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Gesundheitswirtschaft
Lockruf der Labormedizin
von Lukas Heiny
Internationale Finanzinvestoren und Konzerne kaufen deutsche Labore auf, um schlagkräftige Ketten zu
bilden. In den nächsten Monaten wird sich entscheiden, wer sich auf dem Markt durchsetzt – und Verträge
mit den Kassen schließt.
In kleinen Röhrchen zieht das Blut von rund 9000 Patienten vorbei. Wie auf einer Modelleisenbahn
rattern die Reagenzgläser durch die 50-Meter-Halle im zweiten Stock. Strichcodes bestimmen den Takt.
Automatische Greifarme tunken Pipetten ins Serum, Analyseautomaten bestimmen medizinische
Laborwerte.
Was in dem unscheinbaren Betonklotz im Industriegebiet von Hamburg-Harburg vor sich geht, zieht seit
Jahren die Aufmerksamkeit internationaler Investoren auf sich. Ein gutes Dutzend Geldgeber hat in den
vergangenen zwei Jahren vorbeigeschaut. Effizienz made in Germany - die GLP Medical Group gehört
mit knapp 17 Prozent Gewinnmarge zu den Perlen im deutschen Laborgeschäft. "Die Investoren waren
an unserem Know-how interessiert", sagt Geschäftsführerin Marie-Christine von Schrenck. Seit wenigen
Wochen gehört das Labor zum australischen Konzern Sonic Healthcare.
Der Labormarkt zählt zu den umkämpftesten Segmenten der Gesundheitswirtschaft. In den nächsten
zwölf Monaten wird sich entscheiden, wer den Ton angeben wird. Finanzinvestoren und internationale
Konzerne bauen für teils horrende Preise europaweite Verbünde auf. "Europa ist derzeit der weltweit
spannendste Markt mit dem höchsten Wachstumspotenzial", sagt Sonic-Chef Colin Goldschmidt.
Sonic Healthcare kauft deutsche Labors
Der Fokus liegt vor allem auf Deutschland. Durch die Übernahmen der Branchenriesen Bioscientia und
Schottdorf sind die Australier in kurzer Zeit zum Marktführer aufgestiegen. Zuletzt haben sie für rund 100
Mio. Euro das Labor 28 in Berlin und eben GLP Medical Group in Hamburg geschluckt. Weltweit hat hat
Sonic in den vergangenen zwei Jahren für rund 1 Mrd. $ ausländische Firmen gekauft. "Wir werden
diesen Weg weitergehen und weitere Labore übernehmen", sagt Goldschmidt, dessen Konzern zuletzt
1,4 Mrd. Euro im Jahr umsetzte.
Die Gelegenheit zum Einstieg ist gerade in Deutschland günstig. Die meisten größeren Gruppen sind in
den 70er- und 80er-Jahren entstanden und extrem schnell gewachsen - nun wollen viele Gründer
verkaufen. "Die Gründerzeit endet gerade", sagt die Hamburger Laborchefin von Schrenck, Tochter des
Firmengründers André von Froreich.
Nun kommen Investoren mit ihren privaten Ketten. Sie spekulieren auf einen Anteil von rund 2,2 Mrd.
Euro am insgesamt 6 Mrd. Euro schweren deutschen Labormarkt, den Rest teilen sich niedergelassene
Ärzte, Kliniken und freie Laborgemeinschaften. "Hier entstehen wirtschaftlich sehr mächtige Player, ein
neues Oligopol", warnt man bereits bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. "Es geht um sehr viel
Geld."
Deutsche Laboratorien arbeiten am effizientesten
Isoliert gesehen ist der deutsche Markt eigentlich wenig attraktiv: Die Margen gelten als die niedrigsten
in ganz Europa. Bringe die Analyse eines Kreatininwerts in der Schweiz etwa 8 Franken, in Österreich
3,50 Euro oder in Frankreich 3 Euro, seien es hierzulande nur 25 Cent, sagt Helmut Wagner, Gründer
und Chef des Labors Wagnerstibbe. Im Schnitt erwirtschaften selbst große Verbünde Margen von nur
zehn Prozent, heißt es.
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05.11.2008 8:50 Uhr
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Und doch sind gerade die deutschen Laboratorien attraktiv: Wegen des seit Jahren immensen
Kostendrucks gelten sie als die effizientesten der Welt - auf dieses Know-how haben es die Investoren
abgesehen.
Wie die Finanzinvestoren von General Atlantic. Vor einigen Monaten stiegen sie mit einer
Mehrheitsbeteiligung beim Göttinger Labor Wagnerstibbe ein, einem bundesweit vernetzten
Unternehmen, das Proben von mehr als 20.000 Patienten täglich bearbeitet. "Mit der Kapitalhilfe von
General Atlantic wollen wir nun europäischer Marktführer im Topsegment werden", sagt Wagner, als er
durch sein Labor führt, das er 1987 in einem alten Supermarkt gegründet hat.
Mitarbeiter in weißen Kitteln wuseln umher. Es ist warm hier, 26 Grad. In den Gängen surren
Kühlschränke, Analysemaschinen piepsen, auf Schreibtischen liegen Beutel mit Blutproben und
Plastikhandschuhe. Im Kühlraum, wo früher Schweinehälften von der Decke hingen, lagern heute
Patientenproben, und wo früher die Fleischtheke stand, werden heute Autoimmunantikörper untersucht.
In einem Brutraum wachsen computergesteuert Kolonien von Milzbrand- und Tuberkulose-Erregern.
Wagnerstibbe beherrscht die ganze Bandbreite: Mikrobiologie, Gynäkologie, Spezialdiagnostik, Genetik.
Rund drei Viertel der Kunden sind niedergelassene Ärzte, mit denen Laborbetreiber deutlich mehr
verdienen als mit Kliniken. Obwohl gerade die Kliniken in den vergangenen Jahren immer mehr
Labordienste auslagerten. Künftig sollen alle Kunden über ein komplexes IT-System vernetzt werden,
sagt Wagner: "Das deutsche Labor ist ein Exportschlager hoch drei. Immer neue Einschnitte haben uns
gezwungen, effizienter zu arbeiten als anderswo in Europa. Labormedizin ist heute viel mehr, als nur
Analysen kochen und Daten produzieren."
Rund 30 Laborstandorte steuert Wagner über eine Managementgesellschaft namens Amedes. Solche
Strukturen haben es deutschen Laboren erst ermöglicht, bundesweit zentral geführte Laborketten unter
einem gesellschaftlichen Dach aufzubauen - heute erleichtert es den Einstieg der Finanzinvestoren.
"Das hat richtig Bewegung in den Markt gebracht", sagt die Hamburger Laborchefin von Schrenck.
Heuschrecken übernehmen ganze Ketten
Nun können ausländische Investoren auf einen Schlag ganze Ketten übernehmen - und von diesen
Plattformen aus den deutschen Markt erobern. So wie die französische Gruppe Labco es plant, eine
Holding in Form einer Aktiengesellschaft mit mehr als 250 Laboren, die 2008 rund 450 Mio. Euro
umsetzen will. Obwohl die Gruppe zu 60 Prozent in Besitz der Laborärzte ist, gilt sie in der Szene als
extrem börsenorientiert. Nach etlichen Zukäufen ist Labco Marktführer in Frankreich, Spanien und
Portugal, nun soll Deutschland folgen, wo Labco erst vier kleine Standorte betreibt.
"Gerade der deutsche Markt wird künftig von großen Verbünden bestimmt. Nur dann kann man sinnvoll
Direktverträge mit Kassen schließen", sagt Martin Hardens, Labcos Deutschlandchef. "Wir wollen
dazugehören." Bezahlen könnten die Franzosen ihren Plan jedenfalls. Erst Ende Juli besiegelten sie die
größte Kapitalbeschaffung des Jahres im europäischen Gesundheitsmarkt - 728 Mio. Euro für den
Aufbau einer europäischen Kette. 200 Mio. Euro davon schossen die Private-Equity-Firmen 3i, CIC
Finance, TCR Capital und Natixis Investment Partners hinzu.
Das Engagement der "Heuschrecken" ist wenig verwunderlich. Längst haben sie den 20 Mrd. Euro
schweren europäischen Markt für sich entdeckt. So formten die Finanzinvestoren Apax und Nordic
Capital aus der Diagnostiksparte des schwedischen Konzerns Capio und der Schweizer Unilabs ein
europäisches Schwergewicht mit 360 Mio. Euro Umsatz. Mitte September wurde die neue Marke Unilabs
etabliert, erklärtes Ziel: die kontinentale Marktführerschaft.
Die Investoren stehen Schlange
Gerade in Deutschland gibt es noch attraktive Übernahmeziele. Die Synlab-Gruppe zählen
Branchenkenner dazu, auch die österreichische Laborgruppe FutureLab, die erst seit 2007 in
Deutschland aktiv ist. Auch "der Limbach" aus Heidelberg sei auf dem Markt, heißt es. Bis vor zwei
Jahren war die Gruppe unangefochtener Marktführer. Über zahlreiche stille Beteiligungen hatte
Hans-Jakob Limbach ein Imperium aufgebaut - nun stehen die Investoren Schlange. Kommentieren
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wollen die Beteiligten die Gerüchte nicht.
Anders die Kramer-Gruppe aus Geesthacht, mit knapp 150 Mio. Euro Umsatz und Labors in Polen,
Finnland und Russland eine der Großen der Szene. "Wir gelten als Filetstück der Branche - und die
Preise sind sehr interessant", sagt Detlef Kramer. Das Acht- bis Zehnfache des Ebitda-Ergebnisses ist
inzwischen als Kaufpreis üblich. Als Interessenten werden alle Großen gehandelt: Labco, Sonic und die
Investoren hinter Wagnerstibbe und Unilabs.
Am Ende könnten noch viel größere Akteure die Bühne betreten: Dann, wenn die Investoren ihre
Beteiligungen wieder verkaufen. Dann könnten sich die Diagnostikgiganten aus den USA rühren.
Labcorp und Quest Diagnostics mit 4,1 und 6,7 Mrd. $ Umsatz dürften nur warten, bis
grenzübergreifende Plattformen zum Verkauf stehen.
Und immer wieder fällt der Name Siemens. Der Medizintechnikkonzern, schon heute einer der größten
Lieferanten für Diagnostika, könnte die Verwertungskette schließen - und in eigenen Zentren die
Labordiagnostik mit bildgebenden Verfahren zusammenführen. Siemens bestreitet solche Pläne.
Die Richtung aber scheint plausibel. "Wir könnten mittelfristig auch ein Netzwerk mittelständischer
Radiologen andocken", sagt Labco-Geschäftsführer Hardens. "Dann könnten wir die gesamte Diagnostik
aus einer Hand anbieten." Schon heute gehören Radiologen in Italien und Portugal zur Labco-Gruppe.
Auch Unilabs und Sonic führen bereits kombinierte Zentren im Ausland. "In einigen Jahren wird es das
auch in Deutschland geben", sagt Wagner. "Dafür brauchen Sie aber ganz andere Strukturen - und sehr
viel Geld."
Neue Spielregeln
Volumen Insgesamt setzen Kliniken, Ärzte und Laborunternehmen in Deutschland rund 6 Mrd. Euro mit
Labordiensten um, 3,35 Mrd. Euro zahlten 2007 die gesetzlichen Krankenkassen.
Akteure Noch ist der europäische Markt zersplittert: In Frankreich gibt es etwa 4500 Labore, in
Deutschland 50 bis 100.
Zulieferer Medizintechnik- und Pharmaunternehmen setzten 2007 mit Laborsystemen und Reagenzien
2,1 Mrd. Euro um.
FTD.de, 09.10.2008
© 2008 Financial Times Deutschland, © Illustration: FTD.de
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