Bläsermusik in Europa
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Bläsermusik in Europa
PErforMancE Flicorno d’Oro • Musikfest 2015 Praxis intonation der flöte • Körperarbeit PortrÄt Tatjana Ruhland • Ernst Oestreicher Mit großem Länderteil Bläsermusik in Europa Deutschland EUR 6,00 · Österreich / Italien / Spanien / Benelux EUR 7,00 · Schweiz CHF 9,00 eurowinds.de eurowinds Ausgabe 3/2015 (Mai/Juni) · EUR 6,00 (DE) · E-14205 »Man muSS lernen, Ta t j a n a R u h l a n d Por trät Tatjana Ruhland und die Querflöte – das war damals Liebe beim ersten Hören. Sie stammt aus einem musikliebenden Regensburger Elternhaus und besuchte zusammen mit Mutter und Vater früh klassische Konzerte. Im zarten Alter von fünf Jahren hat es dann »eingeschlagen«. Da damals, in den 1970er Jahren, gebogene Kopfstücke für die Allerkleinsten noch unbekannt waren, startete die musikalische Ausbildung zunächst auf Blockflöte und Klavier. Die Blockflöte war für Tatjana Ruhland jedoch keine »Anfängerhupe«, auf der man sich ausprobiert, bis man ein »richtiges« Instrument lernen kann. »Ich habe wirklich sehr gerne Blockflöte gespielt. Wir hatten in Regensburg ein Renaissance-Ensemble, bei dem man auch mal zum Krummhorn oder zur Percussion griff. Diese Zeit prägte ganz entscheidend meine Vorliebe fürs Ensemblespiel. Das habe ich wirklich von der Pike auf gelernt«, erinnert sich die 1972 geborene Flötistin. Mit zehn Jahren kam die Querflöte hinzu, beide Instrumente hat sie auch eine zeitlang parallel intensiv nebeneinander betrieben, wovon erste Bundespreise sowohl auf der Querflöte als auch im Blockflöten-Ensemble zeugen. »Ich konnte mir eigentlich keinen anderen Beruf als Musikerin vorstellen«, sagt Tatjana Ruhland. Sehr früh wurde sie Jungstudentin an der Münchner Musikhochschule. »Das war ein anspruchsvolles Paket, es gab nicht nur den Einzelunterricht, sondern auch Technikstunden und Orchesterstudien. Es war ebenfalls motivierend, die fortgeschrittenen Studenten zu erleben«, meint sie und ergänzt, es sei Por trät A Als »Paganini der Flöte« wird Tatjana Ruhland von der Kritik gelobt. Die Soloflötistin des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR geht neben ihrer Orchestertätigkeit auch einer umfangreichen Karriere als Solistin und Kammermusikerin nach, was sich nicht nur in den Konzertsälen rund um den Globus, sondern auch auf diversen CD-Einspielungen mit musikalischen Raritäten dokumentiert. Seit 2009 unterrichtet sie zudem eine Hauptfach-Flötenklasse an der Musikhochschule des Saarlandes. darum gegangen, Musik wirklich begreifen zu lernen. Nach dem Abitur erspielte sie sich, ebenfalls in München, einen Platz in der renommierten Flötenklasse von Prof. Paul Meisen. Die erste Adresse, schließlich bekleiden seine ehemaligen Studenten fast ausnahmslos Positionen in Spitzenorchestern. Dort lernte Tatjana Ruhland: Nicht nur der Weg ist das Ziel, man muss vor allem lernen, sein eigener Lehrer zu werden. Die Hochschule erlebte sie nicht als geschütztes Utopia, sondern der Fokus lag klar auf der Zeit nach der eigentlichen Ausbildung. Sie spielte im Jugendorchester der Europäischen Union und recht bald auch als Aushilfe im BR Symphonieorchester, unter Dirigenten wie Colin Davis und Lorin Maazel. »Diese Erfahrungen spornten mich natürlich an, ich merkte in diesem hochprofessionellen Umfeld, dass das Berufsleben genau so und nicht anders sein muss«, sagt sie. Die Teilnahme an internationalen Wettbewerben gehörte zum Programm. So ist Tatjana Ruhland Preisträgerin des Deutschen Hochschulwettbewerbs und des Internationalen Wettbewerbs »Prager Frühling«, des bedeutenden Internationalen Wettbewerbs für Flöte in Kobe (Japan) und wurde ebenfalls beim »Deutschen Musikwettbewerb« und beim Wettbewerb »east&west International Auditions« ausgezeichnet. Nach dem Diplom zu Jeanne Baxtresser Just nachdem sie ihr Diplom abgelegt hatte, ging Prof. Meisen 1996 nach Japan. Das war für Tatjana Ruhland der Startschuss, ihrer Ausbildung eine weitere, ganz neue Nuance hinzuzufügen. Sie wollte nach New York, zu Jeanne Baxtresser, an die Manhattan School of Music. Das galt damals und gilt auch heute noch in Flötistenkreisen als das Nonplusultra, war aber trotz alledem eine ungewöhnliche Entscheidung für junge Musiker, die sich in Deutschland in der Orchesterausbildung befanden. »In den USA haben Generationen von Flötisten die Schule von Jeanne Baxtresser durchlaufen. Für mich fungierte meine Kommilitonin Anna Garzuly vom Leipziger Gewandhausorchester gener lehrer zu werden!« TEXT Sandra Sinsch FOTOS Marco Borggreve 15 Por trät Ta t j a n a R u h l a n d als Ideengeberin, da sie diesen Weg vor mir gegangen war«, sagt Tatjana Ruhland. Während viele Flötisten aus Europa sich nur für ein kurzes Zertifikatsstudium entschieden, wählte Tatjana Ruhland den kompletten Masterstudiengang für sich. »Das funktionierte nur, weil ich mir ein Stipendium erspielen konnte, sonst wäre dieser »Master of Orchestral Performance« finanziell nicht drin gewesen«, erklärt sie. Zwei Jahre blieb sie in New York, wohnte in der Nähe der Metropolitan Opera. »Die Eintrittskarten waren ganz schön teuer, deshalb bin ich oft in der Pause hinübergegangen. Es fand sich nämlich immer jemand, der die Vorstellung vorzeitig verließ und einem die Karte schenkte. Auf diese Weise habe ich viele Opern gesehen, aber natürlich nie den ersten Akt. Den ›Ring‹ mit James Levine habe ich mir allerdings geleistet«, erinnert sie sich. Auch im Studium sei man stets eingebunden gewesen in die New Yorker Szene, erzählt Tatjana Ruhland. So waren bei simulierten Probespielen Holzbläser der Met und der New Yorker Philharmoniker anwesend. Der Unterricht wurde stets auf Tonband mitgeschnitten, danach analysiert. »Jeanne Baxtresser war eine generöse und liebevolle Lehrerin, und forderte dennoch höchste Präzision«. Am Ende des Studiums spürte sie jedoch überdeutlich, dass sie nach Europa gehöre. »New York war toll, aber ich fühle mich ganz klar in Europa kulturell verwurzelt«, meint sie. Zurück in München, sattelte sie das Meisterklassenstudium bei Prof. András Adorján obendrauf und ergänzte dieses Studium mit Kursen an der »Accademia Chigiana« in Siena bei Aurèle Nicolet. Seit dem Jahr 2000 ist Tatjana Ruhland Soloflötistin des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR. »In den ersten Jahren im Orchester entdeckt man sehr viel, was man schon im Studium vorbereitet hat, die Orchestersprache bereichert einen unglaublich, am Anfang ›frisst‹ man geradezu die Musik. Wenn man ›sein‹ Orchester gefunden hat, dann ist man angekommen«, meint sie. Und vor allem läge im Orchester die Musik der Komponisten, die Flötisten mit wenig bis keiner Sololiteratur bedacht hätten. »Brahms, Beethoven, Bruckner oder Schostakowitsch zum Beispiel, daran reift man«, ist Tatjana Ruhland überzeugt. Konzertreisen mit dem Orchester führen sie regelmäßig in die bedeu- tenden Konzertsäle der Welt. Oper ist allerdings etwas, das es im Repertoire eines Rundfunkorchesters eher mal konzertant gibt. »Ich habe aber im Bayreuther Festspielorchester gespielt, der ›Ring‹ unter Christian Thielemann wird mir immer in beeindruckender Erinnerung bleiben«, sagt sie. Karriere als Solistin und Kammermusikerin Neben der Orchestertätigkeit verfolgt sie eine intensive Karriere als Solistin und Kammermusikerin, die seit ihrem Debüt in der New Yorker Carnegie Hall einen gehörigen Aufwind erfahren hat. Die Presse beschrieb Tatjana Ruhland als »Paganini auf der Flöte«. So tritt sie mit ihrem eigenen Orchester auf, konzertiert als Solistin regelmäßig mit Ensembles wie dem Orchester der Bayerischen Staatsoper München, den Berliner und Prager Symphonikern, dem Bach Collegium Stuttgart, dem Heilbronner Kammerorchester, dem Kobe Chamber Orchestra und dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim. Zu ihren Kammermusikpartnern und -partnerinnen zählten Hilary Hahn, Wen-Sinn Yang, Emmanuel Pahud, Angela Hewitt, Christina Landshamer, Eckart Heiligers, Yaara Tal und Christian Schmitt, der Ausnahme-Konzertorganist, mit dem sie seit 2011 verheiratet ist. Die Festivalteilnahmen von Tatjana Ruhland lesen sich wie das »who ist who« Französisches Repertoire ist inspirierende Fundgrube für Flötisten n Nicht nur auf CDs des Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR ist Tatjana Ruhland regelmäßig vertreten, es liegen von ihr auch einige Einspielungen mit Solowerken und Kammermusiken für Flöte vor. Mit Kollegen aus dem Orchester und Pianistin Yaara Tal hat sie sich unter dem Untertitel »The music of a magician« Werken von Charles Koechlin gewidmet. Das französische Repertoire ist für Flötisten eine höchst inspirierende Fundgrube, wobei Tatjana Ruhland auf die Komponistin Mel Bonis eher zufällig stieß: »Mir fiel zufällig eine Sonate von ihr in die Hände und ich forschte nach weiteren Stücken. Sie ist eine romantische Komponistin, deren Schaffen jedoch schon klar die Züge des frühen 20. Jahrhunderts zeigt. Mel Bonis hat mit Claude Debussy studiert, ihre Lebensgeschichte ähnelt in vielem der von Camille Claudel. Damals steckten talentierte Frauen aufgrund ihrer eventuell sogar auch künstlerisch tätigen Partner in der Regel zurück«, erzählt Tatjana 16 Ruhland. Die CD kommt in einer gemischten Besetzung daher, die Flöte wird kombiniert mit Violine und Klavier, aber auch Horn und Klavier, daneben findet sich auch ein Septett sowie ein Klavierquartett mit Flöte, Violine und Viola. Möchte Tatjana Ruhland speziell eine Lanze für Komponistinnen brechen? »Ich sehe das nicht als Frauenwerbung«, sagt sie und ergänzt: »Sicher ist es wichtig, gerade als Musikerin nach vergessenen Komponistinnen zu forschen, genauso wie nach vergessenen Komponisten. Letztendlich ist das Geschlecht unwichtig, nur die Qualität der Musik zählt.« Die Einspielungen sind bei hänssler classic erschienen. Auch August Eberhard Müller gehört zu den »ver- gessenen« Komponisten, selbst wenn er zu seinen Lebzeiten musikalisch einiges bewegt hat. Der Thomaskantor wurde von Goethe persönlich als Kapellmeister nach Weimar abgeworben. August Eberhard Müller komponierte, war als Orchester- und Chordirigent tätig und schrieb für sich selbst Flötenkonzerte. Knapp zehn dieser Preziosen an der Schnittstelle zwischen Klassik und Romantik hat man bislang in Archiven gefunden. Gemeinsam mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim hat Tatjana Ruhland eine Auswahl dieser Werke eingespielt. Die Veröffentlichung erfolgt ebenso zeitnah, wie weitere CD-Produktionen als Solistin und Kammermusikerin mit dem RSO Stuttgart mit Werken von Bach, Carl Reinecke und Krzysztof Penderecki. Tatjana Ruhlands Diskografie findet sich auf ihrer Homepage im Bereich »Musik«. n www.tatjana-ruhland.de eurowinds · Mai/Juni 2015 Por trät Übetipps von Tatjana Ruhland • »Kreativität ist gefragt!« n Unabhängig von der Zeit, die einem zur Verfügung steht, sollte man sich für jeden Tag einen Übeplan zurecht legen. Ins Blaue hinein zu üben, führt in der Regel nicht zum Erfolg. Gleich zu Beginn Tonübungen zu machen, das heißt, lange Töne auszuhalten und sie klanglich zu entwickeln, ist sicher zum Aufwärmen gut. Allerdings bevorzuge ich, mir aus Stücken meine Übungen selbst zu basteln. Unerschöpflicher Fundes bei Marcel Moyse Die Übungen von Marcel Moyse stellen einen schier unerschöpflichen Fundus dar. Hier ist Kreativität gefragt: So mache ich die Übungen zu langen Tönen, variiere sie rhythmisch oder konzentriere mich auf einen Klangfarbenwechsel in den einzelnen Intervallen. Hierbei ist auch eine gute Selbstbeobachtung wichtig: Gibt es Probleme mit dem Vibrato? Wie leicht ist die Ansprache in der dritten Oktave? Dann sollte man sich die Übung unter diesen Aspekten zusammenstellen. Meine Studenten ken- nen »Gammes et Arpèges« von Moyse auch unter dem Namen »Telefonbuch«. Die Übungen sind durchnummeriert, insgesamt 480, und so aufgebaut, dass man chromatisch auf jedem Tonschritt sein Pensum »durchkrabbelt«. Stellt man sich aus mehreren Übungen eine Zahlenfolge zusammen, hat man täglich eine andere Kombination, mit der man sich beschäftigen kann. Fantastisch ist es, sich ausgiebig mit den »Réflexions musicales« von André Jaunet zu beschäftigen. Hat man nur sehr wenig Zeit zur Verfügung, muss man fokussieren: Was bringt mich heute effektiv weiter? Liegt Bachs E-Dur Sonate auf dem Pult, können auch die Tonübungen entsprechend in EDur ausgewählt werden. Weitere, sehr dankbare Hefte sind die »20 Exercises & Etudes« von Marcel Moyse und »Check-up« von Peter-Lukas Graf. Hier kann man sich auch der Atemtechnik und den Bindungen über die Oktaven hinweg widmen. Die Haltung und körperliche Fitness sind Punkte, die man nie aus den Augen verlieren darf. Wie steht man beim Spielen da und wie schauen die Bewegungen beim Spielen aus? Fließt alles oder sind da Momente, in denen ich fest werde? Gibt es gar Gedanken, die mich eher blockieren? Welche Haltung nimmt der Körper ein und wo liegt die Kraft? Wie sieht die Balance am Instrument aus? Solchen Fragen sollte man beim Üben stets nachgehen. Ein Spiegel kann bei der Beobachtung helfen, doch sollte man am besten nach seinem Körpergefühl gehen. Wir müssen wie ein Baum sein, der Wurzeln bis nach Australien hat. In seiner Krone, das heißt, im Oberkörper, liegt die Flexibilität, und unten, im Stamm und den Wurzeln, liegen Basis, und somit die ganze Kraft. Diese Kombination aus Leichtigkeit und Kraft ist essenziell für jeden Bläser. Literaturtipps z z z z Marcel Moyse: 20 Exercises & Etudes Marcel Moyse: Gammes et Arpèges André Jaunet: Réflexions musicales Peter-Lukas Graf: Check-up 17 Por trät der internationalen Konzertlandschaft: Vom Rheingau Musikfestival, dem Beethoven Fest Bonn, dem Europäischen Musikfest Stuttgart, der Haydn Biennale Belgien, dem Festival Radio France, dem Prager Frühling und den Londoner Proms ist alles vertreten. In der Saison 2014/2015 ist Tatjana Ruhland mit Rezitals beim Heidelberger Frühling, dem Mozartfest Würzburg, dem Hohenloher Kultursommer, den Klosterkonzerten Maulbronn, dem International Flute Festival Taiwan, dem German Forum New York sowie in Brasilien und Argentinien zu Gast. CD-Aufnahmen runden das künstlerische Profil ab. Ta t j a n a R u h l a n d ››› Kurzinterview Wie viele Stunden pro Woche beschäftigen Sie sich mit Musik? Als Musiker kann man das schwer aufrechnen, denn mit Musik beschäftigt man sich auch, wenn man das Instrument nicht in der Hand hat. In Gedanken kann man auch passiv üben. Die Stunden, in denen man übt, probt oder konzertiert, sind nur ein Teil des Ganzen. Welche Musik hören Sie am liebsten? Inspirierte Musik, das heißt Musik, die etwas zu erzählen hat, Herz und Kopf gleichermaßen anspricht, auch handwerklich gut gemacht ist und letztendlich mich inspiriert. Welche Musik spielen Sie am liebsten? Da gelten dieselben Kriterien wie für meine Hörgewohnheiten. Insgesamt bin ich hauptsächlich im Bereich der Klassik unterwegs, Musik vor der Barockzeit spricht mich sehr an. Ebenso gerne höre ich Jazz. Was zeichnet einen guten Dirigenten aus? Ein guter Dirigent ist sicher niemand, der alles zerredet, sondern jemand, der die Musik förmlich in sich aufgesogen hat. Er hat eine klare Vorstellung und weiß diese umzusetzen. Das Orchester wird zu seinem »Instrument«, er entwickelt ein Miteinander, bei dem jeder Musiker sich optimal in die Interpretation einfügt. Welches war Ihr positivstes, welches Ihr negativstes Erlebnis mit Musik? Ein einzelnes positives Erlebnis herauszugreifen ist schwierig. Ich bin jemand, der tolle Konzerthallen oder bestimmte Konzertsituationen sehr genießt, zum Beispiel in der Suntory Hall in Tokyo zu spielen, oder unser Konzert für Papst Benedikt XVI mit Gustavo Dudamel. Negatives spielt sich eher im anekdotischen Bereich ab, wie etwa das Chaos, das ein abgeschlepptes Auto samt Instrumenten und Konzertkleidern kurz vor einer Mucke verursachte. 18 Welche Instrumente spielen Sie? Es kommen Piccolo bis Bassflöte vor, mein Favorit bei den Nebeninstrumenten ist jedoch die Altflöte. Häufig spiele ich eine Verne Q. Powell Holzquerflöte für das Repertoire vom Barock bis in die frühe Romantik. Als Hobby beschäftige ich mich auch mit der barocken Traversflöte. In meiner Schulzeit habe ich in einem Laienchor inklusive Stimmbildung gesungen und auch Klavier und Cello gespielt. Wie oft kaufen Sie ein neues Instrument? Ich wechsele nicht häufig, denn ein Instrument sollte zu unserer eigenen Stimme werden. Seit 2007 spiele ich eine 14 Karat Goldflöte von Muramatsu. Was wäre aus Ihnen wohl geworden, wenn nicht Musikerin? Schon mit fünf Jahren wollte ich Musikerin werden und ich würde es immer wieder so machen. Nebenbei habe ich Kunstgeschichteund Musikwissenschaftsvorlesungen besucht. Geben Sie Ihr Wissen in Form von Workshops und Seminaren weiter? Ja, wann immer sich mir die Möglichkeit bietet. Ich versuche Konzerte und Kurse oder auch Privatunterricht miteinander zu verknüpfen. Ich unterrichte eine Klasse für Flöte an der Hochschule für Musik Saar und bin auch bei Sommerkursen präsent. Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Ich bin eine regelmäßige Besucherin im Fitness-Studio und erst kürzlich habe ich auch das Fechten für mich entdeckt. Gerne gehe ich auch in die Oper oder ins Konzert. Als ich in New York spielte, habe ich eine fantastische Vorstellung von Hoffmanns Erzählungen an der Met gesehen. Ihre Zukunftspläne? Ich freue mich, wenn es weiter so bleibt mit der Mischung aus Orchesterspiel, Kammerkonzerten und Solokonzerten, mit tollen Partnern z und Orchestern sowie CD-Aufnahmen. Seit 2009 unterrichtet sie mit einem Lehrauftrag eine Hauptfachklasse an der Saarbrücker Musikhochschule. Im Durchschnitt hat sie vier Studenten. »Das genügt mir, ich will wirklich Unterricht geben und nicht nur der Lehrer sein, der zwischen zwei Konzerten mal schnell mit dem Koffer hereinschneit und die Studenten abfertigt«, meint sie. Daneben ist sie aktiv bei Meisterklassen und Workshops. Sie arbeitete als Lehrkraft mit Aurèle Nicolet, Jeanne Baxtresser und Felix Renggli zusammen und gibt Meisterkurse in Europa, Japan und den USA, zum Beispiel an der Manhattan School of Music und der Juilliard School in New York, an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh und dem NRW Orchesterzentrum Dortmund. Ihr Professor Paul Meisen sei in ihrer Unterrichtsart sehr präsent, sagt Tatjana Ruhland. Auch sie sieht die Hochschule nicht als ein Biotop der heilen Welt. »Man muss die Studenten schon motivieren, ihnen den Musikmarkt außerhalb der Hochschule nahe bringen«, erklärt sie. Das neue Bachelor- und Masterstudienprogramm biete auch viele Möglichkeiten abseits der ausgetretenen Musikerpfade zwischen Orchestermusik und Musikpädagogik, um sich zu spezialisieren, fügt sie an. Kulturlandschaft ist Ausdruck unserer Seele Die meisten ihrer Studenten studieren nicht nur Orchestermusik oder Konzertfach, sondern machen auch das pädagogische Diplom. Viele sind nach ihrem Abschluss an Musikschulen, als Privatlehrer oder redaktionell tätig: »Ich finde es sehr belebend zu beobachten, wie meine Studenten ihre eigenen Wege beschreiten. Manche gründen Ensembles, mit denen sie einer regen Konzerttätigkeit nachgehen, andere widmen sich mehr der Entwicklung neuer Konzertformate, vor allem im Bereich der Musikvermittlung.« Gerade »Education« ist ein Begriff, der in den letzten Jahren vermehrt durch die Kulturlandschaft geistert. Die Zuhörer finden nicht mehr automatisch den Weg in den Konzertsaal, weshalb Konzertpädagogen und Ensembles Strategien und Programme entwickeln, die unterschiedliche Zielgruppen anlocken und für klassische Musik begeistern sollen. »Wenn ›Education‹ sich nur auf ein Ersterlebnis beschränkt, ist es eine Sackgasse. Nach dem Erstkontakt muss man die Leute unbedingt weiter führen«, sagt Tatjana Ruhland. Sie selbst bezeichnet sich als einen »Believer« in die deutsche und europäische Kulturlandschaft, die ja nicht zuletzt durch Sparmaßnahmen immer stärker zusammengeschrumpft wird, aktuell bei den Klangkörpern des SWR: »Diese Kulturlandschaft ist der Ausdruck unserer Seele. Ich wünsche mir, dass diese positive z Säule unseres Daseins bestehen bleibt.« eurowinds · Mai/Juni 2015 Pr a x i s Musik Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Selbstbeobachtung Von Alexandra Türk-Espitalier n Interview mit Tatjana Ruhland, Soloflötistin des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR zum Thema »Körperarbeit«. Für die Profimusikerin sind Musik, Körperwahrnehmung und Bewegung untrennbar verbunden Können Sie Ihre Schwerpunkte in der Körperarbeit konkretisieren? Ein wesentlicher Punkt ist für mich die Verbesserung der Aufmerksamkeit, der Achtsamkeit, der Selbstbeobachtung am Instrument. Das ist natürlich immer eine Frage der Balance, wieviel ich da einbringe. Und diese Frage stellt sich auch in rein flötentechnischen Aspekten. Wenn man an Klangschönheit oder Vibrato arbeitet und jemand beginnt, alles infrage zu stellen und zu behaupten, er müsse seinen Ansatz komplett umstellen, halte ich das für übertrieben. Es geht mir um eine Sensibilisierung von Wahrnehmung, um eine bessere Koordination. Mein Lehrer Paul Meisen hat so fantastisch unterrichtet, dass er all das in den regulären Unterricht hat einfließen lassen – und dabei habe ich ihn kein einziges Mal das Wort »Körperarbeit« sagen hören. Es ist alles eins! Wie kann man sich so ein Körperarbeits-Programm bei Ihnen vorstellen? Im Lauf der Jahre lernt man viele verschiedene Techniken kennen. In meiner Studienzeit war Yoga groß in Mode. Ich habe das auch gemacht, da gab es viele Übungen, die ich auch heute gerade auf Tourneen noch mache. Dann gab es eine Pilates-Welle: interessant, recht anstrengend, hat mich persönlich aber nicht so weitergebracht. Zu meiner 30 New Yorker Zeit war Alexandertechnik ganz aktuell, fachübergreifend gab es dazu viele Vorträge und Workshops. Vieles davon habe ich wieder abgelegt oder vergessen, aber einiges habe ich mir doch herausgefiltert. So ist ein Mix entstanden, der mir persönlich hilft. Es kommt in meiner Übezeit immer der Moment, wo ich die Flöte weglege und mich dehne. Das bringt mir einfach was, da bin ich erfrischt. Sie lehren an der Musikhochschule Saarbrücken. Wie integrieren Sie die Körperarbeit in ihren Unterricht? Es ist wichtig, eine gesunde Spielweise aufzubauen. Ein gutes Beispiel sind Sänger, bei denen die Stimme sehr lange funktioniert. Ich halte zum Beispiel nichts davon, dass alles »ganz locker« ist. Das stimmt einfach nicht, denn auch die Musik ist nicht so. Es kommt darauf an, wie Spannung und Entspannung balanciert sind. Ich versuche, die Studierenden die Verbindung von Rhythmus und Bewegung spüren zu lassen. Körpergefühl hat mit Rhythmus und Bewegung zu tun, mit »Swing« – ist physisch nachvollziehbar. Beim Unterrichten ist mir wichtig, dass die Aspekte der Körperarbeit nicht verkopft, sondern natürlich empfunden werden. Wenn das Flötenspiel, der Körper, das Denken und das Hören physisch und musikalisch so verknüpft sind, dass sich daraus eine natürliche Bewegung und ein Rhythmusgefühl ergeben, ist das der Musik und der Gesundheit immer förderlich. Und Flöte spielen ist gesund, davon bin ich überzeugt! Dennoch leiden bekanntermaßen viele Musiker unter spielbedingten Problemen. Ja, gerade im Orchester. Der eine hat einen Tinnitus, ein anderer hat es an den Bandscheiben. Dieses große Thema Gesundheit und Körperarbeit ist viel ernster zu nehmen, als dass man einfach nur so vor sich hin spielt. Man muss lernen, sich zu schützen. Man kann lernen stressauslösende Situationen zu bewältigen, zum Beispiel psychischen Stress, wenn man im Rundfunk sitzt und immer ein Mikrofon vor der Nase hat. Das muss einfach funktionieren, das ist ganz klar. Das wird man aber auch positiv empfinden. Womit man sich schwer tut, ist die Lautstärke. Lautstärke ist Stress und löst in unserem Körper eine gewisse Schutzhaltung aus. Man merkt dann, dass man nach der Probe wahnsinnig erschöpft ist, gerade wenn man als junger Mensch im Orchester anfängt. Und dann wundert man sich, woher das kommt. Und natürlich das viele Sitzen in einer asymmetrischen Position. Diese Dinge kommen plötzlich auf jeden Orchestermusiker zu und er muss lernen damit umzugehen. Was halten Sie vom Spielen mit Gehörschutz? Wir müssen es schaffen, wenigstens teilweise mit Gehörschutz zu spielen. Dazu müsste man die Gehörschutzversorgung insgesamt verbessern. Man kann einen professionellen Musiker nicht nur mit Standardeurowinds · Mai/Juni 2015 Fotos: Marco Borggreve Frau Ruhland, in der Musikergesundheit ist die Körperarbeit inzwischen nicht mehr wegzudenken. Der Begriff »Körperarbeit« ist allerdings sehr allgemein und kann so verschiedene Techniken wie Übungen aus der Physiotherapie, Yoga, Alexandertechnik oder Feldenkrais umfassen. Was verstehen Sie persönlich unter »Körperarbeit«? Für mich ist wichtig, dass mir Körperübungen persönlich etwas bringen, egal aus welcher »Schule« sie stammen. Ich unterscheide zwischen Übungen, die rein sportlich sind, und anderen, die ich abrufen kann, wenn ich Flöte spiele. Ich bin zum Beispiel ein fleißiger FitnessstudioGänger. Das stärkt mich rein physisch und bildet einen Gegenpol zu Körperwahrnehmungsübungen am Instrument, die ja durch die Musik oft auch emotional behaftet sind. » Wenn das Flötenspiel, der Körper, das Denken und das Hören physisch und musikalisch so verknüpft sind, dass sich daraus eine natürliche Bewegung und ein Rhythmusgefühl ergeben, ist das der Musik und der Gesundheit immer förderlich. Und Flöte spielen ist gesund, davon bin ich überzeugt! Kommen wir noch einmal zu ihren Studierenden zurück. Viele Musiker sagen, dass zu viel Selbstbeobachtung oder Analyse Dinge zerstören, die vorher von selbst gelaufen sind. Wie sehen Sie das? Man hat oft begabte Studenten, die vieles unbewusst machen. Aber es ist ein wesentlicher Prozess des Lebens und Lernens, sich mit Dingen bewusst auseinandersetzen zu müssen. Wir werden dann mit anderen Gedanken verpflegt. Als Lehrer müssen wir aktiv werden, um diesen Prozess des Bewusstmachens und Wiederablegens und Abrufen-Könnens zu begleiten. Wie die berühmte Geschichte vom Tausendfüßler, der gefragt wurde, wie er eigentlich geht. Da bricht natürlich erst einmal alles zusammen. Aber dann, nach dem Prozess des Bewusstmachens, können wir die Vorgänge verinnerlichen. Da muss aber jeder kraft seiner Veranlagung und seiner Persönlichkeit ein Feingefühl entwickeln, wie er das in Balance bringt. Stellen Sie den Schülern ein Körperübungsprogramm zusammen? Es ist eine grundsätzliche Frage, wie die Studenten üben, und dazu gehören auch die Körperübungen. Üben ist etwas, das man zumindest in den ersten Semestern begleiten sollte. Man muss erst mal wissen, wie jemand übt, wie jemand »funktioniert«. Das heißt, man muss beobachten, ob sich jemand in eine Verkrampfung hineinübt oder ein anderer vielleicht nicht konzentriert bei einer Sache bleiben kann. Bei mir haben schon viele Studenten die Frage nach den täglichen 50 Sit-ups gehört. Ich brauche nicht damit anzufangen, einen Ansatz zu lockern, wenn ich weiß, dass die Person überhaupt nichts für den Rumpf- und Beckenbereich macht und sich eine natürliche Unterstützung durch den Körper nicht genügend zunutze machen kann. Die Körperübungen mache ich auch manchmal ganz konkret im Unterricht. Wenn man eine Zeitlang wirklich hochkonzentriert bei einer Sache war, wird mal eine Hand ausgeschüttelt, etwas gedehnt, die Flöte beiseite gelegt, eine Übung gemacht. Das ist ein musikalischer und physischer Prozess... Ja, gerade für diejenigen, denen die Verknüpfung von Musik und Bewegung zunächst schwerfällt. Viele gehen davon aus, dass jemand, der keine Körperwahrnehmungsaspekte betrachtet hat, gar nichts macht. Das stimmt nicht, denn er macht ja was. Und zwar meist ziemlich extrem oder wiederholt, das dem musikalischen Fluss zuwider läuft oder dem Spieler nicht hilft. Ein Beispiel: Ich spiele eine Skala ganz rauf bis zum hohen c und ziehe meinen Körper mit hoch. Aber es sollte genau das Gegenteil sein! So ein Bild verdeutlicht uns, dass man sehr wohl bereits etwas tut, wenn man glaubt nichts zu tun. Umgekehrt gibt es sehr wohl Dinge, die Dir helfen. Ein weiterer Prozess, der durch Körpereurowinds · Mai/Juni 2015 Musik material versorgen. Und es gibt das Problem, dass man sich gerade als Bläser mit Gehörschutz ganz anders wahrnimmt. Man muss das üben. « kontrolle verbessert werden kann, ist die Aufmerksamkeit des Hörens. Wir sind durch Körperkontrolle fähig, uns besser zuzuhören, während wir spielen. Vieles von einer zu lange unbewusst gestalteten Bewegung, die nicht mit der Musik koordiniert ist, blockiert nicht nur beim Spielen, sondern auch beim Hören. Was wir als Musiker jedoch brauchen ist eine ruhige Kontrolle des Hörens. Dann kann ich souverän sein. Und das ist etwas, was stark vom Körper ausgeht. ...und das geübt werden kann! Ja, man übt alles! Wenn ich bereits im Überaum einen Druck und eine Verspannung bei einer Stelle übe – das typische »Augen zu und durch« – dann habe ich genau das verinnerlicht. Und wenn ich eine souveräne Körperhaltung erreichen möchte, die mir musikalisch hilft und einen gewissen Horizont, eine Vorstellungskraft und ein Zuhören ermöglicht, dann muss ich diese üben. Nicolet hat einmal gesagt: »In diesem Beruf ist man jeden Tag ein Anfänger!« Man ist in allen Aspekten immer wieder aufs Neue beim Üben herausgefordert. Ein Schlusswort zum Thema Körperarbeit und Musikergesundheit... Als Musiker sollte man dankbar sein, wenn man eventuelle Leiden nicht zu einem Hauptthema des Spielens machen muss. Körperarbeit gehört dazu und sollte eine Rückmeldung sein. Sie muss ins Spielen eingebaut werden. Das betrifft uns selbst, wenn wir üben, aber genauso wenn wir unterrichten. Die Quelle dessen, was wir tun, wird immer die Musik sein. Im Idealfall lassen sich der emotionale Gehalt der Musik mit einer Wahrnehmung und einer Sensibilisierung auch auf der Körperseite wunderbar verknüpfen. n www.tatjana-ruhland.de 31