Hilfe für ALG II-Empfänger - Ein Leitfaden für Betroffene und Berater

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Hilfe für ALG II-Empfänger - Ein Leitfaden für Betroffene und Berater
Hilfe für ALG II-Empfänger
Ein Leitfaden für Betroffene und Berater
„Der erste Schritt ist sich zu wehren,
der zweite sich zusammenzufinden
und der dritte, Veränderungen
herbeizuführen!“
von Torsten Koplin, Irina Rimkus und Alexander Schmidt
Torsten Koplin
Mitglied des Landtages
Fraktion DIE LINKE.
Wahlkreisbüro Ueckermünde
Goethestraße 6, 17373 Ueckermünde
Tel. /Fax: 039 771 / 227 26
E-Mail: [email protected]
Rechtsanwalt Alexander Schmidt
Sozial-, Miet- und Arbeitsrecht
Feldstraße 3, 17033 Neubrandenburg
Tel. /Fax: 0395 / 5584141
E-Mail: [email protected]
2
Inhalt
Vorwort
A
Umgang mit Hilfesuchenden
1.
2.
3.
Aufbauen
Problem herausarbeiten
Hilfe zur Selbsthilfe
B
Berechnung der Leistung nach dem SGB II
C
Die häufigsten Probleme
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
Heiz- und sonstige Betriebskosten werden nicht voll übernommen
Nachzahlungen auf Heiz- und sonstige Betriebskosten werden nicht
übernommen
Kosten der Unterkunft werden gekürzt
Tilgungsraten sind zu übernehmen
Antrag nicht abgenommen
Unterlagen nicht angekommen
Widerspruch nicht bearbeitet
Bereinigung des Einkommens ist falsch
Angebliche Lebensgemeinschaft
Ausbildungskosten bleiben unberücksichtigt
Abgrenzung von Einkommen und Vermögen
Angeblich zu hohes Vermögen
Mehrbedarfe / Einmalige Bedarfe
Anrechnung der Krankenhausverpflegung als Einkommen
Sanktionen
Ein-Euro-Job
Ordnungswidrigkeiten
Schadensersatz
Auszug von unter 25-Jährigen Kindern aus der Elternwohnung
Aufrechnung bei Rückforderungen
Kinder sind nicht immer Mitglied der Bedarfsgemeinschaft
Kinderzuschlag ist nicht immer sinnvoll
Weiterzahlung trotz Arbeitsaufnahme
D
Zum Umgang mit der ARGE
E
Prozessuales und Kosten
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Fristen
Keine Anwaltspflicht
Kosten
Aufschiebende Wirkung
Eilrechtsschutz
Wirklich fachkundige Hilfe sichern
3
F
Weitere Informationen
G
Nachwort
Vorwort
Mit unserem Leitfaden möchten wir Betroffene ermutigen, selbstbewusst mit ihrem
ALG II-Bescheid und der ARGE und nicht zuletzt auch mit sich und der Gesellschaft
umzugehen.
Niemand hat es nötig, nur weil er Sozialleistungen bezieht, Minderwertigkeitsgefühle
zu haben oder sich erniedrigt zu fühlen. Ganz bestimmt hat es niemand nötig,
hinzunehmen, was veränderbar ist.
In unseren Beratungsgesprächen versuchen wir, Menschen in Notlagen zu helfen.
In vielen Fällen gelingt uns das. Doch es gibt Grenzen, dort, wo politische
Mehrheiten ihre Positionen klar zum Ausdruck bringen und dort, wo es keinen
öffentlichen Druck gibt.
Die ARGEN orientieren sich an ihre oberste geschäftspolitische Zielvorgabe, die
ALG II-Kosten zu senken. Wie die ARGEN agieren müssen, regeln die
Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit. Deswegen sagen wir sehr
deutlich, dass nicht die Mitarbeiter der ARGEN, sondern die politischen
Mehrheitsverhältnisse verantwortlich sind für die unsozialen Verhältnisse. Diese
äußern sich nicht nur in der Ausweglosigkeit vieler Betroffener, sondern auch in
Missgunst und Neiddebatten, die zu vielen anonymen Anzeigen bei ARGEN führen;
sie äußern sich im Konkurrenzdenken vieler Vereine und Verbände, in der
Umgangsweise der ARGE-Mitarbeiter mit den Betroffenen und nicht zuletzt in der
Oberflächlichkeit und Ignoranz gegenüber Menschen, die sich am Rand dieser
Gesellschaft befinden.
Erst wenn dies verinnerlicht ist, gibt es eine wirkliche Chance auf Veränderungen.
Unsere Sozialberatung ist darum auch immer politische Arbeit. Wir setzen uns mit
unserer Beratung zugunsten der Hilfesuchenden ganz bewusst in den Gegensatz zu
politischen Kräften, die nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeitslosen
bekämpfen.
Umso erfolgreicher und dauerhafter die Beratung ist, umso stärker wird diese in der
Öffentlichkeit wahrgenommen. Dieses hat zur Folge, dass interessierte politische
Kreise und verantwortliche Mitarbeiter der entsprechenden Behörden versuchen
werden, unsere Arbeit öffentlich in Misskredit zu bringen, damit Hilfesuchende von
der weiteren Inanspruchnahme der Beratung abgehalten werden. Dies ist Folge der
politischen Auseinandersetzung und muss ausgehalten werden – umso intensiver
und nachdrücklicher sollte die Beratung sein.
Wir beraten über die aktuelle Rechtssprechung, über Auslegungsmöglichkeiten und
Spielräume des Gesetzes zugunsten der Hilfesuchenden und falsche
Rechtsanwendung durch die Behörden. Wir geben aber keine Ratschläge zur
Umgehung eindeutiger gesetzlicher Bestimmungen oder zum Leistungsmissbrauch.
Unser Leitfaden soll einen allgemeinen Überblick über die Schwerpunkte der Sozialberatung
geben, die leider ganz überwiegend Beratung zum SGB II ist.
4
Wir erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch und keinen Anspruch auf Vollständigkeit,
so dass auch zur Verbesserung der Lesbarkeit auf Rechtssprechungs- oder
Literaturnachweise verzichtet wurde.
A
Umgang mit den Hilfesuchenden
1. Aufbauen
Viele Hilfesuchende haben aufgrund der in kurzen Abständen eintreffenden
widersprüchlichen Bescheide oder der nicht verständlichen Begründungen den
Überblick verloren und sind resigniert, weil eigene Schreiben oder Widersprüche an
die ARGE keinen Erfolg gebracht haben. Es soll das Wissen vermittelt werden, dass
es viele Möglichkeiten zur Gegenwehr gibt.
2. Problem herausarbeiten
Gelöst werden können nur konkrete rechtliche Probleme. Manche Hilfesuchende
haben natürlich den Wunsch, ihre persönliche Situation umfangreich zu schildern –
weil ihnen endlich mal jemand zuhört. Das ist notwendig, doch im eigentlichen
Beratungsgespräch muss versucht werden, das Problem herauszuarbeiten und eine
Strategie zur Lösung zu finden. Eine Grundsatzdiskussion zum ALG II sollte im
Rahmen des Beratungsgespräches deshalb auf das eigentliche Problem
zurückgeführt werden. Weitergehende ausführliche Gespräche sollten gesondert
vereinbart werden, bei grundsätzlichen Beschwerden aber an den örtlichen
Bundestags- oder Landtagsabgeordneten von CDU und SPD verwiesen werden diese haben das Gesetz beschlossen oder gehören den stützenden Parteien an.
3. Hilfe zur Selbsthilfe
Es soll nach Möglichkeit immer Hilfe zur Selbsthilfe angeboten werden. Es ist
angesichts der großen Fallzahl nur begrenzt leistbar, Widersprüche selbst zu
schreiben. Es ist aber leistbar, über die bestehenden Rechte aufzuklären und einen
Weg zur Lösung der Probleme aufzuzeigen – gegangen werden muss dieser Weg
jedoch alleine. Falls der Hilfesuchende, wie es immer häufiger der Fall ist, diesen
Weg nicht selber gehen kann, sollte eine Verweisung an eine kompetente
Beratungsstelle oder einen engagierten Anwalt erfolgen. Vermittelt werden kann und
sollte
bei
einem
entsprechenden
Bedarf
(insbesondere
bei
Ermessensangelegenheiten) auch ein Gespräch der/des Landtagsabgeordneten auf
politischer Ebene mit der zuständigen ARGE, um so Druck zu erzeugen.
Es sollte außerdem dringend darum gebeten werden, dass die Hilfesuchenden ihre
Unterlagen sortiert zur Beratung mitbringen. Die Sortierung von Schriftwechsel und
Bescheiden aus mehreren Jahren im zeitlichen Rahmen eines Beratungsgespräches
ist kaum möglich.
B
Berechnung der Leistung nach dem SGB II
5
Die Festlegung der Regelsatzhöhe basiert auf einem
statistischen
Erhebungsverfahren (EVS: Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) zur
Einkommens-, Vermögens- und Schuldensituation sowie von Konsumausgaben
privater Haushalte, welches 5-jährlich erfolgt. Nur Wenigen ist bekannt, dass die
Festlegung der Regelsatzhöhe noch vor der Auswertung der EVS im Jahre 2003
stattgefunden hat. Problematisch war auch, eine nachvollziehbare Statistik zu finden,
die den Regelsatz begründet. Die Bundesregierung legte den Regelsatz, ohne eine
wirklich brauchbare Studie durchzuführen, somit völlig willkürlich fest und sparte
obendrein auch noch zusätzliche Kosten. Die befragten Haushalte stammen auch
nicht aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern nur aus dem westlichen Teil, also
den alten Bundesländern. Die Strom-Ausgaben basieren nicht auf Angaben eines
Querschnittes aller Haushalte, sondern ausschließlich auf Angaben von
Miterhaushalten. Einzelne Bedarfspositionen des Regelsatzes wurden einfach
gekürzt, da sich die Bedürftigen auch angeblich Luxus leisten, aber nicht sollen. Für
Telefonkosten wurden lediglich Ausgaben für Festnetzanschlüsse berücksichtigt;
usw.
Um es konkret zu formulieren: Nicht die tatsächlichen Grundbedarfe wurden
herangezogen, sondern die Bedarfe wurden passend gerechnet. Enorme
Preissteigerungen der letzten Jahre in allen Bereichen des Lebens sowie die
allmähliche Gesamtverelendung durch das Aufsetzen von Sparzwängen bei den
Bedürftigsten dieser Gesellschaft bleiben bei der realen Anpassung des Regelsatzes
ohne jegliche Berücksichtigung.
Die Hilfesuchenden haben grundsätzlich Anspruch auf Deckung ihres Bedarfes,
bestehend aus der Regelleistung und den Kosten der Unterkunft, so der
Gesetzgeber. Der normale Regelsatz beträgt gegenwärtig 351 € pro Monat. Damit
sind nach Ansicht des Gesetzgebers sämtliche Kosten der Lebensführung
abgegolten. Für Kinder oder Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften werden
verringerte Regelsätze angesetzt. Zuschläge zum Regelsatz werden nur in eng
begrenzten Fällen bewilligt, z.B. als ernährungsbedingten Mehrbedarf bei
bestimmten Krankheiten, bei Behinderung oder bei der alleinigen Erziehung von
Kindern. Leben mehrere Hilfesuchende in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen,
werden pro Kopf nur 90 % der Regelleistung bewilligt. Kinder unter 15 Jahren
erhalten lediglich 60 %, ab 15 Jahren 80 % der Regelleistung.
Der Regelsatz für Kinder ist allerdings Gegenstand eines Verfahrens vor dem
Bundesverfassungsgericht.
Dem so ermittelten Bedarf wird dann das eigene Einkommen gegenübergestellt.
Dabei gilt grundsätzlich das Zuflussprinzip, es darf also nur das im jeweiligen Monat
tatsächlich vorhandene Einkommen angerechnet werden. Dieses Einkommen ist
zuvor zu bereinigen (S. auch C 8).
Kindergeld und gezahlte Unterhaltsleistungen erhöhen das Einkommen.
Die Differenz zwischen Bedarf und Einkommen ergibt den Zuschuss durch die
ARGE.
Bewilligt wird üblicherweise jeweils für sechs Monate. Oftmals kommt es zur
nachträglichen Berücksichtigung von Änderungen mittels Änderungsbescheiden,
auch eine vorläufige Bewilligung ist denkbar. Seit Januar 2008 ist bei schwankenden
Einkommen auch eine Berücksichtigung eines Einkommensdurchschnittes über 6
6
Monate möglich, um so monatliche Änderungs- und Aufhebungsbescheide zu
vermeiden. Nicht zulässig ist es hingegen, wenn die ARGE zur Vermeidung von
Rückforderungen von einem nur einmalig erzielten hohen Einkommen ausgeht.
Bei einem Zusammenleben mehrerer Menschen in einer Bedarfsgemeinschaft
werden sämtliche Bedarfe und sämtliches Einkommen zusammenaddiert bzw.
untereinander angerechnet. Die dadurch ermittelten Unterstützungen der bedürftigen
Mitglieder durch die nicht bedürftigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind nicht
auf die „normalen“ gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen nach dem Bürgerlichen
Gesetzbuch (BGB) abgestimmt, sondern gehen weit darüber hinaus.
Die Einkommensbereinigung ist ein kompliziertes und hoch umstrittenes Feld, auf
dem sehr viele Fehler seitens der ARGEN geschehen.
C
Die häufigsten Probleme
Die bei der Beratung zum SGB II auftretenden Probleme sind aufgrund ihrer
Komplexität im Rahmen eines kurzen Leitfadens nicht darstellbar. Trotzdem ist eine
Beratung und Hilfe für die Betroffenen möglich, da in einer Vielzahl von Fällen immer
wieder die gleichen bzw. ähnliche Probleme auftreten. Diese Konstellationen werden
nachfolgend dargestellt.
1.
Heiz- und sonstige Betriebskosten werden nicht voll übernommen
Es ist ständige Praxis, die Heiz- und Betriebskosten nur auf der Basis der von den
Kreisen beschlossenen Richtlinien zu übernehmen. Eine solche Pauschalierung ist
rechtswidrig und vom Gesetz nicht gedeckt. Zu übernehmen sind stattdessen die
tatsächlichen Heiz- und Betriebskosten, für die nach weitgehend einhelliger Meinung
der Sozialgerichte zunächst grundsätzlich eine Vermutung der Angemessenheit
spricht. Die Beweislast für ein unwirtschaftliches Verbrauchsverhalten trägt die
ARGE.
Die Kürzung der Heizkosten um die Warmwasserkosten darf auf Grundlage eines
Urteils des Bundessozialgerichtes nur bis zu einer Höhe von maximal 6,51 € (in
Abhängigkeit der Regelsatzhöhe) pro Person der Bedarfsgemeinschaft erfolgen, da
ein höherer Betrag in der Regelleistung nicht enthalten ist. Darüber hinausgehende
Warmwasserkosten hat die ARGE zu übernehmen. Allerdings dürfen diese 6,51 €
nicht immer, sondern nur dann abgezogen werden, wenn entsprechende
Warmwasserkosten auch angefallen sind. Die Praxis, die Heizkosten immer um
6,51 € fiktive Warmwasserkosten zu kürzen, ist rechtswidrig. Anders ist dies
allerdings, wenn die Warmwasserkosten auf der Basis eines angemessenen
Verbrauches genau zu beziffern sind, dann kann die Regelleistung um die
tatsächlichen Warmwasserkosten gekürzt werden. Zwischen den Sozialgerichten ist
umstritten, ob es sich bei der Ermittlung der Warmwasserkosten nach der
Heizkostenverordnung um gemessene oder errechnete Kosten handelt – von der
Entscheidung hängt die Höhe des jeweiligen Warmwasserabzuges ab.
Warmwasserkosten sind ausschließlich nur dann zu berücksichtigen, wenn diese
auch Bestandteil der Miete bzw. Teil der Heizkosten sind, nicht, wenn die
Warmwasseraufbereitung gesondert erfolgt und in Rechnung gestellt wird.
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Betriebskosten sind auch bei selbstgenutztem Wohneigentum alle üblichen
Nebenkosten. Uneinheitlich ist die Berücksichtigung der Erhaltungsaufwendungen.
Teilweise werden diese als Erhaltungspauschale gewährt, teilweise müssen die
Kosten im Detail nachgewiesen werden. Erhaltungsaufwendungen, die nur der
Erhaltung des bestehenden Zustandes dienen (z.B. Reparatur eines Sturmschadens)
müssen unterschieden werden von Kosten einer Wertverbesserung (z.B. Einbau
wärmedämmender Fenster), die nicht berücksichtigt werden können, da eine
Vermögensmehrung nicht aus Sozialleistungen erfolgen soll. Die Abgrenzung im
Einzelnen ist streitbehaftet. Sofern die Kosten der Reparatur den aus den
monatlichen Erhaltungspauschalen möglichen Ansparbetrag übersteigen, hat die
ARGE die Differenz zu übernehmen, da nach dem Gesetz die tatsächlichen Kosten
der Unterkunft zu übernehmen sind. Es ist daher dringend anzuraten, jede noch so
kleine Quittung dringend aufzubewahren, um im Ernstfall nachweisen zu können,
dass die Pauschale nicht angespart werden konnte.
Interessant ist die Ansicht mehrerer Sozialgerichte, dass auch die Kosten für die
geforderte Errichtung /den Umbau einer Kleinkläranlage bzw. die Beiträge für den
Anschluss an eine zentrale Abwasserentsorgung als Kosten der Unterkunft durch die
ARGE zu gewähren sind, weil es sich bei der Errichtung der Anlage um die
Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes und damit letztlich um
Reparaturkosten handelt.
In seinem Urteil vom 19.01.09 (L 8 B 60/08) entschied das Landessozialgericht M-V,
dass die Kosten für die Errichtung der Anlage mit der anzurechnenden
Eigenheimzulage zu verrechnen sind. Ausschlaggebend war hier aber, dass mit der
Eigenheimzulage zweckbestimmte Einnahmen vorhanden waren und nicht die
direkte Übernahme der Kosten durch die ARGE gefordert war.
Das Sozialgericht Chemnitz hat mit seinem Urteil vom 12.03.09 (S 27 AS 4592/08)
entschieden, dass die Kosten für die Errichtung einer Kleinkläranlage
übernahmefähige Unterkunftskosten im Rahmen einer Reparatur darstellen.
Es würde nicht den Klägern obliegen, über die Errichtung der Anlage zu entscheiden,
da durch den Zweckverband eine Aufforderung zur Anpassung an den Stand der
Technik gemäß den Vorgaben der Kleinkläranlagenverordnung erlassen worden ist
und die Eigentümer zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben verpflichtet sind. Das
Gericht betont, dass der Anschluss der Reinhaltung der Gewässer dient und der
Kläger monatlich geringere Kosten geltend macht als ein Mieter.
Die einzelnen Kammern des Sozialgerichtes Neubrandenburg vertreten
unterschiedliche Auffassungen. In bisher bekannten Verfahren wurden Vergleiche
abgeschlossen, da die ARGE offensichtlich Präzedenzurteile verhindern will.
Da die Rechtslage offen ist und ein Erfolg nicht ausgeschlossen scheint, empfehlen
wir, Widerspruch einzulegen und Klage zu erheben.
2.
Nachzahlungen auf Heiz- und sonstige Betriebskosten werden nicht
übernommen
Da die tatsächlichen Heiz- und Betriebskosten zu übernehmen sind, gilt dies
natürlich auch für Nachzahlungen. Manchmal versucht die ARGE, die Übernahme
mit dem Hinweis auf eine angeblich verstrichene Antragsfrist abzulehnen. Es gibt
allerdings keine Antragsfrist, die einzuhalten wäre. Belehrungen der ARGE, dass
zukünftig keine Nachzahlungen mehr übernommen werden können, ändern nichts an
dieser Rechtslage und sind unbeachtlich.
3.
Kosten der Unterkunft werden gekürzt
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Zunehmend wird die von der ARGE übernommene Miete auf das angeblich
angemessene Maß gekürzt. Hier sind verschiedene Punkte zu beachten:
a. Nur die Kaltmiete kann unangemessen sein
Da die Heiz- und Betriebskosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen sind, kann
überhaupt nur die Kaltmiete unangemessen sein.
b. Kein Verweis auf fiktiven Wohnraum
Vergleichsmaßstab ist immer der tatsächlich auf dem örtlichen Wohnungsmarkt
vorhandene anmietbare Wohnraum, Richtwerte der ARGE sind unerheblich. Wenn
es keinen Wohnraum zu dem von der ARGE für angemessen gehaltenen Preis gibt,
dann ist der nächstgünstige Wohnraum angemessen, da auf nur fiktiv anmietbaren
Wohnraum nicht verwiesen werden kann.
c. ARGE muss über angemessene Miethöhe informieren
Der Hilfesuchende muss bei einer (angeblich) zu teuren Wohnung durch die ARGE
nachweisbar darüber informiert worden sein, dass die Kaltmiete unangemessen ist.
Die ARGE muss dabei konkret über die Höhe der für angemessen gehaltenen Miete
informieren.
d. Übergangsfrist ist zu gewähren
Durch die ARGE ist die bisherige Miete innerhalb einer Umzugsfrist weiterhin zu
gewähren, eine sofortige Kürzung ist daher nicht zulässig. Diese Umzugsfrist beträgt
nach § 22 SGB II bis zu sechs Monate, auf jeden Fall aber mindestens 4 Monate, da
dem Hilfesuchenden neben der Kündigungsfrist von üblicherweise 3 Monaten für
seinen bisherigen Mietvertrag auch noch eine Such- und Überlegungsfrist
zuzubilligen ist.
e. ARGE muss Kosten für Umzug übernehmen
Sofern die vorherigen Punkte erfüllt sind und die ARGE grundsätzlich auf
günstigeren Wohnraum verweisen kann, so hat sie auch die dafür entstehenden
Umzugs- sowie Wohnungsbeschaffungskosten (z.B. Transportkosten, die nach dem
Mietvertrag geschuldeten Schönheitsreparaturen, Anzeigen, Telefonate, Fahrtkosten,
Maklerkosten) zu übernehmen. Lehnt die ARGE dies ab, ist ein Umzug praktisch
kaum möglich und nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte dann auch nicht
notwendig.
Wichtig !
In diesem Zusammenhang werden Hilfebedürftigen durch die ARGE oftmals
Erklärungen zur Unterschrift vorgelegt, in denen sich diese zur Übernahme der
Differenz zwischen der für angemessen gehaltenen und der tatsächlichen Miete
verpflichten sollen. Von einer Unterzeichnung dieser Erklärungen ist auf jeden Fall
abzuraten, da die Mietkürzung dann sofort eintritt und die Übergangsfrist nicht mehr
gewährt wird. Stattdessen sollte erklärt werden, dass die Bereitschaft zur Senkung
der Mietkosten besteht und Wohnungsangebote eingeholt werden.
Teilweise wird versucht, die Hilfebedürftigen mit dem Argument zur Unterschrift zu
drängen, sie würden ansonsten eine Sanktion wegen mangelnder Mitwirkung
erhalten oder es würden dann überhaupt keine Mietkosten mehr übernommen.
Dieses Vorgehen ist rechtswidrig und grenzt an eine strafbare Nötigung. Sofern eine
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Unterschrift unter solchen Umständen geleistet wurde, ist sie wegen arglistiger
Täuschung bzw. Ausnutzung einer Zwangslage anfechtbar.
Ist aus Sicht des Hilfebedürftigen ein Umzug notwendig und wird die Notwendigkeit
hinreichend begründet, gelten die gleichen Parameter zur Übernahme der Kosten
durch die ARGE wie ein von ihr veranlasster Umzug.
4.
Tilgungsraten sind zu übernehmen
Bisherige Praxis war nur die Übernahme von Schuldzinsen als Kosten der
Unterkunft. Das Bundessozialgericht entschied mit seinem Urteil vom
18. Juni 2008, dass nun mehr auch Tilgungsraten für ein selbst genutztes Eigenheim
bis zur Höhe der ortsüblichen Miete einer angemessen großen Wohnung
übernommen werden müssen.
Dabei sind allerdings folgende Einschränkungen zu beachten: Es muss
nachgewiesen werden können, dass der Kreditgeber zu keiner Herabsetzung der
Tilgungsraten bereit ist, der Kredit muss überwiegend zurückgezahlt worden sein und
ohne pünktliche Bedienung des Kredites muss ein Verlust des Eigenheimes drohen
(Zwangsversteigerung).
Dies gilt rückwirkend bis zum 1. Januar 2005. Es sind somit auch rückwirkende
Überprüfungsanträge möglich.
5.
Antrag nicht abgenommen
Jede Behörde und damit auch die ARGE hat grundsätzlich die Pflicht, einen Antrag
anzunehmen oder zu Protokoll zu nehmen, mag er auch unzulässig oder
unbegründet sein. Dieses darf nicht an die Benutzung eines bestimmten
Antragsformulars gebunden werden. Ein Antrag auf ALG II ist daher auch dann
anzunehmen, wenn er formlos auf einem Stück Papier abgegeben wurde. Allerdings
kann die ARGE darauf bestehen, dass zur Verwaltungsvereinfachung anschließend
ein Formular mit bundesweit einheitlichen Angaben ausgefüllt wird.
6.
Unterlagen nicht angekommen
Es kommt häufig vor, dass auf dem Postweg verschickte oder persönlich
abgegebene Unterlagen bei der ARGE nicht berücksichtigt werden, weil sie nicht
angekommen sind. Wie viele dieser Fälle dadurch zu erklären sind, dass die
Unterlagen tatsächlich auf dem Postweg verloren gegangen sind oder in falsche
Akten einsortiert wurden, weiß wohl niemand. Problematisch ist daran, dass
grundsätzlich der Absender die Beweislast für den Eingang seiner Unterlagen bei der
ARGE trägt. Es wird daher empfohlen, Unterlagen grundsätzlich persönlich
abzugeben und sich auf einer Kopie den Eingang bestätigen zu lassen, diese per
Einschreiben mit Rückschein oder parallel zum Brief per Fax mit Sendeprotokoll zu
verschicken. Rein praktisch kann aber, sofern der Beweis des Eingangs nicht geführt
werden kann, nur empfohlen werden, die Unterlagen nochmals abzugeben und sich
nicht auf einen zeitraubenden Streit über die Abgabe oder Nichtabgabe einzulassen.
Umgekehrt trägt die ARGE natürlich genauso die Beweislast, falls ein Bescheid oder
ein Schreiben von ihr beim Hilfesuchenden nicht eingegangen ist, und wird diesen
Beweis angesichts der Massenverwaltung im Regelfall nicht führen können.
7.
Widerspruch nicht bearbeitet
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Die ARGE hat gemäß § 88 Abs. 2 SGG eine Frist von drei Monaten, innerhalb derer
sie den Widerspruch bearbeiten und der Widerspruchsbescheid beim
Hilfesuchenden eingehen muss. Es reicht nicht aus, wenn die ARGE innerhalb dieser
Frist lediglich mit der Bearbeitung beginnt. Ausnahmsweise darf die ARGE die 3Monatsfrist dann überschreiten, wenn sie auf externe Gutachten oder
Stellungnahmen wartet und den Hilfesuchenden auch über die dadurch entstehende
Verzögerung informiert. Dies gilt nicht, wenn die Verzögerung durch die fehlende
Abstimmung verschiedener Abteilungen innerhalb der ARGE verursacht wurde.
Um eine schnelle Bearbeitung des Widerspruches zu erzwingen, sollte nach Ablauf
der 3-Monats-Frist eine Untätigkeitsklage vor dem zuständigen Sozialgericht erhoben
werden. Diese hat als Antrag ausschließlich die ARGE zur Entscheidung über den
Widerspruch zu verurteilen, weil die gesetzliche Bearbeitungsfrist nicht eingehalten
worden ist.
Innerhalb von einem bis zwei Monaten ist dann mit einem Erhalt des
Widerspruchsbescheides zu rechnen.
8.
Bereinigung des Einkommens ist falsch
Die Bereinigung des Einkommens ist ein kompliziertes Verfahren.
Sofern es sich nicht um Arbeitseinkommen (z.B. Unfallrenten oder Krankengeld)
handelt, sind monatlich eine Versicherungspauschale von 30 €, die Beiträge zur KfzHaftpflichtversicherung und die Beiträge zur Riesterrente abzusetzen.
Schwieriger wird dies bei Arbeitseinkommen. Hier gilt der Grundsatz, dass zusätzlich
zu den oben genannten Kosten auch sämtliche arbeitsbedingten Kosten vom
Einkommen abzusetzen sind, z.B. also auch Fahrtkosten, Berufsbekleidung oder
Gewerkschaftsbeiträge. Bei den Fahrtkosten setzt die ARGE auf der Basis der ALG
II-Verordnung fast immer lediglich eine Fahrtkostenpauschale von 0,20 € pro
Entfernungskilometer (einfache Fahrt) an. Dabei wird übersehen, dass der Nachweis
höherer Kosten ausdrücklich möglich ist – die ARGE weist auch nur selten
daraufhin. Da bei 0,20 € pro Entfernungskilometer lediglich 0,10 € auf den tatsächlich
gefahrenen Kilometer entfallen, wird die Pauschale oftmals bereits durch die
Treibstoffkosten erreicht. Zusätzlich können Kfz-Steuer und –Versicherung,
Reparaturen, neue Reifen oder ähnliche Kosten abgesetzt werden. Diese Kosten
müssen allerdings nachgewiesen werden. Außerdem muss zwischen der privaten
und beruflichen Nutzung des Fahrzeuges unterschieden werden, so dass ein
Fahrtenbuch geführt werden sollte. Zusätzlich kann man sich mit der ARGE darüber
streiten, auf welchen Zeitraum diese Kosten verteilt werden, wie lange also z.B. eine
Reparatur reicht. Zur Vermeidung dieser Streitigkeiten sollte hier eine Pauschale von
0,30 € Entfernungskilometer angesetzt werden – dies entspräche dann der
steuerlichen Enfernungspauschale.
Sofern die monatlichen Kosten 100 € nicht übersteigen, wird pauschal der
Grundfreibetrag von 100 € abgezogen.
Höhere Absetzbeträge als 100 € können nur dann geltend gemacht werden, wenn
das Erwerbseinkommen 400 € überschreitet. Übersehen wird aber oft, dass diese
Regelung dann nicht gilt, wenn das Einkommen aus Ausbildung erzielt wird, so dass
hier auch bei einem Einkommen von unter 400 € die tatsächlichen Kosten
(Fahrtkosten, Internatskosten usw.) zu berücksichtigen sind.
11
Außerdem wird ein gestaffelter Erwerbstätigenfreibetrag von 20 % bei einem
Erwerbseinkommen von 100 € bis 800 € und von weiteren 10 % bei 800 € bis 1200 €
errechnet und vom Nettoeinkommen in Abzug gebracht.
Das Einkommen (Erwerbs- und Nichterwerbseinkommen) mindert sich auch um
eventuelle titulierte Unterhaltsverpflichtungen, außerdem evtl. um bei der
Berechnung von BAB oder BAföG eines Kindes bereits berücksichtigte Beträge.
Auszubildende, die zuhause wohnen und daher nur BAföG in Höhe von 192 €
beziehen, können übrigens 20 % als pauschale Ausbildungskosten absetzen lassen.
Dies ist bei der ARGE weitgehend unbekannt.
Eine Eigenheimzulage oder eine sonstige zweckbestimmte Einnahme ist nicht als
Einkommen anzurechnen, sofern die zweckentsprechende Verwendung erfolgt.
Die Sozialgerichte gehen zunehmend davon aus, dass es sich auch bei der bei einer
auswärtigen Tätigkeit gezahlten Auslöse bzw. dem Verpflegungsmehraufwand um
eine zweckbestimmte Einnahme handelt, die nicht als Einnahme angerechnet
werden darf. Sofern die ARGE hier lediglich Pauschalen von 6 € bzw. 12 € pro Tag
abzieht, ist dies rechtswidrig.
Auch die Abwrackprämie ist kein Einkommen.
Gezahlte Aufwandsentschädigungen für Ein-Euro-Jobs oder ehrenamtliche Arbeit
sind kein anzurechnendes Einkommen.
Nur das nach der Bereinigung verbleibende Einkommen kann mit dem Bedarf
verrechnet werden.
9.
Angebliche Lebensgemeinschaft
Sehr viele Streitigkeiten entstehen um angebliche oder tatsächliche (nichteheliche)
Lebensgemeinschaften.
Die
ARGE
nimmt
gerne
vorschnell
eine
Bedarfsgemeinschaft an, da das Einkommen des (angeblichen) Partners dann zur
Bedarfsdeckung herangezogen wird und die von der ARGE zu zahlenden Leistungen
entsprechend reduziert werden können.
Seit dem 1. August 2006 hat der Gesetzgeber dazu eine Beweislastumkehr im
Gesetz geregelt. Danach kann die ARGE eine Bedarfsgemeinschaft annehmen,
wenn länger als ein Jahr zusammengewohnt wird, Vermögen gemeinsam genutzt
wird, Angehörige gemeinsam gepflegt werden oder gemeinsame Kinder vorhanden
sind. Diese Vermutung kann durch den Hilfesuchenden widerlegt werden.
Viele Sozialgerichte decken die Praxis der ARGE vorschnell und stellen an diesen
Beweis des Gegenteils hohe Anforderungen. Da es naturgemäß auf große
Schwierigkeiten stößt, eine negative Tatsache zu beweisen, haben mehrere
Landessozialgerichte und das Bundessozialgericht inzwischen allerdings
entschieden, dass diese hohen Anforderungen nicht zu einer praktischen
Unmöglichkeit des Gegenbeweises führen dürfen.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Bundesverfassungsgericht bereits zum SGB II
entschieden hat, dass eine Bedarfsgemeinschaft tatsächlich nur dann existiert, wenn
der dazu nicht verpflichtete Partner freiwillig den anderen Partner finanziell
unterstützt. Dies ist auch konsequent, weil das Bürgerliche Gesetzbuch keinerlei
Unterhaltspflichten innerhalb einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kennt, die
dann auch zwangsweise durchsetzbar wären. Auch eine sich in gegenseitigen
Besuchen äußernde Freundschaft ist noch keine Lebensgemeinschaft.
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Auf dieser Linie haben dann auch mehrere Landessozialgerichte unlängst
entschieden, dass die ARGE zur Verhinderung einer existenziellen Notlage
Leistungen zu erbringen hat, wenn in einer angeblichen Bedarfsgemeinschaft keine
freiwillige Unterstützung des einen (angeblichen) Partners durch den anderen
Partner feststellbar ist.
Diese Rechtssprechung scheint sich allerdings zu den ARGEN noch nicht
herumgesprochen zu haben oder wird bewusst ignoriert.
Die genauen Verhältnisse und Hintergründe einer behaupteten Lebensgemeinschaft
sollten genau erfragt werden, da die Bewertung, ob getrennte Wohnungen auch
getrennt bewohnt werden, z.B. von Faktoren, wie dem Strom- oder
Wasserverbrauch, abhängen kann.
10.
Ausbildungskosten bleiben unberücksichtigt
Auszubildende, deren Ausbildung grundsätzlich durch BAB oder Bafög förderfähig
ist, sind im Regelfall von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Entscheidend ist dabei nicht der tatsächliche Bezug von Ausbildungsförderung,
sondern die abstrakte Förderfähigkeit. Es gibt dazu eine Vielzahl von
Sonderregelungen z.B. bei Behinderten, bei Auszubildenden kurz vor Beendigung
ihres Abschlusses oder bei Auszubildenden, die nur einen Grundbedarf erhalten.
Auszubildende (auch Studenten) sind damit nicht mehr Mitglied der
Bedarfsgemeinschaft, müssen allerdings nach überwiegender Praxis als Mitglied der
Haushaltsgemeinschaft den nach Kopfteilen auf sie entfallenden Teil der
Unterkunftskosten bei den Eltern tragen. Dies gilt auch dann, wenn sie parallel dazu
in einem Wohnheim wohnen und dort die Unterkunftskosten selbst tragen müssen.
Verschiedentlich gehen die Sozialgerichte allerdings dazu über, als Wohnort eines
Auszubildenden tatsächlich den Ausbildungsort anzusehen, sofern dort tatsächlich
eine Wohnung oder ein Zimmer bewohnt wird.
Um diese (doppelten) Kosten aufbringen zu können, haben die Auszubildenden
allerdings einen Anspruch auf Wohngeld sowie auf einen ergänzenden Zuschuss zu
den ungedeckten Kosten der Unterkunft gegenüber der ARGE, auch wenn sie
eigentlich vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind. Dieser Zuschuss wurde zum
1. Januar 2007 eingeführt und ist vielen Mitarbeitern der ARGE unbekannt.
Schüler können außerdem die Übernahme der Kosten für eine Klassenfahrt
beantragen. Ein Abzug angeblich ersparter Verpflegungskosten (weil sie zuhause
nicht essen müssen) ist unzulässig.
Auf die Chemnitzer Studie „Man kann auch mit 132 € leben“ haben sich CDU und
SPD im September 2008 darauf geeinigt, dass es keine Änderung bei den
Regelleistungen geben werde. Durch massive politische Proteste wurde die
Bundesregierung gezwungen, für den Sommer diesen Jahres eine einmalige
Zahlung von 100 € für Schulkosten anzukündigen – schließlich ist im Jahr 2009
Bundestagswahl.
Weitere Zuschüsse, z.B. zu Schulbüchern oder Lernmaterialien, sind eigentlich nicht
vorgesehen.
Da diese Kosten weder durch den Regelsatz berücksichtigt werden noch durch den
Zuschuss ausreichend gedeckt sind, ist dieses Problem weiterhin politisch hoch
umstritten.
13
Verschiedene Landessozialgerichte haben inzwischen entschieden, dass
Ausbildungskosten, z.B. Fahrtkosten, aus verfassungsrechtlichen Gründen als
unabdingbarer Bedarf auf Darlehensbasis durch die ARGE bzw. durch das örtliche
Sozialamt zu übernehmen sind, wobei die Rückzahlung des Darlehens zu erlassen
ist. Es sollte daher ein ausdrücklicher Darlehensantrag gestellt werden.
Hier gilt die Vorrangigkeit des Verfassungsrechtes gegenüber dem SGB II. Es bleibt
abzuwarten, wie sich die Rechtssprechung weiter entwickelt.
Ausbildungsvergütungen sind Einkommen. Betriebliche und Außerbetriebliche
Ausbildungen werden auf der Grundlage der Regelungen zu den Freibeträgen und
den Absetzbeträgen genauso wie Erwerbseinkommen bereinigt.
11.
Abgrenzung von Einkommen und Vermögen
Alles, was vor der Beantragung von ALG II vorhanden ist, ist Vermögen. Alles, was
während des Bezugs von ALG II hinzukommt, ist Einkommen und zwar auch dann,
wenn die Schonvermögensgrenze noch nicht erreicht ist.
Einkommen sind auch Erstattungen von Lohnsteuer oder Betriebskosten –
unabhängig von dem Zeitraum, aus dem sie stammen. Es ist nach dem
Zuflussprinzip ausschließlich der Zeitpunkt des Zuflusses entscheidend und die
Möglichkeit, davon gegenwärtig seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Erstattung von Strom oder Warmwasserkosten (Bestandteil der
Heizkostenabrechnung) ist allerdings kein Einkommen, da diese Kosten aus der
Regelleistung bezahlt werden. Dies wird oftmals nicht berücksichtigt, so dass die
Anrechnung von Betriebskostenguthaben immer kritisch überprüft werden sollte.
Sofern vorhandenes Vermögen von einer Form in eine andere umgewandelt (z.B. ein
Betrag vom Sparbuch auf das Girokonto eingezahlt wird), handelt es sich dabei
natürlich um keine Einnahme. Dies wird deswegen betont, weil die Mitarbeiter der
ARGE beim Filzen der Kontoauszüge der letzten 3 Monate oftmals der Versuchung
erliegen, sämtliche Eingänge, die nicht von der ARGE selbst stammen, als
Einkommen anzurechnen.
12.
Angeblich zu hohes Vermögen
Viele Streitigkeiten gibt es auch um die Berücksichtigung angeblich zu hohen
Vermögens. Zu unterscheiden ist dabei zwischen zweckgebundenem und freiem
Vermögen.
Bei freiem Vermögen ist ein Betrag von 150 € pro Lebensjahr geschützt, zusätzlich
ein Anschaffungsfreibetrag von 750 €, mindestens aber ein Grundfreibetrag von
3.100 €.
Als zweckgebundenes Altersvorsorgevermögen ist ein weiterer Betrag von 250 € pro
Lebensjahr geschützt, sofern auf dieses Vermögen nicht vor Rentenbeginn
zugegriffen werden kann. Dazu muss üblicherweise ein „Verwertungsausschluss“ mit
der Versicherung vereinbart worden sein. Auch über diesen Betrag hinausgehendes
Vermögen kann nicht angerechnet werden, sofern ein Verwertungsausschluss
vorliegt, da dieser Verwertungsausschluss jeden Zugriff vor Rentenbeginn verhindert.
14
Zusätzlich ist ein Kraftfahrzeug für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht als
Vermögen zu berücksichtigen, sofern ein Wert von 7.500 € pro Kraftfahrzeug nicht
überschritten wird.
Ebenfalls geschützt ist ein angemessenes selbst bewohntes Hausgrundstück mit
einer Wohnfläche von bis zu 130 m² und einer Grundstücksgröße von bis zu 800 m².
Ein diesen Betrag überschreitender Vermögenswert unterfällt den normalen
Freibeträgen von 150 € pro Lebensjahr.
Über die geschützten Beträge hinausgehendes Vermögen ist grundsätzlich zur
Deckung des Lebensunterhaltes zu verwenden, Leistungen der ARGE können dann
versagt werden. Das überschüssige Vermögen wird auf einen angemessenen
Zeitraum verteilt. Achtung: Hierbei sollte darauf Einfluss genommen werden, dass
abhängig von der Höhe des zu verteilenden Vermögens ein möglichst großer
Zeitraum gewählt werden sollte, um den Leistungsbezug auch weiterhin zu
gewährleisten (Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge). Bei größerem Vermögen
bzw. Einkommenszufluss kann sich der Verteilungszeitraum auf maximal 12 Monate
erstrecken.
Während des Nichtleistungsbezuges besteht jedoch keine Pflicht, auf Hartz IVNiveau leben zu müssen!
Wenn das überschüssige Vermögen genutzt werden muss, um Grundbedarfe zu
decken
(Ersatzbeschaffungen
im
Haushalt,
Schuldentilgung,
Renovierungen/Reparaturen etc.) kann bereits nach kurzer Zeit eine erneute
Antragsstellung bei der ARGE erfolgen, wenn dann der Vermögensfreibetrag
unterschritten bzw. das Einkommen aufgebraucht ist. Allerdings darf das Vermögen
natürlich nicht mutwillig „verjubelt“ werden.
Viele Fehler werden dadurch gemacht, dass tatsächlich nicht vorhandenes oder
nicht verwertbares Vermögen angerechnet wird oder von einem zu hohen Vermögen
ausgegangen wird.
Sofern tatsächlich zu hohes Vermögen vorhanden ist, dieses aber aufgrund von
Verfügungsbeschränkungen (z.B. Kündigungsfristen) oder längerer Zeitdauer der
Verwertung gegenwärtig nicht als Einkommen zur Verfügung steht, sind Leistungen
auf Darlehensbasis zu erbringen. Dieses Darlehen muss dann später aus dem zu
Geld gemachten Vermögen zurückgezahlt werden.
Ein Darlehen ist aber dann nicht zulässig, wenn der Zeitpunkt der künftigen
Verwertbarkeit vollkommen unbestimmt ist und nicht durch den Hilfebedürftigen
beeinflussbar ist – in diesem Fall sind Leistungen geregelt als Zuschuss zu
erbringen.
Es darf auch nur der tatsächlich auf den Markt erzielbare Wert des Vermögens
angesetzt und nicht pauschal z.B. von irgendwelchen Bodenrichtwerten
ausgegangen werden.
Wenn Vermögen endgültig nicht verwertet werden kann, dürfen Leistungen nicht nur
auf Darlehensbasis erbracht werden; Beispiel: Das Hausgrundstück im ländlichen
Raum übersteigt 800 m². Aufgrund der fehlenden Teilungsgenehmigung der
Gemeinde ist es aber nicht teilbar und damit auch nicht verkäuflich, analog bei
fehlender Bebaubarkeit mangels Bebauungsplan oder fehlenden Kaufinteressenten.
An den Nachweis der fehlenden Verwertbarkeit werden hohe Anforderungen gestellt
(Bestätigungen von Maklern etc.).
Zu diesem Themenkomplex existiert eine Vielzahl von Spezialregelungen, die hier
nicht näher dargestellt werden sollen.
15
13.
Mehrbedarfe / Einmalige Bedarfe
Die Gewährung von Mehrbedarfen bzw. einmaligen Bedarfen ist zwar gesetzlich
geregelt, jedoch keine Garantie, dass diese auch tatsächlich gezahlt werden.
Bei der entsprechenden Lebenslage sollte daher der Bewilligungsbescheid immer
kritisch überprüft werden.
a. Mehrbedarf bei Schwangerschaft/Geburt
Schwangere erhalten einen Mehrbedarf von 17 % der Regelleistung. Außerdem gibt
es einen Zuschuss zu den Kosten der Schwangerschaftsbekleidung und der
Erstausstattung des Kindes bei Geburt. Diese Mehrbedarfe sind vor der Geburt zu
zahlen.
b. Mehrbedarf bei Alleinerziehung
Alleinerziehende Mütter/Väter erhalten für ihre minderjährigen Kinder einen
Mehrbedarf, dessen Höhe vom Alter und der Anzahl der Kinder abhängig ist. Dieser
Mehrbedarf ist entgegen beobachteter Praxis nicht daran gekoppelt, dass auch
Unterhaltsvorschuss gezahlt wird.
c. Mehrbedarf bei Behinderung
Erwerbsfähige behinderte Hilfesuchende erhalten einen Mehrbedarf von 35 % der
Regelleistung, sofern sie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Maßnahmen,
Umschulungen u.a. nach § 33 SGB IX) erhalten.
Nichterwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen das Merkzeichen G zuerkannt
wurde, erhalten einen Mehrbedarf von 17 % der Regelleistung.
d. Mehrbedarf bei Krankheit
Für bestimmte Krankheiten, die eine besondere Ernährungsform erfordern, gibt es
einen ernährungsbedingten Mehrbedarf.
Dieser Mehrbedarf muss durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen worden
sein, die im Regelfall alle zwölf Monate neu einzureichen ist.
Der Mehrbedarf wird auch nur dann gezahlt, wenn tatsächlich ein durch eine
notwendige andere Ernährung notwendiger finanzieller Mehrbedarf vorhanden ist. Er
ist ausdrücklich nicht vorgesehen als Krankheitszulage oder zur Abdeckung mit der
Krankheit verbundener weiterer Mehrkosten. Krankheitskosten sollen nämlich bereits
im Regelsatz berücksichtigt worden sein, so der Gesetzgeber. Zu beachten ist
allerdings, dass die ARGE den Mehrbedarf ab Kenntnis von der Erkrankung zu
zahlen hat und sich nicht darauf zurückziehen kann, dass notwendige Formulare
nicht eingereicht wurden.
Nach Ansicht des Deutschen Vereines für private und öffentliche Fürsorge ist
aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse seit Oktober 2008 allerdings für eine
Vielzahl von Krankheiten kein ernährungsbedingter Mehrbedarf mehr notwendig, weil
die Kosten für die einzig als Therapie sinnvolle gesunde Ernährung im Regelsatz
enthalten sind, so die Meinung des Gesetzgebers. Dies betrifft z.B. Krankheiten wie
Diabetes, Bluthochdruck, Gicht usw. Die ARGEN stützen sich auf diese
Empfehlungen und die Sozialgerichte decken diese Vorgehensweise.
Sofern diese Praxis angegriffen werden soll, ist dringend zu fundierten Gutachten zu
raten, die jeweils im Einzelfall nachweisen, warum ein ernährungsbedingter
Mehrbedarf doch notwendig ist.
16
e. Einmalige Bedarfe
Im SGB II sind verschiedene Möglichkeiten zur Übernahme einmaliger Bedarfe
vorgesehen.
Am wichtigsten ist, dass die ARGE bei Erstbezug einer Wohnung die Kosten für eine
übliche Wohnungseinrichtung zu übernehmen hat. Die Deckung des Bedarfes kann
durch Geldzahlung oder Sachleistung (Möbelbörse) erfolgen.
Es ist außerdem nach sofort zu deckenden Bedarfen (z.B. Bett, Schrank,
Kühlschrank, Herd) und nicht so dringenden Bedarfen (z.B. Fernseher, Couch) zu
unterscheiden.
Sofern bestimmte, zur üblichen Ausstattung einer Wohnung zugehörige
Gegenstände, noch nie vorhanden waren, sind sie als einmalige Bedarfe zu
übernehmen.
In der Regelleistung soll ein gewisser Anteil enthalten sein, der für notwendige
Ersatzbeschaffungen (nicht für Erstbeschaffungen!) zurückzulegen ist, z.B. für die
Reparatur einer Waschmaschine oder den Neukauf eines Wintermantels. Sofern
nichts angespart werden konnte oder der angesparte Betrag durch eine andere
dringende Anschaffung verbraucht wurde, hat die ARGE ein Darlehen zu gewähren.
Dieses Darlehen kann dann durch monatliche Aufrechnung bis zu 10 % der
Regelleistung zurückgefordert werden. Sofern mehrere parallele Darlehen gewährt
wurden, kann die ARGE allerdings nicht unbegrenzt aufrechnen, da auch noch ein
Betrag zum Leben übrig bleiben muss. Die Gewährung eines Darlehens ist höchst
unbeliebt bei der ARGE und bietet viel Streitpotential.
Nicht zulässig ist die Gewährung von Umzugs- oder Renovierungskosten als
Darlehen bei einem notwendigen Umzug, da es sich dabei um keinen von der
Regelleistung erfassten Bedarf handelt, sondern um auf Zuschussbasis zu
übernehmende Kosten der Unterkunft.
Dies gilt auch für Aufnahmegebühren bei einer Wohnungsgenossenschaft, nicht aber
für Mietkautionen oder Genossenschaftsanteile, da diese einen Vermögenswert
darstellen.
14.
Anrechnung der Krankenhausverpflegung als Einkommen
Das Bundessozialgericht entschied am 18. Juni 2008, dass die Anrechnung von
Verpflegung als Einkommen bei stationärem Aufenthalt (Krankenhaus, REHA u.a.)
rechtswidrig ist.
Sämtliche
Bewilligungsbescheide
sowie
Rückforderungsbescheide
wegen
Überzahlung können rückwirkend bis zum 31. Dezember 2007 einer Überprüfung
unterzogen werden (mittels Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X).
Die ARGE muss also für den zurückliegenden Zeitraum bis zum 31. Dezember 2007
von der Regelleistung in Abzug gebrachte Kosten für die stationäre Verpflegung in
voller Höhe zurückerstatten.
Ab dem 1. Januar 2008 gilt die neue ALG II-Verordnung, die eine Anrechnung der
Krankenhausverpflegung als Einkommen regelt. Übersehen wurde dabei allerdings,
dass in der ALG II-Verordnung nur geregelt werden kann, wie Einkommen berechnet
wird, nicht aber, was Einkommen ist.
Die entsprechende Anrechnung als Einkommen ist daher auch nach der neuen
Rechtslage ab dem 1. Januar 2008 rechtswidrig.
17
Die bisherigen Argumente haben weiterhin Gültigkeit (bei Anrechnung als
Einkommen müssten auch Zuzahlungen, Bademäntel etc. als Aufwendungen zur
Einkommenserzielung angerechnet werden; es gäbe keine Pflicht, 35 % der
Regelleistung aufzuessen; auch bei Nichtrauchern werde die Regelleistung nicht
gekürzt, obwohl Zigaretten in der Regelleistung enthalten sind u.a.).
Nicht zulässig ist übrigens auch eine Kürzung der Kosten einer Klassenfahrt um
Verpflegungskosten.
15.
Sanktionen
Ein weites Feld ist auch die Überprüfung von Sanktionen, also der Kürzung von
Leistungen aufgrund (angeblichen) Fehlverhaltens.
Häufiges Problem ist die Verhängung einer Sanktion nach Nichtantritt einer
Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung. Der Antritt einer solchen
Maßnahme kann nur verlangt werden, wenn diese einen konkreten Nutzen bei der
Wiedereingliederung des Hilfesuchenden in den Arbeitsmarkt bietet und die ARGE
zuvor
eine
konkrete
Prognoseentscheidung
getroffen
hat.
Eine
Beschäftigungstherapie zur Bereinigung der Statistik ist daher rechtswidrig.
Außerdem müssen Ort und Umfang der Arbeitsgelegenheit konkret beschrieben
worden sein.
Viele Sanktionsbescheide scheitern an zu unklaren Formulierungen. Die
Sozialgerichte verlangen allerdings, dass der Hilfesuchende dem Sanktionsbescheid
ganz konkret entnehmen kann, in welcher Höhe für welchen Zeitraum Leistungen
gekürzt werden, um sich entsprechend einstellen zu können.
16. Ein-Euro-Job
Nach
Ansicht
des
Gesetzgebers
stellen
Arbeitsgelegenheiten
mit
Mehraufwandsentschädigung (besser bekannt als Ein-Euro-Job) nur das letzte Mittel
in einer ganzen Palette von Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den
Arbeitsmarkt dar. Sie sollen vorrangig Hilfebedürftigen angeboten werden, für die
keine andere Maßnahme in Betracht kommt und die langsam wieder an ein
geregeltes Arbeitsleben herangeführt werden müssen.
In der Praxis stellt sich dies ganz anders dar: Es werden massenhaft Ein-Euro-Jobs
vergeben und alle anderen Maßnahmen sind nachrangig.
Sofern man dagegen vorgehen möchte, sind folgende Fragen zu klären:
* Gibt es eine konkrete Prognose, wie die Hilfebedürftigkeit dieses Menschen durch
den konkreten Ein-Euro-Job verringert werden kann und welche notwendigen
Fähigkeiten und Kenntnisse ihm vermittelt werden?
Eine reine Beschäftigungstherapie ist unzulässig.
* Muss überhaupt an den Arbeitsmarkt herangeführt werden?
Wer sich selbst bereits eine Neben- oder Teilzeittätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt
gesucht hat, muss an diesen 2. Arbeitsmarkt nicht mehr herangeführt werden. Wir
übersehen dabei nicht, dass oftmals ein verständliches finanzielles Interesse besteht,
beide
Beschäftigungen
ausüben
zu
können,
da
die
gezahlte
Mehraufwandsentschädigung nicht als Einkommen angerechnet wird und ein
Nebeneinkommen bis 100 € ebenfalls anrechnungsfrei ist.
18
* Sind die zugewiesenen Tätigkeiten zusätzlich und gemeinnützig?
Es ist unzulässig, wenn z.B. Kommunen erst Hausmeisterstellen streichen und dann
die gleichen Arbeiten durch Ein-Euro-Kräfte erledigen lassen.
Um sich der existenziellen Bedrohung durch die sofortige Verhängung einer Sanktion
bei Ablehnung eines Ein-Euro-Jobs zu entziehen, empfehlen wir, diesen trotz
aller Bedenken anzutreten und anschließend Klage auf Feststellung der
Rechtswidrigkeit der Zuweisung des Ein-Euro-Jobs zu erheben. Natürlich kann
die Zuweisung auch abgelehnt werden, allerdings ist man dann mit hoher
Wahrscheinlichkeit gezwungen, sich sofort in einem Eilrechtsschutzverfahren mit
der Sanktion, also der Kürzung der Leistung, auseinanderzusetzen.
17.
Ordnungswidrigkeiten
Als Empfänger von ALG II ist man nach dem Gesetz verpflichtet, mitzuwirken, also
Veränderungen an der persönlichen oder finanziellen Situation mitzuteilen,
Unterlagen vorzulegen, zu Terminen zu erscheinen und noch so einiges mehr.
Zunehmend werden Verstöße dagegen nicht nur mit Sanktionen belegt, sondern als
Ordnungswidrigkeit geahndet, insbesondere dann, wenn Änderungen am
Einkommen nicht oder nicht rechtzeitig mitgeteilt wurden und es zu Überzahlungen
gekommen ist.
Intern gewährt die ARGE eine 2-Wochen-Frist zur Einreichung von Unterlagen nach
eigener Kenntnis von Einkommensveränderungen (über die unserer Kenntnis nach
aber nicht informiert wird), z.B. nach Erhalt einer Betriebskostenabrechnung vom
Vermieter. Wird diese Frist überschritten, leitet die ARGE ein Verfahren zur Prüfung
des Verdachtes einer Ordnungswidrigkeit ein. Sofern in der vorgeschriebenen
Anhörung nicht aus Sicht der ARGE schlagende Argumente vorgebracht werden
können, wird im Regelfall eine Geldbuße verhängt, die schnell 1/3 der monatlichen
Regelleistung erreichen kann.
Sofern ein solcher Fall in der Beratung auftaucht, sollten folgende Schritte geprüft
werden: Hat der Verstoß, so wie er von der ARGE behauptet wird, stattgefunden?
Gibt es Zeugen oder Unterlagen, die das Gegenteil beweisen? Trägt die ARGE eine
Mitschuld, kann Vertrauensschutz geltend gemacht werden? Hat die ARGE die
Jahresfrist zur Ahndung von Verstößen eingehalten? Ist das Bußgeld tat- und
schuldangemessen?
Bestehen Zweifel, sollte Einspruch eingelegt werden.
Der Einspruch muss zwingend innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des
Bußgeldbescheides eingelegt werden, wobei der Eingang des Einspruches bei der
ARGE entscheidend ist, nicht die Absendung.
Da innerhalb dieser kurzen Frist kaum eine vernünftige Sachaufklärung möglich ist,
sollte im Regelfall bei jedem Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheides
Einspruch eingelegt werden, um so zunächst eine Hemmung der Rechtskraft zu
erreichen.
Nach dem Einspruch hat die ARGE die Möglichkeit, den Bußgeldbescheid
aufzuheben oder das Verfahren über die Staatsanwaltschaft an das zuständige
Amtsgericht abzugeben, wo dann ein Richter über die Rechtmäßigkeit entscheidet.
Der Richter kann den Bußgeldbescheid aufheben, das Bußgeld herabsetzen, aber
auch erhöhen. Bevor dies geschieht, wird der Richter aber darauf hinweisen und
empfehlen, den Einspruch zurückzunehmen.
Nach unserer Erfahrung wird aber in sehr vielen Bußgeldverfahren, die nach
Einspruch vor dem Amtsgericht entschieden werden, eine Verbesserung erreicht,
19
also entweder das Bußgeld herabgesetzt, der Bußgeldbescheid in eine Verwarnung
umgewandelt oder auch ganz aufgehoben. Dies gilt zumindest dann, wenn es sich
um einen Erstverstoß handelt, sich die eigene Aussage und die Aussage der ARGE
(z.B. bei verschwundenen Unterlagen) gegenüberstehen oder das Bußgeld für einen
unbedeutenden Verstoß verhängt wurde, durch den kein Schaden für die ARGE
entstanden ist. Die Amtsrichter folgen hier offenbar dem Grundsatz, dass nicht mit
Kanonen auf Spatzen geschossen und unbescholtene Bürger kriminalisiert werden
sollen.
Abraten möchten wir allerdings vor dem unbegründeten Einlegen eines Einspruches
bei tat- und schuldangemessenen Bußgeldbescheiden und einem nicht zu
bestreitenden Vorwurf, da nach einem Einspruch das Bußgeld auch höher ausfallen
kann und außerdem beträchtliche zusätzliche Verfahrenskosten entstehen können.
18.
Schadensersatz
Sofern die ARGE einen Fehler macht (z.B. zu späte Überweisung einer bewilligten
Leistung, zu späte Erstellung eines Bescheides) und dadurch ein Schaden entsteht,
ist dieser Schaden durch die ARGE zu ersetzen.
Dies können z.B. Kosten für Bankrücklastschriften, Zinsen oder GEZ-Gebühren sein.
Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
und/oder aus der Amtshaftung. In solchen Fällen sollte spätestens bei Ablehnung der
Kostenübernahme durch die ARGE ein spezialisierter Anwalt oder Berater
hinzugezogen werden.
19.
Auszug von unter 25-Jährigen Kindern aus der Elternwohnung
Niemand kann auch einem Hilfesuchenden verbieten, aus der bisher bewohnten
Wohnung auszuziehen; es gibt daher keine „Umzugsgenehmigung“ der ARGE.
Verständlich ist es auch, wenn ein junger Hilfesuchender – endlich volljährig
geworden – in seine eigene Bude ziehen will. Vorsicht - mitzureden hat die ARGE
allerdings immer dann, wenn es um die Kosten geht. Erhöhen sich nach einem
Umzug daher die Kosten der Unterkunft (weil z.B. statt einem bisherigen Drittel der
Miete für eine gemeinsam mit den Eltern bewohnte Wohnung nun die volle Miete für
eine allein bewohnte Wohnung zu zahlen ist), so werden nur die bisherigen Kosten
(also ein Drittel der bisherigen Miete) übernommen; es sei denn, der Umzug ist von
der ARGE veranlasst oder aus schwerwiegenden sozialen Gründen erforderlich.
Schwerwiegende soziale Gründe können z.B. ständige ernsthafte Streitereien mit
den Eltern oder Geschwistern, eine unzumutbar kleine Wohnung oder Tätlichkeiten
sein. Die ARGE prüft dies allerdings sehr genau. Können diese Gründe nicht
nachgewiesen werden, wird die ARGE der Übernahme der Kosten nicht zustimmen
und ein Auszug kann nicht vorgenommen werden.
Von diesen harten Regelungen gibt es zwei Ausnahmen:
* Entgegen oft anzutreffender Behauptung der ARGE gibt es keine Pflicht, wieder zu
den Eltern zurückziehen, sofern man bereits eine eigene Wohnung bewohnt hat und
diese selbst finanziert hat, dies nunmehr jedoch aufgrund von Arbeitslosigkeit nicht
mehr kann.
* Es gibt auch keine Pflicht, mit den Eltern mitzuziehen und keine „KindermitnahmePflicht“ der Eltern. Entschließen sich diese, die bisherige Wohnung zu kündigen und
in eine kleinere Wohnung umzuziehen oder den Wohnort komplett zu wechseln, gibt
20
es nach dem 18. Geburtstag keine Pflicht, sich an diesem Umzug zu beteiligen und
auch keine Pflicht der Eltern, ihr groß gewordenes Kind mitzunehmen.
Wenn die Miete und der Lebensunterhalt allerdings selbst bestritten werden können,
gibt es keine Pflicht, überhaupt irgendetwas mit der ARGE zu besprechen oder in der
elterlichen Wohnung zu bleiben (dazu auch C.21.).
20.
Aufrechnung bei Rückforderungen
Um bei Rückforderungen den Verwaltungsaufwand mit Aufhebungs- und
Erstattungsbescheiden und der Überwachung der Rückzahlung zu vermeiden,
versuchen die ARGEN zunehmend, Aufrechnungsvereinbarungen abzuschließen,
um so den zurückgeforderten Betrag mit der laufenden Leistung verrechnen zu
können. Beachtet werden müssen dabei folgende Fehlerquellen: Es gibt keine
Pflicht, einer solchen Vereinbarung zuzustimmen, die Drohung mit einer
Leistungseinstellung bei verweigerter Unterschrift ist eine rechtswidrige Nötigung.
Auch auf diesem Wege darf nur soviel aufgerechnet werden, dass das Leben
weiterhin bestritten werden kann, im Regelfall also mit maximal 10 % der
Regelleistung. Unzulässig ist es auch, wenn die immer nur an einen Hilfesuchenden
gerichtete Rückforderung mit der Regelleistung der ganzen Bedarfsgemeinschaft
verrechnet wird, also z.B. bei der Rückforderung gegen den Vater in die
Regelleistung der Kinder eingegriffen wird. Ein solche Vereinbarung ist ein Vertrag
zu Lasten Dritter und bei fehlender Zustimmung dieser Dritten nichtig. Bei Kindern
wäre dafür die Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes notwendig, da diese mit
Verbindlichkeiten belastet werden.
21.
Kinder sind nicht immer Mitglied der Bedarfsgemeinschaft
Kann ein Kind aus eigenem Einkommen seinen Bedarf selbst decken, ist es nicht
Mitglied der Bedarfsgemeinschaft.
Das hat zur Folge, dass auch ein angeblich von diesem Kind nicht selbst benötigtes
Einkommen nicht den Eltern oder Geschwistern als „Sonstiges Einkommen“
angerechnet werden kann. Dies ist ein häufiger Fehler der ARGEN und er ist daran
zu erkennen, dass im ALG II-Bescheid Bedarf und Einkommen des Kindes jeweils
ausgenullt ist, bei den Eltern oder Geschwistern aber das sog. „Sonstige
Einkommen“ auftaucht. Sofern dieses selbst nicht benötigte Einkommen aus
Kindergeld stammt, ist es umstritten, ob es als Einkommen der Eltern angerechnet
werden darf. Die ARGE könnte nämlich auch das Kindergeld zunächst vollständig mit
dem Bedarf des Kindes verrechnen und anschließend z.B. den Unterhalt dazu
heranziehen – überschüssiger Unterhalt wäre kein Einkommen der Eltern, nur bei
Kindergeld soll es genau andersherum sein.
22.
Kinderzuschlag ist nicht immer sinnvoll
Der Geltungsbereich des Kinderzuschlages wurde zuletzt ausgeweitet, um Familien,
bei denen die Eltern ihren eigenen Bedarf selbst decken können, nicht alleine wegen
der Bedarfe der Kinder zu Empfängern von ALG II zu machen.
Der Kinderzuschlag hat allerdings den Nachteil, dass an den Status des ALG IIEmpfängers gekoppelte Vergünstigungen dann wegfallen, so z.B. GEZ-Befreiung,
Ermäßigung der Telefongrundgebühr, Sozialpaß, Einkaufsberechtigung bei einer
Tafel oder die Möglichkeit, einmalige Leistungen der ARGE in Anspruch nehmen zu
können (Kosten für Klassenfahrten, Übernahme von Heizkostennachzahlungen
21
usw.). Nach § 6a Abs. V Bundeskindergeldgesetz entfällt der Anspruch auf
Kinderzuschlag dann, wenn der Kinderzuschlag aufgrund damit verbundener
Nachteile nicht beantragt wird.
23.
Weiterzahlung trotz Arbeitsaufnahme
Gelingt es, eine neue Arbeitsstelle zu finden, darf die ARGE trotzdem nicht sofort die
Leistungen einstellen.
ALG II ist jeweils zu Beginn eines Monats zu zahlen und eine vorläufige
Zahlungseinstellung kann daher nur erfolgen, wenn in diesem Monat mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit bedarfsdeckende Einnahmen zu erwarten sind. Da in den
meisten Arbeitsverträgen in der privaten Wirtschaft die Zahlung des Lohnes zum 15.
des Folgemonats üblich ist, ist im laufenden Monat gerade nicht mit einem
bedarfsdeckenden Einkommen zu rechnen – das ALG II muss daher in voller Höhe
gezahlt werden. Stellt die ARGE in solchen Fällen trotzdem die Zahlung ein, sollte
sie sofort zur Zahlung aufgefordert werden; bei ausbleibender oder ablehnender
Reaktion sollte schnellstmöglich eine einstweilige Anordnung beim Sozialgericht
beantragt werden (dazu unten)
D
Zum Umgang mit ARGE
Vielen Schwierigkeiten kann oftmals aus dem Weg gegangen werden, wenn einige
wenige Verhaltensweisen beachtet werden.
Es
ist unbedingt notwendig, von allen schriftlichen Unterlagen (Anträge,
Rechnungen, Schreiben, Widersprüche), die der ARGE übergeben werden,
Kopien zum Selbstbehalt anzufertigen und diese mit einem Eingangsstempel
versehen zu lassen. Diese Bestätigung kann auch ohne längere Wartezeit im
Eingangsbereich erfolgen und dient als Nachweis.
Immer wieder kommt es vor, dass bei der ARGE wichtige Unterlagen einfach
verschwinden. Der Nachweis ist jedoch der Beleg dafür, dass die ARGE die
Unterlagen erhalten hat.
Von jedem persönlichen und telefonischen Gespräch mit dem ARGE-Mitarbeiter
sollte ein Gesprächsprotokoll angelegt werden. Dieses muss den Tag und die
Uhrzeit, den Namen des Mitarbeiters und möglichst eine genaue Wiedergabe
des Gesprächsinhaltes enthalten.
Betroffene haben nach § 13 SGB X die Möglichkeit, Beistände und Bevollmächtigte
als Zeugen mitzunehmen. Es sollte auf jeden Fall darauf geachtet werden, dass bei
wichtigen Gesprächen hiervon Gebrauch gemacht wird.
Viele Betroffene sind oftmals schockiert über den Umgang einiger ARGE-Mitarbeiter
mit ihnen. Nicht selten haben Berater zunächst damit zu tun, beruhigend
einzuwirken. Dazu muss gesagt werden, dass die Mitarbeiter einem großen
psychischen und moralischen Druck ausgesetzt sind und offensichtlich ein Ventil für
ihren eigenen Frust benötigen. Sie müssen Hartz-IV umsetzen und den Grundsätzen
des Sparens auf jeden Fall nachkommen.
Die Vermittlung von Sozial- und Gesprächskompetenzen scheint bei den
Mitarbeiterschulungen jedoch wenig eine Rolle zu spielen ebenso wie die Aufklärung
der Betroffenen über ihre Rechte.
22
Dennoch haben sich auch ARGE-Mitarbeiter an normale Umgangsformen und
Regeln zu halten. Beschimpfung und Demütigung braucht sich niemand
auszusetzen. Es besteht immer die Möglichkeit, eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu
erheben oder ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den einzelnen ARGEMitarbeiter einzuleiten. Schwerwiegende Beleidigungen oder Nötigungen sollten
auch als Straftat verfolgt werden. Dazu sollte eine Berater oder ein Anwalt
aufgesucht werden.
Zurückhaltung nach Einschüchterungsversuchen und Angst vor eventuellen
Nachteilen, die durch Widersprüche und Klagen entstehen könnten, sind
unbegründet. Eine fünfstellige Anzahl von Widerspruchs- und Klageverfahren wird
pro Jahr in Mecklenburg-Vorpommern geführt, tausende allein in jedem uns
bekannten Landkreis.
Erst wenn Betroffene mit Nachdruck ihre Rechte einfordern, werden sie erhört.
Sollte es wider Erwartung dennoch zu härteren Auseinandersetzungen mit der ARGE
kommen, muss Abhilfe geschaffen werden durch einen Rechtsbeistand oder Druck
erzeugt werden durch politische Kräfte und soziale Vereine. Auch die Medien können
in solchen Situationen oftmals mit Berichterstattungen (auch anonymen) sehr
hilfreich sein.
Darüber hinaus können und müssen Eingaben an die zuständigen Land- und
Bundestagsabgeordneten von CDU und SPD oder den Bundespetitionsausschuss
(Anschrift S. unter Punkt F) eingereicht werden, in denen die persönliche Situation
oder grundsätzliche Probleme geschildert werden.
Ein Bürgeranliegen allein wird sicher nicht viel erreichen, aber viele lassen den Druck
der Öffentlichkeit erkennen. Deshalb ist jeder einzelne Bürger mit seinem Anliegen
wichtig.
E
Prozessuales & Kosten
Zunächst ist bei aufgedeckten Fehlern in der Leistungsberechnung grundsätzlich das
folgende Vorgehen zu empfehlen:
1. Sofern die Widerspruchsfrist (ein Monat ab Erhalt des Bescheides) noch nicht
abgelaufen ist, Einlegung eines Widerspruches gegen den falschen Bescheid
empfehlen.
2. Sofern die Widerspruchsfrist abgelaufen ist, die Überprüfung des ablehnenden
Bescheides gemäß § 44 SGB X beantragen. Dies geht rückwirkend bis zu 4 Jahren,
jeweils zum Anfang des Jahres gerechnet, also im Jahr 2009 bis zum 1. Januar
2005.
3. Sofern der Widerspruch abgelehnt wurde, Erhebung einer Klage gegen den
Widerspruchsbescheid
innerhalb
eines
Monats
nach
Erhalt
des
Widerspruchsbescheides empfehlen und Kontakt zu einem spezialisierten Anwalt
vermitteln.
1.
Fristen
23
Auch im Sozialrecht müssen Fristen eingehalten werden. So ist z.B. die Einlegung
eines Widerspruches oder die Erhebung einer Klage nur innerhalb eines Monats
nach Erhalt des Bescheides möglich (für den Zugang des Bescheides beim
Hilfesuchenden ist im Streitfall die Behörde beweispflichtig). Anderenfalls wird auch
ein falscher Bescheid bestandskräftig.
Allerdings kann auch noch bis zu 4 Jahren rückwirkend die Überprüfung eines
falschen Bescheides mit einem begründeten „Überprüfungsantrag“ beantragt
werden. Die Behörde muss den genannten Bescheid dann überprüfen und gegen
den Überprüfungsbescheid kann „normal“ Widerspruch erhoben werden.
Die ARGE hat grundsätzlich nur 3 Monate Zeit zur Bearbeitung eines
Widerspruches. Dies ist in § 88 Abs.2 SGG geregelt und auch für ARGE bindend.
Eine Überschreitung dieser Frist ist nur möglich, wenn die ARGE auf Zuarbeiten
Dritter (z.B. ärztliche Gutachten) angewiesen ist und auf die mögliche Verzögerung
vor Ablauf der Frist hingewiesen hat.
Für die Entscheidung über einen erstmaligen Antrag (sofern nicht eilig) oder einen
Überprüfungsantrag hat die ARGE hingegen 6 Monate Zeit.
Da die ARGE selbst auf der Einhaltung von Fristen besteht und deren
Überschreitung großzügig mit Sanktionen ahndet, sollte bei der Überschreitung von
Fristen durch die ARGE immer an eine Untätigkeitsklage gedacht werden. Einziges
Ziel dieser Klage ist die Verurteilung der ARGE zur umgehenden Entscheidung. Im
Regelfall erkennt die ARGE nach Erhebung der Klage die Forderung an und
entscheidet innerhalb kurzer Zeit.
2. Keine Anwaltspflicht
Es besteht im Sozialrecht keine Pflicht, einen Rechtsanwalt mit der Einlegung eines
Widerspruches oder der Erhebung einer Klage zu beauftragen. Hilfesuchende
können sich gegenüber der ARGE oder vor dem Sozialgericht grundsätzlich selbst
vertreten.
Allerdings sollte in Abhängigkeit von den eigenen Kenntnissen geprüft werden, ob
die Beauftragung eines Rechtsanwaltes möglicherweise sinnvoll ist, da Fristen
einzuhalten sind, Schreiben gewissen Anforderungen entsprechen müssen oder es
auf die aktuelle Rechtssprechung ankommen kann.
3.
Kosten
Oftmals herrscht die Fehlvorstellung vor, die Hilfe eines Anwaltes könne nicht bezahlt
werden. Dies ist falsch.
a. Außergerichtlich
Für Hilfesuchende mit keinem oder nur einem geringen Einkommen, gibt es die
Möglichkeit, die Hilfe eines Rechtsanwaltes zu einem konkreten rechtlichen Problem
in Anspruch zu nehmen. Die Hilfe kann entweder in einer Beratung oder auch in
einer Übernahme des Schriftwechsels bestehen. Für diese sog. „Beratungshilfe“
erhält der Rechtsanwalt eine Vergütung durch die Staatskasse, außerdem kann er
eine Eigenbeteiligung von 10 € fordern. Zur Inanspruchnahme gibt es zwei
Möglichkeiten: Entweder wird beim örtlich zuständigen Amtsgericht zunächst ein
Beratungshilfegutschein beantragt und danach ein Rechtsanwalt aufgesucht oder es
wird ein Rechtsanwalt aufgesucht und dieser dann um die Vermittlung der
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Beantragung gebeten. Bei der Ablehnung der Beratungshilfe sind die Kosten des
Rechtsanwaltes allerdings dann selbst zu zahlen.
b. Gerichtlich
Bei Streitigkeiten vor einem Gericht kann für Hilfesuchende Prozesskostenhilfe
beantragt werden. Neben der Bedürftigkeit prüft das Gericht auch (überschlägig) die
Erfolgsaussichten des Verfahrens. Zur Inanspruchnahme gibt es zwei Möglichkeiten:
Entweder wird beim zuständigen Gericht zunächst Prozesskostenhilfe beantragt und
dann nach der Bewilligung ein Rechtsanwalt aufgesucht oder es wird zuerst ein
Rechtsanwalt aufgesucht und dieser dann um die Vermittlung der Beantragung
gebeten. Die Prozesskostenhilfe übernimmt dann die Kosten des eigenen Anwaltes.
Im Sozialrecht erfahrene Anwälte können einschätzen, ob für eine Klage
Prozesskostenhilfe gewährt wird und werden bei aussichtslosen Klagen darauf
aufmerksam machen.
Bei einer selbst erhobenen Klage ist keine Beantragung von Prozesskostenhilfe
notwendig, da (außer bei vollkommen unbegründeten Klagen – Missbrauchsgebühr)
keine Gerichtskosten anfallen.
Sollten sich die Einkommensverhältnisse zukünftig erheblich verbessern, so kann es
bei einem Unterliegen sein, dass die gewährte Prozesskostenhilfe an die
Staatskasse zurückgezahlt werden muss (dies wird 4 Jahre lang überprüft).
Bei einem Obsiegen trägt die ARGE die Kosten des eigenen Anwaltes; eine
Inanspruchnahme der Prozesskostenhilfe ist dann nicht notwendig und eine
Rückzahlung findet nicht statt.
4.
Aufschiebende Wirkung
Aufschiebende Wirkung bedeutet: Der bestehende Zustand bleibt bis zur endgültigen
Klärung beibehalten. Rückzahlungen sind also erst dann zu leisten, wenn das
Verfahren abgeschlossen ist und hier zuungunsten des Betroffenen entschieden
wurde.
Widerspruch und Klage gegen einen Bewilligungsbescheid haben keine
aufschiebende Wirkung, da die ARGE nicht gezwungen werden soll, möglicherweise
rechtswidrige Leistungen für die Dauer des Verfahrens zu zahlen, die dann nur
schwer oder nicht zurückgefordert werden können.
Widerspruch und Klage gegen einen Rückforderungs- und Erstattungsbescheid
haben hingegen aufschiebende Wirkung, da hier der Fehler aus Sicht der ARGE
bereits geschehen ist und es keinen Grund für eine besondere Eilbedürftigkeit der
Rückzahlung gibt.
Die ARGE belehrt in den entsprechenden Bescheiden und auch auf Nachfrage hin in
der Mehrzahl der Fälle darüber nicht oder falsch und fordert eine sofortige
Rückzahlung. Hier hilft es nur, ganz deutlich auf die Rechtslage, die durch die
überwiegende Mehrzahl der Sozialgerichte bestätigt wird, hinzuweisen und für den
Fall der Nichtbeachtung, die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes
anzukündigen. Üblicherweise wird dann eingelenkt.
5.
Eilrechtsschutz
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Die normale Verfahrensdauer von Widersprüchen beträgt mehrere Monate, die
Verfahrensdauer von Klagen ca. 2 Jahre. Bei deutlich zu niedrig bewilligten
Leistungen stellt sich die Frage, wie der Hilfesuchende diesen Zeitraum überleben
soll. In diesem Fall ist dann die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes,
also die Beantragung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung möglich. Dazu
muss zum einen eine überwiegende Erfolgsaussicht in der Sache gegeben sein, zum
anderen darf der Hilfesuchende kein sonstiges Einkommen oder Vermögen haben,
aus denen er zunächst seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Das
Bundesverfassungsgericht hat dazu die Formel entwickelt, dass die Anforderungen
an die Erfolgsaussicht umso niedriger sind, umso höher die Gefährdung des
Lebensunterhaltes des Hilfesuchenden ist. Als Faustformel hat sich eingebürgert,
dass die Differenz zwischen dem Bedarf und den zur Verfügung stehenden Mitteln
mehr als 20 % betragen muss. Allerdings ist jeder Einzelfall gesondert zu prüfen.
Solche Verfahren sind im Regelfall kompliziert und erfordern die Einhaltung
bestimmter formaler Anforderungen.
Eine Entscheidung in Verfahren des Eilrechtsschutzes wird innerhalb weniger
Stunden bis zu mehreren Wochen gefällt, so dass bei einer Notlage nicht mit der
Beantragung gezögert werden sollte.
Wichtig ist dabei, dass im Eilrechtsschutz nur Leistungen für die Zukunft, also ab
dem Tag der Antragstellung gefordert werden können, da „die vergangene Zeit
bereits überlebt wurde“.
Bei gebotener Eilbedürftigkeit ist es daher ein schwerer Fehler, sich auf eine lange
Diskussion mit der ARGE einzulassen, mit „meinem Anwalt zu drohen“, eine
Terminvergabe für ein Gespräch abzuwarten oder „Bettelbriefe“ zu schreiben.
Der ARGE sollte stattdessen eine kurze Frist (maximal 3 Arbeitstage) gesetzt werden
und für den Fall der ausbleibenden Reaktion bereits die Inanspruchnahme
einstweiligen Rechtsschutzes angekündigt werden.
Wichtig ist dabei, dass man einen Nachweis für diese letzte Frist hat und im
Zweifelsfall benennen kann, welcher Mitarbeiter in welchem Zimmer an welchem Tag
die Leistungen definitiv und endgültig abgelehnt hat – einfacher ist es bei per Fax
und zusätzlich als Brief verschickten Aufforderungen.
6.
Wirklich fachkundige Hilfe sichern
Das Sozialrecht ist sehr umfangreich und gleichzeitig kaum Thema der juristischen
Ausbildung. Hilfesuchende sollten sich immer an eine kompetente Beratungsstelle
wenden und nachfragen, welche Kenntnisse dort tatsächlich vorhanden sind.
Tatsache ist, dass die meisten Beraterstellen über den 2. Arbeitsmarkt in einer sehr
kurzen
Zeit
auf
geringstem
Einkommensniveau
oder
über
Mehraufwandsentschädigung beschäftigt sind.
Hinzu kommt, dass die CDU/SPD-geführte Landesregierung Mittel und Stellen in
diesem Bereich rigoros kürzt.
Mitarbeiter, die aber auf der Basis von Mehraufwandsentschädigungen (Ein-EuroJob) o.a. tätig sind, haben kaum die Möglichkeit, die umfangreiche Rechtssprechung,
gerade zum ALG II, im Auge zu behalten und die vielfältigen Verfahrensfragen zu
überblicken.
Auch bei Rechtsanwälten sollte immer nachgefragt werden, ob diese tatsächlich
theoretische und praktische Kenntnisse des Sozialrechtes haben – auch ein guter
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und engagierter Anwalt kann nicht alle Rechtsgebiete gleichzeitig bearbeiten, sollte
dies dann aber auch zugeben.
Kritisch hinterfragen sollte man, wenn der aufgesuchte Anwalt zwar nicht als ALG IISpezialist bekannt ist, aber trotzdem sofort den Erfolg einer Klage garantiert oder
sich zunächst einen Vorschuss zahlen lässt.
Im Sozialrecht erfahrene und engagierte Anwälte können einschätzen, ob für eine
Klage Prozesskostenhilfe gewährt wird und machen bei aussichtslosen Klagen sofort
darauf aufmerksam, um den Hilfesuchenden vor unnötigen Kosten zu bewahren.
F
Weitere Informationen
Im Internet finden sich unter www.tacheles-sozialhilfe.de sehr umfangreiche
weiterführende aktuelle Informationen mit Urteilsdatenbank, Diskussionsforum,
internen Hinweisen der ARGE und Hinweisen auf weitere Informationsquellen.
Von Tacheles e.V. stammt auch der detaillierte „Leitfaden zum SGB II“. Wer es
wissenschaftlicher mag, sei auf den „Kommentar zum SGB II“ von Münder,
erschienen im Nomos-Verlag, verwiesen. Es gibt außerdem eine Vielzahl von
weiteren Büchern vom Taschenbuch bis zum mehrbändigen Kommentar, die hier
nicht weiter dargestellt werden sollen.
Unter Punkt D erwähnte Eingaben an den Bundespetitionsausschuss können unter
folgender Adresse eingereicht werden: Deutscher Bundestag, Petitionsausschuss,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel.: 030 227 35257, Fax: 030 227 36053.
Die zuständigen Adressen der Wahlkreisbüros von CDU und SPD jedes Landkreises
oder kreisfreien Stadt sind im Internet oder Telefonbuch zu ersehen oder zu erfragen
in jeder Behörde bzw. öffentlichen Einrichtung.
G
Nachwort
Die Bundesagentur hatte per 29. September 2008 den ARGEN neue Anweisungen
erteilt. Darin heißt es unter anderem, Stattgaben im Klageverfahren sind ab 2009 auf
30% zu reduzieren und Aktivitäten hinsichtlich der Widersprüche und Klagen sind in
Bezug auf kommunale Aufgaben notwendig.
Hier eine Passage im Wortlaut: „Im Übrigen ist unter Wirtschaftlichkeitserwägungen
darüber zu befinden, ob zu einem als rechtmäßig erkannten Bescheid ein
Widerspruch gerechtfertigt oder der Widerspruchsführer eingeladen wird, um ihn
unter Darlegung der Sach- und Rechtslage zur Rücknahme des Widerspruchs zu
bewegen“.
Oder anders: Die Zahl der Widersprüche soll reduziert und die Betroffenen massiv
eingeschüchtert werden. Die Kommunen sollen einen größeren finanziellen Anteil
der Kosten der Unterkunft übernehmen.
Die Bundesregierung aber zieht sich aus ihrer Verantwortung zurück.
Diesem Vorgehen muss konsequent entgegengewirkt werden.
Es sind Entscheidungen von CDU, SPD und FDP, die Menschen in Notlagen
zwingen.
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Betroffene müssen erkennen, wer die politischen Verantwortlichen sind.
Die Zahl derer, die immer mehr entrechtet werden, ist hoch.
Sie müssen wissen, ihre Situation wird sich erst dann grundlegend ändern, wenn sie
sich engagieren. Widerspruch und Klage von vielen Einzelnen sind ein erster
wichtiger Schritt.
Doch nur die gemeinsame Kraft gibt letztlich den Anstoß zu Veränderungen.
Für Fragen, Bitten und Anregungen stehen wir natürlich gerne zur Verfügung.
Torsten Koplin, Irina Rimkus, Alexander Schmidt
Mai 2009