Lachen im Horrorfilm

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Lachen im Horrorfilm
Lachen im Horrorfilm
Abschlussarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades Diplom-Designer
- Fachrichtung Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main
vorgelegt von:
André Kirchner
Bieberer Sraße 47
63065 Offenbach am Main
Prüfer für den theoretischen Teil:
Prof. Dr. Marc Ries
Prüferin für den praktischen Teil:
Prof. Rotraut Pape
Offenbach am Main, 23.10.2012
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Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Das ‚Glasgow Smile‘ .......................................................................................................................... 04
2 Das Lachen
2.1 Zähne zeigen ..................................................................................................................................................... 06
2.2 Lachen als Ausdrucksbewegung .............................................................................................................. 08
2.3 Lachen in Grenzlagen .................................................................................................................................... 09
2.4 Freudvolles Lachen ohne Empathie ....................................................................................................... 11
2.5 Lachen über Starres....................................................................................................................................... 12
2.6 Gemeinschaftliches Lachen als soziales Korrektiv .......................................................................... 13
2.7 Anlässe zum Lachen
2.7.1 Kitzel .................................................................................................................................................... 14
2.7.2 Spiel ...................................................................................................................................................... 14
2.7.3 Komik ................................................................................................................................................... 15
2.7.4 Witz....................................................................................................................................................... 17
2.7.5 Verlegenheit und Verzweiflung ............................................................................................... 18
2.7.6 Geisteskrankheit ............................................................................................................................. 19
2.8 Bösartiges Lachen .......................................................................................................................................... 20
2.9 Lächeln versus Lachen ................................................................................................................................. 21
3 Der Horrorfilm
3.1 Horror als Filmgenre..................................................................................................................................... 24
3.2 Gängige Struktur des Horrorfilms .......................................................................................................... 26
3.3 1930er, 1970er, Gegenwart - Tradition, Überleben, Chaos ........................................................ 29
3.4 Angstlust ............................................................................................................................................................. 31
3.5 Komödie versus Horror ............................................................................................................................... 34
4 Der „Smile Shutter“ ..................................................................................................................................................... 36
5 Das Lachen im Horrorfilm
5.1 Schwarzer Humor am Beispiel TUCKER AND DALE VS. EVIL ............................................................. 39
5.2 Slasher am Beispiel SCREAM 4 .................................................................................................................... 43
5.3 Splatter und Gore am Beispiel GROTESQUE........................................................................................... 47
5.4 Psychoterror am Beispiel MARTYRS ........................................................................................................ 51
5.5 Exploitation am Beispiel A SERIBAN FILM .............................................................................................. 55
6 Resümee: Der Ernst der Lage ................................................................................................................................ 58
Quellenverzeichnis ............................................................................................................................................................. 60
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................................................................... 64
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1 Einleitung: Das ‚Glasgow Smile‘
„Das strahlende Gesicht, die geglättete Stirn, die blitzenden Augen, der geöffnete Mund mit den
weit aufwärtsgezogenen Mundwinkeln, die prallen Wangen, […] die perlende Salve ungebändig-
ter Laute sind der Widerschein einer strahlenden Welt ohne Schwere“ 1.
Da liegt sie: tot, verstümmelt, ein Lachen in ihr Gesicht geschlitzt. Am15. Januar 1947 findet man
Elizabeth Short, besser bekannt als „die schwarze Dahlie“, furchtbar entstellt am Straßenrand
liegen 2. Ihr Mörder ist bis heute nicht überführt. Mit dem starren ‚Glasgow Smile‘, so wird die
Tortur des aufgeschnittenen Mundes bezeichnet, verewigt der Mörder seinen machtvollen Tri-
umph in die junge Frau. Jäh entreißt er dem Lachen all das, was es eigentlich ist: Körperlichkeit,
Bewegung, Vitalität, Lebendigkeit, Leben selbst. Das stumme Lachen zeugt von morbider Ironie,
wirkt lächerlich, als ob der Killer sein Opfer noch einmal verspotten möchte. Das ‚Glasgow Smile‘
ist eine Karikatur von Lebensfreude. In der schottischen Stadt Glasgow liegt dem Namen nach
der Ursprung der blutigen Verunstaltung des Gesichts. Es soll dort vor allem von rivalisierenden
Drogendealer-Banden praktiziert worden sein 3.
Einige düstere Filme nehmen Bezug auf das ‚Glasgow Smile‘ oder zeigen es in ähnlicher Weise.
KUCHISAKE-ONNA (2007, Kôji Shiraishi), im englischen Filmtitel CARVED - SLIT-MOUTHED WOMAN,
erzählt einen modernen, japanischen Mythos. In der Gestalt eines Geistes, wandelt eine hübsche
Frau umher. Ihr Gesicht ist mit einem Mundschutz verdeckt. Trifft sie auf Menschen, stellt sie die
Frage, ob sie schön sei. Wenn die Geisterfrau den Mundschutz abnimmt, kommt ihre entsetzliche
Fratze zum Vorschein. Können die Leute Fassung bewahren und die Entstellte für hübsch erklä-
ren, bleiben sie verschont. Andernfalls werden sie mit einer Schere getötet. In „THE DARK KNIGHT“
(2008, Christopher Nolan) kämpft Batman gegen den bösartigen Joker, dessen Maskerade ein
1
2
3
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 56
Sinnge. Wikipedia: Elizabeth Short - http://de.wikipedia.org/wiki/Elizabeth_Short (Stand 15.10.2012)
Wikipedia: Glasgow Smile - http://de.wikipedia.org/wiki/Glasgow_Smile (Stand 15.10.2012)
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‚Glasgow Smile‘ nachzeichnet. Die groteske Bemalung verkehrt das Lachen ins Gegenteil: Mit ihm
ist nicht zu spaßen. Jüngst wird in der Mystery-Serie AMERICAN HORROR STORY (2011, Ryan Mur-
phy & Brad Falchuk) der Fall der „schwarzen Dahlie“ neu aufgerollt. In Episode 9 SPOOKY LITTLE
GIRL (2012, John Scott) geistert eine junge Frau mit dem ‚Glasgow Smile‘ herum.
Horror und Lachen scheinen auf den ersten Blick weit voneinander entfernt. Doch bekannter
Weise liegen Freude und Leid - im Fall des Horrorfilms körperlicher Schmerz - nah beieinander.
Wie nah genau, erforscht diese Arbeit.
Im Gegensatz zu Komödien, welche das Lachen häufig auf Optimismus und Situationskomik re-
duzieren, zeigt sich in Horrorfilmen ein wesentlich breiteres Spektrum gehobener Mundwinkel.
Da sind die naiven Partygirls, die wahnwitzigen Hinterwäldler, fauchende Zombies mit geöff-
netem Mund, Opfer die aus Angst lachen, empfindungslose Massenmörder oder die Freude der
Überlebenden.
Diese Arbeit untersucht das Lachen als Ausdruck, sowie seine mannigfaltigen Erscheinungs- und
Deutungsformen. Wieso wird im Horrorfilm gelacht? In welcher Weise integriert sich Komik?
Kann der Zuschauer über Horror lachen? Lacht Horror über uns? Eine Analyse anhand fünf aktuellerer Beispiele aus verschiedenen Metiers des Horrorfilms.
Mittels einer eigenständig entwickelten, fotografischen Versuchsanordnung lässt sich das Vor-
kommen von Lachen und Lächeln in Filmen herausfiltern. ‚Smile Shutter‘ benennt ein spezielles
Kamerafeature, welches Gesichter erkennt und automatisch auslöst, sobald eine Person grinst
oder lacht und so für die Filmanalyse zweckentfremdet eingesetzt werden kann.
Vor der Untersuchung der Filmbeispiele gilt es, das Lachen und den Horrorfilm zu definieren
und in Relation zueinander zu betrachten: Was ist überhaupt Lachen? Welche körperlichen Re-
aktionen ruft es hervor? Wie kann es ausgelöst werden? Welche Funktionen hat das Lachen? -
Was zeichnet den Horrorfilm aus? Wie strukturiert er sich? Warum sieht ein Publikum gerne
Bilder des Schreckens? - Wo liegen die Schnittstellen zwischen Lachen und Horror?
Eines sei vorweg genommen: Wir lachen nicht aus Fröhlichkeit, sondern aus einer Lust heraus,
die sich durch eine ambivalente Spannung aus unvorhersehbaren Mehrdeutigkeiten ergibt. „Zum
Lachen ist es ja nur, weil wir nicht damit fertig werden“ 4.
4
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 99
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2 Das Lachen
2.1 Zähne zeigen
Lachen ist ein Panzer. Im Gelächter legt der geöffnete Mund die Beiß- und Schneidewerkzeuge,
kurz Zähne, frei. Eindringliche Töne schallen durch den Raum und ringen um Aufmerksamkeit.
In aufrechter, gespannter Haltung präsentiert sich der Lachende seiner Umwelt. Konrad Lorenz
sieht das Lachen als „Ritualisierung aus einer Neuorientierung einer Drohbewegung“ 5 - Zähne
zeigen, Zähne fletschen. Die Weiterentwicklung des Lachens liegt darin, dass lachende Menschen
weder aggressive Tätigkeiten ausführen noch vorhaben derartige auszuüben. Nach dem Motto:
Hunde die bellen - laut lachen - beißen nicht. Dabei haben die Auswirkungen des Lachens im
Körper mehr mit einer Drohgebärde gemein, als vermutet. Was sich sozial weiterentwickelt hat,
bleibt aus medizinischer Sicht im Menschen verwurzelt.
Wie sich beim Lachen der Körper verändert, beschreibt ein Artikel von Humorcare - ein gemeinnütziger Verein, dessen Zweck die Förderung von Humor in Therapie, Pflege und Beratung ist:
„Die Nase legt sich in Falten, die Nasenlöcher weiten sich. Der Kopf wird zurückgeworfen, die
Augen werden geschlossen. Der Zygomaticus-Muskel zieht den Mund nach oben und sorgt für
einen glücklichen Ausdruck. Der Augenmuskel wird angespannt und aktiviert im Gehirn positive
Gefühle. Der ‚Lachmuskel‘ spannt 17 Gesichtsmuskeln an, darunter die des Tränensacks, so dass
wir ‚unter Tränen lachen können‘! Der Mund weitet sich, weil die Ein- und Ausatmung (stoßweise) vervielfacht wird. Dabei werden die Stimmbänder in Schwingung versetzt, so dass es die
typischen, stakkatoartigen Lachlaute gibt. Der Brustkorb wird gezerrt (manchmal schmerzhaft).
Der Körper schaukelt hin und her. Das Zwerchfell ‚hüpft‘ und massiert die Eingeweide. Lachen
ist Ausdruck reiner Befreiung, vollkommener Spannungslösung. Im Lachen steigen wir aus jeglicher Selbstkontrolle aus. Wir überlassen uns ganz der ‚Weisheit des Körpers‘“ 6.
Gelotologen beschäftigen sich in medizinisch-wissenschaftlicher Weise mit dem Lachen. Erika
Kunz ist eine von ihnen. Auf ihrer Webseite veröffentlich sie eine Liste von Auswirkungen des
Lachens auf Körper und Geist. Ein Auszug: „Das Lachen verändert die Einstellung gegenüber
dem Schmerz. Es lenkt die Aufmerksamkeit ab. Der Spiegel der Stresshormone Adrenalin und
Kortisol werden deutlich abgesenkt. Lachen veranlasst die Bildung von Katecholaminen im Gehirn. Das sind anregende Hormone, die den Organismus darauf vorbereiten, auf Aggressionen zu
reagieren. Diese Katecholamine erhöhen die Produktion von Endorphinen (körpereigenes
Morphium, ‚Glückshormon‘), die auf den Schmerz einwirken. […] Lachen wirkt auf das neuro-
vegetative System. Der Parasympatikus verlangsamt den Herzrhythmus, bringt den Blutdruck
5
6
Lorenz, Konrad: Das sogenannte Böse - Zur Naturgeschichte der Aggression (2007), S. 256
Dr. Titze, Michael: Humorcare: Fragen und Antworten - http://www.humorcare.com/informationen/faq (Stand 15.10.2012)
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zum Sinken, reguliert die Atmung und die Verdauung. […] Das Lachen ist ein äußert wirkungs-
volles Mittel gegen den Stress. Es stellt das Gleichgewicht zwischen dem sympathischen und
dem parasympathischen System wieder her. […] Lachen reinigt und befreit die oberen Luftwege.
[…] Die Produktion vieler Arten von T-Zellen, d.h. bestimmter Lymphozyten, die den Körper
gegen viele Krankheitserreger schützen, haben deutlich durch das Lachen zugenommen. […] Das
Lachen vermindert die Muskelspannung. […] Die Schmerzempfindlichkeitschwelle wird deutlich
erhöht, besonders der psychosomatischen Leiden. z. B. migräneartige Kopfschmerzen, Verspannung der Skelettmuskulatur. […] Es wurde im Speichel von Versuchspersonen festgestellt, dass
eine deutliche Vermehrung von Immunoglobolin nachgewiesen werden konnte. […] Gamma-
globolin ist ein für die Immunreaktion des Körpers wichtiger Eiweißkörper im menschlichen
Blut. […] Lachen befreit die Lebenskraft. Es ist ein Weg aus der Scham zum Urvertrauen.
Richtiges Lachen hat den gleichen Entspannungseffekt wie das Autogene Training oder ein umfassendes Biofeedback Training“7.
Kurz: Lachen beruhigt, entspannt, stärkt das Immunsystem, mildert das Schmerzempfinden und
stellt zugleich den Körper auf Angriff ein. Eine ideale Basis für die Rezeption von Horrorfilmen.
7
Kunz, Erika: Gelotologie - http://www.erikakunz.de/Gelotologie.86.0.html (Stand 15.10.2012)
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2.2 Lachen als Ausdrucksbewegung
Lachen ist eine „ererbte menschliche Ausdrucksbewegung, der eine gehobene Stimmlage zu
Grunde liegt“ 8. Den Ausdruck, eben die „Offenbarung des Wesen des Menschen“ 9, übernimmt im
Fall des Lachens ein körperlicher Automatismus, auf den der Lachende keinen Einfluss hat. Ohne
symbolische, meinende Bedeutung platzt das Lachen wie ein Vulkanausbruch heraus: Es hat
mit bedeutungsgeladener Sprache, Gestik und Mimik nichts gemein.
In einer Sprache verketten sich artikulierte Laute als Zeichen für Bedeutungen und Ideen. Auf
einem historisch und gesellschaftlich individuell normierten Boden wird die Sprache zum Me-
dium der Kommunikation über einen gemeinten Sachverhalt. Bei der Gebärdensprache verhält
es sich ähnlich, nur wird das Instrument der Stimme mit dem des Körpers vertauscht. Der
Körper redet, indem er Symbole, Zeichen und Ideen repräsentiert. Sowohl Sprache als auch
Gebärdensprache zählen durch ihren Symbol bildenden Charakter als Stellvertreter - Worte sind
austauschbar. Das Lachen hingegen besteht universell, also weltweit und zu allen Zeiten, tritt
zwangsmäßig ein und läuft unbeeinflussbar ab, zeichnet sich durch seine rein expressive Re-
aktion aus und ist eindeutig, demnach nicht durch Worte vertretbar 10. Der Ausdruck des
Lachens gestaltet sich unmittelbar, unwillkürlich, ohne meinenden Charakter. Es fehlt an
Intention. So gilt Lachen als „primitive Ausdrucksform“ 11.
Gestik und Mimik sind Möglichkeiten zur nonverbalen Verständigung. Während der Mensch
durch eine Geste etwas ausdrückt, soll die Mimik eine Erregung im Menschen wiederspiegeln,
beziehungsweise den Zustand eines Anderen imitieren. Beides sind durch den Verstand beeinflusste Kommunikationsformen, die Vorstellungen erzeugen. Auch hier grenzt sich das Lachen
durch seine Unvertretbarkeit, Unwillkürlichkeit und Unmittelbarkeit ab.
Dennoch unterscheidet sich das Lachen von den „archaischen Reaktionen“ 12, wie Schrei, Schreck
oder Schock. Bei diesen Reaktionen löst ein sinnlicher Reiz - meist von außen - automatisch
einen körperlichen Reflex aus. Ein wohl bekanntes Beispiel ist der Griff auf die Herdplatte. Das
Lachen benötigt allerdings immer einen Anlass. Dieser generiert sich aus dem Verstand heraus,
ist ein Produkt innerer, geistiger Arbeit. So gilt das Lachen als Privileg des Menschen, dessen ein
Tier nicht in der Lage sein wird. Ein höchst menschlicher, geistiger Anlass führt zu einem
animalischen, körperlichen Reflex: Das Lachen als Ausdrucksbewegung - Die Bewegung durch
reine Körperlichkeit als Reaktion auf den Verstand, den Ausdruck. Dies ist die spannende Gegensätzlichkeit, welche das Lachen strukturiert.
8
9
Brockhaus Enzyklopädie: Lachen (1997), Band 12, S. 710
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 21
10
Vgl. ebd., S. 59
12
Ebd., S. 29
11
Ebd., S. 29
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2.3 Lachen in Grenzlagen
Lachen ist eine Antwort. In der Normalität kann sich der Mensch in seinem Dasein orientieren.
Auf der Suche nach Grund und Zweck ist er ein sorgendes, besorgtes, planendes und fragendes
Wesen. Von ihm wird Gliederbarkeit, Stabilität und Beweglichkeit, Eindeutigkeit und Elastizität,
Ordnung und Bildsamkeit, Geschlossenheit und Offenheit erwartet 13. Kommt er in eine unbeantwortbare Lage, verliert der Mensch die Orientierung, sieht keinen Grund mehr, keinen Zweck,
versteht die Situation nicht. In dieser unerträglichen Position, vollgestopft mit Mehrdeutig-
keiten, sucht er Abstand. Das Lachen kann ihn aus dieser Lage befreien und zur Lösung werden.
Es durchbricht und übermannt die geplante Handlung.
Lachen beantwortet Widersinniges, das Unbeantwortbare in seiner Mehrdeutigkeit. Es ist der
Sinn im Unsinn. Die Reaktion Lachen vereint Selbstbehauptung und Selbstpreisgabe: Durch den
Verzicht auf die Herrschaft über die Einheit von Körper und Geist, also die freiwillige Kapitu-
lation über die leibseelisch-geistige Einheit, behauptet sich der Mensch als Person 14. Lachen
separiert den Körper vom Geist mittels Verlust der Selbstbeherrschung und sorgt so für den
nötigen Abstand in undurchschaubaren Lagen. Immanuel Kant vertritt die These: „Das Lachen
ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ 15. Hel-
muth Plessner geht noch einen Schritt weiter: Als „sinnvolle Fehlreaktion mit Hilfe eines Bruchs
zwischen Mensch und Körper“ 16 stellt das Lachen einen physischen Automatismus an die Stelle
der eigentlich von Personen ausgehender Antworten. Lachen verwandelt die gespannte Erwartung nicht in nichts, sondern generiert Abstand zu dieser, entschärft sie.
Plessner bezeichnet das Lachen als „Katastrophenreaktionen an Grenzen des menschlichen Ver-
haltens“ 17. Damit das Lachen greifen kann, müssen die Grenzlagen zwei Bedingungen erfüllen:
Zum einen dürfen sie nicht beantwortbar sein, müssen also ambivalent oder mehrdeutig erscheinen, zum anderen dürfen sie das eigene Leben nicht bedrohen, eben einen gewissen Grad
der Unernsthaftigkeit einschließen. Die Lagen liefern den Anlass zum Lachen, überfallen, zwingen uns und sind gefühlsmäßig, sowie intellektuell beeinflusst. Lachen selbst blendet Emotion
und Verstand aus. Der Körper übernimmt die Antwort, nicht als Instrument von Handlung,
Sprache, Geste oder Gebärde sondern als Körper selbst. Wir verfallen ins Lachen - ein Loslassen
und Überlassen an einen körperlichen Automatismus. Es ist zwar die Kapitulation der Leib-
Seele-Einheit, aber keine Kapitulation als Person: Wir verlieren nicht den Kopf. Das Verhältnis
von Mensch und Körper wird preisgegeben, um wiederhergestellt zu werden. Hier zeigt sich die
Souveränität des Lachens. „Die effektive Unmöglichkeit, einen entsprechenden Ausdruck und
13
14
15
16
17
Vgl. Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 150f.
Sinnge. ebd., S. 153
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft (2006), S. 229
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 184
Ebd., S. 184
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eine passende Antwort zu finden, ist zugleich der entsprechende Ausdruck, die einzig passende
Antwort“ 18. Lachen platziert den Menschen außerhalb seines Selbst, um durch Abstand
Reflexion zu ermöglichen, oder sich zumindest neu zu sammeln. Die Desorientierung wird im
Unernst überwunden. So hilft das Lachen mit Grenzlagen fertig zu werden: entweder erfolgreich
oder erfolglos. Selbst bei Erfolglosigkeit sind wir immerhin fähig die Lage zu akzeptieren.
Ist nun aber eine Situation unbeantwortbar und lebensbedrohlich, gerät der Mensch in Ohnmacht 19. Weder Verstand noch Körper können greifen. Somit ist auch kein Lachen möglich. Der
Mensch verliert den Kopf, kapituliert als Person und kann mit der Lage nicht fertig werden.
Derart überwältigt bleiben ihm nur zwei Optionen: Flucht oder Aufgeben.
Lachen verschafft Abstand und Zeit. Es führt zu ordnendem Selbst-Bewusstsein in unbeantwortbaren, nicht lebensbedrohlichen Grenzlagen.
18
19
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 74
Sinnge. ebd., S. 122
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2.4 Freudvolles Lachen ohne Empathie
Lachen ist herzlich, kalt und intellektuell 20. Aus den mehrdeutigen Situationen, in denen das
Lachen schützend greift, ergibt sich eine Spannung, die von Lust getrieben ist. Fern von Bedroh-
ung, kann aus dieser Lust, Heiterkeit und Freude erwachsen, was das Lachen herzlich macht. Wir
lachen nicht aus Fröhlichkeit, sondern Lachen löst sie aus. Zeitgleich unterstützen die Prozesse
im Körper den lust- und freudvollen Charakter durch Entspannung, Stressabbau und Hormonausschüttung.
Die Käte des Lachens ergibt sich aus dem Abstand, den es erzeugt. Lachen überführt in eine
gegenständliche Distanz auf der Basis eines „unbewegten, glatten, seelischen Bodens“ 21. Aus
objektiver Entfernung wird die Emotion zum Feind. Lachen unterliegt Empathielosigkeit. Es
verdrängt und unterdrückt persönliche Gefühle zeitweise - „Gleichgültigkeit ist sein natürliches
Element“ 22. Die objektive Betrachtungsweise auf Dinge, welche das Lachen ermöglicht, lässt sich
mit der Idee der Zuschauerhaltung von Brechts Epischem Theater vergleichen.
Tragödien leben von Empathie und Identifikation. Pellt man Gefühl und persönliche Haltung von
der Tragik ab, kommt ein Grund zum Lachen ans Licht: die Komik. Als vom Verstand ausgeh-
ender Anlass, wenden sich Komisches und Lächerliches, die Beweggründe zum Lachen, an den
reinen Intellekt. Vieldeutige Lagen markieren demnach einen „intellektuellen Kontrast“ 23.
Wohlwollend emotionslos erlaubt das Lachen eine objektive Sicht.
20
Sinnge. Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 77
22
Ebd. 14
21
23
Bergson, Henri: Das Lachen - Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1988), S. 14
Ebd. 16
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2.5 Lachen über Starres
Lachen ist die Beobachtung des Unnormalen. Körper und Geist stehen im Wechselspiel von
Gespanntheit und Elastizität. Beiden wird Anpassungsvermögen abverlangt, mit dem Ziel eine
ausgewogene Balance zu finden. Die Liste der Ansprüche ist lang: Individualität, Würde, Unver-
tretbarkeit, Beherrschtheit, Elastizität, Ebenmaß und Angleichung werden von einem normalen
Menschen gefordert. Nicht alle Erwartungen lassen sich immer erfüllen. Fehler und Abirrungen
treten auf. Im kleinen Rahmen können dies verbale Versprecher oder ungeschicktes Stolpern
sein. In ausgeprägter Weise führen sie entweder zu geistigen und körperlichen Verrücktheiten,
wie Laster, Gebrechen, Krankheit und Wahnsinn, oder zu sozialer Unangepasstheit, im schlimm-
sten Fall Verbrechen. Egal in welchem Maße, es handelt sich stets um Abweichungen von der
Norm.
Unangepasstheit heißt unbeweglich sein. Die fehlende Elastizität lässt sich somit als Starrheit
begreifen. Versteifungen können sich in verschiedensten Formen äußern: Zerstreutheit, Ver-
wechslung, Nachahmung, Ähnlichkeit, Verkleidung, Wiederholung, Übertreibung, Unterspielen,
sowie körperliche oder seelische Eigenarten und Gewohnheiten 24. Parasitär sitzen sie einer
Person auf. Wie fremdbestimmt übernimmt das Fehlverhalten die Kontrolle und wird zum
Alleinstellungsmerkmal, als „Form, die über Inhalt triumphieren will“25. Gefangen in lähmender
Starrheit liefert sich der Mensch den Regeln seines Fehlers, seines Missverhaltens unfreiwillig
aus. Er wird zum Typen, dem Typus, eine Maschinerie, eine Maschine, zum Objekt - in einem
Moment reduziert auf seine Normabweichung. Sein Verhalten scheint uns unangemessen und
überrascht. Die „mechanisch wirkende Steifheit in einem Augenblick […]“ reizt zum Lachen „[…]
da man von einem Menschen wache Beweglichkeit und lebendige Anpassungsfähigkeit er-
wartet“ 26. Starrheit bricht so die Annahmen des Beobachters. Sie erzeugt in ihm ein Feld von
Optionen, die vorher nicht berücksichtigt wurden. Jemand fällt. Aber er hätte doch auch laufen
können. Warum fällt er denn dann? Abnorme Versteifungen bringen den Beobachter in unbeant-
wortbare, mehrdeutige Lagen, die zumeist auch nicht lebensbedrohlich sind. Hier kann Lachen
greifen.
Starrheit bezeichnet von der Norm abweichende Verhaltensweisen oder Eigenschaften. Indem
sie unerwartet vieldeutige Situationen schafft, wirkt Steifheit lächerlich, also zum Lachen.
24
Vgl. Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 96
26
Ebd., S. 17
25
Bergson, Henri: Das Lachen - Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1988), S. 42
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2.6 Gemeinschaftliches Lachen als soziales Korrektiv
Lachen ist akustischer Schall. Physikalisch gesehen erzeugt das Lachen laute, rhythmische Töne,
welche gehört werden wollen. Diese haben Verwandtschaft mit den hallenden Signallauten des
Überrascht- und Erschrecktseins. Lachen ist die „Ausatmung in die Welt“ 27. Mit dem Loslösen
von Körper und Geist generiert das lustvolle Lachen einen Zustand der Offenheit und Unfixiertheit. In diesem abgehobenen, enthobenen, zur Welt geöffneten Stadium sucht der Lachende eine
Verbindung zu anderen: Er sucht Mitlachende.
„Schon das Geräusch lachender Menschen veranlasst das Gehirn, die Gesichtsmuskeln automa-
tisch aufs Mitlachen vorzubereiten“ 28. Die volle Entfaltung des Lachens geschieht innerhalb einer
Gemeinschaft. „Lachen ist ansteckend, weil es ein Reflex ist, der eine Bezugsgruppe miteinander
verbindet" 29. Je mehr mitlachen, desto objektiver und distanzierter kann eine Gruppe über einen
Anlass lachen, denn viele beobachten das gleiche Geschehen von außen. „Lachen braucht ein
Echo“ 30. Es bildet einen Umkreis, einen Radius, einen geschlossenen Kreis, der nicht unendlich
ist. Gerade der Kinosaal bietet eine ideale Umgebung für eine lachende Menge: Dunkelheit, Ge-
schlossenheit, Anonymität frei von Empathie und natürlich auch das Filmerlebnis, welches den
gemeinsamen Anlass schafft. Unbeobachtet schamfrei kann sich der Zuschauer seinen automatischen Körperäußerungen, wie Lachen oder Schrecken, hingeben.
Das Auslachen kann sich ebenfalls am Besten in einer Gemeinschaft entfalten. Im Fokus der
Aufmerksamkeit einer Gruppe steht ein Einzelner - egal ob reale Person oder ein Charakter im
Film -, der sich gegen das Leben in der Gemeinschaft sträubt. „Alles Steife ist der Gesellschaft
verdächtig“ 31. Das Lachen soll ihn zurückholen, mahnen, wirkt dabei demütigend und ent-
waffnend. Es wird zur sozialen Korrektur eines Fehlverhaltens. Der gemeinsame Anlass zum
Lachen verschafft ein Gefühl brüderlicher Zusammengehörigkeit und erzeugt eine „aggressive
Spitze gegen Außenstehende“ 32. Über die mahnende Wirkung kommt das Lachen jedoch nicht
hinaus, es fehlt dem akustischen Hinweis an symbolischer Bedeutung. Die geschlossene Gruppe
lässt den Ausgelachten im Regen stehen, während dieser den Anlass der Belustigung nur ahnen
kann. Es findet keine Reflexion statt. Lachen ist nicht gleich gerecht.
27
28
29
30
31
32
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 125
Keuter, Sabine: Warum Lachen ansteckend ist - http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/272833.html
Titze, Michael: Warum ist Lachen ansteckend? - http://www.swr.de/odysso/-/id=1046894/nid=1046894/did=2258278/4ei5k6
Bergson, Henri: Das Lachen - Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1988), S. 15
Ebd., S. 92
Lorenz, Konrad: Das sogenannte Böse - Zur Naturgeschichte der Aggression (2007), S. 256
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2.7 Anlässe des Lachens
2.7.1 Kitzel
Die einfachste Art ein Lachen zu entlocken, geschieht durch den Kitzel. Als haptischer, ober-
flächlicher Reiz sorgt er für sinnliche Irritiertheit. Die schroffen Berührungen durch fremde
Hände sind überraschend, unerwartet und unvorhersehbar. Der Reiz selbst äußert sich in angenehmer und unangenehmer Stimmung zugleich - eine Ambivalenz, welche den Gekitzelten in
einen gefesselten, im eigenen Körper gefangenen Zustand versetzt, aus dem er nicht fliehen
kann. Hin- und hergerissen von Schmerz und Erregung baut sich ein explosiver Bewegungsdrang auf. Im Höhepunkt der angenehm lästigen Reizüberflutung reagiert der Körper mit
Lachen. Auch wenn seine Erscheinungsform identisch ist, stellt dies kein echtes Lachen dar, weil
der Anlass durch äußerliche Einflüsse und nicht durch innere Beweggründe generiert wird.
Helmuth Plessner legt für diese Reaktion den Begriff „Kicherns“ 33 fest - ein jubilatorischer
Reflex. Das Kichern durchbricht die sinnliche Irritiertheit, das Gefangensein im eigenen Körper
und ermöglicht durch Bewegungen die Entdeckung des eigenen Leibes. Es überlagert, verdrängt
den ursprünglichen Reiz und nimmt so den Schmerz, die Schwere, den Ernst aus der Situation.
Der Nervenkitzel im Film lässt sich identisch betrachten. Der haptische Reiz wird durch einen
akustischen oder visuellen ersetzt. Wichtig bleibt, dass dieser überraschend, unerwartet und
unvorhersehbar eintritt und eine ambivalente Stimmung kreiert. So können unter genannten
Umständen auch spannungeladene Bilder, Schnitte oder Töne im Film zum Kichern reizen.
2.7.2 Spiel
Komplexe Spiele, wie Brettspiele, Simulationen oder Computerspiele, erfordern Leistung, Ge-
schicklichkeit und Aufmerksamkeit. Sie bleiben in dieser Betrachtung unberücksichtigt. An
Helmuth Plessner anknüpfend, sind es vor allem die einfachen Spiele, die Um- und Mitweltbeziehungen, wie Schaukel, Wippe, Rundlauf, Ball- oder Balancespiele, die ein natürliches Lachen
hervorrufen 34. Die Losgelassenheit im Herumtollen ist Quelle von Freude, Lust und Jubel.
Die innere Motivation im einfachen Spiel ist die reflexive Betrachtung des eigenen Körpers - ein
reger Wechsel von bewusster Kontrolle und erwünschtem Verlust derselben. Zwischen Willkür
und Gebundenheit steht ambivalent: „Spielen mit etwas, das auch mit dem Spielenden spielt“ 35.
33
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 84
35
Ebd., S. 85
34
Vgl. ebd., S. 85
Seite -14 -
In diesem labilen Schwebezustand ergibt sich eine Spielsphäre, welche sich von der Wirklichkeit
abgrenzt. Sie tut als ob sie echt wäre, hält den Spielenden in sich, wie in einer Blase, blockt die
Realität von ihm ab, lässt diese aber gleichsam durchblitzen. „Zwischen Wirklichkeit und Schein,
zwischen Binden und Gebundensein reagiert der Mensch mit Lachen“ 36. Die Lust am Mehrdeutigen und die Unfähigkeit zur Verarbeitung der Ambivalenzen provozieren den Spielenden zu
Gelächter.
In der Jonglage besteht die Regel, Bälle über einen hohen Bogen von einer in die andere Hand zu
befördern. Diese dürfen den Boden nicht berühren. Um einen flüssigen, schnellen Ablauf des
Spiels zu garantieren, muss der Spieler seiner Auge-Hand-Koordination trauen, sich der raschen
Bewegung ergeben, der sein Verstand gar nicht folgen kann und soll. Automatismen des Körpers
übernehmen das Spiel, lassen den Ball von Hand zu Hand fliegen. Der Spieler selbst hat keinen
bewussten Einfluss auf den Ablauf. Er akzeptiert die Realität des Spiels im lustvollen Erstaunen.
Spielen ist „sich-halten“37. Kehrt der Spieler in die Realität zurück und macht sich den Spielpro-
zess bewusst, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er die Kontrolle über die Bälle verliert.
Simples Spielen heißt kurzzeitiges Lösen von Zeit und Raum und Realität mittels Körperbewe-
gung, Körperempfinden. Der Effekt spiegelt sich in Lachen, Freude, Erleichterung, Druckabbau
und Bewegungsdrang - kurz positiver Aktivität.
2.7.3 Komik
Komik ist ein intellektuelles Produkt des Verstands, demnach ein menschliches. Sie existiert
nie außerhalb. So können Tiere oder Landschaft nur komisch sein, wenn wir einen menschlichen
Ausdruck darin sehen. Parkanlagen als Touristenfallen wirken wie in ein menschliches Kleid ge-
zwängt und dadurch lächerlich. Zudem lachen wir nicht über ein Objekt, sondern einen menschlichen Einfall, etwa einen unförmigen Hut zum Beispiel - über die Verletzung einer Norm. Dabei
ist der Empfänger die Richtlinie, vor dem Schiefes schief erscheint. Komisches unterliegt geis-
tigen Mehrdeutigkeiten in „spürbarer Absurdität“ 38. Es ruft zu einem lockeren, unernsten und
ungezwungenen Gedankenspiel auf, in welchem wir Entspannung finden. Deswegen begegnen
wir dem Komischen mit Wohlwollen und Neugierde, verspüren Lust. Sie erzeugt Heiterkeit und
„akzeptiert gesellschaftliches Leben als natürliches Milieu“ 39. Zweck der Komik ist es, das „mechanische Gefüge menschlicher Handlungen vor Augen zu führen“ 40.
36
37
38
39
40
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 87
Ebd., S. 87
Bergson, Henri: Das Lachen - Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1988), S. 16
Ebd., S. 110
Ebd., S. 32
Seite -15 -
„Komisch ist jedes Geschehnis, das unsere Aufmerksamkeit auf das Äußere einer Person lenkt,
während es sich um das Innere handelt“ 41. In der Komik betrachten wir den Menschen nicht als
Mensch, sondern konzentrieren uns auf das starre Element, welches ihm anhaftet, lösen und
isolieren es von seiner Person. Wir lachen nicht über Menschen, sondern über die Steifheit, die
sie verkörpern. „Komisch sind die Handlungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen
Körpers genau in dem Maß, wie uns dieser Körper an einen [...] Mechanismus erinnert“ 42.
Generell lässt sich zwischen Situations-, Wort- und Charakterkomik unterscheiden. Komische
Situationen sind Momente, die eine „Illusion vom wirklichen Leben und zugleich den deutlichen
Eindruck mechanischer Einwirkung vermitteln“. Sie vergegenwärtigen etwas Verkrampftes. Aus
diesem Grund lachen wir. Henri Bergson vergleicht die mechanische Starrheit in der Situationskomik mit Spielutensilien: Springteufel, Hampelmann und Schneeball. Der Springteufel steht für
Unterdrückung und Ausbruch, Anspannung und Entspannung in einem sich wiederholenden
Prozess: „Ein zurückgedrängtes Gefühl schnellt wie eine Feder vor, und ein Gedanke macht sich
einen Spaß daraus, das Gefühl wieder zurück zu drängen“ 43. Unsicherheit ist hier das starre
Element, welches wir belächeln. Der Hampelmann steht für eine Marionette, die fremdbestimmt
ist. Im Spiel der Fäden wird die Freiheit beschränkt. Aus der Begrenzung erwächst die Steifheit.
Der Schneeball beschreibt, dass eine „Wirkung um sich greift, indem sie sich ständig fortsetzt“ 44.
Eine bedeutungslose Ursache wird plötzlich gewichtig und führt zu unerwarteten, unaufhalt-
samen Ereignissen. Komisch sind große Umwege und Anstrengungen, die zum Anfangspunkt
zurückführen. In der Situationskomik stellen starre Mechanismen die „Abirrung vom Leben“45
dar: Wir lachen über Schusseligkeit, Fehler und Scheitern. Schadenfreude ist immer noch die
beste Freude. Besonders Verwechslungen, Irrtümer, Unschlüssigkeiten, Umkehrungen und Wiederholungen reizen in der Situationskomik zum Lachen.
Wortkomik ergibt sich aus Satzbau und Wortwahl. Sie „unterstreicht die Zerstreutheit der
Sprache selbst“ 46. In einen Kulturkreis eingebettet, ist Wortkomik schwer übersetzbar, sowie
abhängig von Sitten, Assoziationen und Substanz. Wie bei der Komik im Allgemeinen werden
Wörter und Sätze aus dem Gesamtzusammenhang herausgeschält und unabhängig von empa-
thischem Einfluss betrachtet. Sprachliche Wortkomik assoziiert im geistigen Spiel angedeutete
und mögliche Handlungen. Sie entfaltet sich in zwei Richtungen. Zum einen ruft das „Sagen, was
man nicht sagen wollte“ 47 lächerliche Zerstreutheit hervor. Die Steifheit liegt im festgefahrenen
Ausdrucksstil, der Tonart oder dem Unvermögen das richtige Wort zu finden. Zum anderen
41
Bergson, Henri: Das Lachen - Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1988), S. 40
43
Ebd., S. 54
42
44
45
46
47
Ebd., S. 28
Ebd., S. 58
Ebd., S. 62
Ebd., S. 71
Ebd., S. 76
Seite -16 -
entsteht Wortkomik durch Mehrdeutigkeit. Ein übertragender Sinn lässt im Kopf abstrakte Be-
ziehungen entstehen, die absurde Welten auftun und daher zum Lachen animieren. Mittel die in
der Wortkomik verwendet werden sind Umkehrung, Doppeldeutigkeit, Überschneidung von
Ideen, Tonalität, Ironie, sowie Unter- und Übertreibung - eben alles, was von normalem Sprach-
gebrauch abweicht.
Charakterkomik spiegelt die Unfähigkeit zur gesellschaftlichen Anpassung wider. Komik wen-
det sich an den Intellekt, nicht das Gemüt. „Es darf mich nicht bewegen“ 48. Wir lachen nur, wenn
Komisches einem Charakter aufgesetzt erscheint. Das komische Element wird losgelöst von der
Person betrachtet, denn persönliche Gefühle gegenüber dem Belächelten bleiben außen vor. Die
„Komik lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Gesten anstatt Taten“ 49. So nehmen wir komische
Gesten als isolierten Teil einer Person wahr, welche gewissermaßen ein Eigenleben entwickeln.
Besonders komisch wirken Handlungen und Charakterzüge, die unbewusst und automatisch ab-
laufen, auf welche der Belächelte keinen Einfluss nehmen kann. Das plötzliche und unerwartete
Eintreten komischer Handlungen, lässt den übrigen Charakter vergessen. Da die Komik Heiterkeit hervorbringt, begegnen wir einem komischen Charakter mit Wohlwollen und Sympathie.
2.7.4 Witz
Der Witz ist eine Sonderform der Wortkomik und zeichnet sich durch Pointiertheit aus. Seine
formale Struktur wird durch Doppeldeutigkeiten, Gegensinnigkeiten, Anspielungen, Proportion,
Verdichtung, Verschiebung, Unifizierung, Satzstellung, Artikulation, Klangbild und den Sprechakt selbst speziell 50. Unfreiwillig komisch kommen Dialekt, Stottern oder die Verwechslung von
Fach- und Fremdwörtern daher. Sprache direkt erscheint als Exot. Wortwitz entreißt inhaltliche
Zusammenhänge und Bedeutungen dem eigentlich gemeinten Sinn - die Freude am irregeleitet
werden. Dies geschieht mittels Aufspaltung von Wörtern oder Wortneuschöpfungen. ‚Welcher
Ring ist rund? Der Hering‘ 51. Hier findet sich eine Verknüpfung vielsagender Bedeutungen in ein
nichtssagendes Klangbild vor.
Der Witz nutzt Spannung, Kürze und Überraschung 52. Während Komik dem Sofortigen, Plötz-
lichen ausgeliefert ist, arbeitet der Witz auf einen Höhepunkt zu. Die Spannung wird auf die
Spitze getrieben, die Pointe. Der Witz erhält seine Stoßkraft aus Verdecktheit und späterer Ent-
hüllung eines anderen Sinns. Schon mit der Andeutung eines Witzes stellt der Körper sich auf
48
49
50
51
52
Bergson, Henri: Das Lachen - Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1988), S. 92
Ebd., S. 94
Vgl. Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 113
Sinnge. ebd., S. 102
Sinnge. ebd., S. 106
Seite -17 -
diesen ein. Es gedeiht eine von Lust getriebene, spannungsgeladene Erwartung. Die Pointe er-
füllt diese Erwartung, die Spannung wird durchbrochen und fließt im Lachen ab. Schlechte Witze
oder Schüttelreime können der Erwartung nicht gerecht werden. Der Zuhörer bleibt stumm.
2.7.5 Verlegenheit und Verzweiflung
Verlegenheit liegt im Unvermögen mit einer Lage fertig zu werden. Unsicherheit steigert das Be-
drängnis. Man fühlt sich durchschaut, erkannt. Die Hilflosigkeit kippt in Steifheit. Selbstreflexiv
wird das eigene starre Unvermögen zum komischen Anlass. Mit dem Lachen soll die Aus-
weglosigkeit überwunden werden. Es dient zur Weltflucht, zur Verdrängung. Durch das Fehlen
des „eindeutig-befreienden, erleichternd-erheiternden Bezuges“ 53 unter Unlust wirkt das Lachen
gepresst und deplatziert und kommt mit Erröten und Schweißausbruch daher. In der Verlegenheit ist die Situation zwar unbeantwortbar, aber bedroht das Leben nicht. Somit gibt es noch
Spielraum für Reaktionen und Äußerungen.
Bei der Verzweiflung sieht es anders aus: Die Lage gilt als unbeantwortbar und bedrohlich. Die
Möglichkeiten zum Reagieren sind stark eingeschränkt. Nur wenn das Stadium des Schwindels
und der Ohnmacht noch nicht erreicht ist, und man aus der Spannung der Situation die nötige
Kraft für das Lachen schöpfen kann, hat man noch nicht ganz aufgegeben, den Kopf noch nicht
verloren 54. Ein gequältes Lachen unter Tränen ist zwar echt, aber fehl am Platz. Zwar kann auch
hier das Lachen Abstand generieren, jedoch wird die Lage im Scheitern der Person enden, weil
die Desorientierung für eine Problemlösung zu groß ist - eine Flucht ins Leere.
Lachen und Weinen sind Antagonisten, beides Ausdrucksbewegungen. Ein Fehlgreifen ist somit
nicht ausgeschlossen. Weinen kann zu Lachen werden und Lachen zu Weinen. Sie teilen den
Charakter der „Reaktion auf eine Krise menschlichen Verhaltens“ 55, als Reaktion auf Grenzlagen.
Während Lachen auf die Begrenzung durch Mehrsinnigkeit antwortet, reagiert Weinen auf die
Begrenzung durch Verweisungslosigkeit, Bezugslosigkeit. Welche Reaktion der Mensch ausführt,
hängt nicht von der Situation ab, sondern von ihm selbst - seiner gesundheitlichen und körper-
lichen Konstitution, seiner Gefühlslage, seinen Gedanken und Assoziationen. Die Situation ist nur
möglicher Auslöser. So kann es schon einmal passieren, dass jemand auf einer Trauerfeier ins
Lachen ausbricht, obwohl er eigentlich weinen möchte. Kippt ein Weinen in Lachen, entspricht
dies - je nach Gewicht der Lage - einem Lachen aus Verlegenheit oder Verzweiflung.
53
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Lachen und Weinen (1970), S. 118
55
Ebd., S. 165
54
Vgl. ebd., S. 121
Seite -18 -
2.7.6 Geisteskrankheit
Ein krankhaftes, gestörtes Lachen kann symptomatisch in Neurosen, Psychosen und Hirner-
krankungen auftreten. „Dies ist insbesondere bei bestimmten neurologischen Erkrankungen der
Fall, nämlich bei der Pseudobulbärparalyse (beidseitige Schädigung im Hirnstammbereich), der
Muskelatrophie und der multiplen Sklerose“ 56. Wahnsinniges Lachen transportiert nur
ungewoll-ten Ausdruckssinn, denn es lässt sich kein, durch den Verstand generierter, Anlass
lokalisieren. Im gestörten Lachen ist die Krankheit selbst der Auslöser. So darf das Lachen aus
Krankheit heraus nicht als echtes Lachen verstanden werden, weil Denkprozesse bei der Bildung
der Moti-vation zum Lachen unbeteiligt sind.
Glaubwürdiges Lachen braucht einen nachvollziehbaren Anlass, wird ansonsten als unwirklich
enttarnt. Krankhaftem Lachen begegnen wir mit Mitleid 57. Aus dieser empathischen Lage kann
kein komischer Moment werden. Anteilnahme und Nähe verbieten uns über krankhaftes oder
gestörtes Verhalten zu lachen. Gleiches gilt nicht für Ticks und Marotten. Diese fallen ins Gebiet
der Charakterkomik.
56
57
Dr. Titze, Michael: Humorcare: Fragen und Antworten - http://www.humorcare.com/informationen/faq (Stand 15.10.2012)
Vgl. Bergson, Henri: Das Lachen - Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1988), S. 118
Seite -19 -
2.8 Bösartiges Lachen
In dem kontroversen Film THE HUMAN CENTIPEDE II - FULL SEQUENCE (2011, Tom Six) trifft der Zu-
schauer auf den sadistischen Bösewicht Martin. Mit einem Lachen, das zwischen geisteskrank,
boshaft und beklemmend changiert, näht er 12 Personen Mund an Anus zu einem menschlichen
Tausendfüßler zusammen.
Hämisches Gelächter wirkt bedrohlich, irritierend und abweisend. Seine viel zu laute, gepresste,
dröhnende Ausdrucksform scheint dem krankhaften, verrückten Lachen ähnlich, entsteht aber
aus völlig differentem Grund. Bösartiges, verachtendes Lachen wirkt unecht. Es ist falsch. Es ist
Schauspiel. Das gehässige Lachen unterliegt weder körperlichen Automatismen, noch geistigen
Defekten. Es wird vom Verstand bewusst gesteuert und ausgeübt, was dazu führt, dass es nicht
als wirkliches Lachen zu definieren ist und seine akustische Form eine absichtlich übersteigerte
Imitation echten Lachens darstellt.
Der bedrohliche, aggressive Charakter bösartigen Lachens erwächst aus enormer Lautstärke
und verstellt gesenkter Stimmlage, welche das provozierte Lachen wie eine alarmierende Sirene
durch den Raum peitschen lässt. Reaktionen darauf sind Schreck und Schock, nicht Mitlachen.
Künstliches, diabolisches Lachen dient dazu, der Dominanz des Lachenden besonderen Aus-
druck zu verleihen. Es ist ein Zeichen des Triumphs. Dabei nutzt der hämisch Lachende den Umstand aus, dass Lachen in eine distanzierte, enthobene, erhabene Position versetzt. Er steht über
den Dingen. Der Verhöhnte wird degradiert. Hier greift die ‚Gelotophobie‘ - die Angst davor,
ausgelacht zu werden, eine Bedrohung des Selbstwertgefühls 58. Der Betroffene ist verunsichert,
kann keine Verbindung zwischen Lachen und Anlass finden, weil es keinen Anlass gibt. Dies
markiert die scheinbare, intellektuelle Überlegenheit des rätselhaft Lachenden.
Bösartiges Lachen nimmt eine Sonderstellung ein, weil kein durch den Verstand bedingter Anlass zu einem körperlichen Automatismus führt. Es ist bewusstes Schauspiel zur Demonstration
der Machtposition.
58
Sinnge. Wikipedia: Gelotophobie - http://de.wikipedia.org/wiki/Gelotophobie (Stand 15.10.2012)
Seite -20 -
2.9 Lächeln versus Lachen
Ein Säugling zwischen drittem und sechstem Monat lächelt als Antwort bei der Wahrnehmung
eines menschlichen Gesichts. Das Lächeln durch Erkennen markiert ein erstes Stadium in der
Entwicklung von Intelligenz 59. Schon an diesem Beispiel wird deutlich, dass Lächeln und Lachen
voneinander abzugrenzen sind.
Lächeln ist die „leichteste, mimische Bewegungsform, in die das Gesicht von selbst übergeht,
wenn die gewöhnlichen Hemmungen wegfallen“ 60. Es meidet Extreme - ist nicht explosiv wie das
Lachen - eben mild, gedämpft und lautlos. Die Auflichtung des Gesichts und die daraus re-
sultierende, auflockernde Gelöstheit sorgen für Entspannung. Im Lächeln vertiefen sich die
Gesichtsfalten leicht, deren Züge erscheinen lebendig. Das Relief zeugt von Vitalität und
Aktivität. Eine spezielle Muskelgruppe wird beim Lächeln aktiviert: „Spannung als Entspannung“
in einer „aktiven Ruhehaltung“ 61. Die Mimik wirkt subtil, zart und fein.
Beim Lachen lässt sich die Verbindung von Ausdrucksbewegung und Anlass nicht konsequent
nachvollziehen. Grund hierfür ist, dass die Anlässe von höchst unterschiedlicher Natur sind,
während die Reaktion immer gleich und automatisch abläuft. Lächeln hingegen ist durch den
Verstand steuerbar. Bei starken Antriebsformen wie Angst, Schreck oder Lachen malt sich ein
Erregnis ab, während beim Lächeln die Person selbst die Regung zeichnet - in einem
kontrollierten und gewollten Akt. Im Lächeln besteht die Möglichkeit einen natürlichen Ge-
sichtsausdruck in eine verhüllende Maske zu verkehren - in einem oft fließenden Übergang. Das
Gesichtsfeld wird zum Spielfeld. Hier erlebt der Lächelnde das Lächeln als Verhältnis zu seinem
Ausdruck, zu seinem Gesicht: Lächeln als „Mimik des Geistes“, anders „Mimik der menschlichen
Position“ 62 - eine Form der Gebärdensprache. Es zeigt Zustände und Haltungen in Nuancen.
Diese können zum Beispiel Klugheit, Dummheit, Begierde, Zuneigung, Zustimmung, Abweisung,
Stolz, Triumph, Bescheidenheit, Überlegenheit und Verlegenheit repräsentieren oder im Ausdruck freundlich, negierend, zurückhaltend, spottend, mitleidend, verzeihend und verachtend
wirken 63. Die Erregungen spiegeln sich in subtiler Ausdrucksform wider, was vielzähliges,
symbolisches Minenspiel ermöglicht und ein weites Feld von Mehrdeutigkeiten eröffnet. Eine
präzise Interpretation des Lächelns fällt oft schwer. Das Filigrane der Ausdrucksform passt zur
Unausgesprochenheit der mimischen Motorik des Lächelns. Jedoch sagt die Gedämpftheit des
Lächelns nichts über Grad der inneren Erregung. Nebenbei: Schweigen und Lächeln sind durch
ihre Vieldeutbarkeit miteinander verwandt.
59
Sinnge. Brockhaus Enzyklopädie: Lächeln (1997), Band 12, S. 710
61
Ebd., S. 185
60
62
63
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Das Lächeln (1970), S. 176
Ebd., S. 184
Vgl. ebd., S. 175
Seite -21 -
Lachen und Lächeln haben das Element der Distanziertheit gemein, jedoch auf unterschiedliche
Art. Während das Lachen Abstand zu einer unlösbaren Situation sucht, hält das Lächeln Distanz
zum inneren Gefühl, der Erregung, der Absicht selbst. „Es bewahrt Abstand im Ausdruck zum
Ausdruck“ 64. In seiner Zurückhaltung spiegelt das Lächeln ein durch den Verstand gezügeltes
Bild der Innenwelt wider, was meist verschwiegen und verhalten wirkt. Das Lächeln verkündet
einen „verbindlich unverbindlich, […] höflichen Abstand“ 65. Dies erlaubt es, als unaufdringliche
Gebärde einer sozialen Begrüßung zu dienen 66. Distanz und bewusste Symbolik erheben das
Lächeln zum Mittel und Ausdruck von Kommunikation. Durch Lächeln können, wie in einer
Gebärdensprache, Dinge angedeutet und zu verstehen gegeben werden. Das spielt vor allem bei
Triumph und Niederlage oder Überlegenheit und Demut eine wichtige Rolle. Lächeln reagiert
durch seinen meinenden Charakter auf eine Situation und kann diese bestätigen. Weil es durch
den Verstand gesteuert wird, kann das Lächeln Lachen bremsen, unterdrücken, vertreten und
ersetzen. Dies geschieht mittels Selbstbeherrschung.
Lachen ist eine unvermeidliche Ausdrucksbewegung und Lächeln eine intellektuell regulierte,
symbolhafte Ausdrucksgebärde.
64
65
66
Plessner, Helmuth: Philosophische Anthropologie - Das Lächeln (1970), S. 179
Ebd., S. 176
Vgl. Brockhaus Enzyklopädie: Lachen (1997), Band 12, S. 710
Seite -22 -
3 Der Horrorfilm
3.1 Horror als Filmgenre
Wir lieben Schubladen: Filme lassen sich in Genres kategorisieren. Dies erleichtert die Zuord-
nung und Identifikation filmischer Werke. Das Genre legt die Struktur, das formale Grundgerüst
eines Films fest. Es dient als Blaupause, als Formel für die industrielle Filmproduktion. Der Film
erhält durch die Zuordnung eines Genres ein Etikett, welches die Kommunikation zwischen Verleih und Käuferschaft erleichtert. Zudem schließen Genres einen imaginären Vertrag, welcher
garantiert, die Zuschauererwartungen bezüglich einer bestimmten Filmgattung zu erfüllen 67. Als
dynamisches Gerüst unterliegt auch ein Genre einer stetigen Evolution. Aktuelle Filme sträuben
sich, nur einem einzigen Genre zugehörig zu sein: Subgenres und Mischformen entstehen. Auch
der Horrorfilm unterliegt diesem Prozess. Alle existierenden Mischformen und Subgenres des
Horrorfilms zu nennen ist so gut wie unmöglich, da Horror mittlerweile jedes weitere Genre
berührt hat - von romantischen Vampirfilmen (z.B. TWILIGHT), über Zombie-Komödien (z.B.
FIDO), Mutanten-Musicals (z.B. REPO! THE GENETIC OPERA), Alien-Western (z.B. COWBOYS & ALIENS),
mythologischen Fake-Dokumentarfilmen (z.B. TROLLHUNTER), Killer-Roadmovies (zB. SIGHTSEERS),
kinderfreundlichen Grusel-Animationen (z.B. MONSTER HOUSE) bis hin zu sadistischen Teeanger-
tragödien (z.B. DREAD). Zudem sprießen Modebezeichnungen wie ‚Terrorfilm‘ oder ‚Torture
Porn‘ aus dem Boden, welche als Klassifizierung meist keine lange Lebensdauer haben.
Horror bedeutet zunächst „Schauder, Grausen, Abscheu“ 68. Ziel des Horrorfilms ist „to horrify“69,
also den Zuschauer in Angst und Schrecken zu versetzen. Ein guter Film dieses Genres bedroht
Wohlsein, Verstand und Gerechtigkeitssinn. Horrorfilme visualisieren höchst Undenkbares, Un-
vorstellbares und Unausgesprochenes einer Gesellschaft, einer Kultur. Alles Übernatürliche, alle
Geister, Zombies, Monster, Hexen, Dämonen, Aliens, Vampire, Freaks und Mörder verkörpern
einen gemeinsamen Nenner: die Angst vor dem Unerlebten, vor dem Unbekannten. Das Böse im
Horrorfilm ist das Unbeantwortbare.
Dem Horrorgenre wird gerne vorgeworfen, es sei illegitim und wertlos. Durch die Zurschau-
stellung von „Angst vor Krankheit und Tod, dem Verlust der Kontrolle über den Körper und die
Angst vor dem eigenen Verschwinden […]“, findet in Horrorfilmen eine „[…] obsessive Beschäf-
tigung mit der Zerstörung des menschlichen Körpers“ 70 statt. Dabei steht die Inszenierung von
Grausamkeit, Entsetzen und Angst vor dem Inhalt, vor der Geschichte des Films. Klassische
Hollywood-Dramen würden sich so eine von Empathie befreite, auf simple Reflexe orientierte
67
68
69
70
Vgl. Altman, Rick: Film / Genre (2003), S. 14
Brockhaus Enzyklopädie: Horror (1997), Band 10, S. 270
Neal, Steve: Genre and Hollywood (2003), S. 93
Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer - Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess (1995), S. 135f.
Seite -24 -
Herangehensweise nicht erlauben. Aus diesem Grund polarisiert das Horrorgenre. Die Filme
beschränken sich darauf, einer Fangemeinde und Liebhabern zu gefallen oder stoßen auf totale
Ablehnung. In der Filmproduktion haben Horrorfilme eine marginale, weniger reputable Stel-
lung und füllen eine Nische. Dies erlaubt es ihnen radikaler und subversiver aufzutreten, was
Inhalte und soziale Kritik betrifft 71. Dargestellte soziale Ordnungen dürfen unangepasst und
müssen nicht zwingend richtig sein. Doch auch für den Horrorfilm gilt: Der Inhalt sollte die
Form legitimieren. Trotz aller Schock-Hascherei lässt sich ein trashiger Splatter-Film sehr wohl
von einem psychologisch ausgeklügelten Horrorthriller unterscheiden - die Fangemeinde ist
eine informierte und kritische 72.
Horrorfilme eröffnen die Welt des Unmöglichen, Unbekannten, Unvorgestellten. Sie bieten so
nicht nur der Angst ein Spielfeld, sondern auch der Neugier, der Lust am Rätseln, Forschen und
Entdecken.
71
72
Sinnge. Klinger, Barbara: Cinema / Ideology / Criticism Revisited: The Progressive Genre, in Film Genre Reader III (2003), S. 80
Vgl. Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer - Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess (1995), S. 273ff.
Seite -25 -
3.2 Gängige Struktur des Horrorfilms
Buchers Enzyklopädie des Films stellt vier Gesetzmäßigkeiten auf, die allen Horrorfilmen inne-
wohnen:
„1. Das Vorkommen fantastischer Elemente, deren Handlungsweise oder bloße Präsenz lebensbedrohend wirken und deren Existenz wissenschaftlich nicht oder nur unzureichend erklärbar
ist. […]
2. Der Appell an die Angst des Zuschauers vor dem Unbekannten und Übermächtigen, das den
physischen und seelischen Tod bringt oder verkörpert. […]
3. Eine subjektive, das heißt furchtverstärkende Darstellung der Ereignisse, die immer als potentielle Bedrohung auch des Zuschauers geschildert wird.
4. Das gemeinsame Einverständnis von Filmemachern und Publikum, dass der erzeugte Schau-
der als auf der Basis akzeptierter Konventionen künstlich erzeugt und im Endeffekt furchtlösend
verstanden wird“ 73.
Tritt eine der Gesetzmäßigkeiten in veränderter Form auf, ist der Film nicht als klassischer
Horrorfilm zu bezeichnen, jedoch als Subgenre oder Mischform dessen. Ersetzt man beispielsweise die Bedrohung durch ein fantastisches Element mit einem realistischen Serienmörder, der
sich rational erklären lässt, haben wir es mit einem Horrorthriller zu tun. Ein weiteres Beispiel:
Bleibt das übernatürliche Element, streicht man aber die tödliche Bedrängnis und ersetzt diese
durch harmlose Furcht, landet man beim Gespenster- oder Gruselfilm.
Die allgemeine Erzählstruktur von Horrorfilmen gestaltet sich episodisch, aufeinanderfolgend
und steigernd 74. Den Anfang bildet üblicherweise die Einführung des bösen Charakters. Seine
Figur wird vorgestellt, indem die Bilder seine Motivation und perfide Handlungsweise veran-
schaulichen. Im Verlauf des Films verschwindet ein Protagonist nach dem anderen entsprechend
dem Prinzip des Zählreims ‚Zehn kleine Negerlein‘ von der Bildfläche. Am Ende kommt es zur
ultimativen Konfrontation zwischen Gut und Böse. Dieser Klimax lädt sich am intensivsten mit
Spannung. Meist erscheint hier die Darstellung von Gewalt am explizitesten. Gibt es einen Twist
im Film, erfolgt er an dieser Stelle.
„Textuelle Offenheit“ 75 durchzieht den modernen Horrorfilm. Inhaltliche Brüche, Lücken und
offenes Ende generieren Irritation und Spannung. Aktuelle Filme dieses Genres neigen zum kata-
strophalen, tragischen Ende ohne Aussicht auf Hoffnung, was den Zuschauer zwar unbefriedigt
und verwirrt aus dem Kino verabschiedet, dafür aber Denkprozesse in Gang setzt und so den
Film nachklingen lässt. Zudem kommt es immer öfter vor, dass die grausamen Taten des Bösen
nicht mehr durch eine Motivation erklärt werden, sondern ohne plausiblen Grund erfolgen. Dies
73
74
75
Bawden, Liz-Anne: Buchers Enzyklopädie des Films (1977), S. 355
Sinnge. Paul, William: Laughing Screaming - Modern Hollywood Horror and Comedy (1994), S. 417
Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer - Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess (1995), S. 136
Seite -26 -
stiftet ebenfalls höchst unangenehme Verwirrung. Der Zuschauer kämpft mit Unsicherheit und
Instabilität. So wirken die Gewaltakte noch erschütternder, unbegreiflicher, animalischer. In THE
STRANGERS (2008, Bryan Bertino) beispielsweise, brechen drei Maskierte in das Haus eines
Pärchens ein, jagen diese und töten sie anschließend. Der Zuschauer erfährt zu keiner Zeit den
Grund des Handeln, noch sieht er die Gesichter der Killer. Verstört und beklemmt wird er dazu
gezwungen, zum Augenzeugen des Geschehens zu werden.
Seriosität gilt als Prämisse von Horrorfilmen dieser Zeit. Aufwändige Effekte und digitale
Bearbeitung ermöglichen die anatomisch korrekte Darstellung von Tötungsritualen. Brutalität
kommt rau daher und scheint glaubhaft. Man verabschiedet sich von selbstreflexivem Humor.
Horrorfilme nähern sich Strukturen des Dramas, werden teilweise zu Milieustudien. Im Zentrum
steht das Ausschließen des Unmöglichen. Horror soll alltagsnaher, bedrohlicher und wahr-
scheinlicher wirken. Der Trend geht weg vom fantastischen Bösen, hin zu rein menschlichen
Bestialitäten. Und widmet sich das Sujet doch dem Übernatürlichen, verpackt man dies in einen
Wahrheit vorgaukelnden Stil. So zeigt PARANORMAL ACTIVITY (2007, Oren Peli) geisterhafte Er-
eignisse als Aufzeichnungen von Überwachungskameras.
Horrorfilme bedienen sich dem Mittel räumlicher Isolation. Üblicherweise gerät eine kleine
Gruppe von vier bis acht Personen an einen abgelegenen, ihnen unbekannten Ort. Dieser wird
zum Schauplatz der Handlung des gesamten Films. Damit werden die Charaktere des Films den
Strukturen ihrer eigentlichen Gesellschaft entrissen, an einem Ort, der eine fremde, für sich eigene, soziale und logische Struktur inhäriert. Die Normalität wird durch räumliche Grenzen
bedroht - ein Gefangensein. Hier herrscht das Gesetz des Bösen.
Der Horrorfilm nimmt Simplifizierungen vor. Um körperliche Reflexe möglichst effektiv her-
vorzurufen, sollten die kognitiven Leistungen weniger beansprucht werden. Mittels räumlicher
Isolierung wird eine simplifizierte, soziale Struktur geschaffen, welche der Handlung dient. Gut
grenzt sich klar von Böse ab. Die Charaktere im Horrorfilm unterliegen meist einer expressiven,
sexuellen Stereotypisierung 76. Da wären zum Beispiel die naive Blonde, der unattraktive
Schlaue, der witzige Dicke, der planlose Kiffer, die unheimliche Schüchterne, das sportliche
Alphatier oder die unnahbare Schöne. Vor allem Filme, dessen Akteure Jugendliche sind, halten
Stereotype aufrecht.
Bedrohung im Horrorfilm kann sich in allen denkbaren Formen äußern: Unsichtbares, Para-
normales, Mythen, Fabelwesen, Außerirdisches, Geister, Tiere, Pflanzen, Monster, Mutanten,
Zombies, Vampire, Hexen oder in menschlicher Gestalt. Treffen wir auf einen Menschen als
böses Element im Film, wird dieser häufig durch körperliche und oder geistige Abnormitäten
markiert: Narben, Deformationen, Wucherungen, Sprachfehler oder Ticks. Nicht selten trägt der
Mörder eine verhüllende Maske vor dem Gesicht, die zu seinem Alleinstellungsmerkmal wird.
Neben dem unangenehmen Aussehen unterscheidet sich das Böse von den übrigen Protago-
76
Klinger, Barbara: Cinema / Ideology / Criticism Revisited: The Progressive Genre, in Film Genre Reader III (2003), S. 84
Seite -27 -
nisten in kultureller, politischer, sexueller, ökonomischer Weise oder Herkunft 77. Sein Agieren
richtet sich gegen den Willen der Protagonisten. Es wirkt unkontrollierbar, unbeantwortbar. Das
Böse im Film spricht wenig bis gar nicht - ein Fragen aufwerfender, anzweifelbarer, mehrdeu-
tiger Charakter. Böses besiegen heißt körperliches Überleben, heißt eine Antwort finden, heißt
sein fragwürdiges Sozialsystem zu überwinden.
Die Struktur des modernen Horrorfilms zeichnet sich durch Isolierung, Simplifizierung und
Offenheit aus. Er soll dem Zuschauer glaubhafte Szenarien suggerieren. Das Element des Bösen
schafft unbeantwortbare, ambivalente Lagen, die für den Zuschauer nur scheinbar lebensbe-
drohlich sind. Dies ist der Nährboden auf dem das Lachen sprießen kann. Allerdings gibt die
konstante Bedrohung im Film keinen Anlass zum Lachen, hält es zurück. Wird eine Situation
unglaubwürdig oder absurd, verschwindet die scheinbar reelle Bedrohung. Findet sich jetzt
noch ein Anlass, kann Gelächter ausbrechen.
77
Sinnge. Neal, Steve: Genre and Hollywood (2003), S. 99
Seite -28 -
3.3 1930er, 1970er, Gegenwart - Tradition, Überleben, Chaos
„Die Geschichte des Horrorfilms reicht fast so weit zurück wie die Geschichte der Filmkunst
überhaupt“ 78. Schon Georges Méliès beschäftigte sich mit dem Sujet Horror. Mit seiner kurzen
Spukschlussgeschichte LE MANOIR DU DIABLE (1986) bannte er die Welt des Schaurigen auf die
Leinwand. Die frühe Stummfilmära bringt eine Reihe von Horrorfilmen hervor, die heute als
Klassiker gelten: FRANKENSTEIN (1910, J. Searle Dawley), DR. JEKYLL AND MR. HYDE (1912, Lucius
Henderson), THE CABINET OF DR. CALIGARI (1920, Robert Wiene), NOSFERATU (1922, F.W. Murnau)
oder THE PHANTOM OF THE OPERA (1925, Rupert Julian). Die 30er Jahre gelten als erste Glanzzeit
des Genres. Der Tonfilm hält Einzug. So werden schon bekannte Filmthemen einem Remake
unterzogen. FRANKENSTEIN (1931, James Whale) und DR. JEKYLL UND MR. HYDE (1931, Rouben
Mamou-lian) zum Beispiel, entwickeln sich von einem kurzen Stummfilm zu einem vertonten
Feature-Film. Werke wie DRACULA (1931, Tod Browning), WHITE ZOMBIE (1932, Victor Halperin),
ISLAND OF LOST SOULS (1932, Erle C. Kenton), THE MUMMY (1932, Karl Freund) oder THE HOUND OF
THE
BASKERVILLES (1939, Sidney Lanfield) prägen diese Zeit. Die schaurigen Filme der 30er Jahre
legitimieren sich aus ihrem Inhalt: Sie visualisieren bekannte Romaninhalte oder traditionelle
Mythen. Berühmte Novellen von Schriftstellern wie Mary Shelley, Bram Stokers oder Robert
Louis Stevenson werden für die Leinwand adaptiert. Hauptinhalt der Filme liegt im Konflikt
zwischen Tradition und dem fantastischen Übernatürlichen, Übermenschlichen. Die Figur des
verrückten Wissenschaftlers nimmt eine bedeutende Stellung ein. Das Böse kann durch den
gebildeten, gehobenen Stadtmenschen besiegt werden 79 - Herkömmliches kämpft gegen Neues.
Liebe und Kontrolle über die dunkle Seite sind in die Handlung eingebettet. Das Gute erhält im
Horrorfilm der 30er Jahre mehr Gewicht. Die Tradition siegt.
Seit ca. 1950 liegt der Fokus von Horrorfilmen auf psychologischen und politischen Themen.
Alfred Hitchcock legt mit PSYCHO (1960) hierfür einen Meilenstein. In den 70ern erlebt das
Horrorgenre einen zweiten Boom. Filme wie THE EXORCIST (1973, William Friedkin), JAWS (1975,
Steven Spielberg), CARRIE (1976, Brian De Palma), SUSPIRIA (1978, Dario Argento) oder THE
SHINING (1980, Stanley Kubrick) sind Leuchttürme dieser Zeit. Während das Böse in den
Horrorfilmen der 30er Jahre weltfremd erscheint, wandelt sich das Thema des Unheimlichen in
den 70er zu einem Bösen, welches unter uns weilt. Der Ausdruck humaner Unsicherheit steht im
Vordergrund. Die Bedrohung greift in die Alltagswelt ein, ist allgegenwärtig. Filme der 70er
Jahre enden nicht mehr mit einem Schlussstrich - dem Happy End, in dem das Gute siegt -,
sondern mit einer Warnung, einem Fragezeichen oder einer Option auf Wiederholung, eben
einem offenen Ende, aber keiner völligen Katastrophe.
78
79
Wikipedia: Horrorfilm - http://de.wikipedia.org/wiki/Horrorfilm (Stand 15.10.2012)
Sinnge. Wood, Gerald C.: Horrorfilm, in Handbook of American Film Genres (1988), S. 213
Seite -29 -
In den 70ern gelten Jugendliche und Heranwachsende als Hauptzielgruppe für Horrorfilme 80.
Kein Wunder, dass sie selbst zum Thema der Filme werden. Horror-Franchise-Reihen tauchen
erstmalig auf und adressieren explizit eine junge Zuschauerschaft. Seine berühmtesten Vertreter
sind HALLOWEEN 81 (1978, John Carpenter), FRIDAY THE 13TH (1980, Sean S. Cunningham) oder
A NIGHTMARE ON ELM STREET (1984, Wes Craven). Durch bessere Spezialeffekte und neue, digi-
tale Bearbeitungsmöglichkeiten wird die Darstellung von Gewalt in Horrorfilmen expliziter. Der
Gruselstreifen wird zum Schocker. Der Film wird zum Test, ob die Jugend die Achterbahn von
Angst und Überleben übersteht - eine Mutprobe. Am Ende der Horrorfilme der 70er überlebt
stets die Hauptfigur und entlässt den Zuschauer versöhnt aus dem Höllentrip.
In einer logischen Kette gesehen, müsste die dritte Glanzzeit des Horrorfilms nach den 30er und
70er Jahren in den 2010er Jahren liegen. Dies trifft nicht zu. Aktuelle Horrorfilme dümpeln in
der Mittelmäßigkeit. Dennoch gibt es nennenswerte Beispiele. The Blair Witch Project (1999,
Daniel Myrick & Eduardo Sánchez) präsentiert Horror erstmals in einem dokumentarischen Stil.
Saw (2004, James Wan) und Hostel (2005, Eli Roth) machen perfiden Sadismus zu massen-
tauglichen Blockbustern. Vor allem Remakes füllen die Lichtspielhäuser. Für die Filmindustrie
versprechen diese geringes wirtschaftliches Risiko, da die Story bereits bekannt und erprobt ist,
was die Vermarktung erleichtert. Ein beliebtes Opfer von Remakes ist THE TEXAS CHAINSAW
MASSACRE (1974, Tobe Hooper), welches in Neuauflage 2003 veröffentlicht wurde und 2013
wiederholt aufgelegt wird. Wirklich ausgefallene Horrorfilme kommen nicht aus Amerika. Innovative Werke liefern Großbritannien mit SEVERANCE (2006, Christopher Smith), Niederlande mit
THE HUMAN CENTIPEDE (2009, Tom Six) und Frankreich mit HAUTE TENSION (2003, Xavier Gens).
Das politisch korrekte Deutschland hält sich mit der Produktion von Horrorfilmen stark zurück.
Trotz Mittelmäßigkeit in der Horrorfilmlandschaft hat sich ein inhaltlicher Wandel vollzogen.
Das finale Überleben des Protagonisten der Filme der 70er Jahre weicht totaler Zerstörung. Im
aktuellen Horrorfilm ist kein Platz mehr für Gutes. Er wird durch Chaos regiert. Das Böse siegt.
Die Darstellung von Gewalt ist nicht nur explizit sondern auch exzessiv. Dabei steht Glaubwürdigkeit im Vordergrund, als ob uns allen die Grausamkeiten zustoßen könnten.
Zusammenfassend beschreibt Reiner Winter den Wandel des Horrorfilms sehr treffend: „secure
horror“ wird zu „paranoid horror“ 82. Während in den Anfängen des Horrorgenres der Film als
Teil einer sozialen, kulturellen Ordnung dient, stellt er diese nun in Frage, indem er eine
Instabilität aufzeigt, dessen Statik nicht wieder hergestellt werden kann.
80
81
82
Vgl. Wood, Gerald C.: Horrorfilm, in Handbook of American Film Genres (1988), S. 218
Die HALLOWEEN-Filmreihe besteht aus 8 filmischen Ablegern und 2 Remakes.
Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer - Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess (1995), S. 139
Seite -30 -
3.4 Angstlust
Dem Unbekannten begegnen wir mit zwei Reaktionen: Neugier und Angst. Soll ich? Soll ich
nicht? Ich würde ja, aber …? Der Horrorfilm übermannt den Zweifel, indem er einfach zeigt, ohne
Rücksicht auf den Zuschauer zu nehmen. Sowohl Neugier als auch Angst erwachsen aus einer
Lust heraus, die durch Spannung angetrieben wird.
Spannung entsteht durch die Verteilung von Wissen, sowie die Aktivierung von Emotionen und
Reflexen durch den Plot. Bildsprache und Tonwelten gelten hierbei als wichtige Instrumente.
Mittels Aufrechterhaltung des Rätselcharakters werden Erwartungen erzeugt, welche Neugier auf
Fortgang und Auflösung der Konflikte wecken. Durch Vorenthaltung wichtiger Informationen,
schürt der Film eine nervöse Unsicherheit, die zur Angst werden kann. Spannung tritt im Film in
drei möglichen Formen auf: „Mystery“, „Surprise“ oder „Suspense“ 83. Verfügen Protagonist und
Zuschauer über den gleichen Wissensstand spricht man von Mystery. Die gleiche Basis er-
möglicht Einfühlung und Identifikation mit dem Protagonisten. Der Zuschauer wird zum
Mitermitteln angeregt. Aus diesem Grund findet sich diese Form der Spannung in vielen Kriminalfilmen oder Thrillern wieder. Der Horrorfilm arbeitet eher mit Distanz. Er zielt nicht auf
Empathie, sondern soll den Zuschauer in eine Gesamtstimmung versetzen. Die Spannungs-Form
Mystery findet sich hier weniger vor. Surprise bedeutet Überraschung: Der Protagonist weiß
mehr als der Zuschauer. Diese Form der Spannung wird verwendet, um den Plot vorzuenthalten,
somit ein Geheimnis nach und nach zu lüften. Viele Action- und Abenteuerfilme nutzen das Mo-
ment der Überraschung. Auch der Horrorfilm bedient sich des Surprise, um einen Twist, die
unerwartete Wendung im Filmgeschehen, zu erzielen. Die Filmreihe SAW macht sich die Span-
nungsform zum vermarktenden Alleinstellungsmerkmal und propagiert diese, indem der Claim
eines Plakates verkündet: „You won’t believe how it ends“ 84. Im ersten Teil der Reihe befinden
sich zwei Männer und eine Leiche in einem Kellerraum. Dort kämpfen die beiden Protagonisten
um ihr Überleben. Am Ende des Films besteht der Twist darin, dass die Leiche kein Toter ist,
sondern der Mörder, der die ganze Zeit das Geschehen verfolgt hat und dafür sorgt, dass keiner
der beiden den Raum verlassen wird. Im Suspense ist der Zuschauer informierter als der
Protagonist. Ein doppelter Blick ergibt sich aus dem Wissen um die Handlung und zusätzlich
dem Wissen um das Nichtwissen des Protagonisten. Der Rezipient ist in der Lage Szenarien und
Ausgänge für den Protagonisten vorzudenken und durchzuspielen, noch bevor im Film eine
Handlung passiert. Suspense kann sowohl auf inhaltlicher als auch auf bildsprachlicher Ebene
erzielt werden. Etabliert man einen Ort der Handlung, an dem etwas Grausames passiert und
zeigt ihn später erneut im Film, genügt das Bild der Szenerie, um zu wissen, dass wieder etwas
Furchtbares geschehen wird. HALLOWEEN (1978, John Carpenter) zum Beispiel eröffnet mit einer
83
84
Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse (2008), S. 143
Plakat zu SAW V: http://www.comingsoon.net/nextraimages/sawvnewposter.jpg (Stand 15.10.2012)
Seite -31 -
Mordsequenz im Haus des Serienmörders Michael Myers. Im späteren Filmgeschehen betritt
eine junge Frau das Haus des Killers. Wir wissen, dass sie hier nichts Gutes erwarten wird.
Horrorfilme arbeiten also hauptsächlich mit Surprise und Suspense.
Die Spannung erleben wir mit Neugier oder Angst. Damit die Gereiztheit zur Angst werden kann,
muss die Spannung emotionale und kognitive Bedrohung hervorrufen 85. Die Bedrängnis kann
unterschwellig oder direkt generiert werden. Mittels Schnitt lassen sich Schreckmomente
erzeugen. Geschwindigkeit und Bewegung im Film sorgen für ungemütliche Aufregung. Die
Einblendung von Mordinstrumenten schürt beängstigende Erwartungen. Im Film platzierte
Geheimnisse kreieren eine unangenehme Irritiertheit. Die Visualisierung von Folter, Verletzung
und Tötung ruft Ekel hervor, der im Höchstfall seinen Ausbruch im Schrei sucht.
Gespanntheit selbst entsteht aus Ambivalenzen. Das Aufeinandertreffen von Humor und Ver-
gnügen auf Schmerz und Schreck generiert Spannung. Im steten Hin- und Hergeworfen-Sein der
sensationellen Gefühle von Bedrohung und Vergnügen, gerät die eigene Stabilität ins Wanken.
Wir werden zu verletzlichen Gebilden und an den Rand des Kontrollverlustes getrieben. Hier
greifen Lachen und Schreck, beides körperliche Automatismen. Um größtmögliche Gespannt-
heit zu erzielen, muss ein Film Anlässe zum Lachen bieten, um den Zuschauer in einen gelösten,
entspannten, offenen und heiteren Zustand zu versetzen. Folgt darauf ein unerwarteter Moment
des Schocks, ist die Kluft zwischen Vergnügen und Angst, zwischen Lockerheit und Krampf am
größten, die Spannung besonders intensiv und die Angst am authentischsten. Der Horrorfilm
braucht das Lachen, um überhaupt erschrecken zu können.
Spannung löst Erwartungsaffekte aus. Diese können sich in positiver Form, wie Hoffnung und
Zuversicht, oder negativer Form, wie Angst, Furcht, Schreck und Verzweiflung, äußern 86. Durch
das gleichzeitige Erleben von positiven und negativen Erwartungsaffekten in den, von Ambivalenz geprägten, Spannungen im Horrorfilm, können Angst und Furcht lustvoll erlebt werden.
Im Verlust von Stabilität, Gleichgewicht und Zuverlässigkeit vermischen sich die Erwartungsaffekte. Vergnügen wird zu Angst. Furcht wird zu Frohsinn. Dies ist nur möglich, wenn sich der
Zuschauer der Fiktion des Films bewusst ist und weiß, dass er den Kinosaal unversehrt
verlassen wird. Alfred Hitchcock spricht von „beneficial shocks“ 87 , während Michael Balint den
passenderen Begriff der „Angstlust“ 88 wählt. Man empfindet die Lust an der Angst beim Auf-
geben und Wiedererlangen von Sicherheit und Stabilität. Es ist eine Form der Selbstpreisgabe.
Das Sich-Überlassen an den Körper strukturiert sich wie beim Lachen. Vergleichbar ist der Zu-
stand mit dem Erleben des unangenehm angenehmen (Nerven-)Kitzels einer Achterbahnfahrt.
Der Film FINAL DESINATION 3 (2006, James Wong) hat sich diese Parallele zu eigen gemacht und
schickt Jugendliche auf ein Tod bringendes, entgleisendes Fahrgeschäft.
85
86
87
88
Sinnge. Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse (2008), S. 154
Sinnge. ebd., S. 155
Truffaut, François: Hitchcock (1983), S. 201
Wikipedia: Angstlust - http://de.wikipedia.org/wiki/Angstlust (Stand 15.10.2012)
Seite -32 -
Zusammengefasst: Damit Angstlust - im Englischen übrigens thrill - greifen kann, müssen drei
Bedingungen erfüllt werden:
1. Der Zuschauer nimmt das Filmgeschehen als bewusste Angst war und ist sich einer wirklichen
äußeren Gefahr sicher.
2. Der Rezipient liefert sich dieser Angst willkürlich aus.
3. Es besteht zuversichtliche Hoffnung auf Durchstehen der Angst und baldige Unversehrtheit. 89
89
Sinnge. Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse (2008), S. 155
Seite -33 -
3.5 Komödie versus Horror
Die beiden Genres Komödie und Horrorfilm lassen sich als Antagonisten begreifen. Dabei weist
ihr struktureller Aufbau Ähnlichkeiten auf.
Während ein Horrorfilm zu Angst und Schreckmomenten reizt, fordert die Komödie zum Lachen
auf. In beiden Fällen liegt die Intention darin, von der Lust getriebene körperliche Automatismen
hervorzurufen. Um diese Reflexe zu generieren, liegt es nahe, dass sich die Komödie der Komik
als Hauptinstrument bedient - sei es durch Charaktere, Situationen oder Sprache. Komik ent-
steht aus den Strukturen des Plots. Sie bezieht sich nicht nur auf narrativ vermitteltes Wissen im
Film, sondern auch auf allgemeingültige Kenntnisse 90. Im Film sind die komischen Momente im
textuellen Aufbau zwar angelegt, jedoch vollenden sie sich erst im Zuschauer selbst. Denn seine
Verfassung und sein Verstand entscheiden darüber, ob die filmische Situation zum Anlass des
Lachens wird.
Eine Komödie besteht aus einer Folge von Witzen, Komik, Gags und lustigen Situationen, welche
klar im Vordergrund stehen. Die eigentliche Handlung ist - wie im Horrorfilm auch - sekundär.
Sie dient dazu den Film zusammen zu halten, als roter Faden. Konflikte entstehen aus Inkon-
gruenz, Wiedersprüchen, Doppeldeutigkeiten oder Verfremdung. Eine extrem scharfe Trennung
von Gut und Böse wie im Horrorfilm, findet sich in der Komödie nicht vor. Dennoch lassen sich
die ebenfalls oft stereotypen Charaktere in Freund und Feind gliedern.
Im Horrorfilm bildet das Böse das asoziale Element, in der Komödie ist es die Hauptfigur. Der
exzentrische Antiheld bewegt sich außerhalb gewohnter Grenzen, sozial abnormal entgegen
gesellschaftlicher Normen und Werte. Wes D. Gehring fasst seine Haupteigenschaften zusam-
men: viel Freizeit, kindliche Naivität, lebt in der Stadt, unpolitisch und frustriert 91. Die Aufgabe
des Helden besteht darin, sich einem kulturellen Milieu, meist der Upperclass, anzupassen. Wie
eine Blase umschließt ihn sein eigenes logisches und soziales System: „the logic of the absurd“ 92.
Dabei findet keine Isolation wie im Horrorfilm statt. Der witzige Antiheld ist in uns bekannte
Gesellschaftssysteme integriert. Exzentrisch trifft auf sozial konform - beides kann in Steifheit
münden. Dies liefert den Zündstoff, um in Komödien Spannung aufzubauen.
Das Spiel mit Erwartung und Wissen in der Komödie führt zu ähnlichen Spannungsleveln, wie die
im Horrorfilm. Erwartungsbrüche und Unangemessenheiten überfallen den Zuschauer. Komö-
dien verwenden demzufolge überwiegend die Spannungsform Surprise. In Horrorfilmen kommt
Suspense hinzu. Überraschungsmomente gleichen dem Schock 93, nur das Element der Bedrohung
90
91
92
93
Vgl. Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse (2008), S. 147
Sinnge. Gehring, Wes D.: Screwball Comedy, in Handbook of American Film Genres (1988), S. 111
Neal, Steve: Genre and Hollywood (2003), S. 67
Sinnge. ebd., S. 66
Seite -34 -
fehlt. Generell gerät man in der Komödie weder in echte noch in scheinbare körperliche oder
geistige Bedrängnis.
Populäre Komödien romantisieren. Sie halten Familienleben und Traditionen in Ehren. Zwar be-
obachten wir im Verlauf des Films das Scheitern des Helden an vielen Stellen, dennoch gelingt es
ihm im Happy End ans Gesellschaftssystem anzuknüpfen. Alles wird gut. Horrorfilme tendieren
zum tragischen Chaos, stellen so soziale Strukturen in Frage.
Beide Genres schaffen unbeantwortbare, mehrdeutige Lagen, welche nicht oder nur scheinbar
lebensbedrohlich sind. Die ähnlichen formalen Strukturen der Antagonisten Komödie und Hor-
rorfilm ermöglichen das Lachen als Fehlreaktion in Momenten der Angst. So kann eine Situation
des Schocks fälschlicher Weise als Überraschungsmoment interpretiert werden. Die Reaktion
ist ein Lachen aus Verlegenheit.
Seite -35 -
4 Der „Smile Shutter“
Der Horrorfilm kann zum Lachen reizen, wenn das Filmgeschehen einen gewissen Grad der Unernsthaftigkeit aufweist, also die Bedrohung in der Szenerie nicht dominiert oder Gezeigtes ganz
schlicht unglaubhaft wirkt. Ob in Filmen dieses Genres selbst gelacht wird und welche Reaktion
dieses Lachen beim Rezipienten hervorruft, könnte analysiert werden, indem man jedes Werk
Frame für Frame untersucht. Es geht aber auch anders.
Digitale Fotokameras der Marke Sony sind mit einem besonderen Feature ausgestattet: dem
‚Smile Shutter‘. „Schalten Sie den Smile Shutter ein und überlassen Sie alles Weitere Ihrer [Kamera]! Bei aktiviertem Smile Shutter nimmt Ihre [Kamera] automatisch Fotos auf, wenn sie ein
Lächeln erfasst. So erhalten Sie spontane und natürliche Aufnahmen, die Ihre Freunde und Bekannnten von ihrer besten Seite zeigen. Die Anwendung ist denkbar einfach und macht richtig
Spaß!“ 94. Im Versuchsaufbau steht die Kamera im Abstand von ca. einem Meter vor einem Fernsehapparat. Die Filme werden mit eingeprägtem Timecode auf den Bildschirm übertragen. Bei
aktiviertem ‚Smile Shutter‘, sollte dieser alle Momente festhalten, in denen gelächelt und gelacht
wird. Zudem lässt sich am Timecode im Foto ablesen, an welcher Stelle des Filmes Lachen auf-
tritt.
Der ‚Smile Shutter‘ funktioniert über zwei Phasen. Der Detektion des Lachens ist eine Gesichts-
erkennung vorgeschaltet. Diese durchsucht das Bild nach bewegten Objekten. Sind Bewegungen
vorhanden, werden ovale Formen aufgespürt, die sich als mögliche Köpfe interpretieren lassen.
Entspricht die Farbe innerhalb der Ovale einem Hautton, vergleicht die Gesichtserkennung die
Position der Augen, welche aufgrund ihres statistisch vergleichbaren Abstands identifiziert wer-
den 95. Der Kopf darf sich maximal 90 Grad zur Seite neigen, so dass beide Augen sichtbar bleiben.
Die Kamera kann bis zu 8 Personen gleichzeitig aufspüren. Phase 2: Wurden Gesichter erkannt,
nimmt der ‚Smile Shutter‘ weitere Analysen vor. Es ist anzunehmen, dass nach einem rot umrandeten Oval mit weißer Innenfläche gefahndet wird. Die Bedienungsanleitung der Kamera deutet
darauf hin und weist auf Schranken dieses technischen Verfahrens: „Lächeln Sie deutlich mit ge-
öffnetem Mund. Das Lächeln wird leichter erkannt, wenn die Zähne sichtbar sind. Decken Sie die
Augen nicht mit Haarsträhnen usw. ab. Reißen Sie die Augen nicht auf. Versuchen Sie, das Ge-
sicht vor der Kamera auszurichten und halten Sie es so gerade wie möglich. Verdecken Sie das
Gesicht nicht mit einem Hut, einer Maske, Sonnenbrille usw.“ 96. Damit ein Lachen erkannt wird,
sollte das Gesicht möglichst frontal zur Kamera ausgerichtet und darf durch nichts verhüllt oder
blockiert sein. Zudem muss das Lächeln bzw. das Lachen für einen Moment gehalten werden,
damit die Kamera scharfstellen und auslösen kann. Der Zeitraum beträgt ca. eine halbe Sekunde.
94
95
96
Sony Corporation: Smile Shutter - http://www.sony.de/hub/learnandenjoy/2/2
Sinnge. Wikipedia: Gesichtserkennung (Fotografie) - http://de.wikipedia.org/wiki/Gesichtserkennung_(Fotografie)
Sony Corporation: Bedienungsanleitung Alpha 77, S. 139 - http://pdf.crse.com/manuals/4291132431.pdf
Seite -36 -
Für nachfolgende Untersuchungen am Horrorfilm eignet sich das zur Kamera standartgemäß
mitgelieferte Objektiv SAL18-55mm, weil der Autofokus schnell reagiert.
Wie jeder digitale Filter, unterliegt der ‚Smile Shutter‘ festen, mathematischen und unabweich-
lichen Regeln. In seiner Starrheit wird er zum Opfer der Komik. Die meisten Ergebnisse erfüllen
die Aufgabe, Lachen und Lächeln zu verewigen. Einige der Schüsse sind jedoch Querschläger.
Diese bedienen das Raster zwar, zeigen aber einen anderen Gesichtsausdruck. Schreck, Schock,
Schrei und Weinen ähneln dem optischen Bild des Lachens. Zeitweise löst auch bei solchen Mimiken der Mechanismus aus. Der ‚Smile Shutter‘ wechselt zum ‚Fear Shutter‘ - eine lächerliche
Umkehrung. Absurd wird es, wenn die Technik Fotos aufnimmt, welche nicht im Geringsten mit
Lächeln und Lachen vergleichbar sind. Gleiches gilt für Schnappschüsse, auf denen keine Person
zu sehen ist. Hier äußert sich das Komische des ‚Smile Shutters‘, weil seine Steifheit zu uner-
warteten Fehltritten führt. Die Analyse der fünf folgenden Filme hält einige Irrtümer des Filters
bereit.
Nichtsdestotrotz stellt der ‚Smile Shutter‘ ein zuverlässiges Tool dar, mit welchem sich Lachen
und Lächeln aus einem Film destillieren lassen. In vorhergehenden Testphasen konnte ich fest-
stellen, dass der ‚Smile Shutter‘ bei einer Komödie im Durchschnitt ca. 120 Fotos schießt. Bei
Horrorfilmen liegt das Mittelmaß bei ca. 30 Aufnahmen. Beide Werte schließen Fehlschüsse ein.
Die Quote der Irrtümer liegt bei ca. 20 Prozent. Ein erstaunlich niedriger Wert, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Filmanalyse mittels ‚Smile Shutter‘ um eine Zweckentfremdung der
Apparatur handelt.
Die folgenden Beispiele beschränken sich auf Horrorfilme, welche menschliche Killer und keine
fantastischen Wesen als Element des Bösen aufweisen, um den Grad der Genauigkeit des ‚Smile
Shutters‘ zu gewährleisten. Zudem ist das Lachen ausschließlich dem Menschen vorbehalten,
was diese Restriktion legitimiert. Schwarzweiß-Filme oder Filme mit extremen Farben bleiben in
der Analyse unberücksichtigt, weil die Gesichtserkennung keinen menschlichen Hautton aufspüren kann. Doppelungen wurden entfernt, wenn der ‚Smile Shutter‘ ein gleiches Lächeln oder
Lachen mehrfach aufgenommen hat. Die anschließenden Filmbeispiele staffeln sich nach Grad
der Grausamkeit und Ernsthaftigkeit des Geschehens.
Seite -37 -
Seite -38 -
5 Das Lachen im Horrorfilm
5.1 Schwarzer Humor am Beispiel TUCKER AND DALE VS. EVIL
Still
Timecode
Typ
Anlass / Grund
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
00:00:15
00:01:24
00:01:33
00:01:54
00:05:11
00:06:51
00:07:12
00:10:32
00:11:09
00:11:44
00:11:47
00:11:53
00:12:44
00:17:55
00:22:23
00:24:17
00:24:32
00:25:27
00:26:37
00:27:03
00:27:24
00:30:16
00:30:18
00:34:34
00:34:42
00:35:57
00:37:22
00:41:17
00:55:08
01:01:43
01:10:54
01:16:04
01:17:33
01:17:43
01:17:43
01:18:23
01:18:29
01:18:34
01:18:39
01:18:51
Lächeln
Lachen
Lächeln
Schrei
Lachen (Schauspiel)
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Fehler
Schrei
Schrei
Lachen
Fehler
Fehler
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Fehler
Lächeln
Lächeln
Fehler
Lächeln
Schrei
Lächeln
Lachen
Lächeln
Lächeln
Schrei
Lächeln
Lachen
Lachen
Lachen
Lächeln
Lachen
Lächeln
Lächeln
Lachen
Imponiergehabe
Witz
Imponiergehabe
Witz
Schüchternheit / Verlegenheit
Verlegenheit
Verlegenheit
Witz
Imponiergehabe
Misstrauen
Schock
Angst
Situationskomik
Hund
Asthmaspray vor dem Mund
Spiel
Verlegenheit
Unsicherheit
Verlegenheit
Ratlosigkeit
Nervosität
Zustimmung / Zuneigung
Unsicherheit
Nervosität
Imponiergehabe
Panik
Verlegenheit
Verzweiflung
Besänftigung
Erleichterung
nach Luft ringen
Begrüßung
Witz
Spiel
Mitlachen
Dankbarkeit
Verlegenheit
Zustimmung
Verlegenheit
Situationskomik
Lachen: 9
Lächeln: 21
Schrei: 5
Fehler: 5
Seite -39 -
Es liegt nahe, das Lachen im Horrorfilm zu Beginn in einer Horrorkomödie zu suchen. Filme die-
ses Subgenres bestechen vornehmlich durch schwarzen Humor. In typischen Komödien scheint
Lachhaftes optimistisch. Bei schwarzem Humor trifft das Gegenteil zu - die Anti-Komödie. Sie
behandelt gesellschaftlich ernste und heikle Themen mit witziger Respektlosigkeit. Schwarzer
Humor unterstreicht die Absurdität des Todes: Von einem vitalen, leidenschaftlichen, denkenden Wesen bleibt nichts weiter übrig, als ein lebloser Haufen Müll. „Life is awful, and then you
die“ 97. Adressiert an schwierige Fragen, wird Humor zur einzig möglichen Antwort, die hilft, das
Chaos zu überstehen. „The greatest irony of black-sick humor is that it is the healthiest survivor
outlook to take” 98.
TUCKER AND DALE VS. EVIL (2010, Eli Craig) ist eine blutige und herzliche Verwechslungskomödie.
Die Backwood-Horror-Parodie reiht Missverständnisse ins Extreme und kreiert auf diese Weise
eine Welt des Absurden und zugleich Unernsten. Sie nimmt den Horrorfilm reflexiv aufs Korn,
indem sie das Genre auf verschobene, verzerrte Weise imitiert. Der Rezipient reagiert mit La-
chen, Kopfschütteln und Zusammenzucken.
Zu Beginn des Films wird man mit einem, für den Horrorfilm üblichen, Plot vertraut gemacht:
Die unattraktiven Hinterwäldler Tucker und Dale bewohnen eine heruntergekommene Hütte im
Nirgendwo Kanadas. Fünf Studierende aus der Stadt machen einen Campingausflug, natürlich
genau an diesem Ort. Die Erwartung bisher: Die Jugendlichen werden bald Opfer der Hillbillies.
Doch der Film dreht den Spieß um. Tucker und Dale sind zwei sympathische, zerstreute AntiHelden, die keinem etwas Böses wollen. Durch die Ungeschicktheit der beiden passieren jedoch
tödliche Unfälle. So beißt ein Jugendlicher nach dem anderen ins Gras (siehe DVD Clip ‚Unfälle‘).
Die Fronten verhärten sich: Wut und Angst auf der Seite der Studenten, Unverständnis und Fra-
gezeichen bei Tucker und Dale. Bindeglied zwischen beiden Gruppen ist die hübsche Allison, die
versucht den Streit zu schlichten. In diesem Vorhaben geschieht der Twist im Film: Einer der
Jugendlichen - Chad - ist ein Mörder. Jetzt kämpfen die guten Hinterwäldler gegen den bösen
Studenten. Wer hätte das gedacht.
In TUCKER AND DALE VS. EVIL verdeutlichen Lächeln und Lachen die Charaktereigenschaften der
Protagonisten. Vor allem am Anfang und am Ende des Films wird gelacht. Zu Beginn sieht man
die Gruppe der Jugendlichen in heiterer, gelöster Stimmung im Auto fahren. Sie scherzen und
haben Spaß (Still 02). Besonders witzig ist die Reaktion der Meute bei der Feststellung, das Bier
vergessen zu haben: Sie schreien, als würde ihnen etwas Fürchterliches passieren (Still 04). Die
Reaktion erscheint dem Betrachter unangemessen, wirkt deshalb komisch. Ebenfalls zu Beginn
des Films werden die tollpatschigen Figuren Tucker und Dale vorgestellt. Fabelhaft ist Dale, der
sich als schüchtern verkrampfter Sensenmann ein Lachen hervorquält, um sich vor der Gruppe
der Jugendlichen nicht zu blamieren (siehe DVD Clip ‚Sensenmann‘). Die klassische Idee vom tod97
98
Gehring, Wes D.: Black Humor, in Handbook of American Film Genres (1988), S. 178
Ebd., S. 181
Seite -40 -
bringenden Sensenmann wird durch Dales zerstreutes, dennoch vitales Lachen gesprengt (Still
05). Wir als Betrachter müssen schmunzeln, weil das Bild unsere Erwartung angenehm irritiert.
Auch Tucker wird eingangs als angenehmer Chaot etabliert. Im Gespräch mit einem Polizisten
redet er sich unter verlegenem Lächeln um Kopf und Kragen (Stills 06, 07). Das verunsicherte
Lächeln wird zu seinem Markenzeichen und taucht im Film wiederholt auf (Still 27). Chad, als
schwarzes Schaf der Jugendgruppe, lächelt im Filmgeschehen stets mehrdeutig (Stills 03, 09, 25).
Der Gesichtsausdruck wirkt falsch, abweisend und übertrieben cool - verhüllendes Imponiergehabe. Der Zuschauer ahnt, dass an ihm etwas faul ist.
Die größte Sympathie erweckt Allison. Sie ist der Inbegriff des Guten. Sie ist es auch, die im Film
mit Abstand am häufigsten lächelt und lacht (Stills 16, 17, 18, 19, 22, 29, 30, 34, 36, 37, 38, 39,
40). Allison animiert zum Mitlachen. Der Zuschauer ist ihr wohlgesonnen. Ihre Heiterkeit zeigt
sich in Szenen, denen auch Dale beiwohnt. Er erwidert ihr Lächeln schüchtern, aber freudvoll
(Stills 20, 23). Es lassen sich gegenseitiges Interesse und Anziehung vermuten.
Im Höhepunkt des Films treffen Tucker und Dale auf den aggressiven Chad: High Noon in der
Waldhütte. Die Stimmung ist gereizt, die Anspannung enorm. Durch Reden, Fragen und besänftigendes Lächeln versucht Allison die Lage zu entschärfen (Still 29). Es gelingt ihr, alle beruhigen
sich. Auch der Zuschauer kommt zu Gelassenheit, der Puls verlangsamt sich, die Muskeln ent-
spannen. Allisons Lächeln aus Erleichterung unterstützt den Entspannungsprozess (Still 30). Im
Augenblick darauf kommt ein Jugendlicher mit einem Rasentrimmer hereingestürmt und zer-
häckselt versehentlich das Gesicht einer Freundin (siehe DVD Clip ‚Streit‘). Hier ist der Wechsel
von Gelöstheit zu Anspannung am größten. Der Schockmoment greift effektiv.
Die letzten vier Minuten des Films gehören Lachen und Lächeln. Kein Wunder, es ist ein Happy
End (siehe DVD Clip ‚Happy End‘). Tucker, Dale und Allison überleben. Im Krankenhaus bekom-
mt Tucker Besuch. Es wird gescherzt (Stills 32, 33). Im Bowlingcenter erfährt man, dass Dale
und Allison ein Paar sind. In freudvoller Euphorie genießen beide den Moment (Stills 34 -40).
Der Film startet und entlässt den Zuschauer in Wohlbefinden.
Anfang und Ende sind es auch, in denen herzhaft und echt gelacht wird. Im Hauptteil ist eher
Lächeln vorzufinden. Während das Lachen dazu dient, die Stimmung aufzulockern, zeichnet das
Lächeln Charakterzüge ab. Hier bestätigen sich die Körperlichkeit des Lachens und die Symbolhaftigkeit des Lächelns.
Seite -41 -
Seite -42 -
5.2 Slasher am Beispiel SCREAM 4
Still
Timecode
Typ
Anlass / Grund
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
16
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18
19
20
21
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23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
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36
37
38
00:00:36
00:01:10
00:01:50
00:07:09
00:07:43
00:11:45
00:13:33
00:13:36
00:15:38
00:16:01
00:17:23
00:19:38
00:19:43
00:19:48
00:20:27
00:21:47
00:22:18
00:24:38
00:25:00
00:26:06
00:26:14
00:26:14
00:32:53
00:40:59
00:41:15
00:48:27
00:49:09
00:55:45
01:08:47
01:10:53
01:11:50
01:16:19
01:16:25
01:18:05
01:24:24
01:38:23
01:38:29
01:40:55
Lachen
Lächeln
Fehler
Fehler
Lachen
Lächeln
Lächeln
Lachen (Schauspiel)
Lächeln
Lächeln
Lächeln (Schauspiel)
Lächeln (Schauspiel)
Lachen
Lächeln
Fehler
Fehler
Lachen (gedämpft)
Lächeln
Lachen
Lächeln (Schauspiel)
Lächeln (Schauspiel)
Lächeln (Schauspiel)
Lachen
Lächeln (Schauspiel)
Lachen (Schauspiel)
Fehler
Lachen (gedämpft)
Fehler
Fehler
Lächeln
Fehler
Lächeln
Lächeln
Fehler
Fehler
Schrei
Schrei
Fehler
Wortkomik
Triumph
Verunsicherung
Verunsicherung
Situationskomik
Zuversicht / Höflichkeit
Abweisung
Situationskomik
Verlegenheit / Zustimmung
Verführung / Zuneigung
für die Kamera
Begrüßung / Höflichkeit
Situationskomik
Begrüßung / Zuneigung
Verunsicherung
Verunsicherung
Boshaftigkeit / Abweisung / Triumph
Begrüßung
Boshaftigkeit / Situationskomik
Höflichkeit / Forderung
Abweisung
Höflichkeit / Forderung
Charakterkomik
Höflichkeit / Forderung
Boshaftigkeit
Sprache / Aggression
Verlegenheit / Situationskomik
Becher vor dem Mund
Panik
Zuversicht
Glas vor dem Mund
Verführung
Verführung
Handy vor dem Gesicht
Sprache / Panik
nach Luft ringen
Schmerz
Hand vor dem Mund
Lachen: 9
Lächeln: 16
Schrei: 2
Fehler: 11
Seite -43 -
Der Slasher, ins Deutsche übersetzt mit ‚Aufschlitzer‘, stellt seit den 70er Jahren bis heute die
wohl am häufigsten auftretende Form des Horrorfilms dar. Dieses Genre weist eine stets gleichbleibende Struktur der Geschichte auf. Zu Beginn wird die Handlungsweise des Mörders, somit
auch der Killer selbst, vorgestellt. Eine Gruppe von Personen, zumeist Jugendliche, wird vom
Mörder gejagt und nacheinander getötet. Wer der Verbrecher ist, bleibt bis zum Ende unklar.
Wie in einem Kriminalfilm, wird der Zuschauer zum Miträtseln animiert und immer wieder auf
falsche Fährten gelockt. Von der Mordserie verschont bleibt das „Final Girl” 99, die Sympathische
aus der Upper-Class. Im Höhepunkt des Films kommt es zum Kampf zwischen ihr und dem
Bösen. Hier wird die Identität des Mörders preisgegeben und sein Motiv erläutert. Der Killer
mordet meist aus persönlichen Gründen, die sich aus Beziehungen zwischen ihm und seinen
auserwählten Opfern ergeben, beispielsweise Rache, Eifersucht oder Missgunst. Das ‚Final Girl‘
besiegt den Aufschlitzer - üblicherweise doppelt, denn das Böse steht noch einmal auf. Slasher
entlassen ihr Publikum mit optimistischem Ausblick.
SCREAM 4 (2011, Wes Craven) berichtet als Fortsetzung, wie seine drei Vorgänger auch, von den
Morden in einer Kleinstadt. Ein Killer ruft seine Opfer an und fragt nach ihren Lieblingshorrorfilmen. Dann werden sie gejagt und mit einem Messer erstochen - ein Slasher, wie er im Buche
steht.
Der Film startet mit einem Film im Film ‚Stab 7‘. Zwei Freundinnen machen sich einen schönen
Abend, sind heiter und entspannt. Es wird gelächelt und gelacht (Stills 01, 02). Im darauf folgenden Moment schlägt der Killer zu und ersticht eine der beiden. Der Wechsel von heiterem Lachen
zu Bedrohung schafft auch hier einen Schockmoment. Eines solchen Spannungswechsels bedient
sich der Film durchgehend. Man nimmt an, dass nach dem ‚Film im Film‘ die Haupthandlung beginnt, es schließt sich aber ein weiter an: ‚Stab 8‘. Die Wiederholung des ‚Film im Film‘ Konzepts
überrascht und wirkt komisch, da die Repetition Steifheit - einem gleichen, mechanischen Muster - unterliegt.
Die folgenden 15 Minuten sind eine Art Begrüßungszeremonie. SCREAM 4 ist eine, für die Fan-
gemeinde langersehnte, Fortsetzung der SCREAM-Reihe. Wir begegnen drei alten Bekannten:
Sidney, das ‚Final Girl‘ der vorangegangenen Teile, Journalistin Gale und Sheriff Dewey. Im ers-
ten Aufeinandertreffen des Gespanns wird Lächeln als Geste der Begrüßung verwendet (siehe
DVD Anfang ‚Begrüßungen‘). Ihre Mimik verrät die Beziehungen zueinander. Gale lächelt Sidney
unaufrichtig höflich an (Still 12) - die beiden stehen im Clinch. Beide quälen sich ein Lachen
hervor, welches darauf deuten soll, das alles in Ordnung ist (Still 13). Sidney begrüßt Dewey mit
einem offenen, herzlichen Lächeln, was Sympathie meint (Still 14). Die neuen Charaktere des
Films, allesamt Studierende an der Universität der amerikanischen Kleinstadt Woodsboro,
werden der alten Belegschaft vorgestellt (siehe DVD Ende ‚Begrüßungen‘). Jill, eine der Jugend-
lichen, lächelt Sidney Aufmerksamkeit erweisend an (Still 18). Während alt auf neu trifft, gilt
99
Neal, Steve: Genre and Hollywood (2003), S. 97
Seite -44 -
Lächeln und Lachen hier auch als Versöhnung mit dem Publikum, in der Hoffnung, die dazugekommenen Charaktere wohlwollend zu empfangen.
In einer witzigen Zwischensequenz erleben wir ein furchtbares Lächeln: das amerikanisch verlogene Grinsen (siehe DVD Clip ‚Publizistin‘). Eine Publizistin interessiert sich für die Morde,
die aktuell passieren. Unter boshaftem Lachen wird klar, dass sie kein Mitleid empfindet, son-
dern nach geeigneten Berichten sucht (Still 19). Gale läuft ihr über den Weg. Stets das verlogene
Lächeln auf den Lippen, versucht die Publizistin Gale Auskünfte zu entlocken. Es soll Wohlwol-
len suggerieren, wirkt aber einfach nur falsch - wie das Grinsen bei Miss-Wahlen. Auch die
Journalistin Gale ist eine Durchtriebene und reagiert mit gekünsteltem, abweisendem Lächeln
(Still 21). Ihre hinterlistige Art demonstriert sich im weiteren Verlauf des Films in verachtendem
Lachen (Still 25) und aufgesetztem Lächeln (Still 24).
Das Massaker von Woodsboro nimmt seinen Lauf. Zwei Studentinnen machen sich einen Spaß
daraus, die Stimme des Killers zu imitieren (Still 23). Eine ihrer Freundinnen muss kurz darauf
ihr Leben lassen. Das Lachen ist auch an dieser Stelle Grundlage des Spannungswechsels.
Gegen Ende lächelt eine der Jugendlichen uneindeutig verführerisch (Stills 32, 33). Ihre Mundbewegung ist mehr als bloße Anmache. Durch die Mehrdeutigkeit ihres Lächelns wird der
Zuschauer dahin gelenkt, sie als Mörderin zu verdächtigen.
Doch Jill, Sidneys Cousine, ist die Killerin. Im Finale verrät sie ihr Motiv: Neid und Geltungssucht.
Im Krankenhaus findet der ultimative Kampf statt: Sydney gegen Jill. Gale, Dewey und eine Poli-
zistin stehen der Guten zur Seite. Das ‚Final Girl‘ Sydney kann Jill zur Strecke bringen. Doch das
Böse steht erneut auf (siehe DVD Clip ‚Auferstehung‘). Die Polizistin der neuen Belegschaft
bringt Jill ein ‚zweites Mal‘ um. Eine zweifache Tötung erscheint komisch. Wiederholung führt
dazu, dass der Zuschauer bereits weiß, wie das Schreckliche zu besiegen ist. Die erneute Auferstehung des Bösen ruft einen finalen Schreck hervor und bringt Vitalität in den fast beendeten
Film, was für Vergnügen sorgt 100. Die alte Crew überlebt, samt der neuen Polizistin.
Aufrichtiges Lachen trifft man in der ersten Hälfte von SCREAM 4 an. Komische Sequenzen bilden
die Basis für nachfolgende Bedrohungen, um Schreck auslösen zu können. In der zweiten Hälfte
des Films weicht das Lachen mehrdeutigem Lächeln. Dieser Wechsel verleiht dem Slasher die
nötige Ernsthaftigkeit und Seriosität. Das mörderische Filmgeschehen kann jetzt eher als wahrhaftig bedrohlich empfunden werden. Hier ist es dem Lachen ohnehin nicht möglich zu greifen.
Interessant in SCREAM 4 ist der Einsatz des Lächelns als Begrüßungsgeste. Eine Versöhnung mit
dem Publikum wird angestrebt. Denn dieses hegt Erwartungen an eine Fortsetzung. Zudem wird
das Lächeln vorrangig als verhüllende Maske eingesetzt, um Charaktere zwiespältig oder hinterhältig erscheinen zu lassen.
100
Sinnge. Paul, William: Laughing Screaming - Modern Hollywood Horror and Comedy (1994), S. 416
Seite -45 -
Seite -46 -
5.3 Splatter und Gore am Beispiel GROTESQUE
Still
Timecode
Typ
Anlass / Grund
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
00:05:22
00:08:06
00:08:14
00:10:45
00:10:52
00:24:06
00:32:12
00:39:20
00:41:45
01:04:23
01:04:52
01:05:15
01:06:02
01:06:32
Schrei
Lachen (gedämpft)
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Fehler
Schrei
Fehler
Fehler
Lächeln (Schauspiel)
Lachen (Schauspiel)
Lachen (Schauspiel)
Lachen (Schauspiel)
Fehler
Angst / Abwehr
Situationskomik / Zuneigung
Zustimmung
Zuneigung
Zustimmung
Knebel im Mund / Ekel / Ablehnung
nach Luft ringen
Knebel im Mund
Knebel im Mund
Verzweiflung / Provokation
Verzweiflung / Boshaftigkeit
Verzweiflung / Boshaftigkeit
Verzweiflung / Provokation
Untertitel
Lachen: 4
Lächeln: 4
Schrei: 2
Fehler: 4
Splatter, zu Deutsch ‚spritzen‘, und Gore, übersetzt ‚geronnenes Blut‘, umschreiben den „Körper-
Horror“ 101. Im Zentrum des Bildgeschehens stehen Blut, Wunden, Verstümmelungen, Innereien,
Organe, Knochen, sowie detaillierte Tötungsprozeduren - „knowledge about the forbidden“ 102.
Während Splatter den Akt des Quälens hervorhebt, zählen bei Gore die Ergebnisse der Verletz-
ungen 103. Häufig vermischen sich die beiden Formen. Als Ekel erregende Anschläge auf unsere
Rezeptionsgewohnheiten, wird Körper-Horror zur extremen Mutprobe 104. Close-Ups reduzieren
Distanz und konfrontieren den Zuschauer mit radikal Abscheulichem. „Der zur Passivität verdammte Rezipient wird durch diese expliziten Darstellungen physischer Auflösung gezwungen,
sich zu seiner eigenen Körperlichkeit in Beziehung zu sehen, ohne darauf reagieren zu kön-
nen“ 105. Geschichte und Charaktere rücken völlig in den Hintergrund. Empathie ist fehl am Platz.
Beim Körper-Horror zählen ausschließlich blutige, quälerische Effekte. Gore und Splatter ap-
pellieren an die morbide Neugier auf das Innere des fremden Körpers unter gefühlsmäßigem
Abstand, kindlicher Zerstörungslust und der Freude an der Dominanz über andere 106.
101
102
103
104
105
106
Wikipedia: Horrorfilm - http://de.wikipedia.org/wiki/Horrorfilm (Stand 15.10.2012)
Humphries, Reynold: Feardotcom, in American Horror Film - The Genre at the Turn of the Millennium (2011), S. 66
Sinnge. Wikipedia: Gore - http://de.wikipedia.org/wiki/Gore (Stand 15.10.2012)
Sinnge. Dietze, Gabriele: Bluten Häuten Fragmentieren , in Splatter Movies (2006), S. 89
Stiglegger, Marcus: Blick und Ökonomie, in Splatter Movies (2006), S. 136
Sinnge. ebd., S. 134
Seite -47 -
Körper-Horror „überschreitet biologische Wirklichkeiten“ 107. Diese Form des Horrorfilms nimmt
eine Ästhetisierung vor, welche sich von wirklichkeitsnaher Figuralität entfernt. In ihrer Visualisierung wirken die Verstümmelungs- und Tötungsakte übertrieben, künstlich und surreal. So
werden die Spezialeffekte als solche begriffen. Wir wissen, dass die Quälerei unecht ist. Der Grad
der Glaubwürdigkeit ist dementsprechend gering. Das Geschehen lässt sich als wenig bedrohlich
einstufen, erreicht bei einem hohen Maß an Übertreibung komische Züge. Wie eine Verkleidung
stülpen sich die Effekthaschereien über die ohnehin schon profillosen Darsteller. Die Proze-
duren wirken fratzenhaft, leblos und fabriziert. In Splatter und Gore werden visuelle Effekte zur
grotesken Maske, die in ihrer künstlichen, aufgesetzten und verzerrten Erscheinung eher komisch anmutet, als bedrohlich und erschreckend.
Die Geschichte von GROTEQUE (2009, Kôji Shiraishi) ist schnell erzählt: Ein junges Pärchen wird
von einem Fremden entführt und in einem Keller gefangen gehalten. Dort foltert er sie auf
intensiv sadistische Weise zu Tode. Die Motivation der Gräueltaten liegt in der Belustigung des
Killers. Er möchte etwas spüren, erregt werden. Der Film macht keinen Hehl daraus, wenig
Geschichte zu bieten. Auf der Rückseite des DVD Covers steht: ‚The Skin, like all barriers, can be
stripped away‘. Stellen wir uns auf Extreme ein. Ganze 55 Minuten des 73minütigen Streifens
nehmen die Folterszenarien in Anspruch. Die Charaktere sind eigentlich schon zu Beginn des
Films tot: Ohne besondere Charakterzüge und Hintergrundgeschichte wirkt das junge, japanische Pärchen beliebig und austauschbar. So unterbindet man das Mitleid. Zu keiner Zeit werden
Opfer oder Killer mit Namen angesprochen.
Nur wenig Lachen findet sich in Groteque wieder. Lediglich zwei Szenen weisen tatsächlich Ge-
lächter auf - abermals eingangs und am Ende des Films. Interessant ist der Schrei in Still 01: Der
Entführer begrüßt seine Opfer im Keller, hat die Folter noch nicht begonnen. Winselnd schreien
die beiden Gefangenen lauthals aus Angst vor dem Ungewissen, in der Hoffnung die Situation ab-
wehren zu können. Die Ähnlichkeit mit boshaften Lachen, durch die rhythmisch malträtierten,
künstlichen Laute, ist erheblich (siehe DVD Clip ‚Schrei‘). Lediglich der weinerliche Charakter
der Schreie bestätigt die Reaktion aus Angst.
Wirkliches Lachen zeigt die einzige Rückblende im Film. Die Szene präsentiert das Pärchen in
heiterer Stimmung beim ersten Date und platziert sich im ersten Drittel von GROTESQUE, noch
vor der wirklich grausamen Folter. Hier treffen wir auf japanisch höfliche Zurückhaltung. Der
Mann hat einen Speiserest am Mundwinkel. Die Frau möchte eigentlich lachen, bremst dieses
aber durch ein Lächeln ab (Still 02). Ihr Verstand verbietet herzhaftes Lachen aus Anstandsgrün-
den (siehe DVD Clip ‚Date‘). Im weiteren Verlauf des Kennenlernens bestätigt sich die Zuneigung
der beiden durch Lächeln (Stills 03, 04, 05). Die gelöste Atmosphäre wird durch den Überfall
des Sadisten gebrochen. Spannung entsteht.
107
Winter, Rainer: Der produktive Zuschauer - Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess (1995), S. 135
Seite -48 -
Jetzt beginnt das Folterspiel in dem mit Plastikfolien verhangenen Kellerraum. Um den Grad der
Gewaltdarstellung zu verdeutlichen, hier eine chronologische Reihenfolge der Prozeduren: Der
Killer entblößt die Frau, demütigt sie in ihrer Nacktheit. Er leckt ihre Brust und penetriert ihre
Vagina mit den Fingern. Der Mann muss an seiner Hand riechen - eine demütigende Geste des
Triumphs. Mit einer Schere entfernt der Hobbydoktor die Brustwarzen der Frau und trennt ihre
Finger ab. Aufgefädelt zu einer Kette, legt er diese dem Mann um. Dem jungen Japaner ergeht es
nicht besser. Ihm werden Nägel durch die Hoden geschlagen, eine Nadel ins Auge gestochen und
sein Penis abgeschnitten. Ein Wunder, dass beide noch leben. Der Verrückte pflegt das Pärchen
wieder halbwegs gesund, um seine Folter möglichst lange durchführen zu können. Weiter geht’s.
Den Bauch aufgeschlitzt, die Innereien herausquellend, wird der Darm des jungen Mannes zu
einer Art Hundeleine. Unter Qualen muss er seine Geliebte erreichen, stirbt daran. Die Aufreihung all der Grausamkeiten soll verdeutlichen, dass es sich um ein unmögliches Konstrukt
handelt. Der Tod der Protagonisten würde wesentlich früher einsetzen. Das nur mittelmäßige
Schauspiel, sowie übertrieben inszenierte Spezial- und Maskeneffekte erzeugen Unglaubwürdigkeit. Komisch wird das Geschehen jedoch nicht. Der Film ist um Ernsthaftigkeit bemüht, kann
diese aber nicht immer halten.
Vor allem das Finale wirkt lächerlich. Und hier wird tatsächlich noch einmal gelacht. Der Killer
fordert die Frau auf, ihren Überlebenswillen zu zeigen. Die Gepeinigte weiß, dass sie sterben
wird, hat sich aufgegeben, den Kopf verloren und flüchtet ins Lachen (Stills 11, 12, 13). Sie ver-
spottet ihn hämisch. Durch provozierende Beleidigungen versucht sie den Triumph des Killers
zu schmälern. Letztendlich ist ihr Lachen aber eine Reaktion schierer Verzweiflung (siehe DVD
Anfang Clip ‚Kopf‘). Unter klassischer Musik bohrt der Mörder eine Kettensäge in den Bauch der
Frau und trennt mit selbigem Instrument ihren Kopf ab. Blut fließt in Strömen. Die Augen immer noch geöffnet, wirft der Kopf der Frau noch einen letzten Blick auf ihren verstümmelten
Freund (siehe DVD Ende Clip ‚Kopf‘). In diesem Moment kann sich der Film selbst nicht mehr
ernst nehmen. Wahrhaft grotesk gibt sich das Szenario der Lächerlichkeit preis.
In GROTESQUE wird nur sehr wenig gelacht: Anfangs in der Rückblende, um an eine friedvolle,
harmonische Welt zu erinnern und ausgangs in der Visualisierung von Verzweiflung, Scheitern
und Zusammenbruch. Von Gore und Splatter, welche zum Ziel haben, körperliche Destruktion zu
zelebrieren, war nichts anderes zu erwarten.
Seite -49 -
Seite -50 -
5.4 Psychoterror am Beispiel MARTYRS
Still
Timecode
Typ
Anlass / Grund / Zeichen
01
02
03
04
05
06
07
08
09
10
11
12
13
14
15
16
17
18
00:01:15
00:09:02
00:09:58
00:10:04
00:10:18
00:10:25
00:10:35
00:11:33
00:11:36
00:57:16
01:02:55
01:03:25
01:10:45
01:13:11
01:13:30
01:23:36
01:38:42
01:39:00
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Lachen
Lachen
Lachen
Fehler
Lachen (Schauspiel)
Lächeln
Schrei
Fehler
Lächeln
Fehler
Schrei
Fehler
Fehler
Lachen
Lachen
Foto in Zeitung
Witz / Triumph
Wortkomik / Ironie
Charakterkomik
Situationskomik
Situationskomik
Sprache
Ablehnung / Boshaftigkeit
Verlegenheit
Schmerz
Sprache
Überzeugung / Begeisterung
Kraftlosigkeit / Erschöpfung
Schmerz
Weinen
Empfindungslosigkeit / Abwesenheit
Komik / Spiel
Spiel
Lachen: 6
Lächeln: 5
Schrei: 2
Fehler: 5
Terrorfilme bedrohen ein höchst humanes Verlangen: die Individualität. Der Mensch weigert
sich ein Typ zu sein, will als besonders angesehen werden. Die Werbung propagiert nicht mehr
Idealkonstellationen, sondern einzigartige Charaktere. Sie adressiert ein Publikum, das bemüht
sein muss, sich Alleinstellungsmerkmale zu suchen. Individualität und Alternativität werden
uniform, doch das ist ein anderes Thema. Die Opfer in Terrorfilmen sind gleichgeschaltet, reduziert auf ihren Körper, eine Menge Fleisch. Ihr Wille wird entrissen. Sie zählen nicht. Es gibt
keine Motivation der Gewaltakte, die sich durch eine Beziehung zwischen Täter und Opfer ge-
nerieren könnte. Vergebens sucht man eine persönliche Verbindung zwischen Folterer und
Betroffenen. Beliebig werden die Opfer gewählt. Dies macht die Allgegenwärtigkeit des Bösen
präsent. Zudem erzeugt es Irritation, weil schwer zu begreifen ist, warum gerade diese Person
umgebracht wird.
Im psychologischen Terror mischt sich die Komponente des Dramas unter. Während beim Kör-
per-Horror profillose Charaktere geschlachtet werden, erzeugt der psychologische Horror eine
emotionale Bindung zwischen Opfer und Rezipient. Mitleid wird erregt, besser: Der Betrachter
leidet mit. Die Sympathien liegen klar auf der Seite der Gepeinigten. Für die perfide Folter bleibt
nichts als Unverständnis übrig. Der Gerechtigkeitssinn rührt sich. Es wird Partei ergriffen.
Seite -51 -
Die Handlung des französischen Films MARTYRS (2008, Pascal Laugier) gestaltet sich komplexer
als in den bisherigen Beispiele. Sollte man einen Satz bilden: Wir begleiten den Leidensweg der
Anna. Das reicht nicht aus. Im ersten Bild des Films flüchtet ein junges Mädchen schreiend von
einem Fabrikgelände. Sie wurde an diesem Ort aufs Bestialische gequält. Ihr Name ist Lucie. Die
Vorgeschichte erzählt von ihrer Kindheit im Waisenhaus. Dort lernt sie Anna kennen. Beide werden beste Freunde. Von der Folter geprägte Halluzinationen, veranlassen Lucie, sich selbst zu
verletzten. Sie nimmt an, von einem Monster verfolgt zu werden. Der Rezipient erwartet einen
fantastischen Film.
Der Titel blendet ein, erst jetzt, 15 Jahre später, beginnt die eigentliche Handlung. Eine Jugend-
liche wird verfolgt und zu Boden geworfen. Die Stimmung kippt von bedrohlicher Spannung in
Komik, als man erfährt, dass die Hatz lediglich ein Spiel von Geschwistern ist. Der Wechsel er-
folgt unvermittelt, greift wirkungsvoll (siehe DVD Clip ‚Frühstück‘). Die junge Frau kichert und
lächelt (Still 02). Am Frühstückstisch wird gescherzt. Der Bruder imitiert das Gehabe seiner
Schwester, sie muss über die Charakterkomik lachen (Still 03). Vom Garten bringt die Mutter
eine tote Maus in die Küche und fuchtelt damit herum. Sie sorgt für spontane Situationskomik
(Stills 05, 06). Als beim Frühstück ernsthaftere Themen, wie das richtige Studium für den Sohn,
angesprochen werden, weicht das heitere, echte Lachen einem schauspielerischen, bösen La-
chen der Mutter (Still 07). Der Jugendliche reagiert mit einem verlegenen Lächeln (Still 08). Der
Wandel von Gelöstheit zu Ernsthaftigkeit bereitet die kommenden Ereignisse vor. Lucie stürmt
die Wohnung und erschießt die gesamte Familie. Vater und Mutter waren ihre Folterer. Nach
vollbrachter Tat ruft sie Anna an und bittet um Hilfe.
Lucies Halluzinationen kehren zurück. Ihr Monster verfolgt sie durch das Haus der Peiniger.
Fürsorglich kümmert sich Anna um die wahnsinnige Lucie. Doch das Monster ist stärker, Lucie
begeht Selbstmord. Im Haus findet Anna einen Kellerraum, in welchem eine weitere Frau fest-
gehalten wird. Auch sie erlebt selbstzerstörerische Visionen (Still 10). Liebevoll und routiniert
versucht Anna die verwirrte Frau in die Realität zurückzuführen. Schon hier empfindet der Zuschauer Sympathie für die starke, junge Frau.
Fremde betreten das Haus. Anna wird selbst zur Gefangenen. Ungewöhnlicherweise geschieht
hier schon der Twist im Film, etwa in der Mitte der Spieldauer. Der Twist in MARTYRS ist nicht
identisch mit seinem Höhepunkt. Eine ältere Dame, die Anführerin der Gruppe, setzt sich zu
Anna und erklärt, warum sie bald gequält wird. Bei ihren Ausführungen lächelt sie überzeugt
(Still 12). Durch systematische Folter sollen die Probanden an den Rand von Leben und Tod ge-
bracht werden - den Nahtod. In diesem transzendentalen Zustand können sie davon berichten,
wie das Leben nach dem Sterben aussieht (siehe DVD Clip ‚Motiv‘). Grausamkeit im Zeichen der
Wissenschaft: Ein Spiel mit dem Gewissen des Zuschauers. Schon zu Frankensteins Zeiten wird
die Forschung in Frage gestellt. In MARTYRS weicht das übernatürliche, unglaubhafte Element
aktuell möglichen Menschenversuchen. Der Twist nimmt zudem einen Spannungswechsel vor.
Seite -52 -
Während man bisher einen von Surprise und Suspense getriebenen Monsterfilm betrachtet hat,
kippt dieser jetzt in psychologischen Horror unter Mystery-Spannung: Die Kamera bleibt stets
bei Anna. Der Beobachter weiß genau so viel wie sie, kann sich mit ihr identifizieren - mitfühlen
und mitleiden. Er wird selbst zum Märtyrer, zu Deutsch ‚Zeuge‘.
Annas Leidensweg beginnt. In dem klinisch sterilen Keller werden ihr die Haare geschoren. Bis
zur Bewusstlosigkeit drischt man auf sie ein. Der ‚Smile Shutter‘ dokumentiert ihr Leiden (Stills
13 - 16). Über einen ungewiss langen Zeitraum erträgt Anna die Quälereien und fängt ebenfalls
an, zu halluzinieren. Sie hört Lucies Stimme, die sagt, dass alles gut wird.
Im Höhepunkt des Films wird Anna die Haut bei lebendigem Leib abgezogen. Splatter würde
hier explizite Bilder zeigen, MARTYRS reduziert sich auf das, was für die Handlung wirklich nötig
ist, präsentiert Gewalt nicht des Effekts wegen. Die alte Dame lauscht Annas Nahtoderfahrungen
gespannt. Doch bevor sie der gesammelten Gruppe davon berichtet, erschießt sie sich. Im letzten
Bild des Films fährt die Kamera auf das Gesicht der gehäuteten Anna. Der Zuschauer weiß nicht,
ob sie noch lebt oder endlich tot ist. Aber die Gewissheit besteht, dass sie niemals wieder glücklich sein wird - ein katastrophales Ende.
Den Abspann begleiten vor dem Waisenhaus geschossene Super8-Aufnahmen. Sie zeigen Anna
und Lucie herumspringend und fröhlich spielend. Anna lacht direkt in die Kamera (Stills 17, 18).
Man möchte meinen, dass die Bilder den Zuschauer versöhnen, doch umgekehrtes ist der Fall. Es
handelt sich um unwiederbringliche Momente der Vergangenheit. Damals war alles gut, jetzt
schrecklich und keine Hoffnung in Sicht. Melancholische Musik unterstützt die Tragik. Dank
hoher Empathie, welche der psychologische Horrorfilm hervorruft, reizt das Lachen an dieser
Stelle eher zum Weinen. Man verzweifelt mit Anna.
Echtes Lachen tritt in MARTYRS nur am Anfang der Haupthandlung auf. Es bildet eine Brücke der
Entspannung zwischen zwei schockierenden Momenten. Das Lachen im Abspann ist Sinnbild für
eine harmonische Vergangenheit und kreiert reflexive Melancholie, welche den Rezipienten das
Geschehen rekapitulieren und Film nachhallen lässt.
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5.5 Exploitation am Beispiel A SERIBAN FILM
Still
Timecode
Typ
Anlass / Grund / Zeichen
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30
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00:05:14
00:06:51
00:07:49
00:08:02
00:08:03
00:25:09
00:26:43
00:27:33
00:28:59
00:36:31
00:40:15
00:46:26
00:47:06
00:51:11
00:51:30
00:55:40
00:56:32
01:03:28
01:04:27
01:04:35
01:06:10
01:15:59
01:16:36
01:17:12
01:22:24
01:24:23
01:28:26
01:28:42
01:29:29
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Fehler
Lachen
Lachen
Fehler
Fehler
Schrei
Fehler
Fehler
Lachen
Lächeln
Schrei
Lachen
Fehler
Fehler
Lachen (Schauspiel)
Fehler
Lachen
Lächeln
Fehler
Lächeln
Lachen
Lächeln
Fehler
Lächeln
Lächeln
Lächeln
Fehler
sexuelle Erregtheit / Dominanz
Verführung / Erhabenheit
Situationskomik
Glas vor dem Mund
Wortkomik
Wortkomik
Löffel im Mund
Apfel im Mund
Orgasmus
Sprache
Eis im Mund
Spiel / Situationskomik
Dominanz / Triumph
Angst / Abweisung
Spiel
Anspannung
Sprache
Boshaftigkeit / Charakterkomik
Foyer
Boshaftigkeit / Witz
Verführung / Erhabenheit
nackte Frau
Verführung
Situationskomik / Aufforderung
Triumph
Rauschzustand
Verführung / Dominanz
Triumph / Dominanz
Boshaftigkeit / Triumph
Schaum vorm Mund
Lachen: 7
Lächeln: 10
Schrei: 2
Fehler: 11
Exploitation bedeutet ‚Ausbeutung‘. Filme dieser Art brechen jedes denkbare Tabu mit dem Ziel
zu provozieren. Während die exzessiven Gewaltakte im Körper-Horror als übertrieben unecht
eingestuft werden, setzt Exploitation auf Glaubwürdigkeit, präsentiert Grausamkeiten in ähnlich
ausführlichem Maß. Auch der ‚Torture-Porn‘ fällt unter diese Gattung. Horror und Pornografie
zielen auf körperliche Reaktionen des Rezipienten. Beiden inhäriert die Faszination vom Leib
des Menschen. Machtverhältnisse, also Dominanz und Unterdrückung, spielen eine große Rolle.
Im ‚Torture-Porn‘ steht Sex als Metapher von Gewalt, nicht Gewalt als Metapher für Sex 108.
108
Sinnge. Dietze, Gabriele: Bluten Häuten Fragmentieren , in Splatter Movies (2006), S. 97
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A SERBIAN FILM (2010, Srdjan Spasojevic) schneidet so ziemlich jedes vorstellbare Tabuthema an:
Drogenmissbrauch, Vergewaltigung, Sex mit Kindern, Inzest, Nekrophilie bis hin zum ‚Newborn
Porn‘. Milos ist ein glücklicher Vater und ehemaliger Pornostar. Seine Leidenschaft für das
Metier wird durch das erste Lächeln im Film aus sexueller Erregtheit unterstrichen (Still 01).
Eine rothaarige Mysteriöse bietet ihm an, für viel Geld bei einem Kunstporno mitzuspielen.
Durch ein verführerisches Lächeln versucht sie Milos um den Finger zu wickeln (Still 02). Als sie
ihm das Angebot unterbreitet weicht das Lächeln ernster Mimik, um die Seriosität der Offerte zu
untermauern. Milos willigt ein.
Der Film lässt sich reichlich Zeit, die Charaktere der Geschichte einzuführen. Erst ab Minute 30
beginnen die makabren Dreharbeiten. Milos Familienleben wird als harmonisch geschildet. Allerdings fehlt es an Geld. Sein Bruder ist neidisch auf das Familienglück und sexuell angezogen
von der Frau des Ex-Pornostars. In einer Sequenz lässt er sich oral befriedigen, während ein Geburtstagsvideo von Milos Sohn läuft (siehe DVD Clip ‚Geburtstag‘). Das Video veranschaulicht
eine glückliche, ausgelassene Familie, die gemeinsam lacht, spielt und scherzt (Still 12). Lachen
wird hier zum Symbol eines erstrebenswerten Gutes, nach welchem Milos Bruder giert.
Der Film spielt mit Bildern des Oralen. Fehlaufnahmen des ‚Smile Shutters‘ verdeutlichen dies:
Milos Sohn isst Müsli (Still 07). Ein junges Mädchen lutscht an einem Eis (Still 11). Milos Frau
beißt in Anwesenheit des Bruders in die verbotene Frucht, einen Apfel (Still 08). All das sind
sexuelle Anspielungen auf Passivität und Vorbereitungen für nachfolgende Handlungen.
Der Zuschauer wird mit dem Regisseur Vukmir vertraut gemacht. Ihm wird als Charaktereigen-
schaft ein böses Lachen zugeschrieben (siehe DVD Clip ‚Vukmir‘). Sein uneindeutiges Gelächter
wirkt verschüchternd und markiert Dominanz sowie Macht (Stills 18, 20). Vukmirs Gefolgschaft
ist eher das Lächeln vorbehalten. Frauen, die für ihn arbeiten, grinsen verführerisch erhaben
(Stills 02, 21, 27). Das Lächeln der Männer zeugt von triumphierender, aggressiver Überlegenheit (Stills 13, 28).
Die Dreharbeiten beginnen. Milos wird unter Drogen gesetzt, die ihn willenlos, haltlos, steuer-
bar, potent und aggressiv machen. Er schlägt eine Frau im Rausch und wird dabei von einem
Mann aus Vukmirs Truppe gewürgt (Stills 13, 14). Unter Drogen erscheinen ihm Visionen von
seinem Sohn. Der Bube singt spielerisch und lacht dabei (Still 15). Spiel und Traum sind durch
ihren Schwebezustand zwischen Realitäten miteinander verwandt. Das Lachen wird hier zum
Synonym für Unbeherrschtheit und außer Kontrolle Geratenes.
Im nächsten Part des Drehs köpft Milos eine Frau während des Geschlechtsverkehrs. Dritter Akt:
Als er ein Mädchen entjungfern soll, weigert Milos sich (siehe DVD Clip ‚Oma‘). Die Kleine lächelt
ihn verführerisch auffordernd an (Still 23). Auch die Großmutter des Mädchens ist Teil der Szene und drängt darauf, dass Milos mit ihr schläft. Im nickenden Lachen willigt sie der Gräueltat
ein (Still 24). Milos droht damit, seinen Penis abzuschneiden, wenn die Dreharbeiten nicht gestoppt werden. Mit einem triumphierenden Lächeln flüchtet er aus dem Fenster (Still 25).
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Milos stößt auf die Videoaufnahmen des perfiden Drehs. Diese bieten Aufschluss über die brutale Welt des bestialischen Kunstpornoregisseurs. Einer Frau sind alle Zähne gezogen. Während
sie einen Maskierten oral stimulieren muss, hält dieser ihr die Nase zu, sodass sie erstickt. Auf
einem weiteren Band sieht Milos sich selbst, betäubt und regungslos auf einer Pritsche liegend.
Ein Mitarbeiter Vukmirs vergewaltigt ihn. An diesen Stellen bleibt das Lachen im Halse stecken.
Es kommt noch Schlimmer.
Im Finale wird Milos erneut Rauschgift eingeflößt. Völlig neben der Spur beobachtet er seinen
Bruder, welcher seine Frau vergewaltigt. Milos selbst missbraucht den eigenen Sohn. Vukmir
lächelt schadenfroh über die morbide Familienzusammenführung (Still 29) und Milos Bruder
grinst siegend nach seinem Orgasmus (Still 28). Auch hier dient das Lächeln zur Demonstration
der Macht des Bösen (siehe DVD Ende Clip ‚Vukmir‘).
Milos Familie überlebt die Hölle in einem desolaten Zustand. Der gemeinsame Selbstmord wird
zur Flucht, dem Ausweg. Ein Kamerateam betritt das Haus der Familie, sieht die Leichen. Der
Regisseur weist an, man solle mit dem Kleinsten beginnen. An dieser Stelle endet der Film - in
totaler Zerstörung.
In A SERBIAN FILM lacht vor allem das Böse. Lächeln und Lachen dienen der Zuschreibung von
Machtverhältnissen. Die Uneindeutigkeit hämischen Lachens hält uns vom Mitlachen ab, erzeugt
Antipathie und Irritation. Lächelnde Frauen in diesem Film, hegen verführerische Absichten. Das
Lächeln wird in A SERBIAN FILM Ausdruck sexueller Begierde, im Kontext des Horrorfilms auch
unterschwellig Expression von Gewalt.
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6 Resümee: Der Ernst der Lage
Lachen ist Panzer, Schall und Antwort. Die Ausdrucksbewegung Lachen tritt eruptiv, unvorhersehbar und unwillkürlich ein. Zwar liegt der Auslöser des Lachens in einem intellektuellen, von
Verstand generierten Anlass, jedoch hat im Lachen selbst, das Denken keinen Platz. Der Körper
übernimmt die Kontrolle in unbeantwortbaren, nicht lebensbedrohlichen, gewissermaßen unernsten Lagen. Dies ist die einzig sinnvolle Antwort - eine Art Selbstschutz. So erzeugt Lachen
Abstand zu ambivalenten Mehrdeutigkeiten. Hier fließt die Spannung aus Irritiertheit in heiterer
Lust ab. Wahrhaftiges Lachen ergibt sich aus Spiel, Komik, Witz und Mitlachen. Kitzel ruft als
äußerlicher Reiz lediglich Kichern hervor. In Verlegenheit wird Lachen zur Notlösung, in Verzweiflung zur Sackgasse. Krankheit zeigt das Gelächter in gestörter, dysfunktionaler Form.
Während Lachen eine unregulierbare Körperbewegung ohne meinenden Charakter darstellt, gilt
das bewusste Lächeln als Gebärdensprache. Die Mimik des Lächelns lässt sich durch den Verstand beeinflussen. Wie hämisches Gelächter, gilt provoziertes Lächeln als eine Art Schauspiel.
Durch seine stillschweigende und milde Erscheinungsweise, können sich sowohl positiv als auch
negativ deutbare Symbole hinter einem Lächeln verstecken. Die Uneindeutigkeit des Lächelns
lässt Irritationen zu.
Horrorfilme spielen mit der Angst vor dem Unbekannten und Unvorgestellten. Ihr Sujet umfasst
die körperliche und psychische Zerstörung des Menschen. Isolierung, Simplifizierung, Offenheit,
Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit markieren die Struktur aktueller Horrorfilme. Fantastische
Wesen weichen menschlichen Killern: Horror bedroht den Alltag. Angstlust erlaubt es dem Be-
obachter sensationelle Gefühle bei der Rezeption von schrecklichen Ereignissen zu erleben, in
der Gewissheit den Höllentrip unversehrt zu überstehen. Schock, Schreck und Angst werden
durch eine bedrohliche Spannung hervorgerufen, welche sich überwiegend durch Surprise und
Suspense äußert. Das Genre Horror braucht die Visualisierung des Lachens und bedient sich an
Elementen der Komik, um überraschend zu Bedrohung wechseln zu können. Das größtmögliche
Spannungsgefälle liegt im Wandel von entspannter Heiterkeit in komischen Momenten zu verkrampfter Bedrängnis in ängstigenden, erschreckenden Augenblicken. Horror und Lachen zielen
auf rein körperliche Reaktionen. Beide zelebrieren Körperlichkeit: Horror im Ernst, Lachen im
Unernst. Der Ernst der Lage entscheidet, ob der Horrorfilm zum Lachen reizt.
Die Analyse der fünf verschiedenen Filmbeispiele mittels ‚Smile Shutter‘ kristallisiert Tenden-
zen, welche Auftreten und Funktion des Lachens im Horrorfilm betreffen. Gerade am Anfang von
Filmen dieses Genres findet sich echtes Lachen aus komischen, witzigen oder verspielten Anlässen vor. Der Rezipient wird in eine lockere, entspannte Stimmung versetzt, gelegentlich auch
zum Mitlachen animiert. Lachen ist hier Indiz für eine harmonische, schöne Welt in der alles in
Ordnung scheint. Die heiteren Momente symbolisieren eine Stabilität, die später durch das Böse
ins Wanken gerät.
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Im Hauptteil des Films ist kein Platz für wahrhaftiges Lachen, demnach kein Platz für Spiel, Witz
und Komik. Ernst und Bedrohung dominieren. Erst am Ende kehrt das Lachen zurück. Doch hier
muss man zwischen Happy End und tragischem Ausgang unterscheiden. Im Happy End wird
ausgiebig und herzlich gelacht. Die Stabilität ist wieder hergestellt. Alles wird gut. Der Zuschauer
soll sich mit den Überlebenden freuen. Findet sich im tragischen Ende Lachen vor, handelt es
sich nicht um echtes Lachen. Verzweifeltes Gelächter beispielsweise, unterstreicht die Ausweg-
losigkeit und das unausweichlich katastrophale Ende. Im Abspann des Films MARTYRS erzeugen
fröhliche, ausgelassene Bilder vergangener Tage Melancholie und erinnern reflexiv an den Todernst der Gegenwart. Lachen im tragischen Ende verliert seinen erheiternden, vitalen Bezug,
wird zum starren Objekt, das keine Antwort mehr liefern kann. Die Lage ist zu seriös, zu bedrohlich.
Bösartiges Lachen tritt unabhängig von Anfang und Ende auf. Es ist den Antagonisten vorbehalten. Der Killer verspottet seine Opfer. Hämisches Gelächter wirkt verstörenden und irritierend.
Der Mörder lacht so auch den Zuschauer aus, bedrängt ihn durch dröhnende Laute in einem La-
chen, welches sich nicht zuordnen lässt. Gespieltes, fieses Lachen ist Zeichen von Bedrohung und
Übermacht. Es repräsentiert eklatant Abnormales, während aufrichtiges Lachen die Normalität
bejaht.
Gelächelt wird im Horrorfilm öfter als sich Lachen vorfindet. Dabei erfüllt das Lächeln drei
Funktionen. Zum Ersten charakterisiert es die Protagonisten. Ehrliches Lächeln vermittelt Sympathie. Mit sanft lächelnden Haupthelden will sich der Zuschauer identifizieren. Schusseligkeit
wird durch verlegenes Lächeln unterstrichen. Das verlogene Grinsen weist auf einen durchtriebenen Charakter hin. Verführerisches Lächeln wirkt geheimnisvoll, mehrdeutig und sorgt so für
unangenehm angenehme Spannung. Zum Zweiten markiert Lächeln das Beziehungsgeflecht der
Akteure untereinander. Lächeln kann sich als Zustimmung, Zuneigung oder Abweisung äußern.
Zum Dritten demonstriert Lächeln Macht. Dominanz und Triumpf finden in einem verschmitzten
Grinsen Ausdruck: sowohl auf der guten, aber viel häufiger auf der bösen Seite.
Zusammengefasst: Gelacht wird im Horrorfilm wenig. Wahrhaftes Lachen erscheint hauptsäch-
lich zu Beginn. Gerade die zweite Filmhälfte ist der ernsten Bedrohung gewidmet. Hier wird
Lachen vermieden. Im Happy End taucht das heitere Lachen erneut auf. Tragische Enden zeigen
Lachen aus Verzweiflung oder nutzen Lachen als Mittel der Rückbesinnung. Bösartiges Lachen
verteilt sich über den Film hinweg. Im Horrorfilm wird häufiger gelächelt als gelacht. Lächeln
erscheint in allen denkbaren Facetten und durch den Film hinweg.
Am Ende jedes Horrorfilms steht eine paradoxe Schadenfreude. Spätestens mit dem Erscheinen
des Abspanns wird klar: Der Zuschauer als Übriggebliebener, manchmal sogar nur einzig Überlebender, kann sich in Sicherheit wiegen und weiß, dass er auch weitere Höllentrips übersteht.
Gerade für die sadistischen, ernstgemeinten Folter- und Terrorfilme der Gegenwart gilt: ‚Humor
ist, wenn man trotzdem lacht‘ - in der Hoffnung durch Lachen reflexiven Abstand zu gewinnen.
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Quellenverzeichnis
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Unbekannter Fotograf: Tatortfotografie Elizabeth Short, 1974
http://3.bp.blogspot.com/_lkrkopC-rKo/TU8bMdhpKBI/AAAAAAAAD58/1GDJVaHkhzw/
s1600/2.jpg
Unbekannter Fotograf: Tatortfotografie Elizabeth Short, 1974
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s1600/3.jpg
Seite 05:
Videostill aus KUCHISAKE-ONNA (Kôji Shiraishi, Tornado Film 2007)
http://www.strictlysplatter.com/images/0078-1.png
Videostill aus THE DARK KNIGHT (Christopher Nolan, Warner Bros. Pictures 2008)
http://static.guim.co.uk/sys-images/Film/Pix/pictures/2008/07/02/joker460.jpg
Videostill aus AMERICAN HORROR STORY Staffel 1 Episode 9 SPOOKY LITTLE GIRL
(John Scott, 20th Century Fox Television 2012)
http://images3.wikia.nocookie.net/__cb20111205001526/americanhorrorstory/images/
a/a5/American-horror-story-01x09-spooky-little-girl-flv_001896105.jpg
Seite 07:
Wikimedia Commons / Josh Plueger: Military dog barking, 2007
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Military_dog_barking.JPG
picture-alliance/ dpa/dpaweb: Mel Brooks, 2009
http://www.bz-berlin.de/multimedia/archive/00067/mel_brooksfertig_67410a.jpg
Seite 20:
Videostill aus THE HUMAN CENTIPEDE II - FULL SEQUENCE (Tom Six, Six Entertainment 2011)
http://qfxblog.files.wordpress.com/2011/11/the-human-centipede-2.jpg
Seite 25:
Filmposter TWILIGHT (Catherine Hardwicke, Summit Entertainment 2008)
http://www.joblo.com/posters/images/full/2008-twilight-1.jpg
Filmposter FIDO (Andrew Currie, Anagram Pictures 2006)
http://www.joblo.com/posters/images/full/2007-fido-1.jpg
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Filmposter REPO! THE GENETIC OPERA (Darren Lynn Bousman, Twisted Pictures 2008)
http://www.joblo.com/posters/images/full/2008-repo_the_genetic_opera-1.jpg
Filmposter COWBOYS & ALIENS (Jon Favreau, Universal Pictures 2011)
http://www.joblo.com/posters/images/full/cowboys-aliens-poster.jpg
Filmposter TROLLHUNTER (André Øvredal, Filmkameratene A/S 2010)
http://www.fandomobserver.de/wp-content/uploads/2011/11/Trollhunter-Poster.jpg
Filmposter SIGHTSEERS (Ben Wheatley, Big Talk Productions 2012)
http://0801.nccdn.net/1_5/104/3e0/34b/Sightseers_Rialto_Convention.jpg
Filmposter MONSTER HOUSE (Gil Kenan, Columbia Pictures 2006)
http://www.joblo.com/posters/images/full/2006-monster_house-2.jpg
Filmposter DREAD (Anthony DiBlasi, Essential Entertainment 2009)
http://www.arts-wallpapers.com/movie_posters/
Movie%20Posters%20March%202010/images/Dread%20(2009).jpg
Seite 33:
Promotion-Poster FINAL DESTINATION 3 (James Wong, New Line Cinema 2006)
http://www.joblo.com/posters/images/full/2006-final_destination_3-1.jpg
Seite 38:
Videostills aus TUCKER AND DALE VS. EVIL (Eli Craig, Reliance Big Pictures 2010)
Seite 42:
Videostills aus SCREAM 4 (Wes Craven, Dimension Films 2011)
Seite 46:
Videostills aus GROTESQUE (Kôji Shiraishi, Ace Deuce Entertainment 2009)
Seite 50:
Videostills aus MARTYRS (Pascal Laugier, Canal Horizons 2008)
Seite 54:
Videostills aus A SERBIAN FILM (Srdjan Spasojevic, Contra Film 2011)
Seite 38, 42, 46, 50 & 54:
‚Smile Shutter‘ Aufnahmen & Versuchsanordnung: André Kirchner, 2012
Seite -65 -