Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden

Transcription

Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden
Südamerika-Reise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Uebersichtskarte
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
Abschnittskarte
www.teamnorth.ch
Seite 1 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Von der Landesgrenze auf dem Paso de Pircas Negras fahren wir auf chilenischer Seite
talwärts, die wunderschöne Hochandenlandschaft mit den farbigen Bergen setzt sich
auch auf dieser Seite fort. Wir müssen uns mit den Fotostopps aber etwas zurückhalten,
weil die chilenische Grenzkontrolle ja in einer Stunde schliessen soll. Der Weg zieht sich
in die Länge, endlich erreichen wir die aus mehreren Containern bestehende Station.
Heute, am 28. Februar, ist der Pass zum letzten Mal in diesem Jahr für den Grenzverkehr geöffnet. Die Beamten sind bereits am Räumen ihrer Unterkünfte, ein paar
Möbel, Matratzen, Gas- und Wasserflaschen werden auf die Geländewagen verladen.
Die Büros sind aber noch in Betrieb, als letztes Fahrzeug werden wir abgefertigt. Ein
Beamter sucht sogar besonders gewissenhaft nach zur Einfuhr verbotenen Lebensmitteln.
Weil wir uns noch etwas länger auf dem Altiplano (Andenhochebene) aufhalten wollen,
fahren wir nicht hinunter nach Copiapó, sondern biegen auf die einzige schmale Piste
ab, die direkt in den Nationalpark Nevado Tres Cruces führen soll. Schon bald stehen
wir aber vor dem verschlossenen Tor einer Goldmine. Obwohl auf unserer Landkarte
eine Piste bis zum Nationalpark eingezeichnet ist, erklären uns die Wächter, dass diese
nicht existiere und verweigern uns das Durchfahrtsrecht. Widerwillig drehen wir um und
machen uns doch auf den Weg Richtung Copiapó. Dies bedeutet für uns einen Umweg
von mindestens 300 km sowie einen Ab- und Aufstieg von je 3'300 Höhenmetern. Einen
ganzen Tag lang sind wir auf der rauhen Schotterstrasse unterwegs. Die Landschaft
wird immer weniger attraktiv, zahlreiche Minen haben die Natur zerstört. Kurz vor
Copiapó erreichen wir den Minenversorgungsort Tierra Amarilla, hier gibt es Geschäfte
und Internetlokale. So können wir unsere Vorräte noch etwas aufstocken und in einer
Mail nach Hause mitteilen, dass wir das Erdbeben unbeschadet überstanden haben.
Während der Süden um die am schwersten betroffene Stadt Concepción vom Rest des
Landes abgeschnitten ist, nehmen wir hier im Norden keine direkten Auswirkungen des
schweren Erdbebens wahr. Nur die Telefonleitungen in die Hauptstadt Santiago sollen
unterbrochen sein. Lange halten wir uns in Tierra Amarilla aber nicht auf, wir wollen
unsere Höhenanpassung nicht verlieren und machen uns wieder auf den Weg zum
Altiplano.
Es zieht uns jetzt wirklich hinauf in den
Nationalpark Nevado Tres Cruces. Die
Laguna Santa Rosa haben wir zwar auf
unserer letzten Reise bereits besucht, es
hat uns dort aber derart gut gefallen, dass
wir nochmals hinfahren wollen. Zudem
wartet der Nationalpark noch mit einer
zweiten viel versprechenden Lagune auf.
Auf einer ölbefestigten Naturstrasse fahren wir Richtung Paso San Francisco. Die
Landschaft macht auf uns einen toten Eindruck. Klar, wir befinden uns in den Ausläufern der Atacama-Wüste, hier gibt es
praktisch keine Vegetation mehr. Aber die
Hirtencamp in der Quebrada de Paipote
vielen Mineneinrichtungen tragen ein Übriges zum tristen Bild bei: Überall Abraumhalden, Einzäunungen, Rohrleitungen und
undichte Staubecken, aus denen nicht selten eine farbige Flüssigkeit rinnt. Wir biegen
ab in die Quebrada de Paipote, die Piste wird einsam und steiler. Im ersten und zweiten
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 2 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Gang kriechen wir den Berg hoch, müssen zwischendurch schon mal eine Zwangspause einlegen, um den Motor etwas abkühlen zu lassen. Überall dort, wo ein Bach noch
ein wenig Wasser führt, liegen kleine grüne Flecken wie Oasen in der Wüste. Meistens
steht da auch ein Hirtencamp, einfache Hütten, aus allerlei Abfallprodukten wie flachgewalzten Ölfässern zusammengezimmert. Den Sommer über werden hier bis auf
3'000 m hinauf Ziegen gehalten, jetzt im frühen März sind die meisten Camps aber bereits verlassen. Schliesslich erreichen wir den Pass Portezuela Maricunga auf 4'142 m
ü.M. und haben eine schöne Aussicht auf die 400 m tiefer gelegene Laguna Santa
Rosa.
Von Mittag bis Sonnenuntergang ist es auf dem Altiplano immer sehr windig, so suchen
wir uns erst mal einen etwas geschützten Stellplatz an der Lagune und werden hinter
einem rieseigen Felsblock fündig. Dem Wind zum Trotz holen wir die dicken Jacken aus
dem Schrank und machen einen Nachmittagsspaziergang. Die Vogelwelt in der Lagune
ist sehr scheu und lässt sich nicht aus der Nähe fotografieren. Mit dem Fernglas können
wir die Flamingos, Andengänse und -möwen sowie eine grosse schwarze Ente (Tagua
cornuda) aber gut beobachten. Auf dem Land haben wir mit der Kamera mehr Glück.
Sowohl Vicuñas, den kleinsten Vertreter der Andenkamele, wie auch einen grossen
Fuchs (Zorro colorado) bekommen wir vor die Linse. Nach einer kalten Nacht mit -5°C
unternehmen wir am nächsten Tag eine kleine Wanderung, umrunden die halbe Lagune
und steigen zu einem Aussichtspunkt hinauf. Von hier oben bietet sich eine fantastische
Aussicht über die Laguna Santa Rosa und den angrenzenden, grossen Salar de
Maricunga. Am Nachmittag kommt ein grauer LKW aus Deutschland angefahren. Es
sind unsere Freunde Ilona und Wolf, die wir auf unserer letzten Südamerika-Reise
kennengelernt haben. Allzu sehr überrascht sind wir nicht, wir haben gewusst, dass sich
unsere Wege hier kreuzen könnten. Gemeinsam verbringen wir einen weiteren Tag an
der Lagune und tauschen Reiseerfahrungen aus. Dann trennen sich unsere Wege
bereits wieder, sie fahren über den Paso San Francisco nach Argentinien, wir bleiben im
chilenischen Altiplano, wechseln aber hinüber zu Laguna del Negro Francisco.
Vicuñas
Zorro colorado
Die Laguna del Negro Francisco befindet sich zwar auch im Nationpark Nevado Tres
Cruces, jedoch in einem eigenständigen, nicht mit der Laguna Santa Rosa zusammenhängenden Teil. Die 75 km lange Verbindungsstrasse hinüber erweist sich als üble
Rüttelpiste, kaputtgefahren von den Minenfahrzeugen, die auch hier oben überall unter© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 3 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
wegs sind. Nach einigen Stunden erreichen wir das Ufer der Laguna del Negro
Francisco und sind auf den ersten Blick nicht sonderlich beeindruckt. Nichts ist zu sehen
von den verschiedenen Farben, die der Wasserspiegel, der durch eine natürliche
Barriere zweigeteilten Lagune, aufweisen soll. Am nächsten Tag wandern wir auf die
Landbarriere hinaus und bei fast senkrecht am Himmel stehender Sonne kommen die
Farben dann voll zur Geltung. Der östliche, weniger salzhaltige Teil schimmert blaugrün, sieht aus wie ein Bergsee in den Alpen. Der westliche, stark salzhaltige Teil
leuchtet hingegen orange-rot und ist umgeben von einem schneeweissen Salzrand. Das
prächtige Farbenspiel kann sich durchaus mit jenem der Laguna Colorada in Bolivien
messen. Nochmals übernachten wir in der Nähe der Lagune, hören am späten Abend
immer wieder ein Krähen von draussen. Mit der Taschenlampe leuchten wir in die Nacht
hinaus und sehen das Augenpaar eines Fuchses auf Beutetour.
Laguna del Negro Francisco
Fast zwei Tage lassen wir uns Zeit für die
Fahrt vom Altiplano auf knapp 4'000 m ü.M.
hinunter an die Küste. Während auf dem
Altiplano ein paar spärliche Bäche ab und
zu eine grün-gelbe, salzhaltige Feuchtwiese, sogenannte Bofedales, speisen, die den
Vicuñas als Weidegründe dienen, wird es
weiter unten völlig trocken und vegetationslos. Wir befinden uns in der AtacamaWüste, einer der trockensten Wüsten der
Welt, in welcher es höchstens alle paar Jahre einige Tropfen regnet. Mit jedem Kilometer wird es heisser und staubiger, kein
Schatten ist in Sicht. Wie in der Sahara Minenklärwerk
sieht es hier jedoch nicht aus, die Berge
sind mineralienhaltig und deshalb farbig. Die Minen werden wieder zahlreicher, das Bild
der unberührten, schroffen Natur weicht dem einer rücksichtslos ausgebeuteten Landschaft. Eine alte Eisenbahnlinie, auf welcher ziemlich antik wirkende Güterzüge mit
Kesselwagen das Fördergut einer Mine zu Tal bringen, begleitet die Strasse. Immer
wieder kreuzen wir orangefarbene Tank-LKW’s. Die Aufschrift „Acido sulfurico - Evite el
contacto con agua“ (Schwefelsäure - Vermeide den Kontakt mit Wasser) deutet darauf
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 4 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
hin, mit welch giftigen Mitteln in den Minen gearbeitet wird. Die wenigen Ortschaften
machen auf uns einen tristen Eindruck, bestehen mehr aus Schrottplätzen denn aus
Wohnsiedlungen. Den negativen Höhepunkt bildet jedoch ein Werk, in welchem hinter
Stacheldrahtzäunen in maroden Staubecken schwarzer “Sand“ an der Luft getrocknet
wird. Erst kurz bevor wir die Panamericana erreichen, sieht die Atacama-Wüste aus wie
eine klassische Wüste mit beigem Sand und Dünen. Wenig später stehen wir bei der
Kleinstadt Chañaral zum ersten Mal seit fast fünf Jahren wieder am Ufer des Pazifiks.
Chañaral wirkt auf uns nicht sehr einladend. Es gibt zwar einige gepflegte, farbige Häuser, die Mehrzahl wirkt aber eher baufällig, mit Löchern in Dächern und Wänden. Gut,
dass es nie regnet, sonst würden die Bewohner wohl erhebliche Probleme bekommen.
In Chañaral sehen wir zum ersten Mal, welch grosses Problem die Chilenen mit dem
Müll haben. Zwar sind auch hier Abfallkörbe aufgestellt, diese werden aber anscheinend
nur selten benutzt, überall, vor den Häusern, auf dem Gehsteig und am Strand liegt Müll
herum. Bestimmt sehen die meisten Chilenen dies nicht als Problem, für sie ist das ganz
normaler Alltag, auf uns Touristen wirkt es aber abstossend. Einkaufen kann man in
Chañaral hingegen gut und so machen wir uns schon bald mit frischem Proviant ausgerüstet auf den Weg in den nahe gelegenen Küsten-Nationalpark Pan de Azúcar.
Seinen Namen hat der Nationalpark von der vorgelagerten Felsinsel Pan de Azúcar
erhalten, die allerdings mehr einem Vulkankegel als dem Zuckerhut von Rio de Janeiro
gleicht. Genau diese Insel ist unser eigentliches Ziel, sie ist der Lebensraum von
Humboldt-Pinguinen und verschiedenen anderen Seevogelarten. Vom Fischerdorf
Caleta Pan de Azúcar aus sollen Bootsfahrten rund um die Insel veranstaltet werden. Im
Dorf herrscht jetzt, nach der Feriensaison, aber fast kein Betrieb mehr, die Bootstouren
werden mangels Touristen leider nicht mehr durchgeführt. Im einzigen noch geöffneten
Lokal, dem Oreja del Pato (Entenohr), stärken wir uns mit guten Empanadas, wir bevorzugen aber diejenigen mit Käse- statt Meeresfrüchtefüllung. Am Strand direkt vor dem
Restaurant tummeln sich einige schön gezeichnete Peru-Pelikane. Als die Fischer mit
dem Ausnehmen des Fangs beginnen, werden die Pelikane immer zahlreicher und
streiten sich um die Eingeweide.
Isla Pan de Azúcar
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
Peru-Pelikane
www.teamnorth.ch
Seite 5 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Statt einer Bootstour unternehmen wir im Nationalpark ausgedehnte Strandspaziergänge, mit Muscheln bedeckte Sandstrände wechseln sich ab mit Felsklippen.
Vom Land aus beobachten wir die Seevögel: Tausende von schwarzen Kormoranen
bevölkern die Wasseroberfläche, Peru-Tölpel machen sich im Sturzflug auf Beutefang,
Austernfischer suchen entlang der Wasserlinie nach Nahrung, verschiedene Möwen,
darunter die besonders elegante Gaviota peruana (Simeonsmöwe), sitzen im Sand.
Eines Tages gegen Mittag, wir sind gerade am Lesen und Schreiben, klopft es heftig an
unserer Tür. Ein Nationalpark-Aufseher meldet Tsunami-Alarm. Schnell packen wir zusammen und fahren ihm nach zu einem höher gelegenen Sammelplatz. Das Radio
berichtet von einem weiteren starken Erdbeben bei Rancagua südlich von Santiago,
vorsorglich wird die gesamte chilenische Küste evakuiert. Nach etwas mehr als einer
Stunde kommt Entwarnung, die Flutwelle hat nur bis La Serena, mehrere hundert
Kilometer südlich von uns, gereicht. Drei Tage verbringen wir hier am Pazifik, auch ohne
Bootsausflug war der Nationalpark die Reise wert.
Wir fahren zurück auf die etwas im Landesinnern verlaufende Panamericana, folgen dieser für ca. 100 km nordwärts durch
die knochentrockene Atacama-Wüste,
dann zieht es uns bereits wieder an den
Pazifik. Von der kleinen Stadt Taltal sind
wir sehr positiv überrascht. Die Häuser
sind farbig gestrichen und durchwegs in
gutem Zustand, dazwischen sind Bäume
und Blumen angepflanzt, die zentrale
Plaza ist überaus gepflegt und auch das
Müllproblem scheint man hier sehr gut im
Griff zu haben. Am Strand stehen Dutzende von bunt bemalten Picknick-TiHolzhaus in Taltal
schen mit Sonnendächern und Feuerstellen, auch hier ist alles blitzsauber, ein idealer Übernachtungsplatz für uns. Eine solch
komfortable Strandzone zieht in einer Samstagnacht natürlich noch mehr Leute an, viele
Jugendliche kommen hierher und feiern bis zum Sonnenaufgang. Die lauten Autoradios
lassen uns nicht gut schlafen, belästigt werden wir aber von niemandem. Am nächsten
Morgen sieht es aus wie anderswo in Chile, leere Bierdosen und -flaschen liegen überall
herum. Allerdings nicht lange, dann kommt tatsächlich eine Putzfrau und räumt alles
wieder weg.
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 6 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Antofagasta, die grösste Stadt im chilenischen Norden, empfängt uns mit erhobener
Hand. In der Wüste ausserhalb der Stadt
steht die monumentale Betonskulptur
“Mano del Desierto“ (Wüstenhand). Sie
wurde 1992 vom Künstler Mario Irarrázabal
geschaffen, soll die Besucher der Stadt willkommen heissen und den Abreisenden eine
gute Fahrt wünschen.
Mano del Desierto vor Antofagasta
Das Gebiet von Antofagasta gehörte früher zu Bolivien, die Stadt selbst wurde
erst Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet. Nach Entdeckung grosser Salpetervorkommen in der Region wuchs sie
allerdings sehr schnell, immer mehr Minengesellschaften begannen, die Bodenschätze abzubauen, auch chilenische
Firmen waren daran beteiligt. Als die bolivianische Regierung diese zuerst höher
besteuerte und dann gar zu enteignen
drohte, war für Chile der Anlass gegeben, einen Krieg vom Zaun zu brechen
und die ganze rohstoffreiche AtacamaWandbild aus der Salpeterzeit in Antofagasta
Wüste einzunehmen. Als erster Ort im folgenden Pazifik- oder Salpeterkrieg wurde am 14. Februar 1879 Antofagasta von den
chilenischen Truppen erobert. Heute ist die Stadt Versorgungszentrum für die umliegenden Minen und einer der bedeutendsten Kupferverladehäfen der Welt. Viel Historisches gibt es nicht zu sehen in Antofagasta. Auf der schönen Plaza Colón steht der
Torre del Reloj (Uhrturm), eine aus England importierte, verkleinerte Nachbildung des
Big Ben in London. Das Bahnhofsgebäude der FCAB (Ferrocarril Antofagasta - Bolivia)
ist leider nur von aussen zu besichtigen. Am alten Hafen steht noch das zweistöckige
Holzhaus der ehemaligen Zollverwaltung, mehr per Zufall entdecken wir dort auch ein
Haus, dessen Fassade vollständig mit Wandbildern verziert ist. Die Bilder zeigen in
Lebensgrösse Bahnhofsszenen aus der Salpeterzeit, man fühlt sich direkt in diese
Epoche zurückversetzt, sie bilden den Höhepunkt unseres Besuchs in Antofagasta. Wir
nutzen den Aufenthalt in der Stadt auch dazu, die seit Wochen anhaltenden Rückenschmerzen von Reto in der Klinik abklären zu lassen. Nach Röntgenaufnahmen wird ein
leichter Bandscheibenschaden festgestellt. Wir hoffen, das Problem mit einem Medikament einzudämmen.
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 7 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Das Wahrzeichen Antofagastas ist die
Portada. Das natürliche Felsentor steht
nördlich der Stadt, einige Meter vor der
Steilküste, in der Brandung des Pazifiks.
Unzählige Seevögel haben hier ihre Nistplätze, neben Pelikanen erspähen wir mit
dem Fernglas Peru-Tölpel und Inka-Seeschwalben. Humboldt- Pinguine soll es hier
auch geben, wir können aber keine ausmachen. Für die Fahrt zur nächsten grossen Stadt, Iquique, lassen wir uns Zeit. Wir
fahren nur kurze Etappen, dreimal übernachten wir direkt am Pazifik. Leider sind
die Strände auch hier ziemlich übersät mit La Portada bei Antofagasta
Müll. An einem dieser Plätze, in Punta Mal
Paso bei Tocopilla, liegt dicht vor dem steinigen Strand eine Felsinsel. Die Felsen sind
weiss überzogen mit Guano (Vogelmist), drei Männer sind damit beschäftigt diesen mit
einer Hacke zusammenzukratzen und in Säcke abzufüllen. Früher war Guano ein
weltweit gefragter Dünger, heute in der Zeit der Agrarchemie ist der Abbau aber kein
einträgliches Geschäft mehr. Gegen Abend werden die Felsen fast schwarz voller Vögel,
Kormorane und Tölpel beziehen ihre Schlafplätze. Nahe an der Wasserlinie entdecken
wir zu unserer Freude auch ca. 20 Humboldt-Pinguine. Die schwarz-weissen, 65 cm
grossen Vögel steigen in der Felswand auf und ab, dann lassen sie sich wieder ins
Wasser plumpsen, um zu fischen.
Iquique hat gegen 200'000 Einwohner und
konkurriert mit Arica um den Rang der zweitgrössten Stadt im chilenischen Norden. Die Stadt
liegt auf einem schmalen Küstenstreifen, eingeklemmt zwischen Pazifik und einer 600 m hohen
Sanddüne. Iquique war vor dem Salpeterkrieg peruanisch, die Grenze zu Bolivien verlief weiter südlich
bei Tocopilla. Die Chilenen nahmen die Stadt am
21. Mai 1879 nach einer siegreichen Seeschlacht
ein. Zwar hat auch Iquique ein geschäftiges Zentrum mit Hochhäusern, insgesamt wirkt die Stadt
aber weniger wohlhabend als Antofagasta. Die Sehenswürdigkeiten halten sich in Grenzen. Anschliessend an die schöne Plaza Arturo Prat, auch
hier mit einem Uhrturm, folgt die zur Fußgängerzone erklärte Avenida Baquedano. Diese Strasse ist
gesäumt von repräsentativen, zweistöckigen Holzhäusern aus der Salpeterzeit, selbst die Gehsteige
Avenida Baquedano in Iquique
sind aus Holz und ein eben falls hölzernes Tram
fährt die wenigen Meter auf und ab. Auch in der Avenida Baquedano liegt das Museo
Regional, dem wir einen Besuch abstatten. Die Ausstellung ist überaus interessant,
gezeigt werden Mumien und Grabbeigaben aus der Chinchorro-Kultur (fast 8'000 Jahre
alt), Keramik und Textilien anderer Kulturen (z.B. Tiwanaku), Objekte aus den
Salpeterabbaustätten und die lebensgrosse Nachbildung eines Aimará-Hofes aus dem
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 8 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Altiplano. Iquique verfügt auch über eine grosse Zollfrei-Einkaufszone. Die Geschäfte
sind vollgestopft mit Elektronikartikeln aus Fernost, wir suchen jedoch vergeblich nach
einem neuen Batterie-Ladegerät für den Nordwind.
Nun machen wir uns aber auf zur zweiten
Rundfahrt über den chilenischen Altiplano.
Bevor wir aus Iquique wegfahren, tanken
wir alles voll, über Radio wurde für die
nächsten Tage eine Erhöhung der Treibstoffpreise um 60.- Pesos (ca. 0.12 CHF)
pro Liter angekündigt. Schuld daran soll der
kürzlich im Amt eingesetzte neue Präsident
Sebastian Piñera sein. Wir wenden uns von
der Küste ab, kehren zur Panamericana
zurück, verlassen diese aber wenig später
bei Huara bereits wieder und halten auf die
bolivianische Grenze zu. Bevor die Strasse
richtig ansteigt, machen wir einen kurzen Gigante de Atacama am Cerro Unitá
Abstecher zum Cerro Unitá, einem isoliert in
der Wüste stehenden Hügel. Wie vielerorts in der Atacama-Wüste sind auch hier
Geoglyphen zu bewundern. Zwar sind die Linien und Figuren von Nazca in Peru weitaus
bekannter, als Einzelmotiv steht ihnen der Gigante de Atacama aber in nichts nach. Der
86 m hohe Riese wurde in den harten, vom Wetter dunkel oxydierten, Wüstensand
gescharrt. Sein Alter ist unklar, einige Quellen sprechen von 900 v. Chr., andere 1'000 1'400 n. Chr. Ebenso rätselhaft ist seine Bedeutung, es könnte sich um eine indianische
Gottheit handeln. Auf uns wirkt er irgendwie lustig, er schaut nach Westen auf den
Pazifik, wir fahren ostwärts den Anden entgegen.
Die Strasse führt steil bergan Richtung bolivianische
Grenze bei Colchane. Dies ist die zweitwichtigste
Verkehrsverbindung von den chilenischen Häfen
nach Bolivien, entsprechend viele bolivianische
LKW’s sind unterwegs. Wir fahren jedoch nicht bis
zur Grenze, biegen vorher auf eine ruppige Nebenpiste ab und gelangen zu den Geysiren Baños de
Puchuldiza auf ca. 4'400 m Höhe. Jetzt, am Nachmittag, ist das Geysirfeld nicht sonderlich beeindruckend, eine einzige, ca. 3 m hohe Wasserfontäne schiesst aus dem Boden. Wir beschliessen,
hier zu übernachten und uns die Sache morgen früh
bei kühleren Temperaturen nochmals anzusehen.
Und tatsächlich, im ersten Tageslicht sind die
Geysire bedeutend aktiver, die Wasserfontäne
sprüht höher gegen den Himmel, in einigen Wasserpfützen könnte man Eier kochen, aus Ritzen im
Boden faucht, gurgelt und grollt es. Eine Info-Tafel
Geysirfeld Baños de Puchuldiza
erklärt die Entstehung der Geysire: Unterirdische
Wasseradern berühren in ca. 2'000 m Tiefe glühende Magma-Kammern, das Wasser
verdampft, der Dampf sucht sich einen Weg an die Oberfläche und kondensiert beim
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 9 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Austritt an die kühle Luft wieder zu Wasser. Eine durch und durch vulkanische Erscheinung.
Nach dem Mittagslunch verlassen wir die Baños de Puchuldiza wieder und fahren durch
ein Gebiet mit vielen kugelrunden Polsterpflanzen. Wir schauen uns die grünen Hügel
genauer an und stellen fest, dass sie alles andere als weich sind. Ganz im Gegenteil, die
Llareta genannte Pflanze ist steinhart, ihre Oberfläche besteht aus Tausenden ganz
feinen Blümchen. Wir erreichen das kleine Dorf Mauque. Es scheint völlig verlassen zu
sein, die Fenster und Türen der aus Adobeziegeln gebauten Häuser sind verschlossen
oder gar zugenagelt, einige haben kein Dach mehr, andere liegen bereits in Ruinen, kein
Mensch ist auf der Strasse zu sehen. Als wir vor der ebenfalls renovationsbedürftigen
Kirche parken, kommen irgendwoher drei Kinder angerannt. Sie tragen nicht zusammenpassende Schuhe, husten, haben Rotznasen und fragen uns nach einem Geschenk. Wir
nutzen die Gelegenheit, etwas mit ihnen zu schwatzen und erfahren so, dass sie zehn
Geschwister sind und ausser ihrer Familie niemand mehr in Mauque lebt. Zum Schluss
erhält jedes der drei Kinder einen farbigen Bleistift von uns. Etwas erstaunt schauen sie
das Geschenk an und bedanken sich dann artig. Vielleicht hätten sie lieber Bonbons
gehabt, aber wir verteilen in solchen Situationen jeweils Schulmaterial. Am späten Nachmittag erreichen wir 26 km entfernt das nächste Dorf Enquelga. Hier scheinen mehr
Leute zu wohnen als in Mauque, zumindest hinterlassen die Häuser bei uns diesen
Eindruck. Ausserhalb des Dorfs finden wir am Rand einer saftigen grünen Weide, eine
Seltenheit auf dieser Höhe, einen geeigneten Platz zum Übernachten. Eine grosse
Lamaherde zieht vorbei, zuhinterst folgt der Hirte. Wir sprechen etwas mit ihm, er ist
Bolivianer aus Potosí und arbeitet hier als angestellter Lamatreiber. Während er auf die
Tiere aufpasst, strickt er Wollmützen. Mit grossem Stolz zeigt er uns ein überaus
schönes Exemplar und auch eine angefangene Arbeit. Gerne würde er uns die Mütze
verkaufen, verlangt aber einen viel zu hohen Preis. So kommt es uns gelegen, dass sie
für Retos Kopf zu klein ist und damit nichts wird mit dem Geschäft.
Llareta-Pflanze
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
Strickender Lamahirte
www.teamnorth.ch
Seite 10 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Am nächsten Tag machen wir einen Abstecher ins nahegelegene Dorf Isluga, um
dort die viel gerühmte Kirche anzuschauen.
Gemäss unserem Reisehandbuch ist dieses
Dorf verlassen, da erstaunt es uns, dass
viele der Adobehäuser neue Dächer aus
Wellblech tragen. Wir treffen den einzigen
noch dauernd im Dorf wohnhaften Mann
und der erklärt uns, dass alle anderen
Bewohner, wie er selbst vom Stamme der
Aymará, auf der Suche nach Arbeit in die
Städte der Küstenregion gezogen seien.
Nur zu den traditionellen Festen, dem Kirchenpatronstag und dem Karneval, kehren Kirche in Isluga
die Aymará in ihre Häuser zurück. Dann
kommt Leben ins Dorf, der Festplatz neben der Kirche füllt sich mit Leuten, sogar der
Strom wird eingeschaltet. Jetzt aber ist alles ruhig, nur noch der Müll des letzten
Karnevals liegt herum. Wir fahren zurück nach Enquelga und halten an, als uns eine
Aymará-Frau vom Strassenrand aus zuwinkt. Sie trägt einen Strohhut, unter welchem
ihre schwarzen Zöpfe hervorgucken, dazu einen orange-rot gemusterten Rock und eine
rote Wolljacke. Die Frau ist auf dem Weg zu ihren Lamas und fragt uns, ob wir sie ein
Stück mitnehmen würden. Unterwegs erzählt sie, dass in Enquelga mehr Leute als in
den umliegenden Dörfern leben, diese zur Zeit aber nicht zu Hause sondern in den
Bergen bei den Tieren seien. Ihre Kinder, drei Töchter und sechs Söhne, wohnen aber
nicht mehr hier, sie haben rund um die Stadt Iquique Arbeit gefunden. Sie berichtet auch
von Füchsen, die gelegentlich junge Lamas fressen. Bald zeigt sie uns in der Ferne ihre
Herde, steigt aus und geht das letzte Stück zu Fuss.
Wie immer in den letzten Tagen ziehen
auch heute Wolken am sonst stahlblauen
Altiplano-Himmel auf. Diesmal folgt sogar
ein Gewitter und es regnet kurzzeitig,
eher selten in dieser Region und wohl
recht ungemütlich für die Hirten, die irgendwo im Freien bei ihren Tieren sitzen.
Um an den Salar de Surire zu gelangen
müssen wir erst noch den Pass Portezuelo El Capitán überqueren und erreichen mit 4'740 m ü.M. unseren bisher
höchsten Punkt auf dieser Reise. Auf der
anderen Seite hängt der Nebel tief und es
fällt Eisregen, vom Salzsee ist nichts zu
Salar de Surire
sehen. Wir finden trotzdem zu den heissen Quellen von Polloquere und quartieren uns dort für die Nacht ein. Gegen Abend
klart das Wetter auf, ein mit Neuschnee überzuckerter Berggipfel nach dem anderen
kommt zum Vorschein. Am folgenden Morgen nehmen wir ein Bad in der Lagune, dies
bekommt uns aber nicht sonderlich gut, zu heiss ist das Wasser. Der Wellness-Effekt
scheint uns fraglich, wir benötigen nachher jedenfalls eine längere Erholungszeit. Wir
umfahren den Salar de Surire und spazieren etwas an seinem Ufer. Er hat zwar keine
schneeweisse Oberfläche, weist aber das typische sechseckige Muster eines Salzsees
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 11 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
auf. Tausende von Flamingos leben hier, sie halten sich aber vorwiegend an den
offenen Wasserflächen weiter im Innern des Salars auf. Ein grosser Teil des Salars steht
unter Naturschutz, am Westufer wird jedoch Borax, ein Rohstoff für die Herstellung von
Glas und Waschmittel, abgebaut. Wieder einmal war die finanzstarke Minenindustrie
mächtiger als die staatliche Naturschutzbehörde.
Auf der Weiterfahrt taucht der aktive Vulkan
Guallatiri und schon bald auch die auf der
Grenze zu Bolivien liegenden Zwillings-Vulkane Parinacota und Pomerape auf. Wir
befinden uns jetzt im Reserva Nacional Las
Vicuñas, entsprechend viele dieser Tiere
bevölkern die Hochebene und fressen das
trockene, goldgelbe Itschugras. Die Piste
folgt dem Rio Lauca, auf den saftig grünen
Weiden und sogar im Fluss drin grasen
viele Lamas und einige Alpakas, die Szene
gibt ein idyllisches Bild ab. Guallatiri, am
Fusse des gleichnamigen Vulkans gelegen,
ist das letzte Dorf, welches wir vor Errei- Lama im Rio Lauca
chen der Teerstrasse passieren. Auch da
leben nur noch vier ältere Leute als ständige Bewohner. Die Entvölkerung des
chilenischen Hochlands stimmt uns schon nachdenklich, die typische Lebensart der
Aymará wird hier wohl in Kürze aussterben.
Wir erreichen den Nationalpark Lauca und damit die Teerstrasse. Diese wichtigste
Verkehrsverbindung nach Bolivien führt mitten durch den Nationalpark und ist recht stark
von LKW’s befahren. Entsprechend “sauber“ ist es am Strassenrand, die Abfalldisziplin
ist in Südamerika meistens einfach gleich null. Ein lachender Ruf lockt uns ans Ufer des
Lago Chungará. Selbst hier auf 4'570 m ü.M. sind viele Enten im Wasser. Nicht die
schönste, aber die auffälligste ist die rabenschwarze Riesenente Tagua gigante. Sie
wird bis 65 cm lang und sie ist es auch, die den lachenden Ruf von sich gibt.
Das kleine Dorf Parinacota liegt noch innerhalb des Nationalparks. Wir haben es auf
unserer letzten Reise bereits besucht, denn hier steht die wohl schönste aller aus Adobe
gebauten Kirchen auf dem chilenischen Altiplano. Diesmal machen wir eine Wanderung
zu einem Bofedal, entsprechend treffen wir auch hier wieder auf viele Lamas. Zudem
erheben sich die Zwillings-Vulkane Parinacota und Pomerape im Hintergrund, fehlt
eigentlich nur ein strahlend blauer Himmer zum perfekten Altiplano-Bild.
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 12 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Bofedal vor dem Vulkan Parinacota
In Putre beschliessen wir unsere Hochlandrunde. In den letzten acht Tagen haben wir
uns fast immer oberhalb von 4'000 m ü.M. aufgehalten und dabei keine Höhenprobleme
verspürt. Nur geschlafen haben wir weniger tief als sonst. Auch der Nordwind ist, abgesehen von batteriebedingten Startproblemen, immer gut gelaufen. Es war eine
wahrhaft atemberaubende Tour in der dünnen Höhenluft.
Im Museo Arqueológico San Miguel de Azapa
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
Nach einem Tag Talfahrt erreichen wir
wieder die Atacama-Wüste und stehen in
Chiles nördlichster Stadt Arica am Pazifik.
Viel zu sehen gibt es nicht in Arica, wir
machen aber einen Sonntagsausflug ins
Valle de Azapa, ein grünes, landwirtschaftlich genutztes Oasental gleich neben der Stadt. Im Tal wachsen viele
Olivenbäume, entsprechend gibt es überall Öl und andere Olivenprodukte zu
kaufen. Hauptanziehungspunkt für uns ist
aber das viel gerühmte archäologische
Museum der Universität von Tarapacá im
kleinen Dorf San Miguel de Azapa. Und
tatsächlich, hier ist die Geschichte von der
www.teamnorth.ch
Seite 13 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
frühesten Besiedlung durch die Chinchorros über die Tiwanaku-Kultur bis zu den Inkas
noch anschaulicher dargestellt als im Regionalmuseum von Iquique. Sonst nutzen wir
die Zeit in Arica vor allem für einen erneuten Arztbesuch wegen Retos immer noch
anhaltenden Rückenproblemen und den Kauf neuer Starterbatterien für den Nordwind.
Auf dem Morro, dem Stadtberg, finden wir zwischen Kriegsdenkmälern und dem Militärmuseum einen für städtische Verhältnisse überaus ruhigen Nachtparkplatz und haben
zudem eine hervorragende Aussicht auf den Pazifik, den Hafen und die Stadt. Der Morro
ist auch historisches Terrain, hier befand sich eine peruanische Festung, welche die
Chilenen am 7. Juni 1880 während des Salpeterkriegs erstürmten.
Von Arica orientieren wir uns wieder südwärts und begeben uns etwas auf die Spuren der Salpeterabbauzeit. Was auf der
Landkarte aussieht wie eine lockere Fahrt
durch die Wüste, entwickelt sich zu einem
harten Stück Arbeit. Die Panamericana verläuft meistens auf ca. 1'000 m Höhe, mehrmals sind aber sehr tiefe Taleinschnitte zu
durchqueren. Am schlimmsten ist die
Cuesta de Camarones, ihr Talgrund liegt
fast auf Meereshöhe. Nach 220 km folgt die
Abzweigung zur ehemaligen Hafenstadt
Pisagua, nach Überquerung des Küstengebirges geht es steil hinunter an den Pa- Baufällige Wohnhäuser in Pisagua
zifik. Während der Salpeterabbauzeit war
Pisagua der drittwichtigste Verladehafen, von hier aus wurde der zur Herstellung von
Schiesspulver und Dünger verwendete Rohstoff weltweit exportiert. Was wir heute in
Pisagua antreffen, erschreckt uns dann aber doch etwas. Von den Hafenanlagen ist gar
nichts mehr zu sehen, einige historische Gebäude wie der Uhrturm, das Theater oder
das Feuerwehrlokal sind zumindest in Teilen noch erhalten, die meisten der heute noch
bewohnten Häuser geben aber einen erbärmlichen Eindruck ab. Sie sind baufällig oder
liegen bereits in Trümmern, rundherum Autoschrott, Müll und Hundekacke. Zusammen
mit dem vegetationslosen Wüstensand und dem heute grauen Himmel ein äusserst
tristes Bild, für uns unvorstellbar hier zu wohnen. Die Leute, die wir antreffen, sind aber
freundlich, sie leben vom Fang und Verkauf von Fisch und Meeresfrüchten. Die jüngere
chilenische Geschichte wirft einen dunklen Schatten auf Pisagua. Während der
Pinochet-Diktatur befand sich hier eine Gefangenenkolonie. Die Spur unzähliger Menschen verliert sich an diesem Ort, 1990 wurde ein Massengrab entdeckt. Noch heute
wird dieses Thema vom Staat totgeschwiegen, eine Gedenkstätte gibt es nicht, nur ein
Wandbild mit der Aufschrift “25 años Pisagua – nada esta olvidado“ (25 Jahre Pisagua nichts ist vergessen) erinnert an die traurige Zeit.
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in der Atacama-Wüste reiche Salpetervorkommen
entdeckt, die Abbau- und Verarbeitungsstätten, so genannte Oficinas, schossen wie
Pilze aus dem Boden. Als nach dem Ende des 2. Weltkrieges die Nachfrage nach
Schiesspulver stark zurückging und chemisch hergestellter Kunstdünger den Salpeter
vom Markt verdrängte, ging die Blütezeit dieser Oficinas zu Ende. Sie wurden geschlossen, verfielen, die Industrieanlagen wurden demontiert und als Alteisen verwertet.
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 14 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Von den meisten sind heute nur noch ein paar Grundmauern erhalten, das Oficina
Santiago Humberstone wurde jedoch besser bewahrt, gründlich aufgeräumt und 2005
von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Auf unserem Rundgang durch das Wohnquartier kommen wir uns vor wie in einer Geisterstadt im Wilden Westen. Wohnungseinrichtungen sind zwar keine mehr vorhanden, der Zustand einiger Häuser ist aber noch
so gut, dass man direkt wieder einziehen könnte. Wenn wir an Pisagua zurückdenken,
wäre es für viele Leute wohl der pure Luxus, hier wohnen zu können. Neben den
Wohnhäusern gibt es rund um die Plaza ein Theater, eine Kirche, eine Schule, ein
Marktgebäude und einen Einkaufsladen, ein Hospital und sogar ein Hotel mit Schwimmbad. Während der besten Zeit dieses Oficinas, von 1933 bis 1940, wohnten hier 3'700
Personen, die Arbeiter mit ihren Familien. Die Industrieanlagen sind auch in Humberstone nur noch beschränkt erhalten. Der recht komplizierte Prozess, mit welchem der
reine Salpeter aus dem abgebauten Erdmaterial gewonnen wurde, lässt sich nur noch
auf handgemalten Schautafeln nachvollziehen. Die Industriehallen stehen zum grössten
Teil leer, das rostige Wellblech klappert und quietscht im Wind. Nur in der Elektrizitätszentrale sind noch die Reste zweier grosser Sulzer-Generatoren zu sehen. Eine kleine
Ausstellung zeigt Plakate aus aller Welt, die den Chile-Salpeter als Wundermittel für
eine höhere landwirtschaftliche Produktion anpreisen.
Im Oficina Salitrera Santiago Humberstone
Etwas weiter südlich treffen wir auf einen Wald in der Wüste, das Reserva Nacional
Pampa del Tamarugal. Es handelt sich aber nicht um eine gewöhnliche Oase, kein
Wasser ist zu sehen, der Boden scheint sandig, ist aber hart und stark salzhaltig. Früher
waren weite Teile der Atacama-Wüste mit solchen Tamarugo-Wäldern bedeckt, sie
wurden im 19. Jahrhundert jedoch gedankenlos abgeholzt, als Baumaterial und
Brennstoff für die Salpeter Oficinas verwendet. Der Wald hier im Reservat ist nur noch
zu einem kleinen Prozentsatz ein Primärwald, der grösste Teil wurde wieder aufgeforstet. Der Tamarugo-Baum sieht ähnlich aus wie der vor allem in Argentinien verbreitete Algarrobo, feine Blättchen sorgen für eine geringe Feuchtigkeitsabgabe an die
Luft, ca. 5 cm lange Dornen sollen das Abfressen durch die Tiere verhindern. Tiere,
welche sich an die Bäume heranmachen könnten, sehen wir keine, jedoch viele
Wüstenechsen (Lagarto del Desierto). Sie werden bis zu 30cm lang und sind äusserst
flink. Ebenfalls im Reservat befinden sich die Geoglyphen am Cerro Pintado, unzählige
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 15 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Zeichnungen, die über eine Länge von 2 km verteilt, in einen Wüstenhang gescharrt
sind. Ihr Alter ist auch hier umstritten, die Bedeutung der Motive, Menschen, Tiere und
geometrische Formen, wird sehr verschieden interpretiert.
Lagarto del Desierto
Erich von Dänikens Astronauten?
Geoglyphen am Cerro Pintado
Nun wenden wir uns wieder Richtung Anden ab, schnurgerade folgt die Strasse vier
grossen Hochspannungsleitungen bis zur auf 2'400 m ü.M. gelegenen Minenstadt
Calama. Schon von weit her sehen wir die Abraumhalden von Chuquicamata, der grössten Tagebaumine der Welt. Was aus dem Boden herausgeholt wird und kein Kupfer
enthält, wird zu richtigen Bergen aufgeschüttet. Als wir uns im Ort Chuquicamata für die
Besichtigung der Mine anmelden wollen, treffen wir auf eine geschlossene Stadt. Seit
2008 ist Chuquicamata eine Geisterstadt, sie musste aufgegeben und die Arbeiter ins
benachbarte Calama umgesiedelt werden, weil der Sicherheitsabstand durch die immer
weiter fortschreitende Mine nicht mehr gegeben war.
Die Besichtigungstour findet aber trotzdem statt, mit einem Bus werden wir zu
einem Aussichtspunkt an den Rand des
grossen “Lochs“ gefahren. Und dieses
Loch hat wirklich immense Ausmasse, ca.
3x5 km in der Fläche und 1 km in der
Tiefe wurde das kupferhaltige Gestein bereits abgebaut. Ameisen gleich befördern
LKW’s das Material über Serpentinen aus
der Tiefe zu den Verarbeitungsanlagen
hoch. Dass diese LKW’s keine Ameisen
sondern Giganten sind, sehen wir, als
einer nahe bei uns vorbeifährt. Die Grössten haben eine Zuladung von 400 TonBlick in die Mine Chuquicamata
nen, Reifen von 3.9 m Durchmesser, einen diesel-elektrischen Antrieb mit 3'600 PS und verbrauchen in einer 24 StundenSchicht 2'500 l Treibstoff. 100 Stück dieser in Deutschland von Liebherr und in Japan
von Komatsu gebauten Giganten besitzt die Mine von Chuquicamata. Der durchschnitt-
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 16 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
liche Kupfergehalt des abgebauten Gesteins liegt gerade mal bei 1,1%, trotzdem ist der
Betrieb der Mine hoch rentabel. Als Endprodukt exportiert die staatliche Betreibergesellschaft CODELCO (Corporación del Cobre) 175 kg schwere Kupferplatten mit
einem Reinheitsgrad von 99.9997% und zwar ca. 1 Mio. Tonnen im Jahr. Für diese Produktion sorgen 20'000 Angestellte, die Mine arbeitet 365 Tage im Jahr im 24 StundenBetrieb.
Unsere letzte Station in Chile ist die Wüstenoase San Pedro de Atacama. Diesen sehr
touristischen Ort haben wir auch auf unserer letzten Reise besucht, damals aber zwei
wichtige Sehenswürdigkeiten in der Umgebung ausgelassen. Dies ist zum einen das
Valle de la Luna (Mondtal), ein Einschnitt in der Cordillera de la Sal (Salzgebirge) mit
einer wirklich ausserirdisch anmutenden Landschaft. Die Berge bestehen nicht aus
Stein, sondern aus einer eigenartigen Mischung von Salz, Sand und Lehm. Durch die
Erosion von Wind und Wetter sind in Tausenden von Jahren teilweise bizarre
Formationen entstanden. Es gefällt uns hier so gut, dass wir gleich zwei Tage im Tal
bleiben, um wirklich alle Wege abzulaufen. Am eindrucksvollsten ist der Spaziergang
durch die Schlucht Quebrada Cari, nicht nur optisch, auch akkustisch. Die steilen
Salzwände geben seltsame Knackgeräusche von sich. Man könnte fast meinen, die
Wände würden demnächst einstürzen, aber nicht das kleinste Stück bricht ab.
Im Valle de la Luna bei San Pedro de Atacama
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 17 / 18
Südamerikareise 2010, Bericht 8
Atacama-Wüste und Altiplano - unterwegs im Norden Chiles
Unser zweites Ziel in der Umgebung von
San Pedro de Atacama sind die Geysire
von El Tatio. Die Strasse zum viel besuchten Geysirfeld steigt bis auf eine Höhe von
4'500 m ü.M. steil an, ist aber in einem recht
guten Zustand. Die letzten 40 km sind von
den Tourbussen jedoch derart kaputt gefahren, dass wir, um den Nordwind zu schonen, fast nur noch im Schrittempo vorankommen. So erreichen wir El Tatio erst
nach Einbruch der Dunkelheit, dies spielt
aber keine Rolle, da wir sowieso gleich hier
übernachten wollen. Am nächsten Morgen
gehen wir bereits um 6:00 Uhr bei -4.5°C zu Geysire von El Tatio
den Geysiren. Erst mit dem Tageslicht wird
das Ausmass des Geysirfelds richtig sichtbar, überall um uns dampft und faucht es.
Meterhoch schiessen die Dampffontänen gegen den Himmel, es gibt aber auch kochende Wasserpfützen, eingerahmt von farbigen Ablagerungen aus Kalk und anderen Mineralien. Um 10:00 Uhr besitzt die Sonne bereits soviel wärmende Kraft, dass das
Schauspiel praktisch zum Erliegen kommt. Als letzte der zahlreichen Touristen machen
wir uns wieder auf den Weg zu Tal. Auch wenn der Aufwand hier hochzukommen recht
gross wahr, sind wir uns einig, dass es sich wirklich gelohnt hat.
In San Pedro de Atacama erledigen wir
die Ausreiseformalitäten und machen uns
auf den Weg nach Argentinien. Die
Strecke zum Paso de Jama ist durchgehend asphaltiert, für den internationalen
Handelsverkehr bestens ausgebaut. Viele LKW’s aus Paraguay, vor allem Autotransporte, sind hier unterwegs, alle Fahrer winken uns freundlich zu. Von 2'400 m
auf 4'829 m ü.M. steigt die Strasse ohne
Serpentinen bergan, dann folgt eine weite
Hochfläche mit mehreren Salaren. Beim
Salar de Tara stehen weit verstreut seltsam geformte Säulen aus rotem Stein,
Moais de Tara am Paso de Jama
die sogenannten Moais. Offroad steuern
wir die meisten dieser Formationen an, aus einigen von ihnen schauen uns Gesichter
entgegen. Was wollen sie uns wohl sagen?
Nach 55 Tagen im Norden Chiles stehen wir auf dem Paso de Jama wieder an der
argentinischen Grenze. Diese Tour in einem touristisch zumeist nicht sehr bekannten
Teil des Landes hat unsere Erwartungen klar übertroffen.
© Team North, Michèle & Reto Nussbaumer
www.teamnorth.ch
Seite 18 / 18