Hinweise zum Rebschnitt aus pflanzenbaulicher Sicht

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Hinweise zum Rebschnitt aus pflanzenbaulicher Sicht
Hinweise zum Rebschnitt aus pflanzenbaulicher Sicht
Dr. Edgar Müller, SLVA Bad Kreuznach-Simmern
Wohl jeder Winzer nimmt
für sich in Anspruch, mit
dem Rebschnitt vertraut zu
sein und diese Arbeit zu
beherrschen. Kaum eine
andere Anmerkung ist
mehr dazu angetan, einen
Winzer in seinem Stolz zu
kränken, als wenn man
seine diesbezüglichen Fertigkeiten anzweifelt. Wer
jedoch mit offenen Augen
durch Weinbaugemarkungen läuft, muss feststellen, dass langjährige Praxis keineswegs die Kenntnisse und Fähigkeiten garantiert, derer es für diese
einfach erscheinende, in
Abbildung 1: Optimaler Rebschnitt und Stockaufbau links (gerade wunWirklichkeit aber sehr viel
denfreie Stämme mit gleichmäßiger Höhe, hoher Altholzanteil, keine
Sachverstand erfordernde
Tätigkeit bedarf
Stock-"verjüngungen"); Rebschnitt und Stockaufbau mit Mängeln rechts
(Abbildung 1). So ist es
(schiefe Stämme mit ungleichmäßiger Höhe, viele große Schnittwunden,
auch nicht verwunderlich,
zahlreiche Stock-"verjüngungen")
dass viele Auszubildende
in ihren Lehrbetrieben mit zweifelhaften Arbeitstechniken und Lehrmeinungen konfrontiert werden. Erstaunen und
Aufregung sind groß, wenn an dem mit Mühe Erlernten Kritik geübt wird.
Die Beherrschung des Rebschnitts ist eine elementare Voraussetzung für die erfolgreiche Bewirtschaftung eines
Erziehungssystems. Mängel und Fehler können auf vielfältige Weise die Qualitäts- und Ertragsleistung beeinträchtigen und die Erledigung nachfolgender Arbeiten erschweren. Die z.T. schwerwiegenden Unzulänglichkeiten
offenbaren in vielen Fällen mangelhafte Kenntnisse im Hinblick auf die Physiologie und das Wuchsverhalten der
Rebe. Wer die Physiologie der Rebe kennt und versteht und in der Lage ist, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, wird Reben richtig schneiden können, ohne mit rezeptartigen Anweisungen konfrontiert werden zu müssen.
Physiologische Grundlagen
Das Verhalten von Wildreben in der Natur zeigt ein ausgeprägtes Bestreben, in die Höhe zu wachsen. Bei einer
aufrecht stehenden Fruchtrute im Weinberg sieht man, dass auch bei unseren Kulturreben die obersten Augen am
besten austreiben und die Entwicklung der dort sich bildenden Triebe begünstigt ist. Belässt man Reben an einer
Unterstützungsvorrichtung ohne einzugreifen, ist festzustellen, dass die Rebe die Unterstützungsvorrichtung bis in
die obersten Regionen erklimmt, dabei aber an der Basis allmählich verkahlt. Diesen typischen Verlauf des
Wachstums, der der Wildrebe in Auwäldern einen Überlebensvorteil beim Kampf ums Licht sichert, bezeichnet
man als akrotonisches Wachstumsmuster. Auslöser sind hormonelle Steuerungsmechanismen, die dafür sorgen, dass die jeweils obersten Augen und Triebe bevorzugt mit Nährstoffen und Assimilaten versorgt werden. Diese “Vorherrschaft der Triebspitze” bezeichnet man als Apikaldominanz. Sie ist die Ursache für das beschriebene
Wachstumsmuster.
Für den Weinbau ergeben sich daraus zwei zentrale Probleme:
•
Für eine langfristig gleichbleibende Bewirtschaftung und den Einsatz von Maschinen ist es zwingend erforderlich, dass die Stöcke langfristig ihre Form bewahren und nicht immer höher wachsen.
•
Eine ausgeprägte und ungebremste Apikaldominanz begünstigt das vegetative Wachstum (Triebwachstum)
und hemmt die generative Leistung (Höhe und Qualität des Traubenertrags).
Die Gesamtheit aller Schnittmaßnahmen und der Maßnahmen zur Anordnung der grünen Sommertriebe sowie des
einjährigen und mehrjährigen Holzes bildet die Rebenerziehung. Ein wesentliches Ziel der Rebenerziehung besteht darin, dem akrotonischen Wachstum und den Auswirkungen der Apikaldominanz entgegenzuwirken. Der
Rebschnitt nimmt dabei eine Schlüsselstellung
ein (Abbildung 2). Zahlreiche Entscheidungen, die
bereits bei der Erstellung der Junganlage zu fällen sind, haben Auswirkungen auf die spätere
Durchführung des Rebschnitts hinsichtlich des
Schnittsystems sowie der Fruchtholzlänge und anordnung. Umgekehrt hat der Rebschnitt vielfältige Auswirkungen auf die Folgearbeiten des Biegens und der Laubwandgestaltung sowie direkt
und indirekt auf die generative Leistung (Ertragshöhe und -güte) und die Bewirtschaftungsverfahren und -kosten (Mechanisierbarkeit, Arbeitsaufwand).
Technik des Bogrebenschnitts
Beim Rebschnitt wird das gesamte einjährige
Holz mit Ausnahme des sogenannten Fruchtholzes (=Zielholz) entfernt. Wichtigstes Schnittsystem im Spalierdrahtrahmen ist nach wie vor der
Bogrebenschnitt. In Anbetracht seiner Bedeutung und der häufig anzutreffenden Mängel wird
im folgenden darauf näher eingegangen.
Zielertrag
Ertragspotential
von Sorte und
Standort
Gassenbreite
Stockabstand
Standraum je
Stock
Anschnittniveau
(Augen/m²)
Notwendige
Augenzahl/Stock
Erziehungssystem
Unterstützungsvorrichtung
REBSCHNITT
•
•
Methodik
Augenzahl
•
•
•
•
Ertrag
Qualität
Mechanisierbarkeit
Arbeitsaufwand
Biegen
Laubwand
• Gestaltung
• Beschaffenheit
Abbildung 2: Rebschnitt als Schlüsselfunktion und
Bindeglied zwischen vorgelagerten Entscheidungen
und Maßnahmen sowie nachfolgenden Arbeiten und
Erfolgsmaßstäben
Optimal
geeignetes
Fruchtholz
muss mehrere Anforderungen erfüllen. Es sollte
a) “zahmes” Holz sein,
b) frei von pilzlichen Erkrankungen und Beschädigungen sein,
c) gut ausgereift sein und eine mittlere Stärke (7-10) mm aufweisen
d) und günstig positioniert sein.
Zu a)
Einjähriges Holz, das auf zweijährigem Holz steht, wird als “zahmes” Holz
bezeichnet. Die Triebe, die sich aus Winteraugen des “zahmen” Holzes
entwickeln, zeigen einen guten Gescheinsansatz. “Zahmes” Holz entstammt
entweder einem basalen Auge einer vorjährigen Bogrebe oder einem günstig
positionierten einäugigen Zapfen des Vorjahres. Dies unterscheidet es vom
sogenannten “wilden” Holz. Darunter versteht man einjähriges Holz, das direkt
auf mehrjährigem Holz steht. “Wildes” Holz hat sich im vorausgegangen
Sommer als Wasserschoß aus einer Adventivknospe des mehrjährigen Holzes
entwickelt. Bei fruchtbaren Rebsorten und Klonen kann jedoch, entgegen
verbreiteter Ansichten, durchaus auch einmal “wildes” Holz gebogen werden,
wenn es wesentlich besser positioniert ist als das verfügbare “zahme” Holz und
dadurch die Formerhaltung des Stockes besser ermöglicht. Die Fruchtbarkeit
ist bei solchen Bogreben zwar geringer, aber immer noch ausreichend. Die
Scheu, insbesondere der älteren Winzer, auch einmal einen fest
angewachsenen Wasserschoß zu biegen, ist nicht grundlos. Bevor leistungsfähige und fruchtbare Klone alter Standardsorten und neu gezüchtete
Sorten mit hohem Ertragspotential das Bild unserer Rebflächen bestimmten,
war die Fruchtbarkeit des Holzes im Allgemeinen und die Fruchtbarkeit von
wildem Holz im Besonderen, wesentlich geringer als heute.
Zu b)
Abbildung 3: Stock"verjüngung" oder eher
doch Amputation?
Das Fruchtholz kann im Wesentlichen durch Phomopsis, Botrytis und Oidium
geschädigt sein. Ein Befall mit diesen Erkrankungen kann dazu führen, dass
Augen nicht austreiben. Beschädigungen können insbesondere durch Hagel
oder Schürfwunden entstanden sein. Sie können auch dazu führen, dass die
Fruchtruten beim Biegen brechen.
Zu c)
Gut ausgereiftes Holz ist bräunlich mit leichten sortenabhängigen Farbabweichungen. Es knistert beim Biegen und
hat eine vergleichsweise enge Markröhre. Auf der frischen Schnittfläche leuchtet der Holzkörper grünlich. Fruchtruten mittlerer Stärke weisen einen guten Austrieb und eine hohe Fruchtbarkeit auf. Die Wahrscheinlichkeit einer
Schädigung durch Frost ist geringer als bei extrem dickem oder dünnem Holz. Extrem dickes Holz weist besonders lange Internodien auf, während dünnes Holz enge Abstände aufweist. Biegt man Bogreben gleicher Länge,
ergibt sich bei dickem Fruchtholz somit die geringste und bei dünnem Fruchtholz die höchste Augenzahl. Obwohl
es verlockend ist, allen Rebstöcken gleich langes Holz zu geben, wodurch die Anlage homogener wirkt, muss dies
unbedingt unterbleiben, da ansonsten schwachwüchsige Stöcke noch schwächer und starkwüchsige Stöcke noch
stärker werden!
Zu d)
Das Biegen wird erleichtert, wenn die Fruchtruten optimal positioniert sind. Alle
mechanisierbaren Arbeiten am Rebstock sowie im Unterstockbereich werden erleichtert, z.T. auch beschleunigt oder in Ihrer Qualität verbessert, wenn der Aufbau
der Stöcke möglichst identisch ist. Ein hoher Altholzanteil in Form kräftiger ausreichend langer Stämme trägt zu einer reichlichen Bevorratung an Reservestoffen
bei. Dies hat u.a. positive Auswirkungen auf die Frostfestigkeit, den Austrieb, den
Blüteverlauf bei ungünstigen Witterungsbedingungen, die Stiellähmefestigkeit und
lässt den Stock Stresssituationen besser verkraften. In der Summe trägt dies zur
Ertragsstabilisierung in qualitativer und quantitativer Hinsicht bei. Der Rückschnitt
zu hoch gewordener Rebstämme und ein partieller Neuaufbau des Stammes stellen keineswegs eine Vitalisierung des Stockes im Sinne einer "Verjüngung" dar.
Vielmehr begünstigen große Schnittwunden das Eindringen von Krankheitserregern und die Entstehung von Leitbahnschäden (Abbildung 3). Der Stammneuaufbau bereitet Probleme beim Einsatz von Herbiziden im Unterstockbereich sowie
beim Einsatz von Ausbrechgeräten oder Unterstockbearbeitungsgeräten.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann es keinen Zweifel daran, dass
Stock-"verjüngungen" möglichst vermieden werden sollten. Zwar können im Einzelfall starke Fröste oder mechanische Beschädigungen dazu zwingen, dies allein
erklärt jedoch nicht, warum Anlagen mit gleicher Sorte, gleichem Alter und vergleichbaren klimatischen Bedingungen sich hinsichtlich des Anteils "verjüngter"
Stöcke oft gravierend unterscheiden. Die Ursache für diese Unterschiede gründen
vorrangig in der Schnitttechnik der Arbeitskräfte. Von frostgeschädigten Parzellen
abgesehen, ist der Gebrauch der Säge häufig eine Reparatur vorangegangener
Fehler.
Wer viel sägt, kann nicht schneiden!
Abbildung 4: Typische
Fehler beim Rebschnitt:
Beide Fruchtruten stehen auf dem basalen
Teil der vorjährigen
Bogrebe, ein Hochbauen ist unvermeidlich.
Der angeschnittene Ersatzzapfen ist zu lang
und der Austrieb des
Achselauges damit unwahrscheinlich
Ein wichtiges Ziel des Rebschnitt besteht daher darin, das Hochbauen des
Stammes und damit die Notwendigkeit einer Stock-"verjüngung" zu vermeiden.
Beim Rebschnitt muss man daher nicht nur an das unmittelbar anschließende
Biegen, sondern auch bereits an den nächstjährigen Rebschnitt denken, indem
man die Voraussetzungen dafür schafft, dass auch im nächsten Jahr an optimaler
Position gleichbleibender Höhe wieder Fruchtholz vorhanden ist. In diesem Punkt
werden von vielen Arbeitskräften 2 entscheidende Fehler gemacht:
1.
Wenn die neue Fruchtrute einem basalen Auge der alten Bogrebe entstammt,
muss zwangsläufig ein mehr oder weniger langes Stück der Bogrebe stehen
bleiben. Ein allmähliches "hochbauen" oder "auseinanderbauen" des Stockes
ist unvermeidlich (Abbildung 4).
2.
Wird diese Gefahr erkannt, wird ein wesentlich tiefer positionierter Wasserschoß auf Zapfenlänge zurückgeschnitten, wobei dieser Zapfen oft mehräugig
ist (Abbildung 4). Dies wiederum führt dazu, dass in den seltensten Fällen das
Achselauge dieses Zapfens austreibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses
Auge, das die am günstigsten positionierte Fruchtrute erbringen könnte, auch
austreibt, sinkt mit zunehmender Augenzahl des Zapfens.
Die Maßnahmen zur Vermeidung der geschilderten Probleme sind so einfach, dass man staunen muss, warum
sie nach wie vor von vielen Winzern auch heute noch nicht erkannt bzw. umgesetzt werden:
•
Fruchtruten sollten grundsätzlich aus einäugigen optimal positionierten Zapfen (1 gut ausgebildetes sichtbares
Auge plus Achselauge) gezogen werden. Oft bringt ein solcher Zapfen sogar 2 Ruten.
•
Der Anschnitt von Zapfen darf nicht erst dann erfolgen, wenn der Stock zu hoch zu werden droht, sondern
konsequent beginnend bereits im letzten Jungfeldjahr.
•
Für jede Bogrebe ist ein Zapfen anzuschneiden. Die Zapfen müssen sich im Bereich des Stammendes befinden.
•
Am Ende des Stammes ist als Ergebnis eines solchen Schnittsystems eine leichte kopfartige Verdickung anzustreben, die beim Anschnitt von 2 Bogreben pro Stock eine angedeutete Gabelung aufweisen kann. Der
Kopf sollte beim Halbbogen bis knapp über den unteren Biegdraht reichen, beim Flachbogen muss er ca. 10
cm unter dem Biegdraht enden (Abbildung 5 und 6). Am schwierigsten ist die Realisierung dieser Maßnahmen
in den ersten Jahren. Wenn die Kopfbildung erreicht ist, bereitet es im Folgenden nur noch geringe Probleme,
auf gleichbleibender Höhe geeignetes Zielholz zu finden.
•
Die Notwendigkeit, im Kopfbereich Triebe auszubrechen, hängt stark von der jeweiligen Rebsorte und deren
Neigung zur Bildung von Wasserschossen ab. Im Sinne der langfristigen Formerhaltung ist es im Zweifelsfall
zumindest in den ersten Standjahren der Ertragsanlage besser, einen Trieb zuviel als einen Trieb zu wenig zu
belassen. Die Arbeitskräfte, die diese Arbeit erledigen, müssen daher mit dem Schnittsystem vertraut sein.
Abbildung 6: Optimaler Stockaufbau bei den wichtigsten Versionen
des Spalierdrahtrahmens
Abbildung 5: Halbbogenerziehung mit einer Bogrebe
plus einem einäugiger Ersatzzapfen pro Stock. Der
Stamm endet knapp über
dem unteren Biegdraht
Abbildung 7: Gekonnter Rebschnitt als Voraussetzung für optimalen Stockaufbau erleichtert viele weitere Arbeiten
1 x 10 und 5 x 2 sind nicht das Gleiche!
Der Rebschnitt hat nicht nur entscheidenden Einfluss auf die Zahl der sich entwickelnden Triebe, sondern auch auf
deren Fruchtbarkeit. Die Fruchtbarkeit ist gekennzeichnet durch die Gescheinszahl pro Trieb sowie die Blütenzahl
pro Beschein. Sie ist von großer Bedeutung für die spätere Ertragsleistung.
Gescheine pro Trieb
An den einzelnen Augen einer längeren Bogrebe ist festzustellen, dass die Triebe aus den stammnahen basalen
Augen meist weniger und zudem auch kleinere Gescheine mit geringeren Blütenzahlen aufweisen als die Triebe
auf dem mittleren und äußeren Teil der Bogrebe. Abbildung 8 zeigt die Gescheinszahlen pro Trieb und Abbildung 9
die Blütenzahl pro Geschein in Abhängigkeit von der Position der Triebe auf der Bogrebe. Mathematisch ist zwar 5
x 2 das Gleiche wie 1 x 10, im Hinblick auf die Fruchtbarkeit und damit auch auf die spätere Ertragsleistung ist es
jedoch keineswegs egal, ob z.B. 1 x 10 (Bogrebenschnitt) oder 5 x 2 Augen (zweiäugige Zapfen) angeschnitten
2,7
2,6
2,5
2,4
2,3
2,2
2,1
2
1,9
1,8
1,7
1,6
1,5
1,4
1,3
1,2
1,1
1
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
Riesling
Scheu
Silvaner
M.-Th.
Kerner
Dornfelder
Portugieser
Bl. Spbgd.
Mittel
Abbildung 8: Fruchtbarkeit unterschiedlich positionierter
Triebe (Gescheinszahl)
1
2
3
4
560
540
520
500
480
460
440
420
400
380
Bl 360
üt 340
en 320
za
hl/ 300
Ge 280
sc 260
hei 240
n 220
200
180
160
140
120
100
80
60
40
20
0
5
6
Position des Triebs auf der Bogrebe
7
Silvaner
Ruländer
Scheurebe
Müller-Thurgau
Huxel
Mittel
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Position des Triebs auf der Bogrebe
8
Abbildung 9: Fruchtbarkeit unterschiedlich positionierter Triebe
(Blütenzahlen pro Geschein)
werden. Eine Vielzahl von Publikationen in den letzten Jahren hat diesbezügliche Sortenunterschiede, die exemplarisch in Abbildung 8 und 9 dargestellt sind, aufgezeigt.
Große Bedeutung haben diese Zusammenhänge für die Eignung der verschiedenen Rebsorten für den Zapfenschnitt. Während dieses Schnittsystem in der Vergangenheit zumeist nur unter arbeitswirtschaftlichen Gesichtspunkten als Alternative zum Bogrebenschnitt gesehen wurde, rücken vor dem Hintergrund veränderter weinbaulicher Rahmenbedingungen und Zielvorstellungen die erwähnten Unterschiede zum Bogrebenschnitt in den Blickpunkt des Interesses.
Bei manchen Sorten kann dieses Schnittsystem aufgrund der unzureichenden Fruchtbarkeit zu indiskutabel niedrigen Erträgen führen (z.B. Gewürztraminer, Ortega). Versucht man, die geringe Fruchtbarkeit durch eine höhere
Anzahl an Zapfen auszugleichen, bilden sich zu viele Triebe, so dass die Laubwand zu dicht wird.
Bei Sorten mit normalerweise sehr hohen Traubenerträgen pro Trieb (z.B. Dornfelder) kann die geringere Fruchtbarkeit der Triebe aus basalen Augen jedoch dazu genutzt werden, einen geringeren Ertrag pro Trieb und damit ein
günstigeres Blatt/Frucht-Verhältnis (= BFV) als Voraussetzung für bessere Mostgewichtsleistung zu erzielen.
Zapfenschnitt führt bei einer solchen Sorte im Hinblick auf das BFV und die Mostgewichtsleistung zu ähnlichen
Ergebnissen wie ein Bogrebenschnitt in Verbindung mit späterem Ausdünnen. Tabelle 1 zeigt exemplarisch anhand von zwei Versuchsergebnissen, wie die sortenabhängig geringere Fruchtbarkeit beim Zapfenschnitt dazu genutzt werden kann, den Ertrag zu reduzieren, das BFV zu verbessern und damit einhergehend das Mostgewicht zu
steigern.
Tabelle 1: Ertrags- und Mostgewichtsleistung beim Anschnitt zweiäugiger Zapfen im Vergleich zum
Bogrebenschnitt
Mostgewicht [° Öchsle]
Ertrag [kg/a]
Müller- Thurgau, Bad Kreuznach 1999
81
137
85
127
Kerner, Bad Kreuznach 1992
87
153
101
84
Bogrebenschnitt (5 Augen/m²)
Zweiäugige Zapfen (5 Augen/m²]
Bogrebenschnitt (11 Augen/Stock)
Zweiäugige Zapfen (14 Augen/Stock
2,4
Abbildung 10: Fruchtbarkeit der
Triebe auf Bogreben in Abhängigkeit vom Jahrgang
2,3
2,2
2,1
2
1,9
1,8
1,7
Weniger bekannt ist, dass die Fruchtbarkeit basaler
Augen im Verhältnis zur Fruchtbarkeit höher inserierter
Augen auch starken Jahresschwankungen unterliegt.
Tendenziell scheint es so zu sein, dass kühle
sonnenarme Sommer die Fruchtbarkeit basaler Augen
und damit die Ertragserwartungen bei einem
Zapfenschnitt im Folgejahr stärker verringern, als dies
bei höher inserierten Augen der Fall ist (Abbildung 10).
Gescheinszahl pro Trieb
1,6
1,5
1,4
1,3
1,2
1,1
1
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
1985
1986
1988
0,3
0,2
0,1
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Anderseits begünstigt ein Zapfenschnitt den
Blüteverlauf insbesondere bei ungünstigen
Witterungsbedingungen. Die geringere Gescheinszahl
pro Trieb sowie die geringere Blütenzahl pro Geschein
steigern die Durchblührate (prozentualer Anteil der sich
zu Beeren entwickelnden Blüten) sowie die mittlere
Kernzahl pro Beere, was sich in höheren
Beerengewichten niederschlägt. Bei mehrjährigem
Zapfenschnitt wird der Blüteablauf auch durch den
höheren Altholzanteil begünstigt.
Postion des Triebs auf der Bogrebe
In den beiden erwähnten Zusammenhängen liegt eine Ursache für schwankende Ertragsrelationen zwischen
Bogreben- und Zapfenschnitt bei mehrjährigen Vergleichsversuchen. Nach schlechten Vorjahressommern sowie
bei guten Blütebedingungen kann ein Zapfenschnitt bei identischer Augenzahl zu deutlichen Ertragsreduzierungen
führen. Bei gegenteiligen Bedingungen sind die Unterschiede geringer.
Zapfenschnitt kann unter bestimmten Bedingungen somit eine arbeitswirtschaftlich höchst interessante Alternative zum Ausdünnen sein! Der Verzicht auf das Biegen sowie das spätere Ausdünnen ermöglicht Arbeitszeiteinsparungen um 100 Akh/ha. Daraus darf jedoch keine grundsätzliche in diese Richtung zielende Empfehlung
abgeleitet werden. Bei Sorten bzw. Klonen, die zu dichtbeerigen Trauben neigen, können die Trauben noch kompakter und damit botrytisanfälliger werden, da der Zapfenschnitt den Blüteverlauf begünstigt. Auch die Ausfärbung
roter Sorten würde durch eine zu enge Packung der Beeren verschlechtert. Für lockerbeerige Sorten mit schweren
Trauben und damit im Zusammenhang stehendem ungünstigem BFV (z.B. Dornfelder) können die Vorteile überwiegen, während bei Sorten bzw. Klonen mit gegenteiligen Eigenschaften (z.B. Burgundersorten) die Nachteile
stärker zu Buche schlagen.
Vielfach wird Zapfenschnitt als ein besonders einfaches Schnittsystem dargestellt. Dies mag hinsichtlich des
Schnittprinzips noch zutreffen. Ein mehrjähriger Zapfenschnitt, der keine Verkahlung oder „Geweihbildung“ (Zapfen auf Zapfen) nach sich ziehen soll, erfordert jedoch besondere Fachkenntnis der Arbeitskräfte und kann z.B.
im Hinblick auf Phomopsis schwerwiegende Probleme nach sich ziehen.
Schnittzeitpunkt
In den letzten Jahren ist in manchen Anbauregionen zu beobachten, dass bereits im Oktober während des Lesezeitraums mit dem Rebschnitt begonnen wird. Wenn zwischen der Lese der früh reifenden Sorten und dem Riesling noch einige Tage mit der Lese ausgesetzt wird, ist es verständlich, wenn sich Betriebsleiter Gedanken über
einen sinnvollen Einsatz der vorhandenen oft weit angereisten Aushilfskräfte machen. So gab es in den letzten
Jahren mit regionalen Schwerpunkten Mitte Oktober in größerem Ausmaß Rebflächen zu sehen, die, inmitten von
noch gut belaubten und nicht gelesenen Weinbergen, bereits geschnitten waren. So verständlich dies unter arbeitswirtschaftlichen Gesichtspunkten sein mag, so bedenklich ist dies doch aus pflanzenphysiologischer Sicht.
Solange der Blattfall nicht abgeschlossen ist, findet noch eine Rückverlagerung von Reservestoffen (Assimilate, NVerbindungen) aus den Blättern in die Triebe, in das stammnahe Holz, den Stamm und die Wurzel statt. Dadurch
erhöht sich die Widerstandsfähigkeit des Stockes gegen Winterfröste. Unabhängig von eventuellen Frostschäden
wird durch eine reichliche Bevorratung von Reservestoffen der nächstjährige Austrieb und die anfängliche Triebentwicklung begünstigt.
Unter Beachtung dieser physiologischer Zusammenhänge liegt der frühestmögliche Schnittzeitpunkt daher kurz
nach Beendigung des Blattfalls. Dann ist normalerweise auch die Holzreife abgeschlossen. Sofern keine Frühfröste, extreme Trockenheit oder anderweitige Schädigungen zu einem vorzeitigen Blattfall geführt haben, setzt der
Blattfall je nach Sorte und Witterungsverlauf zwischen Anfang und Mitte Oktober ein und erstreckt sich über mehrere Wochen. In frostgeschützten Lagen hängen manchmal Anfang Dezember noch einzelne Blätter. Aus dem
Gesagten wird klar, dass in der Regel der Rebschnitt nicht vor Mitte November, Anfang Dezember beginnen sollte.
Lediglich bei einem vorzeitigen vollständigen Blattfall, z.B. durch Frühfrost, wäre ein noch früherer Termin akzeptabel.
In Anlagen, in denen sorten- oder standortbedingt ein höheres Risiko einer Schädigung durch Winterfröste besteht,
sollte bis etwa Mitte März gewartet werden, da dann nicht mehr mit extrem tiefen Temperaturen zu rechnen ist.
Für den Fall, dass ein gewisser Anteil an Augen durch Winterfrost geschädigt wurde, bietet ein später Rebschnitt
den Vorteil, den Ausfall durch Anschnitt einer höheren Augenzahl ganz oder teilweise kompensieren zu können.
Nicht geschnittene Anlagen zeigen auch eine etwas höhere Frostresistenz. Auch in Junganlagen sollte der Schnitt
erst im zeitigen Frühjahr erfolgen.