendigen
Abendprogrammen und – natürlich – im Charme eines Ortes am Meeresstrand.
Das heutige Archäologiemuseum bei God’s House Tower war
ehemals ein Teil der Befestigungsanlagen und beherbergt
jetzt eine der interessantesten
Sammlungen archäologischer
Funde in ganz England. Das
Seefahrtmuseum erzählt von
den Ereignissen dieses wichtigen Hafens durch die Jahrhunderte und zeigt eine Ausstellung
über die Titanic, wo die Besucher das bekannte Schicksal des
Hochseedampfers neu erleben
können. Vom Wasser in die
Luft: Im nahegelegenen Solent
Sky wird die Geschichte der
oben: God's House Tower
Luftfahrt der Gegend näher gebracht und als besonders wichunten: Abendprogramm in der Guildhall
tig ist hier natürlich die legenganz unten: Ocean Village
däre Spitfire zu nennen, die in
Southampton entworfen worden ist.
Die kulturelle Seite der Stadt
wird durch die großartige und
preisgekrönte City Art Gallery
und durch die Southampton
Guildhall präsentiert. Aber natürlich gibt es noch eine Auswahl an anderen Möglichkeiten:
Theater, Gallerien und auch die
jährlich stattfindende Bootsschau.
Durch den Westkai, an dem
wohl hundert Läden ihre Waren
feil bieten, drei weiteren Ein-
57
kaufszentren gleich in der Nähe und vor allem auch durch die traditionellen Spezialitätengeschäfte bietet sich Southampton als begehrtestes Einkaufsziel im Süden Englands an.
Das Nachtleben zieht Leute aus der ganzen Region an. Alte Pubs, moderne Bars oder Musiktreffs. Vielleicht ist es einem auch lieber in der Oxford Street von Lokal zu Lokal zu schlendern
oder in der Innenstadt zu verweilen, in der sich schöne Cafés oder Restaurants mit Mahlzeiten
aus der ganzen Welt befinden. Und natürlich kann man zum Weggehen auch ins Viertel Ocean
Village und sich dort am Ausblick auf das Meer erfreuen.
3.6
New Forest
In dieser einzigartigen Gegend tritt man zurück in
alte Zeiten und entdeckt den Charme und die
Schönheit der Natur. Der New Forest ist Englands
jüngster Nationalpark und war ehemals ein königliches Jagdrevier für William den Eroberer. Auch
heute können Ponys, Wild, Rinder, Schafe und andere Tiere noch in den alten Heiden und Hölzern
ihre Runden in Freiheit drehen.
Ein Streifzug durch die malerischen, traditionellen
Dörfer lohnt sich, wo man »verstaubte« Antiquitätenläden durchstöbern oder ein hier in der Gegend
gebrautes Bier sich zur Brust nehmen kann.
Flüsse und Bäche mit glasklarem Wasser und schattige Haine versprechen Ruhe und Erholung beim
Wandern, Fahrradfahren oder Reiten.
Sehenswert sind hier auch die Klippenhöhen bei
Barton-on-Sea, ein schönes Ausflugsziel mit einer
atemberaubenden Aussicht.
Sicht nach Westen von den Klippen Barton-on-Sea
3.7
Beaulieu
Das Dorf Beaulieu befindet sich mitten im New Forest am gleichnamigen Fluss und ist vom
Fortschritt größtenteils verschont geblieben. Im Werftendorf Buckler’s Hard scheint noch alles
zu sein wie zur Zeit seiner Entstehung im 18. Jahrhundert, viele Schiffe für Admiral Nelson wurden hier gebaut. Der Fluss Beaulieu eignet sich nicht nur zum Angeln, er ist auch beliebtes Ziel
für Wassersportler zum Kanuoder Kajakfahren.
Und gleich in der
Nähe
befinden
sich auch noch
die Exbury Gardens mit sehenswerten Blumen
Buckler's Hard
und Pflanzen.
58
Im alten Landgut Beaulieu ist das National Motor Museum untergebracht, wo die Jahrzehnte der
Entwicklungen rund um technische Mobilität erklärt werden und unglaublich viele Fahrzeuge
ausgestellt sind. Das zum Landgut zugehörige Palace House war ursprünglich das Torhaus der
Abtei aus dem 13. Jahrhundert und seit 1538 das Heim der Familie Montagu. Die Erzählungen
der Butler, Köche oder Zimmermädchen bieten einen faszinierenden Einblick in das Leben der
Bediensteten viktorianischer Zeit. Von der ehemaligen Abtei sind sonst überwiegend Ruinen erhalten geblieben. Hier wird
auch in einer Ausstellung
das Leben der Zisterzienser
in den damaligen Verhältnissen gezeigt.
Palace House
National
Motor
Museum
3.8
Isle of Wight
Wer an einen Inselurlaub immer wieder gern zurückdenkt, der muss hier gewesen sein! Auf der
Isle of Wight hat jede Jahreszeit ihren besonderen Reiz. Lange, heiße Sommertage locken Hunderte von Besuchern in die Urlaubsorte an der Küste, wo sie segeln gehen oder einen traditionellen Badeurlaub verbringen. Die Insel kann sich rühmen, fast hundert Kilometer Küste von spektakulärer Schönheit zu besitzen, darunter malerische kleine Felsbuchten und herrliche, weitläufige
Badestrände mit feinem, goldenem Sand und absolut gefahrlosen Badebedingungen. Ebenfalls
bemerkenswert ist der Zauber des ländlichen Inneren der Insel, wo auf zahlreichen Wegen und
Wanderrouten das erfrischende Grün und Gold der Natur im Frühling, ihre leuchtenden Töne
im Herbst oder die magisch verschleierten Pastellfarben eines kalten Wintermorgens erlebt werden können. Die Insel mit ihren diamantförmigen Konturen ist eine Fundgrube für alle ge59
schichtlich und vorgeschichtlich Interessierten. Bis zur Gegenwart haben sich hier Spuren von Sauriern, urzeitlichen
Stämmen, Römern und Monarchen erhalten. Die Isle of
Wight war häufiges Reiseziel
einiger prominenter Persönlichkeiten der viktorianischen
Ära, darunter Charles Dickens,
Lewis Carroll, J. M. W. Turner
und Königin Victoria selbst.
Neben seinem internationalen
Ruf als Zentrum des Segelsports bietet die Isle of Wight
auch zahllose Möglichkeiten
für sportliche Aktivitäten jeder
Art: Vom Angeln über Golf
und Windsurfen bis zum
Gleitschirm- oder Drachenfliegen ist hier für jeden etwas dabei.
oben: Berühmtes Luftbild der Insel
unten: Segeln ist hier Volkssport
4
Surrey
Surrey ist auf Grund seiner Nähe zu London eine der Wohngegenden schlechthin für Pendler.
Die Bevölkerungsdichte – ewa eine Million Einwohner, wobei über sechshundert auf einem Quadratkilometer wohnen – ist sehr hoch, und die Leute sind in der Regel wohlhabender als der
Durchschnittsengländer. Die traditionelle Hauptstadt der Grafschaft war Guildford, hier befindet
sich auch die Universität von Surrey. Gegenwärtig befindet sich der Verwaltungssitz in Kingston
upon Thames, das paradoxerweise seit 1965 gar nicht mehr in der Grafschaft liegt (es gehört zu
Greater London). Es gibt Pläne, die Verwaltung nach Woking zu verlegen.
Trotz der vielen Leute gibt es auch regelrechte Oasen, wo sich Ruhe finden lässt. Ein Großteil
von Surrey liegt im Grünen Gürtel, und da der Boden sehr sandig ist und landwirtschaftlich nur
begrenzt genutzt werden kann, gibt es eine große Zahl von Fuß- und Reitwegen. Deshalb bietet
Surrey viele Möglichkeiten für ländliche Freizeitaktivitäten. Die Garten- und Parkanlagen der Region sind in das European Garden Heritage Network eingebunden.
Surrey ist außerdem die Heimat vieler Stars. Musiker wie Phil Collins, Eric Clapton, Bryan Ferry
und Ringo Starr leben in der Grafschaft. Und auch TV-Stars wie Liz Hurley haben hier ihr Landhaus.
60
4.1
Farnham
Farnham liegt zwischen London und Winchester und sollte auf jeder Sightseeingliste stehen. Die
Stadt ist relativ klein (38 000 Einwohner) und übersichtlich und sprüht den Charme aus, den ein
Ort nur haben kann, wenn sein Charakter nicht durch Bausünden der vergangenen Jahrzehnte
förmlich erstickt wurde. Die meisten Gebäude sind aus dem 18. Jahrhundert und fallen somit architektonisch in den georgian style. Doch gibt es auch andere, ältere und jüngere Gebäude: Mittelalterliche Fachwerkbauten sind ebenso dabei wie viktorianische Familienhäuser.
Der Grund für Farnhams Aufstieg im 18. Jahrhundert war mittelbar die steigende Produktion des
Biers. Hopfen wurde mehr denn je gebraucht und die Felder rund um die Stadt boten reiche Ernten. So kam es zu einem heute
noch sichtbaren Wohlstand. Diese
Geschichte wird in dem kleinen
Museum erzählt, das selbst in einem Gebäude aus jener Zeit untergekommen ist.
Die größte Attraktion hier ist aber
die Burg, die einzige gut erhaltene
im Landkreis Surrey, aus dem
zwölften Jahrhundert. Die damals
wichtigen Bischöfe von Winchester
bauten hier ihre Residenz. Die Anlage war bis in die Zwanzigerjahre
des letzten Jahrhunderts bewohnt.
Heute ist die Burg ein Konferenzzentrum, die Reste des mächtigen
Turmes können aber besichtigt
werden und von dort hat man eine
Farnham Castle
gute Sicht auf den Rest der Festung und auf Teile Farnhams.
Einen Spaziergang durch die Stadt sollte man sich nicht entgehen lassen. Es gibt viele architektonische Juwelen zu entdecken, seien es kleine Armenhäuser, in denen heute reiche Engländer
wohnen, wie z.B. in der Castle Street, oder das Einkaufsareal am Lion & Lamb Yard, das Fachwerkhäuser aus dem Mittelalter enthält.
Auch für Unterhaltung ist bestens gesorgt: Die ehemalige Brauerei The Maltings beherbegt heute ein Kunst-,
Musik- und Ausstellungszentrum.
Lion & Lamb Yard
The Maltings
61
4.2
Guildford
Guildford, die Hauptstadt von Surrey mit 70 700 Einwohnern, zeigt nicht auf den ersten Blick
ihre Schätze. Sie werden ein wenig, aber wirklich nur ein wenig gesucht werden müssen. Sicherlich ist man schnell fündig.
Der Ort wurde in sächsischer Zeit, kurz nachdem die Römer die Insel verlassen hatten, gegründet. Sein dominantes Merkmal ist der normannische Festungsturm aus dem zwölften Jahrhundert. Dieser ist erst 2004 renoviert worden und wieder zugänglich. Darum herum sind hübsche
Gärten, wo sich einst der Rest der Burg befand. Das Guildford Museum, in der Nähe der Burg,
widmet sich der Geschichte der Stadt und ist selbst in einem schönen Haus aus dem 17. Jahrhundert eingerichtet worden.
Guildford selbst ist heute wie viele englische Städte: Der Kommerz regiert. Ein Gang durch die
immerhin verkehrsberuhigte High Street, der Einkaufsstraße, lohnt sich trotzdem, weil hier viele
interessante Gebäude stehen.
Allen voran ist das Archbishop
Abbot's Hospital zu erwähnen.
Es wurde Anfang des 17. Jahrhunderts gebaut und ist eines
der schönsten Häuser aus rotem Backstein aus der Tudorzeit, das es in England gibt.
Der Bischof von Canterbury
lies es aus Liebe zu seiner Geburtsstadt erbauen. Man kann
in den hübschen Hof hinein
schauen, da das Gebäude aber
heute noch in Betrieb ist, ist die
Teilnahme an einer der seltenen
Führungen nötig, um die
prächtige Glasmalerei und die
Archbishop Abbot's Hospital
Eichendecken zu sehen.
Ebenfalls sehenswert ist die
Gildehalle, einst Gericht und Tagungsort des Stadtrates. Die gigantische vergoldete Uhr außen
am Gebäude wird auffallen, sie ist aus dem Jahr 1638 und gibt in Guildford schon seit 300 Jahren
die Zeit an. Das Gebäude selbst stammt aus dem 16. und 17. Jahrhundert, also aus der Tudorzeit,
was die Fassade etwas
verschleiert. Die Führungen durch die Gildehalle sind kostenlos.
Eine Rarität ist auch
Guildford
Cathedral.
Nicht unbedingt bekannt für ihre Schönheit, so ist sie doch eine
von nur vier anglikanischen Kathedralen, die
im zwanzigsten Jahrhundert erbaut wurden.
Das Bootshaus
am Fluss Wey
62
Bekannt geworden ist sie übrigens durch den Film Das Omen, der unter anderem hier gedreht
wurde.
Eine etwas vernachlässigte Attraktion ist der Fluss Wey, an dessen Ufern Guildford liegt. Die
Kanäle und Flüsse sind vom Bootshaus in Ruderbooten, Kanus oder durch Touren zu erkunden.
Dabei stößt man ca. einen Kilometer nördlich auf den Dapdune Wharf, ein Museum, dass sich
Großbritanniens ältesten Wasserweg widmet.
Natürlich gibt es hier auch zwei sehenswerte Landsitze, nur wenige Kilometer entfernt. Hatchlands Park ist ein klassisches Landhaus, das von Robert Adem gestaltet wurde. Hier findet sich
die Cobbe Collection früher Musikinstrumente, die mit ein paar Beispielen berühmter Komponisten
wie Chopin, Elgar oder der Bachfamilie. Und gleich in der Nähe steht Clandon Park, ein Herrenhaus, das für seine beeindruckende, zweigeschossige Marmorhalle bekannt ist. Textilien, Porzellan
und Schmuckstücke aus dem 18. Jahrhundert sind hier zu besichtigen. Und ganz besonders britisch ist das im Gebäude beheimatete Museum des Queen's Royal Surrey Regiment.
4.3
Woking
Woking ist eine Stadt mit etwa 62 796 Einw. (ohne Vororte) im Westen der Grafschaft Surrey. Zu
ihren bekanntesten Persönlichkeiten zählen die hier geborenen Musiker Paul Weller, Bruce Foxton und Rick Buckler, deren Band The Jam zu den erfolgreichsten der britischen Musikgeschichte
zählt; sowie Billie Davis und Rick
Parfitt, Gitarrist und Sänger von
Status Quo. Ferner lebte hier Herbert
George Wells einige Jahre, der Woking zum Schauplatz seines bekannten Romans Krieg der Welten machte.
Woking ist außerdem die Heimat
der McLaren-Firmengruppe und damit auch des bekannten Formel-1-Rennstalls McLaren.
Futuristisch: Das neue McLarenZentrum bei Woking
Die Shah-Jahan-Moschee wurde
1889 als eine der ersten Moscheen
Westeuropas von dem Orientalisten Dr. Leitner mit Geldern indischer Muslime erbaut und wird
seitdem von einer Stiftung unterhalten. 1913 gründete die Ahmadiyya Anjuman Ischat-i-Islam Lahore
(AAIIL) eine Missionsstation und stellte den Imam der Moschee bis etwa 1964. Seitdem wird die
Moschee von sunnitischen Muslimen genutzt.
Seit September 2007 ist mit The Lightbox ein neuer Ausstellungsraum mit zwei Galerien in der
Stadt zu sehen.
Im Wisley Garden, 5 km östlich von Woking, werden fast hundert Hektar von der Royal Horticultural Society gepflegt, eine riesige Anlage mit wunderschönen Blumen, Sträuchern und anderen
Pflanzen. Für den Hobbygärtner ist auch die weltgrößte Buchhandlung für Gartenbücher sehr interessant.
63
4.4
Painshill Park
Bei Cobham gelegen, einem Dorf zehn Kilometer östlich von Woking und siebzehn Kilometer
nordöstlich von Guildford, wurde diese historische Gartenanlage von Charles Hamilton in den
Jahren von 1738 bis 1773 gestaltet.
Es ist eine der ersten Parkanlagen im
Stil der englischen Landschaftsgärten
und wurde zum Vorbild vieler Anlagen in ganz Europa. Nach dem Tod
Hamiltons verwilderte der Park und
wurde erst ab 1980 vom Painshill
Park Trust renoviert.
Die Entstehung von Painshill Park
ist eng verknüpft mit der Lebensgeschichte von Charles Hamilton. Er
hatte 1732 Italien bereist, Rom besucht und dort zahlreiche Gemälde
und antike Skulpturen erworben. Ab
1738 begann er seine Kunstsinnigkeit und seine Vorliebe für die Antike mit der Gestaltung eines zeitgenössisch neuartigen Gartentyps, dem
Landschaftsgarten, in die Praxis umzusetzen. Auf einem Gelände von
Parküberblick mit gotischem Turm
fünfzig, später achtzig Hektar – gepachtet und durch Zukäufe vergröGrotte
ßert –, bestehend aus Heide- und
Waldland entstand nach und nach
eine malerische Parklandschaft. Hamilton entwickelte sich dabei von einem gärtnerischen Amateur zu einem geschickten und einfallsreichen
Landschaftsarchitekten, dem die
Fachleute seiner Zeit Lob und Anerkennung aussprachen. Die Finanzierung seines Vorhabens erfolgte
durch umfangreiche Verschuldung:
Einer seiner Geldgeber war der Bankier Henry Hoare d. J., der in der
Folgezeit mit Stourhead selbst einen
berühmten Landschaftspark anlegte.
4.5
Hampton Court Palace
Hampton Court, das Kardinal Wolsey im frühen 16. Jahrhundert erbauen ließ und König Heinrich VIII. (1491-1547) sich später aneignete, liegt 23 km südwestlich von London am Themseufer. Der Palast war einst das Zentrum des königlichen und politischen Lebens in England und
diente zahlreichen englischen Monarchen zwischen 1525 und 1737 als Residenz, darunter König
Heinrich VIII., König Wilhelm III. und Königin Mary II. im 17. Jahrhundert sowie König Georg
II. und Königin Caroline im 18. Jahrhundert.
64
Hampton Court ist Schauplatz vieler bedeutsamer historischer Ereignisse: König
Heinrich VIII. verbrachte
1533 seine Flitterwochen mit
Anne Boleyn im Palast und
heiratete hier 1543 seine
sechste Frau Catherine Parr,
König Karl I. wurde dagegen
1647 von Oliver Cromwell,
der 1653 hier einzog, im Palast gefangen gehalten. Der
Innenhof von Hampton Court
Das Labyrinth
Palast wurde 1838 von Königin Viktoria
der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und
Besucher können heute einen Großteil des
imposanten Tudorgebäudes besichtigen.
Höhepunkte sind die Große Halle Heinrichs VIII. (mit 32 m Länge, 12 m Breite
und 18 m Höhe der größte Raum des Palastes), die von Christopher Wren entworfenen und 1700 fertiggestellten Staatsgemächer von König Wilhelm III. sowie die
Tudorküchen, die zweifellos die eindrucksvollsten ihrer Art in England sind. In den
Palastgärten können sich Besucher in dem
berühmten Maze, dem 1702 im Nordgarten angelegten Buchsbaumlabyrinth, vergnüglich verlaufen.
4.6
Epsom
Wer den Pferdesport mag, der sollte
auf keinen Fall Epsom verpassen. Epsom ist eine 27 000 Einwohner große
Kleinstadt im Distrikt Epsom and
Ewell, ungefähr 25 km südwestlich
von London. Das Derby ist schlichtweg das Ereignis des Jahres, bei dem
sich die High Society Anfang Juni
zeigt, ganz nach dem Motto »Sehen
und Gesehen werden«, aber durchaus
auch interessiert die Rennen anschaut.
Die Ursprünge der Pferderennen gehen auf eine Freizeitbelustigung für
Kurgäste zurück – Epsom war im 18.
Jhd. wegen seiner Heilquelle bekannt.
65
Die historische Berühmtheit der Stadt geht
eben auf die jährlichen Pferderennen Oaks
(seit 1779) und Epsom Derby (seit 1780) zurück,
die auf dem Epsom Downs Racecourse abgehalten werden.
Das Epsom Derby ist offenbar ein Erlebnis
für alle Leute, ob zum Feiern oder zum Wetten
5
Berkshire
Die Grafschaft Royal Berkshire wird von der Themse durchflossen, an deren Ufern oder in deren
Nähe sich zahlreiche geschichtsträchtige und sehenswerte Städte und Dörfer befinden. Es ist eine
faszinierende, trendbewusste und kultivierte Region mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten und
Möglichkeiten für Aktivitäten: Einkaufen und Essen für gehobene Ansprüche, interessante Wanderwege und Rundgänge, Bootsausflüge und Bustouren mit offenem Oberdeck, historische Gärten, weltbekannte Pferderennbahnen und natürlich Schloss Windsor.
Dies alles, zusammen mit einer Vielzahl internationaler Veranstaltungen, macht Berkshire zu einem ganzjährig lohnenden Besuchsziel.
Die Grafschaft Berkshire ist eine der ältesten in England; sie wurde bereits im Jahr 860 erstmals
namentlich erwähnt. Berkshire ist in seiner heutigen Form in der Mitte des siebten Jahrhunderts
entstanden, als der damalige König von Wessex einem Verwandten ein großes Stück Land zusprach. Bis ins zehnte Jahrhundert gab es in Berkshire hauptsächlich kleinere Dörfer und vereinzelte Bauernhöfe, ab diesem Zeitraum entwickelten sich aber langsam die ersten Städte. Im Laufe
der Geschichte wurde die Grafschaft Schauplatz zahlreicher großer Schlachten, unter anderem
der Battle of Reading (1688) während der Glorious Revolution, durch die die Grundlage für das heutige parlamentarische Regierungssystem Großbritanniens gelegt wurde.
Etwa 800 000 Menschen
leben heute in Berkshire,
wobei ein Großteil der
Bevölkerung in den städtischen Gebieten im Zentrum bzw. im Osten der
Grafschaft lebt. Der westliche Teil ist eher ländlich,
In der Nähe von Newbury, Berkshire
größere Städte gibt es nur
wenige.
66
5.1
Windsor
Als attraktives Ziel für eine Kurzreise vereint Windsor (28 000 Einwohner) in sich eine tausendjährige Geschichte, moderne Einkaufsmöglichkeiten, gehobene Gastronomie und eine Fülle
von Sportangeboten, Freizeitaktivitäten und Veranstaltungen. Windsor eignet sich ideal für einen
Tagesausflug oder Kurzurlaub. Ob man der Geschichte oder Kultur, der
Geschäfte oder des Familienvergnügens
wegen
kommt: Hier gibt es reichlich zu sehen und zu unternehmen. Viele Anziehungspunkte sind geboten, darunter erwarten den Besucher Schloss Windsor, der
berühmte Wachwechsel vor
dem Schloss, Eton College
Brücke über die Themse in Windsor
und Legoland Windsor, sowie
die Stadt selbst.
Am bekanntesten ist – ganz klar – das königliche Schloss Windsor Castle. Es ist das größte und
älteste noch bewohnte Schloss der Welt und eine der offiziellen Residenzen Ihrer Majestät, der
Queen. Das Schloss mit seiner
wunderschönen Lage verkörpert 900 Jahre britischer Geschichte. Es liegt in einem über
zehn Hektar großen Gelände
und beherbergt neben einem
Königspalast auch eine prächtige Kapelle sowie die Wohnund Arbeitsstätten etlicher
Menschen.
Die herrlichen Prunkgemächer
(State Apartments) sind mit einigen der schönsten Kunstwerke aus der Royal Collection ausgestattet, darunter Gemälde von
Rembrandt, Rubens, Canaletto
und Gainsborough. Von Oktober bis März können die Besucher auch die privaten Gemächer von George IV. (die Semi-State Rooms) besichtigen,
die zu den am üppigsten ausgestalteten Innenräumen im
Schloss gehören.
St. George's Chapel zählt zu
den schönsten Beispielen gotischer Architektur in England. Die Kapelle ist das geistliche Zentrum des Hosenbandordens (Order of the Garter),
67
des höchsten Ordens des britischen Rittertums, gegründet von Edward III. im Jahr 1348. In der
Kapelle befinden sich die Grabmäler von zehn Herrschern, wie das Heinrichs VIII. und seiner
dritten Frau Jane Seymour sowie Charles I.
Zu den Höhepunkten bei einem Besuch von Schloss
Windsor gehört das Queen
Mary's Dolls' House, das berühmteste Puppenhaus der
Welt. In der Drawings Gallery werden regelmäßig wechselnde Ausstellungen mit
Material aus der königlichen
Bibliothek
auf
Schloss
Windsor veranstaltet.
Der berühmte Wachwechsel
Das Eton College ist eine unabhängige, durch Schulgebühren finanzierte weiterführende Schule
für Jungen in Eton nördlich bei Windsor. Am College gehen ca. 1300 Jungen im Alter von 13 bis
18 Jahren zur Schule. Die Schulgebühren betragen knapp zehntausend Pfund pro half, was einem
Trimester entspricht (drei halves bilden ein Schuljahr: Michaelmas Half von September bis Dezember, Lent Half von Januar bis März und das Summer Half von April bis Juni oder Juli). Daneben
kommen weitere Gebühren für den Musikunterricht, die Teilnahme an sportlichen Aktivitäten
(Rudern, Fechten, Judo
usw.), sowie die Kosten für die vorgeschriebene Schulkleidung hinzu. Es ist also
eine kostspielige Angelegenheit, seine Kinder
hier einzuschreiben.
Das College ist für seine früheren Schüler
(sog. Old Etonians) und
seine
altertümlichen
Traditionen bekannt.
Dazu gehört auch die
schwarze
Schuluniform, die erstmals aus
Trauer über den Tod
Schüler des Eton in
von Georg III. (1820) getragen wurde.
traditioneller
Schuluniform
Die Schule ist bei der englischen Königsfamilie sehr
beliebt und hat 19 Premierminister hervorgebracht.
Das King’s College of our Lady of Eton wurde 1440
von Heinrich VI. als Wohltätigkeitsschule gegründet, um siebzig armen Schülern eine kostenlose
Schulausbildung zu ermöglichen. Heinrich VI. versetzte die Hälfte der Lehrer und den Rektor des
Winchester College (gegründet 1382) nach Eton. Eton ist diesem College nachgebildet und wurde im 17. Jahrhundert populär.
Im Besitz des Eton College ist der Dorney Lake, ein künstlicher See für Ruderregatten.
68
5.2
Newbury
Newbury ist eine Kleinstadt im Bezirk West
Berkshire. Die nächste größere Stadt im County
ist Reading. Newbury hat selbst 32 000 Einwohner
und mit den eingemeindeten Orten wie Thatcham
knapp 60 000 Einwohner. Newbury ist der Hauptsitz des Mobilfunkanbieters Vodafone.
Die wichtigste Sehenswürdigkeit ist Donnington
Castle. Newbury war im Englischen Bürgerkrieg
des 17. Jahrhunderts der Schauplatz zweier
Schlachten. Während einer langen Belagerung
wurde Donnington Castle zwar bis auf die
Grundmauern zerschossen, wegen seiner noch
stehenden Frontmauer erweckt es aber den Eindruck einer Burg, so dass man erst beim Besuch
merkt, dass sich dahinter nichts verbirgt. Durch
seine exponierte Lage bietet der Ort auch den besten Blick über ganz Newbury und das Tal vom
Fluss Kennet und
dem Avon-Kanal.
Donnington Castle
5.3
Welford
Das Dorf liegt im Flusstal des Lambourn nordwestlich
von Newbury. Hier findet sich die Kirche St. Gregory,
ein wahres Kleinod ländlicher Kirchenbauten. Gleich
angrenzend daran befindet sich Welford Park, ein Landsitz, der aus dem 17. Jahrhundert stammt. Obwohl in
der Regel weder das Haus noch die umliegenden Gärten für die Öffentlichkeit zugänglich sind, gibt es eine
Tradition, die schon über fünfzig Jahre alt ist: Zur Blütezeit der Schneeglöckchen wird der Park geöffnet, und
Besucher können die weiße Pracht an einigen Tagen bewundern.
Church Welford St. Gregory
Snowdrops (Schneeglöckchen)
im Welford Park
69
5.4
Bisham Abbey
Bisham Abbey ist ein Herrenhaus aus dem 13. Jahrhundert, dessen Name von dem angrenzenden
Kloster stammt, das leider nicht mehr erhalten ist. Das umliegende Gelände ist heute ein National Sports Centre, das unter anderem ein Hockeyfeld, mehrere Tennisplätze, eine Sporthalle und
einen Golfplatz umfasst. Das Dorf Bisham – übrigens wie »Bissam« ausgesprochen – liegt 20 km
nordöstlich von Reading und 17 km nordwestlich von Windsor.
Landsitz Bisham Abbey
5.5
Reading
Die Stadt Reading (ausgesprochen etwa: »Redding«) liegt am Zusammenfluss der Flüsse Themse
und Kennet etwa 70 km westlich von London. Die so genannte Reading Urban Area oder Greater Reading, also die Stadt Reading und die umliegende Gegend, hat ca. 235 000 Einwohner, die
Stadt Reading selbst 143 000.
Im achten Jahrhundert wurde die Siedlung Readingum gegründet. Der Name könnte entweder
aus dem Sächsischen für »Place of Readda’s People« (Ort des Volkes von Readda) oder aus dem
keltischen Rhydd-Inge (Furt
über den Fluss) entstanden
sein, wobei letzteres eher die
Topografie der Stadt passend
beschreibt. Im Mittelalter
wurde die im Jahr 1121 von
König Heinrich I. gegründete Abtei zur Pilgerstätte, und
durch den Handel mit Textilien gelangte die Stadt während dieser Periode zu Wohlstand. Im 18. Jahrhundert
entwickelte sich eine Eisenindustrie, und die Stadt profitierte von der Lage nahe an
London und Oxford sowie
von dem zunehmenden Verkehr auf den beiden Flüssen
Themse und Kennet.
Der Kennetkanal durchfließt Reading
70
Die Ruinen der Abtei von Reading gehören zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt als Teil der Forbury Gardens, einem öffentlichen Park, der früher als Marktplatz und Treffpunkt diente. Seit
1996 wurde die Ruine des Kapitelsaals für eine jährliche Open-Air-Shakespeare- Produktion genutzt, aus der 2007 das Reading Abbey Ruins Open Air Festival hervorgegangen ist.
Die Geschichte der Minster Church of St Mary the Virgin (kurz: Reading Minster) ist eng mit der
Geschichte der Abtei verknüpft. Bereits im siebten Jahrhundert gegründet, verlor die Kirche ab
der Gründung von Reading Abbey im Jahr 1121 an Bedeutung. 1539 fiel die Abtei der Auflösung
der englischen Klöster durch Heinrich VIII. zum Opfer, und im Zuge der folgenden Reformation trug auch die Kirche einigen Schaden davon. Von 1551 bis 1555 wurde sie restauriert, wofür
Mauerwerk und Bauholz der Abtei-Ruinen verwendet wurden.
Im alten Rathaus der Stadt befindet sich heute das
Museum of Reading, das sich unter anderem mit
allgemeinen geschichtlichen Aspekten, der Entstehung der Industriezweige sowie der regionalen
Geologie und Natur befasst. Weiterhin gibt es das
REME-Technologiemuseum, das die Entwicklung
der Elektrotechnik und des Maschinenbaus seit
1942 zeigt, hauptsächlich im militärischen Bereich
mit einigen interessanten Exponaten. Es gibt noch
einige andere Museen, die an die Universität von
Reading ange-schlossen sind.
Ein kleiner Tipp für den Abend: In der Friar
Street finden sich die meisten und beliebtesten
Pubs von Reading.
Town Hall
Der Pub Yates's in der Friar Street
71
5.6
Bracknell
Als Ausflugsziel ist hier besonders das Look Out Discovery
Centre zu benennen. Hier finden sich für Kinder interaktive
Möglichkeiten Natur und Wissenschaft zu erfahren und über
achtzig Darstellungsobjekte. Für
den Wagemutigen sind Heißluftballonfahrten genauso möglich
wie die einzigartige Erfahrung
durch ein riesiges Maulwurfsloch
zu klettern oder den eigenen
Schatten an der Wand einzufrieren. Von einem Turm aus hat
man einen wunderbaren Ausblick auf die umliegenden königAlles zum Mitmachen im Look Out Discovery Centre
lichen Wälder, die sich dem
Wanderer oder Fahrradfahrer anbieten.
Die Stadt Bracknell (71 800 Einwohner, 60 km südwestlich von London) ist eine typische Pendlerstadt des New-Town-Programms und als solche geprägt von Reihenhaussiedlungen und zahlreichen Verkehrskreiseln. »Unbekannte Berühmtheit« hat Bracknell durch die erste Harry-PotterVerfilmung bekommen: Die Außenaufnahmen vom Haus der Dursleys wurden im Stadtteil Martins Heron gedreht.
5.7
Ascot
Das berühmte Royal Ascot oder einfach auch nur Ascot ist ein traditionsreiches Pferderennen, das
seit dem 11. August 1711 auf dem Ascot Racecourse in Ascot, südlich von Windsor und fünf Kilometer östlich von Bracknell, veranstaltet wird. Es geht auf eine Initiative der damaligen Königin
Anne zurück und steht bis heute
unter der Schirmherrschaft des
Königshauses.
Die Kursführung der Rennbahn
ist dreieckig (ähnlich wie die Düsseldorfer Galopprennbahn auf
dem Grafenberg) mit zwei angeschlossenen
Verlängerungsstücken (dem Old-Mile-Kurs mit einem Bogen und dem Royal-HuntCup-Kurs mit einer Geraden von
einer Meile Länge).
Der dritte Renntag der Royal-Ascot-Rennwoche (Mitte Juni, ca.
zwanzig Tage nach dem Epsom Derby), an dem das
Rennen um den seit 1807 vergebenen (Ascot) Gold Cup
stattfindet, gilt als wichtigster Tag der Veranstaltung.
Die Entscheidung des Ascot Gold Cup führt über eine
Distanz von 4022 m (20 Furlong) und galt bis zur
72
Elizabeth II. und
Prinzgemahl Philip
bei der Eröffnung
von Royal Ascot
Gründung der King George
VI. and Queen Elizabeth
Stakes (2414 m, Ende Juli
ebenfalls in Ascot) in den
1950er Jahren als das neben den klassischen Rennen bedeutendste Galopprennen in England.
Der Gold-Cup-Renntag ist
auch als Ladies’ Day bekannt, an dem die weiblichen Besucher besonders
extravagante Hüte tragen.
Nicht zuletzt deswegen ist
das Royal Ascot neben seinem hochklassigen sportlichen Charakter vor allem
auch als gesellschaftliches
Ereignis von Bedeutung.
Während des Royal Ascot
wird jeder Renntag durch
den Einzug der Königlichen Familie eröffnet, die
im offenen Landauer von
ihrem nahe gelegenen
Schloss Windsor anfahren.
Ladies' Day
Neben dem Gold Cup finden noch acht weitere Rennen der höchsten internationalen Rennklasse
(Gruppe-I-Rennen) während der Rennwoche statt.
Außer Royal Ascot finden das ganze Jahr über Pferderennen auf der Rennbahn von Ascot statt, in
der Winterzeit (National Hunt Season) auch viele Hindernisrennen.
Galopprennen
73
6
Buckinghamshire
Buckinghamshire ist nach der Universitätsstadt Buckingham benannt; heute ist jedoch Aylesbury
der Verwaltungssitz der Grafschaft. Unterteilt ist Buckinghamshire in die vier districts Aylesbury
Vale, Chiltern, South Bucks and Wycombe. Die Stadt Milton Keynes wure 1997 Unitary Authority, ist aber für bestimmte zeremonielle Funktionen der Grafschaft angegliedert.
Obwohl erst von den Angelsachsen als »scire of Bucca’s home« bezeichnet, woraus dann später
der Name Buckinghamshire entstand, existierte die heutige Grafschaft bereits als Untereinheit im
Königreich von Mercia (585 bis 919 A.D.). Zwar haben auch Römer und Kelten in der Region
ihre Spuren hinterlassen, am nachhaltigsten wurde sie jedoch während der angelsächsischen Periode geprägt.
Im 16. Jahrhundert wurde Buckinghamshire unter Heinrich VII. zur politischen Bühne und ein
Jahrhundert später soll hier der Ausgangspunkt für den Englischen Bürgerkrieg gewesen sein. Im
19. Jahrhundert wurde die Region gleichzeitig von der Cholera und einer Hungersnot getroffen,
was zu einer Abwanderung der Landbevölkerung in die großen Städte führte. Da hierdurch
Grund und Boden erschwinglich wurden, wählten viele Reiche Buckinghamshire als Landsitz,
und auch heute haben viele Besserverdiener aus London hier ihren Wohnsitz.
Die Chiltern Hills, oder auch Chilterns genannt, sind eine landschaftliche Besonderheit in Buckinghamshire. Die Hügellandschaft, die aus Kreide besteht, erstreckt sich über die gesamte Grafschaft und ist zum Großteil als Area of Outstanding Natural Beauty klassifiziert. Zusammen mit den
Gebieten Salisbury Plain, North Downs, South Downs und der Isle of Wight bilden die Chiltern
Hills die so genannte südenglische Kreideformation.
In den vielen kleinen Städten wie zum Beispiel Marlow, Amersham oder Buckingham kann man
sich bei einem Einkaufsbummel oder beim Besuch in einem der gemütlichen, traditionellen Pubs
entspannen oder sich auf die Spuren berühmter Schriftsteller wie beispielsweise John Milton, T.S.
Eliot oder Mary Shelley begeben. Für Liebhaber historischer Gebäude empfiehlt sich ein Besuch
von Waddesdon Manor oder Cliveden, zweier prächtiger Landhäuser in Buckinghamshire.
6.1
Buckingham
Die Stadt Buckingham liegt im Norden der Grafschaft Buckinghamshire, etwa 16 km von der
Grafschaftsgrenze zu Northamptonshire entfernt, und hat knapp 12 000 Einwohner. Ursprünglich war Buckingham county town und Namensgeber der Grafschaft, doch im 16. Jahrhundert wurde Aylesbury zum Verwaltungssitz der Region.
In Buckingham gibt es zahlreiche Restaurants und Pubs und zweimal wöchentlich findet ein
Markt statt. Das Zentrum besteht zumeist aus georgianischen Gebäuden, die nach einem Feuer
gebaut wurden, welches 1725 den Innenstadtkern zerstört hatte.
Die University of Buckingham ist die erste und einzige private Universität im Vereinigten Königreich. Sie wurde 1976 als University College of Buckingham gegründet und erhielt 1983 den Universitätsstatus. Anders als an öffentlichen, staatlich finanzierten Universitäten müssen die Studiengebühren von ca. 7500 Pfund im Voraus bezahlt werden und nicht erst nach dem Eintritt ins
Berufsleben. Obwohl die Gebühren für Studenten aus Nicht-EU-Ländern sogar ca. 13 000 Pfund
pro Jahr betragen, lassen sich an der University of Buckingham vermehrt Studenten aus Indien,
Bangladesch, Pakistan, Malaysia und Nigeria ausbilden.
74
Chantry Chapel
Das älteste Gebäude in Buckingham ist die Buckingham
Chantry Chapel, die aus dem
15. Jahrhundert stammt. Im
Jahr 1875 wurde sie von George
Gilbert Scott restauriert. Heute
wird sie vom National Trust, einer gemeinnützigen Organisation, die sich Pflege und Erhalt
von historischen Gebäuden und
Naturschutzgebieten in England, Wales und Nordirland zur
Aufgabe gemacht hat, betreut.
Wesentlich länger als der Bau der Chantry Chapel liegt die Gründung der Stadt Buckingham zurück, die wahrscheinlich im siebten Jahrhundert durch germanische Siedler erfolgte. In der Zeit
vom 7. bis zum 11. Jh. wechselte die Vorherrschaft in der Stadt regelmäßig zwischen Dänen und
Sachsen. Im Jahr 1554 erhielt Buckingham Stadtrechte.
Das alte Kerkergebäude wurde 1748 im Stil einer kleinen
Burg gebaut. Heutzutage
wurde es in ein Museum umgewandelt, in dem sich auch
das Fremdenverkehrsbüro
befindet.
Die Stow Gardens, die vom
National Trust erhalten werden, beinhalten 300 Hektar
Land mit über vierzig Monumenten und vier Seen.
The Old Gaol
Stowe Gardens
75
6.2
Aylesbury
Die Stadt Aylesbury ist Verwaltungssitz der Grafschaft Buckinghamshire und gehört zum sogenannten London commuter belt, der Gegend, die an den Großraum London angrenzt und von der
aus es möglich ist, zur Arbeit in die Hauptstadt zu pendeln. Fast 70 000 Menschen leben in Aylesbury, dessen Name, ebenso wie der Name Buckinghamshire, aus der Zeit der Angelsachsen
stammt.
Bereits zu dieser Zeit war die Stadt eine größere Marktstadt und zudem als Grabstätte des heiligen St. Osyth eine Anlaufstelle für Pilger. Im Jahr 1529 ernannte König Heinrich VII. Aylesbury
zur county town von Buckinghamshire, angeblich weil der König sich bei Thomas Boleyn, dem
Vater von Anne Boleyn und Besitzer von Aylesbury Manor, einschmeicheln wollte. Zur Zeit der
Rosenkriege spielte die Stadt als Hochburg der Parlamentarier eine wichtige Rolle, und während
seiner Zeit im Exil von 1810 bis 1814 hielt sich der französische König Ludwig XVIII. in Aylesbury auf.
Seit den 1960er Jahren hat sich
die Bevölkerung von Aylesbury
verdoppelt, da viele neue Bauprojekte darauf abzielten, die
nahe gelegene Hauptstadt zu
entlasten. Dieser Entwicklung
fielen allerdings zahlreiche Gebäude aus dem 16. bis 18. Jahrhundert zum Opfer, die neuen
gewerblichen Projekten Platz
schaffen mussten. Im Stadtzentrum gibt es viele Bars und
Pubs, und an Wochenenden
kann die Stadt besonders lebhaft werden.
Neben den Städten Brighton,
Darlington, Derby, Exeter und
Markplatz von Aylesbury mit Turmuhr
Lancaster gehört Aylesbury zu
den so genannten Cycling demonstration towns. Im Jahr 2005 wurde
der Stadt eine Summe von einer Million Pfund zur Verfügung gestellt, um das Radfahren attraktiver zu machen und die Situation für Radfahrer in der Stadt zu verbessern.
In Aylesbury befindet sich das
Buckinghamshire County Museum, in dem Besuchern die Geschichte der Grafschaft näher gebracht werden soll. Das Museum
befindet sich in drei historischen
Gebäuden: einer Kapelle am Saint
Mary’s Square, dem ehemaligen
Gebäude der Aylesbury Grammar
School und Ceely House.
Es wird erzählt, dass Roald Dahl
von der Stadt und der Umgebung
die Inspiration für seine KinderBlick ins Tal von Aylesbury
76
geschichten gewann, woran die Children's Gallery erinnert, die in dem preisgekrönten Countymuseum zu finden ist.
Verantwortlich ist die Stadt
übrigens auch als Namensgeber für die bekannte und äußerst schmackhafte Aylesbury-Ente. Diese Hausenten
können im Oak Farm Rare
Breeds Park noch frei lebend
gefunden werden, zusammen
mit anderen ländlichen Bauernhoftieren. Das Füttern
der Tiere aus der eigenen
Hand ist für Kinder ein echtes Erlebnis.
Auch das St. Tiggywinkles
Aylesbury-Enten in Heddenham
Hospital and Visitor Centre
in Heddenham, acht Kilometer südwestlich von Aylesbury, in dem verletzte Tiere wieder aufgepäppelt werden, kann besichtigt werden. Hier ist es kein
seltener Anblick, wenn die Aylesbury-Enten die Dorfstraßen ganz für sich einnehmen.
6.3
Marlow
Marlow ist eine charmante historische Kleinstadt an der Themse und umgeben von einer schönen ländlichen Umgebung. In Richtung Norden befinden sich die Chiltern Hills. Durch die Nähe
zu London (knapp 50 km westlich vom Zentrum) und die gute Verkehrsanbindung mittels Straßen- und Schienennetz ist es nicht nur für Pendler ein hervorragender Wohnort, auch verschiedene Gewerbe haben sich hier niedergelassen.
Durch seine überschaubare Größe (rund 14 000 Einwohner) vermittelt Marlow den idyllischen
Eindruck des kleinen Städtchens, den Marlow tatsächlich auch hat und ist für viele Londoner begehrtes Ziel für einen Kurzausflug.
Sehenswert ist The Ship, ein Gebäude aus dem 16. Jhd. In der West Street, das aus alten Schiffsbalken erbaut wurde. Diese
Balken sind auch heute
noch sichtbar. Ebenfalls in
der West Street steht das
alte Poststellenhaus, wo der
Schriftsteller
Thomas
Stearns Eliot – einer der
bedeutendsten
Vertreter
der literarischen Moderne
– nach dem ersten Weltkrieg gelebt hatte. Überhaupt wird hier dem geschriebenen Wort viel Aufmerksamkeit geschenkt, es
gibt einige literarische VerSt. Peter hinter der Suspension Bridge
bände in der Stadt.
77
Das älteste Haus ist Old Parsonage am oberen Ende der St. Peter Street, das zusammen mit dem
benachbarten Wohnsitz The Deanery im 14. Jhd. errichtet wurde. Die Straße hinunter steht die römisch katholische Kirche St. Peter, die 1846 im neogothischen Stil erbaut wurde. Hier ist eine Reliquie zu sehen, es soll die mumifizierte Hand des Apostels Jakob sein. Am Ende der Straße führt
die Suspension Bridge über die Themse, die zwischen 1829 und 1832 errichtet wurde. Sie ersetzte
eine alte Holzbrücke, die etwas weiter stromabwärts vermutlich schon seit dem Mittelalter vorhanden war und der wachsenden Anforderungen durch die steigende Einwohnerzahl und den
Verkehr nicht mehr gewachsen war. Sie zerfiel wahrscheinlich 1828.
Ein bedeutendes Ereignis für die Stadt ist die alljährliche Ruderregatta, die im Juni stattfindet.
Neben dem sportlichen Wettkampf wird ein großes Festival veranstaltet.
6.4
Amersham
Amersham ist ein nordwestlich von London (40 km vom Zentrum) gelegener Ort in Buckinghamshire und Verwaltungssitz des Distrikts Chiltern. Die Geschichte des Ortes reicht weit in die
vorangelsächsische Zeit zurück, in der er als Agmondesham belegt ist.
Die Kleinstadt hat 21 470 Einwohner (Stand: 2001), ist Partnerstadt von Bensheim und Krynica
und besteht aus zwei Teilen: Amersham on the Hill und Old Amersham. Im alten Teil befindet
sich eine alte Kirche aus dem 13. Jahrhundert, die der Heiligen Maria gewidmet ist. In einigen ursprünglichen Gasthäusern kann man ein einheimisches Bier und englische Küche genießen.
Amersham wird durch die London Underground erschlossen, der Bahnhof Amersham ist Endstation der Metropolitan Line. Diese Anbindung der ländlichen Kleinstadt und die umliegenden Wälder
machen Amersham zu einem gemütlichen Ort zum Wohnen und zum Entspannen und zu einem
Ausgangspunkt für Wanderungen oder Fahrradtouren.
Amersham verfügt über mehrere Schulen, ein Hallenbad, eine öffentliche Bibliothek sowie öffentliche Parks und mehrere Einkaufsmöglichkeiten im Ort. Bekannt ist Amersham auch durch
das ortsansässige pharmazeutische Unternehmen Amersham plc.
Blick vom Waldrand auf Old Amersham
78
6.5
Waddesdon Manor
Ein märchenhaft schön restauriertes Herrenhaus mit einem Garten, in dem aus Drahtgeflecht erstellte und mit Blumen bepflanzte, überlebensgroße Vögel den Besucher beeindrucken. In den
ehemaligen Ställen ist heute ein Restaurant und eine Weinhandlung untergebracht.
Der Herrensitz wurde für Baron Ferdinand von Rothschild in den Jahren 1874 bis 1889 erbaut.
Im Haus ist die Sammlung Rothschilds französischer Einrichtungsgegenstände, seine Porzellansammlung und die
Sammlung englischer Portraits ausgestellt. Daneben
wird diese von mehreren
anderen Sammlungen ergänzt, die er hinzugewinnen konnte – wie
die seines Vaters und die
der Herzöge von Hamilton, von Buccleuch (siehe
Waddesdon Manor und Garten
V/1.3) und von Devonshire und der Grafen
Spencer (5. Earl) und FitzWilliam –, so dass sie in ihrer Gesamtheit als eine der bedeutendsten
des 19. Jahrhunderts in ganz England gilt.
6.6
Cliveden
Cliveden ist ein Herrenhaus mit italienisch anmutendem Charakter an der Grenze zu Berkshire
bei Taplow. Es ist an der Themse gelegen, steht jedoch auf einem steilen Hang etwa sechzig Meter über dem Fluss. Es war die Heimat des Prinzen von Wales und des Viscounts Astor (Viscount
ist ein englischer Adelstitel zwischen Baron und Graf). Heute ist es Eigentum des National Trust
und als Fünf-Sterne-Hotel verpachtet.
Die unterhalb des Hauses gelgenen
formalen Gärten bieten neben
dem Panoramablick über die
Themse eine Terrasse sowie ein
prächtiges Gartenparterre. Äußerst
sehenswert sind auch die bunten
Rabatten, ein idyllischer Wassergarten, der Rosengarten, der sogenannte Long Garden mit seinen geschnittenen Hecken, sowie die
Brunnen und Tempel. Auf den kilometerlangen Waldwegen genießen Spaziergänger immer wieder
herrliche Ausblicke auf den Fluss.
Blick vom vorgelagerten Park auf das Haus
79
6.7
Milton Keynes
Milton Keynes ist eine der Planstädte, die in den 1960er Jahren im Zuge des sogenannten New-Town-Programms entstanden. Früher gehörte sie zu Buckinghamshire, ist aber auf Grund ihrer
Größe von mittlerweile 184 506 Einwohnern (Stand 2001) seit 1997 in Selbstverwaltung.
Entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis ist Milton Keynes weder nach dem Dichter
John Milton noch nach den Wirtschaftswissenschaftlern Milton Friedman oder John Maynard
Keynes benannt. Der Name stammt von einem Ort, der bereits an der Stelle, an der die geplante
Stadt später errichtet wurde, existierte. Dieser Ort heißt seit 1991 Middleton, um ihn von der
Stadt zu unterscheiden.
Milton Keynes wird im Guinness-Buch der Rekorde als Stadt mit dem längsten Einkaufszentrum
(720 m lang), the centre:mk, das über 230 Läden beinhaltet, verzeichnet. In der Stadt befindet sich
die Open University, das nationale Badminton-Zentrum und das nationale Hockey-Stadion. Weiterhin ist die National Bowl (auch: Milton Keynes Bowl) seit 1972 ein bekannter Ort für Freiluftkonzerte, wo schon Shows von unzähligen namhaften Künstlern wie Linkin Park, Robbie Williams,
Queen, Guns N' Roses, Eminem, Green Day oder Bon
Jovi stattgefunden haben.
Bei der Anlage der Stadt
wurde davon ausgegangen,
dass eine große Anzahl von
Einwohnern über ein eigenes
Auto verfügen wird. Das
Straßennetz stellt ein schachbrettartiges Raster aus Straßen dar, oft verbunden
durch zahlreiche gleichartige
Kreisverkehre. Die Dichte
der Verkehrskreisel ist hier
deutlich höher als in anderen
britischen Städten. Die berühmten Beton-Kühe – lebensgroße, farbig angemalte
Milton Keynes Xscape
Standbilder – befinden sich,
wie fast alles in der Stadt, in
der Nähe dieser Kreisverkehre.
Alles in allem ist Milton Keynes sehr modern – schließlich gerade mal vierzig Jahre alt – und in
Hinblick auf historische Sehenswürdigkeiten oder charmante Gebäude oder Plätze sicherlich
nicht für einen Besuch zu empfehlen. Aber mit dem Willen Lake and Park, einem Park mit zahlreichen Spielplätzen und einem See auf dem Gelände, auf dem etlichen Wassersportarten nachgekommen werden kann, der Milton Keynes Gallery mit ihren Ausstellungen, dem Familienfreizeitpark Gulliver's Land, und Milton Keynes Xscape, einem Freizeitzentrum mit 16 Kinos, Bowlingpark, Kletterwand und Europas größter Skihalle mit echtem Schnee und Schanze, ist doch abwechslungsreiche Kurz-weil geboten, was Milton Keynes zu einer lebenswerten Stadt macht. Man
sollte sich aber nicht scheuen, die Strecke von 80 km nach London immer wieder mal auf sich zu
nehmen.
Das Formel-1-Team Red Bull Racing hat seinen Sitz in Milton Keynes. Desweiteren hat die Firma
Jim Marshall Amplification plc ihren Stammsitz in Milton Keynes. Die traditionsreiche Firma hat für
Generationen von (Rock-) Musikern Verstärker für E-Gitarren gefertigt.
80
7
Oxfordshire
Die Grafschaft Oxfordshire ist für architektonische sowie landschaftliche Schönheit gleichermaßen bekannt. Über die Hälfte der ca. 620 000 Einwohner leben in Städten mit weniger als
zehntausend Einwohnern, was Oxfordshire zur ländlichsten Grafschaft in der südöstlichen Region Englands macht.
Mehr als drei Viertel der Fläche Oxfordshires wird landwirtschaftlich genutzt, was bereits in der
Vergangenheit eine Rolle für die Versorgung der großen Städte im Süden spielte. Doch erst durch
die Gründung einer Siedlung – des heutigen Oxford – gewann die Gegend entscheidend an Bedeutung.
Historisch betrachtet war das Land um Oxford bereits früh besiedelt. Das Ackerland ist sehr
fruchtbar und besitzt hochwertige Böden. Der Name Oxford kommt aus dem altenglischen
Oxenaforda. Die Gegend wurde zunächst durch die Römer völlig ignoriert, allein die Siedlung
Wantage, in der der spätere König Alfred der Große von Wessex geboren wurde, war von geringer Bedeutung.
Die Universität von Oxford wurde 1096 gegründet und gilt als älteste Universität des englischsprachigen Raums. Die Gegend war Teil des Cotswolds-Wollhandels ab dem 13. Jahrhundert.
Mit dem Bau der Eisenbahn, der Great Western Railway, wurde Didcot 1839 angeschlossen. Die
Morris Motor Company wurde 1912 in Oxford gegründet, Morris Garages (MG) in Abingdon im Jahr
1929.
Mehr als 40 % der Fläche Oxfordshires trägt
offiziell den Titel Area
of Outstanding Natural
Beauty oder Area of
High Landscape Value.
Dazu gehören unter
anderem die Chiltern
Hills, die Cotswolds
und die North Wessex
Downs.
Besonders sehenswert
ist – außerhalb der
Stadt Oxford – Blenheim Palace, der seit
1987
zum
Unesco-Weltkulturerbe
zählt und in der Nähe
von Woodstock liegt.
Gute Verbindungen auch auf dem Land
mit dem Oxford & Chiltern Bus
81
7.1
Oxford
Ein Besuch in Oxford ist etwas Einzigartiges. Die makellose Schönheit seiner Universitäten und
der städtischen Flusslandschaft, seine Kostbarkeiten von nationalem und internationalem Rang,
ausgestellt in einem Verbund von Museen, deren thematische Breite und wissenschaftliches Niveau ihresgleichen
suchen, faszinierende Schauplätze der
Literatur und Drehorte von Kinound Fernsehfilmen,
idyllische Momente
an der Themse, Geschäfte mit eigener
Persönlichkeit sowie Schauspiel und
Musik in der ganzen
Bandbreite
vom Evensong – einer Abendandacht
in einer der Collegekapellen der UniBlick über das Universitätsgelände
versität, der bei
Kerzenlicht stattfindet – bis zu Shakespeare in the Park, das ist Oxford. Geprägt ist die Stadt besonders von den Universitäten, sind doch rund 20 000 der 159 600 Einwohner Oxfords Studenten.
Diese und andere beliebte Zutaten verleihen der geschichtsträchtigen Stadt, zusammen mit dem
stimulierenden Mix aus Restaurants, Cafés, Pubs und Theatern, ihren vibrierenden, kosmopolitischen Charakter und berückenden Charme. Oxford muss man gesehen haben!
7.2
Blenheim Palace
Der Palast, der zu den größten Häusern
in England zählt, wurde zwischen 1705
und 1722 erbaut und war ein Geschenk
an John Churchill, den ersten Duke of
Marlborough, für seine militärischen Erfolge. Sein bekanntester Nachfahre, Winston Churchill, wurde 1874 in Blenheim
Palace geboren; eine Ausstellung im Palast erinnert heute an sein Leben. Der
prächtige Landschaftsgarten, der in den
1760er Jahren von Capability Brown gestaltet wurde, ist ebenso sehenswert wie
der Palast selbst; die Eintrittspreise sind
jedoch selbst in der Nebensaison noch
recht hoch. Blenheim-Palace wurde 1987
Weltkulturerbe der Unesco.
Innenraum des Palace
82
7.3
Banbury
Banbury ist eine Stadt am Fluss Cherwell, hat 41 802 Einwohner (2001) und ist Verwaltungssitz
des Distrikts Cherwell. Es ist ein bedeutendes Wirtschafts- und Geschäftszentrum für das überwiegend ländliche Umland.
Inoffiziell wird dieses Gebiet auch als »Banburyshire« bezeichnet, das den Cherwell Distrikt und
Teile der benachbarten Grafschaften Northamptonshire und Warwickshire umfasst. In Banbury
hat sich hauptsächlich Industrie der Bereiche Autozulieferindustrie, Elektroindustrie, Aluminium,
Nahrungsmittelverarbeitung und Druckereien angesiedelt.
Der Ort ist seit der Römerzeit besiedelt. Es
gab eine römische Villa am nahe gelegenen
Wykham Park. Banbury entwickelte sich in
der angelsächsischen Periode unter starkem
dänischem Einfluss. Sein mittelalterlicher
Wohlstand basierte auf Wolle. Das Schloss
Banbury wurde von 1135 an von den Bischöfen von Lincoln errichtet und überstand den
Bürgerkrieg, als es belagert wurde. Banbury
war, wegen seiner Nähe nach Oxford, Eigentum des Königs und eine königliche Stadt,
aber die Einwohner waren als strenge Puritaner bekannt. Während der englischen Bürgerkriege in den 1640er Jahren bezog Oliver
Cromwell im ältesten Pub des Ortes, dem Ye
Olde Reindeer Inn zeitweise Quartier. Im Globe
Room desselben Pubs soll er der Ortslegende
nach den Kampf von Edgehill geplant haben.
Das Schloss wurde nach dem Krieg beschädigt. An seiner Stelle steht heute ein modernes Einkaufszentrum, das Castle Quay.
Die Fertigstellung des Oxford Canal in 1790
Ye Old Reindeer Inn
führte zu einem weiteren Wachstum der Stadt.
1850 wurde Banbury auch an das Eisenbahnnetz angeschlossen, was eine direkte Verbindung nach London und in den Norden ermöglichte.
William Morris
7.4
Kelmscott Manor
Wer sich für das Universalgenie, den Künstler und Schriftsteller William Morris (1834-1896) interessiert, der sollte sein
Haus Kelmscott Manor am Rande des Dorfes Kelmscott an
der Grenze zu Gloucestershire bei Lechlade, einige Kilometer
südlich von Burford und 30 km westlich von Oxford, besuchen. Es entstand in der Zeit um 1570 und erhielt im späten
17. Jahrhundert einen zusätzlichen Flügel. Beeindruckend ist
die unberührte Authentizität der Architektur und der handwerklichen Ausführung.
Das Haus ist von April bis September mittwochs zu betreten.
Anstatt mit dem Auto dorthin zu fahren, sei dem Besucher ein
schöner Spaziergang entlang des Nordufers der Themse von
Lechlade bis nach Kelmscott empfohlen.
83
7.5
Rousham House
Rousham House ist ein
Landhaus mit Landschaftsgarten. Es liegt am Fluss
Cherwell etwa 18 km nördlich von Oxford. Das Anwesen befindet sich seit dem
17. Jh. im Besitz der Familie
Dormer, die es auch heute
noch bewohnt. Der 1738 begonnene Landschaftsgarten
ist wichtig als ein kaum verändertes Frühwerk William
Kents. Bedeutende Zeitgenossen, unter ihnen Alexander Pope und Horace Walpole, hielten ihn für einen der
schönsten Gärten ihrer Zeit.
Rousham House Garden
7.6
Didcot Railway Centre
Das Didcot Railway Centre in Didcot (gut 25 000 Einwohner, 16 km südlich von Oxford) zeigt
Interessierten die Geschichte der Great Western Railway (GWR). Dies war eine britische Eisenbahngesellschaft, die von 1833 bis 1947 existierte. Sie verband London mit Südwestengland, Westengland und Südwales. Die GWR war die einzige Gesellschaft, die nach der Neuordnung des britischen Eisenbahnwesens im
Jahr 1923 unter der gleichen
Bezeichnung weiterexistierte.
1948 ging sie in der staatlichen Gesellschaft British Rail
auf. Die heutige First Great
Western bedient im Wesentlichen das gleiche Gebiet und
nimmt mit ihrem Namen Bezug auf die Vorgängerin.
Im Volksmund hieß die GWR
übrigens scherzhaft »God's
Wonderful Railway« oder auch
»Great Way Round« (Großartiger Weg rundherum), da die
ersten Strecken teilweise mit
großen Umwegen errichtet
worden waren. In den ersten
Wer will, kann eine Runde mit Thomas drehen,
Jahrzehnten wich die Spurweider Lokomotive, die von den Kindergeschichten
te der GWR-Strecken von jeund aus dem Fernsehen bekannt ist
ner der übrigen Gesellschaften ab, sie betrug 2140 mm.
Bis 1892 wurden die Strecken
dann auf die Normalspur von 1435 mm umgebaut. Heute sind mehrere Nebenstrecken mit Museumsbahnen zu befahren.
84
7.7
Wayland's Smithy
Wayland's Smithy (Wielands Schmiede) in der Nähe von Swindon (Wiltshire) bzw. Compton Beauchamp ist ein Hügelgrab in Oxfordshire, dessen ältester Ausbau vor ca. 5500 Jahren stattfand.
Es wurde auf einem flachen Hügel in der Nähe
des White Horse Hills erbaut. Das Grab ist heute
im Besitz des English Heritage und wird von diesem
in Stand gehalten.
Der Grabhügel wurde
4000 Jahre nach der Errichtung der zweiten Baustufe Wayland's Smithy
getauft. Die Sachsen fanden den Hügel und hielten es für ein Werk ihres
Grabhügel Wayland's Smithy
mythischen Helden Wieland dem Schmied. Im
Laufe der Zeit entwickelte sich der Aberglauben, dass Wayland die Hufeisen der Pferde von Reisenden ersetze, wenn diese einen Silberpenny
neben den Grabhügel legen (Metalldetektoren sind auf dem Gelände strikt verboten).
7.8
White Horse Hill
Das Uffington White Horse auf der Seite des White Horse Hill gilt als das älteste Scharrbild in England. Es handelt sich
um das stilisierte Bild eines Pferdes, welches in die Vegetation geschnitten und
in den Boden gescharrt wurde. Dadurch
wird die darunter liegende Kreide sichtbar. Die Umrisse werden von drei Meter
breiten und sechzig bis neunzig Zentimeter tiefen Gräben gebildet. Die Pferdefigur hat die Ausmaße von 107 x 37
Metern. Sowohl die Position, als auch
die Form des Pferdes haben sich über
die Jahrtausende kaum verändert. Ab
dem zwölften Jahrhundert wurde das
White Horse zu den »Wundern von
England« gezählt. Das Pferd ist vollständig nur aus der Luft zu erkennen.
Das Alter des Scharrbildes ist umstritten. Es wurde mit den angelsächsischen Invasoren im
Scharrbild auf dem Hügel
5. Jh. in Verbindung gebracht, ihre legendären Anführer Hengist und Horsa bedeuten nämlich Hengst
und Pferd. Laut anderer Überlieferung wurde es erst
im 9. Jh. geschaffen, zur Erinnerung an den Sieg König Alfreds des Großen über die Dänen. Spätere Forscher hielten das Uffington-Pferd jedoch für wesentlich älter, man deutete es als etwa
2000 Jahre alte Darstellung der keltischen Göttin Epona, Beschützerin der Pferde. Neuere Mes85
sungen datieren das Uffington-Pferd in die frühe Eisenzeit oder späte Bronzezeit. Andere Scharrbilder von Weißen Pferden in Südengland gelten als sehr viel jünger.
In der Nähe des White Horse Hills ist der Dragon Hill. Der Sage nach hat hier der Heilige Georg
den Drachen erschlagen. Der Dragon Hill ist ein natürlicher Kreidehügel, dessen Spitze von
Menschen abgeflacht wurde. Die kahle Stelle an der Oberseite soll die Form des toten Drachens
widerspiegeln. Diese Sage geht darauf zurück, dass die Angelsachsen das stilisierte Pferd für
einen Drachen hielten.
7.9
Henley-on-Thames
Zu erwähnen ist dieses Kleinstadt (10 646 Einwohner laut 2001-Zensus) sicherlich nicht wegen
seiner touristischen Berühmtheit, denn diese fehlt. Dennoch hat Henley, deren Besiedlung erstmals 1179 erwähnt wird, einiges zu bieten. Es ist ein wirklich nettes Städtchen mit schönen Gebäuden und Promenaden an der Themse entlang. Henley ist 15 km nordnordöstlich von Reading,
15 km westlich von Maidenhead und liegt 35 km südöstlich von Oxford.
Bekannt ist Henley in erster Linie für seine Ruderregatten auf der Themse. Ganz besondere Bedeutung besitzt die Henley Royal Regatta, ein traditionsreiches Ruderbootrennen, das alljährlich
stattfindet – das erste Mal im Jahre 1839. Die Regatta wird jeweils in der ersten Juliwoche von
Mittwoch bis Sonntag ausgetragen. Die Länge der Wettbewerbe beträgt jeweils eine Meile und
550 Yards (2,112 km). Wegen der geringen Breite der Regattastrecke können jeweils nur zwei
Boote gegeneinander antreten. Das prestigeträchtigste Rennen ist der Grand Challenge Cup für die
Achter der Männer. Die Regattawoche hat für Ruderer den selben Stellenwert wie Royal Ascot für
die Reiter (siehe II/5.7), ist aber nicht zu verwechseln mit dem Boat Race, der traditionellen Achter-Regatta zwischen den Universitäten Oxford und Cambridge.
Da die königliche Regatta von
Henley älter ist als alle nationalen
oder internationalen
Ruderverbände, besitzt sie ein eigenes
Reglement, das aber von der
Amateur Rowing Association (Ruderverband von England und Wales)
und der FISA (Weltverband) anerkannt wird. Die Regatta wird
von den sogenannten Stewards
organisiert, die in den meisten
Fällen ehemalige Ruderer sind. Die Satzungen
der
Regatta
dienten übrigens Pierre de Coubertin als
Grundlage für die Organisation des Internationalen Olympischen
Komitees.
The Henley Royal Regatta
86
III
London
Es heißt, London gleiche keiner anderen Stadt der Welt – keiner englischen und schon gar keiner
nichtenglischen. Zahlreiche namhafte Besucher der Metropole scheiterten bei dem Versuch, London als eine Einheit zu erfassen, aber die zer- und verstreuten Stadtteile, die manchmal eine Stadt
in der Stadt bilden und in ihrer Ausstrahlung und ihren Eigenschaften oftmals unvergleichlich
scheinen, sind eigentlich nicht zusammen zu fügen. Der Dichter Henry James schrieb dazu: »Ich
war allein vom Bewusstsein der Riesenhaftigkeit Londons – seiner unvorstellbaren Unermesslichkeit – derart zermalmt, dass mein Geist völlig gelähmt und unfähig war, irgendwelche Einzelheiten wahrzunehmen und zu würdigen.« Es ist also wohl die Faszination, die diese gewaltige Stadt
auf den Gast und auch auf die Einheimischen ausübt, die die Viertel, die Gebäude, die Parks und
sonstige Örtlichkeiten in London eint – neben den administrativen Grenzen, was aber einfach
nicht so romantisch wirken mag.
Die Stadt liegt an der Themse, ihr heutiges Verwaltungsgebiet mit den Stadtbezirken entstand am
1. April 1965 mit der Gründung von Greater London. In dem Verwaltungsgebiet Greater London leben auf einer Fläche von 1572 km2 7 512 400 Menschen (Stand 2006), davon 2 972 900 in
den 13 Stadtbezirken von Inner London. London ist damit die bevölkerungsreichste Stadt der
Europäischen Union. Die Agglomeration hat 8.278.251 Einwohner (2001). In der Metropolitan
Area lebten im Jahre 2001 etwa 14 Millionen Menschen.
London ist eines der wichtigsten Kultur-, Finanz- und Handelszentren der Welt (Weltstadt). In
der Stadt befinden sich zahlreiche Universitäten, Hochschulen, Theater und Museen.
Greater London – welches in
Inner und Outer London unterteilt ist – besteht aus der alten
City of London und 32 Stadtbezirke, sogenannte London
Boroughs, von denen Westminster einen besonderen CityStatus hält.
1 City of London
2 City of Westminster
3 Kensington and Chelsea
4 Hammersmith and Fulham
5 Wandsworth
6 Lambeth
7 Southwark
8 Tower Hamlet
9 Hackney
10 Islington
11 Camden
12 Brent
13 Ealing
14 Hounslow
15 Richmond upon Thames
16 Kingston upon Thames
17 Merton
18 Sutton
19 Croydon
20 Bromley
21 Lewisham
22 Greenwich
23 Bexley
24 Havering
25 Barking and Dagenham
87
26 Redbridge
27 Newham
28 Waltham Forest
29 Haringey
30 Enfield
31 Barnet
32 Harrow
33 Hillingdon
Für den Innenstadtbereich ist eine nähere Ansicht erforderlich. Der Kernbereich Londons liegt
heute nicht in der City of London, sondern vielmehr um das West End herum, im Prinzip gilt
der Trafalgar Square als Zentrum. Im wesentlichen zählt man zur Innenstadt das West End, die
City of London (östlich vom West End) bis zur Tower Bridge, den Bereich bis zum Regent's Park
(nördlich), den Hyde Park und South Kensington (westlich), den royalen Bereich um den Buckingham Palace (südwestlich) und das dahinter liegende Belgravia, sowie Westminster (südlich) mit
den politischen Regierungsgebäuden und der Abteikirche. Gelegentlich wird auch noch der Beginn des East End – logischerweise östlich der City of London – dazu gezählt, touristisch ist diese Gegend aber weniger von Belang.
88
1
Wissenswertes über London
Die Ader der Stadt, die sie über Jahrhunderte am Leben erhielt, ist die Themse. Früher bedeutend
für den Handel, ist sie heute zudem für diejenigen interessant geworden, die ihre Freizeit auf
oder am Wasser verbringen wollen. Die ehemaligen Werften und Anlegestellen wurden zu Yachthäfen, die Lagerhallen zu Bars, Bistros oder Speiselokalen umfunktioniert. Eine Fahrt auf der
Themse ist eine der schönsten Möglichkeiten, London kennen zu lernen, seine Besucher, seine
Einwohner und historische Sehenswürdigkeiten.
Was diese Sehenswürdigkeiten betrifft, ist besonders auf die staatlichen Museen und Galerien
hinzuweisen, seit 2001 ist hier der Eintritt sogar kostenlos. Private Ausstellungen wie z.B. Madame
Tussauds sind ausgenommen.
1.1
Geschichte
Die Existenz einer vorrömischen Siedlung der Kelten im Bereich der City of London konnte
nicht nachgewiesen werden. Wahrscheinlich im Jahr 47 A.D. gründeten die Römer die Stadt Londinium. Im Jahr 60 oder 61 n.Chr. zerstörten die Icener, angeführt von Königin Boudicca, die
Siedlung. Londinium wurde wieder aufgebaut und löste zu Beginn des 2. Jh.s Camulodunum
(Colchester) als Hauptstadt Britanniens ab. Ab 197 war Londinium Hauptstadt der Provinz Britannia superior, ab etwa 300 der Provinz Maxima Caesariensis. Rund um die Stadt wurden
Wallanlagen errichtet. Im Jahr 410 zogen die Römer ihre Legionen zurück und die Bevölkerung
war den Raubzügen germanischer Stamme zunehmend schutzlos ausgeliefert. Nach der Eroberung Englands durch die Angeln und Sachsen verfiel Londinium bis Ende des 5. Jh.s zu einer unbewohnten Ansammlung von Ruinen.
Die Angelsachsen mieden zunächst die unmittelbare Umgebung der zerstörten Stadt. Im späteren
7. Jh. gründeten sie westlich davon die Siedlung Lundenwic, die zunächst zum Königreich Mercia, später zum Königreich Essex gehörte. Unter der Führung von Alfred dem Großen, dem König von Wessex, eroberten die Angelsachsen im Jahr 878 die Gegend an der Themsemündung
von den Dänen zurück. In den folgenden Jahren wurde das Gebiet innerhalb der römischen
Stadtmauer wieder besiedelt. Die neu entstandene Stadt hieß Lundenburgh.
1066 eroberten die Normannen England und London löste Winchester als Hauptstadt ab. Der
neue Herrscher Wilhelm I. bestätigte die besonderen Rechte Londons. Richard Löwenherz ernannte 1189 den ersten Lord Mayor (Bürgermeister), der dann ab 1215 von den immer mächtiger
werdenden Kaufmannsgilden selbst gewählt wurde. 1209 wurde die erste aus Stein errichtete
London Bridge fertiggestellt, die bis 1750 die einzige Brücke im heutigen Stadtzentrum war.
Mehrere Male musste London Plünderungen durch aufständische Bauernheere erdulden, so z.B.
1381 während der Peasants’ Revolt und 1450 während der Jack-Cade-Rebellion.
Im Rosenkrieg, der 1485 mit der Krönung von Henry Tudor als Heinrich VII. zu Ende ging, hielt
die Stadt zur Partei der Yorks. Die Reformation brach die Macht der Kirche, die bis dahin rund
die Hälfte des Bodens besaß; die Neuverteilung kirchlicher Güter ab 1535 leitete eine Ära des
wirtschaftlichen Wachstums ein und London stieg zu einer führenden Handelsstadt auf.
London musste in seiner wechselvollen Geschichte einige Ruckschläge hinnehmen. Nachdem im
16. Jh. die Gründung der ersten grosen Handelskompanien und der Royal Exchange den wirtschaftlichen Aufstieg vorangetrieben hatten, wurde die Stadt 1664 und 1665 von der »Großen
Pest« heimgesucht, die über 70 000 Menschenleben forderte. Im September 1666 verwüstete der
»Große Brand von London« große Teile der Stadt. Etwa 13 000 Häuser und 89 Kirchen fielen
den Flammen zum Opfer. Die Stadt wurde nach dem verheerenden Brand neu aufgebaut. Pläne
für eine grundlegende Neugestaltung scheiterten jedoch an den zu hohen Kosten, weshalb die
89
neuen Häuser im Wesentlichen entlang der alten verwinkelten Straßen errichtet wurden. Verantwortlich für den Wiederaufbau war der Architekt Christopher Wren. Fast alle adeligen Bewohner
zogen endgültig aus der alten Innenstadt weg und ließen sich im aufstrebenden West End neue
repräsentative Wohnhäuser bauen. Ins East End abgedrängt wurden die ärmsten Bevölkerungsschichten, die im expandierenden Hafen ihr Auskommen finden mussten. Ende des 17. Jh.s stieg
London zum bedeutendsten Finanzzentrum der Welt auf.
Wahrend des 18. Jahrhunderts wuchs London über die historischen Grenzen hinaus. Neue
Brücken über die Themse ermöglichten die Ausbreitung der Stadt nach Süden. Im Juni 1780 war
London Schauplatz der Gordon Riots, als sich fanatische Protestanten gegen die Gleichberechtigung der Katholiken zur Wehr setzten.
Im Laufe des 19. Jh.s vervielfachte sich die Bevölkerungszahl, der Bau zahlreicher Vororteisenbahnen und U-Bahnen ermöglichte eine rasche Ausbreitung des bebauten Gebiets. London errang während des viktorianischen Zeitalters große Bedeutung als Hauptstadt des Britischen Weltreichs. 1851 war London laut Volkszählung mit 2 651 939 Einwohnern die größte Stadt Europas
und das Zentrum der industrialisierten Welt. Hier fand im gleichen Jahr mit der Great Exhibition
die erste Weltausstellung statt.
Der ausufernde Ballungsraum war in zahlreiche Kirchgemeinden und Gerichtsbezirke zersplittert.
Als erster Zweckverband wurde 1829 die Metropolitan Police gegründet, die in der Folge in der
ganzen Metropole die zuvor auf privater Basis betriebene Verbrechensbekämpfung übernahm.
1855 folgte mit dem Metropolitan Board of Works eine Vereinheitlichung im Bereich des Bauwesens.
Das unter der Leitung von Joseph Bazalgette gebaute Londoner Abwassersystem gilt als größtes
Bauprojekt des gesamten 19. Jh.s. 1889 wurde mit der County of London erstmals überhaupt
eine einheitliche Verwaltungsregion für den gesamten Ballungsraum geschaffen.
Die erste Hälfte des
20. Jh.s war geprägt
Towerbridge mit hochgezogener Brücke im Jahr 1921
von einer Ausdehnung
des überbauten Gebiets in einem vorher
nie gekannten Ausmaß. Die neuen Vororte lagen fast gänzlich
außerhalb der County
of London; in ganz
Middlesex, im Westen
von Essex, im Norden
von Surrey, im Nordwesten von Kent und
im Süden von Hertfordshire.
Während des Zweiten
Weltkriegs, vor allem
1940/41, erlitt London
insbesondere in den
östlichen Industriegebieten durch Angriffe
der deutschen Luftwaffe schwere Zerstörungen. Diese Bombardements gingen mit dem Namen »The Blitz« in die Geschichte der Stadt
ein. Eine zweite Angriffswelle folgte 1944/45 mit den V1- und V2-Raketen. Knapp 30 000 Einwohner starben, Hunderttausende wurden obdachlos. Nach Kriegsende sank die Einwohnerzahl
beträchtlich, da viele Londoner sich in neuen Satellitenstädten niederließen.
90
1965 wurde die Verwaltungsregion Greater London geschaffen, die auch die im 20. Jh. entstandenen Vororte umfasst. Während dessen büßte London seine Rolle als bedeutender Hafen ein, die
Anlagen in den Docklands zerfielen. 1981 begann ein umfangreiches Stadtentwicklungsprogramm, Zehntausende von Arbeitsplätzen der Dienstleistungsbranchen wurden von der City of
London auf die Isle of Dogs verlagert oder neu geschaffen. In der Canary Wharf entstand ein
ausgedehnter Hochhauskomplex. Durch diese Aufwertung Londons steigt die Einwohnerzahl
wieder an, seit dem Tiefpunkt in den 1980er-Jahren um eine Million.
Trotzdem hat London
heute noch eine Million
Einwohner weniger als
1939, als mit etwa 8,6
Millionen der historische
Höchststand
erreicht
wurde.
Die moderne City Hall,
Sitz der Stadtverwaltung
1.2
Soziale Struktur
Um das Zentrum herum liegen die Innenstadtbezirke (wie z.B. Fulham, Islington, Newham oder
Lambeth), auch Inner London genannt, und ein zweiter Gürtel bezeichnet die Außenstadtbezirke
– diese Unterscheidung ist sehr wichtig, da die inneren Bezirke eine deutlich bessere Infrastruktur
haben und höhere städtische Förderung erfahren.
Überhaupt ist es durchaus von Bedeutung, in welchem Stadtbereich man wohnt, wenngleich viele, die in schlechteren Gegenden arbeiten, in besseren Vierteln ihren Wohnsitz nehmen, so sie es
sich leisten können.
Die ethnische und soziale Segregation (Entmischung) der Bevölkerung ist in der britischen Hauptstadt weniger ausgeprägt als etwa
in New York. Rund
zwanzig Prozent der
Einwohner stammen
aus Asien, Afrika und
der Karibik. Wohngebiete der Bengalen befinden sich beispielsweise in Tower Hamlets (Inner London)
und der Inder in Brent
und Ealing (Outer
Reihenhäuser der Blackwell Terrace, Tower Hamlets
London). In den östlichen Bezirken Londons sind Arbeitslosig91
keit, Armut, Überbelegung der Wohnungen und Verfall der Bausubstanz erheblich hoher als in
den westlichen Bezirken.
Die Wohn- und Gewerbegebiete aus dem 19. Jh. haben eine relativ hohe Wohndichte und einen
überproportionalen Anteil von Einwanderern sowie Menschen mit niedrigem Einkommen. Gering verdichtete Wohnformen, vor allem von Eigentümern bewohnte Einzel- und Doppelhäuser,
sind hier das dominierende Siedlungsbild.
Die Volkszählung 2001 (Zensus) ergab eine Religionsverteilung von 58,2 % Christen, 8,5 % Muslime, 4,1 % Hindus, 2,1 % Juden, 1,5 % Sikhs, 0,8 % Buddhisten und 0,5 % Andersgläubige. 15,8
% der Londoner gehören keiner Religion an. Keine Angaben machten 8,7 %der Bevölkerung.
Die Mehrheit der Christen gehört der Anglikanischen Kirche an. Hauptkirche und Sitz des Bischofs ist die Saint Paul’s Cathedral. Die katholische Hauptkirche von Wales und England ist die
Westminster Cathedral. Seit das englische Königshaus den protestantischen Glauben (Anglikanische Kirche) angenommen hatte, gab es viele Jahrhunderte keine katholischen Gotteshäuser in
London. Erst im 19. Jh. etablierten sich wieder katholische Gemeinden. Ein deutliches Zeichen
der Bevorzugung des anglikanischen Glaubens ist der Umstand, dass die englischen Monarchen
– die ja auch Oberhaupt der anglikanischen Kirche sind – keine Andersgläubigen ehelichen dürfen, auch keine Katholiken. Weitere christliche Religionsgemeinschaften sind die United Reformed Church, die Heilsarmee, die Quäker und die Orthodoxe Kirche.
Die Stadt ist das Zentrum des Islam in Grosbritannien. Etwa 38 % der knapp 1,6 Millionen britischen Muslime lebten laut Volkszählung 2001 in London. Siedlungszentren sind überwiegend die
Stadtbezirke Tower Hamlets und Newham. Die London Central Mosque ist die groste Moschee
der Hauptstadt.
Von den 558.000 britischen Hindus lebten 2001 circa 52 % in London. Siedlungszentren sind vor
allem die Bezirke Brent und Harrow sowie der Stadtteil Southall im Bezirk Ealing im Westen. Der
Neasden Temple war bis zur Eröffnung des Shri Venkateswara (Balaji) Temple in Tividale (West
Midlands) im August 2006 der größte Hindu-Tempel außerhalb Indiens.
Etwa 56 % der 267 000 britischen Juden lebten 2001 in der Hauptstadt. Siedlungszentren sind
Stamford Hill im Bezirk Hackney und Golders Green im Bezirk Barnet.
Das Mieten von Wohnungen ist in England – verglichen mit Deutschland – recht unüblich,
wenngleich für Kleinverdiener unumgänglich. Aber wer kann, der kauft sich ein eigenes Häuschen oder seine eigene Wohnung. Aber das ist in London gar nicht so einfach, und dann ist es das
wiederum doch.
In Hampstead zahlt man für ein prächtiges und geräumiges Haus – und das ist noch keine Villa
oder dergleichen – gut und gerne seine drei, vier Millionen Pfund Sterling hinlegen. Während
dessen ersteht man in den weniger beliebten Vierteln der sozialen Unterklasse, wie z.B. in Tower
Hamlets im East End, schon für 60 000.
In den 1990er Jahren hatte sich die Bevölkerung Londons in großen Teilen auf das umliegende
Land zurück gezogen, nach Essex, Hertfordshire, Bedfordshire, Berkshire, Sussex und Kent. Das
waren immerhin fast zehn Prozent der Einwohner. Dadurch standen sehr viele Wohnungen leer,
die in mittleren Vierteln wie Islington und Camden nördlich der City, sowie Battersea und Clapham südlich der City, junge Leute angezogen haben, die die Häuser günstig aufkauften und renovierten. Auf Grund der »Verfeinerung«, wie die Anwohner die Renovierungsergebnisse auch
nannten, stiegen natürlich wieder die Preise.
Wie bereits erwähnt, ist Mieten in England nicht gängig, so auch nicht in London, wo es aber
doch für mehr Leute notwendig ist. Schließlich ist man in einer Metropole und solche haben einfach einen höheren Anteil an finanziell weniger gut gestellten Einwohnern, aber auch einen höheren Anteil an Personen, die nur für wenige Jahre hier leben. Die meisten Mietwohnungen mit einer hohen Mieterfluktuation findet sich in dem Bereich um Earls Court.
Und dann gibt es noch ein weiteres Phänomen, wie man in London an eine Wohnung kommt; es
handelt sich um das sogenannte Squatting. Ihren Ursprung hat diese Bewegung in den letzten Jahren der 1960er-Ära. Zeitweilig waren bis zu hunderttausend Gebäude unbewohnt und ganz spon92
tan zog man hier ein. Man besetzte das Haus quasi, und in den Medien wurden diese Hausbesetzer mit Drogen, Kriminalität und auch mit Terrorismus (v.a. mit der IRA) in Verbindung gebracht, oft seien es Ausländer gewesen. Das war aber nicht ganz richtig, denn obwohl sicherlich
einige diese Hausbesetzungen als politische Aussage nutzten, suchten die meisten doch schlicht
und einfach ein Dach über dem Kopf. Oftmals kam es zu Räumungen durch die Polizei. Das
Squatting ist, wenngleich nicht mehr in diesen drastischen Ausmaßen, immer noch aktuell. Die
Häuser sind meist in einem erbärmlichen Zustand und würden sich so wie sie aussehen auch
nicht zum Verkauf oder zur Miete vermitteln lassen. Übrigens gibt es sogar ein Magazin, The
Squatters, und eine Beratungsstelle, die Möglichkeiten und Tipps zum Einzug in ein leerstehendes
Haus geben.
1.3
Wetter
London befindet sich in der gemäßigten Klimazone. Die Sommer sind warm, aber selten heiß;
die Winter sind zwar kühl, doch sinkt die Temperatur selten unter den Gefrierpunkt. Der wärmste Monat ist Juli mit 16,3 °C im Durchschnitt, der kälteste Januar mit 3,9 °C. Die höchste jemals
in London gemessene Temperatur war 37,9 °C, gemessen während der Hitzewelle 2003. Die
große überbaute Fläche hält die Wärme zurück und schafft dadurch ein Mikroklima. Manchmal
ist es in der Stadt bis zu fünf Grad warmer als in der umliegenden Landschaft.
Die durchschnittliche Jahrestemperatur betragt 9,7 °C und die mittlere jährliche Niederschlagsmenge 611 Millimeter. In den Monaten Oktober, November und Dezember gibt es den meisten
Niederschlag mit durchschnittlich 57 Millimetern und den geringsten im Februar mit 36 Millimetern im Durchschnitt. Schnee fällt eher selten, höchstens einige Zentimeter pro Jahr. Ereignisse
wie die Schneekatastrophe von 1978 sind eine Seltenheit. Anfang Februar 2009 und im Winter
2009/10 gab es das schlimmste Schneechaos seit 18 Jahren als mehrere Zentimeter Neuschnee
fielen, 2009 bis zu 15 Zentimeter. Keine Seltenheit sind dagegen Inversionswetterlagen. Eine davon führte 1952 zu einer großen Smog-Katastrophe.
1.4
Verkehr
London ist Dreh- und AnTypischer roter Doppeldeckerbus in London
gelpunkt des Straßen-,
Schienen- und Luftverkehrs
im Vereinigten Königreich.
Das Verkehrswesen fallt in
die direkte Zuständigkeit
des Mayor of London, des
Oberbürgermeisters,
der
die betrieblichen Belange
an die Verkehrsgesellschaft
Transport for London (TfL)
delegiert. TfL übt die Kontrolle über den größten Teil
des öffentlichen Personennahverkehrs aus. Dazu gehören U-Bahn, Busse, Straßenbahnen und Stadtbahnen, nicht jedoch der Eisenbahnvorortsverkehr und der Flugverkehr.
Darüber hinaus reglementiert TfL das Taxiwesen und ist für den Unterhalt der wichtigsten
Hauptstraßen verantwortlich.
93
Wer nach London fährt, der sollte es unbedingt vermeiden, mit dem Auto in die Innenstadt zu
wollen. Erstens muss man seit 2003 eine hohe Maut (London Congestion Charge) von derzeit
acht Pfund für die Fahrt in den Kernbereich zahlen und zweitens sind die Straßen trotz dieser
Gebührenerhebung chronisch voll und verstopft. Abgesehen davon ist es erheblich nervenschonender und preisgünstiger, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nehmen.
Herzstück des öffentlichen Personennahverkehrs ist die legendäre Underground, oder – wie sie hier auch genannt
wird – »the tube«. Sie ist die älteste und größte U-Bahn der
Welt, deren erstes Teilstück im Jahr 1863 eröffnet wurde.
Die U-Bahn wird jährlich von beinahe einer Milliarde Fahrgästen genutzt und erschließt die Innenstadt und die meisten Vororte nördlich der Themse. Der Süden der Stadt ist
hingegen hauptsächlich durch ein engmaschiges Netz von
Vorortseisenbahnlinien erreichbar. Praktisch sind die kostenlosen Taschenpläne (pocket map), die am Fahrkartenschalter erhältlich sind. So hat man auf dem ersten Blick
eine gute Übersicht über das Tunnelsystem. Die Fahrtrichtung ist an den Tafeln am Bahnsteig mit dem Zusatz East-,
South-, West- oder Northbound mit angegeben. Es gibt
insgesamt mehr als 260 Stationen und Pendler oder AnU-Bahn-Station Mile End
wohner bedienen sich gerne der Wochenkarte (weekly travelcard). Sowohl U-Bahn als auch Busse fahren werktags
von halb sechs Uhr früh bis etwa ein Uhr nachts, sonntags
öffnen und schließen die U-Bahn-Stationen ca. eineinhalb Stunden später bzw. früher.
94
Die offiziellen Karten der TfL für die U-Bahn (tube map; zu finden unter tfl.gov.uk):
Westhälfte
95
Osthälfte der U-Bahn-Linien
96
Die tube map für das Zentrum
Das Busfahren in London ist günstig und bietet einem eine hervorragende Möglichkeit, sich
schnell in der Metropole zu orientieren. Zudem ist eine Fahrt auf dem Oberdeck fast so gut wie
eine Sightseeing Tour und mit Preisen zwischen einem halben bis rund zwei Pfund (je nach Distanz) sehr preiswert. Das Netz der Londoner Busse verbindet sämtliche Stadtteile mit einem
dichten Liniennetz. Täglich werden auf über 700 Routen rund sechs Millionen Fahrgäste befördert, etwa doppelt so viel wie mit der Underground. Die roten Doppeldeckerbusse sind ebenso
ein international bekanntes Symbol der Stadt wie die schwarzen Taxis.
Diese black cabs sind altmodisch und wunderbar bequem. Allerdings haben sie ihren Preis und für
mehr als sechs Kilometer Fahrtstrecke ist der doppelte Preis fällig. Ein Trinkgeld (tip) von zehn
Prozent ist üblich, weniger sollte nicht gegeben werden. Feste
Taxistände gibt es kaum noch,
man winkt einfach ein freies
Taxi heran, dass – wie in
Deutschland auch – durch die
eingeschaltete »Taxi«-Leuchte
erkennbar ist. Übrigens sollte
man, wenn man über Greater
London hinaus fahren will, den
Preis vorher aushandeln. Ansonsten stehen die Preise meist
auf Tafeln unter der Trennscheibe im Fond. Neben den
altmodischen black cabs haben
neuere Fahrzeuge Einzug ins
Taxigeschäft gehalten, übrigens
Londoner Taxi, das »black cab«
Modelle von Mercedes. Diese
sind ebenfalls schwarz und haben die selbe »Taxi«-Leuchte, es
sind einfach modernere black cabs. Weiterhin gibt es die Mini-Cabs, bei denen Vorsicht walten sollte, sind doch einige ohne Versicherung und Lizenz unterwegs. Hier gibt es kein Kilometergeld,
97
der Preis ist grundsätzlich Verhandlungssache. Nur für den Stadtbereich sind sie eigentlich nicht
zu empfehlen, bei Fahrten außerhalb Londons sind sie aber oft günstiger als die Taxis.
Die fahrerlose Stadtbahn Docklands Light Railway erschließt das ehemalige Hafengelände der
Docklands im Osten der
Stadt und hat maßgeblich
zur Regenerierung dieses
Stadtteils beigetragen. Im
südlichen Stadtteil Croydon
fährt die Straßenbahn Tramlink.
Von wenigen Ausnahmen
abgesehen durchqueren Vororts- und Intercity-Schnellzüge nicht das Stadtgebiet,
sondern verkehren über 14
Hauptbahnhöfe, die rund
um die Innenstadt verteilt
sind. Die Eurostar-Züge verDocklands Light Railway
binden London durch den
Eurotunnel mit Paris und
Brüssel.
London stellt mit Heathrow den meist frequentierten Flughafen Europas. Zusammen mit den
weiteren vier Flughafen Gatwick, Luton, Stansted und City Airport bildet die Metropole ein
wichtiges Zentrum des internationalen Luftverkehrs. Im Jahr 2006 wurden insgesamt 137 Millionen Passagiere auf Londoner Flughäfen abgefertigt. Heathrow und City Airport befinden sich innerhalb der Grenzen von Greater London, die übrigen außerhalb. Gatwick, Heathrow und Stansted werden durch Airport-Express-Züge sowie Reisebusse verschiedener Anbieter mit der Innenstadt verbunden, Heathrow hat zusätzlich U-Bahn-Anschluss und der City Airport an die Docklands Light Railway. Daneben existieren in und um London mehrere Flugplätze fur privaten und
kommerziellen Luftverkehr.
1.5
Lifestyle London
In der britischen Hauptstadt gibt es mehr als 30 000 Geschäfte. Eine Besonderheit der Stadt ist,
dass sich in einigen Vierteln bestimmte Branchen konzentrieren. So befinden sich in der Kings
Road zahlreiche Modegeschäfte, in der Old und New Bond Street viele Designerläden und Galerien. Saville Row und Jermyn Street sind für seine Maßschneidereien bekannt, Oxford und Regent
Street für seine Bekleidungsgeschäfte und großen Kaufhäuser wie beispielsweise Hamleys aber
auch Selfridges. In der Tottenham Court Road konzentrieren sich überwiegend Elektronik- und
Computergeschäfte, die Charing Cross Road ist bekannt für ihre Buchladen. Waterstones, eine der
größten Buchhandlungen der Welt, befindet sich am Piccadilly Circus. Zahlreiche Kleidungs- und
Schuhgeschäfte sind in der Neal Street zu finden. Covent Garden beheimatet viele Spezialgeschäfte, Cafés und Stände, an denen Kunsthandwerk verkauft wird.
Große Einkaufspassagen sind der Leadenhall Market, die Burlington Arcade und die Piccadilly
Arcade. Harrods ist eines der bekanntesten Kaufhäuser der Stadt. Das Gebäude befindet sich an
der Brompton Road im Stadtbezirk Knightsbridge, nördlich von Belgravia. Berühmt ist die im
Erdgeschoss liegende Lebensmittelabteilung, mit ihren sogenannten »Food Halls« und deren
Ausstattungen im Jugendstil. Sehenswert ist die Beleuchtung der Fassade, die aus rund 100 000
Glühlampen besteht. Im Oktober 2008 eröffnete Europas größtes innerstädtisches Einkaufszentrum Westfield im Stadtteil Shepherd's Bush.
98
Beim Besuch der Märkte Londons kann man die örtliche Kultur besonders gut kennenlernen. Erwähnenswert sind hier der Wochenendmarkt in der Chalk Farm Road bei Camden Lock und der
Antiquitäten- und Trödelmarkt in der Portobello Road. Weitere Märkte fur Antiquitäten und
Kunsthandwerk befinden sich in Spitalfields und in der Camden-Passage in Islington. Die Sonntagsmärkte in der Petticoat Lane und Brick Lane im East End bieten fast alles vom Obst und Gemüse bis zu Antiquitäten und Schmuck, ein Blumenmarkt ist in der Columbia Road zu finden.
Der Brixton Market an der Electric Avenue bietet eine große Auswahl an karibischem Essen.
Da schon vom Essen die Rede ist, sollen die kulinarischen Bräuche einmal näher beleuchtet werden. Echte Gourmets essen nicht in London, da das Essen dort – wie in ganz England – nahezu
ungenießbar ist. So lautet zumindest das allgemeine Vorurteil über die englische Küche. Aber tatsächlich kann man hier natürlich genau so gut speisen wie in jeder anderen Großstadt, zahlreiche
Lokale mit delikaten Gerichten warten auf. Man muss nur wissen, wo man sie findet. Die vielen
chiesischen, indischen oder italienischen Restaurants buhlen um die Gunst des Freundes
schmackhafter Speisen, sie haben die Esskultur Britanniens revolutioniert. Wenngleich das typische englische Roastbeef oder das Stew gar nicht so übel sind und für den Imbiss eignet sich
auch Fish and Chips – wenn die Pommes frites nicht gar zu arg in Essigsauce ertrinken. Mittlerweile isst man in London erstklassig und es bietet sich eine große Vielfalt an verschiedensten Geschmacksrichtungen.
Der Sport wird groß geschrieben. In London gibt es sage und schreibe 13 professionelle Fusballclubs; die meisten sind nach dem Stadtteil benannt, in dem sie ihre Heimspiele austragen. In der
Premier League sind folgende Mannschaften vertreten: Arsenal, Chelsea, Fulham, Tottenham
Hotspur und West Ham United. In der Football League Championship, der zweithöchsten Spielklasse, spielen Crystal Palace und Queens Park Rangers.
In Wembley, einem Teil des Stadtbezirks Brent, befand sich das legendare Wembley-Stadion.
Dort fanden die Endspiele der Fußball-Weltmeisterschaft 1966 und der Fußball-Europameisterschaft 1996 statt. Es wurde mit der offiziellen Eröffnung im Jahr 2007 durch einen Neubau ersetzt. Das Stadion ist jährlich Austragungsort des Finales im FA Cup, der dem deutschen DFBPokal-Wettbewerb entspricht. Die Rugby League veranstaltet seit 1929 ihr Challenge-Cup-Finale
im Stadion. Außer für besondere Ereignisse war Wembley auch für regelmäßige Veranstaltungen
Austragungsort, wie zum Beispiel Windhundrennen oder Motorradrennen.
Sehr beliebt in London ist Cricket. Die Mannschaft des Middlesex County Cricket Club spielt in
Lord’s, dem berühmtesten Cricketstadion der Welt, welches dem Marylebone Cricket Club gehört,
die Mannschaft des Surrey County Cricket Club im Stadion The Oval.
Eine Attraktion ist das Boat Race zwischen den beiden renommiertesten englischen Universitaten
Oxford und Cambridge. Das berühmte Ruderrennen ihrer beiden Achter findet jährlich im März
oder April auf der Themse statt.
In Wimbledon findet jeweils im Juni das wichtigste der Grand-Slam-Tennisturniere statt. Im Twickenham Stadium finden nationale und internationale Rugby-Spiele statt. Im April wird jeweils
der London-Marathon durchgefuhrt, einer der beliebtesten Marathonläufe der Welt überhaupt.
99
2
Bei den Regenten – Vom Buckingham Palace zu den Houses of Parliament
Wohl kaum eine andere Nation wird so eng mit seinem Staatsoberhaupt verbunden wie Großbritannien. Politische Entscheidungsgewalt haben die Royals in der parlamentarischen Monarchie
Großbritanniens zwar nicht, sehr wohl aber eine beratende und repräsentative Funktion, der viel
Gewicht im eigenen Land und im Ausland beigemessen wird. Die Monarchie lebt und die Monarchen – egal ob es ein König oder wie zur Zeit seit vielen Jahrzehnten mit Queen Elizabeth II.
eine Königin ist – sind für die Bürger ein Zeichen nationaler Verbundenheit.
2.1
Royal Mews
Pferdeliebhaber oder Freunde
des königlichen Pomp sollten
trotz der ungünstigen Öffnungszeiten das 1825 von John
Nash entworfene Marstallmuseum besuchen. Es zeigt die Pferde und Kutschen, die bei offiziellen Anlässen bestaunt werden.
Darunter sind unter anderem
die Rolls-Royce mit durchsichtigem Dach, damit die Insassen
gut zu sehen sind, und die Glaskutsche für Staatsgäste und königliche Hochzeiten zu begutachten. Prunkstück des Museums ist die goldene Staatskarosse. Sie wurde 1762 für George
III. gebaut und trägt Bemalungen von Giovanni Cipriani.
2.2
Goldene Staatskarosse
Queen's Gallery
Das Königshaus besitzt eine der
wertvollsten Kunstsammlungen
der Welt. In diesen Räumen
wird – in wechselndem Turnus
– jeweils eine Auswahl davon
der Öffentlichkeit zugänglich
gezeigt. Das Gebäude diente bis
1962 als Gewächshaus, die dazugehörige Kapelle bleibt dem
Besucher aber verschlossen. Ein
gutsortierter
Museumsladen
verkauft vielerlei Andenken.
Haupteingang der Queen's Gallery
100
2.3
Buckingham Palace
Der Buckingham Palace ist der offizielle Wohn- und Regierungssitz des Monarchen. John Nash
begann 1855 im Auftrag Georges IV., das Buckingham House aus dem 18. Jh. in einen Palast zu
verwandeln. Er wurde jedoch 1830 entlassen, da er das Budget überzogen hatte. Als erste Monarchin zog Königin Victoria kurz nach ihrer Krönung 1837 in den Palast. Die Fassadedes Ostflügels fügte Aston Webb 1913 an.
Ostseite des Buckingham Palace
Changing of the Guard (unten) und Wachhäuschen (unten rechts)
Der Westflügel des Palastes
beherbergt mehrere offizielle
Räumlichkeiten. Im Music
Room werden hohe Gäste
begrüßt und Baby königlichem Geblütes getauft. In
der Picture Gallery sind viele
bemerkenswerte Gemälde zu
bestauenen, eines der wertvollsten der Sammlung ist
Die Dame am Spinett um 1660
des holländischen Meisters
Jan Vermeer. Besonders
wichtig ist der Thronsaal,
unter dessen reichvergoldeter Decke die Queen viele
Zeremonien abhält und ausländische Staatsgäste empfängt. Seine ursprünglich georgianische Inneneinrichtung beinhaltet
auch die großzügige Verwendung
von Marmormalerei (Scagliola) in
leuchtenden Farben sowie blaue
und rosafarbene Lapislazuli.
Im Ostflügel ist der Balkon, von
dem aus die königliche Familie mit
Blick auf die Mall zu gegebenen
Anlässen der Menge zuwinkt.
Gleich davor liegt der Vorhof des Palastes, wo die Wachablösung, The Changing of the Guard, stattfindet. In feuerroten Jacken und mit hohen Pelzmützen stehen die Wachen vor dem
Eingang zum Buckingham Palace in ihren Häuschen auf Posten. Die Mützen oder auch Helme werden übrigens auch bearskin genannt, weil sie bis vor kurzem aus Bärenfell gefertigt
wurde. Mittlerweile wird diesen Tieren aber auch Frieden gegönnt und der traditionelle schwarze Helm ist aus Kunstfaser.
Die Wachablösung ist ein echtes Spektakel, vor den Toren des
Palastes sheen Massen der farbenprächtigen, musikalisch untermalten Aktion zu: Vom St. James's Palace geht es die Mall
101
herunter; während des halbstündigen Marsches übergibt die alte Wache die Schlüssel an die neue.
Auf der Ostseite steht vor dem Buckingham Palace auch das Denkmal Queen Victoria Memorial.
Unter König Edward VII. Fand eine großangelegte Neuausstattung des Buckingham Palace im Stil der Belle Époque statt, was sich in
einer Farbkombination aus Cremetönen und
Gold wiederfindet. Viele der kleineren Empfangräume sind im chinesischen Regency-Stil
gehalten. Sie wurden mit Möbelstücken ausgestattet, die nach dem Tod Georges IV. Aus
dem Royal Pavillon in Brighton sowie aus
Carlton House her gebracht wurden.
Seit 1993 ist ein Teil des Londoner Amts- und
Wohnsitzes der Queen öffentlich zu besichtigen ist strömen im August und September
zahlreiche Besucher durch die einst heiligen
Hallen. Diese Maßnahme wurde aus finanziellen Erwägungen getroffen, aus dem Erlös sollen die Schäden behoben werden, die ein
Brand im Windsor Castle anrichtete. Die Privatgemächer im Buckingham Palace sind aber
nicht zu besichtigen. Ist die Königin im Palast
anwesend, so weht die königliche Standarte
auf dem Dach.
Queen Victoria Memorial
2.4
The Mall & St. James's Park
The Mall ist eine beeindruckende Prachtstraße, die Auffahrt zum Buckingham Palace. Sie wurde
von Aston Webb angelegt, als er 1911 die Palastfassade und das Victoria Monument neu gestaltete. Die breite, baumgesäumte
Avenue verläuft nördlich am
St.-James's-Park entlang, wie
schon der zur Regierungszeit
Charles' II. angelegte Weg, der
rasch zu Londons Flaniermeile
avancierte. Bei besonderen Anlässen zieht die königliche Prozession die Mall entlang, und
bei Staatsbesuchen werden an
den die Mall flankierenden Fahnenstangen die Flaggen der beteiligten Staaten gehisst. Sonntags ist die Mall für den Autoverkehr gesperrt.
The Mall
Der St. James's Park, der direkt im Süden an der Prachtstraße The Mall anliegt, ist ein Wasservogelparadies im
Herzen der Stadt und bietet an warmen Tagen Erholung. Der Green Park, gleich westlich davon
und nördlich des Buckingham Palace, ist mit seinen schattenspendenen Bäumen eine grüne Oase
inmitten Londons.
102
Am östlichen Ende des Parks steht der St. James's Palace, der nur durch den Park vom Buckingham Palace getrennt wird. Er wurde von 1532 bis 1540 auf Geheiß Heinrichs VIII. errichtet. Bis
1837 war dieser Palast die Residenz des britischen Monarchen und ist selbst heute noch der offizielle Verwaltungssitz des Königshauses. Hier werden die britischen Botschafter akkreditiert und
auch die Ernennung eines neuen Königs findet hier statt. Außerdem ist er Wohnstätte des Prinzen von Wales und anderen Verwandten der Königin. Der frühere Sitz der Königinmutter, Clarence House, liegt innerhalb der Palastmauern. Auch hier findet eine förmliche Wachablösung statt,
die von der Öffentlichkeit von April bis Juli täglich, sonst alle zwei Tage, besehen werden kann.
St. James's Park
2.5
Cabinet War Rooms
Am östlichen Ende des Parks, gleich über die Horse Guards Road, Ecke King Charles Street, ist
das Cabinet War of Rooms. In den labyrinthartigen Kellerräumen befand sich im zweiten Weltkrieg das britisch Hauptquartier – zunächst unter der Leitung von Neville Chamberlain, ab 1940
unter Winston Churchill. Während deutsche Jäger London
bombardierten, fielen in dem
abhörsicheren Cabinet Room
strategische
Entscheidungen.
Die Räume, inklusive der Quartiere für die wichtigsten Minister und hohe Militärs, liegen unter einer ein Meter dicken Betondecke und sind in dem Zustand, in dem sie sich bei
Kriegsende 1945 befanden. Zu
sehen sind Churchills Schreibtisch, Fernmeldemittel und Kartenmaterial, mit dessen Hilfe
Nachstellung einer Militärschreibstube
Schlachten geplant und Strategides Zweiten Weltkriegs
en ausgearbeitet wurden.
2.6
Horse Guards Parade
Der Platz Horse Guards Parade ist der größte offene Platz in London und befindet sich direkt
östlich am St. James's Park. Zum Park hin ist er offen, an der Nordseite befindet sich das Old Admiralty Building, an der Ostseite Horse Guards und im Süden grenzen die Schatzkanzlei und der
rückwärtige Teil des Premierministergebäudes Downing Street Nr. 10. Horse Guards war früher
das Hauptquartier der britischen Armee und ist jetzt das Hauptquartier der Household Division.
103
Berittene Wache vor dem Old Admiralty Building (ganz oben)
und das Hauptquartier der Household Division, Horse Guards
Trooping the Colour
Trooping the Colour ist die Parade zu
Ehren des Geburtstags der Königin, allerdings findet sie nicht an
ihrem Jubeltag statt, sondern wird
wegen der Unwägbarkeiten des britischen Wetters am zweiten Samstag im Juni abgehalten. Der Ursprung der Zeremonie liegt in der
Präsentation (Trooping = Aufmarschieren) und dem Zeigen der Farben der Regimenter und ihrer Fahne – ähnlich wie sich beim deutschen Militär die Kragenspiegel
und Litzen der einzelnen Truppengattungen farblich unterscheiden.
104
Diese Haustruppen waren ursprünglich Soldaten, die zum
Dienst um den Monarchen bestimmt und für seine persönliche
Sicherheit verantwortlich waren,
also die Leibgarde. Diese Haustruppen gab und gibt es auch in anderen Ländern. Heute sind sie üblicherweise
allerdings
reguläre
Kampfeinheiten, die militärische,
daneben aber auch repräsentative,
Aufgaben erfüllen. Der Personenschutz wird allerdings mittlerweile
von Polizei oder Geheimdienst
übernommen. Täglich lässt ein berittener Wachposten, der zweimal
am Tag abgelöst wird, sein Auge
über den Paradeplatz schweifen
lässt. Die Ablösung wird – wie auch
am Buckingham Palace oder am
Tower – sehenswert zelebriert.
In der zweiten Hälfte des 20. Jh.s
wurde der Platz lange als Parkmöglichkeit für Bedienstete der umliegenden Ministerien genutzt. Dies
wurde aber beendet, als die IRA aus
einem in der Nähe geparkten Fahrzeug mit einem Mörser das Premierministergebäude angegriffen
hatte. Übrigens fand auf Horse
Guard Parade das Premierenkonzert für Mike Oldfields Tubular Bells
III statt. Für die Olympischen Sommerspiele 2012 werden auf dem
Platz zeitweise zwei Arenen errichtet, wo die Wettbewerbe im Beachvolleyball ausgetragen werden.
Trooping the Colour wurde erstmals unter Karl II. durchgeführt. Seit 1805 wird sie öffentlich vollzogen und fand bis auf wenige Ausnahmen jedes Jahr statt. Der Monarch nimmt die Parade zu
Pferd ab. Elisabeth II. hatte dies bis zu ihrem 70. Geburtstag auch noch so gehalten, stieg dann
aber aus Altersgründen auf die Kutsche und eine kleine Tribüne um.
Die Parade wird von den Soldaten der Household Division mit Infanterie, Kavallerie und seit 1998
auch mit Artillerie durchgeführt und von den Mitgliedern der königlichen Familie und Ehrengästen – z.B. Veteranen und der Premierminister, der ja nur aus dem Hinterausgang seines Amtssitzes heraustreten braucht – verfolgt. Die Königin wird während der Zeremonie mit dem Royal Salute begrüßt, wenn sie von The Mall auf den Paradeplatz reitet (oder mit der Kutsche gefahren
wird).
Der wichtigste Akt ist die Fahnenübergabe und das Vorbeimarschieren an der Königin. Bei der
Präsentation an der Königin vorbei zunächst ein langsamer und dann ein schneller Marsch vollzogen, der sich an der Zusammensetzung der Regimenter orientiert. Man darf nicht vergessen,
dass es sich bei den Regimentern um ausgebildete Kampfeinheiten handelt: Grenadier Guards,
Coldstream Guards, Scots Guards, Irish Guards und Welsh Guards. Beim Vorbeimarschieren im
langsamen Marschtempo senkt der Fähnrich (Ensign) die Fahne vor der Königin, die sich ebenfalls vor der Fahne verbeugt, Zivilpersonen haben sich von ihrem Platz zu erheben und Militärs
den Gruß zu erweisen, um die Fahne zu ehren. Beim schnellen Marsch wird die Fahne nicht
mehr gesenkt, die Ehrbezeugungen bleiben aus. Zu guter Letzt erklingt die britische Nationalhymne und dann beginnt die königliche Familie mit dem Abmarsch.
2.7
Downing Street
Bereits seit 1732 ist Downing Street Nr. 10 – erst sporadisch, ab 1902 ständig – die offizielle
Adresse des First Lord of the Treasury, der seit 1905 immer zugleich der britische Premierminister
ist. Es liegt an der quer zur Straße Whitehall
verlaufenden Downing Street, seit 1989 versperren eiserne Tore den Zugang von der
einen zur anderen Straße. Der Straßenzug wurde bereits im 17. Jahrhundert errichtet.
Über das Haus schreibt Winston Churchill in
seinem Buch über den Zweiten Weltkrieg, es
sei »der damaligen Profitgier entsprechend liederlich gebaut«. Während Wilsons Amtszeit
(1964–1970 und 1974–1976) wurde das Haus
einer so grundlegenden Renovierung unterzogen, dass es danach einem völligen Neubau
gleichkam. Zu dem Haus gehören ein Cabinet
Room, in dem politische Entscheidungen gefällt werden, ein eindrucksvoller State Dining
Room für Empfänge, die Privatwohnung des
Premierministers sowie ein geschützter Garten.
Im Jahr 1991 haben IRA-Terroristen versucht,
einen Anschlag auf Downing Street No. 10 zu
verüben. Seitdem, besonders aber nach dem
Die bekannte Eingangstür zur Downing Street Nr. 10
105
11. September 2001, wurden die Sicherheitsmaßnahmen erheblich verschärft. Die Tür zur Downing Street 10 kann übrigens nur von innen geöffnet werden.
Im Nachbarhaus Nr. 11 residiert der Second Lord of the Treasury, der heute faktisch der Finanzminister ist. Die Anwesen sind engverbunden und da Nr. 11 geräumiger ist, wurde es 1997 bei
Amtsantritt Tony Blairs wegen
der Größe seiner Familie notwendig, das Arrangement abzuändern, so dass der Schatzkanzler Gordon Brown das
Haus Nr. 10 und die Blairs das
Haus Nr. 11 bezogen. Nachdem
Gordon Brown im Juni 2007
Premierminister wurde, war die
alte Ordnung wieder hergestellt.
Blick in die Downing Street von der
Sperre aus. Die graue Fassade rechts
zeigen Nr. 11 (hinterer Bereich)
und Nr. 10 (vorderer Bereich)
2.8
Houses of Parliament und Big Ben
An der Westminster Bridge stehen die Houses of Parliament, entworfen von Charles Barry in
neugotischer Bauweise, nachdem 1834 ein Feuer den Palace of Westminster aus dem 14. Jh. zerstört hatte. Zuvor stand bereits seit 1097 A.D. an dieser Stelle ein Palast, von dem aber nur die
Westminster Hall relativ unverändert erhalten blieb. Ursprünglich diente der Palast als Residenz
des Königs, zuletzt war dies aber 1529 der Fall.
In der Mitte des Westminsterpalastes befindet
sich die zentrale Lobby,
er schließt an einem
Ende mit dem Victoria
Tower ab, am anderen
Ende steht eines der
Wahrzeichen Londons:
der Big Ben. Eigentlich
ist das aber nicht der
Name des 98 m hohen
Turms, sondern der der
Glocke. Big Ben ist mit
13 Tonnen die schwerste der fünf Glocken, die
den
weltberühmten
Westminsterschlag, der
schon seit 1859 fast jede
Houses of Parliament mit dem Big Ben vor der Westminster Bridge
volle Stunde ertönt.
Neben mehreren Sitzungszimmern, Bibliotheken, Lobbys, Speisesälen, Bars und Sporthallen sind vor allem die Ratssäle der zwei Kammern des Parlaments die wichtigsten Räumlichkeiten des Palastes.
106
Seit dem 16. Jh. ist der Palace of Westminster Sitz des britischen Ober- und Unterhauses. Das
Unterhaus (House of Commons) umfasst die gewählten Parlamentsmitglieder (MPs, also Members of Parliament) der verschiedenen Parteien. Die Partei mit den meisten MPs bildet die Regierung und stellt den Premierminister. Im Oberhaus (House of Lords), ein 1836/37 von Pugin
opulent ausgestatteter gotischer Raum, sitzen die Peers (Hochadel), Law Lords (Mitglied des
Oberhauses mit besonderem Verantwortungsbereich in Rechtsfragen), Bischöfe und Erzbischöfe.
Gesetzentwürfe müssen in beiden Kammern debattiert werden.
Vor der jährlichen Parlamentseröffnung werden die Kellerräume des Parlaments durch die Yeomen
of the Guard in historischen Kostümen durchsucht. Hintergrund ist der vereitelte Verrat des Gunpowder Plot, als katholische Nonkonfirmisten 1605 den protestantischen König Jakob I. mitsamt
seiner Familie, der Regierung und der Parlamentarier zu töten wollten. Guy Fawkes (eigentlich
Guido Faux) war der Sprengmeister der Verschwörung, der für die Sprengung rund 2,5 t Schießpulver in den Parlamentskellern deponiert hatte. Durch die Aktion sollte Jakobs Tochter, Elisabeth von Böhmen, als katholische Monarchin eingesetzt werden. Der katholische Lord Monteagle erhielt vor dem geplanten Anschlag einen Brief, der ihm empfahl, sich unter einem Vorwand
von der Parlamentseröffnung fernzuhalten, da das Haus »einen Schlag erhalten« werde. Dieses
Schreiben wurde an die Behörden weitergereicht. Fawkes und der eingelagerte Sprengstoff wurden vom Friedensrichter Thomas Knyvet am Morgen des 5. November bei einer Inspektion der
Keller unter dem Parlament entdeckt. Unter der vom König persönlich angeordneten Folter bekannte Fawkes sich zu seinem Verbrechen und seinen Mitverschwörern, die sofort verhaftet wurden. Nach Berechnungen von Wissenschaftlern hätte die angesammelte Menge von Sprengstoff
ausgereicht, alle Gebäude im Umkreis von einem Kilometer zu beschädigen und auf jeden Fall
den gesamten Westminster-Palast zu zerstören. Die Aufdeckung des Attentats verhinderte eine
Re-Emanzipation des katholischen Glaubens in England für weitere 200 Jahre, bis zur Katholikenemanzipation ab dem späten 18. Jahrhundert. Die Bedeutung dieser Ereignisse ist vor dem Hintergrund der weiteren Entwicklung Großbritanniens nicht zu unterschätzen. Bis heute ist in
Großbritannien dieses Attentat nicht vergessen. Man feiert jedes Jahr am Jahrestag – also am 5.
November, dem Guy Fawkes Day – das Scheitern des Komplott mit einem Straßenumzug in der
Guy Fawkes Night, bei dem eine Guy-Fawkes-Puppe verbrannt wird und Feuerwerke entzündet
werden. Sie wird auch Bonfire Night oder Fireworks Night genannt, für die nach zahlreichen Verletzungen durch Feuerwerkskörper 2004 das neue Gesetz der Fireworks Regulations eingeführt wurde.
2.9
St Margareth's Church
Die Kirche der Hl. Margarethe ist eine
anglikanische Kirche und steht unmittelbar neben Westminster Abbey am
Parliament Square. Sie ist die Pfarrkirche des Parlaments.
Sehenswert ist das östliche Fenster
mit flämischer Glasmalerei aus dem
Jahr 1509, die in Erinnerung an die
Verlobung von Arthur Tudor mit Katharina von Aragon entstand. Arthur
war der ältere Bruder Heinrichs VIII.
Daneben erinnern andere Glasmalereien an den ersten englischen Buchdrucker William Caxton, den Poeten
John Milton, der der Pfarrei zugehörte, und an Sir Walter Raleigh, der hier
1618 seine letzte Ruhestätte fand.
107
2.10
Westminster Abbey
In der Stiftskirche Westminster Abbey (Westminster), einem grandiosen mittelalterlichen Bauwerk, erinnern eindrucksvolle Gräber und Denkmäler an bedeutende Gestalten der britischen
Geschichte. Traditionell werden hier die Könige von England gekrönt und beigesetzt. Die Stiftskirche des Kollegiatstifts St. Peter gehört zwar der anglikanischen Kirche an, ist aber auf Grund
ihrer Funktion eine eigenständige Kirche und keiner Diözese zugehörig.
Das Hauptportal an der Westseite wird von Darstellungen der vier Tugenden Wahrheit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Friede sowie von Märtyrer des 20. Jh.s eingerahmt.
Im Mittelschiff liegt das Grab des Unbekannten Soldaten. Das ist wörtlich zu nehmen: Ein gefallener, unbekannter Soldat des ersten Weltkriegs liegt hier in Erde der belgischen Schlachtfelder
»inmitten der Könige, weil er seinem Gott und Vaterland gut
diente«, wie eine Inschrift in
schwarzem Marmor erklärt.
Im nördlichen Querschiff sind
mehrere britische Staatsmänner bestattet. Von dort aus betritt man
die hinter dem Hochaltar gelegene
Kapelle Eduard des Bekenners. In ihrer
Mitte ist der Sarg des 1066 gestorbenen Königs. Des Weiteren befinden sich dort die Särge Heinrichs
III., Edwards I., Edwards III., Richards II. und Heinrichs V. Hinter
dem Sarg Eduards des Bekenners
steht ein Krönungsstuhl, in dem
sich bis 1996 der Stein von Scone befand. Auf diesem Stein wurden
Kriegerdenkmal (War Memorial) vor Westminster Abbey
über mehrere Jahrhunderte die alten schottischen Könige gekrönt,
der englische König Eduard I. erlangte den Stein 1297 jedoch und verleibte ihn dem englischen
Königshaus ein. 1996 wurde er jedoch wieder an die Schotten zurück gegeben und liegt seitdem
im Schloss von Edinburgh. Übrigens war er an Weihnachten 1950 einmal gestohlen und erst nach
langer Suche wieder gefunden worden.
Die Westminster-Abteikirche ist seit 1987 Weltkulturerbe der Unesco.
2.11
Westminster Cathedral
Eine Bischofskirche steht übrigens auch in
Westminster: Westminster Cathedral, am westlichen Ende der Victoria Street, ca. 450 m Luftlinie südlich des Buckingham Palace. Trotz des
ähnlichen Namens darf sie nicht mit der Stiftskirche verwechselt werden – zumal sie die katholische Hauptkirche von England und Wales
ist. Sie wurde von 1895 bis 1903 errichtet,
nachdem bereits Erzbischof
Wiseman
(1802-1865)
mit
Pforte von der
Victoria Street aus
Spendensammlungen
108
für den Bau der neuen Kathedrale begonnen hatte. Wiseman war der erste römisch-katholische
Kardinal und Erzbischof in England nach der Reformation im 16. Jh.
Etwas sonderbar erscheint einem die byzantinisch gehaltene Fassade in Backsteinoptik, die hohe
Kuppel und der völlig freistehende Glockenturm. Im Inneren sind zahlreiche Mosaiken an Decken und Wänden zu bestaunen, die fortwährend vervollständigt werden. Im Seitenschiff befindet sich die Holy Souls Chapel, in der mehr als hundert verschiedene Marmorsorten Verwendung
fanden.
2.12
Tate Gallery
Die 1897 gegründete Tate Gallery im Süden von Westminster verdankt ihren Ruhm vor allem
dem unvergleichlichen Turner-Nachlass und der Sammlung internationaler Künstler des 19. und
20. Jh.s. Sie bietet aber auch einen umfassenden Überblick über die britische Malerei über Turner
hinaus und das alles in wechselnden Ausstellungen. Im 16. und 17. Jh. stand die Porträtmalerei im
Mittelpunkt der britischen Kunst. Eines der faszinierendsten Bilder dieser Epoche ist Nicholas
Hilliards Bildnis der juwelenbehangenen Elizabeth I, das um 1575 gemalt worden ist.
Der Einfluss der flämischen Künstler,
insbesondere durch Anthonis van Dyck,
führte im 17. Jh. zu einem neuen, eleganteren Porträtstil, der durch einige Gemälde im Museum bezeugt wird. Selbst der
britische Thomas Gainsborough zeigte
sich davon scheinbar inspiriert, sind doch
einige Merkmale in seinen Werken erkennbar.
Die Galerie besitzt daneben zahlreiche
Bilder William Blakes, der sich neben der
Malerei auch der Dichtung widmete. Sie
bilden einen klaren Gegensatz zu den
Landschaftsbildern seines Zeitgenossen
John Constables. Die meisten Impressionisten und Postimpressionisten wurden
1954 in die National Gallery gebracht,
aber von Gauguin, Degas, van Gogh und
Monet sind einige bedeutende Werke zu
sehen. Auch aus dem 20. Jh. sind Kunstwerke zu sehen, u.a. von Picasso, Braque,
Severini und Munch. Aber nicht nur Gemälde, auch Plastiken sind hier ausgestellt.
Besuchermassen in der großen Halle
Die riesige Sammlung von Kunstwerken
der Nachkriegszeit umfasst die beunruhigenden Bilder Francis Bacons genau so
wie die bespritzten Leinwände des Amerikaners Jackson Pollock und eine Auswahl zeitgenössischer Kunst. Auch Pop-Art-Werke von Andy Warhol und comicartige Kunst – wie z.B. das 1963
entstandene Bild Whaam! von Roy Lichtenstein – sind vertreten.
109
2.13
Abbey Road
In der gleichnamigen Straße befinden sich die Abbey Road Studios. Das Gebäude wurde 1929 von
EMI gekauft, die Studios am 12. November 1931 eröffnet. In der Eröffnungszeremonie dirigierte
Sir Edward Elgar das London Symphony Orchestra in Studio 1 und die historische Aufzeichnung
von Land of Hope and Glory entstand.
Die Beatles widmeten dem Musikaufnahmestudio das Album Abbey Road (1969). Pink Floyd, die
in den 1970er-Jahren ihre Alben in den Studios einspielte, galt bald als »Hausband« des Studios,
auch Dark Side of the Moon entstand hier. Seit den 1980er-Jahren wird das Studio 1 auch als Aufnahmestudio von Orchestern für Filmmusik benutzt. Der erste Film, der hier seine musikalische
Untermalung erhielt, war Jäger des verlorenen Schatzes mit der Musik von John Williams (komponierte u.a. auch die Musik zu Star Wars). Auch die Musik für Der Herr der Ringe und die Harry-PotterFilme wurden hier eingespielt.
3
Kensington und Belgravia
Vom West End lediglich durch den Hyde Park getrennt, folgen westlich direkt am Park anschließend Kensington Gardens, praktisch der Beginn von South Kensington. Über die Straße
Knightsbridge, deren Umfeld um die gleichnamige U-Bahn-Station einfach als Knightsbridge bekannt ist, gelangt man südöstlich nach Belgravia.
Wer in diesen Vierteln wohnt, der lebt wirklich exklusiv neben zahlreichen Museen, Geschäften,
Restaurants und Hotels – zumeist von gehobenem, wenn nicht hohem Standard.
Bis in die Mitte des 19. Jh.s war South Kensington ein vornehmer Wohnbezirk, der auch ländlichen Charakter aufwies, mit herrschaftlichen Anwesen und Privatschulen.
Prinz Albert initiierte 1851 südlich des Kensington Palace die Weltausstellung, die ein unglaublicher Erfolg war. Von dem Gewinn wurden 35 Hektar Land des Viertels gekauft und dort – erneut auf Initiative des Prinzen – Museen und Colleges sowie eine Konzerthalle gegründet, die
bekannte Royal Albert Hall. Viele der Gebäude sind noch erhalten und geben einen idealen Eindruck von der wohlhabenden viktorianischen Gesellschaft. Diese breitete sich in schönen Gebäuden um grüne Plätze herum über die glamourösen Geschäfte von Knightsbridge – z.B. das riesige
Kaufhaus Harrod's (ein kurzes Stück südlich der U-Bahn-Station Knightsbridge an der Brompton
Road) – bis hin nach Belgravia aus, das heute – direkt im Südwesten an den Buckingham Palace
angrenzend – eines der nobelsten Viertel ist,
3.1
Holland Park
Der Holland Park, gleich im Westsüdwesten von Kensington Gardens und an
der viel befahrenden High Street, lockt
mit ruhigen Wäldern inmitten des städtischen Treibens, einem Café und einem
Open-Air-Theater, wo unter dem Zeltdach im Sommer ein Opernfestival statt
findet. Im Park sind Pfauen, Fasane und
schön angelegte Blumenbeete zu bestaunen. In der Mitte steht das Holland House, das 1605 als
Cope
Castle
von Sir Walter
Holland Park und House
110
Cope erbaut worden ist. Hier tanzten unter anderem Queen Elizabeth – damals noch als Prinzessin – und die Königinmutter mit König George VI. den letzten großen Ball vor Ausbruch des
zweiten Weltkriegs, in dessen Verlauf das Gebäude im September 1940 größten Teils zerstört
worden ist. Es kam hernach in den Besitz der Stadt. Heute ist in Holland House eine Jugendherberge der YHA (Youth Hostel Association), die Orangerie, in der sich der ehemalige Ballsaal befindet, dient Ausstellungen und Veranstaltungen.
Am südlichen Ende des Holland Park steht das Commonwealth Institute, das früher einmal der
Erziehung und Bildung diente und dem gleichnamigen Institut gehörte. Die Nachfolgeorganisation befindet sich heute im Neuseelandhaus im Stadtzentrum und im alten Institutgebäude kann
man neben Kunst- und anderen, wechselnden Ausstellungen auch ein Kino besuchen.
3.2
Kensington Palace
Der Kensington Palace liegt im Stadtbezirk Kensington and Chelsea. Das von Sir Christopher
Wren umgestaltete Schloss war früher ein privater Landbesitz und wurde im Jahre 1689 von Mary
II. und Wilhelm III. ausgebaut, um im Winter nicht die Feuchtigkeit der Whitehall ertragen zu
müssen. In den nächsten siebzig Jahren wurde der Palast immer wichtiger für das gesellschaftliche
und politische Leben des Landes.
Von 1702 bis 1760
war Kensington Palace der Hauptwohnsitz der englischen Monarchen
und so fanden auch
einige bedeutende
Ereignisse der royalen Familie hier
statt. Beispielsweise
erlitt Queen Anne
hier 1714 einen
Schlaganfall, nachdem sie zu viel gegessen haben soll
Das prunkvolle Zugangstor zum Kensington Palace
und Viktoria erfuhr
1837 in diesem Palast, dass ihr Onkel William IV. verstorben und sie damit Königin war, was sie für die nächsten 64
Jahre auch blieb.
In der Lebenszeit von George I. und George II. wurde das Anwesen verschwenderisch mit
Prunkgemächern ausgestattet und erhielt eine herausragende Möbel- und Gemäldesammlung. Besonders bekannt sind vor allem die aufwendigen Deckenverzierungen von William Kent. Nachdem George II. im Jahre 1760 plötzlich starb, verlor das Gebäude immer mehr an Bedeutung. Bis
heute lebte nie wieder ein regierender Monarch hier. Allerdings wird noch etwa die Hälfte des Palastes von Mitgliedern der Königsfamilie bewohnt, die andere Hälfte steht Besuchern offen.
Teile der öffentlich zugänglichen Objekte sind unter anderem das Brautkleid von Prinzessin Diana und andere höfische Kleidungsstücke, Decken- und Wandgemälde von William Kent aus dem
18. Jh. und die King's Staircase mit lebendig wirkenden Figuren.
111
3.3
Kensington Gardens
Kensington Gardens grenzen direkt westlich an den Hyde Park,
und zusammen trennen sie das
West End von Kensington. Im
Jahre 1841 wurden die Anlagen
der Kensington Gardens für Besucher geöffnet.
Besondere Attraktionen sind die
Bronzestatue des Peter Pan aus
der Hand George Framptons
(1912) und die 1704 erbaute
Orangerie, wo Queen Anne gerne
speiste. Das ist den Gästen heute
auch möglich, die dort Kaffee
trinken können. Auf dem Round
Pound, einem Teich in der Mitte
des Parks, können Kinder Modellboote fahren lassen.
Rechts oben und rechts: Teich und
Freifläche der Kensington Gardens
Im Süden der Kensington Gardens, lediglich über die Kensington Road, steht die Royal Albert
Hall. Sie wurde 1871 eröffnet und
bildet den nutzbaren Teil der nationalen Gedenkstätte zu Ehren Prinz Alberts von Sachsen-Coburg und Gotha, dem Gatten der
Königin Viktoria. Der zweite, dekorative Teil ist das nördlich davon in den Kensington Gardens
stehende Albert Memorial. Der Bau der Albert Hall wurde einem römischen Amphitheater nachempfunden und die Kuppel entstand auf Anregung des Prinzgemahls Albert.
Die Royal Albert Hall ist ein
Mekka für kulturelle Aufführungen verschiedener Art und bietet
einem Publikum von achttausend
Menschen Platz (zweitausend
müssen dann aber stehen). Sicherlich zählt die von dort durch
die BBC jährlich weltweit übertragene Last Night of the Proms
zu den großartigsten Ereignissen
musikalischer Darbietungen. Daneben ist sie Heimat weiterer
Symphonie- und Popkonzerte,
nationalen Musikfesten bis hin
Royal Albert Hall
zu Boxkämpfen. Sowohl The
Who, wie auch Led Zeppelin und
112
Pink Floyd gastierten hier bereits, wobei bei Pink Floyd nicht alles wunschgemäß ablief: Bei ihrem
Konzert 1968 feuerte die Gruppe während des Lieds A Saucerful of Secrets zwei Kanonen ab und
bekam hierauf lebenslänglich Hausverbot. Simply Red war auch schon hier und Eric Clapton trat
in der Royal Albert Hall schon so oft auf, dass er sie als sein Wohnzimmer bezeichnete. Die meisten Konzerte hat mit einer Gesamtzahl von 85 allerdings James Last gegeben.
3.4
Hyde Park
Im Hyde Park, der größten innerstädtischen Grünanlage Londons, locken Sportmöglichkeiten,
Restaurants, der Marble Arch im Nordosten und eine Kunstgalerie. Er folgt direkt im Osten an
die Kensington Gardens und wurde früher als die
»Lunge Londons« bezeichnet.
Wellington Arch
Das alte Landgut Hyde war ursprünglich ein Teil
der Westminster-Abtei und wurde im Zuge der Säkularisierung durch Heinrich VIII. 1536 eingezogen. Der Park wurde Anfang des 17. Jh.s durch James I. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und
wurde quasi im Handumdrehen zu einem der beliebtesten Grünanlagen Londons. Jedoch war er
auch beliebter Austragungsort für Duelle und auch
Räuber trieben hier ihr Unwesen, so dass William
III. die Maßnahme ergriff, entlang der Rotten Row
dreihundert Laternen installieren zu lassen. So entstand die erste Straßenbeleuchtung Englands. Heute ist die Rotten Row bei Reitern sehr beliebt.
Ein Höhepunkt ist der Serpentinenteich, der zum
Schwimmen oder Bootfahren einlädt. Er entstand
1730 durch die auf Geheiß Queen Carolines vollzogene Stauung des Westbourne River. 1814 wurde
auf dem Teich die Schlacht von Trafalgar nachgestellt, in der man über die Franzosen gesiegt hatte –
es muss nicht extra erwähnt werden, dass das ganze
Schauspiel von der britischen Nationalhymne untermalt worden war.
Princess Diana Memorial
Am Tag der Thronbesteigung Elisabeths II. (6. Februar) und an ihrem
Geburtstag (21. April) werden von der
King's Troop der Royal Horse Artillery im Park 41 Salutschüsse abgefeuert,
ebenso am Geburtstag des Duke of
Edinburgh (10. Juni). Nur wenn einer
dieser Tage auf einen Sonntag fällt,
werden die Salutschüsse am Folgetag
abgegeben.
113
Ein anderes politisches Schauspiel
ist Speaker's Corner im nordöstlichen Eck des Parks. Hier hat seit
1872 jeder das Recht, Reden zu
schwingen, wenn er meint, etwas
der Öffentlichkeit kundtun zu
müssen. Das kann gerade am
Sonntag sehr unterhaltsam sein,
wenn besonders viele Friedensbringer und Weltretter ihre Theorien vortragen.
Redner am Speaker's Corner
3.5
Natural History Museum
Südlich der Kensington Gardens und Hyde Park, im gleichen Straßenblock wie das Science Museum (allerdings im südlichen Teil an der Cromwell Road), steht das Natural History Museum. Es
hat sich ein überwältigendes, großes Gebäude in der Bauweise ähnlich einer Kathedrale für seine
Sammlung ausgesucht. Architektonisch ist es sicherlich das interessanteste Museum Londons.
Hinter der wunderbar geschmückten Steinfassade mit reichhaltigen Reliefs und Verzierungen verbirgt sich ein Eisen- und Stahlgerüst, das zum Zeitpunkt seiner Eröffnung 1881 außergewöhnlich
war.
Im Inneren präsentieren
etwa vierzig Millionen verschiedene Objekte Wissenswertes zu naturwissenschaftlichen Themen, wie z.B. den
Ursprung der Erde und des
Menschen oder auch Lebensweisen zahlreicher Tierund Pflanzenarten. Das Museum ist dabei in sogenannte
Earth Galleries und Life
Galleries. Die Namen bestimmen die Themen, und
so ist in den ersteren die erdgeschichtliche Entwicklung,
in den zweiten der tägliche
Überlebenskampf vom Dinosaurier bis zum Homo saSkelett eines Diplodocus-Sauriers
piens zu entdecken. Auch ein
dreißig Meter langes Skelett
eines Blauwals oder das Modell des um 1690 ausgestorbenen Dodo-Vogels sind zu
sehen.
114
3.6
Science Museum
Im selben Straßenblock wie das Natural History Museum, nur im nordöstlichen Teil an der Exhibition Road, steht das Science Museum.
Kernbereich des Science Museums ist die Entwicklungsgeschichte von Forschung und Technik.
Diese reicht bis zurück in die Antike mit damaligen medizinischen Gerät, behandelt aber auch die
moderne Kernphysik und das wissenschaftliche Bestreben der Raumfahrttechnologie – so ist z.B.
die Kapsel der Apollo 10 zu besichtigen, die drei
Astronauten zum Mond brachte, die Mondlandung
fand dann mit dem Nachfolgemodell statt. Daneben gibt es auf insgesamt fünf Ebenen auch Wissenswertes über Meteorologie, Biochemie, Elektronik, Navigation, Luftfahrt, Ernährung, Energie,
Fahrzeuge und Optik zu erfahren. Zu den Klassikern unter den Exponaten zählen Teleskope von
Galileo Galilei, ein Mikroskop von George Adams,
die erste Dampflokomotive Puffing Billy, das erste
Telefon von Alexander Graham Bell, ein RollsRoyce aus dem Jahre 1909 und ein Flugapparat
von Otto Lilienthal.
In Begleitung der Ausstellungsstücke wird auch immer wieder aufgezeigt, was die einzelnen Innovationen zur jeweiligen Zeit für das alltägliche Leben
der Menschen bedeutet hat. Besonders toll für
Kinder sind zahlreiche Exponate, die interaktiv
verschiedene technische Verfahren nachvollziehen
lassen.
Technische Errungenschaften auf fünf Ebenen
3.7
Victoria and Albert Museum
Vom Science Museum über die Exhibition Road – ein passender Name und
nicht zufällig gewählt, da drei große
Museen in unmittelbarer Nähe liegen –
findet sich das Victoria and Albert Museum in South Kensington an der
Cromwell Road.
Es ist das größte Museum für dekorative Kunst und bietet eine der buntesten
Ausstellungen an Kunst und Kunsthandwerk aus nahezu allen Epochen
und Kulturen. Die Galerieräume, die etwas wirr angeordnet und deswegen von
einem früheren Museumsdirektor mit
einer »geräumigen Handtasche« verglichen worden sind, verfügen über eine
Sammlung von Skulpturen, Kleidung,
Skulptur »Der verlorene Sohn«
von Rodin
115
Kostümen, Porzellan- und Glasgefäße, Mobiliar und Musikinstrumente. Von Stiefeln der Firma
Doc Marten über indischer Kunst bis hin zu den dagegen bieder anmutenden, aber einfach romantisch inspirierten Gemälden John Constables ist alles Mögliche zu finden.
Die Kunstwerke sind auf vier Etagen verteilt und will man alle sehen, so läuft man stattliche elf
Kilometer durch die Gänge. Ein gewisses Orientierungsvermögen kann einem beim Rundgang
durchaus behilflich sein, die Ausschilderung und die Museumsmitarbeiter bringen aber letztlich
jeden an sein Ziel.
Das Victoria and Albert Museum entstand übrigens im Zuge des großen Erfolgs der Weltausstellung von 1851 und ist seit 1909 in einem Gebäude des Architekten Aston Webb untergebracht.
3.8
Brompton Oratory
Das Brompton Oratorium war die erste römisch-katholische Kirche in London, die nach der Reformation errichtet wurde. Der offizielle Name dieser Kirche lautet »London Oratory of St. Philip Neri«. Sie gilt als die Perle der barocken Architektur des 19. Jh.s und wurde vom berühmten
englischen Konvertiten John Henry Newman gegründet. Es war zu dieser Zeit nicht erlaubt, eine
Kirche in ihrer traditionellen Form zu propagieren, weshalb sie abseits der Straße errichtet wurde.
Es ist eine schöne Kirche, sowohl zur Besichtigung als auch zur Andacht. Die Seitenkapellen mit
den Mamorstatuen, die kunstvolle Marienkapelle und die hölzerne Pieta stechen besonders hervor. Bei einem Blick lässt sich der wunderbare Kuppelbau entdecken. Jeden Sonntag um elf Uhr
gibt kann man die Messe besuchen, die mit einem professionellen Chor abgehalten wird. Das
Brompton Oratory wird vom Orden der Oratorianer geleitet.
3.9
Belgravia
Wer sich nicht nur dem neureichen, sondern dem schönen, vornehmen, ja, erhabenen Stil zuwenden will, der muss nach Belgravia. Wie auch ein großer Teil Mayfairs gehört der Boden dieses
Viertels dem Herzog von Winchester, dem man nachsagt, er sei der reichste Mann Englands. Viele der Villen südlich des Hyde Park und südwestlich des Buckingham Palace beherbergen Botschaften, aber auch ein guter Teil der englischen Oberschicht findet Gefallen daran, hier ein Domizil sein Eigen nennen zu können. Oft sind es sozusagen die Londoner Stadtwohnungen der
Edlen und Reichen, wobei auch millionen- und milliardenschwere Personen
aus Amerika oder der arabischen Welt
hierunter zu zählen sind. Bekannt und
sehenswert sind Wilton Crescent, der
Belgrave Square, der auch aus dem
Fernsehen bekannte Eaton Place (Das
Haus am Eaton Place) und natürlich der
schon königlich anmutende Eaton
Square. Die vier Plätze sind auf rund
vierhundert Metern zu begehen und
zeigen helle Terrassen aus Stuck und
liebevoll angelegte Gärten mit wunderschönen Bäumen, so dass es einfach
eine Lust ist, hier zu flanieren wie einst
die Majestäten.
Belgrave Square, südöstlicher Teil
116
4
West End
Im Gegensatz zum East End steht das West End für die »bessere Gesellschaft«. Das zeigt sich
vor allem auch durch das Kulturangebot, es ist nahezu ein richtiges Theaterviertel. Das West End
wird durch grob durch den Hyde Park im Westen und Covent Garden im Osten begrenzt. Im
Londoner West End sind mehr als ein Dutzend Theater zu Hause, die Straßen Drury Lane,
Shaftsbury Avenue und Strand bilden den Kern des Viertels und werden in Analogie zum Broadway als das sogenannte »Theatreland« bezeichnet. Gespielt wird alles von der Klassik bis zur Moderne. Dort wurden unter anderem Andrew Lloyd Webbers weltberühmte Musicals Cats und Das
Phantom der Oper uraufgeführt. West-End-Theater sind etwa Her Majesty's Theatre und Theatre Royal
Haymarket am Haymarket, das Adelphi Theatre und das Lyceum Theatre am Strand, das Royal Opera
House in Covent Garden, das Prince Edward Theatre und das wohl bekannteste Theater, das London
Palladium in der Argyll Street, von wo aus in den 1950er Jahren die populäre Varietéshow Sunday
Night at the London Palladium live im Fernsehen gesendet wurde.
4.1
Regent's Park
Nördlich von Mayfair, vom eigentlichen West End durch die Oxford
Street getrennt, schließt sich das Viertel Marylebone südlich des Regent's
Park an und östlich hierzu findet sich
das Viertel Bloomsbury. Westlich von
Marylebone liegt übrigens Paddington, bekannt von den Kindergeschichten um Paddington Bär.
Die Gebäude südlich des Regent's
Park zeigen sich in der Pracht georgianischer Bauweise und in angenehmen
Pastellfarben. Diese Regency-Bauten
wurden, wie auch der Park selbst, von
John Nash angelegt. Der Park, der
nach dem Prinzregenten benannt
worden ist und zu den gepflegtesten
Londons gehört, bildet das Ende einer ehemaligen Prachtstraße, die ihren
Ausgangspunkt am St. James's Palace
hatte.
Zum Regent's Park gehören ein
großer See zum Bootfahren, ein Freilufttheater, ein Rosengarten und der
Londoner Zoo. Dadurch ist die Anlage der meistbesuchte Park Londons.
Außerdem findet sich hier die größte
Moschee der Hauptstadt. Nordöstliche des Parks befindet sich das Viertel
Camden (siehe III/7 Interessante Viertel).
Pavillon im Regent's Park
Löwe im London Zoo
117
4.2
Madame Tussaud's und Planetarium
Madame Tussaud's Wachsfigurenkabinett ist eine der größten und bekanntesten Attraktionen der
Hauptstadt. Zu Beginn ihrer Karriere schuf die Gründerin des 1835 eröffneten Museums, die
Französin Marie Tussaud (1761–1850), Totenmasken nach dem Ebenbild berühmter Zeitgenossen der Französischen Revolution, die bei den Aufständen ihr Leben ließen. Das Wachsfigurenkabinett – damals eine Ausstellung ihrer Arbeiten – richtete sie dann in der Baker Street der englischen Hauptstadt ein. Die Technik zur Fertigung der heutigen Figuren ist im Vergleich zu den
Anfängen kaum verändert worden.
Ausgestellt werden lebensnah nachempfundene Wachsfiguren von historischen Gestalten und
Personen der aktuellen Zeitgeschichte, wie Sportler, Filmstars Modeschöpfer und Modells. Einen
Platz in der Ausstellung von Madame Tussaud zu erhalten, zählt heute zu den größten Ehren, die
einem Menschen zuteil werden
kann. Die Figuren sind in verschiedenen Abteilungen zu finden: So
kann man sich auf der »Garden
Party« mit verschiedenen Legenden
treffen und in der Abteilung »Super Stars« bekommt man einen
Schnappschuss mit den heutigen
Berühmtheiten aus der Welt des
Showbusiness. In der Grand Hall
erhält man eine Audienz bei dem
einen oder anderen Staatsmann,
König oder Künstler von Weltformat. Grauen ruft die Kammer der
Schrecken (Chamber of Horrors)
hervor, wo die Totenmasken der
französischen Revolution und
Nachbildung der australischen Popsängerin Kylie Minogue
nachgestellte Hinrichtungen oder
Morde zu sehen sind. In einem Wagen lässt man sich dann an der Geschichte der Stadt vorbei
chauffieren, die vom großen Brand aus dem Jahr 1666 bis zu den Sechzigerjahren des 20. Jh.s
reicht.
Im selben Gebäudekomplex befindet sich das Planetarium, welches 1958 hier eingerichtet wurde.
Es bietet – wie jedes andere Planetarium – Ansichten des Weltalls, des Sternenhimmels und verschiedene Darstellungen mittels farbigen Lasern.
4.3
Sherlock Homes Museum
Sicherlich zählt er zu den berühmtesten Persönlichkeiten Londons, auch wenn es sich bei Sherlock Holmes um eine rein fiktive Figur handelt. Sein Erfinder,
der Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle, soll angeblich in der Baker Street 221 b gelebt haben. Diese
Adresse gibt es jedoch nicht, so dass dort das Sherlock Holmes Museum auch nicht eingerichtet werden konnte. So wurde es im Gebäude zwischen den
Holmes' Studierzimmer im Museum
118
Anwesen 237 und 239 installiert, erhielt aber dennoch die Hausnumemr 221 b (oder besser
»221B«). Es ist das einzig erhaltene Haus der Baker Street in viktorianischer Bauweise und beherbergt eine Nachbildung vom Wohnraum des Meisterdetektivs sowie zahlreiche Andenken an seine Abenteuer. Natürlich kann man hier sich mit allem Nötigen wie Meerschaum-Pfeife und typischer Mütze eindecken, um dem großen Sherlock Holmes nach zu eifern.
4.4
Wallace Collection
Im Hereford House, am Manchester Square, findet sich eine der schönsten Kunstausstellungen
der Welt – das sagt man ihr zumindest nach. Die Wallace Collection ist das Resultat der Sammelleidenschaft von vier Generationen der Familie Seymour-Conway, den Marquesses of Hertford.
Die Familie ließ sie 1897 dem Statt mit der Bedingung zukommen, sie sei der Öffentlichkeit ständig zu zeigen und nicht zu verändern, d.h. Nicht zu erweitern oder zu dezimieren. So sind die Exponate in den 25 Räumen ein begehrtes Objekt für jeden geblieben, der der europäischen Kunst
zugeneigt ist.
Den bedeutendsten Zuwachs hat die Sammlung seiner Zeit durch den 3. Marquess (1777-1842)
erfahren, der mit dem Geld seiner italienischen Ehegattin Werke von italienischen Meistern wie
Tizian oder Canaletto und flämischen Künstlern wie van Dyck kaufte und zu den Familienbildern
hinzu stellte. Bekannt wurde die Wallace Collection aber vor allem durch die fanzösischen Gemälde und Skulpturen aus dem 18. Jh., die der 4. Marquess (1800-1870) und sein Sohn, Richard Wallace, erstanden – hieraus ist deren Vorliebe zu den träumerischen Bildern zu erkennen, die der
französische König Ludwig XV. in seinen Räumen hängen hatte. Des Weiteren sind für den Besucher neben den Gemälden und Skulpturen auch Keramikgegenstände und Renaissance-Rüstungen zu sehen.
4.5
Bloomsbury
In der Mitte des 19. Jh.s war Bloomsbury mit seinen Grünflächen und Backsteingebäuden in georgianischem Stil eine beliebte Gegend zur Wohnsitznahme. Dann wurden hier Krankenhäuser
und Bahnhöfe errichtet, was den Trubel und den damit einhergehenden Lärm verstärkte, so dass
die Reicheren ein Stückchen weiter südlich zogen, nach Kensington Mayfair, Knightsbridge oder
Belgravia. Da seit 1753 das British Museum und seit 1828 auch
die Universität von London und
zudem zahlreiche Buchhandlungen hier anzutreffen sind, gilt
Bloomsbury als Domäne der
Intellektuellen im Zentrum der
Metropole. Im Viertel wohnten
neben George Bernard Shaw
auch Karl Marx und Charles
Dickens.
Bloomsbury Ambulanz-Station
in der Herbrand Street
119
4.6
British Museum
In Bloomsbury (Great Russell Street) steht das älteste Museum der Welt, das British Museum,
welches 1753 entstand und seinen Ursprung im Nachlass der Sammlung des Arztes Hans Sloane
(1600-1753) fand, die nach seinem Tod ausgestellt wurde. Die Kollektion vergrößerte sich in den
Folgejahren durch Schenkungen und Ankäufe zusehends. Heute umfasst das British Museum Exponate aus allen Erdteilen und Epochen, dazu gehören insgesamt über sechs Millionen Ausstellungsstücke in 94 Räumen, die sich über vier Kilometer hinziehen. Im westlichen Bereich finden sich
Stücke aus Griechenland, Rom, Ägypten und Westasien, der nördliche Teil beherbergt die orientalische
Sammlung. Auf der östlichen Seite ist die British Library und die Mexican Gallery. Die Ausstellungen setzen sich im Ober- und Untergeschoss fort. Sonderausstellungen sind zumeist in den Sälen 27 und 28 untergebracht, in der Nähe des Eingangs.
Daneben gibt es einige Lesesäle, berühmt ist der sogenannte Reading Room: Es ist ein kreisrunder Lesesaal,
in dem schon Mahatma Gandhi und Karl Marx studierten. Rechtzeitig zum Millennium ist der Queen Elizabeth II Great Court (Architekt: Norman Foster) fertiggestellt worden. Es ist der größte überdachte Innenhof Europas.
Das Museum of Mankind, ein ehemaliger Ableger des
British Museum, wurde mittlerweile ins Hauptgebäude
verlegt. Die vielen Wechselausstellungen dieser technografischen Abteilung des British Museum ergänzen
die eigene Sammlung antiker, neuerer und zeitgenössischer Artefakte aus aller Welt. Bedeutende Ausstellungen dauern manchmal ein Jahr und basieren häufig auf
British Museum, Great Court
Feldforschungsprojekten von Mitarbeitern des Völkerkundemuseums. Die überaus sehenswerten Exponate
regen zum Nachdenken an und bieten an Hand von
Fotos, Objekten, Informationstafeln und liebevoll rekonstruierten Bauten und auch ganzen Dörfern Einblick in viele Kulturen.
4.7
Mayfair
Die alte Pracht Mayfairs zeigt sich sehr gut auf der Half Moon Street, wo neben roten Backsteinbauten Häuser mit Fassaden aus georgianischen oder viktorianischen Zeiten stehen.
Wer die edwardianische Lebensweise bevorzugt, der ist bei einer Tasse Tee im Hotel Ritz bestens
aufgehoben. Der Schweizer Hotelier César Ritz hatte sich längst zur Ruhe gesetzt, als 1906 dieses
nach ihm benannte Hotel in neoklassizistischem Stil seine Pforten öffnete. Die kolonnadengeschmückte Fassade des schloßartigen Gebäudes sollte eine Stück Paris (dort standen um die Jahrhundertwende die vornehmsten Hotels) nach London bringen. Das Ritz hat sich das edwardianische Flair opulenter Grandeur erhalten und ist heute beliebter Treffpunkt zur typisch britischen
tea time.
Staunen lässt einen die Curzon Street, die Nobelhäuserzeile schlechthin – im Anwesen Nr. 19 lebte und starb übrigens Disraeli. Auf der Bond Street, der Geschäftsstraße Mayfairs, machen sich
Edelmarken wie Gucci, Yves St. Laurent, Cartier und Herrmes die Plätze streitig.
120
Der Name des Viertels
kommt übrigens vom Jahrmarkt auf dem Shepherd
Market, der bis ins 18. Jh. regelmäßig im Mai abgehalten
wurde (May Fair). Dann
machte ein Verbot dem Vergnügen ein Ende, weil sich
»zu viele träge Faulpelze auf
ihm herumtrieben«. Selbst
heute hat Sheperd Market
immer noch den Ruf des
Müßiggangs, allerdings mit
einer gewissen Klasse.
Afternoon Tea (oben) im
Palmenhof des Hotel »Ritz«
4.8
Burlington House und Arcade
Burlington House an der Piccadilly (nicht zu verwechseln mit dem Piccadilly Circus am östlichen
Ende der Straße), gleich auf der anderen Blockseite des ehemaligen Museums of Mankind, ist
Sitz der Royal Academy of Arts. Die Academy wurde 1768 gegründet und verdankt
ihre Bekanntheit vor allem den traditionellen Sommerausstellungen, die seit mehr als zweihundert
Jahren meist über tausend neue Arbeiten etablierter, aber auch unbekannter Maler, Bildhauer und
Architekten zeigen. Das restliche Jahr über sind eindrucksvolle Wechselausstellungen aus aller
Welt zu sehen.
Daneben finden sich im Burlington House folgende wissenschaftliche Gesellschaften, die zusammen Courtyard Societies genannt werden: Geological Society of London, Linnean Society of London, Royal Astronomical Society, Society of Antiquaries of London, Royal Society of Chemistry.
In der Burlington Arcade, einer noblen Einkaufspassage an Burlington Gardens und Picadilly
und quasi vor der Royal Academy, patroullieren Uniformierte
in Rock und Zylinder. Man darf
seinen Geldbeutel ruhig etwas
voller packen, bevor man bei
Prada, Chanel oder Gucci einkaufen oder sich schönen
Schmuk von Mont Blanc oder
Tiffany leisten will.
Einkaufspassage Burlington Arcade
121
4.9
St. James
Diejenigen, denen Mayfair heute
nicht mehr schick genug ist, vertreiben sich ihre Zeit etwas weiter
südlich, vorbei am Green Park auf
dem kleinen St. James's Square,
dem Zentrum des Viertels. St James's Square ist seit langem eine
der vornehmsten – wenn nicht die
vornehmste – Adresse von London. Darum herum manifestiert
sich die betuchte Männlichkeit in
den Herrenclubs wie Boodle's, Junior
Carlton Club oder Traveller's. Im
Prinzip sind die Clubs das Erbe
der Kaffehäuser und Spielhöllen
des späten 17. Jh.s, als Lord St. AlStatue Williams III. am St. James's Square
bans mit dem St. James's Square
eine elegante Örtlichkeit schaffen
Der exklusive Athenæum Club wurde 1824 gegründet
ließ, wie es zuvor nicht gegeben
und hat seit 1830 sein Domizil in diesem Gebäude. Der
hat. Der Londoner Adel (übrigens
Name bezieht sich auf das Athenæum in Rom, der Stätte
überwiegend männlicher Art)
der Universität für Wissenschaft und Literatur, die
nahm diese Möglichkeit gerne an
von Hadrian gegründet worden war. Das Obergeschoss
und schuf auf der Pall Mall eine
wurde 1899 aufgebaut, die güldene Statue über dem Einprächtige Geschäftsstraße, in der
gang zeigt die griechische Göttin Athene. Die meisten
sich auch mehrere exklusive Clubs
Premierminister Großbritanniens waren hier Mitglied.
befinden, die nur Mitgliedern offen
stehen. Der älteste und bekannteste Club White's steht am nördlichen
Ende der St. James's Street, er gilt
als traditionelles Symbol für hartes
Trinken, hohen Lebensstandard
und Dekadenz der Oberschicht.
Weitere illustre Adressen sind die
Weinhandlung Berry Brothers, wo
eine alte, bemerkenswert große
Waage steht, »Coffee Mill« genannt, auf der sich prominente
Kunden rituell wiegen ließen, und
Lock & Company, wo niemand geringerer als Lord Nelson seine
Hüte machen ließ, sowie John Lobb,
der für zahlreiche hochrangige Persönlichkeiten Schuhwerk fertigte, u.a. für John F. Kennedy. Interessant ist sicher auch die Drogerie House of Floris in der Jermyn Street, bei der man allerhand Parfüms, Seifen oder sonstige Toilettenartikel aus der Zeit Jane Austens erwerben kann. Überhaupt wird die Jermyn Street von eleganten Antiquitäten- und Herrenmodegeschäften gesäumt.
Die Buchhandlung Hatchard's an der Picadilly kann auf zweihundert Jahre Existenz zurückblicken
und im Fortnum & Mason, einem britischen Lokal von 1770 etwas weiter östlich, kann man aus 68
Sorten Tee wählen. Auch die Sorte, die optimal zum heimischen Wasser passt – nur leider nimmt
man doch selten von zu Hause eine Kanne voll Leitungswasser mit.
Die St.-James-Kirche, eine Querstraße nördlich vom St. James's Square, wurde von Christopher
122
Wren 1684 entworfen. Genau in der anderen Richtung des Platzes ein kleines Stück entfernt ist
die Queen's Chapel, die erste klassizistische Kirche Englands. Das reich ausgestattete Gotteshaus
wurde von Inigo Jones für die spanische Infantin, die vorgesehene Gemahlin Charles' I. entworfen. Die Arbeiten begannen 1623, wurden aber unterbrochen, als die Heirat platzte. 1627 wurde
die Kapelle für Charles' spätere Gattin Henrietta Maria fertiggestellt. Die Deckentäfelung basiert
auf einer palladianischen Rekonstruktion eines Tempels aus der römischen Antike.
4.10
Haymarket
Gleich westlich von St. James und südwestlich vom Picdadilly Circus ist der Haymarket. Das
Theatre Royal Haymarket (Haymarket Theatre) dort wurde 1720 von John Potter als Little Theatre
gegründet – in Anspielung auf das
größere King’s Theatre (heute Her
Majesty’s Theatre), das sich ebenfalls
am Haymarket befand.
Das Theater hat eine lange Tradition,
die mehrere Gebäude und Umbenennungen umfasst. Ursprünglich
von dem Architekten John Vanbrugh
gebaut, wurde es am 9. April 1705
als Queen's Theatre mit der Aufführung einer Pastorale von Jakob Greber eröffnet. Nach der Inthronisation Georgs I. im Jahr 1714 wurde der
Name in King's Theatre angepasst.
Hier wurden die meisten Opern Georg Friedrich Händels uraufgeführt,
Bühne des Haymarket Theatre
vor allem während der Zeit der
Opernakademie 1719 bis 1728, für
die auch Giovanni Battista BononciHer Majesty's Theatre
ni und Attilio Ariosti komponierten. Johann Jacob Heidegger
brachte als kaufmännischer Direktor auch Maskenbälle auf die
Bühne. 1789 wurde das Gebäude
bei einem Brand zerstört. Ein
von Michael Novosielski entworfener neuer Bau wurde im März
1791 eingeweiht. Aus dieser Zeit
ist unter den musikalischen Direktoren des King's Theatre der
berühmte und exzentrische französische Harfenist Nicolas Bochsa (1789-1856) hervorzuheben,
der dieses Amt von 1827 an 6
Jahre lang bekleidete. 1837 wurde das Haus in Her Majesty's Theatre umbenannt und später bei
männlichen Herrschern jeweils in His Majesty's Theatre. Nach einem erneuten Brand im Dezember
1867 und dem Wiederaufbau durch Charles Lee wurde schließlich das Theater abgerissen. Das
heutige Gebäude wurde von Charles John Phipps entworfen und am 28. April 1897 eröffnet.
Das Her Majesty’s Theatre wird gegenwärtig hauptsächlich für Musicalaufführungen genutzt, unter
anderem wird seit dem 9. Oktober 1986 täglich Das Phantom der Oper aufgeführt.
123
4.11
Piccadilly Circus
Grelle Neonreklame dominiert diesen hektischen, stark befahrenen Platz, um den sich Einkaufszentren und Fast-Food-Ketten gruppieren. Er wird auch als das Zentrum des West End gesehen.
Die zu Beginn des 19. Jh.s angelegte Kreuzung zwischen Piccadilly und der von John Nash neu
geplanten Regent Street war ein ruhiger Ort, den elegante Stuckfassaden säumten. Das Bild änderte sich, als 1910 die ersten elektrischen Werbeschilder installiert wurden. Bestens ist die riesige
Leuchtreklame an einem gewundenen Eckhaus bekannt. Daneben gilt die Eros-Statue – die 1892
aufgestellt wurde und eigentlich die Figur eines Engels der Nächstenliebe darstellen soll – als bekanntes Bauwerk des Piccadilly Circus. Wegen seiner zentralen Lage im Herzen des West End
und seiner Nähe zu großen Einkaufs- und Vergnügungsmöglichkeiten und den großen Verkehrsadern, die sich hier kreuzen, ist Piccadilly Circus ein sehr stark besuchter Treffpunkt, an dem sich
Menschen aus aller Welt begegnen.
Der Platz markiert außerdem den Beginn des Vergnügungsviertels. Am kreisförmigen Platz – daher ja die Bezeichnung Circus im Gegensatz zum viereckigen Square – befindet sich übrigens
auch Waterstones, eine der größten Buchhandlungen der Welt.
Piccadilly Circus am Tag und in der Nacht
Die westsüdwestlich vom Piccadilly Circus abgehende Straße Piccadilly erstreckt sich in bis zum
Hyde Park Corner. An der Piccadilly ist unter anderem das auf Lebensmittel spezialisierte Geschäft Fortnum & Mason aus dem Jahre 1707 sehenswert, das Hotel Ritz (siehe III/4.7 Mayfair)
und das Burlington House (siehe III/4.8 Burlington House und Arcade)
4.12
Soho
Angeblich landet jeder irgendwann einmal in Soho, man steht einfach plötzlich mitten drin und
einem Malteser gegenüber, der am Eingang einer Sex-Bar steht und einem Mut machen will, einzutreten. Soho ist ein Viertel mit zahlreichen Spelunken und Sex-Shops, prächtigen Restaurants
und Bars. Noch immer geben sich die Trunkenbolde, billigen Nutten und Gauner die Klinke in
die Hand, wie schon vor fünfzig Jahren. Es ist nach wie vor der durchtriebenste Stadtteil Londons: Soho macht gerne Geld, und das kann luxuriös wirken oder aus der Gosse kommen.
Das mag sich nicht gerade anziehend anhören, aber es ist wirklich interessant, aus einem Café
heraus den endlosen Strom der Einheimischen zu betrachten, wie sie sich herausgeputzt haben
und ihre Geschäfte machen. Die Kunst, wie sie ihr glückloses Leben meistern, verdient mindestens so viel Beachtung wie die Polizeieinsätze und Messerstechereien darum herum, über die die
Zeitungen berichten. Die Menschen, die hier leben, machen Soho zu einer fabelhaften Show.
124
Die Zentren des Treibens in Soho sind Old Compton und die Brewer Street. Wer hier ein Café
sucht, geht meist in das beste, wenn er in jenes geht, welches von außen am übelsten erscheint.
Aber auch einige moderne Lokale sind sehr gut, wie Dell Ugo oder Alistair Little.
Für Freunde des Boxsports ist die Bar Italia ein Muss, wo man seinen Cappuccino in Gesellschaft
der Legende Rocky Marciano trinken kann, der einem allerdings nur von einem riesigen Poster
aus dabei zusieht. Auf einer Liste sind alle seine Siege und Meisterschaften vermerkt. Ein weiterer Gedenkort einer anderen Legende ist The Vintage Magazine Shop in der Brewer Street, hier
wird niemand geringerem die
Aufwartung gemacht als den
Beatles. Von Filmpostern, Magazinen und Comics bis hin zu
Tapeten, Tabletts und Broschen
gibt es alles, was mit dem Konterfei der ersten Popstars verziert ist.In den letzten Jahren
zeichnen sich Tendenzen ab,
dass Soho eine modernere und
»sauberere« Entwicklung vollzieht. Bestimmt werden die billigen Sex-Shops und die Gauner
niemals ganz aus dem Viertel
verschwinden, aber es ist sicher
sinnvoll, sich Zeit für einen
Rundgang zu nehmen, solange
Eine der typischen Gassen Sohos mit kleinen Läden
man den ursprünglichen Charme Sohos erleben will.
4.13
Chinatown
Der einzige Teil Sohos, der sich nie zu ändern scheint, ist Chinatown. In dem nahezu abgeschlossene Häuserblock zwischen der Gerrard Street und dem Leicester Square reihen sich die chinesischen Restaurants, Supermärkte, Heilkundeläden und Kampfsportstudios aneinander und nur
einmal kann der Besucher wirklich Einblick in die fernöstliche Lebensweise gewinnen: Am chinesischen Neujahrstag Ende Februar. In der übrigen Zeit erscheint es einem aber trotzdem wie eine
Reise ins entfernte China, wenn
man über die Straßen spaziert
und die exotischen KöstlichkeiEingang zur nächtlichen Chinatown
ten probiert.
Das chinesische Neujahrsfest in
Chinatown im Stadtteil Soho
findet am zweiten Neumond
nach der Wintersonnenwende,
also zwischen dem 21. Januar
und 21. Februar statt. Da der
chinesische Kalender im Gegensatz zum gregorianischen
Kalender astronomisch definiert ist, fallt das chinesische
Neujahr jedes Jahr auf einen
anderen Tag.
125
4.14
Covent Garden
Noch 1973 bestand Covent
Garden aus verfallenden Straßenzügen und Lagerhäusern,
belebt nur von den Obst- und
Gemüsehändlern, die früh am
Morgen ihre Waren hier abholten. Heute beherbergen die viktorianischen Markthallen und
die umliegenden eleganten Gebäude noble Boutiquen, Restaurants, Bars und Cafés, die ein
lebhaftes junges Publikum anziehen, das rund um die Uhr für
reges Treiben sorgt.
In Neal Street und Neal's Yard
beherbergen ehemalige Lagerhäuser Geschäfte, Restaurants
und Kunstgalerien. Im St Martin's Theatre läuft Die Mausefalle, das am längsten gespielte Stück der Welt. Das Gasthaus The Lamb and
Flag von 1623 ist eines der ältesten Pubs von London. Die New Row säumen kleine Geschäfte und
Cafés. Die St Paul's Church wurde 1633 von Inigo
Jones im Stil des italienischen Renaissancearchitekten
Palladio erbaut. Seven Dials ist die Kopie eines Denkmals, das schon im 17. Jh. die Kreuzung markierte.
Markthalle
Neal's Yard
Im Royal Opera House sind viele weltberühmte
Opernsänger und Balletttänzer aufgetreten. Es ist das
bedeutendste britische Opernhaus und die Heimat
der Royal Opera und des Royal Ballet. Das erste Theatergebäude an dieser Stelle, das damalige Theatre
Royal wurde von Edward Shepherd entworfen. Es
wurde am 7. Dezember 1732 mit einer Aufführung
von William Congreves The way of the world eröffnet.
Obwohl schon ab 1735 auch Opern, zum Beispiel
von Händel, aufgeführt wurden, blieb das Haus doch
hauptsächlich ein Schauspielhaus und erst später mit
dem Royal Opera House erhielten Musik und Tanz
den Vorzug.
Das Theatre Museum zeigt alles rund ums Theater. Eine riesige Goldstatue, Allegorie der Fröhlichkeit, lockt den Besucher in die unterirdischen Ausstellungsräume dieses Museums, in dem
große und kleine Kinder zahlreiche Film- und Theatertricks erfahren. Eine Abteilung erläutert
den Werdegang einer Inszenierung – von Lesungen aus dem Originalmanuskript des Autors über
die Arbeiten hinter der Bühne und Videoproben bis zur Premiere. Faszinierend dargestellt wird
die Geschichte des Showbusiness. Fans finden hier alte Theaterprogramme, Requisiten und Bühnenkostüme.
Die erstaunliche Sammlung des London Transport Museum veranschaulicht die Geschichte der
Londoner Verkehrsmittel. Die Sammlung von Bussen, Straßen- und U-Bahn-Wagen umfasst Ver126
kehrsmittel aller Zeiten. Das sehr beliebte Museum ist in dem malerischen viktorianischen Flower
Market untergebracht, der 1872 aus Glas, Stahl und Backstein errichtet wurde. Man kann dort
auf den Fahrersitz eines Busses oder U-Bahn-Triebwagens klettern, Signale stellen oder den
Schauspielern zusehen, die vorführen, wie im 19. Jh. die Unterground-Schächte gegraben wurden. Die Londoner Zug- und Busgesellschaften fördern seit langem zeitgenössische Künstler, daher besitzt das Museum eine schöne Sammlung von Werbegrafiken aus dem 19. und 20. Jh. Kopien der besten Poster – darunter Entwürfe des Art-déco-Designers E. McKnight Kauffer und Arbeiten von Künstlern wie Graham Sutherland oder Paul Nash – verkauft der Museumsladen.
An der Piazza und Central Market unterhalten
Straßenkünstler das Publikum. Im 17. Jh. wollJonglierender Straßenkünstler in
te der Architekt Inigo Jones diesen Platz in ein
Covent Garden, Piazza und Central Market
elegantes Wohnviertel verwandeln, nach dem
Vorbild der Piazza von Livorno, die er bei einer Italienreise bewundert hatte. Eine Zeit
lang war die Piazza auch eine der vornehmsten
Adressen Londons, wurde aber bald vom südwestlich gelegenen, nobleren St James's Square
in den Schatten gestellt. Die Entstehung des
Obst- und Gemüsemarktes beschleunigte den
Niedergang. Mitte des 18. Jh.s war die Piazza
Treff von Prostituierten, und die Häuser waren zu Spielhöllen, Bordellen und Tavernen
heruntergekommen. Gleichzeitig florierte das
Geschäft auf dem inzwischen umsatzstärksten
Großmarkt des Landes. Deshalb entstand hier
1828 eine riesige Markthalle. Diese wurde
rasch zu klein, und selbst weitere Bauten wie
Floral Hall (heute Bestandteil der Oper) und
Jubilee Hall halfen langfristig nicht weiter.
1973 verlagerte man den Markt nach Südlondon und steckte große Summen in die Restaurierung von Covent Garden. Von den Bauten
Ingio Jones' steht nur mehr die St.-Pauls-Kirche, doch laden zahlreiche kleine Lokale, Läden und Marktstände ein. Insbesondere auf Grund der Straßenkünstler ist Piazza und Central
Market eine der belebtesten und beliebtesten Plätze Londons, zum Bummeln und Verweilen einfach nur ein Muss.
4.15
Courtauld Institue Galleries und Somerset House
Ein kleines Stück südöstlich von Covent Garden steht das 1770 von William Chambers entworfene Somerset House, das erste große Bürohaus Londons. Ein Teil der Räume dienst noch Beamten, doch der Nordflügel, ursprünglich Sitz der Royal Academy, beherbergt heute eine imposante
Gemäldegalerie.
Das Courtauld Institute of Art ist ein zur Londoner Universität gehörendes Institut für Kunstgeschichte mit eigener Kunstsammlung. Die umfangreiche Gemäldesammlung des Courtauld Institute ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Das Somerset House befindet sich am Strand in der
Nähe der Londoner National Gallery. Neben der eigenen Sammlung finden auch Wechselausstellungen statt und die Eremitage aus Sankt Petersburg zeigt in eigenen Räumen Teile ihrer Sammlung. Darüber hinaus gibt es Studienräume für Zeichnungen und eine eigene Bibliothek.
127
Den Grundstock bildete die Sammlung von Impressionisten und Postimpressionisten des Textilmagnaten Samuel Courtauld. Zu sehen sind Kunstwerke wie Manets Bar in den Follies-bergères
(1882), eine Version von Frühstück im Freien (um 1863), van Goghs Selbstbildnis mit verbundenem Ohr
(1889), Arbeiten des 15. und 16. Jh.s von Giovanni Bellini, Botticelli und Breughel sowie Beispiele britischer Kunst des 20. Jh.s, wie Ben Nicholsons Painting 1937.
links: Der imposante Innenhof des Somerset House
rechts: »La Loge« von Pierre Auguste Rodin, Teil der Ausstellung im Courtauld Institute
4.16
Trafalgar Square
Der Trafalgar Square ist ein großer Platz im Zentrum der britischen Hauptstadt, als deren eigentliches Zentrum er vielen gilt. Er ist der größte Platz Londons und seit dem Mittelalter ein zentraler Treffpunkt. 2003 wurde er nach einem größeren Umbau wiedereröffnet.
In der Mitte des Platzes steht ein Denkmal, das
die Londoner als Dank fur Admiral Nelsons
Sieg der Briten über die Franzosen in der
Schlacht von Trafalgar setzten. Die 1842 erbaute Nelson Column (Nelson-Säule) mit dem Admiral auf der Spitze ist mit 55 Metern so hoch
wie Nelsons Flaggschiff HMS Victory (siehe
II/3.1 Portsmouth) vom Kiel bis zur Mastspitze.
Die Trafalgar Day Parade anlässlich Admiral Horatio Nelsons Sieg in der Seeschlacht von Trafalgar kann man sich
am 21. Oktober auf
dem Trafalgar Square
Nelson Column
ansehen.
Die National Portrait Gallery erzählt an Hand
von Porträts, Fotos und Skulpturen bedeutender Persönlichkeiten die Geschichte Großbritanniens. Hier begegnet man Elisabeth I. und
Shakespeare, den Beatles und Margaret Thatcher. Zu den ältesten Werken zählen eine
Zeichnung Heinrichs VIII. von Hans Holbein
und Adelsporträts von Gainsborough, van
128
Dyck und Reynolds. Die meisten Besucher lockt die Abteilung des 20. Jh.s mit Gemälden und
Fotos bekannter Persönlichkeiten unserer Zeit.
Die National Gallery zeigt weltberühmte
Arbeiten wie Hieronymus Boschs Verspottung Jesu (um 1495). Mit mehr als 2200
meist ständig ausgestellten Gemälden ist
die National Gallery das führende Kunstmuseum Londons. George IV. Konnte
1824 die Regierung überzeugen, 38 bedeutende Gemälde zu erwerben, und
gründete so die beständig wachsende
Sammlung. Diese Nationalsammlung europäischer Kunst reicht heute von Giotto
(13. Jh.) bis Picasso. Besonders gut vertreten sind niederländische Meister, die
italienische Renaissance und spanische
Malerei des 17. Jh.s. 1991 wurde der neoNational Gallery
klassizistische Hauptbau (1834-1838) um
den Sainsbury Wing erweitert, der wichtige
Werke der Frührenaissance beherbergt.
»Verspottung Jesu«
von Hieronymus
Bosch
St. Martin in
the Fields
Am Trafalgar Square steht die Kirche St.
Martin-in-the-Fields. Sie wurde in den Jahren 1721 bis 1726 nach den Planen des Architekten James Gibbs gebaut. In der Kirche finden haufig Konzerte statt; zu den
dort auftretenden Orchestern zahlen unter
anderem die in klassischen Kreisen berühmte Academy of St. Martin in the Fields
und daneben New Trinity Baroque aus den
USA. In der Krypta wurde ein Café eingerichtet, in dem manchmal Jazz-Gruppen auftreten.
Die Pfarrei beherbergt auch einen der berühmtesten Kirchenchöre der Welt.
Jahrlich am ersten Sonntag im Oktober findet in
der Kirche St. Martin-in-the-Fields der Erntedankgottesdienst (Pearly Harvest Festival Service) der
Londoner Markthandler (Cockney
Pearly Kings and Queens) statt.
London beheimatet außerdem fünf professionelle
Symphonieorchester. Diese sind das London Symphony Orchestra, das London Philharmonic Orchestra, das Royal Philharmonic Orchestra, die
Philharmonia und das BBC Symphony Orchestra.
Außerdem vervollständigt mit der Academy of
St.-Martin-in-the-Fields und den Symphonieorchestern das English Chamber Orchestra den Anspruch Londons, eines der kulturell führenden
Zentren klassischer Musik zu sein. Der Höhepunkt eines jeden Jahres ist die von der BBC weltweit übertragene Last Night of the Proms aus der
Royal Albert Hall (siehe III/3.3 Kensington Gardens).
129
5
City of London & South Bank
Die City of London ist das historische und wirtschaftliche Zentrum von Greater London. Sie ist
ein Paradoxon, denn als ältester Teil Londons präsentiert sie sich durch die vielen spiegelnden
Glasgebäude zugleich in einem sehr modernen Gewand. Sie wird oft einfach als »The City« oder
»Square Mile« (Quadratmeile, entsprechend ihrer Flächenausdehnung) bezeichnet. Obwohl die
City während Jahrhunderten gleichbedeutend mit London war, wird der Stadtname nun für das
gesamte überbaute Gebiet verwendet. Die City of London ist eine zeremonielle Grafschaft und
heute – wie früher – eines der Hauptzentren des globalen Finanzwesens. Sie ist aber nicht gleich
zu setzen mit dem Zentrum von London – zwar ist sie Teil davon, die eigentliche Innenstadt umschließt aber auch South Bank, das West End bis zum Regent's Park, Kensington Gardens und
Hyde Park und vor allem Westminster mit dem Buckingham Palace bis zu den Houses of Parliament.
Die City of London ist der flächenmäßig kleinste und der am wenigsten bevölkerte Stadtteil Londons – was die reine Einwohnerzahl mit nur einigen tausend Menschen betrifft, durch die Pendler sind hier tagsüber extrem viele Menschen unterwegs, mehrere hunderttausend. Die Bevölkerung setzt sich zusammen aus 84,6% Weißen, 6,8 % Chinesen, 2,6 % Schwarzen und 2,0 % Japanern.
Die City of London hat
Das Mansion House wurde 1739-1752 erbaut und ist
einen besonderen politischen
die offizielle Residenz des Lord Mayor. Einige formelle
Status. Grund dafür sind die
Anlässe werden hier noch abgehalten, unter anderem
von der Krone über die Jahrdie »Mansion Haus Speech«, bei der der Chancellor
hunderte verliehenen Privileeine Rede über die Lage der britischen Wirtschaft hält
gien. Da die ungeschriebene
englische Verfassung noch
nie revidiert wurde, bestehen
diese Privilegien immer noch
fort. Die City wird durch die
City of London Corporation
verwaltet. Den Vorsitz der
Corporation führt der Lord
Mayor of London. Dieses
Amt ist nicht mit jenem des
Mayor of London zu verwechseln, dem tatsächlichen
Bürgermeister Greater Londons. Das Wahlverfahren für
die Corporation entspricht
nicht den üblichen demokratischen Prinzipien, da die
Wirtschaftsvertreter
einen
überproportionalen Einfluss ausüben. Die City of London gliedert sich in 25 Wards.
Innerhalb der City befinden sich zwei rechtlich eigenständige Enklaven, der Inner Temple und
der Middle Temple neben den Royal Courts of Justice. Sie sind zwar Teil der zeremoniellen Grafschaft, werden jedoch nicht von der Corporation verwaltet. Die City of London Corporation ist im
Besitz zahlreicher Parks und Wälder in und um London. Dazu gehören Hampstead Heath und
der größte Teil von Epping Forest. Sie besitzt auch drei Markthallen; den Smithfield-Markt innerhalb ihrer eigenen Grenzen sowie den Old Spitalfields Market und den Billingsgate Fish Market
im Stadtbezirk Tower Hamlets.
Seit der Regentschaft Elizabeths I. ist es Tradition, dass der jeweilige britische Monarch vor dem
Betreten der City of London an der Temple Bar ein Gesuch an den Lord Mayor of London
stellt. Als Zeichen der Loyalität wird vom Lord Mayor daraufhin das Sword of State präsentiert.
130
Allerdings hat der Lord Mayor nicht – wie manchmal vermutet – das Recht, dem Monarchen den
Zutritt zur City zu verwehren. Das Verfahren ist also mehr ein informeller und traditioneller Akt.
Die City of London verfügt über eine eigene Polizeibehörde, die City of London Police (das übrige Stadtgebiet von Greater London fällt in die Kompetenz der Metropolitan Police). Die Corporation betreibt den City Bridge Trust, der den Unterhalt von fünf wichtigen Brücken übernimmt.
Die Gesundheitsbehörde der City ist für die gesamten Hafenanlagen und auch für die Kontrolle
importierter Waren im Flughafen Heathrow zuständig.
Seit 886 A.D. besitz die City of London das Recht zur Selbstverwaltung, als König Alfred der
Große seinen Schwiegersohn Æthelred zum Gouverneur von London ernannte. Alfred sorgte dafür, dass die Händler aus Nordwesteuropa über genügend Unterkünfte verfügten. Dieses Angebot wurde später auf Händler aus den Ostseeraum und Italien ausgedehnt. In der City entwickelte sich außerdem ein eigenes Rechtssystem für die Händler. Im 10. Jh. gewährte König Æthelstan
der City das Recht, acht Münzprägestätten zu betreiben. Dies war ein Zeichen besonderen Wohlstands, denn Winchester, die damalige Hauptstadt Englands, besaß lediglich sechs Münzprägestätten.
Nach der Schlacht bei Hastings im Jahr 1066 marschierte die Armee von Wilhelm dem Eroberer
nach Southwark, konnte aber weder die London Bridge besetzen noch die Stadt erobern. Nach
der Plünderung der umliegenden Gebiete durch die Normannen kapitulierte der angelsächsische
Adel in Berkhamsted. Wilhelm belohnte die Standhaftigkeit der Londoner und erkannte im Jahr
1075 deren Privilegien mit einer königlichen Charta an. Die City of London war eine der wenigen
Institutionen, in der die Angelsachsen einen gewissen Grad an Autorität gegenüber den Normannen beibehielten. Wilhelm ließ aber die Festungen Tower of London, Baynard's Castle und Montfitchet Castle errichten, um die Stadt zu kontrollieren.
König Heinrich I. verlieh London 1132 den Status eines County (Grafschaft). 1141 entstand der
Vorläufer der City of London Corporation. Die Stadt wurde 1212 durch einen Stadtbrand teilweise,
1666 bei einem weiteren Großbrand, dem großen Brand von London, mit vier Fünfteln nahezu
vollständig zerstört. Daraufhin wurden zahlreiche Gebäude durch Christopher Wren aufgebaut,
viele seiner Kirchen überlebten sogar den zweiten Weltkrieg und stehen heute noch.
Während des 19. und fast des gesamten 20. Jh.s nahm die Bevölkerungszahl der City stetig ab, da
viele Wohnhäuser abgerissen wurden, um Platz für Bürogebäude zu schaffen. In den 1970er Jahren wurden zahlreiche Hochhäuser errichtet.
Seit Beginn der 1990er Jahre nimmt die Bevölkerungszahl wieder leicht zu; es ist jedoch nicht anzunehmen, dass sie stark über 10 000 steigen wird. Neuer Wohnraum wird vor allem in Geschäftshäusern aus der ersten Hälfte des 20. Jh.s geschaffen, die den Ansprüchen großer Unternehmen nicht mehr genügen. Das größte Wohngebiet der City ist Barbican Estate. Um den Platzbedarf der Finanzindustrie zu decken, sind neue Wolkenkratzer geplant.
Das City of London Festival wird mit Musik, Theater und Tanz von Ende Juni bis Mitte Juli
an verschiedenen Orten veranstaltet. Im September gibt es beim Thames Festival Kunst, Sport und
zahlreiche Veranstaltungen auf dem Fluss zwischen der Waterloo- und der Blackfriars-Brücke.
Die nachfolgenden Schauplätze – außer III/5.1 Finanzzentrum, das praktisch in der gesamten City
sein Zuhause hat – werden quasi in einem Rundweg beschrieben. So wird mit den Inns of Court
im Westen der City angefangen und am östlichen Ende wird über die Tower Bridge vom nördlichen Themsegebiet auf das südliche bei Southwark gewechselt, das mit dem westlichen Ende der
South Bank an der Westminster Bridge endet.
131
5.1
Finanzzentrum
In London haben die produzierenden Industriezweige seit vielen Jahren an Bedeutung verloren,
gegenwärtig sind lediglich noch zehn Prozent der Arbeitnehmer in diesem Sektor beschäftigt. Die
Druck- und Verlagsindustrie schreibt noch die besten Umsatzzahlen, sie hat einen Anteil von einem Drittel an der gesamten Produktion in London. Über den Hafen von London werden im
Gegensatz zu früher nur noch zehn Prozent des Binnen- und Außenhandels Britanniens abgewickelt. Seit 1971 ist die wirtschaftliche Wachstumsrate der Stadt mit 1,4 % geringer als die des gesamten Landes in einer Höhe von 1,9 %. Trotzdem besaß die Hauptstadt 2004 einen Anteil von
19 % (Metropolregion 1999: 30 %) am nationalen Bruttoinlandsprodukt (BIP), mehr als die Hälfte der hundert größten Konzerne des Landes und über hundert der fünfhundert größten Unternehmen in Europa haben ihren Hauptsitz in London. Dies ist überwiegend auf den Dienstleistungssektor – insbesondere die Bereiche Finanzdienstleistungen und Tourismus – zurück zu führen.
London ist der größte der drei globalen Finanzplätze und dabei spielt die
City of London die tragende Rolle
schlechthin: Hier tummeln sich die nationalen und internationalen Großbanken und handeln mit allen möglichen
Geldgeschäften. Einige der wichtigsten
Banken des Landes, wie beispielsweise
die Bank of England, Barclays, die Barings Bank und HSBC, haben ihren
Sitz in der City of London. Mehrere
Hundert internationale Banken besitzen Filialen in London. Die Bank of
London hat ein eigenes Museum in
der Threadneelde Street. Zwei Querstraßen südlich ist die Lombard Street,
Bank of England
die nach den im 13. Jh. aus der LomHSBC Tower (im East End)
bardei kommenden Bankiers benannt
ist und wo traditionelle Schilder die Häuser zieren.
Die Internationale Börse des Vereinigten Königreichs und der
Republik Irland befindet sich auch in der City of London. Die
Aufhebung der Regulierungen, bekannt unter dem Begriff Big
Bang, ermöglichte 1986 den Einstieg in die moderne Welt des
elektronischen Finanzwesens. Die Warenbörse London Metal
Exchange ist die bedeutendste der Welt, die Wertpapierbörse
London Stock Exchange belegt weltweit den dritten Platz hinter
der New York Stock Exchange und der Tokioter Börse. Der London Bullion Market ist der wichtigste außerbörsliche Handelsplatz fur Gold und Silber. Hier wird seit 1919 der Weltmarktpreis für Gold festgestellt. Die ICE Futures – früher International Petroleum Exchange (IPE) – ist Handelsplattform für die in
Europa führende Ölsorte Brent. Sie ist die größte Terminbörse für Optionen und Futures auf Erdöl, Erdgas und Elektrizität in Europa.
Ein anderer Dienstleistungsbereich sind die Versicherungen,
denen die Stadt seit über dreihundert Jahren ihren Wohlstand
verdankt. Lloyd’s of London ist die bekannteste Institution,
132
nicht als Versicherungsgesellschaft im eigentlichen Sinn, sondern als eine Börse für Versicherungsverträge. Es ist eine Gemeinschaft von Versicherern, die fast jede Art von Versicherungen
auf dem internationalen Markt übernimmt.
5.2
Temple und Inns of Court
Dieser Gebäudekomplex am Gray's Inn Field – Nähe U-Bahn-Station Chancery Lane, etwa 800
m ostnordöstlich von Covent Garden, 800 m westlich vom Museum of London und 600 m
nördlich von der Themse – beherbergt seit mehr als 500 Jahren Rechtsanwaltskanzleien .
Als Inns of Court werden die vier englischen Anwaltskammern für die Rechtsanwälte (Barrister),
die vor Gericht plädieren dürfen, bezeichnet. Außerdem bezieht sich der Begriff auch auf die
Gebäudekomplexe, in denen diese Kammern seit dem 14. Jh. beheimatet sind. Diese umschließen der Lage nach die königlichen Gerichtshöfe (Royal Courts of Justice) in London, England.
Inn (oder hospitium) bedeutet in diesem Zusammenhang ein Stadthaus oder eine Pension, insbesondere in der Anfangszeit eine Pension für Studenten – der Ursprung für dieses »Inn« ist dem
Gasthaus also doch ähnlich, für das in Britannien diese Bezeichnung absolut üblich ist. Court bezog sich auf den Hof, genauer den Gerichtshof. Der Begriff Inns of Court bezeichnet nicht nur
die Gebäude, sondern auch die darin befindlichen Institutionen, die Anwaltskammern.
Seit der Normannischen Eroberung war es in England nur Klerikern vorbehalten, sich mit rechtlichen Dingen zu beschäftigen, bzw. am Hof Recht zu sprechen.
Ein Gesetz von Edward I. im Jahre
1292 gab für die Trennung von kirchlichem und weltlichem Recht den Ausschlag, denn in diesem Gesetz wurden
die beiden Berufszweige des Barrister
und Solicitor, wie sie heute genannt
werden, der Kontrollaufsicht von weltlichen Richtern unterstellt und beendeten
die Vorherrschaft des Klerus, der zuvor
diese Rolle am Hof des Königs vertrat.
Für die Laien wurden nun Ausbildungsstätten benötigt, die zur Errichtung der
Inns of Court im frühen 14. Jh. führten.
Neben der Übernahme der Besitztümer
Wappen der (ehemaligen) Juristenschmiede
an Land und Gebäuden der »Templer«
(Middle Temple und Inner Temple), die
zwischen Themse und Fleet Street lagen, wurden zahlreiche weitere Gebäudekomplexe im Herzen Londons (City of London) umfunktioniert oder neu errichtet, als Wohn-, Speise- und Unterrichtsräume für die wachsende
Schicht der weltlichen Rechtsgelehrten und ihrer Studenten, die ähnlich organisiert wurden wie
z.B. die Studieneinrichtungen an den Standorten Oxford und Cambridge.
Der Große Brand von London im Jahre 1666 und weitere Brände sowie Bombardierungen während des Zweiten Weltkrieges zerstörten viele Gebäude der Inns of Court. Dennoch blieb einiges
erhalten oder wurde rekonstruiert, so dass sich der Flair der Geschichte erhalten hat, welcher gerne als Filmkulisse genutzt wird.
Seit 1852 dienen die Anwaltskammern (Inns of Court) nicht mehr zur Ausbildung von Rechtsgelehrten oder haben höchstens unterstützende Funktion. Die meisten Räume werden heute von
Barristers und normalen Anwälten genutzt, die u.a. Berufseinsteigern helfen, Kontakte zu knüpfen, und sie bei ihren ersten Fällen beraten.
133
Jeder Anwalt in England, der vor Gericht plädieren darf, muss einer dieser Anwaltskammern angehören. Die Kammern haben kontrollierende und disziplinarische Funktion. Sie stellen aber
auch Bibliotheken, Speisemöglichkeiten und exklusive Übernachtungs- und Arbeitsräume zur
Verfügung. Jeder der Kammern ist eine eigene Kirche oder Kapelle zugeordnet. Seit Ende des 20.
Jh.s lassen sich viele Rechtsanwälte aus Platzmangel auch außerhalb des Bereichs in London oder
in anderen Großstädten nieder.
In früheren Jahrhunderten gab es zahlreiche Kammern, von denen noch vier übriggeblieben
sind. Die vier Anwaltskammern heißen: The Honourable Society of the Inner Temple, The Honourable Society of the Middle Temple, The Honourable Society of Gray’s Inn, The Honourable
Society of Lincoln’s Inn. Jeder Kammer-Komplex wird von einem Schatzmeister, der der älteste
zugehörige Anwalt ist, verwaltet, der sein Amt nach einem Jahr weiterreicht.
Es gibt drei Klassen von Rechtsgelehrten: Die Master (Masters of the Bench, »Masters« oder
»Benchers« genannt), hauptsächlich Richter oder Berater der Queen (gehören sie zum Queens
Council, heißen sie »silks«). Ein Richter des High Court muss mindestens zehn Jahre lang Barrister gewesen sein. Als zweites sind die Anwälte zu nennen, die vor Gericht plädieren dürfen (Barrister) und die noch Neuen im Beruf (students), die sich über Kontakte fortbilden wollen. Die
dritte Gruppe bilden die Solicitors – Rechtsanwälte, die nicht vor Gericht plädieren dürfen und
nicht den Kammern angehören, obwohl sie die Räumlichkeiten des Bezirks nutzen.
Zu erreichen sind die zu den Inns of Court gehörenden Kammern Middle Temple und Inner
Temple, die zwischen Themse und Fleet Street liegen, am schnellsten durch die U-Bahn Station
Temple. Sie liegen in der City of London haben aber einen eigenen juristischen Status.
Gray’s Inn und Lincoln’s Inn liegen in der London Borough of Camden (früher in den Borough
of Holborn), an der Grenze der City of London. Sie haben keinen eigenen verwaltungsrechtlichen Status. Die nächste U-Bahn Station ist Chancery Lane.
5.3
Sir John Soane's Museum
Am Lincoln's Inn Field – ca. 750 m nordöstlich von Covent Garden, ein kleines Stück (ca.
250 m) südlich von Gray's Inn Field (siehe 5.2
Temple und Inns of court) und auf halbem Wege
von dort zu den südlich gelegenen Royal
Courts of Justice – steht dieses exzentrische
Museum, das 1837 von John Soane dem Staat
unter der Bedingung vermacht wurde, dass
nichts verändert werden dürfe. Soane, ein gebürtiger Maurerssohn, war einer der führenden Architekten Britanniens und bevorzugte
einen gemäßigten neoklassizistischen Stil. Er
kaufte nach einem Erbe seiner Frau das Anwesen Lincoln's Inn Fields Nr. 12 und bezog
nach und nach auch die benachbarten Häuser
Nr. 13 und 14. Seine Leidenschaft waren Gemälde und allerlei Artefakte und Skulpturen,
so dass man heute schöne, interessante und teilweise auch seltsame ExHängendes
ponate sehen kann, von
Sammelsurium
Bronzefiguren und anti134
ken Fragmenten über Vasen bis zu einem Riesenpilz aus Sumatra oder einen Xanthippenzaum,
der nörgelnde Ehefrauen zum Schweigen bringen soll. Daneben werden allein durch geschickt
angebrachte Spiegel erstaunliche Effekte erzielt und eine Glaskuppel, die in einem Atrium das
Dach bildet, taucht alle Stockwerke in Tageslicht. Es ist eine unglaubliche, einzigartige Sammlung
an allem Möglichen, das man bestaunen und vielleicht auch belächeln kann.
5.4
Blackfriars Bridge
Die Blackfriars Bridge ist eine Straßenbrücke über die Themse in London. Sie verbindet die City
of London auf der Nordseite mit dem Stadtteil Southwark im Stadtbezirk London Borough of
Southwark auf der Südseite. Sie befindet sich unmittelbar neben dem Bahnhof Blackfriars und ist
nach einem Kloster der Dominikaner (engl. black friars, also etwa »schwarze Brüder«) benannt,
das einst in der näheren Umgebung stand. Sie ist im Besitz von Bridge House Estates, einer Wohlfahrtsorganisation der Corporation of London.
Die 281 Meter lange und 32 Meter breite Brücke besteht aus fünf schmiedeeisernen Bögen und
einer gusseisernen Balustrade im venezianischen Stil. Von John Birnie Philip geschaffene Skulpturen erinnern an die ehemaligen Dominikanermönche; auf der Westseite sind dies Vögel und Blumen, auf der Ostseite Meerespflanzen und Wasservögel. Über die Brücke führt die Hauptstraße
A 201.
Nach einem Wettbewerb erhielt Robert Mylne im Jahr 1760 den Auftrag, eine neue Brücke zu
bauen. Die 303 Meter lange und 13 Meter breite Brücke wurde 1769 eröffnet und bestand aus
neun halbelliptischen Bögen aus Portland-Kalkstein. Zu Beginn hieß die Brücke William Pitt
Bridge (nach dem damaligen Premierminister William Pitt), wurde aber im Rahmen der Eröffnung in Blackfriars Bridge umbenannt. Zunächst musste noch Brückenzoll entrichtet werden,
während der Gordon Riots (Riot: dt. Aufstand, Aufruhr) von 1780 wurden jedoch die Mautstationen überfallen und geplündert, was 1785 zur Aufhebung des Brückenzolls führte. Das mit der
Flut vordringende Salzwasser und verschmutztes Abwasser des Nebenflusses Fleet verursachten
mit der Zeit erhebliche Schäden an den Kalksteinbögen. Schließlich riss man die Brücke 1860 ab
und ersetzte sie vorläufig durch eine Hilfsbrücke an der gleichen Stelle.
Die heute bestehende Brücke entstand ab 1860 unter der Leitung von Joseph Cubitt, gleichzeitig
mit der unmittelbar benachbarten Blackfriars Railway Bridge. Die offizielle Eröffnung erfolgte
am 6. November 1869 durch Königin Victoria. Auf Grund des stetig zunehmenden Verkehrs
musste die Brücke zwischen 1907 und 1910 um elf Meter verbreitert werden.
Neben den Auständen des
18. Jh.s schreibt die Brücke
auch ein neueres dunkles
Kapitel: Am 18. Juni 1982
wurde der bekannte italienische Bankier Roberto Calvi
unter der Brücke erhängt
aufgefunden.
Die Blackfriars Bridge des
Joseph Cubitt
135
5.5
Old Bailey
So lautet der landläufige Name des offiziell Central Criminal Court heißenden zentralen Strafgerichtshofs, der sich ca. drei- bis vierhundert Meter nördlich der Blackfriars Bridge findet. Das
dort tagende Krongericht (engl. Crown Court) behandelt bedeutende Kriminalfälle des Vereinigten Königreiches.
Das Gebäude steht an der Stelle des mittelalterJustitia auf der Kuppel des
lichen Stadttores Newgate und des späteren
Zentralen Gerichtshofs
Newgate-Gefängnisses (1188-1902). Der Name
leitet sich von der Lage des Gerichtshofes in
der gleichnamigen, zwischen der Farringdon
Street und Saint Paul's Cathedral gelegenen
Straße ab, die dem Verlauf einer früheren Befestigungsmauer Londons, der Bailey, folgt.
Das erste Gerichtshaus an dieser Stelle wurde
im Jahre 1539 errichtet. Das heutige, neobarocke Gebäude wurde durch den Architekten Edward W. Mountford entworfen und 1907 von
König Edward VII. eingeweiht.
Zu den bekanntesten, die im Old Bailey verhandelt wurden, zählen der vom Schriftsteller
Oscar Wilde im Jahr 1895 angestrengte Verleumdungsprozess, der Prozess gegen den Gattinnenmörder Hawley Crippen im Jahr 1910,
der Prozess gegen den englischen Faschisten
William Joyce (genannt »Lord Haw Haw«) im
Jahr 1945 und der Prozess gegen Derek Bentley, der 1953 wegen Mordes verurteilt und hingerichtet wurde, was sich später als einer der
größten Justizirrtümer der britischen Kriminalgeschichte herausstellte. Weiterhin sind der
Prozess gegen die Zwillingsbrüder Ronald und
Reginald Kray im Jahr 1968, die als Bandenchefs das London der 1950er und 1960er Jahre unsicher machten und der Prozess gegen Peter William Sutcliffe im Jahr 1981, der als sogenannter
»Yorkshire Ripper« zwischen 1975 und 1980 dreizehn Frauen ermordet hatte, berühmt.
5.6
St Paul's Cathedral
Die St.-Pauls-Kathedrale bietet mit ihrer mächtigen Kuppel eine prachtvolle Aussicht über London. Sie ist die Bischofskirche des anglikanischen Bischofs in London und steht 300 Meter vom
Nordufer der Themse entfernt.
St. Paul ist ein Meisterwerk des Architekten Christopher Wren, die Schnitzarbeiten des Chorgestühls stammen von Grinling Gibbons, die schmiedeeisernen Chorschranken von Jean Tijou. Erst
1890 wurden die Glasmosaiken an der Decke über dem Chor von William Richmond fertiggestellt. Der Hochaltar, nach Planen Wrens gebaut, ist das Werk von Dykes Bower und Godfrey
Allan, die ihn 1958 vollendeten.
Die Kathedrale hat eine kreuzförmige Grundfläche, die typischerweise in Ost-West Richtung ausgerichtet ist. Die Kuppel in der Mitte dieses Kreuzes trägt eine 750 Tonnen schwere Laterne, die
in 111 Metern Höhe endet. Um diese gewaltige Last abzuleiten, befindet sich zwischen der äußeren und der inneren Kuppel ein konischer Steinaufbau, der auf den massigen Vierungspfeilern
136
ruht. An der Kuppelbasis in etwa 30 Meter Höhe befindet sich in der Kirche ein ringförmiger
Umgang mit einem Durchmesser von 34 Metern, die sogenannte Whispering Gallery, die Flüstergalerie. Der Schall wird hier durch die gebogenen Wände immer wieder zurück in das Innere des
Rings reflektiert, sodass ein geflüstertes Wort auf die andere Seite der Kuppel getragen werden
kann. Sie ist 365 Fuß hoch, einen Fuß fur jeden Tag im Jahr. Steigt man bis zur Spitze hinauf, so
gelangt man auf die Golden Gallery, von wo aus man London überblickt. Unter der Kirche befindet sich eine weitläufige Krypta, in der zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten der britischen
Geschichte beigesetzt sind.
Nordwestlich von St Paul, gleich über die Straße New Change, steht St Mary-le-Bow. Die Kirche
verdankt ihren Namen den Bogen der normannischen Krypta. Es heißt, wer in Hörweite ihrer
Glocken zur Welt kommt, gilt als echter Cockney.
oben: das reichverrzierte
Deckengemälde im Kirchenschiff
links oben: mächtig ragt die Kuppel
von St. Paul in den Himmel
rechts unten: eine Führerin des Museums of London
erklärt einen alten Zahnradmechanismus
5.7
Museum of London
Direkt in der City liegt das Museum of London, ein
kleines Stück (200 m) nordwestlich der Guildhall
und ca. 300 m nordnordöstlich der St Paul's Cathedral. Die Ausstellungen des Museums zeigen die
Entwicklung Londons von seinen Anfängen bis
zum heutigen Tag.
Es wurde in den 1970er Jahren durch die Corporation of London eröffnet. In dem damals neu errichteten Gebäude wurden Sammlungen aus der Guildhall und Einzelstücke aus anderen Sammlungen zusammengetragen.
137
Das Museum kann – wie alle Londoner Museen der öffentlichen Hand – kostenlos besichtigt
werden und umfasst mehrere chronologische Galerien mit Originalartefakten, Modellen, Gemälden und Diagrammen. Der Schwerpunkt liegt auf der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie
der Entwicklung des Stadtraums. Zu den wertvollsten Ausstellungsstücken gehört die Staatskutsche des Lord Mayor.
Unmittelbar außerhalb des Museums sind Fragmente der London
Wall erhalten geblieben, der alten
Stadtmauer Londons. Das Museum
of London ist für archäologische
Rettungsgrabungen im Bereich der
City zuständig. Im Sommer 2003
wurde eine Außenstelle eröffnet,
das Museum in Docklands in einem Lagerhaus aus dem 19. Jahrhundert in der Nähe von Canary
Wharf.
5.8
Blick aus einem Fenster des Museums
auf einen Teil der London Wall
Guildhall
Die Guildhall ist ein historisches Gebäude, oder vielmehr ein Komplex mehrerer Gebäude, ein
kleines Stück nordöstlich der St. Paul's Cathedral. Sie befindet sich an der Basinghall Street und
erfüllte einige Jahrhunderte lang die Funktion des Rathauses der City of London. Gegenwärtig
beherbergt es Repräsentationsräume der City-Administration, unter anderem des Lord Mayor –
welcher nicht der Bürgermeister Greater Londons ist.
In der Antike befand sich an der Stelle der Guildhall das größte Amphitheater der Provinz Britannien. Einige Gebäudeteile stammen aus dem Jahr 1411. Beim großen Brand von London 1666
A.D. wurde das Gebäude stark beschädigt, die mittelalterlichen Mauern aber blieben erhalten. Im
Jahr 1670 wurde der Innenausbau wiederhergestellt. Erneute Zerstörungen erfolgten aufgrund
der Bombardierungen 1940 während des zweiten Weltkriegs. Der Wiederaufbau erfolgte in den
Jahren 1953 bis 1954 nach den Entwürfen des Architekten Giles Gilbert Scott. In der Guildhall
findet sich die 1999 gegründete gleichnamige Kunstgalerie, Guildhall Art Gallery.
Die Guildhall,
Päsentationsgebäude
der Verwaltung der
City of London
138
5.9
Mithras Temple
Der Mithras-Tempel gehört zu den bedeutendsten archäologischen Funden aus der Römerzeit in
London. Der Tempel (genannt Mithräum) war dem Gott Mithras geweiht und wurde 1954 bei
Bauarbeiten im Walbrook entdeckt, einem in den Untergrund verbannten Zufluss der Themse,
nach dem eine Straße dort benannt ist. Erbaut wurde der Tempel Mitte des dritten Jahrhunderts,
im frühen vierten Jahrhundert wurde er möglicherweise zu Ehren von Bacchus umgeweiht.
Ursprünglich stand der Tempel am östlichen Ufer des Walbrook, eines heute
unterirdisch fließenden Baches. Da der
Tempel einem Bauprojekt im Wege
stand, wurde die ganze ausgegrabene
Anlage um einige Dutzend Meter an die
Queen Victoria Street versetzt. Dort
können nun die Ruinen öffentlich besichtigt werden – ca. 400 m östlich von
St. Paul's Cathedral und 150 m südöstlich von der Guildhall.
Die Ausgrabungen führte der archäologische Dienst des Museum of London
durch. Gefunden wurden mehrere aus
Italien importierte Götterfiguren aus
weißem Marmor wie z. B. von Minerva,
Merkur, Serapis und von Mithras selbst
sowie vor Ort hergestellte Venus-Figuren aus Lehm.
Marmorskulptur des Mithras, der über den Stier siegt
5.10
London Stone
Der London Stone ist ein Stein im Zentrum von London, der Teil mehrerer Legenden ist. Der
Stein, ein Kalksteinfragment, wird in einem unscheinbaren Glaskasten hinter einem Ziergitter
aufbewahrt. Dieser befindet sich am Haus 111 Cannon Street in der City of London, gegenüber
dem Bahnhof Cannon Street – ca. 400 m östlich von St. Paul's Cathedral und 250 m südöstlich
von der Guildhall, 100 m südlich
des Mithras-Tempel. Einen besseren Blick kann man aber vom
Sportgeschäft in diesem Haus
darauf werfen.
Im zehnten Jahrhundert wurde
der London Stone erstmals
schriftlich erwähnt, in einem
Grundstücksverzeichnis aus der
Zeit der Herrschaft von König
Æthelstan. Darin ist mehrmals die
Der Kalkstein, ausgestellt hinter einem
Gitter
139
Standortbeschreibung »in der Nähe von London Stone« zu finden. Auf einer Landkarte aus dem
Jahr 1198 erscheint der Londenstane. Henry Fitzailwyn, der erste Lord Mayor, nannte sich »de
Londonestone«. Im Mittelalter wurden am London Stone Verträge abgeschlossen, Eide geschworen und offizielle Erlasse bekanntgegeben.
Jack Cade, Anführer eines Aufstands gegen König Heinrich VI., überfiel im Jahr 1450 die Stadt
mit einer Rebellenarmee. Er begab sich zum London Stone und hieb mit seinem Schwert darauf.
Mit dieser symbolischen Geste erklärte er sich zum Herrscher über London. William Shakespeare
beschrieb diese Szene im zweiten Teil seines Dramas Heinrich VI.
Im Jahr 1742 beschlossen die Stadtbehörden, die Cannon Street zu verbreitern, um den immer
zahlreicher werdenden Fuhrwerken mehr Platz zu bieten. Der Stein wurde auf die Nordseite der
Straße gebracht und an der Wand der von Christopher Wren erbauten Saint-Swithin-Kirche platziert. 1798 wollte die Pfarrgemeinde den Stein entfernen lassen, da er ein Hindernis war. Nach
Protesten wurde der Stein wieder zur Kirche gebracht. Nun stand er aber nicht mehr im Freien,
sondern war in der Südwand der Kirche eingemauert.
1941 wurde die Kirche während des Zweiten Weltkriegs bei Luftangriffen der deutschen Luftwaffe vollständig zerstört, der Stein aber blieb unversehrt. Anstelle der Kirche entstand 1960 ein modernes Büro- und Geschäftshaus, in dessen Südwand sich der London Stone seither befindet.
Eine der Legenden besagt, dass London untergehen wird, sollte der Stein jemals zerstört oder aus
der Stadt entfernt werden.
Laut der mythologischen Chronik Historia Regum Britanniae von Geoffrey of Monmouth soll
der aus Troja stammende Brutus von Britannien der Stadtgründer sein. Er ließ einen Tempel zu
Ehren der Göttin Diana errichten; der London Stone diente angeblich als Altarstein.
Einer anderen Legende zufolge ist der London Stone der letzte Überrest eines Steinkreises auf
dem Ludgate-Hügel, wo heute die Saint Paul’s Cathedral steht.
Die am realistischsten erscheinende Theorie zur Herkunft des Steines ist jene, dass die Römer um
das Jahr 50 n. Chr. herum den Stein aufstellten, um ihn in der neu gegründeten Stadt Londinium
als zentralen Markierungspunkt zu verwenden. Von dort aus sollen alle Entfernungen in Großbritannien vermessen worden sein.
5.11
Leadenhall Market
Leadenhall Market ist ein überdachter Markt in der City of London und befindet sich rund 400
m ostnordöstlich vom London Stone, knapp 300 m südlich des Bürogebäudes Tower 42 und gut
600 m nordwestlich vom Tower.
Bereits im 14. Jahrhundert trafen sich rund um das Herrenhaus Leadenhall Geflügel- und Käsehändler. 1463 bekam der das Wiegerecht für Wolle, 1488 das Monopol für den Handel mit Leder.
Durch den großen Brand von London 1666 wurden auch große Teile des Marktes zerstört. Das
anschließend errichtete langjährige Provisorium wurde 1881 von Sir Horace Jones umgebaut, der
auch den Billingsgate Market und den Smithfield Market überdacht hat. Eine Halle aus Gusseisen
und Glas überspannt seitdem die bisherigen Steingebäude. Die letzte aufwändige Restaurierung
erfuhr Leadenhall Market 1991.
Heute beherbergt der Markt Fisch-, Fleisch-, Käse- und andere Lebensmittel- und Delikatessenläden, Weinhandlungen, Floristen, Friseure, Restaurants und Bars. Die Halle ist täglich durchgehend zugänglich, die Geschäfte sind montags bis freitags ab sieben Uhr geöffnet und werden sowohl von der Stadtbevölkerung als auch von Touristen frequentiert.
Übrigens ist im Markt die Gans »Old Tom« mit einem Gedenkstein beerdigt. Sie soll es mehrfach
geschafft haben, ihrer Schlachtung zu entgehen, und wurde so zu einer lokalen Berühmtheit. Sie
wurde von den Standinhabern regelmäßig gefüttert, bis sie 1835 im Alter von 38 Jahren starb.
140
Die Szenen in der Winkelgasse im ersten Film der Harry-Potter-Serie, Harry Potter und der Stein
der Weisen, wurden 2001 im Leadenhall Market aufgenommen.
Geschäftsstraße der Leadenhall Market
5.12
Tower 42
Der Tower 42 ist ein Hochhaus in London, etwa 400 m östlich der Guild Hall und einen knappen
Kilometer nordwestlich des Towers an der Old Broad Street. Die offizielle Hausnummer lautet
19-27. Tower 42 ist mit 183 Metern das höchste Gebäude in der Innenstadt Londons und das
vierthöchste der gesamten Stadt. Überragt wird es nur
von drei Hochhäusern im Gebiet Canary Wharf in
Der Tower 42 dominiert die
den Docklands (siehe III/6 East End).
Kulisse an der Old Broad Street
Tower 42 wurde 1971 bis 1979 nach Plänen des Büros
des britischen Architekten Richard Seifert als Hauptsitz der National Westminster Bank errichtet und 1980
fertiggestellt. Damit ist das damals NatWest-Tower genannte Hochhaus der erste Wolkenkratzer Großbritanniens. Die damaligen Baukosten betrugen 72 Mio. englische Pfund. Der Grundriss des Bauwerks weist Ähnlichkeiten mit dem Logo der Bank auf. Zum Zeitpunkt
seiner Errichtung war der als NatWest Tower bezeichnete Wolkenkratzer sehr umstritten, da er das mit Abstand höchste Gebäude der City of London war. Von
vergleichbarer Höhe war nur der Post Office Tower im
Londoner Stadtteil Camden. Bei einem in der Nähe
stattfindenden Terroranschlag der Provisional Irish Republican Army am 24. April 1993 wurde der Wolkenkratzer stark beschädigt, nach der zwingend erforderlichen
Sanierung entschied sich der Eigentümer zum Verkauf.
Der neue Eigentümer, eine Immobiliengesellschaft,
benannte das Gebäude in Tower 42 (entsprechend der
Anzahl der Stockwerke) um.
141
5.13
St Mary Axe
St Mary Axe war einst eine mittelalterliche Pfarrei in London, deren Name noch in der Straße
überlebte, die seiner Zeit zur Pfarrgemeinde gehörte und die nach ihr benannt wurde. Die Kirche
selbst wurde 1561 A.D. zerstört und die Pfarrei mit der St.-Andrew-Undershaft-Gemeinde zusammengelegt. Der Name St Mary Axe ist ein geistlich-weltliches Produkt aus der Wörterkombination der Heiligen Jungfrau Maria und einer benachbarten Schänke, dessen Schild ein Axt-Bildnis zierte.
Besonders einprägsam ist der Gegensatz zwischen Alt
und Modern. Gleich in der Nachbarschaft zu St Mary
Axe – gut 200 m ostsüdöstlich vom Bürogebäude Tower
42 und rund 700 m nordwestlich vom Tower – sind die
mittelalterlichen Kirchen Great St Helen's (1210 A.D.)
und St Ethelburga (14. Jh.), zudem bei St Mary Axe St
Andrew Undershaft. Darüber erhebt sich ein modernes
Wahrzeichen der City of London, das landläufig »The
Gherkin« (Essiggurke oder einfach nur Gurke) genannt
wird. Das vorherige Gebäude der Baltic Exchange fiel
1992 einer Explosion zum Opfer. Die Baltic Exchange
selbst ist ein typisches aufstrebendes Londoner Unternehmen und einziger globaler Marktplatz für Schiffsmakler, Reeder und Charterer. Das Gebäude St Mary
Axe 30 wird neben »The Gerkin« auch Swiss Re Building – nach der Versicherungsgesellschaft dort – oder
einfach Egg Building genannt. Es wurde im Dezember
2003 fertiggestellt und im April 2004 eröffnet und versinnbildlicht den Beginn einer neuen Bauströmung von
Hochhäusern in London. The Gerkin ist 180 Meter
hoch und hat vierzig Stockwerke.
The Gerkin
5.14
The Tower
Am nördlichen Ufer der Themse
befindet sich der Tower von London, ein im Mittelalter errichteter
Komplex aus mehreren befestigten Gebäuden entlang des Flusses,
der zu verschiedenen Zeiten als
Festung, Waffenkammer (stronghouse), königlicher Palast und Gefängnis, insbesondere für Gefangene der Oberklasse, diente. Über
das unheimliche Traitor's Gate
Der Zugang zum Traitor's Gate von der
Themse aus; das eigentliche Tor ist noch ein
Stückchen weiter dahinter
142
wurden die Gefangenen über das Wasser in das Festungsverlies gebracht, viele kamen nicht mehr
lebend aus dem Kerker heraus und verloren ihren Kopf. Außerdem waren dort die Münze, das
Staatsarchiv, ein Waffenarsenal und ein Observatorium untergebracht. Heute ist er vor allem als
Aufbewahrungsort der Kronjuwelen berühmt, daneben beherbergt der Tower eine reichhaltige
Waffensammlung.
Bis zu Jakob I. wohnten alle englischen Könige und Königinnen zeitweise dort. Es war üblich,
dass der Monarch vor dem Tag seiner Krönung im Tower übernachtete und dann in feierlichem
Zug durch die Stadt nach Westminster ritt.
1078 ordnete Wilhelm der Eroberer
an, den White
Tower hier zu bauen. Er sollte die
Normannen
vor
den Menschen der
City of London
aber auch London
überhaupt schützen. Er steht in der
Mitte des TowerGeländes und von
weitem wirkt er
quadratisch, aber
drei der Ecken bilden keine rechten
Der White Tower in der
Winkel und alle vier Seiten sind verschieden
Mitte der Festungsanlage
lang. Die UNESCO hat das Bauwerk 1988 zum
Weltkulturerbe der Menschheit erklärt.
In den folgenden Jahrhunderten wurde die Festung ständig erweitert. Sie wird von einem breiten Wassergraben umgeben. Ein Außenwall
schützt die inneren Gebäude.
Am 6. Februar (Tag der Thronbesteigung Queen Elizabeths), am 21. April (Geburtstag der Königin), am 2. Juni (Tag der Krönung) und am 10. Juni (Geburtstag des Duke of Edinburgh) werden
um 13 Uhr vom Tower aus 62 Salutschüsse von der Ehrenartilleriekompanie (Honourable Artillery Company) aus Kanonen abgefeuert. Fallen die Termine auf einen Sonntag, findet dies am folgenden Tag statt. Die Salutschüsse werden auch bei der Fahnenparade und der Parlamentseröffnung abgegeben.
Bei der rund 700 Jahre alten Schlüsselzeremonie (Ceremony of the Keys) werden die Haupttore
des Tower of London jeden Abend vom Hauptwärter des Towers (Chief Yeoman Warder) verschlossen, der dabei von Gardisten eskortiert wird.
Der Tower Millenium Pier unterhalb des Towers an der Themse ist für den Hauptschiffsverkehr
zur Canary Wharf und nach Greenwich, ins Eastend und Westend sowie eine Schnellverbindung
zum London Eye zuständig.
143
5.15
Tower Bridge
Das berühmteste Wahrzeichen Londons, die Tower Bridge, wurde von 1886 bis 1894 in neugotischer Bauweise errichtet. Sie ist eine Straßenbrücke, die die Themse überspannt und deren Zugbrücke für hohe Schiffe geöffnet wird. Sie verbindet die City of London auf der Nordseite mit
dem Stadtteil Southwark im Stadtbezirk London Borough of Southwark auf der Südseite. Ihren
Namen hat sie vom
Tower of London, der
nördlich von ihr am
Themseufer steht.
Die Tower Bridge ist die
am östlichsten gelegene
Themsebrücke und bildet
damit auch das östliche
Ende der City of London
und des Londoner Zentrums (hierzu gehören
aber neben der City auch
Kensington
Gardens,
Hyde Park, West End bis
zum Regents's Park,
Westminster vom Buckingham Palace zur Westminster Bridge und das
südliche Themseufer bis
Tower Bridge vor der Kulisse der City
zur Tower Bridge). Auf ihr führt die
Hauptstraße A 100 entlang.
Die Brücke ist im Besitz von Bridge House Estates, einer Wohlfahrtsorganisation der City of London
Corporation, die auch für den Unterhalt zuständig ist. Gelegentlich wird die Tower Bridge fälschlicherweise London Bridge genannt, diese jedoch ist die nächste Brücke stromaufwärts (also in
westlicher Richtung).
Die Tower Bridge ist 244 Meter lang, die Höhe der beiden Brückentürme betragt 65 Meter. Die
Fahrbahn zwischen den 61 Meter voneinander entfernten Türmen liegt neun Meter über dem
Fluss, die Fußgängerbrücke zwischen den Spitzen 43 Meter. Die beiden Brückenflügel können
bis zu einem Winkel von
83 Grad hochgeklappt
werden, um größeren
Schiffen die Durchfahrt zu
ermöglichen. Fertiggestellt
wurde die Tower Bridge im
Jahre 1894.
Ein Personenkreuzer bei der
Durchfahrt unter der
hochgezogenen Autobrücke
144
5.16
City Hall
Die City Hall ist der Sitz der Greater London Authority (GLA) findet sich lediglich gute hundert
Meter westlich der Tower Bridge am Südufer der Themse in Southwark und östlich des Bahnhofs
London Bridge.
Im Jahre 1965 wurde die Verwaltungsregion Greater London gegründet, ein Zusammenschluss
der alten County of London mit Middlesex sowie Teilen der Grafschaften Essex, Hertfordshire,
Kent und Surrey. Greater London ist unterteilt in 32 London Boroughs und die City of London.
Die Boroughs sind fur die lokale Selbstverwaltung und den Betrieb der meisten öffentlichen Einrichtungen auf ihrem Gebiet zuständig. Die City of London wird historisch bedingt von der City
of London Corporation verwaltet.
Die City Hall ist der Sitz der Greater
London Authority (GLA) und befindet sich am Südufer der Themse im
Stadtteil Southwark, zwischen der
Tower Bridge und dem Bahnhof London Bridge. Das von Norman Foster
entworfene Gebäude ist 45 Meter
hoch und wurde im Juli 2002 eröffnet.
Durch die GLA wird die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Boroughs koordiniert, sie ist für die strategische Planung zuständig und betreibtt öffentliche Einrichtungen, die
in der ganzen Stadt tätig sind; dazu
gehören der öffentliche Verkehr, die
Lichterglanz bei Nacht: City-Hall vor der Tower Bridge
Feuerwehr und die Polizei. Die Polizeibehörde der 32 London Boroughs
ist der Metropolitan Police Service, besser
Die Wendeltreppe im Ratssaal
bekannt unter dem Namen »Metropolitan Police« oder kurz »the Met«. Die
City of London besitzt eine eigene
Polizeibehörde, die City of London Police.
Die GLA besteht aus dem Mayor of
London (Oberbürgermeister) und der
London Assembly (Stadtparlament
mit 25 Sitzen), die beide ihren Sitz in
der City Hall haben. Der Lord Mayor
of London, der Bürgermeister der
City of London, übt lediglich zeremonielle Funktionen aus. London unterhält mit folgenden Städten Partnerschaften: Algier, Berlin (seit 2000),
New York (seit 2001), Paris (seit
2001), Moskau (seit 2002), Karatschi (seit 2005), Tokio (seit 2006), Peking (seit 2006), Zagreb
(seit 2009).
Das Gebäude der City Hall weist eine ungewöhnliche knollenartige Form auf. Die Absicht dahinter ist, die Oberfläche des Gebäudes zu verringern und die Energieeffizienz zu erhöhen. Fosters
Vision für dieses Gebäude war ursprünglich eine riesige Sphäre gewesen, die über der Themse
schwebt, doch er entschied sich dann für eine etwas konventionellere Bauweise. Die City Hall
145
wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Schiffswerft errichtet. Sie ist Teil eines größeren Stadtentwicklungsgebiets, durch eine Art im Boden ausgehobenes »Amphitheater« von gewöhnlichen
Bürohochhäusern ein wenig weiter westlich getrennt. Das Gebäude gehört nicht der Greater
London Authority selbst, wurde jedoch für 25 Jahre an diese verpachtet.
Eine 500 Meter lange Wendeltreppe, ähnlich jener im Solomon-R.-Guggenheim-Museum in New
York, windet sich den Ratssaal hinauf. An der Spitze des zehnstöckigen Gebäudes befindet sich
ein Ausstellungs- und Versammlungssaal namens London's Living Room (Wohnzimmer Londons)
mit einer offenen Aussichtsplattform, die gelegentlich für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Die
Wendeltreppe soll Transparenz symbolisieren, ähnlich wie in der von Foster entworfenen Glaskuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin.
Gleich im Nordwesten der City Hall, auf Höhe des am Nordufer der Themse gelegenen Tower
Millennium Piers, liegt die HMS Belfast vor Anker, ein Kriegsschiff von 1939. Es hatte damals
die Kennung C35 und war der größte Leichte Kreuzer der Royal Navy im Zweiten Weltkrieg. Im
Jahr 1965 wurde die HMS Belfast außer Dienst gestellt und 1971 zu einem Marinemuseum umgebaut. Heute gehört das Schiff dem britischen Imperial War Museum und kann auch als Veranstaltungsort gebucht werden. Seit ihrer Umfunktionierung verließ die HMS Belfast ihren Liegeplatz
lediglich zwei Mal für Instandhaltungsarbeiten im Trockendock, zuletzt 1999.
5.17
Southwark Cathedral
Southwark Cathedral oder mit vollem Namen »The Cathedral and Collegiate Church of St Saviour and St Mary Overie« heißt die am südlichen Ufer der Themse im Londoner Stadtteil
Southwark befindliche anglikanische Kathedrale. Die Kirche zählt zu den prächtigsten gotischen
Bauten Londons und birgt ein Denkmal für William Shakespeare.
Das im Stil der Gotik gehaltene Kirchengebäude stammt im Wesentlichen aus der Zeit von 1220
bis 1420, als Bischofskirche gilt sie erst seit 1905.
Jedoch bereits im Domesday Book aus 1086 findet sich ein Hinweis auf die Kirche, d.h. Teile des
Gotteshauses stammen bereits aus jener Zeit. Dass an dieser Stelle schon im Jahr 606 ein Kloster
bestanden habe, ist aber umstritten. Thomas Becket soll hier wenige Tage vor seiner Ermordung
gepredigt haben.
Die Kirche fiel mehrmals
Bränden zum Opfer, so 1212
und zu Ende des 14. Jahrhunderts. Sie diente als Begräbnisstätte
bekannter
Schriftsteller, wie zum Beispiel von John Gower und
John Fletcher. Vom Kirchturm aus entwarf Wenzel
Hollar seinen Long View of
London aus dem Jahr 1638,
eine bekannte Panoramadarstellung.
Die von Stadthäusern umringte Kathedrale vor der Blackfriars Bridge
146
5.18
Bankside
Östlich des South Bank, nach der Blackfriars Bridge, wird das Südufer der Themse als Bankside
bezeichnet. Es erhielt seinen Namen von einem der mittelalterlichen Dämme, die das Hochwasser der Themse zurück halten sollten.
An der Bankside findet sich die Tate Modern Art Gallery, ein Ableger der Tate Gallery (siehe
2.12). In der Nähe der London Bridge (die erste Brücke westlich der Tower Bridge) befindet sich
der Borough Market.
Außerdem steht hier die Nachbildung des Shakespeare's Globe Theatre, ein Freiluftschauspielhaus, das 1599 entworfen wurde. Für dieses Theater schrieb William Shakespeare viele seiner
größten Stücke. Die Spielzeit
lauft von Mai bis September
mit Produktionen von Shakespeare, seinen Zeitgenossen und von modernen Autoren. Die Shakespeare’s Birthday Celebrations finden anlässlich von Shakespeares Geburtstag am 23. April jedes
Jahr an dem Sonnabend, der
am nachsten am 23. April
liegt, im Globe Theatre statt.
Bühne und Zuschauerbalustraden
des Globe Theatre
5.19
South Bank
Mit dieser Bezeichnung wird das gesamte südliche Ufer von der Blackfriars Bridge im Osten bis
zur Westminster Bridge im Westen genannt – der westliche Teil gehört zu Lambeth, der östliche
zu Southwark. Für den Bereich nach der Blackfriars Bridge in Richtung Osten ist die Bezeichnung Bankside geläufig.
South Bank ist ein wunderschönes Flussufergebiet und einer der kulturellen Anziehungspunkte
Londons, sein zentraler Bereich
findet sich zwischen Waterloo
Bridge (südliches Ende) und Charing Cross Pier (nördliches Ende).
Hinter der Waterloo Station liegt
weiter südlich der erhaltene Teil
der Waterloo area mit seinen historischen Marktstraßen Lower Marsh
und The Cut.
South Bank beherbergt berühmte
Architekturen, Touristenattraktionen, Theater, Veranstaltungsorte
und Designerboutiquen. In der
Gegend gibt es das ganze Jahr über
von freien Veranstaltungen bis zu
Festspielen immer viel zu sehen
South Bank, Cafégäste auf sonniger Freiterrasse
und zu tun. Hier gibt es auch eine
147
fantastische Auswahl an Hotels sowie viele Restaurants und Cafés, die vom feinen Essen mit Aussicht bis zu schnellen Imbissen alle kulinarischen Genüsse bieten.
Das Royal National Theatre der National Theatre Company in South Bank gehört zu den vielen
Zentren des professionellen Theaterschauspiels.
Ein weiteres bekanntes
Theater ist das Coliseum
Theatre, in dem die English
National Opera Company
untergebracht ist. Und dann
steht hier auch noch die Royal Festival Hall, einst aus
dem Festival of Britain von
1951 hervorgegangen und
heute Teil des Southbank
Centre, einem Gebäudekomplex für Kunst. Das Londoner King's College unterhält
im Centre einen Campus.
Der umfriedete Bereich neJugendliche am Skateboardpark
ben der Queen Elizabeth Hall wurde von den
Skateboardfahrern unter Beschlag genommen,
dort sind ständig regelrechte Artisten auf dem
Brett zu sehen.
Gleich neben dem National Theatre befindet sich der auffällige weiße Turm des ehemaligen London Weekend Television (LWT), wo viele Filmsendungen produziert wurden. Auch Carlton Television und GMTV haben hier gedreht. Das Gebäude beherbergt heute die London Studios, die
primären Studios der Sendeanstalt ITV. Am östlichen Ende der Studios befindet sich Gabriel's
Wharf. Einst ein Industriegebiet im Besitz der Brauerei Younger's, so wurde es häufig in den
Dienst der Fernsehstudios gegeben und stellte die Kulisse für zahlreiche Szenen in einem Kaufladen, Bistro oder ähnlichem. Das kommt nicht von ungefähr, lockt Gabriel's Wharf doch mit einem Kunstgewerbemarkt und schönen Cafés. Ein Teil davon ist jedoch mittlerweile ganz von den
London Studios einverleibt worden.
Weiterhin erwähnenswert sind die Jubilee Gardens, eine schön angelegte Freifläche kurz vor der
County Hall.
5.20
London Eye und County Hall
Nahe der Westminster Bridge – etwa hundert
Meter nördlich –, steht in South Bank das
Riesenrad London Eye. Sein höchster Punkt
liegt bei 135,36 Metern und damit war es bis
Anfang 2006 das höchste Riesenrad der Welt.
Sie sollte bereits zu Neujahr 2000 fertig gestellt sein, auf Grund von Sicherheitsmängeln wurde die Eröffnung jedoch um einige
Wochen verschoben.
Die gläsernen Kapselkabinen des London
Eye bieten einen überwältigenden
Ausblick über die Metropole
148
Das London Eye besitzt 32 Kapseln, die fast vollständig aus Glas sind und in denen jeweils bis zu
25 Personen Platz finden. Das Rad dreht sich mit einer Geschwindigkeit von 0,26 m/s (nicht mal
ganz ein Kilometer in der Stunde) und braucht für eine Umdrehung eine halbe Stunde. Wenn die
Sicht gut ist, dann ist vom Riesenrad aus sogar das Schloss Windsor sichtbar, also ca. 40 km weit.
Drehachse und Stutzen des London Eye wurden übrigens von der tschechischen Maschinenbaufirma Škoda gefertigt.
Gleich beim London Eye steht die County Hall. Hier hatten die Vorgängerorganisationen der
Greater London Authority ihren Sitz. Dieses Gebäude kann heute aber nicht mehr für Verwaltungszwecke verwendet werden und so wurde es umgebaut und anderen Zwecken zugeführt, unter anderem finden ein Luxushotel und ein Aquarium hier Obdach. Auch eine bemerkenswerte
Gemäldesammlung mit Werken von Dali, Picasso und dem zeigenössischen Künster Nasser
Azam ist hier zu sehen.
Das Riesenrad London Eye vor der County Hall
149
6
East End
Das East End ist der Bereich, der direkt im Osten an die City of London angrenzt. Das sind also
die Bezirke östlich des mittelalterlichen Stadtkerns und nördlich der Themse, heute im wesentlichen die Stadtteile Tower Hamlets und der südliche Teil von Hackney.
Bereits im Mittelalter wies man ungeliebten Handwerksberufe, die die Luft und das Wasser
schlecht machten – wie Bierbrauer, Gerber, Bleicher und Essigmacher –, Platz zur Ausübung ihrer Tätigkeit im Osten außerhalb der
City an. Das spätere East End entstand Mitte des 18. Jh.s als Ansammlung durchaus prosperierender Fabrikbezirke (v.a. Textilverarbeitung) im
Hinterland des Londoner Hafens (z.B.
waren Wapping oder Limehouse Hafenviertel, Stepney, Poplar oder Whitechapel gruppierten sich um diverse
Fabriken). Als hundert Jahre später,
um 1820, Englands Bevölkerungsexplosion losbrach, lockte die Hoffnung
auf Arbeit Hunderttausende Menschen in Stadtviertel, die diesen Andrang gar nicht aufnehmen konnten.
oben: Kanäle und anliegende
Überbevölkerung war die Folge. Diese Gegebenheiten
Wohnhäuser in Wapping
hatten auch eine starke Luftverschmutzung durch Ab-
links: Markt an der Petticoat Lane
unten links: Dennis Sever's House
gase (Heizung, Industrie usw.) zur Folge, die wegen der vorherrschenden
Westwindlage hier besonders spürbar
war – die Gegend zeichnete sich für
häufigen Smog aus. Fast zur gleichen
Zeit geriet zudem die Wirtschaft des
East Ends in eine schwere Krise, da
viele Fabriken dem technischen Fortschritt der großen Fabriken Nordenglands nicht folgen konnten (»Hinterhof-Industrie«) und schließen mussten.
Außerdem wanderten die neuen Hafenanlagen immer weiter flussabwärts
und zogen Jobs aus dem alten Hafen
ab. Um 1850 verkamen viele Stadtviertel im East End zum Armenviertel
und blieben das auch lange Zeit. Das
East End ist dadurch ein Synonym für
die Wohngegend der Arbeiter und sozial schwächeren Klassen. In den letzten Jahren ist aber in dem Teil des East
150
End, der von den Docklands eingenommen wird, eine starke Verbesserung zu erkennen. Die
Docklands sind auch das Gebiet im East End, das durchaus lohnende Ziele für den Touristen
aufweist.
Am allerbesten lernt man das East End mit einem Spaziergang über die Straßenmärkte kennen.
Vor allem am Sonntag ist dies ein echtes Erlebnis, die Sonntagsmärkte in der Petticoat Lane und
Brick Lane im East End bieten fast alles vom Obst und Gemüse bis zu Antiquitaten und
Schmuck.
Interessant ist auch Dennis Severs' House in der Folgate Street 18, ein georgianisches Reihenhaus
im Viertel Spitalfields. Dennis Severs lebte dort von 1979 bis 1999 und die Räume in verschiedenen Stilen vom 17. bis 19. Jh. einrichtete. Das Haus ist jetzt der Öffentlichkeit zugänglich und
wenn man das Haus betritt, so hat man das Gefühl, durch eine Zeitmaschine gekommen zu sein.
6.1
Docklands
Offiziell gibt es sie nicht, aber die Bezeichnung »Docklands« ist ein fest stehender Begriff für jeden Londoner. Es ist sozusagen der halboffizielle Name eines Viertels, das sich aus Teilen der
Stadtbezirke Southwark, Tower Hamlets, Newham, Lewisham und Greenwich zusammensetzt.
Den Namen hat die Gegend von einer Reihe von ehemaligen Dock- und Schiffswerft-Komplexen entlang der Themse. Von West nach Ost sind dies: St. Katharine Docks (Wapping), London
Docks (Wapping), Limehouse Basin (Limehouse), Surrey Commercial Docks (heute Surrey Quays, Rotherhithe), West India Docks und Millwall Dock (Isle of Dogs), East India Docks (Canning
Town), Royal Docks (Royal Victoria Dock, Royal Albert Dock, King George V. Dock). Die
Docks waren früher Teil des Hafens von London, einst der größte Hafen der Welt.
Ein weiteres Dockgelände befindet sich
weiter flussabwärts in
Tilbury, wird jedoch
nicht zu den Docklands gezählt.
Royal Victoria Docks
Zur Zeit der Römer
sowie im Mittelalter
legten die Schiffe an
kleinen Docks an, entweder in der City of
London
oder
in
Southwark; eine Gegend, die heute als Pool
of London bezeichnet wird. Das größte Problem war, dass es keinen Schutz vor Naturgewalten
und Dieben gab. Dazu kam, dass enormer Platzmangel an der Kaiseite herrschte. Deshalb wurde
1696 erstmals weiter flussabwärts ein Dock gebaut. Das Howland Great Dock (später Greenland
Dock) in Rotherhithe bildete das Kernstück der späteren Surrey Commercial Docks. Dieser neue
Hafen bot nun großen, sicheren und geschützten Platz für 120 Schiffe. Er war sofort ein großer
kommerzieller Erfolg und bildete die Vorlage für spätere Erweiterungen, die 1921 mit dem KingGeorge-V.-Dock abgeschlossen wurde.
151
Es gab drei verschiedene Arten von Docks. In den Nassdocks ankerten die Schiffe und wurden
be- und entladen. In bedeutend kleineren Trockendocks wurden einzelne Schiffe repariert. Schiffe wurden in Werften am Flussufer gebaut. Die Docks waren von unzähligen Lagerhäusern, Piers
und Anlegestellen umgeben. Mit der Zeit spezialisierten sich einzelne Docks auf bestimmte Waren: In den Surrey Docks wurde z.B. Holz umgeschlagen, in Millwall Getreide, in St. Katherine's
Wolle, Zucker und Kautschuk.
Für die Docks wurde eine riesige Anzahl von Arbeitern benötigt. Einige waren hoch spezialisiert,
die meisten jedoch hatten nicht einmal eine Schulbildung. Sie mussten sich jeden Morgen an bestimmten Orten einfinden (meistens Pubs), wo Vorarbeiter sie mehr oder weniger nach dem Zufallsprinzip auswählten. Es war für diese Arbeiter jeden Tag eine Lotterie, ob sie überhaupt arbeiten und Geld verdienen konnten. Diese Art der Beschäftigung hielt sich bis 1965, auch wenn sie
1947 per Gesetz in einigermaßen geregelte Bahnen gelenkt wurde.
Der Großteil der Docklands entstand in sumpfigem und dünn besiedeltem Gelände, das für die
Landwirtschaft ungeeignet war. Die Dockarbeiter bildeten zahlreiche eng verflochtene lokale Gemeinschaften; jede hatte ihre eigenständige Kultur und einen eigenen Slang. Diese Gemeinschaften lebten weit abseits des Stadtzentrums und tendierten dazu, sich zu isolieren. Der Lokalpatriotismus war so weit entwickelt, dass zum Beispiel 1920 die Bewohner der Isle of Dogs die beiden
einzigen Ausfallstraßen blockierten und sich für unabhängig erklärten.
Die Docks waren ursprünglich von einer Anzahl sich konkurrierender Privatunternehmen gebaut
und betrieben worden. 1909 wurde aber die Hafenbehörde Port of London Authority (PLA) eingerichtet. Sie übernahm die Privatunternehmen, um den Hafenbetrieb effizienter zu gestalten und
die Beziehung zu den »Dockers« zu verbessern.
Die Bombardierungen durch die deutsche Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg verursachten riesige
Schäden. Viele Docks waren nach Kriegsende nicht passierbar. Dennoch erlebten die Docklands
in den 1950er Jahren eine Phase des zunehmenden Wohlstands. Das Ende kam plötzlich, zwischen 1960 und 1970, als Containerschiffe in großem Stil eingeführt wurden. Die Londoner
Docks waren auf einmal viel zu klein, um die größer gewordenen Schiffe überhaupt abfertigen zu
können. Die gesamte Hafenindustrie zog weiter flussabwärts zu den Hochseehäfen in Tilbury
und Felixstowe. Zwischen 1960 und 1980 wurden sämtliche Docks in London geschlossen. Die
Arbeitslosenquote war hoch, die Gegend verarmte, die Gebäude verfielen.
Ideen, die Docks für neue Zwecke umzunutzen, gab es jeweils fast sofort nach deren Schließung.
Es dauerte jedoch rund zwei Jahrzehnte, bis die ersten Maßnahmen in die Tat umgesetzt wurden.
Die Situation wurde durch die große Anzahl an Landbesitzern verkompliziert, die alle ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten. Um dieses Problem zu lösen, bildete Umweltminister Michael Heseltine im Jahr 1981 die London Docklands Development Corporation (LDDC); eine Behörde, die
direkt der Regierung unterstellt war, beliebig Land kaufen und verkaufen konnte und die Rolle als
zentrale Planungsinstanz übernahm. Eine weitere wichtige Maßnahme war 1982 die Schaffung einer Spezialzone auf der Isle of Dogs, wo Unternehmen von der Grundstückssteuer befreit waren
und von vereinfachten Bewilligungsverfahren profitierten. Dies machte Investitionen in den
Docklands äußerst attraktiv und war der Auslöser eines Immobilienbooms.
Die LDDC war umstritten, da sie nicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einging. Man warf
ihr vor, sie konzentriere sich ausschließlich auf elitäre Stadtentwicklungsprojekte, anstatt sich
auch um bezahlbaren Wohnraum zu kümmern. Dennoch wäre die Umwandlung ohne die LDDC
nie so schnell voran geschritten. Unter der Führung der LDDC wurden in den 1980er und
1990er Jahren weite Gebiete der Docklands in Wohn- und Geschäftszonen umgewandelt. Das
Kernstück des Umwandlungsprozesses war ohne Zweifel die Canary Wharf. Die LDDC wurde
1998 aufgelöst, als die Stadtbezirke wieder die volle Kontrolle über ihr eigenes Gebiet erhielten.
Die Infrastruktur wurde mit der Schaffung der Docklands Light Railway (1987), der Eröffnung
des Flughafens London City (1987) auf dem Gelände der Royal Docks in Newham und dem Anschluss der Docklands an das Underground-Netz (1999) ebenfalls sehr gut ausgbaut, was eine
wesentliche Verbesserung der Immobilienkonjunktur ab den 1990er Jahren nach sich zog.
152
Die Einwohnerzahl hatte sich in
den zwanzig Jahren nach Beginn der Neuerschließung mehr
als verdoppelt. Die Docklands
haben sich zu einem Geschäftszentrum und zu einer exklusiven Wohnlage entwickelt. Nicht
alle alten Lagerhäuser und
Werften wurden abgerissen,
sondern wurden in Appartementhäuser und Einkaufszentren umgewandelt. Die ehemaligen Docks werden als Yachthäfen oder Wassersportzentren
verwendet.
Die Umwandlung der Docklands hatte nicht nur positive
Ein Frachtschiff hat am Kai vor den himmelwärts
Aspekte. Der steile Anstieg der
strebenden modernen Hochhäusern angelegt
Preise während des Immobilienbooms führte zu Spannungen
zwischen den Neuankömmlingen und der alteingesessenen Dockarbeiter-Bevölkerung, die sich immer mehr an den Rand gedrängt fühlt. An vielen Orten ist ein scharfer Kontrast zu beobachten, teure Luxus-Appartements
stehen gleich neben heruntergekommenen Sozialwohnungen.
6.2
St. Katherine Docks
Die St. Katharine Docks – sie gehören zum London Borough of Tower Hamlets – waren einer
der Handelshäfen Londons am Nordufer der Themse gleich unterhalb von Tower und Tower
Bridge, ein kleines Stück östlich der Brücke.
Die St. Katharine Docks wurden nach dem ehemaligen Krankenhaus St. Katharine’s by the
Tower benannt, das im 12. Jh. entstand und an deren Stelle stand. Ein dicht bebautes Gebiet von
9,5 ha wurde per Parlamentsbeschluss von 1825 für die Nutzungsänderung reserviert; die Arbeiten begannen im Mai 1827. Etwa 1250 Häuser und das mittelalterliche Krankenhaus St. Katharine’s wurden abgebrochen. 11 300 Bewohner, meistens Hafenarbeiter, die beengt in ungesunden
Slums lebten, verloren dabei ihr Zuhause. Nur die Grundeigentümer erhielten eine Entschädigung. Die Arbeiten wurden von Bauingenieur Thomas Telford geplant; es war sein einziges
großes Projekt in London. Um so viele Ankerplätze wie möglich zu schaffen, wurden die Hafenanlagen in Form zweier verbundener Bassins (Ost und West) geplant, die beide eine Zufahrtsschleuse von der Themse aus erhielten. Von James Watt und Matthew Boulton gebaute Dampfmaschinen sorgten für einen Wasserstand in den Bassins, der ca. 1 m über dem des Gezeitenflusses lag.
Telfords Ziel war es, die Hafenarbeiten so gering wie möglich zu halten, und so plante er die Lagerhäuser direkt an den Kais, damit die Güter von den Schiffen direkt in die Lagerhäuser geschafft werden konnten, die von Architekt Philip Hardwick entworfen wurden.
Die Hafenanlagen wurden am 25. Oktober 1828 offiziell eröffnet. Obwohl sie häufig genutzt
wurden, war ihnen kein großer wirtschaftlicher Erfolg beschieden, da in ihnen keine großen
Schiffe ankern konnten. 1864 wurden sie mit den London Docks zusammengelegt. 1909 übernahm die Port of London Authority die Verwaltung fast aller Hafenanlagen an der Themse, auch
die von St. Katharine.
153
Während des Zweiten Weltkrieges wurden die St. Katharine Docks durch deutsche Bomben
schwer beschädigt und nie wieder vollständig aufgebaut. Wegen ihrer sehr beschränkten Aufnahmefähigkeit, insbesondere für große, moderne Schiffe gehörten sie zu den ersten Hafenanlagen,
die 1968 geschlossen wurden. Die meisten der ursprünglichen Lagerhäuser wurden abgebrochen
und in den 1970er Jahren durch moderne Geschäftshäuser ersetzt. Die Hafenanlagen selbst wurden Yachthäfen.
Auf dem Gelände stehen jetzt
Geschäftshäuser, öffentliche Gebäude und private Wohnhäuser,
ein großes Hotel, Ladengeschäfte
und Restaurants und ein Pub
(das Dickens Inn, eine frühere
Brauerei aus dem 18. Jahrhundert). Es wurden ein Yachthafen
und ein Erholungsgebiet angelegt. Heute ist die Gegend der St.
Katherine Docks ein beliebtes
Vergnügungsviertel.
Das östliche Hafenbecken wird
Yachten vor den erleuchteten Lokalen am
vom City Quay-Wohnkomplex
abendlich-romantischen St. Katherine's Pier
beherrscht, in dem es über 200
Luxusappartements mit Blick auf
den Yachthafen gibt. Der südliche Teil des östlichen Hafenbeckens ist vom South Quay Estate –
ursprünglich eine Sozialsiedlung – umgeben.
Der St. Katherine Pier liegt in der Nähe der St. Katherine Docks und dient als Anlegestelle für
die Schiffe der London River Services. Zu den wichtigsten Verbindungen zählt eine Flussrundfahrt der Crown River Cruises, die ohne Zwischenhalt zum Westminster Millennium Pier und zurück mit Zwischenhalt an der Kunsthalle der South Bank fährt, sowie eine Schnellverbindung
Westminster-Greenwich der Thames River Services bietet.
6.3
Canary Wharf
Auf den Isle of Dogs (Tower Hamlets) ist das Gelände der Canary Wharf am One Canada Square (Canada Square Nr.1). Mit einer Höhe von 236 Metern und 50 Stockwerken ist es das höchste
bewohnbare Gebäude in Großbritannien (der Fernsehturm Emley Moor, das höchste freistehende Bauwerk Großbritanniens bei Huddersfield, ist 330 Meter hoch).
Der im Jahr 1991 vollendete Wolkenkratzer wurde nach Kanada benannt, weil er von der kanadischen Firma Olympia and York gebaut worden war. Architekt war Cesar Pelli. Es gibt keine Aussichtsplattform und die oberen Stockwerke des Gebäudes sind für Touristen allgemein nicht zugänglich, allerdings befindet sich im Untergeschoss ein Einkaufszentrum. Das kanadische Unternehmen ging 1992 bankrott, als die Immobilienpreise abrupt sanken und sich große Teile der
neuen Geschäftsbauten als zunächst unvermietbar erwiesen, was sich später aber änderte.
Das Gebaude wird flankiert von zwei weiteren Wolkenkratzern, die zehn Jahre später entstanden
und jeweils 200 Meter hoch sind: HSBC Tower (8 Canada Square) und Citigroup Centre (25 Canada Square).
Canary Wharf steht in Konkurrenz zum historisch gewachsenen Finanzzentrum in der City of
London. Zu den Unternehmen, die sich in Canary Wharf niedergelassen haben, gehören Finanzinstitute wie Credit Suisse, HSBC, Citigroup, Morgan Stanley, Bank of America und Barclays
Bank. Auch bedeutende Medienunternehmen haben hier ihre Hauptsitze, darunter The Daily Telegraph, The Independent, Reuters und The Daily Mirror. Ebenfalls hier vertreten sind der Euro154
pa-Hauptsitz von Texaco, der Hauptsitz von Clifford Chance, eine der weltweit größten Anwaltssozietäten, und die britische Finanzaufsicht FSA.
Zu Beginn des Jahres betrug die offizielle Zahl der hier arbeitenden Angestellten 78 000, wovon
25 Prozent in den fünf umliegenden Stadtbezirken leben. Canary Wharf entwickelt sich auch immer mehr zu einem teuren und exklusiven Einkaufsviertel, insbesondere nach der Eröffnung des
Jubilee-Place-Einkaufszentrums im Jahr 2004. Es gibt über 200 Läden mit mehr als 4500 Verkaufsangestellten. Jede Woche gehen rund 500 000 Personen hierhin zum Einkaufen.
Vom Canary Wharf Pier aus stellen Schiffe auf
der Themse Verbindungen in Richtung Innenstadt
her; die Thames Clipper verkehren unter der Woche alle 20 Minuten. Daneben gibt es die Anbindung an die Docklands Light Railway und mit dem
Baubeginn der Jubilee Line des U-Bahn-Netzes
entstand ein wichtiges Ereignis für die Wiederbelebung des Projekts Canary Wharf nach der Pleite
der kanadischen Firma Olympia and York. Von da
an betrachteten Unternehmen das Gebiet zunehmend als Alternative zu den traditionellen Geschäftszentren. Die zunehmende Nachfrage führte
nicht nur zur Fertigstellung der noch nicht begonnenen Bauphasen, es wurden auch zusätzliche
Projekte verwirklicht. Im März 2004 wurde die
Betriebsgesellschaft Canary Wharf Group plc durch
ein Konsortium von Investoren übernommen, das
den Namen Songbird trägt und von Morgan Stanley
angeführt wird.
Im Februar 1996 explodierte in der Nähe von
Canary Wharf, an der Station South Quay der
Docklands Light Railway eine Autobombe der IRA.
Es entstand dabei ein Sachschaden von 85 Millionen Pfund.
6.4
Canada Square Nr. 1: Canada Tower,
flankiert vom HSBC-Tower und
dem Turm des Citygroup Centre
Thames Barrier
Die Thames Barrier auf der Themse im Stadtteil Woolwich ist das größte bewegliche Flutschutzwehr der Welt. Die Planungen für das Bauwerk begannen nach einer schweren Sturmflut im Jahre 1953, bei der 307
Menschen ums Leben kamen.
1974 wurde mit dem Bau begonnen, die Einweihung erfolgte am 8. Mai 1984 durch Konigin Elizabeth II.
Das Sperrwerk besteht aus zehn
schwenkbaren Toren. Um den
Schiffsverkehr nicht zu behindern, sind sie im offenen Zustand auf den Boden der
155
Thames Barrier
Themse abgesenkt. Schiffe mit bis zu 16 Metern Tiefgang können dann problemlos das Sperrwerk passieren. Die vier mittleren Tore, durch die der Schiffsverkehr läuft, sind je 60 Meter breit,
10 ½ Meter hoch und wiegen je 1500 Tonnen. Das gesamte Bauwerk hat eine Länge von 523
Metern. Droht eine Sturmflut, können die Tore innerhalb von 15 Minuten geschlossen werden.
Im Januar 2001 ist der Thames Barrier Park fertiggestellt worden; die Anlage entstand neben den
Stauwerken auf alten Dockanlagen.
6.5
Tower Hamlets
Der Name des London Borough of Tower Hamlets bezieht sich auf die Weiler (hamlets), die östlich der City of London nahe dem Tower lagen. Die Bevölkerung der Weiler war früher verpflichtet, die Wachen (yeomen) des Towers zu stellen.
Tower Hamlets besteht seit der Gründung von Greater London im Jahr 1965 aus den Stadtteilen
Bethnal Green, Poplar und Stepney der ehemaligen County of London. In diesem Bezirk befindet sich der größte Teil des ehemaligen Hafengebiets Docklands, inklusive der West India Docks
und der Canary Wharf.
In Tower Hamlets leben prozentual die meisten Einwanderer aus Indien, Pakistan und Bangladesch. Die Bevölkerung des
Stadtbezirks setzt sich wie folgt
zusammen: 51,4 % Weise, 36,6
% Südasiaten, 6,5 % Schwarze
und 1,8 % Chinesen. Partnerschaften unterhält der Stadtbezirk mit Offenbach am Main
und Modling. Tower Hamlets
bildet den Hauptteil des Londoner East End und man
könnte sagen, dass hier viele
Sozialer Brennpunkt: Locton Estate
Einladender Pub »The Resolute«
in der Poplar High Street
Armenviertel schon traditionell
zu Hause waren und auch heute noch sind, aber es ist natürlich lange nicht mehr so
schlimm wie gut hundert Jahre
zuvor, es gibt auch richtig schöne Plätze und Lokale zum Verweilen. Im Borough Tower
Hamlets befindet sich auch das
Viertel Whitechapel (siehe 6.6),
wo bis auf einen alle Morde
begangen wurden, die »Jack the
Ripper« zugeschrieben werden.
Im Viertel Bethnal Green sollte
man unbedingt das Museum of
Childhood besuchen. Es ist ein
156
Spielzeugmuseum, in dem man sich wieder ganz als Kind fühlen kann, zahlreiche
alte Puppenhäuser zeugen von dem liebevollen Schaffen ihrer Schöpfer.
links: St. John in Bethnal Green
unten links: Museum of Childhood, Kinderzimmer
in Betty Pinney's House
rechts unten: Tower Hamlet, Old Nichol Street
6.6
Whitechapel
Wahrscheinlich ist dieses Stadviertel eine der berühmtesten Elendsviertel der Welt, zumindest war
es ein Schmelztiegel aller möglichen Personen der untersten sozialen Schicht in der viktorianischen Zeit. Whitechapel ist das Zentrum des sogenannten East End, dem traditionellen Arbeiterviertel Londons. Allerdings haben sich auch sehr viele Künstler in Whitechapel niedergelassen.
Das ist auch heute noch so, vor allem Musiker, Maler, Schriftsteller, Goldschmiede, Uhrmacher
oder Instrumentenbauer lassen sich hier nieder, genauso wie zahlreiche Studenten. Schon Charles
Dickens durchstreifte die Straßen und Gassen des Viertels, Marx und Engels stellten in der hiesigen Bibliothek Nachforschungen an.
Aber schon im im frühen 18. Jh. zog es hier viele Emigranten her, französische Hugenotten bauten mit dem Erlös aus ihrem Handel mit Seide herrliche, geräumige Wohnhäuser. Damals war die
Gegend noch weit besser gestellt. Die Produktion von Kleidung hat auch heute noch Bestand,
alllerdings nicht mehr im qualitativ hochwertigen Bereich; Whitechapel ist ein britisches Zentrum
von billiger Textilherstellung aller Art. Diese Läden gehören zumeist Indern, die nur einen geringen Lohn an illegale Einwanderer aus ihrer Heimat zahlen. Die Statistik belegt den nach wie vor
schlechten sozialen Standard des Viertels: hier gibt es die meisten Arbeitslosen, die niedrigsten
Löhne, die gefährlichsten Arbeitsplätze und die schlechtesten Wohnbedingungen in ganz England. Das mag auf den Besucher abschreckend wirken, aber es gibt viel zu entdecken und zu erleben.
157
So findet sich in der Whitechapel Highstreet das Blooms, Britanniens beliebtestes koscheres Restaurant. Einige Meter hinter dem Lokal liegt die Angel Alley, eine der typischen schmalen Gässchen, in dem sich auch der anarchistische Verlag Freedom Press befindet. Er ist durchaus einen Abstecher wert.
Die Whitechapel Art Gallery gilt als eine der angesehensten Gallerien zeitgenössischer und moderner Kunst. Große Maler wie Picasso stellten hier bereits aus. Wer eher dem Alten zugeneigt
ist, der sollte die St.-Mary-Kirche besichtigen, die im 13. Jh. errichtet worden ist. Sie ist sozusagen
Wahrzeichen und Namenspatron des Viertels, eben eine weiße Kirche. Das Grab des Henkers
von König Karl I., Richard Brandon, ist hier zu finden.
An der Ecke der Fieldgate
Street steht die Whitechapel-Glockengießerei, die seit nahezu vierhundert Jahren besteht. Und sie hat berühmte Erzeugnisse hervorgebracht: Die
Glocken des Big Ben und die
amerikanische Liberty Bell wurden hier hergestellt. Die Gebäude darum herum sind hervorragende Zeugnisse der georgianischen Bauweise des späten 16.
und frühen 17. Jh.s.
Der hohe Anteil an Ausländern
– besonders Bengalen, Sihks
und Pakistanis – ist auch an der
East London Moschee erkennWhitechapel-Glockengießerei, wo Big Ben hergestellt wurde
bar, deren Minarett über der
goldenen Kuppel weithin sichtDas Booth House an der Ecke Davenant Street
bar ist. Am Ramadan und anderen islamischen Feiertagen ist
die Fieldgate Street von zahlreichen Muslimen gesäumt. Fünfzig Meter weiter ist Vine Court,
eine charakteristische kleine
Gasse mit viktorianischen Häusern, in der sich auch das empfehlenswerte Royal Oak Pub befindet.
An der Whitechapel Road stehen mit dem Victorian Home for
Men und dem Booth House zwei
typische englische Armenhäuser
der Heilsarmee aus dem Jahr
1865. Ein weiteres Armenhaus,
das Tower House, steht nur
fünfzig Meter hinter der East
London Moschee und bietet Platz für 700 Männer. Historische Bedeutung erlangte es 1907, als
hier der fünfte Kongress der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (u.a. mit Lenin,
Trotzki, Gorki und Stalin) tagte. Des Weiteren ist die Whitechapel Road bekannt für ihren Straßenmarkt, der außer sonntags und donnerstags an jedem Tag der Woche statt findet. Am Samstag
stehen die meisten Stände und es herrscht reger Betrieb, es gibt viel zu entdecken, Alltägliches
und Kurioses. Wer Qualität sucht, wird aber zumeist enttäuscht – es ist vielmehr Billigware zu er158
stehen. Aber hin und wieder ist auch ein Souvenir oder eine Rarität dabei, die man sonst kaum
bekommt. Wer am Sonntag auf den Markt will, der muss am Sonntagmorgen zur Brick Lane, wo
fliegende Händler ein variables Angebot vorrätig haben.
Ein abendlicher Besuch im Wirtshaus The Queens Head dürfte interessant sein. Es liegt zwischen
zahlreichen, winzigen Läden, Speiselokalen und Cafés, die oft indische Waren und Spezialitäten
anbieten, ist aber doch durch und durch englisch. Oft versüßt ein Akkordeonspieler mit alten Balladen und Weisen den Genuss des dargebotenen Lagerbieres oder eines Ale.
Im London Hospital, das 1754 eröffnet wurde,
fristete der berühmte Elephant Man John Merrick
seine Existenz, wenn er nicht als Attraktion auf
dem Jahrmarkt der Öffentlichkeit preis gegeben
wurde.
Am berühmtesten ist Whitechapel sicherlich für
seine dunkelste und furchtbarste Gestalt: Jack
the Ripper. In der schmalen Gasse Woods Buildings, in der Nähe der U-Bahn-Station Aldgate
East, wurde am 31. August 1888 sein zweites
Opfer gefunden, die Prostituierte Ann Nichols.
»The Ten Bells«, wo die Opfer Jack the Rippers verkehrten,
steht auch heute noch
Im Keller des »Ten Bells« schmücken Nachdrucke
der damaligen Zeitungsmeldungen über
die »Whitechapel Murders« die Wände
159
7
Interessante Viertel
Ein kleiner Abstecher in die umliegenden Viertel außerhalb des Stadtzentrums von London lohnt
durchaus. Viele sehenswerte und idyllische Plätze gilt es zu entdecken und manche Kuriosität ist
auch dabei. Die nachfolgenden Viertel – vielleicht eine Sammlung der interessantesten – beginnen im Südwesten Londons und spannen ein Bogen über die nördlichen Gebiete bis hin zum
Südosten.
7.1
Richmond Park und Kew Gardens
Das hübsche Viertel Richmond bekam seinen Namen von einem Palast, den Heinrich VII. (ehemaliger Earl of Richmond in Yorkshire) 1500 A.D. errichten ließ und dessen Ruinen zu besichtigen sind.
Nicht weit von dort pflegten die Könige Edward I. oder Charles I. im weitläufigen Richmond
Park auf die Jagd zu gehen. Heute verkehren im Sommer Boote vom Westminster Pier die Themse herab zu diesem beliebten
Tagesausflugsziel vor den
Toren der Großstadt. Richmond Park ist mit einer Fläche von 10 km² der größte
königliche Park Londons
und der größte ummauerte
Park Europas in einem städtischen Gebiet, wo sogar immer noch Rotwild durchs
Unterholz zieht. Hauptattraktion sind eine Herde mit
650 Wapitis und Damhirschen, die freien Auslauf haDamwild im Richmond Park
ben, sowie die Isabella Plantation, ein Gebiet mit
zahlreichen seltenen Pflanzenarten.
Der Adel blieb dem Ort auch treu, nachdem
der Hof gegangen war, und einige grandiose Landsitze sind noch erhalten. Die palladianische Villa Marble Hill House ließt George II. 1729 für seine Mätresse errichten. Sie ist prachtvoll restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich. Das stattliche Ham House (1610) am anderen Themseufer erlebte seine Blütezeit, als es die Lauderdales als Hauptwohnsitz wählten. Die Countess of
Lauderdale erbte das Anwesen von ihrem Vater, dem »Prügelknaben« Charles' I., der jedesmal
Schläge einstecken musste, wenn sich der zukünftige König schlecht benahm. Als Entschädigung
erhielt er die Peerswürde (siehe 2.8 Houses of Parliament) und das Ham House. Das Syon House etwas weiter nördlich war mehr als 400 Jahre lang Wohnsitz der Dukes und Earls of Northumberland. Zu den Hauptattraktionen hier zählen ein Schmetterlingshaus, ein Oldtimer-Museum und
ein faszinierendes Gewächshaus aus dem Jahre 1830. Die prächtige neoklassizistische Innenausstattung stellte Robert Adem in den 1760er Jahren zusammen.
Die Royal Botanic Gardens (Kew Gardens) befindeen sich ein kleines Stück nördlich vom Richmond Park im Süden des Viertels Kew. Die Anlage gehört zu den eindrucksvollsten und ältesten
botanischen Gärten der Welt. Es sind dort Pflanzen und Gewächse zu sehen, die nirgends sonst
in Europa oder gar auf der nördlichen Halbkugel zugänglich wären. Neben den weltbekannten
viktorianischen Treibhäusern finden sich in Kew Gardens auch große Parkanlage mit sehr alten
Rhododendrongewächsen und einer umfassenden Sammlung an anderen Pflanzen. Tempelbauten, Denkmäler und ein künstlicher See ergänzen diese weltweit umfassendste Anlage ihrer Art.
160
2003 wurden die Royal Botanic Gardens von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Die Besucherzahlen liegen heute bei ca. einer Million im Jahr. Ein kleiner Nachteil ist
jedoch, dass die Gärten direkt in der Einflugschneise des wichtigsten Londoner Flughafens Heathrow liegen.
Schön angelegte Beete und Gewächshäuser
bieten heimische und exotische Pflanzen
7.2
Chiswick
Chiswick ist ein hübscher Vorort Londons, nordöstlich vom Richmond Park im London Borough of Hounslow und auf halber Strecke zwischen dem Zentrum Londons und dem Flughafen London-Heathrow. In Chiswick lebte im 18. Jh. der englische Künstler William Hogarth.
Chiswick bietet ländlichen Charme,
mit etwas Glück kann man zwiRückseite von Chiswick House
schen den malerischen Pubs und
Cottages einen Blick auf Reiher
oder andere Wasservögel erhaschen.
Die meisten Besucher kommen jedoch, um den prächtigen palladianischen Landsitz Chiswick House
zu besuchen, den der 3. Earl of
Burlington Richard Boyle (1695—
1753) im 18. Jh. als Ergänzungsbau
zu seinem größeren Anwesen entwarf, um seine Kunstschätze zu
präsentieren und Gesellschaften zu
geben. Burlington war ein Mäzen –
er förderte z.B. auch Georg Friedrich Händel – und ein Architekturamateur. Er plante seine Villa
161
nach dem Vorbild der Villa Rotonda in Vicenza und verwirklichte sie zwischen 1720 und 1729.
Das Haus war aber für alltägliche Vorrichtungen nicht geeignet, es sie »zu klein um darin zu leben, und zu groß, um es an einer Uhrkette zu hängen«, wie der Zeitgenosse Lord Hervey spottete. Chiswick war eben kein ordinäres Wohnhaus, es war ein architektonisches Statement. Der in
Europa dominierenden Kultur des französischen Absolutismus wollte Burlington etwas entgegensetzen, seine Vorbilder fand er in Italien (Andrea Palladio, Architekt der Villa Rotonda) und
England (Inigo Jones). Chiswick ist auch nur der Anbau an das eigentliche Landhaus, das allerdings bereits 1758 abgerissen wurde.
Der Garten von Chiswick wurde 1715 erstmals angelegt. Nach
Fertigstellung der neuen Villa
1729 wurde eine neue Anlage
mit Hilfe des jungen Malers
William Kent in Angriff genommen. Zusammen studierten
Burlington und Kent antike
Gartenbeschreibungen und bemühten sich um eine Annäherung. Säulen und Skulpturen,
etwa von antiken Dichtern, und
Tempel komplettierten das Bild.
Doch Kent ging weiter: Das
Antikenzitat drückte den Geist
der Freiheit nicht angemessen
aus, seiner Meinung nach müssDer Wasserfall im Garten
ten die symmetrischen Gartenräume aus ihren starren, strengen Formen erlöst werden. Damit formulierte Kent erstmals das Grundprinzip des Englischen Landschaftsgartens und wurde
später zu einem der Vordenker der Gartenrevolution.
1966 filmten die Beatles zwei Musikvideors für Paperback Writer und Rain in den Gartenanlagen.
7.3
Battersea
Wer überschüsssige Energie hat, der kann im Battersea Park auf einem künstlichen See Ruderboot fahren. Der Battersea Park ist
ein 0,83 km² großer Park im gleichnamigen Viertel Battersea (London
Borough of Wandsworth), seine
originale Gestaltung wurde von Sir
James Pennethorne zwischen 1846
und 1864 ausgeführt, obwohl er
schon 1858 eröffnet wurde. Der
Boden besteht aus Marschland,
welches von der Themse gewonnen wurde, ein alter Markt ist auch
noch in der Anlage.
Fußballfeld im Park unter dem Kraftwerk
162
Im Park, den Battersea fields, trafen sich häufig Duellanten, um einen Streit gewaltsam zu schlichten. So duellierten sich einst auch der Duke of Wellington und der Earl of Winchilsea in dieser
Gegend, wobei der Duke an Winchilsea vorbei und Winchilsea in die Luft schoss. Der Duke entschuldigte sich später für den Grund des Duells.
Auch eines der ersten offiziellen Fußballspiele nach heutigen Regeln wurde 1864 im Park abgehalten. Seit den 1860er Jahren war der Battersea Park Heimat eines der führenden Amateurfußballklubs in England, dem Wanderers F.C. Dieser war auch Gewinner des ersten FA Cup 1872.
Diese Mannschaft spielte unter anderem auch gegen den Sheffield F.C. im Park. Es gibt Gerüchte, nach denen sich die Wanderers wieder vereinigen wollen; es ist aber nicht bekannt, ob sie den
Battersea Park wieder als deren Heimatstadion benutzen wollen.
In den 1950er Jahren wurde der Park in die Festival Gardens als Teil des Festival of Britain 1951
umgewandelt. Daher entstammen auch viele der etwas in die Jahre gekommen Metallelemente,
wie Handläufe und Teile der Kinderspielplätze, die nach und nach
modernisiert werden. Auch die damals wie heute sehr populäre »Guinness Uhr« wurde zu dieser
Zeit aufgebaut.
Neben der Veränderung des Parks durch die Festival Gardens wurde der Park auch durch die Einrichtung des Battersea Fun Fair verändert. Hierbei wurden Achterbahnen, Schaukeln und Karusselle zur allgemeinen Familienbelustigung installiert. Die wahrscheinlich spektakulärste Attraktion
war der Big Dipper. Er wurde geschlossen, nachdem fünf Kinder bei einem Unfall 1972 ums Leben kamen, als ein Wagen sich löste und mit einem anderen kollidierte. Das Fehlen dieser Hauptattraktion ließ die Popularität des Parks schwinden und führte zu seiner Schließung im Jahr 1977.
Die verbleibenden Attraktionen wurden demontiert oder an andere Parks verkauft. Der Ort, an
dem früher der Vergnügungspark stand, wurde geebnet und dient heute als Austragungsort für
Wandermessen und Ausstellungen. Aktuell ist es der Veranstaltungsort der Battersea Evolution, früher bekannt als Battersea Park Events Arena.
Der Park beherbergt auch einen kleinen Zoo, einen Teich, der mit Booten befahren werden kann,
einen Orchesterpavillon und verschiedene Freizeit-Sportstätten, wie z.B. Tennisplätze, Laufstrecken, Fußballplätze und Rasenbowling. Auch steht im Park die Friedenspagode, die 1985 während der Amtszeit von Ken Livingstone als Vorsitzender des Greater London Council erbaut
wurde. Eine Replika einer bronzenen Statue eines Hundes, erinnernd an die Brown Dog affair, bei
der ein Hund lebendig seziert wurde, ist seit 1985 aufgestellt.
Zwischen 2002 und 2004 wurde der Park einer elf Millionen Pfund teuren Erneuerung unterzogen, die durch den Heritage Lottery Fund finanziert wurde. Die Wiedereröffnung des Parks wurde
am 4. Juni 2004 durch Prinz Philip vollzogen.
Blick von der Kirtling Street im Osten auf das Kraftwerk
163
Die Battersea Power Station ist ein
Kohlekraftwerk im Stadtteil Wandsworth, das von 1933 bis 1983 in Betrieb war. Das markante und zugleich
umstrittene Wahrzeichen Londons ist
eines der größten Ziegelgebäude Europas und befindet sich am Südufer
der Themse, in der Nähe der Grosvenor Bridge. In letzter Zeit diente das
Kraftwerk als Veranstaltungsort
(Konzerte, Cirque du Soleil). In Ian
McKellens Verfilmung des Shakespeare-Stücks Richard III. dient das
Kraftwerk als surrealistische Interpretation der Schlacht von Bosworth
Field. Das Kraftwerk ist auch auf
Musikalben zahlreicher britischer
Pop- und Rockbands abgebildet.
Mittlerweile hat das Unternehmen Real Estate Opportunities (REO) die Battersea Power Station
und das umgebende Grundstück für einen Kaufpreis von 595 Millionen Euro erworben. REO
ließ verlautbaren, dass alle bisherigen Pläne zur Umgestaltung verworfen wurden und der Architekt Rafael Viñoly mit der Neuplanung betraut wurde.
Die Battersea Bridge ist eine Straßenbrücke über die Themse, die die Stadtteile Chelsea (im Norden) und Battersea (im Süden) verbindet. Sie besteht aus fünf Kragträgerbögen aus Schmiedeeisen und Stahl, die auf Pfeilern aus Granit stehen. Über die Brücke führt die Hauptstraße A3220.
Bis zum 18. Jahrhundert verkehrte an dieser Stelle eine Fähre. Ein im Jahr 1766 vom Parlament
verabschiedetes Gesetz erlaubte den Bau einer mautpflichtigen Brücke, eine Gruppe von fünfzehn Investoren kam für die Baukosten von insgesamt £ 15 000 auf. Die von Henry Holland entworfene Brücke wurde im November 1771 offiziell eröffnet und bestand aus 19 hölzernen Bögen. Die Brücke war bei den Flussschiffern aber nicht sonderlich beliebt, denn die nahe beieinander liegenden Holzbögen erschwerten die Durchfahrt. Oft kenterten Boote und zahlreiche Menschen ertranken. 1795 wurden daher einige Bögen durch das Einsetzen von Eisenträgern auf das
Doppelte verbreitert. Die Brücke wurde 1878 vom Metropolitan Board of Works erworben und von
dieser Institution 1883 geschlossen und 1885 abgerissen. Ein Neubau ersetzte die alte Brücke, die
offizielle Eröffnung erfolgte am 31. Juli 1890.
7.4
Chelsea
Chelsea befindet sich zwischen dem Sloane Square südwestlich von Belgravia und der Themse als
der südlichen Grenze. Das Viertel gehört zum Royal Borough of Kensington and Chelsea.
Seit Thomas More, Lordkanzler unter Heinrich VIII., Chelsea als Domizil wählte, galt dieses
Viertel als schick.
Der Sloane Square ist nach Hans Sloane benannt, der 1712 das Gut Chelsea kaufte und den 1673
angelegten Chelsea Physic Garden – ursprünglich ein Kräutergarten der Apothekergilde – erweiterte. In Chelsea befindet sich das Krankenhaus für pensionierte Soldaten, das Royal Hospital
Chelsea, welches in den Jahren 1682-1692 nach den Plänen von Christopher Wren gebaut wurde.
In der Nachbarschaft befindet sich das National Army Museum. Es wurde an der Stelle des im
Jahr 1809 von John Soane gebauten und im Zweiten Weltkrieg zerstörten Anbaus des Krankenhauses errichtet. Die Hauptstraße des Stadtteils, Kings Road, wurde im 17. Jahrhundert angelegt
und erhielt ihren Namen
zu Ehren des Königs Karl
II. Bis zum Jahr 1830 befand sie sich im Privatbesitz.
Das Panorama über den
Fluss lockte Maler an, und
mit der Ankunft des Historikers Thomas Carlyle und
des Essayisten Leight Hunt
fasste seit 1830 auch die literarische Elite Fuß. Chelsea galt damit im 19. Jahrhundert und am Anfang
des 20. Jahrhunderts als
King's Road
164
eine Wohngegend der Künstler. Viele Häuser am Cheyne Walk tragen blaue Plaketten, die an Bewohner wie
J. M. W. Turner, George Eliot, Henry James und T. S. Eliot erinnern. Auch bekannte Persönlichkeiten der jüngeren Zeit, wie Margaret Thatcher, Mick Jagger oder Gwyneth
Paltrow, haben einen Wohnsitz in Chelsea.
Die King's Road gehörte in den 1960er und den 1970er Jahren zu den Zentren der Subkultur der
Hippies und der Punks, Malcolm McLaren und Vivienne Westwood eröffneten dort im Jahr 1972
den Laden SEX, in dem Mode im Punk-Stil verkauft wurde. Später zog die Szene in andere
Stadtteile, vorwiegend Notting Hill und Camden Town.
Heute halten Galerien und Antiquitätengeschäfte zwischen den Modeboutiquenan der King's
Road die künstlerische Tradition wach. Chelsea ist Sitz des Chelsea College of Art and Design
und seit 2008 hat die Saatchi Gallery ihren Sitz in Chelsea.
Es gibt einen bekannten und sehr guten Fußballclub gleichen Namens, den FC Chelsea, der in der
Premier League spielt und zusammen mit Arsenal London, Manchester United und dem FC Liverpool zu den vier ganz großen des Landes zählt.
Jedes Jahr findet an fünf Tagen im Mai beim Royal Hospital die Chelsea Flower Show statt, eine
Ausstellung zum Gartenbau in London. Sie wird von der Royal Horticultural Society (RHS) veranstaltet und gilt als eine der berühmtesten Ausstellungen dieser Art im Vereinigten Königreich mit
internationaler Bedeutung – ist ein gesellschaftliches Ereignis. Die ersten beiden Ausstellungstage,
Dienstag und Mittwoch, sind den Mitgliedern der Royal Horticultural Society vorbehalten, für die
übrigen Tage sind auch
andere Besucher zugelassen,
wobei
die
Tickets immer vorbestellt werden müssen,
da die Ticketanzahl
auf 157 000 Stück beschränkt ist. Traditionell besucht Queen
Elizabeth II. am Eröffnungstag (Dienstag)
in Begleitung des Präsidenten der RHS und
weiteren Mitgliedern
der königlichen Familie die Ausstellung.
Neben der Ausstellung
von Gartenprodukten
aller Art, z. B. Werkzeugen oder dekoratiDer »Chinese Moon Gate Garden«,
ven Gartenelementen, werden auch
eine der Attraktionen im Jahr 2007
Pflanzenneuheiten in einem speziellen Ausstellungszelt sowie zwanzig
Schaugärten präsentiert.
Es finden Auszeichnungen in verschiedenen Ehrenkategorien statt, diese werden als Medaillen in
Gold, Silber-Gold, Silber und Bronze verliehen. Im Rahmen der Gartenschau werden auch Fragen zu Pflanzen und ihren Pflanzenkrankheiten von den Mitgliedern der RHS beantwortet.
Die Ausstellungen im Rahmen dieser Gartenschau sind von internationaler Bedeutung. So wurden Schaugärten schon von verschiedenen Ländern des Commonwealth, arabischen Scheichs,
großen Zeitungen und Fernsehsendern sowie dem Prince of Wales gesponsert. Häufig werden
Schaugärten nach der Ausstellung auch an anderen Orten wieder aufgebaut.
165
7.5
Notting Hill
Das Viertel Notting Hill liegt an der nordwestlichen Ecke des Hyde Park im Stadtbezirk Kensington, südwestlich von Paddington (bekannt durch die Kindergeschichten um Paddington Bär). Seit
den 1950er und 1960er Jahren Sammelpunkt der karibischen Gemeinde, ist Notting Hill heute ein
lebendiger, kosmopolitischer Teil Londons und Heimat des zweitgrößten Straßenkarnevals der
Welt: Seit 1966 quellen die
Straßen am letzten Augustwochenende über vor schrillen Masken und karibischbunt kostümierten Festzügen.
Auf dem nahe gelegenen
Portobello Road Market sorgen Hunderte von Marktständen mit lebhaften Händlern das ganze Jahr über für
Trubel und Atmosphäre, auf
der Suche nach Antiquitäten
sind wahre Schnäppchen
möglich.
Die Gegend erhielt internaBeim Karneval legt man in Notting Hill
tionale Beachtung durch den
sehr aufwändige Kostüme an
erfolgreichen Film gleichen
Namens mit Julia Roberts und
Hugh Grant in den Hauptrollen.
7.6
Brent
Westlich von Camden und südwestlich von Barnet gelegen, ist Brent am bekanntesten wegen des
Neasden-Tempels. Dieser ist nach dem Tempel in Tividale (West Midlands) der größte Hindu-Tempel außerhalb Indiens und lautet eigentlich Shri Swaminarayan Mandir.
Errichtet wurde Neasden Temple in den 1990er Jahren von einer hinduistischen Sekte, der Swaminarayan-Mission aus dem indischen Ahmedabad. Die Kuppeln und Türmchen bestehen aus
Carrara-Marmor und bulgarischem Kalkstein; innen sind die Altäre mit Blumenschmuck hinduistischer Götter (Murtis) ausgestattet. Jeder der 26 300 bearbeiteten
Steine besitzt ein anderes Motiv.
Innerhalb von drei Jahren wurde
das Bauwerk zusammengefügt
und am 20. August 1995 eröffnet. In der Konstruktion ist auf
Eisenträger verzichtet worden, da
Stahl nach hinduistischem Verständnis Magnetwellen abstrahle,
die die Ruhe für die Meditation
stören.
Der Tempel beherbergt die ständige Ausstellung Understanding
Hinduism (Verständnis des HinNeasden Temple
duismus) und ein Kulturzentrum.
166
7.7
Hampstead
Auf einem Höhenzug nördlich des Stadkerns gelegen, hat sich Hampstead (im Nordwesten von
Camden) bis heute eine gewisse Distanz zu London bewahrt. Mit seinen gepflegten Villen und
Häusern wirkt es noch immer wie ein georgianisches Dorf und gilt als eines der begehrtesten
Wohnviertel Londons. Schon früh zog es Schriftsteller und Künstler nach Hampstead. In einer
ruhigen Straße liegt das Keats House von 1816, das einfühlsam Leben und Werk des Dichters
John Keats (1795-1821) illustriert. Keats lebte hier zwei Jahre, bevor er mit nur 25 Jahren an
Schwindsucht starb. Sein wohl bekanntestes Gedicht Ode to a Nightingale entstand unter einem
Pflaumenbaum im Garten. Originalmanuskripte und Bücher erinnern an Keats und seine Verlobte Fanny Brawne, die mit ihren Eltern im Nachbarhaus wohnte.
Das 1986 eröffnete Freud-Museum ist dem bewegten Leben des Begründers der Psychoanalyse
gewidmet. Im Alter von 82 Jahren floh Sigmund Freud (1856-1939) vor den Nationalsozialisten
aus Wien und verbrachte sein letztes Lebensjahr in diesen Räumen. Seine Tochter Anna, Pionierin auf dem Gebiet der Kinderpsychologie, bewohnte das Haus bis zu ihrem Tod 1982. Im Inneren sieht man Freuds Sprechzimmer, das nicht verändert wurde, und Filmmaterial aus den 1930er Jahren
lässt Szenen aus seinem Leben lebendig werden.
Idyllische Gasse Flask Well
Uriger Pub »Ye Olde White Bear« an der Well Road
Hampstead Heath ist eine Park mit einer weitläufigen Fläche von 3,2 km² mit vielfältigem Bewuchs. Der Park ist im Besitz der Londoner Verwaltungsbehörde Corporation of London, die den
Park bis auf den Bereich um das Kenwood House (0,5 km²) pflegt, der von English Heritage übernommen wurde. Der größte Teil des Parks (2,8 km²) liegt in Camden. Der verbleibende Teil (0,4
km²), auch Hampstead Heath Extension genannt, liegt in Barnet nordwestlich davon.
Der Name des Parks stammt vom seltenen Lebensraum der Heide (heathland). Zwischen
Hampstead und Highgate gelegen, bietet der Park Gebiete mit alten Waldflächen, Sümpfen, Hecken, Grasflächen und 25 größeren Teichen. Teile des Parks wurden von English Nature als Sites of
Special Scientific Interest ausgezeichnet. Am südlichen Rand des Parks liegt der Lido Freiluft Swimming Pool. Weiterhin befinden sich nahe Highgate zwei Teiche, in denen Schwimmen erlaubt ist,
nach Geschlecht getrennt. Andere Teiche werden zum Fischen und für Modellboote genutzt oder
sind Wildtieren vorbehalten. Teile des Parks sind bekannt als Treffpunkt für schwule Männer.
Vom Parliament Hill aus hat man einen wunderbaren Ausblick über London.
167
Am Rande des Heath liegt inmitten eines schönen Parks das
prächtige Kenwood House, wo
am Seeufer im Sommer klassische Konzerte stattfinden. Das
Haus selbst wurde 1764 von
Robert Adam umgebaut und ist
weitgehend in diesem Zustand
erhalten. Herausragend sind die
Bibliothek und die Gemäldesammlung, die viele alte Meister
umfasst – neben Arbeiten von
van Dyck, Vermeer, Turner und
Romney besticht Rembrandts
Selbstbildnis von 1663.
Ausflügler auf den Wiesen von Hampstead Heath
vor dem Kenwood House
7.8
Highgate
Highgate wurde im Mittelalter besiedelt und im 16. Jh. seiner frischen Luft wegen beliebter Landsitz des Londoner Adels. Die georgianischen Straßen mit ihren herrschaftlichen Häusern strahlen
noch heute Exklusivität in diesem Viertel aus, das zu den drei Stadtbezirken Camden, Islington
und Haringey gehört.
Der mystisch anmutende Friehof Highgate Cemetery vermittelt mit seinen verwunschenen
Ecken eine eindrucksvolle, magische Atmosphäre. Gegen Ende der 1830er Jahre entstanden rund
um London private Friedhöfe, die die riesigen und unhygienischen Massengrabstätten im Zentrum entlasten sollten. Highgate Cemetery ist ein Resultat dieser Maßnahme und entstand 1839.
Eine Führung (im Sommer täglich, im Winter nur am Wochenende) zeigt die herrlichen viktorianischen Denkmäler und erzählt von Intrigen, Wundertaten, Vandalismus und von den Legenden,
die sich um die Geschichte
des Friedhofs ranken. Auf
dem Friedhof sind viele
Exilanten begraben, wie z.B.
der deutsche Philosoph Karl
Marx oder die jamaikanische
Aktivistin Claudia Jones,
aber auch britische Künstler
wie die Schriftsteller George
Eliot, Douglas Adams und
Marguerite Radclyffe Hall.
Zudem wurder der unter
mysteriösen Umständen an
einer Polonium-Vergiftung
umgekommene
russische
Geheimagent Alexander LitAlte Grabsteine im Ostteil des Friedhofs
winenko hier beerdigt.
168
7.9
Camden
Camden liegt unmittelbar nördlich des Stadtzentrums und reicht bis zum Hampstead Heath. Bei
der Gründung von Greater London im Jahr 1965 ersetzte Camden die Bezirke Hampstead, Holborn und St. Pancras der ehemaligen County of London. Die Bevölkerung setzt sich folgendermaßen zusammen: 73,2 %
Weu0em 10, 4 % Südasiaten
(vor allem aus Bangladesch),
8,3 % Schwarze und 1,8 %
Chinesen.
Camden verdankt seine Berühmtheit seiner Unzahl von
Restaurants und Geschäften
und dem stark frequentierten
Markt. Tausende strömen jedes Wochenende hierher, um
in den Marktständen zu stöbern oder die buntbelebte Atmosphäre rund um den Kanal zu genießen, an dem StraHübsche kleine Läden im
ßenkünstler und Musikanten
Zentrum von Camden
für Unterhaltung sorgen.
7.10
Islington
Islington liegt unmittelbar nördlich der City of London und entstand, wie das östlich benachbarte
Camden, bei der Gründung von Greater London im Jahr 1965, in diesem Fall durch die Zusammenlegung der Bezirke Islington und Finsbury des ehemaligen County of London.
In Isligton sind die sozialen Gegensätze sehr hoch. Einerseits leben 55 % der Bevölkerung in Sozialwohnungen, andererseits findet man hier Immobilien, die mehr als drei Millionen Pfund wert
sind. In Islington befinden sich zwei Gefängnisse (Holloway Prison und Pentonville Prison), aber
auch das Emirates Stadium des FC Arsenal
oder der Theaterkomplexs Sadler's Wells. Die
Bevölkerung setzt sich folgendermaßen zusamPlatanen beugen sich über die Richmond Avenue
men: 75,4 % Weiße, 11,9 %
Schwarze, 5,4 % Südasiaten
und 1,7 % Chinesen.
Vor ganz langer Zeit war Islington ein kleines Dorf nördlich von London und später
ein vornehmer Badeort. Doch
nachdem die High Society im
18. Jh. fortzog, setzte ein rascher Niedergang ein. Längst
ist es eingemeindet und in die
städtische Bebauung integriert.
Im 20. Jh. kamen dann Schriftsteller wie Evelyn Waugh, George Orwell und Joe Orton,
und heute erlebt Islington so
169
etwas wie eine Renaissance. Vor zehn bis fünfzehn Jahren hat eine Sanierung des Stadtviertels
zahlreiche Leute der sogenannten Mittelschicht angelockt. So ist Islington eine richtig nette urbane Wohngegend geworden, mit kleinen Häusern für den kleineren Geldbeutel vor allem die jungen Leute aus der mittleren oder höheren Schicht hat es hierher gezogen. Ende der 1980er Jahre
hat man in Islington ein kleines zweistöckiges Häuschen aus Viktorias Zeiten für nur einige tausend Pfund erstehen können, und nach Renovierungen mit finanzieller Hilfe von ein paar zehntausend Pfund konnte man es fünfzehn Jahre später für zwei- oder dreihunderttausend wieder los
werden.
Die Besserstellung Islingtons brachte natürlich auch so seine Probleme mit sich, war die Vision
doch die Schaffung eines sozialen und liberalen Viertels gewesen, in dem sich sowohl Akademiker als auch Arbeiter wohl fühlen könnten. Für die Zweitgenannten ist es aber kaum noch bezahlbar. Heute ist Islington also nicht mehr ganz so erschwinglich, aber nach wie vor eine Gegend der
Mittelschicht. Und es gab schließlich auch positive Effekte: Zahlreiche Buchläden, Antiquariate,
neue Bistros und neues Nachtleben hielten Einzug, auch alternative Kindergärten und biologische Erzeugnisse sind keine Seltenheit. Empfehlenswert sind die Restaurants, die schönen Plätze
wie z.B. der Canonbury Square, wo man romantische Häuser findet, und die Märkte, auf denen
man Porzellan und Literatur erstehen kann – Lebensmittel wird man aber nicht finden.
Der Stadtteil Islington ist übrigens die Heimat eines der legendären Londoner Fußballvereine, die
des FC Arsenal London.
7.11
Tottenham
Tottenham gehort zum Stadtbezirk London Borough of Haringey und befindet sich etwa elf Kilometer nordöstlich von Charing Cross – Haringey grenzt direkt nördlich an Camden, Islington
und Hackney (Aufzählung in West-Ost-Richtung).
Es wird vermutet, dass die Bezeichnung des Stadtteils auf einen Bauern mit dem Namen Tota zuruckgeht, dessen Weiler (engl. hamlet) im Domesday Book erwähnt wird. »Totas Hamlet« wurde
dann zu Tottenham.
Tottenham ist selbst für Londoner Verhältnisse sehr multikulturell. Hier leben
viele verschiedene ethnische Gruppen,
vor allem aus der Karibik, Westafrika,
der Türkei, Zypern, Irland und Portugal.
Von Süd-Tottenham wird behauptet, es
sei in Europa die ethnisch am stärksten
gemischte Gegend, die Bewohner sprechen 193 verschiedene Sprachen. Nach
Brixton (Borough Lambeth) hat Tottenham wahrscheinlich den größten Bevölkerungsanteil von Jamaikanern in ganz
Großbritannien. Hier wohnt auch angeblich die größte Gruppe von Ghanaern europaweit.
Wohngebäudekomplex
Bekannt ist Tottenham auch als sozialer Brennpunkt. Im
Broadwater Farm Estate
Jahr 2008 geriet es in die Schlagzeilen, als »Baby P.« (ein
Kind mit dem Namen Peter) im Alter von 17 Monaten mit
gebrochenem Rippen und nach schweren Misshandlungen tot aufgefunden wurde. Die Stadt bemüht sich darum, diese Probleme zu reduzieren und investiert z. B. in die Gestaltung von Parks
und öffentlichen Anlagen. Gewaltdelikte in Tottenham sind in den letzten Jahren auch tatsächlich
zurück gegangen.
170
Die All Hallows Church ist das älteste noch vorhandene Gebäude im Tottenhams, die Kirche
stammt aus der Zeit der Normannen. Über 700 Jahre diente sie Tottenham als Gemeindekirche.
Direkt daneben befindet sich der große Friedhof Tottenham Cemetery, weit mehr als eine normale Begräbnisstätte. Er ist öffentlich zugänglich und beherbergt eine Vielfalt von Wildtieren.
Bruce Castle (früher Lordship
House) ist ein Herrenhaus in der
Lordship Lane in Tottenham,
London, aus dem 16. Jahrhundert (andere Quellen gehen vom
15. Jahrhundert aus). Es wurde
nach dem Haus Bruce benannt,
einer schottischen Königsfamilie,
welcher früher das Land gehörte,
auf dem das Gebäude steht.
Wahrscheinlich wurde es an Stelle eines kleineren Gebäudes errichtet. Das gegenwärtige Haus
ist eines der ältesten noch erhalBruce Castle
tenen englischen Backsteinhäuser. Im 17., 18. und
19. Jahrhundert wurde es umgebaut und beherbergt ein Museum, im Norden des Herrenhauses
schließt ein Park an.
Wer Tottenham hört, verbindet damit zumeist auch den Fussballclub Tottenham Hotspur. Das Stadium mit dem Namen White Hart Lane befindet sich aber nich an der Straße White hart Lane, wie
man vermuten könnte, sondern an der Park Lane.
7.12
Newham
Newham befindet sich im Osten von Tower Hamlet und wenngleich der Süden von den Docklands beherrscht wird, gehört das Borough doch nicht zum East End. Das London Borough of
Newham entstand 1965 bei der Gründung von Greater London aus dem Zusammenschluss der
ehemaligen kreisfreien Städte East Ham und West Ham und den Vierteln Barking (westlich des
Flusses Roding) und Woolwich
(nördlich der Themse). Die Bevölkerung des Stadtbezirks mit
einer
Gesamteinwohnerzahl
von 249 600 setzt sich aus 39,4
% Weißen, 32,5 % Südasiaten,
21,6 % Schwarzen und 2,8 %
Chinesen zusammen. Newham
ist das Borough, in dem die
Weißen – also primär die einheimischen Engländer – den
kleinsten Anteil der Bevölkerung stellen. Partnerstadt von
Newham ist Kaiserslautern.
Den südlichen Teil von Newham bilden, wie erwähnt, die
Docklands, das ehemalige Ha-
Green Street in Upton Park, die West und East Ham trennt
171
fengebiet, welches die größte Stadtentwicklungszone Londons ist. Dort liegt auch Londons
neuester Flughafen, der London City Airport.
Ein weiterer Entwicklungsschwerpunkt ist Stratford im Westen des
Bezirks. Dort werden die meisten
Sportanlagen für die Olympischen
Sommerspiele 2012 errichtet, einschließlich des Olympiastadions.
Dorthin will nach den Olympischen Spielen 2012 auch der Premier-League-Fußballclub
West
Ham United umziehen, deren
Stadtion Boleyn Ground noch im angestammten West Ham steht.
An historischen Gebäuden ist vor
allem die Newham Town Hall sehenswert.
Das ökumenische Trinity Centre in Newham bietet Kurse
zur Fortbildung und Gesundheitsförderung
(vergleichbar ist in Deutschland die Volkshochschule)
7.13
Greenwich
Das London Borough of Greenwich verdankt seine Bekanntheit insbesondere dem Ruf als Geburtsort für den Ausgangspunkt des Nullmeridians und der Greenwich Mean Time sowie als
Zentrum der britischen Marine.
Der Name Greenwich stammt vom altsächsichen »Grenevic«, was wörtlich soviel wie »Dorf im
Grünen« heißt. Die moderne Schreibung wiederholt mit »Green« diese Bedeutung, jedoch folgt
die Aussprache mit kurzem »e« eher der Tratition alter Zeit. es wird also ungefähr »Grennitsch«
ausgesprochen, bzw. im gehobenen Englisch »Grinnitsch«, das »w« wird bei britischen Ortschaften eigentlich kaum einmal als eigener Laut wahrgenommen und dient eher zur Verkürzung des
vorangehenden Lautes (daher »nn«).
Das ehemalige Städtchen war nach dem Bau des Palace of Placentia im frühen 15. Jahrhundert
Residenzort mehrerer englischer Könige. Nach dem Bürgerkrieg zerfiel der Palast und an dessen
Stelle entstand das königliche Seefahrerkrankenhaus, das sich 1873 zum Royal Naval College wandelte. Jetzt hat es in seinem Namen noch ein »Old« vorne anstehen, denn seit 1998 ist es keine
Marineschule mehr, sondern es wird von der University of Greenwich und vom Trinity College
of Music genutzt. Weitere Sehenswürdigkeiten sind das Royal Greenwich Observatory, der
Greenwich Park und das National Maritime Museum. Seit 1997 gehört der Stadtteil auf Grund
der Vielzahl und Qualität von Gebäuden von historischem und architektonischen Interesse zum
UNESCO-Weltkulturerbe. Er blieb im Gegensatz zu den Nachbarorten von der Industrialisierung im 19. Jahrhundert verschont und lohnt einen Tagesausflug.
Grennwich kann – soweit es die Sehenswürdigkeiten angeht – mehr oder weniger in drei Teile gegliedert werden: Uferzone, Greenwich Park und Stadtzentrum.
Die Cutty Sark, ein Klipper, wurde in einem speziellen Trockendock an der Themse als Museumsschiff aufgelegt. Ein Brand zerstörte im Mai 2007 ein Teil des Schiffes, jedoch war rund die Hälfte der Schiffsausstattung wegen Renovierungsarbeiten ausgelagert worden. Das Schiff soll wieder
aufgebaut werden und ab 2010 wieder zugänglich sein. Neben der Cutty Sark war von 1972 bis
172
2004 die Segelyacht Gipsy Moth IV ausgestellt, mit der Francis Chichester die Welt umsegelt hatte.
In der Nähe der Cutty Sark befindet sich ein kreisrundes Gebäude mit dem Eingang zum 1902 eröffneten Greenwich-Fußgängertunnel, der zur Isle of Dogs auf der Nordseite des Flusses führt.
Die von Christopher Wren erbaute Marineakademie, das Royal Naval College, bildet den Mittelpunkt des Weltkulturerbes und wird von der Greenwich Foundation verwaltet. Es wurde von Christopher Wren in zwei Hälften geteilt, um dem Queen's House den Blick auf den Fluss zu erlauben. Mehrere der Gebäude werden heute
von der University of
Greenwich genutzt, und
eines (das ehemalige
Greenwich
Hospital)
vom Trinity College of
Music. Ebenfalls zum
Gebaudekomplex gehören die von James
Thornhill
gestaltete
Painted Hall (ehemaliger
Speisesaal) und die von
James Stuart im Rokoko-Stil erbaute St. Paul’s
Chapel, beide stehen
dem Besucher offen.
Die ehemalige Marineakademie besaß einen
Old Royal Naval College
Forschungsreaktor (JASON), der von 1962 bis
1996 in Betrieb war und
1999 entfernt wurde.
Greenwich Park ist einer der königlichen Parks in London und bietet eine 73 Hektar große Fläche.
Am Nordrand befinden sich das National Maritime Museum und das Queen’s House. Im Museum werden primitive Kanus, Modelle elisabethanischer Galeeren und moderne Fracht-, Passagierund Kriegsschiffe gezeigt. Queen's House ist ein ehemaliger königlicher Palast, der von Inigo Jones entworfen und 1637 vollendet worden war. Glanzlichter sind die kubische Halle und die Tulpentreppe.
Auf einem Hügel in der Mitte des Parks befindet sich das Royal Greenwich Observatory. Der
kleine Platz vor dem Observatorium wird durch eine Statue von General James Wolfe geschmückt. Seit 1884 gilt die im Old Royal Observatory festgelegte Greenwich Mean Time (GMT) als
Grundlage weltweiter Zeitmessung. Als Anerkennung fur die Bedeutung des Stadtteils fur die
Entwicklung der Astronomie erhielt der Asteroid 2830 den Namen Greenwich.
Zum Bereich Greenwich Park gehört auch das östlich des Royal Naval College stehende und
1613 gegründete Armenhaus Trinity Hospital, das älteste erhalten gebliebene Gebäude im Stadtzentrum. Unmittelbar angrenzend ist die Greenwich Power Station. Das massive Ziegelsteingebäude wurde 1902-1910 als Kohlekraftwerk gebaut, um die Londoner Straßenbahnen mit elektrischer Energie zu versorgen. Heute verfeuert es Öl und Gas und dient als Reservekraftwerk der
London Underground.
Das Ranger's House am Südrand des Parks beherbergt die Gemäldesammlung von Julius Wernher. Auf dem Maze Hill am östlichen Ende des Parks befinden sich zahlreiche herrschaftliche
Häuser, darunter jenes von John Vanbrugh (1664-1726), einem englischen Barock-Architekten
und Dramatiker.
173
Georgianische und viktorianische Architektur dominiert im Stadtzentrum, das sich westlich des
Parks und des Royal Naval College erstreckt. Ein System von Einbahnstraßen führt um einen
überdachten Marktplatz, den Greenwich Market. Die Straße Croom’s Hill ist Standort des Fan
Museum, des weltweit einzigen Museums für Fächer. Im Stadtzentrum befinden sich auch zwei
Theater, das Greenwich Theatre und das Greenwich Playhouse.
Das königliche Observatorium (oben)
mit einer magnetischen Uhr an
der Ostmauer (rechts)
174
IV
Südwesten
Der Südwesten Englands ist
eine Region der Kontraste:
Wiltshire, das Tor zum Südwesten ist keine Stunde von
London entfernt; Gloucestershire, wo sich der Forest
of Dean und die Cotswolds
befinden; Dorset, vom Meer
begrenzt und fast vollständig
als Landschaftsschutzgebiet
ausgewiesen; Bristol und
Bath als geschichtliche und
kulturelle Zentren; Somerset,
mit den heidebedeckten Höhen des Exmoor und der flachen Ebene des Sedgemoor;
Devon, mit seiner phantastischen Landschaftskulisse, ungezähmten Weiten, umrahmt von Küstenstreifen im Norden und Süden; Cornwall, vom Meer umschlungen, Land der Artuslegende und der keltischen Traditionen.
Der Küste vorgelagert sind die Scilly-Inseln, alle wunderschön, aber jede mit eigenem Charakter
und eigenen Reizen.
Majestätische Kathedralen schmücken Städte wie Salisbury, Wells, Truro und Exeter, während
Bath mit seinem römischen Erbe und prächtiger georgianischen Architektur aufwarten kann. Die
maritime Geschichte Britanniens wird in Plymouth lebendig, von wo aus die Pilgerväter, Captain
Scott und Sir Francis Drake in See stachen. Bristol, die größte Stadt im Südwesten von England,
ist Heimat des Arnolfini, eines weltbekannten Kulturzentrums.
Wohin immer man sich im Südwesten auch wendet, überall umfängt einen eine atemberaubend
schöne Landschaft. An der Küste erwarten den Besucher herrliche Sandstrände, imposante Klippen, abgeschiedene Buchten und malerische Fischerorte, ein ideales Gebiet zum Wandern und
Ausspannen. Im Inland
finden sich kleine Dörfer
mit reetgedeckten Cottages, stattliche Herrenhäuser und einige der berühmtesten Gärten des
Landes. Nicht zuletzt liegen im Südwesten Englands mit dem Dartmoor
und dem Exmoor zwei
Nationalparks von ganz
außergewöhnlicher SchönRomantische Küste bei Devon
heit und herbem Reiz.
175
1
Wiltshire
Früher hieß die Grafschaft Wiltonshire, der Name lässt sich von der ehemaligen county town
Wilton ableitet. Mit einer Fläche von ca. 3500 km² (bei rund 620 000 Einwohnern), die sich auf
vier Distrikte und eine Unitary Authority (Swindon) verteilen, gehört Wiltshire zu den größeren
Grafschaften des Landes.
Besonders bekannt ist Wiltshire für seine archäologischen Besonderheiten aus Mittel- und Jungsteinzeit sowie aus der Bronzezeit. Die berühmtesten Sehenswürdigkeiten aus der Neusteinzeit
sind Stonehenge und Avebury.
Wiltshire ist eine landwirtschaftlich geprägte Gegend. Zwei Drittel des Bodens enthalten Kreideschichten, die prägend für das Aussehen der Landschaft sind. Diese südenglische Gesteinformation befindet sich unter großen Teilen Südenglands und zieht sich von den Dorset
Downs im Westen bis nach Dover im Osten. Die größte Kreideformation in Wiltshire ist die Salisbury Plain, die hauptsächlich agrarökonomisch und von der britischen Armee als Übungsgelände genutzt wird. Im Nordwesten der Grafschaft, an der Grenze zu Gloucester-shire und Bath
and North East Somerset findet man den widerstandsfähigen Kalkstein der Cotswolds.
Wie der Rest Südwestenglands hat auch Wiltshire ein gemäßigtes Klima, das meistens feuchter
und milder ist als im übrigen England. Die jährliche Durchschnittstemperatur ist zehn Grad Celsius. Januar ist der kälteste Monat mit mittleren Tiefsttemperaturen von ein bis zwei Grad Celsius. Juli und August sind die wärmsten Monate in der Region mit Durchschnitts-temperaturen von
21 Grad Celsius.
1.1
Stonehenge
Vielleicht der Tower of London, Madame Tussaud’s oder St Pauls Cathedral - es gibt sicherlich
wenige Orte auf der Insel, die bekannter sind als dieses Monument. Erstaunlich eigentlich, denn
bis heute weiß niemand so recht, warum diese Steinkreise errichtet worden sind. Es ist nicht einmal sicher, wann dies geschah, Schätzungen von Experten liegen Tausende von Jahren aus-einander. Kaum ein anderes Bauwerk ist jedoch so gründlich untersucht und analysiert worden wie dieses.
Die Hauptthesen gemeinhin gehen davon aus, dass Stonehenge über einen Zeitraum von mindestens 2000 Jahren ca. ab
dem Jahre 3100 v. Chr.
gebaut wurde. Vorher
gab es dort allerdings
auch schon Holzkonstruktionen, die bis
auf das 8. Jt. v. Chr.
zurückgehen. Ebenfalls ein Rätsel ist, wie
die Menschen damals
die Steine bewegt haben. Der Ursprung der
größten Blöcke liegt
immerhin in Wales, so
dass es ein für damalige Verhältnisse fast
unmögliches
UnterBesuchermagnet Stonehenge
nehmen gewesen sein
muss.
Nachgestellte
176
Versuche von Archäologen, die Steine durch eventuelle steinzeitliche Methoden über diese Entfernung zu bewegen, sind bislang alle gescheitert.
Wissenschaftler haben immer nach dem Nutzen des Monumentes gesucht. Steinzeitliche Uhr?
Tempel? Begräbnisstätte? Gar ein Landeplatz für Ufos? Merlins Altar? Oder gar ein Kalender?
Es gibt viele Theorien, manche abstrus und phantastisch, wirklich klar ist eigentlich nichts. Auf
jeden Fall sollte man Stonehenge besuchen, es liegt zwölf Kilometer nördlich von Salisbury. Leider ist es nicht mehr möglich, zwischen den Steinen umher zu spazieren. Vor einigen Jahren sind
Absperrungen errichtet worden, um die Stätte zu schützen. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich den
exzellenten Audioguide auszuborgen, der einem alles über den Ort erzählt.
Noch eine Kuriosität aus heutiger Sicht gibt es zu berichten. Das Monument selbst wird vom
English Heritage verwaltet, während das Land darunter dem National Trust gehört. Beide Organisationen, die sich um die Erhaltung und Ausstellung von Altertümern in England kümmern,
sind sich häufig nicht grün, stellen hier aber Harmonie zur Schau.
Stonehenge ist übrigens nicht das einzige Bauwerk dieser Art in der Gegend. Es gibt drum herum Grabhügel und weitere Steinkreise, die meisten davon nicht minder rätselhaft.
1.2
Salisbury
Berühmt für ihre Kathedrale ist die Stadt Salisbury, die im Südosten von Wiltshire liegt. Salisbury
liegt am Zufluss der Flüsse Nadder, Ebble, Wylye und Bourne in den Fluss Avon, weshalb der
Standort der heutigen Stadt bereits in der Eisenzeit und später bei den Römern ein beliebtes Siedlungsgebiet war. Heute hat Salisbury
rund fünfzigtausend Einwohner.
Einst lag Salisbury ca. zwei Kilometer nördlich vom heutigen Zentrum,
genannt wurde die kleine Stadt Old
Sarum. Befestigt war dieser Ort
schon seit geraumer Zeit. Als die
Normannen kamen, wurde hier sogar eine Burg und eine Kathedrale
(zwischen 1075 und 1092) gebaut.
Doch dann geschah 1220 etwas, was
man eine kleine Rebellion nennen
könnte. Die Geistlichen waren
mit der Herrschaft der Burgbesitzer so unzufrieden, dass
sie vom Papst die Erlaubnis erfragten, eine Kathedrale weiter
südlich zu bauen. Und das geschah dann prompt, der neue
Bau entstand in New Sarum,
damit war das heutige Salisbury geboren. Langsam starb
Old Sarum aus, heute ist außer
Beide Bilder rechts:
Mittelalterliches Stadttor
177
den Grundmauern der Burg und der Kirche kaum noch etwas zu sehen.
Was die Mönche in Salisbury allerdings mit den Steinen der alten Kirche in nur 38 Jahren schufen, ist beeindruckend. Der später hinzu gekommene Kirchturm ist mit einer Höhe von 123 m
der höchste in Großbritannien (zum Vergleich: Ulmer Münster 162, Kölner Dom 157).
Fast hätte dieser allerdings das gleiche Schicksal wie der Turm von Pisa erlitten. Das sumpfige
Gelände lies den Turm kippen. Erst der Star-Architekt Christopher Wren stabilisierte das Bauwerk, das heute aufrecht und stolz die Besucher begrüßt.
Die Kathedrale gilt als Meisterwerk der
gotischen Architektur hierzulande, der
so genannten Early English Period. Die
Tatsache, dass die Kathedrale in Rekordzeit gebaut wurde, lässt sie wie aus
einem Guss erscheinen. Innen ragt sie
hoch empor, besonders die Decke mit
ihren raffinierten Gewölben wirkt elegant und gleichförmig. Ebenfalls bemerkenswert ist das Chapter House.
Hier finden sich schöne Steinfriese, außerdem ist hier die am besten erhaltene
Ausgabe von insgesamt nur vier Originalen der Magna Carta zu sehen, in denen Adlige der Monarchie die ersten
Rechte abtrotzten (siehe I/1.2).
Die Kathedrale steht auf einem weiten,
unbebauten Platz, so dass die Möglichkeit besteht, diese in ihrer ganzen Größe zu bewundern.
Kathedrale von Salisbury
Gegenüber der Kathedrale befindet sich
das Mompesson House, das von einem
reichen Kaufmann Anfang des 18. Jh.s
gebaut wurde. Hier sind schöne Möbel aus dieser Zeit ausgestellt. Berühmter ist das Gebäude
aber eher für die Jane Austin Verfilmung 1995 von Sense und Sensibility mit Emma Thompson,
Kate Winslet und Hugh Grant.
Durch das Nordtor gelangt man
in die Innenstadt, wo sich noch
eine Menge guterhaltener Fachwerkhäuser und enge Gassen
finden. Da erstaunlich viele alte
Gebäude noch stehen, haben
viele den Ruf, von Geistern aufgesucht zu werden. Dies haben
örtliche Touristenverbände zum
Anlass genommen, Geistertouren zu organisieren, die überall
angeboten werden.
Am Dienstag und Samstag werden auf dem Marktplatz landwirtschaftliche Produkte aus der
Umgebung verkauft.
Marktplatz in Salisbury
178
1.3
Avebury
Neben Stonehenge ist Avebury eines der wichtigsten steinzeitlichen Monumente Europas. Es besteht aus mehreren riesigen konzentrischen Steinkreisen und Gräben rings um das Dorf Avebury
und die ganze Anlage ist etwa viermal so groß sind wie Stonehenge. Es wird angenommen, dass
Avebury mit 4000 bis 5000 Jahren älter ist, als das südlich nur 30 Kilometer entfernte Stronehenge. Avebury liegt 16 km südlich von Swindon.
Heute stehen bei Weitem nicht mehr alle Steine. Die Anlage bestand ursprünglich aus einem äußeren und zwei inneren Steinkreisen sowie davon abgehenden Steinalleen. Von den 154 bis zu 40
Tonnen schweren Steinen sind heute nur noch 36 erhalten. Die anderen wurden im Laufe der
Jahrhunderte, vor allem ab dem späten Mittelalter zerstört. Die wachsende Bevölkerung Aveburys
benutzte die Megalithen um Häuser zu bauen. Auch waren die Steine den Landwirten ein Dorn
im Auge und so mancher Block wurde wohl entfernt, um den Ackerbau zu erleichtern. Zudem
wurde der Ort als heidnisch angesehen, was einige Menschen dazu veranlasste, die Kolosse zu
vergraben, bis bei einem solchen »Steinbegräbnis« ein reisender Barbier unter einem fallenden
Stein erdrückt wurde. Unter diesem Megalithen wurden 600 Jahre später seine sterblichen Überreste entdeckt. Der
Stein wird heute auch
The Barber´s Stone genannt.
Auch die eigentliche
Funktion von Avebury
ist im Dunkel der Geschichte verloren gegangen. Ähnlich wie in
Stonehenge sind eine
Menge Theorien im
Umlauf: Uhr, Kalender, Tempel, Außerirdische...
Der Ort jedenfalls ist
heute mystisches Zentrum von religiösen
Randgruppen wie zum
Beispiel dem Wikkaoder Druiden-Kult, die
Teil des Megalith-Kreises vor dem Dorf
hier ihre Festtage feiern, besonders zur
Sommersonnenwende
kommen viele Besucher hier her.
Der große Unterschied zwischen dem heutigen Avebury und Stonehenge ist, dass Sie sich die
Steinkreise in Avebury aus der Nähe anschauen und diese berühren können, während Stonehenge
septisch abgeschirmt ist und Sie weiträumig außen herumlaufen müssen.
1.4
Trowbridge
Der Verwaltungssitz von Wiltshire ist die Stadt Trowbridge, die im Westen der Grafschaft Wiltshire am Fluss Biss liegt. Etwa 30 000 Menschen leben in der Stadt, deren Geschichte eng mit der
Woll- und Textilindustrie verbunden ist, wovon heute zahlreiche historische Gebäude zeugen. So
beherbergt das Gebäude der letzten Fabrik, die 1982 geschlossen wurde, heute ein Museum zu
Stadtgeschichte und Textilindustrie.
179
Natürlich sind auch die Stadthalle, in dessen rückwärtigem Geländeteil ein schöner Park befindet,
oder das alte Gefängnis schön anzuschauen. Ein kleiner Bummel durch die Altstadt ist auch lohnenswerter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Einen
Abstecher nach Trowbridge
kann man guten Gewissens unternehmen, man sollte aber
auch nicht zuviel erwarten – es
ist eine kleine Stadt, ruhig und
gemütlich, ohne allzu berühmte
Attraktionen oder historische
Sehenswürdigkeiten.
Alte Fabrik Studley Mill
1.5
Bradford on Avon
Obwohl sie mit nur knapp zehntausend Einwohnern die kleinste Stadt im Distrikt West Wiltshire
ist, scheint Bradford on Avon dennoch ein Anziehungspunkt für Touristen zu sein. Die Stadt
liegt etwa acht Meilen südöstlich von Bath in der hügeligen Landschaft zwischen den Mendip
Hills, der Salisbury Plain und den Cotswolds.
Vielleicht macht diese
Lage den Reiz der Stadt
aus, bestimmt aber auch
die Zeugnisse seiner langen Geschichte. Vor der
Stadt sind Reste römischer Besiedlung zu finden und viele mittelalterliche Gebäude zeigen sich
im Stadtkern. Eine bekannte Sehenswürdigkeit
ist die Town Bridge, die
über den Avon verläuft.
Diese Brücke wurde von
den Normannen erbaut
und im 17. Jahrhundert
verbreitert.
Auf
der
Brücke befindet sich eine
kleine Kapelle, die später
Townbridge mit kleinem Kuppelbau, der
als Verlies genutzt wurde,
ehemaligen Kapelle bzw. dem Verlies
in dem die Büttel Unruhestifter für die Nacht
einsperrten.
180
1.6
Swindon
Die Stadt – eine der am schnellsten wachsenden Großbritanniens (158 800 Einwohner; Stand:
2005) – liegt im Borough of Swindon, das seit 1998 unabhängige Verwaltungseinheit ist.
Swindon liegt direkt an der M 4 zwischen London und Bristol und bietet erstklassige Freizeitund Einkaufsmöglichkeiten, z.B. das Designer-Shopping-Village, Kinos und zwei moderne Sportzentren mit ausgezeichneten Schwimmbädern und Wassersportangebot.
Eine bekannte Kuriosität von Swindon ist der größte Kreisverkehr der Welt, der Magic Roundabout, ein System von fünf ringförmig angeordneten Kreisverkehren.
Bekannte Kuriosität:
Der Magic Roundabout
Bereits die Römer besiedelten das Gebiet
auf und um den Kalksteinfelsen herum, danach erkannten die
Sachsen diese zur Verteidigung besonders
geeignete Stelle. Im
Domesday Book wird
es als Suindune erwähnt. Es wird vermutet, dass der Name entweder aus den angelsächsischen
Wörtern swine und dun (Schweinehügel) oder Sweyn's hill (Sweyn war ein örtlicher Grundherr)
stammt. 1066 schenkte Wilhelm der Eroberer Swindon seinem Halbbruder, Bischof Odo von
Bayeux. Nach Odos Gefangennahme fiel Swindon an die Krone zurück, bis es von Heinrich III.
an William de Valence, Earl of Pembroke gegeben wurde. Bis in die Mitte des 18. Jh.s handelte es
sich um einen kleinen Marktort, in dem vorwiegend Tauschhandel betrieben wurde. Der historische Marktplatz von Swindon liegt oben auf dem Hügel und wird heute Old Town genannt.
Interessant für den deutschen Besucher: In der Vorweihnachtszeit findet ein typisch deutscher
Weihnachtsmarkt statt. Es ist nicht der einzige, auch in Southampton und in Birmingham werden
German Christmas Markets veranstaltet.
Mit der industriellen Revolution wuchs Swindon
schnell. Dies nahm seinen
Anfang mit dem Bau des
Wiltshire and Berkshire
Kanals im Jahre 1810 und
dem North Wiltshire Kanal 1819. Das vielleicht
wichtigste Ereignis in der
Geschichte Swindons jedoch datiert auf das Jahr
1840. Swindon wurde von
Isambard Kingdom Brunel als Standort der Eisenbahngesellschaft Great
Western Railway ausgeStadtzentrum am Abend, im Hinterwählt. Der Legende nach
grund der Murray John Tower
reisten Brunel und sein
Assistent die Strecke zwi181
schen London und Bristol ab und machten eine Lunchpause an dem Hang, an dem Swindon
liegt. Der Assistent fragte Brunel, wo die GWR ihren Sitz haben solle. Brunel warf ein Sandwich
in die Luft und erklärte, dies werde dort sein, wo das Sandwich landet. 1842 wurde die Arbeit aufgenommen und lockte viele Arbeiter in die Stadt. Um die Fabriken herum entstand ein Wohngebiet für die Arbeiter, das heute New Town genannt wird und das Stadtzentrum bildet. Die meisten
der damals errichten Arbeiterhäuser stehen heute noch.
In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s wurde das durch die GWR entstandene Gebiet (Swindon New
Town) mit dem historischen Gebiet um den Markt herum (Swindon Old Town) zu Swindon zusammengeschlossen.
Während des 20. Jh.s war die Eisenbahngesellschaft der größte Arbeitgeber der Stadt. In den späten 70er Jahren wurde jedoch ein großer Teil der Fabrikationsstätten geschlossen. Die entlassenen
Arbeitnehmer fanden schnell in vielen neu nach Swindon gekommenen Betrieben Arbeit. Zu den
wichtigsten Arbeitgebern gehören heute Honda, BMW und Intel; außerdem haben mehrere Versicherungen und Finanzdienstleister ihren Sitz in Swindon.
Eine Attraktion ist sicherlich das Sommerfestival, wo viele Aktionen zum Mitmachen angeboten
werden, Performance-Künstler ihr Können zeigen und auf Live-Bühnen zahlreiche Bands Rock
'n' Roll in die Stadt bringen.
Performance-Künstler beim
Sommerfestival im Stadtzentrum
182
2
Dorset
Die Grafschaft Dorset liegt im Südwesten Englands, und ihr wird häufig nachgesagt, das »Beste
aus beiden Welten« in sich zu vereinen, nämlich wunderschöne Sandstrände und lebhafte Ferienorte an der Küste einerseits und unberührte ländliche Gegenden mit einer faszinierenden Geschichte andererseits. Kein Wunder also, dass Dorset, was die Übernachtungszahlen von Touristen betrifft, auf Platz drei aller Grafschaften in England liegt.
Die Geschichte von Dorset beginnt etwa 8000 v. Chr. mit der Besiedelung durch mittelsteinzeitliche Jäger. Über Jahrtausende wurden vor allem die hohen Kalkhügel in der Region besiedelt,
unter anderem, um die erhöhte Position zum Schutz vor möglichen Angriffen zu nutzen. Die Römer jedoch verlagerten ihre Siedlungen in die Täler; insbesondere in der Gegend von Dorchester
finden sich noch heute viele römische Artefakte, die diese Epoche dokumentieren.
Die Küste Dorsets ist eine
der meist besuchten und erforschten
Küstenregionen
der Welt. Ein Großteil der
Küstenlinie wurde wegen
seiner
außergewöhnlichen
geologischen Formationen
2001 zum Weltnaturerbe der
UNESCO erklärt. Als einzigartig erscheinen Lulworth
Cove, eine Bucht, die auf
Grund ihrer Form als eine
Art Naturwunder gilt, oder
Durdle Door, eine natürliche
Felsbrücke aus Kalkstein.
Dorset zählt rund 645 000
Einwohner und verfügt über
Lulworth Cove
den höchsten Anteil älterer
Personen von allen Grafschaften in Großbritannien: 25,9 % der Bevölkerung sind über 65 Jahre alt. Die Hauptstadt ist Dorchester. Bournemouth und Christchurch - beide vormals Hampshire - wurden 1974 nach Dorset
eingemeindet.
Das Seebad Bournemouth
Durdle Door
und der Hafen von Poole –
beide Städte sind mittlerweile
selbständige Verwaltungseinheiten – dominieren den
Südosten der ansonsten eher
ländlich geprägten Grafschaft. Noch im 19. Jahrhundert war der heutige Ballungsraum kaum mehr als
ein kleiner Hafenort umgeben von Heideland.
In der Literatur ist Dorset als
Heimat des Autors und
Dichters Thomas Hardy bekannt. Zahlreiche Orte, die
er in seinen Erzählungen
183
dem fiktiven Wessex zuschreibt, liegen in Dorset. Stalbridge ist die Heimat von Douglas Adams,
dem Autor von The Hitchhiker's Guide to the Galaxy. Der Dichter William Barnes, die Schriftsteller
Theodore Francis Powys, John le Carré und P. D. James sowie der Satiriker Thomas Love Peacock stammen ebenfalls aus Dorset.
2.1
Bornemouth
Sonne, Strand und Meer - das sind die wesentlichen Merkmale von Bournemouth. Hier geht es
nicht so geschäftig zu wie in London, die Strände sind leerer als in Brighton, schon weil sie viel
länger sind und auch bei weitem nicht so gut besucht. Ein Ort zum Entspannen.
Bournemouth (167 700 Einw.) ist eine der neueren Städte, deren Gründung auf das Jahr 1811 zurückgeht. Sein mildes Klima und seine Sandstrände haben allerdings seither die Menschen angezogen und man wird nicht
umhin kommen, die ungezwungene Atmosphäre zu
mögen. Neben den vielen
Kilometern Strand ist Bournemouth für eine weitere Eigenschaft bekannt: Es ist
ausgesprochen grün. Ebenfalls bemerkenswert sind die
vielen, vielen Strandhütten,
eine wahrhaft englische Sitte.
Die meisten sind so klein,
dass sie gerade mal Platz für
zwei Stühle, einen kleinen
Tisch und einen Wasserkocher bieten. Somit können
Am Strand (oben) stehen auch die kleinen Beach Huts (unten)
Engländer einer weiteren Leidenschaft frönen, der Cupa, einer schönen Tasse Tee mit
Milch.
Wie bei (fast) allen Seeorten
Englands darf auch hier der
Pier nicht fehlen. Es sind ebenfalls alle Annehmlichkeiten vorhanden, Rummelplatz und Unterhaltung. Sie können von hier
Bootstouren unternehmen, die
im Übermaß angeboten werden.
Das Russel-Cotes Art Gallery &
Museum ist besonders empfehlenswert. Es ist vollgestopft bis
unter die Decke mit Kunstgegenständen und Gemälden aus
viktorianischer Zeit. Ebenfalls
sind viele Artefakte aus Japan zu sehen. Im dazugehörigen Garten gibt es zusätzlich eine ausgesprochene Wohlfühlatmosphäre.
Auch das Oceanarium ist sehenswert. Mit über 10 000 Meereslebewesen, unter anderem Haie
und Schildkröten, ist es besonders für Kinder interessant.
184
Christchurch ist der eigentlich historische Teil von Bournemouth und geht auf die Sachsen im
frühen Mittelalter zurück. Es wird dominiert von der Kirche Christchurch Priory, von deren
Kirchturm aus Sie den wunderbaren Ausblick über die Gegend genießen können. Zu sächsischer
Zeit war Christchurch ein bedeutender Hafen, weil es sich so leicht vom Kontinent aus erreichen
ließ. Heute ist er durch Sandbänke geschützt, was zur Folge hat, dass ihn nur noch kleine Boote
mit wenig Tiefgang bei Flut erreichen können. Aus diesem Grund bietet die Gegend Lebensraum
für wild lebende Tiere. Besonders gedeihen hier Schwäne, die es zahlreich gibt.
2.2
Poole
Der Hafen von Poole ist weltweit der zweitgrößte Naturhafen nach dem von Sydney. In der sehr
flachen Bucht liegen zahlreiche Inseln. Darunter auch Brownsea Island, die Gründungsstätte der
Pfadfinderbewegung.
Unter
dem Hafen befindet sich eines
der wenigen britischen Ölfelder.
Poole (143 600 Einw.) ist historisch gesehen sehr viel interessanter als Bournemouth. Beide Städte gehen nahtlos ineinander über. Poole existiert seit
dem 13. Jahrhundert und besitzt
einen natürlichen Hafen, den
zweitgrößten der Welt nach
Sydney. Besonders das alte Hafenviertel ist es wert, erkundet
zu werden. Mit über hundert
historischen Bauwerken strahlt
es den Charme aus, der sich
über die Zeit angehäuft hat. Sie
Kaipromenade am Pool Harbour
können sich den Reichtum von
einigen vorstellen, die hier durch
den Handel zu Wohlstand gekommen sind, der zu Beginn der
industriellen Revolution einsetzte.
Das Waterfront Museum erzählt
die Geschichte des Ortes. Besonders interessant ist ein Boot
aus der Eisenzeit. Etwas außerhalb liegen die Compton Acres,
Gärten, die thematisch unterschiedlich gestaltet sind und
zu den sehenswerten Attraktionen der Gegend zählen müssen.
In Poole ist der Tower Park –
Europas
größter
Freizeitkomplex – beheimatet.
185
»Poole Arms«, das älteste Gebäude der Stadt
Vom Kai ins Stadtzentrum
2.3
Swanage
Eigentlich liegt Swanage weit ab vom Schuss, weshalb es vielleicht so viel von seinem Charme,
selbst als Seebad, behalten hat. Es bietet ebenso wie Bournemouth und Christchurch schöne
Sandstrände und liegt in einer geschützten Bucht. Der Hafen ist schön anzusehen, selbst das eine
oder andere Bauwerk aus den 60ern kann die Atmosphäre nicht stören. Und auch in diesem kleinen Ort (10 124 Einw.) gibt es einen Pier, auf dem es sich herrlich spazieren läßt. Von hier aus
kann man die Küste entlang wandern bis zum sogenannten St. Albans Head, einem markanten
Felsvorsprung. Die
Küste ist wild und
zerklüftet und bietet einen herrlichen
Ausblick auf Natur
und Landschaft.
Auch Eisenbahnliebhaber kommen
auf ihre Kosten:
Die Swanage Steam
Railway gibt Nostalgikern die Gelegenheit, mit einer alten
Dampflokomotive
ein paar Meilen
landeinwärts
zu
fahren.
Unberührter Strand bei Swanage
186
2.4
Dorchester
Dorchester liegt am Fluss Frome etwa 35 km westlich von Poole und 8 km nördlich von Weymouth. Die Stadt hat 16 171 Einwohner (2002). Am südlichen Stadtrand liegt Pound-bury, ein
Modelldorf, dass unter Mitwirkung von Prinz Charles konzipiert wurde.
Etwa 3 km südwestlich des Stadtzentrums befindet sich auf eine Festung aus der Eisenzeit, Maiden Castle. Erst mit der Einnahme dieser Wallanlage, eine der größten in vorrömischer Zeit, galt
den Römern und Sachsen ihre Invasion in Dorset als gelungen.
Dorchester wurde von den Römern im Jahre 70 gegründet. Überreste der römischen Stadtmauern und der Grundmauern des Rathauses sind erhalten. Am südlichen Stadtrand befindet sich
Maumbury, ein neolitischer Steinkreis, ein Amphitheater der Römer.
Im 17. Jahrhundert war Dorchester ein Zentrum der puritanischen Auswanderung nach Nordamerika, die vor allem von Reverend John White (Dorchester Company) unterstützt worden war.
Einige Auswanderer aus Dorchester gründeten die Stadt Dorchester in Massachusetts.
Nach dem Tod von König Karl II. versuchte dessen illegitimer Sohn James Scott, erster Herzog
von Monmouth, seinen Onkel Jakob II. als Nachfolger Karls vom Thron zu verdrängen. Im
Zuge dieser Monmouth Rebellion (auch Pitchfork Rebellion) misslang James Scott die Einnahme von
Dorchester und 300 seiner Leute wurden vom Richter George Jeffreys, erster Baron Jeffreys, zum
Tode verurteilt oder in die Verbannung geschickt. Diese Prozesse sind als Bloody Assizes bekannt.
Große Teile von Dorchester wurden durch zwei große Feuersbrünste in den Jahren 1613 und
1725 zerstört. Dennoch finden sich im Stadtzentrum noch einige mittelalterliche Bauten und das
im Tudorstil gebaute Armenhaus.
Der Schriftsteller Thomas Hardys entwarf den fiktiven Ort Casterbridge nach dem Vorbild seiner
Heimat Dorchester. Sein Cottage, in den Wäldern östlich von Dorchester gelegen, sowie sein
Haus in Dorchester, Max Gate, werden vom National Trust verwaltet und können besichtigt werden. Ein weiterer berühmter Sohn der Stadt ist Thomas Masterman Hardy, ein Admiral, der unter
dem Oberkommando Lord Nelsons in den Seeschlachten bei Abukir und Trafalgar diente. Ihm
zu Ehren steht auf einem Hügel im Südosten der Stadt das 22 m hohe Hardy Monument.
Judge Jeffrey's Gasthaus, wo der Richter während der Bloody Assizes verweilte
187
2.5
Wareham
Wareham ist ein historisches kleines Marktstädtchen mit 5700 Einwohnern (Wareham Town)
bzw. 8400 Einwohnern (mit Wareham St. Martin) und liegt 13 km südwestlich von Poole. Die ältesten Straßen gehen noch auf die Römerzeit zurück, wobei die Siedlung selbst von den Sachsen
gegründet worden ist. Die Stadtmauern stammen aus dem neunten Jahrhundert und waren von
Alfred dem Großen zur Verteidigung gegen die Normannen errichtet worden. Die Marktrechte
erhielt Wareham im 15. Jahrhundert, Markttage heute sind am Donnerstag und am Samstag.
In der St. Martin's Church wurde nach dem Tod des Archäologen, Geheimagenten und Schriftstellers Thomas Edward Lawrence, bekannt als Lawrence von Arabien (1888-1935), von seinem
Freund Eric Kennington ein Grabmal mit einem Bildnis von Lawrence im arabischen Kleid aufgestellt. Eine Ausstellung über sein Leben und seinen Unfalltod findet sich im Wareham Town
Museum.
Marktplatz
am Kai
des Flusses
Frome
2.6
Corfe Castle
Nur sieben Kilometer südöstlich von Wareham liegt Corfe Castle, ein Dorf mit gleichnamiger
Burgruine, in einem Tal in den Purbeck Hills. Es ist eine der wild romantischen Ruinen Englands.
Gebaut wurde die Burg von
Willhelm dem Eroberer und
Über dem Dorf ragt die Burgruine
hat dem Tower of London
sehr ähnlich gesehen. Erst im
englischen Bürgerkrieg im 17.
Jahrhundert erhielt die Festung ihr heutiges Aussehen.
Nach der Belagerung durch
Truppen von Oliver Cromwell
fiel die Burg durch Verrat und
wurde größtenteils gesprengt.
Heute wird sie vom National
Trust betreut.
Auch das Dorf Corfe ist
überaus schön. Klein, mittelalterlich, schmiegt es sich an
den Burgberg und trägt zur
188
romantischen Szenerie bei. Es ist offenbar ein beliebter Altersruhesitz – das Dorf im Distrikt
Purbeck hat 1429 Einwohner (Stand: 2001), von denen 36 % im Ruhestand sind.
Es war für längere Zeit der Wohnsitz des Komponisten Kaikhosru Shapurji Sorabji (* 1892; †
1988). Edward der Märtyrer wurde am 18. März 978 in Corfe Castle ermordet. Um 1090 wurde
von den Normannen an dem Ort, wo vorher eine Zitadelle stand, mit dem Bau einer Burg begonnen. Unter Henry I. »Beauclerc« und später auch unter Johann Ohneland und Henry III.
Plantagenet wurde die Burganlage erweitert. Seine Gebeine befinden sich heute in der Abtei Shaftesbury, im Norden Dorsets.
2.7
Weymouth
Der Verwaltungsbezirk Weymouth and Portland hat eine Bevölkerung von ungefähr 64 400 Einwohnern (Stand: 2004), die Town Weymouth rund 52 000. Die Stadt hat einen langen Sandstrand
und ist einer der beliebtesten englischen Ferienorte. Zudem ist Weymouth auch Ziel von einigen
Sprachreisen, die von Europa ausgehen.
Weymouth gilt als erster Touristenort in England, wobei nicht die Kultur, sondern Erholung das
Hauptziel der Reisenden ist. Anlaufpunkt aller Weymouther ist die Jubilee Clock, sie steht in der
Mitte der ganzen Strandpromenade, und jeder der in Weymouth lebt, kennt sie. Die bunte Uhr
wurde 1887 errichtet und wird in der
Nacht so wie die ganze Strandpromenade beleuchtet. In den Sommermonaten findet dort jedes Jahr ein Jahrmarkt statt. Als weitere Touristenmagneten dienen jährlich das internationale Drachenfest, das Volksfest sowie
das Military Veteran's Festival.
Die Geschichte Weymouth wird eindrucksvoll im Timewalk Museum in
Weymouth dargestellt, in dem man unter anderem durch die Zeit der Pest
reist und so etwas über die Geschichte
der Stadt erfährt. Es wird angenommen, dass der Hafen von Weymouth
Jubilee Clock
im Mai 1348 durch ein anlegendes
Händlerschiff der Ankunftsort der
Beach Volleyball Classics am Strand von Weymouth
Pest in England war.
Während der Olympischen Spiele, die
2012 in London stattfinden werden,
wird Weymouth und die Halbinsel
Portland direkt neben Weymouth
Schauplatz für die Segelwettkämpfe.
Desweiteren finden in Weymouth jedes Jahr die Beach Volleyball Classics
statt. Ein Turnier, das auf dem langen
Sandstrand ausgetragen wird. Im Jahr
2005 besuchten mehr als 2500 Besucher die Sportveranstaltung. Es ist das
größte britische Volleyballturnier.
189
3
Devon
Devon ist rund 6700 km² groß und damit eine der größten Grafschaften Großbritanniens. Über
eine Million Menschen leben in Devon. Die größte Stadt Devons ist Plymouth, aber seine Hauptstadt ist Exeter. Devon ist einerseits für seine pittoresken Küstenorte und andererseits für die
Dartmoor- und Exmoor-Nationalparks bekannt.
Devon ist bekannt für malerische Küstenorte wie Sidmouth (oben links und rechts)
Wie auch in Cornwall basiert
die Wirtschaft Devons vor
allem auf traditionellen Berufsfeldern: Fischfang, Landwirtschaft und Bergbau. Um
diesen Nachteil auszugleichen, wurde Devon in die
Wirtschaftsförderungsprogramme der Europäischen Union aufgenommen.
Trotz aller Probleme ist Devon attraktiv für Firmen der
Dienstleistungs- und FinanzBranche. Insbesondere die
Gegend um Dartmoor verzeichnet einen Bevölkerungs-zuwachs.
Küstenpfade laden zum Spaziergang ein
Neben den traditionellen
und neuen Wirtschaftssektoren gewinnt der Tourismus
immer mehr an Bedeutung, und die Verwaltung von Devon unternimmt viel, um die Attraktivität
der Landschaft und der Küstenstädte zu erhalten.
190
3.1
Exeter
Exeter ist in Devon sicherlich die interessanteste Stadt. Sie liegt am Ende der M 5 und ist somit
ein idealer Anfang für einen Urlaub in Südengland. Der Ort ist seit Jahrtausenden besiedelt, vor
den Römern lebten hier schon die Kelten. Alfred der Große musste Exeter von den Dänen zurückerobern und 1067 versuchte die Stadt, Willhelm dem Eroberer zu trotzen, allerdings ohne
Erfolg. Da Exeter so weit vom Schuß lag, blieb der Stadt im 19. Jh. der Aufschwung und Neustrukturierung erspart, die andere Orte in der industriellen Revolution erfuhren. Die Folge: Viele
guterhaltene historische Gebäude. Heute leben hier nach einer Schätzung für 2007 etwa 122 400
Menschen. Exeter hat einen internationalen Flughafen.
Am Fluß Exe gelegen, zeigt
Exeter in vielen Teilen die Gegensätze der Generationen. Mittelalterliche Häuser sind häufig,
ebenso wie die modernen Gebäude, z.B. am Fluß mit allen
dazugehörigen Annehmlichkeiten wie Bars, Cafés und Restaurants.
St Peter's Cathedral, deren Baubeginn im 11. Jahrhundert liegt,
dominiert die Stadtlandschaft.
Es ist ein wuchtiger Bau, äußerlich leicht verwittert, aber dennoch eindrucksvoll. Im 14. Jahrhundert wurde er ins Gothische
»modernisiert«. Vom einstmals
Kathedrale St. Peter
normannischen Bau sind nur
noch die zwei Türme übrig. Innen jedoch ist nichts von der
Wuchtigkeit zu spüren. Der Bau ist hell, hoch und einladend. Darüber hinaus hat St Peter's die
längste durchgehende Kathedralendecke der Welt.
Am Cathdral’s Square findet sich ebenfalls eines der prächtigsten historischen Häuser der Stadt:
Mol’s Coffee House. Es ist ein Gebäude aus der Zeit der Tudors. Heute befindet sich darin ein
Geschäft, was eine Gratis-Besichtigung des Hauses ermöglicht – auch wenn das Interesse an
Landkarten eher geringer ist,
die dort aber ebenfalls erstanden werden können.
Von hier ist es nicht mehr weit
zur High Street. Dort steht die
Guildhall, von denen die Stadtväter behaupten, dass es das älteste Gebäude Englands ist,
dass noch immer amtlich genutzt wird. Seine elegante Rennaissance-Fassade sticht aus
der Reihe der modernen Bauten
deutlich hervor. Das Gebäude
ist zu besichtigen, wenn es nicht
gerade amtlich genutzt wird.
Am anderen Ende der High
Mol's Coffee House
Street kommt man an den so
191
genannten Underground Passages vorbei. Diese wurden im 13. Jahrhundert gegraben, um das Kathedralenviertel mit Wasser zu versorgen. Von der ehemaligen Festung Exeters, Rougemont Castle, ist heute nicht mehr viel übrig. Einzig die Ruine eines der Tore mit seinen roten Steinen ist
noch zu sehen. Hübsch sind allerdings gleich nebenan die Rougemont Gardens.
Eine Attraktion steht noch bevor, die besonders bei schönem Wetter wirklich einmalig ist. Am
ehemaligen Hafen zeigt sich Exeter von seiner modernen Seite. Zum einen sind hier alte Lagergebäude umgebaut, zum anderen
befinden sich hier auch eine
Menge Neubauten direkt am
Fluss. Es ist alles in allem eine
durchaus gelungene Kombination aus alt und neu. Wer möchte,
kann hier Boote oder Fahrräder
mieten, um den Fluß Exe auf
seine Weise zu erkunden. Auch
das ehemalige Custom House
aus dem 17. Jahrhundert ist
prächtig und zeigt, wie gut es
der Stadt einmal wirtschaftlich
ging.
Custom House
3.2
Torquay
Der Hafenort Torquay (64 500 Einw.) bildet zusammen mit den benachbarten Paignton und Brixham die eigenständige Verwaltungseinheit Torbay – ein langgestreckter Ballungsraum mit insgesamt rund 150 000 Einwohnern, die sogenannte English Riviera. Der Golfstrom bringt milderes
Klima mit. Aus diesem Grund wachsen hier Palmen und andere Südpflanzen, der beleuchtete
Küstenstreifen bei Nacht erinnert aber vielleicht am ehesten an südlichere Gefilde. Ansonsten ist
die Gegend dem Massentourismus geweiht. Allerdings beschränkt sich dies meist auf Spielkasinos oder Vergnügungen im Nachbarort Paignton.
Neben dem Hafen und den Stränden hat Torquay nicht all zu viel zu bieten. Allenfalls das Abbey
Mansion mit seinen Bildern ist sehenswert. Es beinhaltet ebenfalls eine kleine Ausstellung über
eine der berühmtesten KrimiauTorquay Harbour
torin der Welt. Agatha Christie
wurde hier 1890 geboren und
wuchs hier auch auf.
Vielleicht eher nebensächlich,
aber interessant: Eine der erfolgreichsten Komödien Englands
spielt in Torquay. Basil Fawlty
alias John Cleese machte hier in
den Siebzigern als snobistischer
und menschenverachtender Hotelbesitzer Fernsehgeschichte –
Fawlty Towers. Berühmtester
Satz, als er auf deutsche Gäste
losgelassen wird: »Don't mention the war.«
192
3.3
Dartmoor
Der 1951 eingerichtete Dartmoor-Nationalpark soll helfen, die Ursprünglichkeit des Gebietes zu
erhalten. 17 000 Hektar oder 16 % des Parks sind entweder als Naturschutzgebiete oder als Orte
von »speziellem naturwissenschaftlichen Interesse« ausgewiesen. Hinzu kommt der Schutz von
1000 Hektar bewaldeter Flächen. Im Gegensatz zu anderen Nationalparks untersteht der Dartmoor-Nationalpark nicht dem Rights of Way Act. Das heißt, dass der gesamte Park für Fußgänger
zugänglich ist, sie müssen sich nicht an die bestehenden Wege und Straßen halten.
Der kommerzielle Druck und die dadurch bewirkten immer schnelleren
Veränderungen im Dartmoor führten
schon 1883 zur Gründung der Dartmoor Preservation Association. Noch heute
spielt diese Organisation eine führende
Rolle beim Schutz der natürlichen Lebensräume und bei der Erhaltung des
freien öffentlichen Zugangs. In diesem
Zusammenhang bemüht man sich vor
allem auch um gute Beziehungen zu
den privaten Landbe-sitzern. Das
Land gehört zu großen Teilen dem
Herzog von Cornwall, das heißt dem
englischen Thronfolger Prinz Charles.
41 % des Parks sind Gemeindeland,
dessen Nutzung seit 1985 durch den
Dartmoor Commons Act geregelt wird.
Im Parkgebiet gibt es eine große Auswahl an malerischen Flussläufen und imposanten Wasserfällen. Das Wasser des zum National Trust gehörenden Lydford Gorge zwängt sich zum Beispiel durch einen schmalen
Spalt und wirbelt von da hinab in The Devil's Cauldron. Bemerkenswert ist auch der am Westrand
des Parks befindliche Wasserfall The White Lady, ein 30 Meter hoher Vorhang aus weißem Wasserschaum. Leider gibt es im Dartmoor-Gebiet nur wenige Wiesen- und Weideflächen mit einer im
Frühling blühenden Flora. In den Monaten August und September färben gelber Ginster und
violettes Heidekraut die Landschaft. Für Wanderer, vor allem für solche, die sich auf das Lesen
von Karten verstehen, sind die Möglichkeiten immens. Die vom Park-Ranger-Service betreuten
Wege addieren sich zu einer Gesamtlänge von 740 Kilometer. Außerdem ist ja auch das Moorland selbst der Öffentlichkeit zugänglich.
Neben den bekannteren und weniger bekannten Sehenswürdigkeiten Dartmoors gehören die verstreut liegenden schönen Weiler und Dörfer zu den Anziehungspunkten; einigen von ihnen hat
die Parkverwaltung den Status von Conservation Areas zugesprochen. Am südöstlichen Rand des
Parks ist die Kleinstadt Buckfastleigh einen Besuch wert; von dort fährt die South Devon Railway, eine wieder hergestellte Normalspur-Eisenbahnlinie, den Dart River entlang nach Totnes.
Nahe der Stadt befindet sich die Benediktiner-Abtei Buckfast Abbey, eines der wenigen noch aktiven Klöster in Britannien.
Ganz im Norden des Parks liegt über dem Flusstal des Teign das Castle Drogo; es ist das letzte
Landschloss, das in Großbritannien gebaut worden ist. Weiter flussabwärts kommt man zur Fingle Bridge, einem massiven, dreibogigen Bauwerk. Weiter nordwestlich geht es nach Lydford.
Dort steht die Kirche St Michal's de Rupe auf Brentor – alle Welt rätselt, warum sie ausgerechnet
an einem derart schlecht zugänglichen Platz errichtet worden ist. In Lydford wurde 1195 das für
seinen rüden Umgang mit Gefangenen bekannte erste Gefängnis Dartmoors erbaut.
The Devil's Cauldron
193
Von Südwesten her fährt man durch das Zentrum des Parks auf alten Straßen über Bennet’s
Cross und Warren House, dem abgelegensten Inn, zur Ortschaft Postbridge, wo die größte noch
erhaltene, über den East Dart errichtete clapper bridge, eine Steinplattenbrücke, zu sehen ist. Sie
stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde erbaut,
um das Zinn von den Minen
mit Packpferden zu den
Schmelzöfen von Gavistock
und Chagford transportieren
zu können.
Der nächst Ort ist Princetown, bekannt für sein düsteres Zuchthaus, das 1806 ursprünglich für Gefangene
aus den Napoleonischen
Kriegen gebaut wurde. Der
Ort beherbergt außerdem
das Verwaltungszentrum der
Dutchy of Cornwall und
schrieb hier Arthur Conan
Alte Clapperbridge bei Postbridge
Doyle während eines Aufenthaltes die Detektivgeschichte
Der Hund von Baskerville um
Sherlock Holmes. Wer weiß, vielleicht treibt der Hund hier im Dartmoor noch immer sein Unwesen.
Immer noch im Zentrum, aber in der Osthälfte, liegt das wahrscheinlich am häufigsten besuchte
Dorf Dartmoors, Widecombe-in-the-Moor. Schon von weitem ist der 36 m hohe Turm der Gemeindekirche zu sehen. Er wurde nach 1638 errichtet; in jenem Jahr schlug während eines Gottesdienstes ein gewaltiger Blitz in das Gebäude ein und forderte vier Todesopfer.
3.4
Plymouth
Plymouth ist mit 250 700 Einwohnern (Schätzung 2007) einer der größten Seehäfen Englands,
historisch vielleicht sogar der größte: hier begann der Aufstieg Englands zur Weltmacht. Große
Namen der englischen Seefahrertradition sind mit Plymouth verbunden, die bekanntesten unter
ihnen sind wohl Sir Fracis Drake und die Mayflower.
1231 findet die Stadt, die nach dem Fluß Plym benannt ist, erstmals schriftliche Erwähnung. Der
Schwarze Prinz segelte von hier 1355 zum letzten Mal gegen Frankreich, Entdecker und Eroberer
legten von hier ab, darunter Sir Francis Drake, Admiral Blake und James Cook.
Am 31. Juli 1588 wurde die spanische Armada vor Pymouth vernichtend geschlagen, mit Francis
Drake als Vizeadmiral. Am 6. September 1620 lief die Mayflower mit den Pilgervätern aus Plymouth Richtung Amerika aus, ihnen folgten noch zahlreiche andere Auswanderer in die neue
Welt. Im zweiten Weltkrieg wurde der Marinehafen von den Deutschen sehr stark zerstört, so
dass nur wenig historische Bausubstanz erhalten geblieben ist.
Zu den größten Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt das National Marine Aquarium, das sich als
Britanniens größtes und Europas tiefstes Aquarium bezeichnet. Dort können von den Fischen
der Flüsse bis hin zu den Bewohnern des Meeres z.B. des Korallenriffes zahlreiche Wasserlebewesen bewundert werden. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist der Punkt im Hafen, an dem die
Mayflower abgelegt hat, als sie ihre Reise in die neue Welt begann.
194
Auf der berühmten Rasenfläche, der so genannten Hoe, soll
Sir Francis Drake in aller Ruhe noch sein Bowl-Spiel beendet haben, bevor er die angreifende Spanische Armada bekämpfte. Auf der Hoe stehen heute mehrere Denkmäler.
Noch heute ein beliebter Treffpunkt für Studenten und
Stadtbummler, die von der wenige Schritte entfernten Innenstadt ein wenig entspannen und den besten Blick auf
den Plymouth-Sound werfen möchten. Direkt an der Hoe
befindet sich der Plymouth-Dome, das kreisrunde Meerwasser-Schwimmbad, und der Leuchtturm (Smeaton's
Tower). Besonders sehenswert ist auch die Altstadt von
Plymouth, der sogenannte Barbican, von den Bewohnern
kurz und liebevoll The Barbie genannt. Mit urigen Kneipen,
gemütlichen Wirtschaften und einem tollen Blick auf den
Hafen lässt sich auch dort gut entspannen.
Die Charles Church im Herzen der Stadt ist immer noch
eine Ruine und soll dadurch an den Schrecken des Zweiten
Weltkrieges und die vielen Toten mahnen und erinnern.
Die Kirche St. Andrews aus dem 15. Jahrhundert wurde
wieder aufgebaut und hat deshalb moderne Fenster.
Standbild des berühmtesten
Sohn Plymouths auf der Hoe:
Sir Francis Drake
Barbican im Sommer
3.5
Jurassic Coast
Die Jurassic Coast (Jura-Küste) ist ein Abschnitt entlang der südenglischen Ärmelkanal-Küste. Sie
beginnt schon südlich von Poole in der Grafschaft Dorset und erstreckt sich auf einer Länge von
etwa 150 km schließlich bis nach Exmouth in der Grafschaft Devon. 2001 wurde die Jurassic
Coast in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Neben den beeindruckenden Felsund Küstenformationen ist sie vor allem als Fossilienfundstätte bekannt. Weite Teile der Jurassic
Coast sind als Area of Outstanding Natural Beauty geschützt.
Die Küste dokumentiert mit ihren Felsformationen etwa 190 Millionen Jahre Erdgeschichte. Die
Felsen und Klippen entstanden im Erdmittelalter (Mesozoikum). Die ältesten Felsen befinden
sich im Westen in East Devon.
195
Auf Grund der landschaftlichen Schönheit ist die Jurassic Coast ein beliebtes touristisches Ziel. Beliebt sind zum
Beispiel Wanderungen entlang des South West Coast
Path, einem Fernwanderweg
entlang der Küste. Entlang
der Felsküste gibt es viele
geologische Besonderheiten
und
verschiedene
Aussichtspunkte. In den kleinen
Städten und Dörfern gibt es
zahlreiche Museen und Besucherzentren. Besonders sehenswert sind die Steinbruchhöhlen bei Beer und der Strandabschnitt am Dorf.
3.6
Exmoor
Der Exmoor-Nationalpark im Norden Devonswurde 1954 gegründet
und umfasst eine Fläche von 693
km². Im Norden grenzt er an den
Bristol Channel. Die abwechslungsreiche Felsenküste ist durchsetzt mit
engen, bewaldeten Taleinschnitten.
Landeinwärts breitet sich hinter einem Randgebiet mit Farmen eine
von kleinen Tälern durchschnittene
Hochebene mit Moorheide aus, die
nicht selten von Dunst oder Nebel
eingehüllt ist. Sie liegt auf einer mittleren Höhe von 300 m, höchster
Punkt ist der Dunkery Beacon mit
519 m. Exmoor wird von zwei Hügelrücken geteilt. Die Flüsse Barle
und Exe fließen nach Süden zum Ärmelkanal, während der Lyn und der
Avill nach Norden zum Bristol Channel fließen. Das unbebaute Moorland
ist eine offene, baumlose Heidelandschaft, wo Blaubeeren, eine örtliche
Delikatesse, und Adlerfarn wachsen.
oben rechts und rechts:
So unterschiedlich zeigt sich
der Exmoor-Nationalpark
196
Strand bei Beer
An der Küste kontrastiert rosalila blühendes Heidekraut zu leuchtend gelbem Stechginster. In der
Mitte von Exmoor, um Simonsbath herum, liegt der ehemalige königliche Jagdwald, heute ein
ausgedehntes Grasmoorgebiet. Im Exmoor leben die meisten Rothirsche Englands.
Ungefähr die Hälfte der etwa 10 500 Einwohner wohnt in den über das Gebiet verteilten Ortschaften, wovon die größten Lynton, Dunster, Porlock und Dulverton sind. Die Kirchen in einigen Dörfern wie Parracombe, Porlock, Culbone und Brendon sind keltischen Heiligen geweiht.
Die landwirtschaftliche Nutzung basiert auf Schaf- und Rinderzucht. Auf den fruchtbaren Böden des Vale of Porlock (Porlocker Tal) und der Gegenden in den Brendon Hills wird auch
Ackerbau betrieben. Ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Region ist der Tourismus. In zahlreichen Orten kann man die Exmoor-Ponys reiten. Dieses wildlebende Moorlandpony ist Großbritanniens älteste Ponyrasse.
3.7
Clovelly
Clovelly ist ein Fischerdorf an der Nordostküste Devons in Großbritannien. Es wurde vor allem
durch den Roman Westward Ho von Charles Kingsley bekannt. Auch Charles Dickens beschreibt
in seinem Buch A message from the sea die raue Gegend um Clovelly.
Durch seine malerische Lage lockt Clovelly viele Touristen an. Jedoch kann der Ort selbst nur zu
Fuß besichtigt werden, da Autos nicht erlaubt sind und auf Grund des steilen Gefälles auch nicht
fahren können. Für ältere Menschen bietet sich jedoch die Möglichkeit, gegen Gebühr einen
Land Rover Service, der die Leute nach unten an den Hafen befördert, zu nutzen.
Ein 800 Meter langer steiniger Weg führt nach unten zum Hafen, wo man eine Kaimauer aus
dem 14. Jahrhundert findet. Außerdem gibt es in dem Dorf zwei Kapellen, Restaurants sowie
Souvenirläden und Kunsthandwerker.
Im Ort leben zurzeit 400 Einwohner, wobei viele davon noch den klassischen Fischfang betreiben, was an den weißen Fischerhäuschen deutlich wird. Das Dorf ist seit 250 Jahren im Privatbesitz der Familie Rous, welche die Eintrittsgelder nutzt, um das Dorf zu erhalten.
Pflastergasse durch die Häuser (links)
hinunter zum Hafen(rechts)
197
4
Cornwall und Isle of Scilly
Wer den perfekten Ort für einen Familienfeiertag oder einfach eine Gelegenheit sucht, dem Alltagsstress für ein paar Tage zu entgehen, für den ist Cornwall die richtige Wahl. Cornwall ist ein
aufregendes und lebhaftes Gebiet mit vielen Möglichkeiten. Für die Übernachtung finden die
John Fowler Holiday Parks, die in Cornwall, einige aber auch in Devon angesiedelt sind, großen Anklang. Aber auch die gemütlichen Landhäuser sind die perfekte Ausgangsbasis, um sich die Vielfalt der Gegend voller wunderbarer Anziehungskräfte eigen zu machen. Egal bei welchem Wetter.
Cornwall ist bei einer Einwohnerzahl von gut
530 000 und einer Fläche von 3563 km² relativ
dünn besiedelt, was dem ländlich idyllischen
Charakter nur entgegen kommt.
Nach Cornwall zu reisen ist leicht: entweder
mit der Fähre oder über Land mit dem Auto
oder dem Zug und es gibt sogar einen Flughafen in Newquay mit Verbindungen nach London und anderswo.
Besonders die Fahrt mit dem Auto ist wirklich
etwas besonderes – man muss nur etwas Zeit
und Geduld mitbringen. Die gewundenen und
häufig sehr engen Straßen sind von Hecken
umsäumt oder bieten immer wieder einen herrlichen Ausblick auf dieses wunderschöne
Fleckchen Erde. An der Straße selbst sind auch
immer wieder Kleinode zu finden, sei es ein altes Farmhaus oder ein liebevoll angelegter Garten – der Weg ist das Ziel.
Landschaft in der Nähe von Trevone
Die Küstenstädte und -dörfer erwecken die
Athmosphäre des Fischereilebens und die Strände laden zum Baden ein. Für jeden Geschmack ist
etwas dabei und trotzdem ist Cornwall etwas einmaliges. Auch sprachlich: Kornisch ist ein angewandter Dialekt in verschiedenen Färbungen.
Bei Port Isaac
198
4.1
Polperro
Polperro ist ein Fischerdorf aus dem 13. Jahrhundert und liegt an der Südküste von Cornwall.
Unverdorben durch Fortschritt, bietet Polperro eine erfrischende Erholung an, die Hektik des
modernen Lebens ist schnell vergessen. In dem Irrgarten enger Straßen, kleiner Gassen und Alleen sind historische Häuser eingepackt, die zu einem unverdorbenen, malerischen Hafen hinunter führen. Es ist eine absolute Freude, die Küstenlinie zu erforschen.
Ein Großteil von Polperro ist für Fahrzeuge unzugänglich und deswegen hat der Fußgänger das
Dorf für sich erobert. Der große Autoparkplatz befindet sich ganz oben am Ende von Polperro
und es ist ein netter sanfter Spaziergang keinen Kilometer lang über Läden, Kneipen, Restaurants
und Cafés, die aus vergangenen Zeiten anmuten, zum Hafen hinunter. Der Hafen ist in einer geschützten Klippenbucht gelegen, das in einer Landschaft hervorragender natürlicher Schönheit
eingebettet ist.
Der äußere
Hafenteil, in
dem die
Fischfangflotte und die
Ausflugsboote liegen
Polperro ist immer ein Fischerhafen gewesen und geblieben. Jeden Tag bringen hier die Fischer
ihren Fang an Land und vielleicht kann man sie gleich vor Ort dazu überreden, den frischesten
Fisch an einen zu verkaufen. Wenn die Fischer nicht auf See sind, kann man ihnen beim Ausbessern der Netze oder sonstigen Tätigkeiten zusehen. Auch ein Ausflug mit einem Fischerboot ist
immer drin.
Im Dorf sollte man eine der regelrecht drolligen Kneipen besuchen, die teilweise aus dem Mittelalter stammen. Es gibt wirklich gute Restaurants und Cafés, die die örtlich gefangenen Meeresfrüchte auf der Speisekarte kredenzen. An den Wochenende tritt oft ein Live-Musiker auf. Für
geschichtlich Interessierte steht das Schmugglermuseum und eine Vielzahl historischer Stätten
zur Verfügung.
Es gibt viele atemberaubende Spazierpfade entlang der Klippen, ein Teil gehört zum South West
Coast Path. Polperro hat einen kleinen Strand und in der Nähe sind die Buchten Talland, Lansallos
und Lantivet.
4.2
St. Austell
Obwohl St. Austell nicht an der Küste liegt, hat der Tourismus in der größten Stadt Cornwalls –
mit lediglich 22 658 Einwohnern also eine Kleinstadt – zunehmende Bedeutung. Dazu tragen natürlich auch die Küstenwege an der Bucht bei, aber es wird durchaus mehr geboten.
Der Hafen Charlestown am Südostende der Stadt ist größtenteils unverändert und die unverfälsch199
te Atmosphäre wurde bereits
häufiger für Filmaufnahmen genutzt. Jetziger Besitzer der
Docks ist der Square Sail Shipyard. Der Gesellschaft gehören
drei alte Briggs, die wie in alten
Zeiten im Hafen festgemacht
sind und besichtigt werden können.
Eine alte Brigg
im Hafen Charlestown
Die Brauerei von St. Austell bietet Führungen an und ebenso kann man das Wheal Martyn China
Clay Heritage Centre vier Kilometer außerhalb besichtigen. Die Ausstellung dort durch die alten Lagerstätten kann mit alten Grubenbahnen befahren werden. Einer der bekanntesten botanischen
Gärten Englands ist The Lost Gardens of Heligan im Fischerdorf Mevagissey, keine zehn Kilometer
weiter südlich.
Einen großartigen Garten findet man in Cornwall dort, wo man ihn am wenigsten erwarten, etwa
acht Kilometer nordöstlich von St. Austell bei Bodelva. Mit viel Liebe und Sorgfalt ist in einem
einzigartigen Projekt etwas entstanden, das Unterhaltung, Naturliebe und Bildung zusammenbringt: Das Eden-Project.
Die industrielle Revolution hat in der Gegend durch den jahrzehntelangen Abbau von Ton riesige
Narben hinterlassen.Was könnte man also aus einem hässlichen Krater in der Landschaft machen? So etwas ähnliches müssen sich die Väter dieses Projektes gedacht haben. Die englische
Antwort: Ein großer, teilweise überdachter Garten.
Das Eden Project ist sicherlich eines der erfolgreichsten Projekte
der letzten Jahre und eines der
am meisten besuchten Attraktionen Englands. Das herausstechendste Merkmal sind die riesigen Kuppeln der Gewächshäuser. Wie runde Bienenwaben sehen sie aus und beherbergen
Pflanzen aus aller Herren Länder. Gerade zur Winterzeit ist
der mediterane Bereich einfach
nur herrlich: Da blühen schon
die ersten Blumen und der Duft
von frischen Kräutern erfüllt
den Raum. In dem tropischen
Project Eden: Die Kuppeln der Gewächshäuser
Bereich wird es dann sogar richtig heiß und schwül. Vögel und
Wasserfälle sorgen hier für eine authentische Atmosphäre. Besonderen Wert legen die Betreiber
auf die Umwelt. So findet man Informationen über Kaffeeplantagen und deren Einwirkung auf
die Natur ebenso wie über den Treibhauseffekt und Trinkwasserverschmutzung. Führungen werden ebenso angeboten wie Unterhaltung für Kinder und junggeblieben Erwachsene. Selbst nach
fünf Jahren wird an diesem einzigartigen Landschaftsgarten noch gebaut, aber trotz Baustellen ist
Eden eine Reise wert. Kunstwerke sind geschickt in die »Natur« eingebaut, drinnen und draußen.
200
4.3
St. Mawes
Wenn überall sonst in Cornwall die Dörfer und Städte überfüllt sind, herrscht in St. Mawes immer noch Ruhe. Die Lage des kleinen Fischerdorfes auf der Roseland Halbinsel ist einmalig. Entweder man fährt den weiten und hügeligen Weg über die A 3078 oder man nimmt die Fähre in
der Nähe von Falmouth.
Die Seeseite des Ortes ist mit Cafés, Pubs und Restaurants bestückt, die zum Seelebaumeln einladen. Nichts wirkt hier übereilt, es gibt nicht viel zu tun als einfach die Aussicht auf das Meer zu
genießen. Es lohnt sich, die Dorfstraße entlang zu schlendern und sich an den privaten Gärten zu
erfreuen, die es hier nicht zu knapp gibt. Nach etwa einen Kilometer erreicht man das St. Mawes
Castle, das von Heinrich VIII. gebaut wurde. Diese kleine Festung verdankt ihren guten Zustand
übrigens der Tatsache, dass es sehr
schnell von den Royalisten an die
parlamentarischen Kräfte aufgegeben wurde.
Wer etwas Zeit hat, für den kann
ein Besuch im Nachbardorf St.Just-in-Roseland lohnend sein. Besonders charmant ist die Dorfkirche, die sich inmitten eines subtropischen Gartens befindet. Wie
im Bilderbuch sieht es aus, verwitterte und halb umgekippte Grabsteine inmitten von Blumen und
Palmen, im Hintergrund die kleine
mittelalterliche Kirche. Und das alles direkt am Wasser.
Blick vom Meer auf St. Mawes Castle (rechts)
4.4
The Lizard
Der Name stammt aus dem Kornischen
»Lys Ardh«, was sich mit Hohes Gericht
übersetzen lässt. Der Begriff wurde zum
englischen »Lizard« umgewandelt, was allerdings Eidechse bedeutet.
Auf der Halbinsel liegt der Lizard Point,
der südlichste Punkt Großbritanniens.
Hier stehen zwei achteckige Leuchttürme
aus dem Jahr 1752, von denen heute nur
noch einer in Betrieb ist. Über lange Zeit
waren die Küsten von Lizard als Grab für
Schiffe gefürchtet.
Auf den Goonhilly Downs liegt die British Telecom Goonhilly Satellite Earth
Station, eine der größten Satellitenkommunikationszentren der Welt. Weiterhin
liegt hier auch die Goonhilly Windenergieanlage. Bei Mullion liegt an der Westküste die Poldhu Cove. Hier erinnert ein
Marconidenkmal an die erste erfolgreiche
Leuchtturmanlage auf der
Kuppe bei Lizard Point
201
transatlantische Funkübertragung im Jahr 1901, die von hier aus gesendet wurde.
Bei Coverack an der Ostküste (Black Head) und bei Lizard (Kynance Cove und Asparagus Island)
gibt es offen zu Tage tretendes Serpentingestein, aus dem große Teile der Halbinsel bestehen.
4.5
St. Michael's Mount
Ähnlich wie sein großer Bruder in der Normandie ragt auch der britische St. Michaels Mount
ebenfalls eindrucksvoll aus dem Wasser empor. Er ist nicht ganz so hoch, dafür aber mindestens
ebenso schön. Anders übrigens als der französische St Michaels Mount, deren Bucht fast gänzlich
versandet ist, findet sich der britische bei Flut im Meer wieder. Der Legende nach hat hier der
heilige Michael den Teufel besiegt, seit dem fünften Jahrhundert befand sich hier auf der Insel
ein Kloster. St Michaels Mount ist in der Folgezeit immer mehr befestigt worden. Die Garnison
sichtete von hier aus auch das erste Mal die spanische Armada und zündete das erste Signalfeuer,
das vor der bevorstehenden Invasion warnte. Nach dem
St. Michael's Mount
Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert wurde die Festung auf der
Insel an die Aubyn Familie vermacht. Auch heute noch lebt
die gleiche Familie in der ehemaligen Burg, die sie allerdings
für Besucher geöffnet hat.
Vom Strand des ebenfalls attraktiven Dorfes Marazion aus fahren dann Motorboote Touristen
auf die Insel. Bei Ebbe läßt sich die Insel auf einem schmalen Weg erreichen.
Wer es schafft, sollte den St Michaels Mount im Juli oder August entweder am Donnerstag oder
Freitag besuchen oder im Mai oder Juni Montags bis Freitags. Dann nämlich sind die mediteranen Gärten geöffnet, schon sie allein wären einen Besuch auf der Insel wert. Dank des milden
Klimas Cornwalls gedeihen hier Pflanzen, die sonst vielleicht in Italien oder Griechenland anzutreffen sind.
Ein wenig schade ist nur die Salami-Taktik bei den Tickets. Sowohl die Festung als auch die Gärten müssen separat bezahlt werden. Für einen wenig informativen Kurzfilm von 15 Minuten Länge und die Überfahrt mit dem Motorboot fallen ebenfalls Kosten an, so dass leicht über zehn
Pfund zusammen kommen.
202
4.6
Penzance
Penzance liegt an der Mounts Bay, einer Meeresbucht des Atlantiks am Eingang des Ärmelkanals,
in der auch der St. Michael’s Mount zu finden ist. Der Name Penzance entstammt der kornischen
Sprache: »Pen Sans« bedeutet soviel wie »heilige Landspitze«, was sich auf eine Kirchengründung
in frühchristlicher Zeit bezieht. Die Stadt hat 21 168 Einwohner (Stand: 2001) und ist Verwaltungssitz des Districts Penwith.
Das angenehme Atlantikklima mit seinem Golfstrom begünstigt eine üppige, teils subtropische
Vegetation, so sind die Strandpromenade sowie zahlreiche Gärten und Vorgärten gekennzeichnet
durch hohe Cordylinen. Neuerdings findet man in der Stadt
sogar ausgepflanzte Kanarische
Dattelpalmen. Penzance und
Umgebung sind stark durch den
Tourismus geprägt.
Sehenswert sind – neben der
1844 errichteten Strandpromenade und dem Stadtpark, den
Morrab Gardens – das Penlee
House, ein Museum und Kunstgalerie mit den wichtigsten Vertretern der Newlyn School, einer
Künstlerkolonie aus der Gegend. Außerdem ein 1935 gebautes Feibad, Jubilee Bathing
Pool, das sich südlich vom inneren Hafen ins
Meer erstreckt, gerade so wie im Stile des Lido.
4.7
Palmen in Morrab Gardens
Lanyon Quoit
Der Lanyon Quoit, auch bekannt als The Giant’s Quoit
und The Giant’s Table, ist ein
etwa 5500 Jahre alter Dolmen aus der Jungsteinzeit
und das bekannteste Portalgrab (Quoit) in Cornwall. Er
ist etwa acht Kilometer westnordwestlich von Penzance
zu finden. Bei diesen Portalgräbern stützen mehrere
senkrechte Megalithen eine
Deckplatte. Solche Dolmen
wurden im 19. Jahrhundert
auch als Cromlechs bezeichnet.
Anlagen dieses Typs findet
man in Cornwall, Südwales
und in Irland.
203
4.8
Land's End
Land’s End ist eine Landzunge und der westlichste Punkt Englands auf der Hauptinsel Großbritanniens. Land's End ist wegen der geographischen Lage oftmals Ausgangspunkt von Wanderungen, Fahrradtouren, Reisen usw. quer durch Britannien. Das Gegenstück dazu ist John o’ Groats,
der (angeblich) nördlichste Punkt auf der Hauptinsel Großbritanniens. Große Entfernungen werden in Großbritannien oft mit der Metapher »von Land’s End bis John o’ Groats« beschrieben.
Der Legende nach soll das versunkene Land Lyonesse zwischen Land’s End und den Scilly-Inseln
Land's End
aus der Luft
gelegen haben, die etwa 45 km südwestlich liegen und bei klarem Wetter zu sehen sind. Weiterhin
sichtbar ist der ca. 2 km südlich gelegene Longship Leuchtturm, der auf einer vorgelagerten, aus
Quarzit und Serpentinit bestehenden Insel steht.
In Land’s End befinden sich ein touristisch ausgerichteter Themenpark und ein Flugplatz, außerdem ist es bis heute ein Schiffsfriedhof, so sieht man das Wrack der 2003 gestrandeten RMS Mülheim; viele weitere gesunkene Schiffe liegen unberührt unter der Wasseroberfläche und ziehen
Taucher an.
4.9
Isles of Scilly
Die Scilly-Inseln bestehen insgesamt aus mehr als 140 Inseln, ca. 55 größere Inseln, davon sind
sechs bewohnt, und mehr als 90 Inselchen und Felsenriffe und gehören zu Cornwall. Die Inselgruppe liegt ungefähr 45 km südwestlich von Land's End im Atlantik nahe dem Eingang zum Ärmelkanal.
Der Name »Scilly« stammt aus einer Kontraktion von »Sunny Isles«. Wegen des Golfstroms haben die Inseln sehr mildes, beinahe subtropisches und konstantes Klima mit vielen Sonnentagen
und einer Temperaturdifferenz zwischen Sommer- und Wintermittel von nur etwa 9 °C. Es wachsen viele subtropische Bäume (z. B. Pinien) und andere Pflanzen (Rhododendron, Azaleen usw.).
Vor dem Ende der letzten Eiszeit war der Meeresspiegel 80 - 100 m niedriger, die heutigen Inseln
waren eine große zusammenhängende Insel. Sie wurde vom nahen Cornwall aus besiedelt. Heute
leben 2153 Einwohner auf den Inseln (Volkszählung von 2001). In früheren Jahrhunderten waren die kleineren Inseln jedoch stärker bevölkert. Eine weitere Insel südlich von Bryher gelegen,
Samson, war seit 1669 von einer Familie bewohnt, 160 Jahre später lebten ca. 30 Menschen dort.
Die letzten zehn Bewohner wurden 1855 von der Insel auf andere umgesiedelt. Die Reste der
sechs Wohnhäuser können noch heute besichtigt werden.
204
Die Scilly Inseln waren wegen der vielen Klippen und
Unterwasserfelsen immer
ein schwieriges Gewässer
für die Seefahrt und wurden trotz der Leuchttürme,
die im 19. Jahrhundert errichtet
wurden
(der
Leuchtturm Bishop Rock
ist der westlichste in England), manchem Schiff
zum Verhängnis. Unter ihnen war eines der größten
Segelschiffe und der Welt
einziger
Siebenmastschoner, die Thomas W.
Lawson. Sie sank nach
Weißer Sandstrand bei Tresco auf den Scilly-Inseln
Strandung,
Auseinanderbrechen und Kentern
im Sturm im Dezember 1907 nahe St. Annet. Nur zwei Mann der Besatzung überlebten. Das
Schiffsunglück verursachte eine der ersten Ölkatastrophen, denn der Schoner fuhr als Segeltanker.
Die Inseln wurden 1975 zum Area of Outstanding Natural Beauty ernannt und dadurch unter besonderen Schutz gestellt. Ausschlaggebend waren die unbewohnten Inseln mit ihren großen Vogel- und Robbenkolonien, wie Annet und Samson.
4.10
St. Ives
Künstler, Aussteiger, Hippies – dieses Bild war einmal, vor vielen, vielen Jahren. Doch haben sich
große Teile von St. Ives das verschlafene Etwas bewahrt, das diese Hafenstadt jahrzehntelang
ausgemacht hat. Und dann kamen die Künstler mit heute großen Namen: Peter Lanyon, Patrick
Heron, Sir Terry Frost und natürlich allen voran Barbara Hepworth. Kunst und Malerei darf natürlich nicht fehlen. Es gibt jede Menge Gallerien und Ausstellungsräume, in denen zeitgenössische Werke zu sehen sind und natürlich auch gekauft werden dürfen.
Anmutig wirkt die Tate Modern mit ihren Sonderaustellungen in luftigen und hellen Räumen. Das
Barbara
Hepworth
Museum befindet sich
im ehemaligen Haus
der Künstlerin, in ihrem Gartem sind ihre
Plastiken zu sehen, im
Einklang mit der Natur. St. Ives ist überhaupt der Anziehungspunkt schlechthin für
junge Künstler, man
Maler am Strand von St. Ives
205
sieht sie am Strand, in den Gassen oder sonstwo beim Malen oder Gestalten, jeder nach seiner eigenen Kreativität.
Aber St. Ives ist mehr als das. Es ist für jeden etwas dabei: Weiße Strände, die zum Surfen einladen, Museen, Restaurants, Cafés, enge Gassen, mildes Klima – eine kleine Stadt, die auch einen
Touristenansturm gut absorbieren kann.
4.11
Newquay
Ursprünglich war Newquay (Zensus 2001: 19 423 Einwohner) ein Fischerdorf, das sicher schon
im 15. Jahrhundert am geschützten westlichen Ende der Newquay Bay existierte. Der Ort gedieh
dank der örtlichen Sardinenindustrie, die ihren Höhepunkt Mitte des 18. Jh.s erreichte. Große
Mengen wurden in die mediterranen Länder, hauptsächlich nach Italien, exportiert.
Ein Jahrhundert später kam der Kohleimport auf und erforderte ein Vergrößerung des Hafens.
Außerdem wurde in dieser Zeit eine Bahnstrecke quer über die Halbinsel gebaut, um Kaolin von
den Brüchen bei der Ortschaft St. Austell für den Export nach Newquay zu transportieren. Mit
dem Ausbau des Eisenbahnnetzes, und angelockt von den schönen Sandstränden bei Newquay
und von den Wellen des Atlantik, setzte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich der
Strom der Sommerurlauber ein.
In heutiger Zeit ist der Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig in Newquay. Der Ort liegt am
Rande der Steilküste, und seine insgesamt elf Sandstrände haben zusammen eine Länge von
mehr als 10 km. Das Klima ist ausgeglichen; im Trenance Tal gibt es sogar tropische Vegetation.
Der kleine Hafen wird nur noch von lokalen Fischern und von Vergnügungsdampfern benutzt.
Wichtige Sehenswürdigkeiten sind das Blue Reef Aquarium und die 1906 eröffneten Trenance
Gardens sowie in der Nähe in Kestle Mill das elisabethanische Herrenhaus Trerice, das zum National Trust gehört.
Der Ferienort propagiert sich selbst als The Surfing Capital of Britain mit vielen Geschäften für
Kauf und Verleih von Surfausrüstungen sowie Herstellern von Surfbrettern in der Stadt. Am Fistral Beach werden bedeutende internationale Wettbewerbe ausgetragen, aber auch an den Towan,
Great Western and
Tolcarne Beaches in
der Nähe der Stadt sowie in der Crantock
Bay und der Watergate
Bay finden Surfer ideale Bedingungen.
Der Bahnhof von Newquay ist Endhaltepunkt der Atlantic
Coast Line. Ferner hat
Newquay einen Flughafen.
Surfer am Fistral Beach
206
4.12
Bedruthan Steps
Als Bedruthan Steps wird eine spektakuläre Klippenformation mit mehreren freistehenden Felsen an der Nordküste Cornwalls zwischen den Ortschaften Newquay und Padstow im Südwesten
Englands bezeichnet. Die nur bei Ebbe zugängliche Bucht lässt sich über eine vom National Trust
instandgehaltene steile Treppe erreichen. Wegen des massiven Wellenganges wird allerdings vom
Baden abgeraten. Wer nicht
in die Bucht hinabsteigen
möchte, kann vom Wanderweg entlang der Steilküste
den Panoramablick genießen.
Der Name Bedruthan Steps
hat sich im 19. Jahrhundert
eingebürgert, als man geneigt
war, die Anordnung der Felsen mit der Vorstellung eines
schreitenden Riesen namens
Bedruthan zu verbinden. Für
einige der Felsen gibt es
Spitznamen; einer wird
Queen Bess genannt, ein anderer Samaritan nach einem
Schiff voller Woll- und Seidenstoffe, das hier im Jahr
1846 unterging.
Atemberaubend schön: Die Felsanordnung Bedruthan Steps an der Küste
4.13
Tintagel
Eigentlich ist Tintagel nur
eine Ruine unter vielen in
England, wäre da nicht im
zwölften Jahrhundert ein
sonderbarer
Schreiberling
mit dem Namen Geoffry of
Monmouth gewesen. Dieser
Mönch schrieb in seiner eigenen Fassung, was der
Volksmund zu den legendären Figuren Merlin und
König Artus zu sagen hatte.
Tintagel spielt dabei eine
wichtige Rolle, ist es doch
der angebliche Geburtsort
des Königs, sehr anschaulich
dargestellt im Film Excalibur
von 1981.
Die Ruine der Burg der Tafelrunde um Artus?
207
Ob das nun stimmt sei dahingestellt. Die Ruinen jedenfalls sind normannisch und zeitlich somit
mehr als 500 Jahre nach dem vermuteten Leben Artus'. Die meisten Bauwerke fielen übrigens ins
Meer, wirklich viel ist nicht mehr zu sehen. Der Ausblick auf die Küste Cornwall und auf das
Meer ist allerdings einmalig und alleine schon ein Besuch wert.
Das Dorf Tintagel ist wenig aufregend. Einzig das alte Posthaus sticht heraus. Das Gebäude ist
aus dem 14. Jahrhundert und beherbergte im 19. Jahrhundert die Post des Dorfes.
4.14
Bude
Ein Paradies für Surfer – anders kann man es nicht bezeichnen. Viel Sonne, wenig Regen, und
trotzdem nicht zu heiß. Die Strände sind wundervoll, wie eigentlich fast überall in Cornwall, und
es weht ständig ein kühlender Wind. Es ist der richtige Ort um auszuspannen. Das Kleinstädtchen (9242 Einwohner) selbst hat keine großartigen Höhepunkte zu bieten – außer eben dem
Meer und feinstem Sandstrand – beides Kilometer an Kilometer. Kein Wunder also, dass Surfer
aus aller Herren Länder hier gerne ihre Zeit verbringen. Man kann es hier auch leicht lernen, es
gibt jede Menge Lehrer, die ihre Dienste anbieten. Der Summerleaze Beach gehört sicher zu den
schönsten Stränden um Bude. Im Sommer ist hier richtig was los, selbst Rollstuhlfahrer können
hierher.
Aber auch für Wanderer, die gerne die rauhen Klippen entlang laufen, dem zweiten Merkmal Budes, ist die Gegend interessant, vor allem im Frühjahr und Herbst.
Summerleaze Beach in der Nebensaison, wenn
sich weniger Besuch als zur Sommerzeit einstellt
208
5
Somerset und Bath
Geprägt ist Somerset im Westen von den Brendon Hills und den Quantock Hills, ideale Gegenden für erholsame Spaziergänge. Der Osten ist in erster Linie wegen seiner reizvollen Städte interessant. In Somerset findet man eine wundervolle Mischung aus Landschaft und Küste. Lange
Sandstrände und Küsten wie Minehead oder Burnham-on-Sea geben einen schönen Kontrast zu
der felsigen Küste von Exmoor.
Es gibt es fünf verschiedene Hügelgebiete :- the Blackdowns, Mendips, Quantocks, Poldens und
die Brendons - jedes mit seinem eigenen Charakter. Die Ebenen und Moore sind die Flatlands
von Somerset und ideal zum Radfahren und Naturliebhaber.
5.1
Yeovil
Yeovil (sprich »Yoh-vil«) am Zusammenfluss der Flüsse Yeo und Perett ist Verwaltungssitz des
Distrikts South Somerset und hat 41 871 Einwohner. Der Name Yeovil leitet sich ursprünglich
von dem Angelsächsischem ab und bezeichnet eine Flussgabelung (Vil) des Yeo.
Die Stadt selbst ist gar nicht mal
so besonders. Sicherlich gibt es
hier auch schöne alte Wirtshäuser
und mit St. John's eine beeindruckende Kirche. Auch die Summerland Park Gardens sind sicherlich einen Besuch wert. Aber
eine Vielzahl der Attraktivitäten
dieser Gegend findet sich im Umland der Stadt.
Weiter im Süden zum Beispiel,
um Yeovil herum, findet man
wunderschöne Herrenhäuser und
Gärten. Der Bauernhof der Abtei
stammt aus dem Jahre 1420 und
das Museum von South Somerset
ist in Hendford zu finden.
Das Royal George Inn
Im angrenzenden Dorf Barwick steht der für Yeovil bekannte Jack the Treacle Eater, ein mitten in der Landschaft
befindlicher Torbogen mit Turm und kleiner Statue obenauf. Es ist nicht ganz klar, warum die Eingangstüre zum
Turm über die unregelmäßigen Steine zu erreichen ist.
Eine Legende erzählt, dass ein Mörder namens Jack hier
von seiner Frau versteckt gehalten worden ist, die in der
Küche des Barwick Hauses arbeitete und so für seine Verpflegung mit Sirup (Treacle) sorgte.
Jack the Treacle Eater
209
Besonders erwähnenswert ist Cadbury Castle. Es liegt bei South Cadbury, etwa zwölf Kilometer
nordöstlich von Yeovil. Man vermutet, dass in der Gegend die Schlacht von Camlann stattgefunden hat (wie auch bei Camelford in Cornwall). Cadbury Castle ist eine eisenzeitliche Befestigung,
etwa 500 v. Chr., und befindet sich 500 m über dem Meeresspiegel. Die Befestigung, erst eine
Holzmauer, wurde nach und nach durch Stein ersetzt. Ein weiterer Graben und eine Schanzanlage wurden zwischen 250 und 58 v. Chr. durch komplizierte Ein- und Durchgänge miteinander
verbunden. Innerhalb der Festung lagen Häuser, Getreidespeicher, Werkstätten und Ställe. Cadbury Castle war ein politisches, kommerzielles und wahrscheinlich auch religiöses Zentrum. Bei
Gefahr konnte die Bevölkerung des Umlandes in der Burg Schutz suchen.
Während der römischen Eroberung Englands, in den Jahren 43 und 44 nach Christus leisteten die
Bewohner Cadbury Castles keinen Widerstand. Cadbury Castle schien allerdings 30 Jahre später
ein Zentrum der Freiheitsbewegung geworden zu sein. Die Römer zerstörten die Burganlage. 500
Jahre lang blieb der Ort verlassen, bis es im Frühmittelalter wieder befestigt wurde – vielleicht
durch den sagenumwobenen König Artus. Denn manche Historiker, unter anderem auch John
Leland im Jahre 1542, vermuteten hier die sagenumwobene Burg Camelot, den Herrschaftssitz
von König Artus. Im Winter 1009/1010 ließ der englische König Æthelred dort eine königliche
Münze errichten.
Der Ort wurde einige Zeit später wieder verlassen. Heute bedeckt ein Hügel die Überreste der
Burganlage, man sieht also leider nicht mehr viel.
5.2
Taunton
Taunton, eine Stadt auf dem Land in Somerset ist ideal zum Shopping und als Basis für Ausflüge
in die Umgebung.
Taunton ist der Hauptort und Verwaltungssitz der Grafschaft Somerset, England und gleichzeitig
Verwaltungssitz des Bezirks Taunton Deane. Im Taunton-Deane-Tal gelegen, wird sie von den
Hügeln der Quantock Hills, Black Downs und Brendons umgeben. Gegründet wurde die Stadt
710 vom angelsächsischen König Ine. Es wird aber vermutet, dass es in der Nähe schon vorher
ein britisch-römisches Dorf gab. Der Name des Ortes leitet sich von Town on the river Tone
oder Tone Town ab.
Taunton hat zusammen mit seinen Umlandgemeinden 58 241 Einwohner, wobei gemäß Schätzung von 2002 auf die
Stadt selbst 44 050 Einwohner entfallen. Damit
ist sie die größte Stadt Somersets.
Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehören die
Almhouses an der East
Street von 1876, das Castle, die Mary Street Unitarian Chapel und die St.
Maria-Magdalen Kirche in
der Nähe des Stadtzentrums.
Taunton verfügt über ein
Theater und ein Museum
für Stadtgeschichte, das
im ehemaligen Schloß untergebracht ist.
Taunton Castle
210
Bekannt ist Taunton für seinen trockenen Apfelwein der Somerset Cider Brandy Company. Außerdem
gehört das sehenswerte King's College Taunton am Stadtrand zu den besten britischen Privatinternaten. Als Hauptort ist die Stadt neben Bridgewater auch der zentrale Einkaufsort der Region.
Es gibt dort einen Wochenmarkt.
Die Hestercombe Gardens gehören zu den bekanntesten Gartenanlagen Südenglands. Sie befinden sich nördlich der Stadt Taunton in der Grafschaft Somerset und können gegen Entgelt ganzjährig besichtigt werden. Die Gardens bestehen aus zwei Bestandteilen: einem bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts angelegten Landschaftspark und einer stark geometrisch ausgerichteten
Anlage, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Gartenbaumeisterin Gertrude Jekyll und dem
Architekten Edwin Lutyens entworfen wurde. Hestercombe gilt als schönstes Beispiel ihrer Zusammenarbeit. Ein bemerkenswertes Detail ist die fast siebzig Meter lange abschließende Pergola,
die auf dem Bild andeutungsweise zu erkennen ist. Die Gartenanlage, die zwischenzeitlich vom
Verfall bedroht war, wurde in den 1970er Jahren restauriert und steht jetzt unter Denkmalschutz.
Das einstige Herrenhaus wird allerdings heute von der Feuerwehr als Verwaltungsgebäude benutzt.
5.3
Glastonbury
Wer Glastonbury mit seiner romantischen Klosterruine das erste mal sieht, wird eine gewisse Anziehungskraft spüren. Kein Wunder, der Ort ist seit Jahrhunderten mit sagenhaften Gestalten und
Ereignissen verknüpft. Hier soll sich das sagenhafte Avalon befunden haben, das der Legende
nach auch letzte Ruhestätte des König Artus ist. Hierher soll Joseph von Arimathäa den heiligen
Gral gebracht haben und somit das Christentum nach Großbritannien. Das jedoch sind Legenden. Fakt ist, dass im vierten oder fünften Jahrhundert in Glastonbury ein Kloster gegründet
wurde, das dann im zehnten Jahrhundert ausgebaut und zu einem der reichsten Benediktinerabteien im Land wurde – Glastonbury Abbey, heute eine Ruine. Die Abtei gilt als ältestes kirchliches Gebäude in Britannien. Das Kloster war bekannt für seine Bibliothek, im Mittelalter ein
Schatz, der wertvoller war als Gold. Mehrere angelsächsische Könige sind hier begraben. Von
dem Kloster selbst ist heute, neben beeindruckenden Ruinen, nur noch ein einziges Gebäude
vollständig erhalten, Abbot’s Kitchen, mitsamt seinen vier großen Feuerplätzen.
Im Jahre 1191 ist im Chor der Kirche angeblich das Grab von König Artus und seiner Gemahlin
Guinevere hier gefunden worden. Schon damals also taten Menschen alles, um ihren Ort zu vermarkten.
Noch eine Legende: Auf dem Gelände befindet sich übrigens auch der sogenannte Glastonbury
Thorn – der heilige Dornbusch von Glastonbury, der aus dem Stab des Joseph von Arimathäa gewachsen sein soll. Ob wahr oder nicht, jedes Jahr wird von einem anglikanischen Priester ein
Zweig des Weißdornbusches abgeschnitten und der Königin von England geschickt, die damit ihren Weihnachtstisch schmückt.
Noch auf dem Klostergelände befindet sich das Somerset Rural Life Museum. Hier ist mehr über
das Landleben zu erfahren, zum Beispiel wie Käse gemacht wird oder der berühmte Cidre, eine
Art Apfelwein. Letzteres ist ein schmackhaftes Getränk, dass unbedingt einmal in einem Pub
probiert werden will.
Die Gegend um Glastonbury ist übrigens schon lange Zeit besiedelt, die Reste eines keltischen
Dorfes aus dem dritten Jahrhundert vor Christus zeugen davon. Und wer mehr über diese Funde
aus der Eisenzeit erfahren möchte, sollte sich das Glastonbury Lake Village Museum anschauen,
das sich im Tribunal befindet, einem Gerichtsgebäude aus dem 14. Jahrhundert.
Ungefähr eineinhalb Kilometer entfernt befindet sich das Glastonbury-Tor, ein Kirchturm, der
das einzige Überbleibsel einer alten Kirche ist. Der Turm steht auf einem Hügel, der schon vor
211
dem Christentum als heilig galt. Hier soll sich eben das oben genannte sagenhafte Avalon befunden haben.
Glastonbury Tor
Auch der Gral gibt der Stadt heute noch eine Attraktion, den Chalice Well (frei übersetzt: Kelchbrunnen) inmitten eines Gartens unweit des Hügels des Glastonbury Tors. Hier soll das Gefäß,
dass das Blut Christi aufgefangen hat, versteckt worden sein. Das Wasser ist durch Eisenoxide rot
gefärbt, was dem Mythos sicherlich behilflich gewesen ist.
Wenn man zurück in die Stadt geht, sollte man in jedem Fall einen Abstecher in die Kirche St.
John the Baptist machen. Der Bau aus dem 15. Jahrhundert ist mit einem schönen Turm ausgestattet und innen findet sich eine herrliche Decke aus Holzbalken und phantastische Glasbilder,
die das Leben von Joseph von Arimathäa erzählen.
Seit den 70er Jahren findet hier in der Nähe, beim Dorf Pilton, das Glastonbury Festival statt. Es
ist mittlerweile zu einem der am besten organisierten Musikfeste in Großbritannien geworden
und geht jeweils Ende Juni über drei Tage. Karten sind trotz astronomischer Preise von über
hundert Pfund rasend schnell ausverkauft. Es wird auch als das Woodstock Britanniens bezeichnet und ist auf jeden Fall mit den Festivals Rock im Park oder Rock am Ring in Deutschland vergleichbar.
Das Musikfestival bei Pilton
212
5.4
Wells
Einige Kilometer nördlich von Glastonbury, eingebettet in die Mendip Hills, liegt die kleinste
Stadt Englands (10 406 Einwohner). Nach den im Stadtgebiet entspringenden Quellen heißt sie
Wells. Außerdem ist sie bekannt für den hier örtlich hergestellten Käse, der in kleinen Käseläden
in der schmucken Innenstadt unbedingt probiert werden sollte.
Die wunderschöne St. Andrew's Kathedrale ist wirklich atemberaubend. Das Viertel darum herum ist eines der größten mittelalterlichen Areale mit aus dieser Zeit erhaltenen Gebäuden der
Kirche.
Ein Wassergraben durchzieht das Land vor der befestigten Mauer des Bischofspalastes
5.5
Cheddar
Wer von Wells aus weiter in nördliche Richtung reist – etwa nach Bristol –, kann einen Abstecher
nach Cheddar machen und sich hier den gleichnamigen Käse schmecken lassen. Bekannt ist der
Ort eben gerade wegen des beliebten Cheddarkäses, der dort auch hergestellt wird. Der Name
Cheddar kommt vermutlich aus dem Keltischen und bedeutet soviel wie Molke. Im Käsemuseum
kann man mehr über den Cheddar und seine Herstellungsprozedur erfahren.
Heutzutage zählt Cheddar zu einem beliebten Touristenausflugsort. Eines der beliebtesten Ziele
ist die Kirche St. Andrew. Sie wurde vermutlich im 14. Jahrhundert auf dem Aufstellungsort eines
großen römischen Gebäudes
errichtet. Es ist auch bekannt, dass ein Steinkreuz an
der Kreuzung dreier Straßen
in Cheddar aus dem 15. Jahrhundert die Stelle kennzeichnete, an welcher der wöchentlichen Markt stattfand.
Außerdem lohnt sich ein
Blick in die Caves und zur
äußerst
beeindruckenden
Schlucht Cheddar Gorge.
Käseherstellung in Cheddar
213
5.6
Weston-super-Mare
Weston-super-Mare ist einer der englischen Ferienorte schlechthin am Bristolkanal in North Somerset. Die Stadt hat etwa 80 700 Einwohner und liegt ca. 28 km südwestlich von Bristol.
Weston geht aus der angelsächsischen Sprache hervor und meint ursprünglich »west tun« (westliche Siedlung). Der Namenszusatz »super-Mare« ist insofern ungewöhnlich, als er aus dem mittelalterlichen Latein stammt und wörtlich am Meer bedeutet. Was umso seltsamer scheint, wenn die
See 1,5 km entfernt ist, was bei
Ebbe schon mal sein kann.
Trotzdem ist Weston-super-Mare für seine schönen Sandstrände bekannt.
Weston wuchs besonders im
viktorianischen Zeitalter, als Ferien an der See in Mode kamen.
Zusammen mit dem benachbarten Burnham-on-Sea profitierte
Weston von der Nähe zu Bristol, Bath und Südwales. Mit
dem Bau der Eisenbahn kamen
tausende Besucher in die Stadt.
Für sie wurde 1867 der BirnWestons Küste bei Ebbe
beck Pier fertiggestellt. Er bot den Besuchern Vergnügungsmöglichkeiten, Teesalons, Jahrmarktgeschäfte und ein Fotostudio.
Weil durch den Birnbeck Pier viele Besucher das Zentrum der
Stadt nicht mehr besuchten, wurde von den örtlichen Händlern ein neuer Pier näher an den
Hauptstraßen errichtet. Dieser 1904 eröffnete Grand Pier sollte ursprünglich 2,4 km lang sein. Er
war eine riesige Spielhalle mit einarmigen Banditen, Autoscooter, Geisterbahn und Bowlingbereich. Im Sommer und an Wochenenden tummelten sich ganze Familien mit Kleinkindern auf
dem Pier. Aber am 28. Juli 2008 brach am frühen Morgen ein Großfeuer auf der historischen
Seebrücke Grand Pier aus. Die erst wenige Monate zuvor vollständig modernisierte und renovierte Seebrücke wurde dabei komplett zerstört.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sank, wie bei fast allen Seebädern, die Popularität Westons. Die
Stadt wurde jedoch zu einem Industriezentrum, u.a. für den Flugzeugbau. Die Autobahn M5 liegt
ganz in der Nähe und so ist
Weston heute zum Teil eine
Die Zerstörung des Grand Pier
»Schlafstadt«, deren Einwohner pendeln und in Bristol
arbeiten.
Der Touristenstrom ist aber
auch heute noch nicht versiegt. Neben einem Shopping-Center bietet die Stadt
ein Hubschrauber-Museum,
ein Aquarium und eine Miniatur-Eisenbahn. Zu den
bekanntesten (früheren) Einwohnern der Stadt gehören
John Cleese, Ritchie Blackmore, Jeffrey Archer, Rupert
Graves und Jill Dando.
214
5.7
Bath
Sollte es einmal einen Wettbewerb um die schönste Stadt Englands geben, Bath gehörte sicherlich zu den heißen Topfavoriten. Inmitten einer sanfthügeligen Parklandschaft am Avon atmet Bath (92 600 Einw.) Geschichte und Kultur, hinter jeder Ecke erscheint etwas neues, ein anderer Eindruck, ein anderes Flair, ein anderes Gefühl. Besonders das 18. Jahrhundert hat das heutige Erscheinungsbild der Stadt geprägt wie kein anderes. In Mode gekommen ist Bath nämlich
durch einen Besuch von Königin Anne, die 1702 hier logierte. Die Straßen wurden gereinigt und
nach und nach gepflastert, die Einwohner mußten Laternen an ihren Häusern anbringen - Bettler
wurden verjagt, prominente Gäste dagegen mit Glockengeläut empfangen. In dieser Epoche erlebte die Stadt ihre Glanzzeit.
Ein Bild von dem Kurort, wie er hier vor zweitausend Jahren existiert hatte, erhält man am besten, indem man sich die römischen Bäder ansieht. Diese gelten sicherlich als größte Attraktion in
dieser vibrierenden Stadt. Leider finden sich hier praktisch alle Touristen der Stadt ein, früh morgens ist es jedoch meist am
leersten. Trotzdem, der Besuch ist ein Muss für jeden
Reisenden.
Das berühmte sowohl Freilicht- als auch Untertagemuseum beinhaltet Ruinen,
die das Leben vor 1600 Jahren vorstellbar und lebendig
machen. Neben den Bädern
selbst, die sich mehrere Meter unter dem heutigen
Straßenniveau
befinden,
gibt es Funde aus dem
Komplex zu sehen. Über
einer Million Liter heißes
Das große römische Bad
Wasser fließen noch heute
aus einer Quelle aus dem
Erdinneren an die Oberfläche. Es ist die einzige ihrer Art in ganz Britannien. Den Römern war die Stätte heilig, neben Bädern gab es auch Tempel, die Teil der Ausgrabungsstätte selbst sind. Das heiße Wasser speiste die
Bäder – ein riesiger Komplex, wenn man ihn mit der Größe der damaligen Stadt vergleicht. Die
Römer waren nach Expertenmeinung jedoch nicht die ersten, denen die Quellen heilig waren.
Schon vorher könnte es
eine Kultstätte gewesen
sein. Sicher ist das jedoch
nicht.
Wer sich nach dem Badbesuch etwas Einzigartiges
gönnen möchte, geht ein
paar Stufen hinauf Richtung Pump Room. Dieses
Prunkzimmer aus dem 18.
Teestunde im Pump Room
215
Jahrhundert war Jahrhunderte lang Treffpunkt der High Society. Schon in den frühen Morgenstunden wurde hier, zu klassischer Musik eines Trios, das direkt aus der Quelle hochgepumpte
heiße Mineralwasser getrunken. Dazu wurden die berühmten Bath Buns, Mürbeteigbrötchen mit
eingebackenem Zuckerwürfel, gegessen. Ansonsten sah man, wurde gesehen und erzählte sich die
neuesten Neuigkeiten. Und das ist bis heute so geblieben wie vor fast dreihundert Jahren. Noch
immer strahlt der Ort eine vornehme Eleganz aus, damals wie heute dient er als Restaurant. Hier
kann man noch immer einen Cream Tea zu sich nehmen, Tee zu süßem Gebäck, das mit Sahne
und Marmelade serviert wird (siehe I/2.6). Nebenbei wird man wie früher von leichter klassischer
Live-Musik unterhalten und auch der Trunk aus der Quelle ist möglich.
Ganz in der Nähe befindet sich die Kathedrale. Kleiner als ihre beiden Schwestern in Salisbury
und Glastonbury, ist sie doch ein Kleinod aus dem 15./16. Jahrhundert, der Zeit König Heinrichs
VII., gebaut vom Sekretär des Königs, Bischof Oliver King. Kaum war sie jedoch fertig, löste der
Sohn des damaligen Königs, der berüchtigte Heinrich VIII., die katholische Kirche auf und das
Gebäude wurde dem Verfall preisgegeben. Gerettet wurde die Kathedrale durch den Beginn der
Blütezeit im späteren 16. Jahrhundert, so dass sie uns heute gut erhalten geblieben ist.
Das Jane Austen Centre ist ein Juwel unter den Museen, geschaffen von ihren größten Fans und
liebevoll geführt, um die wohl berühmteste Bürgerin Baths und Schriftstellerin zu würdigen. Es
widmet sich ebenso seiner berühmten Namensgeberin wie der Stadt um die Zeit, in der Jane Austen gelebt hat, im 18. Jahrhundert. Kleidung ist
ebenso zu sehen wie Bilder von Bath im 18.
Jahrhundert. Eine interessant erzählte Biographie von Austen fehlt natürlich auch nicht, mit
glühender Bewunderung von den Angestellten
des Centres vorgetragen. Absolut empfehlenswert.
Nun ist es nicht mehr weit zu den Prunkbauten
der Stadt. Der Circle stellt einen dieser Gebäudekomplexe dar. Die Häuser sind in einem Kreis
angeordnet, in der Mitte befindet sich ein Rund
mit alten Bäumen, die im Sommer für Schatten
und im Herbst für Farbe sorgen. Der georgianische Baustil setzt sich weiter fort. Ein prachtvoller Halbkreis mit Gebäuden, der Royal Crescent,
stellt den Höhepunkt jedes Spazierganges in
Bath dar. Es ist wahrlich eines der majestätischsten Bauwerke Britanniens. Bei etwas Glück ist es
einigermaßen warm, so dass ein typisch englisches Picknick in den Parkanlagen vor dem Royal Crescent eingenommen werden kann.
In der Nähe befindet sich das Costume Museum. Weniges ändert sich so schnell wie die
Mode, das ist heute so und war auch in vergangenen Jahrhunderten nicht anders. Hier wird
Circus (vorne) und Royal Crescent (hinten)
ihre Geschichte erzählt. Kleidung aus den vergangenen 400 Jahren wird gezeigt. Mehr als 200
Figuren sind zu sehen, angezogen im neusten
Schrei der jeweiligen Zeit. Das Museum besitzt
30 000(!) Kleidungsstücke, die Qual der Wahl
desjenigen, der diese für die Ausstellung aussuchen muss.
216
Pulteney Bridge
6
Gloucestershire
Die Grafschaft Gloucestershire umfasst teilweise das Gebiet der Cotswolds, Teile des flachen,
aber fruchtbaren Tales am Fluss Severn und den gesamten Forest of Dean. Gebräuchlich ist die
Abkürzung »Glos.«, ebenfalls häufig (aber fehlerhaft) benutzt werden »Gloucs.« oder »Glouc.«.
Früher gehörte zu Gloucestershire auch die Stadt Bristol, aber seit 1373 wird die Stadt nicht mehr
in das Gebiet der Grafschaft einbezogen. Auch die Gegend von South Gloucestershire ist heute
eine eigenständige Unitary Authority, obwohl sie aus zeremoniellen Gründen noch immer zu
Gloucestershire gerechnet wird.
Der Verwaltungssitz der Grafschaft ist Gloucester, der von South Gloucestershire ist Thornbury.
6.1
Bristol
Die Hafenstadt Bristol (440 100 Einw.) hat sich in den letzten Jahren stark verändert, dank der Finanzspritzen einer boomenden Wirtschaft. So wuchs sie zur achtgrößten Stadt in ganz Großbritannien an. Viel Geld der arbeitenden Bevölkerung und eine hohe Studentenzahl gibt der Stadt
eine vibrierende Atmosphäre, die man vor allem abends im Zentrum spüren und erleben kann.
Bristol ist eine attraktive Metropole, hügelig und charismatisch, allerdings auch mit einer großen
Anzahl von Obdachlosen. Die Stadt war auch Heimat des Dichters Thomas Chatterton. Berühmt
ist er durch die angebliche Entdeckung von Schriften eines anderen, älteren Dichters, Thomas
Rowley. Letztlich war Chatterton aber selbst der Verfasser der beliebten Werke. Im Alter von nur
19 Jahren, im Angesicht eines mühevollen Lebens fern der brotlosen Dichtkunst, verübte er
Selbstmord.
Einst war im Zentrum der Stadt die Hafenanlage, doch jetzt ist es der Verkehrsknotenpunkt. Von
hier ist es nicht weit zur Kathedrale Bristols, einem gedrungenen Bau aus dem zwölften Jahrhundert, der von der Westseite ein wenig an Notre Dame in Paris erinnert. Gleich in der Nähe ist die
große Parkanlage Brandon Hill. Direkt an einem Hügel gelegen, befindet sich auf der Höhe der
217
Cabot Tower. Mit etwas Glück ist er gerade
geöffnet. Von der Spitze aus wird ein phantastischer Panorama-Blick über die Stadt geboten.
Wenn man seinen Weg durch die Park Street
zurück in die Stadt findet, kommt man am
Georgian House vorbei, ein wahrhaft schönes Beispiel für diesen in England so verbreiteten Baustil.
Die City Museum and Arts Gallery beherbergt Bilder der Prä-Raphaeliten und Impressionisten. Bemerkenswert sind auch die
2800 Jahre alten assyrischen Reliefs, etwas,
dass man hier vielleicht nicht erwarten würde.
Von der einstigen Burg Bristols ist heute leider nichts mehr übrig außer dem Gelände,
auf dem sich der Park Castle Green befindet. Unweit davon sind die Nicholas Markets, überdachte Markthallen, wo in trubelhafter Atmosphäre von Büchern bis hin zu
Delikatessen alles erstanden werden kann.
Cabot Tower im Brandon Hill Park
Vom Zentrum in Richtung Bahnstation befindet sich das British Empire and Commonwealth Museum. Hier wird eine interessante Ausstellung zur Geschichte des britischen Imperiums gezeigt. Ebenfalls wird die Geschichte des Seehandels und der Sklaverei dargestellt. Es passt eben zu einer so wichtigen Hafenstadt wie Bristol, die von beiden Wirtschaftszweigen früher erheblich profitiert hat.
Die SS Great Britain ist für alle Schiffefans ein Muss. Es handelt sich dabei um das erste Schiff,
das – aus Eisen hergestellt – mit einer Schiffsschraube angetrieben wurde. 1843 wurde es fertig
gestellt und fuhr die Strecken Liverpool – New York und später Liverpool – Melbourne. Passend
dazu ist das Maritime Heritage Centre in der Nähe zu besichtigen.
Im vornehmen Stadtteil Clifton findet sich die Clifton Suspension Bridge. Diese 214 Meter lange
Hängebrücke ist ein
Meisterwerk der Ingenieurkunst. Obwohl
schon über hundert
Jahre vorher die Idee
aufkam, eine Brücke
über
die
AvonSchlucht zu spannen,
wurde diese erst 1864
fertig gestellt. Als kleine Anekdote: im Jahr
2003 flog das legendäre Flugzeug Concord auf seinem letzten Flug über diese
Brücke, bevor es im
Clifton Suspension Bridge über dem abendlichen Avon
benachbarten Filton
Aerodrom dauerhaft
218
stationiert wurde. Dort ist übrigens die Concord auch heute noch zu bewundern.
Der Zoo von Bristol ist sicherlich ebenfalls einen Besuch wert. Die Mitarbeiter sind legendär für
ihre unermüdliche Arbeit auf dem Gebiet der Artenerhaltung und der möglichst artgerechten
Haltung der Tiere. Wie in vielen britischen Zoos sind diese ein wahres Ereignis für Familien mit
Kindern.
6.2
South Gloucestershire
Der Verwaltungssitz der kleinen Unitary Authority South Gloucestershire ist Thornbury. Thornbury ist mit 12 000 Einwohnern eine Kleinstadt und liegt 18 km nördlich von Bristol.
Die Geschichte Thornburys reicht zurück bis in das neunte Jahrhundert. Die erste Siedlung hieß
Thornbyrig und wird erstmals 896 erwähnt; im Domesday Book (1086) ist der Ort als Turneberie
mit 103 Einwohnern verzeichnet. Jüngste Funde römischer Münzen lassen vermuten, dass der
Ort schon 300 A.D. bestand.
Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört das Thornbury Castle, mit dessen Bau für Edward
Stafford, 3. Herzog von
Buckingham, 1511 begonnen wurde. 1521 wurde Edward Stafford hingerichtet, die Bauarbeiten
wurden abgebrochen und
das Gebäude wurde nicht
vollendet.
Gleichwohl
wurde es 1535 von König
Heinrich VIII. und seiner
Ehefrau Anne Boleyn genutzt, später von Mary
Tudor. Heute ist das Castle ein Hotel. Das älteste
erhaltende
Gebäude
Thornburys ist die Kirche
Thornbury Castle
Saint Mary the Virgin, mit
deren Bau 1340 begonnen wurde.
Ein kleiner Teil der Cotswolds reicht in South Gloucestershire hinein. Der Langstreckenwanderweg Cotswolds Way führt auch durch das Dorf Dyrham, wo sich das Barock-Herrenhaus Dyrham
Park befindet. Das Gebäude ist von über einem Quadratkilometer an Garten- und Parkanlagen
umgeben und wurde im Jahr 1692 (Ostfront) bzw. 1704 (Westfront) erbaut. Bekannt ist das Herrenhaus besonders wegen seiner Ausstellung von bedeutenden holländischen Kunstobjekten und
Exponaten aus dem 18. Jahrhundert. Im Sommer finden zudem in den Gärten regelmäßig Konzerte, vorwiegend aus dem Bereich der populären Musik, statt.
Chipping Sodbury ist ein mittelalterlicher Ort mit heute 6660 Einwohnern und liegt in South
Gloucestershire, gut zwölf Kilometer nordwestlich von Bristol. Der Ort wurde im 12. Jahrhundert von William Cassius, Lord of Sodbury, gegründet und war von jeher ein Marktort. Daher
rührt auch der Namensbestandteil Chipping, denn das alte Wort Chepynge bezeichnet eine langgestreckte, breite Marktstraße. Diese heutige Hauptstraße wird von eine Häuserreihe aus dem 17.
Jahrhundert gesäumt; außerdem gibt es ein um 1460 errichtetes Haus aus der Tudorzeit. Chipping Sodbury wurde erst 1903 von der Great Western Railway an das Eisenbahn-Netz angeschlossen; der Bahnhof wurde 1961 jedoch wieder geschlossen.
219
Chipping Sodbury, High Street
Eine Reihe von Quellen geben Chipping Sodbury als
den Geburtsort der Harry
Potter-Autorin Joanne K.
Rowling an, anderen Quellen
zufolge ist sie jedoch im
weitaus
unattraktiveren
Nachbarort Yate geboren.
Im Westen des Ortes liegt
Dodington Park. Es ist der
Sitz der Familie Codrington,
die das Haus bereits im 16. Jh. erwarben und im 18. Jh. durch ihre Zuckerplantagen in Westindien
zu Reichtum kamen und als Arbeitgeber die wirtschaftliche Grundlage des Dorfes Dodington bildeten.
6.3
Gloucester
Dank seiner strategisch günstigen Position sind in Gloucester (124 800 Einw.) eine Fülle an historischen Ereignissen bis zurück zur Römerzeit zu finden und zu entdecken.
Im Herzen der Stadt erhebt sich die normannische Kathedrale, mit ihrem großartigen fächerartigen Kreuzganggewölbe und den großen Ostfenstern, im College Park. Das Gotteshaus entstand
681 aus einer Abtei, der Turm aus dem 15. Jh. ist mit seinen vier Spitzen ein berühmtes Wahrzeichen der Stadt. Ein Spaziergang durch die
schmalen gewundenen Gassen an uralten
Häusern vorbei geht es zur Fußgängerzone
hinunter, wo man seiner Kauflust nachgeben kann. Von dort ist es nur noch ein
kleiner Sprung zu den Victorian Docks, an
denen sich die Gestade schlagen. Die umgebauten alten Waren- und Lagerhäuser
tragen ihren Teil zum beeindruckenden Erscheinungsbild des Hafens bei. Hier sind
allerlei Wasserfahrzeuge zu bestaunen, von
kleinen schmalen Booten bis hin zu den
großen Hochseeschiffen. Schließlich ist in
Gloucester der Schiffsbau zu Hause.
Selbstverständlich sind Ausflugsfahrten
Bestandteil des hiesigen Unterhaltungsprogramms.
In der Stadt gibt es etliche Museen und
Ausstellungen, die sich mit der örtlichen
Geschichte, Kultur und Entwicklung befassen, besonders mit dem Schiffsbau und
der Seefahrt, und zwar mit durchaus interessanten Exponaten.
Kreuzgang der Kathedrale
220
Die Docks
Ostsüdöstlich, direkt am
Stadtrand, an der alten römischen Straße, die Gloucester
mit Barnwood, Hucclecote
und Circenster verbindet,
liegt das Dorf Brockworth.
Während des zweiten Weltkriegs wurden hier von der
Gloster Aircraft Company die
Hurricane Fighter hergestellt,
auch in der Nachkriegszeit
wurde hier die Flugzeugentwicklung vorangetrieben.
Bekannt ist der Ort Brockworth aber eigentlich wegen des nahe gelegenen Cooper's Hill und dem dort stattfindenden skurrilen Käserennens. Das Double Gloucester cheese down Cooper's Hill findet jährlich für vier Tage statt.
Hier wird ein großer runder Käse einen steilen Abhang hinuntergerollt und von einer menschlichen Meute gejagt. Da der
Hang aber viel zu steil ist,
ist es unabänderlich, dass
die Männer und Frauen,
die den Hügel hinunterrennen, irgendwann mit
absoluter Sicherheit ins
Straucheln kommen und
so den Großteil der Strecke im Taumeln und mit
Purzelbäumen bewältigen
– ein Riesenspaß, wenn
auch nicht ganz ungefährlich. Vor zweihundert Jahren war dieses Ereignis
Bestandteil eines größeren
Mittsommerfestes, bei dem noch andere Aktivitäten und WettbeEifrige Jäger beim
werbe ausgetragen worden sind. Heute wird das Käserennen aber
Käserennen am Cooper's Hill
extra zelebriert, und zwar im Mai während des Wochenendes um
den Spring-Bank-Holiday-Montag.
6.4
Forest of Dean
Der (Royal) Forest of Dean ist ein historisches Waldgebiet mit einer Ausdehnung von etwa 120
km² auf einer Hügelgruppe zwischen den Städten Gloucester, Monmouth und Chepstow nördlich des Flusses Severn und östlich des Flusses Wye. An seinem Rand befinden sich die kleinen
Städtchen Coleford im Westen und Cinderford im Osten.
Der Forst kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, dessen Besiedelung schon in vorgeschichtlicher Zeit stattgefunden hat. Die Ruinen von Lydney Park zeugen zudem von der späteren Niederlassung der Römer. Unter den Sachsen wurde der Wald schließlich königliches Jagdge221
biet, was er jahrhundertelang auch blieb. Aber auch der Schiffbau profitierte vom Holz des Forsts
– es wurde vorwiegend Eiche genutzt –, wie auch die Köhler, die in ihren Meilern die Holzkohle
herstellten. Die Kohle wurde und wird zum Teil heute noch auf Grund alter Privilegien von sogenannten selbstständigen freien Bergleuten (Free Miners) abgebaut.
An den Eisenerz- und Ockerabbau erinnert heute noch das Museumsbergwerk Clearwell Caves.
Durch den südlichen Teil des seit
1938 als National Forest Park besonders geschützten Landschaftsgebiets führt von Lydney aus eine
dampfbetriebene Museumsbahn.
Neben dem Wildleben dient der
Wald dem Menschen in erster Linie als Freizeit- und Erholungsgebiet.
Forest of Dean bei Simonds Yat
6.5
Tewkesbury
Das Kleinstädtchen Tewkesbury (10 016 Einwohner) liegt am Zusammenfluss des Severn und
des Avon und gibt dem Tewkesbury Borough den Namen. Der Name des Ortes rührt von Theoc
her, einem Angelsachsen, der hier im siebten Jahrhundert eine Einsiedelei gründete, die Theocsbury genannt worden war.
Einige Jahre nach der normannischen Eroberung Englands wurde in Tewkesbury eine Abtei gegründet; die Bauarbeiten begannen im Jahr 1090, die Tewkesbury Abbey erhielt die Weihe am 23.
Oktober 1121. Die Klosterkirche ist sicherlich eines der beeindruckendsten Bauwerke dieser Gegend. Es gibt aber auch Spuren einer Kirche und einer Siedlung, die bereits vor der Abtei bestanden haben.
Am 4. Mai 1471 fand in der Umgebung die Schlacht von Tewkesbury statt, in der im Rahmen der
Rosenkriege die Armee Eduards IV. das Haus Lancaster schlug.
Im nahegelegenen Marktstädtchen Deerhurst ist ebenfalls eine Kirche zu sehen, die bereits aus
Zeiten vor den Normannen
stammt.
Im Distrikt Tewkesbury liegt
auch das Städtchen Winchcombe (4 379 Einw.). Die
ländlich nette Ortschaft liegt
an sechs Langstreckenwanderwegen und so nimmt es
nicht Wunder, dass man in
den wärmeren Monaten häufig auf Personen trifft, die
Das Kloster von Tewkesbury
222
6.7
Cheltenham
Cheltenham (oder Cheltenham Spa) ist ein Badeort (daher Spa) in der Nähe von Gloucester und
Cirencester und liegt am Rand der Cotswolds.
Die Stadt (100 400 Einw.) genießt als Spa einen Ruf als vornehme und reiche Stadt. Seit der Entdeckung der sehr mineralhaltigen Quellen im Jahre 1716 besitzt die Stadt als Badeort eine überregionale Bedeutung, obwohl keine Abfüllung des Wassers mehr erfolgt.
Der Slogan der Stadt lautet: »Salubritas et Eruditio«, was soviel wie »Gesundheit und Bildung« bedeutet. Hieraus wird schon deutlich, dass neben seinem Dasein als Badeort auch das Bildungswesen eine große Rolle spielt. Besonders ist hier das Cheltenham College zu nennen, eine der renommierten Schulen des Landes mit nationaler Bedeutung, die sowohl Internat (Board School)
als auch Tagesschule ist. Seit
ihrer Gründung 1841 hat sie
sich zu einer der größten
derartigen Einrichtungen in
England entwickelt. Die Erziehung ist nach ganzheitlich-humanistischen, christlichen Idealen ausgerichtet.
Kricketspiel auf dem Sportplatz des
College
Zudem ist Cheltenham zusammen mit dem benachbarten Gloucester Sitz der University of Gloucestershire und auch Sitz der Government Communications Headquarters (GCHQ).
Aus internationaler Sicht genießt Cheltenham Berühmtheit durch den Pferdesport. Der Cheltenham Racecourse am Stadtrand im Vorort Prestbury ist das Zentrum britischen Springreitens. Die
Parcours werden von November bis April genutzt. Höhepunkt ist der Cheltenham Gold Cup, der
Mitte März während des Cheltenham Festivals stattfindet. Da dies zeitgleich zum St. Patrick's Day
stattfindet, finden sich viele irische Touristen mit Interesse am Pferde- und Wettsport in der Stadt
ein. Aus irischer Sicht wird mit Cheltenham der dreifache Erfolg ihres Championpferdes Arkle
(1964-1966) über den englischen Konkurrenten Mill House in einem Atemzug genannt.
In der Nähe befindet sich noch das Marktstädtchen Cleeve, wo eine schöne Kirche aus vornormannischer Zeit steht.
6.9
Stroud Valleys
Das geschwungene Grün der englischen Landschaft. Ein stilles Eckchen Erde, an die Zeit still zu
stehen scheint. Ein ruhiger Fleck am Rand der Cotswold Hills, wo das Gelände abfällt und einen
Blick über das Berkeley Tal zu den Schleifen des Flusses Severn bietet, mit den Hügeln Wales' am
Horizont. Durch die grünen Laubdächer schimmert das Sonnenlicht. Willkommen in den Stroud
Valleys – England von seiner besten Seite!
So ähnlich werben die hiesigen Tourismusverbände. Sicherlich nicht zu Unrecht, denn hier trifft
man auf alles, was für England typisch ist: Überreste alter Kulturen, insbesondere der Römer,
sind hier genauso vorhanden wie die Narben, die der Bürgerkrieg hinterlassen hat.
224
Und auch die junggeschichtliche Entwicklung der Gegend ist zu sehen, das industrielle Vermächtnis, das vorwiegend auf die Wolle des
Cotswoldschafes und auf die
zahlreichen Wassermühlen
beruhte. Selbstverständlich
fehlen auch nicht die typisch
englischen Gärten, die Golfplätze oder Gutssitze wie das
Berkeley Castle oder das
Owlpen Manor bei Uley.
Viele Mühlen wurden zu urigen Gasthäusern mit Wohlfühlatmosphäre umgebaut.
Die Bauernmärkte laden in
ihrer Ursprünglichkeit zum
Marktbummel ein und in
den Wiesen und Wäldern
lässt es sich ungestört wandern, reiten oder picknicken.
Die Kleinstadt Stroud hat
12 690 Einwohnern und ist
das Zentrum dieser Gegend
sowie Sitz des gleichnamigen
Distrikts. Hier ist auch das
Museum zu finden, dass einem die Geschichte der Valleys näher bringt. Wer das
Vergnügen am Abend sucht,
Ganz oben rechts: Owlpen Manor
für den gibt es den Subscripoben rechts: Stroud Museum
tion Room, ein Saalgebäude,
unten: Blick über Stroud
in dem zahlreiche kulturelle
Veranstaltungen vom Popkonzert bis zum Tanzball
geboten werden. Besonders beliebt ist der Open-Mic-Abend jeden Donnerstag in der Woche, bei
dem man sein Gesangstalent unter Begleitung von eingeladenen Gitarristen oder anderen Musikern unter Beweis stellen kann. Oder man greift selbst in die Seiten bzw. die Tasten. Der Eintritt
ist frei, man kann also auch einfach nur zusehen und zuhören, was Strouds Leute zu bieten haben.
225
Schluss
Quellennachweis
Bei sämtlichen Text- und Bildinhalten wurde auf die Quellen geachtet, die Urheberrechte sind
unverletzt geblieben. Die verwendeten Bilder sind nach den jeweiligen Fundortangaben im Internet frei verfügbar und wurden bei entsprechender Aufforderung nach den Bestimmungen der
Creative-Commons-Linzenz genutzt. Sie liegen damit nicht im Verantwortungsbereich des Verfassers. Hier wird auf die nachfolgende Liste hingewiesen.
Für die Herkunft der Text- und Bildinhalte fanden insbesondere die offiziellen Seiten der einzelnen britischen County-, Regions-, Distrikt- und Gemeindeverwaltungen, sowie der Tourismusverbände, Verwendung. Außerdem gehen die Quellen auf verschiedene Internetpräsenzen zurück,
die alle im Schlussabschnitt der Beschreibung zu Mittelengland aufgelistet sind.
aboutbritain.com
absoluteastronomy.com
acplastering.co.uk
adventurelogger.blogspot.com
allworld-vacation.com
amersham.org.uk
antiques-atlas.com
arglist.com
asiatravel.com
ballou.cx
barnsdalegardens.co.uk
bbc.co.uk
bbs.keyhole.com
bedfordshire.gov.uk
beenthere-donethat.org.uk
beerintheevening.com
benhammott.com
bl.uk
blme.com
blogs.warwick.ac.uk
bluelinecruises.co.uk
bognor-regis.biz
booking.com
bornfree.org.uk
boscrowan.co.uk
bournemouthandpoole.co.uk
brecklandmeadows.co.uk
britain-express.de
britainspast.co.uk
britannica.com
britishwalks.org
broughton-village.co.uk
bugbog.com
casagordita.com
castlexplorer.co.uk
castlestories.net
chycor.co.uk
city-barge.org
citypopulation.de
comptonverney.org.uk
cookingthebooks.typepad.com
crawley.gov.uk
crawleytownguide.com
cromerholiday.co.uk
cs-guy.com
dailymail.co.uk
dacorum.gov.uk
daylife.com
dcs.shef.ac.uk
destination360.com
destinationsouthwest.co.uk
dic.academic.ru
discovereastmidlands.de
docbrown.info
dolcesposa.com
dorsets.co.uk
dustyoldbooks.com
duxcottages.com
e-vlad.us
elstreeprops.com
england-seiten.de
english-heritage.org.uk
english-nature.org.uk
englishhistory.net
enjoyengland.com
eshop.wiltshire.gov.uk
226
essexbeef.co.uk
exmoor-house.co.uk
explorethesouthwestcoastpath.co.uk
f-rudolph.info
fair-news.de
Falk Reiseatlas (nicht im Internet)
flickr.com
flitwick-at-the-crossroads.org.uk
follytowers.com
foodcook.wordpress.com
foxboats.co.uk
fp.princepweb.f9.co.uk
freefoto.com
fsts.at
gardens-guide.com
geocities.com
geograph.org.uk
gettingdon.net
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227
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228
Ortsverzeichnis
Die Auflistung beinhaltet sämtliche Städte, Dörfer und größere Landschaftsgebiete wie Naturparks, Gebirgszüge und Hügelketten, die in vorliegendem Schriftstück erwähnt werden. Der Anordnung liegt die alphabetische Reihenfolge zu Grunde, die nachfolgende Bezeichnung bezieht
sich auf den Abschnitt und die fortlaufende Nummer, in dem vorstehender Ort zu finden ist.
Amberley
Amersham
Andover
Ascot
Avebury
Aylesbury
Banbury (Oxfordshire)
Basingstoke
Bath
Battle
Beachy Head
Beaulieu
Bisham
Blackdown Hills
Blenheim Palace
Bodelva
Bodiam Castle
Bognor Regis
Bornemouth
Bracknell
Bradford on Avon
Brendon Hills
Brighton
Bristol
Brixham
Brockworth
Buckfastleigh
Buckingham
Buckler's Hard
Bude
Burnham-on-Sea
Canterbury
Charlestown
Chatham
Cheddar
Cheltenham
Chichester
Chiltern
Chipping Sodbury
Cliveden
Clovelly
Cooper's Hill
Corfe Castle
Cotswolds
II/2.8
II/6.4
II/3.4
II/5.7
IV/1.3
II/6.2
II/7.3
II/3.3
IV/5.7
II/2.1
II/2
II/3.7
II/5.4
IV/5
II/7.2
IV/4.2
II/2.3
II/2.9
IV/2.1
II/5.6
IV/1.5
IV/5
II/2.5
IV/6.1
IV/3.2
IV/6.3
IV/3.3
II/6.1
II/3.7
IV/4.14
IV/5
II/1.7
IV/4.2
II/1
IV/5.5
IV/6.7
II/2.10
II/6, IV/5, 6
IV/6.2
II/6.6
IV/3.7
IV/6.3
IV/2.6
IV/6.6
Crawley
Dartmoor
Didcot
Dorchester
Dover
Dungeness
Dyrham
Eastbourne
Epsom
Exeter
Exmoor
Farnham
Flatlands
Forest of Dean
Frittenden
Glastonbury
Gloucester
Guildford
Hampton Court
Hastings
Henley-on-Thames
Horsham
Isle of Wight
Isles of Scilly
Jurassic Coast
Kelmscott Manor
Kingston upon Thames
Land's End
Lanyon Quoit
Lizard, The
London
Lydford
Margate
Marlow
Mendip Hills
Milton Keynes
Minehead
New Forest
Newbury
Newquay
North Downs
Oxford
Paignton
Penzance
229
II/2.6
IV/3.3
II/7.6
IV/2.4
II/1.1
II/2
IV/6.2
II/2.4
II/4.6
IV/3.1
IV/3.6
II/4.1
IV/5
IV/6.4
II/1
IV/5.3
IV/6.3
II/4.2
II/4.5
II/2.2
II/7.9
II/2.7
II/3.8
IV/4.9
IV/3.5
II/7.4
II/4
IV/4.8
IV/4.7
IV/4.4
III
IV/3.3
II/1.4
II/6.3
IV/5
II/6.7
IV/5
II/3.6
II/5.2
IV/4.11
II/2
II/7.1
IV/3.2
IV/4.6
Pilton
Plymouth
Polden Hills
Polperro
Poole
Port Isaac
Portsmouth
Postbridge
Princetown
Quantock Hills
Ramsgate
Reading
Rochester
Rousham House
Salisbury
Sandwich
Sedgemoor
Selsey Bill
Sidmouth
South Bucks
South Downs
Southampton
St. Austell
St. Ives
St. Mawes
St. Michael's Mount
Stalbridge
Stonehenge
Stroud
Swanage
Swindon
IV/5.3
IV/3.4
IV/5
IV/4.1
IV/2.2
IV/4
II/3.1
IV/3.3
IV/3.3
IV/5
II/1.3
II/5.5
II/1.5
II/7.5
IV/1.2
II/1.2
IV
II/2
IV/3
II/6
II/2
II/3.5
IV/4.2
IV/4.10
IV/4.3
IV/4.5
IV/2
IV/1.1
IV/6.9
IV/2.3
IV/1.6
Taunton
Tewkesbury
Thornbury
Tintagel
Torbay
Torquay
Trevone
Trowbridge
Truro
Tunbridge Wells
Uley
Waddesdon
Wantage
Wareham
Wayland's Smithy
Weald
Welford
Wells
Weston-super-Mare
Weymouth
White Horse Hill
Widecombe-in-the-Moor
Wilton
Winchcombe
Winchester
Windsor
Woking
Woodstock
Wycombe
Yeovil
230
IV/5.2
IV/6.5
IV/6.2
IV/4.13
IV/3.2
IV/3.2
IV/4
IV/1.4
IV
II/1.6
IV/6.9
II/6.5
II/7
IV/2.5
II/7.7
II/2
II/5.3
IV/5.4
IV/5.6
IV/2.7
II/7.8
IV/3.3
IV/1
IV/6.5
II/3.2
II/5.1
II/4.3
II/7
II/6
IV/5.1