Spontanspaltung und Neutronenaktivierung INHALTSVERZEICHNIS

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Spontanspaltung und Neutronenaktivierung INHALTSVERZEICHNIS
ETH
Arbeitsgruppe Radiochemie
Radiochemisches Praktikum
P 21
Spontanspaltung und Neutronenaktivierung
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
1.
Radioaktiver Zerfall
2
2.
Spontanspaltung
2
2.1.
Isomere Spaltung
4
3.
Induzierte Kernspaltung
5
3.1.
Mechanismen der Kernspaltung
6
3.2.
Spaltprodukte
8
3.3.
Energiebilanz der Kernspaltung
10
4.
Kernreaktionen
11
4.1.
Wirkungsquerschnitt einer Kernreaktion
12
4.2.
Kinetik von Kernreaktionen
13
5.
Aktivierungsanalyse
16
5.1.
Aktivierung mit Reaktorneutronen
17
5.2.
Gesichtspunkte für die Anwendung der Aktivierungsanalyse
18
5.3.
Anwendungsbeispiel einer Neutronenaktivierungsanalyse
19
6.
Chemische Reaktionen nach Kernumwandlungen
23
6.1.
Rückstoßenergie nach α-, β- und γ-Emission
25
6.2.
Rückstoßreaktionen (Szilard-Chalmers-Reaktionen)
27
2
1. Radioaktiver Zerfall
Ein Nuklid ist stabil gegen radioaktiven Zerfall, wenn seine Masse kleiner ist als die
Summe der Massen aller bei einem möglichen Zerfall auftretenden Produkte.
A
B
Mutternuklid
Tochternuklid
+
x
emittierte Teilchen
+
∆E
Energie
Die beim radioaktiven Zerfall insgesamt freigesetzte Energie bezeichnet man als QWert. Diese ergibt sich aus dem Massenunterschied zwischen Edukt und Produkten
im Grundzustand:
Q = Dm · c2 = (mA – mB – mx) c2
Der Q-Wert ist nicht identisch mit der Energie der beim Zerfall emittierten Teilchen
oder Quanten, da er auch noch die dem Tochternuklid übertragene Rückstoßenergie und allenfalls dessen Anregungsenergie enthält. Je nach Art des emittierten
Teilchens unterscheidet man folgende radioaktive Zerfallsarten:
a)
b)
c)
d)
a-Zerfall (siehe P10)
b-Zerfall (siehe P05)
g-Zerfall (siehe P20)
Spontanspaltung
Daneben existieren noch einige andere Zerfallsarten, die hier nicht behandelt
werden, da sie eher exotischen Charakter haben.
2. Spontanspaltung
Unter Spontanspaltung versteht man den radioaktiven Zerfall, bei dem ein Kern in
zwei annähernd gleich große Bruchstücke zerplatzt. Der Prozeß ist vergleichbar mit
der induzierten Kernspaltung (vgl. 3.), doch erfolgt bei der Spontanspaltung der
Zerfall aus dem Grundzustand heraus ohne äußere Beeinflussung. Die Spontanspaltung läßt sich wie der α-Zerfall durch einen Tunneleffekt beschreiben (vgl. P10
Kapitel 5.). Er wird nur bei den schwersten Kernen (Z ≥ 90, A > 231) beobachtet.
Nur bei wenigen Nukliden ist die Spontanspaltung die dominierende Zerfallsart.
Meist hat sie nur einen kleinen Anteil an den zerfallenden Kernen.
3
Fig. 1: Halbwertszeiten der Spontanspaltung der schwersten Nuklide als Funktion
des Parameters Z2/A
Nach dem Tröpfchenmodell der Atomkerne (vgl. P01 Kapitel 2.) sollte die Halbwertszeit der Spontanspaltung mit Z2 /A abnehmen und Nuklide mit Z2 /A > 44,8
gegen Spontanspaltung überhaupt instabil sein. Fig. 1 zeigt, daß dieses Modell die
Halbwertszeiten von spontanspaltenden gg-Kernen nur insofern richtig wiedergibt,
als mit steigender Ordnungszahl zwar eine Abnahme der Halbwertszeit erfolgt. Die
Werte für ein Element bilden aber jeweils eine eigene Kurvenschar. Für Nuklide in
der Nähe von magischen Zahlen (Z = 114, N = 184) werden sehr große Halbwertszeiten der Spontanspaltung berechnet. Für Nicht-gg-Kerne liegt die Halbwertszeit
der Spontanspaltung drei bis vier Größenordnungen über dem Mittel der gg-Nachbarnuklide.
Die bei der Spontanspaltung gebildeten Spaltfragmente haben eine ähnliche
Massenverteilung, wie sie von der mit thermischen Neutronen induzierten Kernspaltung bekannt ist (vgl. 3.2.). Auch geben sie ihre Anregungsenergie durch
Emission von Neutronen und γ-Quanten ab, allerdings ist die Zahl der prompten
Neutronen etwas geringer als bei der induzierten Spaltung des gleichen Kerns. Bei
der Spontanspaltung eines 240Pu-Kerns entstehen im Mittel 2,19 Neutronen im Vergleich zu 2,882 Neutronen pro induzierter Spaltung von 239 Pu mit thermischen
4
Neutronen. In beiden Fällen spaltet formal ein 240Pu-Kern, aber im letzteren Fall
weist der Kern noch die Bindungsenergie des zusätzlichen Neutrons auf.
2.1. Isomere Spaltung
Neben der Spontanspaltung und der induzierten Spaltung schwerer Kerne ist noch
eine weitere Art der Kernspaltung beschrieben worden: die Spaltung aus einem
isomeren Kernzustand.
Fig. 2: Potentialverlauf von Atomkernen im Bereich der Transurane.
Die schweren Kerne im Bereich der Actinidenelemente weisen keine kugelförmige
Gestalt auf. Daher besitzen sie eine doppelhöckrige Potentialkurve mit zwei Minima
(Fig. 2). Im Grundzustand befindet sich der Kern im Minimum I. Bei Kernreaktionen
kann sich ein isomerer Kern durch zusätzliche Deformation mit einem dem Minimum II entsprechenden Energiezustand bilden (Fig. 2). Diese Art von Kernisomerie
wird als "Form-Isomerie" bezeichnet, da sie auf unterschiedlichen geometrischem
Konfigurationen des Kerns beruht. Im Minimum II ist der Potentialwall viel schmaler
als im Minimum I, daher sind die Halbwertszeiten für die Spaltung aus dem isomeren Kernzustand (kurz "isomere Spaltung") sehr kurz. Sie liegen im Bereich von
Nano- bis Millisekunden. Als "Unterschwellenspaltung" bezeichnet man den Effekt,
daß der Kern aus angeregten Kernzuständen des Minimums I in das Minimum II
"durchtunnelt" und dort die isomere Spaltung erleidet. Hierbei spaltet der Kern aus
dem Minimum I heraus, ohne die volle Spaltschwelle dieses Potentialminimums
überwinden zu müssen. Im Gegensatz zur isomeren Spaltung handelt es sich in
5
diesem Fall jedoch um einen von außen induzierten Prozeß, da dem Kern im Minimum I von außen Anregungsenergie übertragen wird, damit er auf eine über dem
Minimum II gelegene Energie "gehoben" wird.
Die in Fig. 2 eingezeichneten angeregten Kernzustände gelten für das formisomere 240mPu. Es wird über die Kernreaktion
238
U + α25 MeV →
240m
Pu + 2n
mit hohem Drehimpuls (bis zu 25 h) und Anregungsenergien oberhalb der Spaltbarriere erzeugt. Von diesen spalten 90% sofort, während die restlichen Kerne γStrahlung emittieren und tiefliegende Anregungszustände im ersten Minimum erreichen. Nur ein Bruchteil von 10–5 bis 10–4 der erzeugten Plutoniumkerne gelangen
in Zustände im zweiten Minimum. Die tiefsten Anregungszustände gehören zur
Rotationsbande des Grundzustandes (im ersten Minimum) bzw. zur Rotationsbande
des isomeren Zustandes (im zweiten Minimum). Diese Zustände durchläuft der
Kern unter schrittweiser Verringerung des Drehimpulses um jeweils 2 Einheiten.
Die Anregungsenergie wird vorwiegend an Elektronen der Atomhülle abgegeben
und nicht in Form von γ-Strahlung. Sehr kurze Zeit nach der Reaktion (> 10–10 s) ist
der Kern bereits im Grundzustand bzw. im isomeren Zustand angelangt. Im Fall des
isomeren Zustandes folgt nun, verzögert mit einer Halbwertszeit von 4 · 10–9 s für
240Pu, die isomere Spaltung.
3. Induzierte Kernspaltung
Die induzierte Kernspaltung, oder allgemein kurz Kernspaltung genannt, ist der
Zerfall eines energetisch angeregten Kernzustands durch Spaltung. Gemäß der
Kurve der mittleren Bindungsenergien pro Nukleon (vgl. P01, Fig. 3) ist unter
Energiegewinn ein Zerfall in zwei Bruchstücke für alle Nuklide möglich, deren
Nukleonenzahl oberhalb etwa 130 liegt. Tatsächlich gelang es auch, derart leichte
Kerne zu spalten. Jedoch liegt bei ihnen die Spaltschwelle, die Anregungsenergie,
die dem Kern zur Spaltung zugeführt werden muß, so hoch, daß eine Spaltung nur
mit hochenergetischen Projektilen möglich ist. Die Energie beträgt für Nukleonenzahlen A ≈ 130 etwa 100 MeV und nimmt für A ≈ 200 auf 30 MeV ab. Im Gegensatz
dazu liegt die Spaltschwelle bei den schweren Kernen mit A > 230 unter 10 MeV.
Schwere Kerne lassen sich durch Beschuß mit Protonen, α-Teilchen oder anderen
geladenen Projektilen spalten. Die wichtigste Art der Kernspaltung ist jedoch jene
durch Einwirkung von Neutronen. Als ungeladene Teilchen erfahren sie keine Ab-
6
stoßung, sodaß sich Untersuchungen über die Kernspaltung auch bei niedrigen
Energien des Projektils durchführen lassen.
Nuklid
232
Th
233
U
234
U
235
U
238
U
239
Pu
angeregtes Nuklid
233
Th
234
U
235
U
236
U
239
U
240
Pu
Bindungsenergie des Neutrons (MeV)
5,4
7,0
5,0
6,8
5,2
6,6
Spaltschwelle für angeregtes Nuklid (MeV)
5,9
5,5
5,4
5,75
5,9
5,5
–
+
–
+
–
+
mit thermischen Neutronen spaltbar
Tab. 1: Bindungsenergie des "letzten" Neutrons und Spaltschwelle
Aus Tab. 1 ergibt sich, daß die Spaltschwelle der Kerne, die nach Einfang eines
thermischen Neutrons (Ekin = 0 bis 0,1 eV) einen gg-Kern bilden, niedriger ist als
die Bindungsenergie des letzten Neutrons. Für 233U, 235U und 239Pu genügt also
die beim Einfang eines Neutrons freiwerdende Bindungsenergie zur Überwindung
der Spaltschwelle. Bei den anderen Kernen muß das Neutron noch zusätzliche
kinetische Energie mitbringen, um die Spaltung zu bewirken.
3.1. Mechanismen der Kernspaltung
Trifft ein thermisches Neutron auf einen 235U-Kern, so fängt dieser das Neutron ein
und bildet einen hochangeregten Zwischenkern
U + nth → [236 U] *
235
dessen Anregungsenergie gleich der beim Einfang des Neutrons freigesetzten Bindungsenergie ist. Die kinetische Energie Ekin = 0,025 eV des thermischen Neutrons
kann vernachlässigt werden. Der Zwischenkern gibt nun seine Anregungsenergie
mit einer Halbwertszeit von etwa 10–14 s durch γ-Emission oder durch Spaltung ab.
Die Wahrscheinlichkeit für die beiden Prozesse wird durch den jeweiligen Wirkungsquerschnitt σn,γ bzw. σn,f ausgedrückt (vgl. 4.1.):
σn,γ = 101 b
2 Spaltprodukte + ν Neutronen
[ 236 U] *
σ n,f = 582 b
236
U + γ-Quanten
7
Von etwa sieben 235U-Kernen, die ein thermisches Neutron eingefangen haben,
werden im Mittel sechs gespalten und ein Kern geht in den Grundzustand des
langlebigen 236U-Nuklids über, wobei die Anregungsenergie in Form von γ-Quanten abgestrahlt wird. Der Ausdruck "Spaltung durch Beschuß mit Neutronen" ist
somit nicht ganz richtig, da 235U nicht direkt gespalten wird, sondern der gebildete
Zwischenkern teilweise durch Spaltung zerfällt. Die einzelnen Phasen der Kernspaltung sind in Fig. 3 aufgezeichnet. Der schwere 235U-Kern ist im Grundzustand
ein wenig eiförmig. Bei der Absorption eines Neutrons wird die Energie zu dessen
Bindung in Höhe von etwa 6 MeV frei, die als Anregungsenergie des Kerns in
Erscheinung tritt (1. Phase).
Fig. 3: Die verschiedenen Phasen der Kernspaltung
Es bildet sich ein 236U-Verbundkern, der Deformationsschwingungen ausführt und
seine Gestalt ändert, ähnlich wie ein schwingender Wassertropfen. Anregungsenergie und Drehimpuls werden dabei in verschiedener Weise im Kern verteilt. Die
Kernkräfte, deren Wirkung mit der Oberflächenspannung eines Wassertropfens
8
vergleichbar ist, veranlassen den Kern immer wieder, in seine ursprüngliche Form
zurückzukehren. Erst wenn eine bestimmte kritische Deformation erreicht wird, was
nach Absorption des Neutrons etwa 10–15 s dauert, wird der Kern instabil. Er befindet sich jetzt am Sattelpunkt (2. Phase). Die weiteren Vorgänge laufen sehr rasch
ab. Eine geringe zusätzliche Deformation führt innerhalb von etwa 10–20 s zum
Zerreißpunkt, an dem sich zwei stark angeregte Spaltfragmente gebildet haben, die
sich eben noch berühren (3. Phase). Sie stoßen einander infolge ihrer hohen Kernladung sehr stark ab und fliegen mit ansteigender Geschwindigkeit auseinander.
Bereits nach weiteren 10–20 s haben sie etwa 90% ihrer vollen kinetischen Energie
erreicht (4. Phase). Ihre Anregungsenergie geben die Spaltfragmente in zwei Stufen ab, zunächst nach etwa 10–16 s durch Emission von Neutronen (5. Phase), dann
nach etwa 10–11 s durch Aussenden von γ-Strahlen (6. Phase). Man spricht auch
von prompten Neutronen und prompten γ-Strahlen, um sie von den als Folge von βUmwandlungen auftretenden verzögerten Neutronen und γ-Strahlung zu unterscheiden. Die Spaltfragmente vor Aussenden der prompten Neutronen nennt man
primäre Spaltfragmente, die Spaltfragmente vor Emission der prompten γ-Strahlung sekundäre Spaltfragmente. Alle Spaltfragmente befinden sich in hochangeregten Zuständen. Nach Emission der prompten Neutronen und der prompten γQuanten liegen die neu gebildeten Nuklide im Grundzustand vor und werden jetzt
als primäre Spaltprodukte bezeichnet. Durch β –- und γ-Zerfall wandeln sie sich in
sekundäre Spaltprodukte um (7. Phase). Am Ende einer solchen Folge von Umwandlungen stehen stets stabile Kerne.
3.2. Spaltprodukte
Ein wichtiges Charakteristikum der thermischen Kernspaltung ist, daß bevorzugt
asymmetrische Spaltprodukte entstehen, die einen hohen Neutronenüberschuß
besitzen und durch β–-Zerfall in stabile Nuklide übergehen.
In Fig. 4 sind die Spaltketten für die 235 U-Kernspaltung anhand eines Beispiels
dargestellt. Als "Spaltkette" bezeichnet man eine bei der Kernspaltung entstehende
Reihe von isobaren Nukliden, die sich durch β –-Zerfall in Richtung Stabilitätsinie
bewegen. Der hohe Neutronenüberschuß der Spaltprodukte rührt vom Neutronenüberschuß der schweren Kerne her. Die Massen der beiden Bruchstücke sind meist
deutlich unterschiedlich. Fig. 4 zeigt ein typisches Beispiel. Fig. 5 gibt einen Überblick über die relative Häufigkeit der entstehenden Spaltprodukte, die Spaltausbeute, als Funktion von deren Masse.
9
235
92 U
+
(
1
0n
236
92 U
)
90
36 Kr
β
–
+
32,2 s
90
37 Rb
β
–
–
β
2,2 m
–
–
1
3 0n
20 s
–
14 m
143
58 Ce
28,6 a
90
39 Y
β
β
+
143
57 La
90
38 Sr
β
143
56 Ba
β
–
33 h
143
59 Pr
64,1 h
90
40 Zr
β
–
13,6 d
143
60 Nd
Fig. 4: Typische Spaltprodukte beim Zerfall von
thermischen Neutrons
235U
nach Einfang eines
Spaltausbeute (%)
10
5
2
1
0,1
0,01
0,001
0,0001
80
100
120
140
160
Massenzahl A
Fig. 5: Spaltausbeute für die Spaltung des
235U
durch thermische Neutronen
10
Da sich bei den β-Umwandlungen die Massenzahl nicht ändert, ist es sinnvoll, die
Spaltausbeute als Funktion der Massenzahl aufzutragen. Dabei wird jede Spaltkette durch Angabe einer Spaltausbeute charakterisiert. Für die Spaltung des 235U
durch thermische Neutronen erhält man die in Fig. 5 aufgezeichnete Kurve. Da aus
einer Kernspaltung jeweils zwei Spaltprodukte hervorgehen, beträgt die Summe
der Spaltausbeuten 200%. In Fig. 5 ist der Logarithmus der Spaltausbeute aufgetragen. Man erkennt daraus, wie stark die asymmetrische Spaltung bevorzugt ist.
Die Maxima der Kurve liegen im Bereich der Massenzahlen A = 90 - 100 und A =
133 - 143. Die Ausbeuten für diese Massenzahlen betragen jeweils etwa 6%. Eine
symmetrische Spaltung (A = 236/2) findet nur in 10–2 % aller Fälle statt.
3.3. Energiebilanz der Kernspaltung
Die bei der Kernspaltung freiwerdende Energie läßt sich aus der Bindungsenergie
von Nukleonen in Kernen wie folgt berechnen:
Die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon für schwere Kerne beträgt etwa:
7,6 MeV
Die mittlere Bindungsenergie pro Nukleon für mittelschwere Kerne (A = 80 -150):
8,5 MeV
Die Differenz, d.h. die pro Nukleon bei der Spaltung freiwerdende Energie beträgt: 0,9 MeV
___________________________________________________________________________
Für einen Kern mit der Nukleonenzahl 235 sind dies 235 · 0.9 MeV:
210 MeV
Diese Energie teilt sich wie folgt auf:
Kinetische Energie der Spaltfragmente:
175 MeV
Kinetische Energie der prompten Neutronen:
5 MeV
Bei der Kernspaltung auftretende prompte γ-Strahlung:
7 MeV
Energie des β- -Zerfalls der Spaltprodukte:
7 MeV
Energie des γ-Zerfalls der Spaltprodukte (verzögerte γ-Strahlung):
6 MeV
Energie der Antineutrinos:
10 MeV
___________________________________________________________________________
Summe:
210 MeV
Der Hauptteil der bei der Spaltung freiwerdenden Energie tritt somit als kinetische
Energie der Spaltprodukte auf und wird bei ihrer Abbremsung frei. Hierbei wird die
Energie nicht gleichmäßig auf beide Spaltfragmente übertragen, sondern das
leichtere Bruchstück besitzt nach dem Impulserhaltungssatz die größere kinetische
Energie. So beträgt bei der mit thermischen Neutronen induzierten Spaltung von
11
235U-Atomen
die wahrscheinlichste Energie des leichten Spaltfragments 105 MeV
und des schweren Spaltfragments 70 MeV.
4. Kernreaktionen
Unter Kernreaktionen versteht man allgemein solche Prozesse, bei denen Atomkerne durch Wechselwirkung mit Elementarteilchen oder anderen Atomkernen verändert werden, wobei die Veränderung sehr tiefgreifend sein kann. Auch der radioaktive Zerfall beinhaltet eine Kernumwandlung. Da diese aber spontan ohne Beeinflussung von außen stattfindet, wurde diese Art von Kernveränderung getrennt in
der Praktikumsunterlage P01 besprochen.
Die erste künstliche Kernreaktion wurde von Ernest Rutherford 1919 beobachtet.
Bei der Einwirkung von α-Strahlen, die beim Zerfall des 214Po emittiert werden, auf
Stickstoffatome konnte er die Bildung von Protonen nachweisen, die durch folgende Kernreaktion entstanden sind:
14
7N
Ausgangs− oder
Targetnuklid
+
α
Projektil
→
p
emittiertes
Teilchen
+
17
8O
Endprodukt
Derartige Kernreaktionen schreibt man in einer abgekürzten Schreibweise:
14
7N
(α, p) 17
8O
Außerhalb der Klammer stehen Ausgangs- und Endprodukte, innerhalb der Klammer Projektile und emittierte Teilchen. Die Mehrzahl der Kernreaktionen verläuft
über einen intermediär entstandenen Zwischenkern, der dann durch Abgabe seiner
Anregungsenergie durch Emission von γ-Quanten oder Teilchen (n, p, α, etc.) in
den Grundzustand des Endprodukts übergeht. Kernreaktionen entsprechen in
vielerlei Hinsicht chemischen Reaktionen. Die wesentlichen Unterschiede sind:
a) Bei chemischen Reaktionen wird der Umsatz wägbarer Stoffmengen betrachtet.
Bei Kernreaktionen handelt es sich um die Umwandlung einzelner Atome.
Entsprechend werden bei Kernreaktionen die Reaktionsenergien in Einheiten
des Elektronenvolt angegeben, während bei chemischen Reaktionen die
Energiebeträge in J/mol aufgeführt werden (96 kJ/mol entsprechen 1 eV/Atom).
12
b) Bei chemischen Reaktionen bleiben die an der Umsetzung beteiligten Elemente erhalten. Bei Kernreaktionen entstehen andere Nuklide, die nicht unbedingt
dem gleichen Element angehören.
c)
Die bei chemischen Reaktionen umgesetzte Energie ist im allgemeinen bedeutend kleiner als bei Kernreaktionen. Daher wird nur bei letzteren ein merklicher
Teil von Materie in Energie umgewandelt.
Beispiel: Die Spaltung von 1g 235 U liefert 8,4 · 107 kJ, während 33,9 kJ
bei der Verbrennung von 1g Kohlenstoff frei werden.
Wegen der Äquivalenz von Energie und Masse lassen sich bei Kernreaktionen umgesetzten Energiebeträge leicht berechnen, wenn man die Massen der an der
Kernreaktion beteiligten Partner kennt. Für die allgemeine Reaktion A (x, y) B ist die
Energiebilanz
∆E = (mA + mx – mB – my) c2
(3)
Das Energieäquivalent einer atomaren Masseneinheit beträgt 931,5 MeV. Falls ∆E
(Q-Wert der Reaktion) negativ ist, muß die fehlende Energie vom Geschoß als kinetische Energie mitgebracht werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß nicht
die gesamte kinetische Energie des Projektils als Anregungsenergie verfügbar ist,
da der Anteil mx / (mA + mx), als Stoßenergie auf den Zwischenkern übergeht. Entsprechend teilt sich die bei der Reaktion freiwerdende kinetische Energie im umgekehrten Verhältnis der Massen auf die Produkte y und B auf. Als Projektile für Kernreaktionen kann eine Vielfalt von Teilchen eingesetzt werden. Das können Nukleonen oder kleine Kerne wie Deuteronen und α-Teilchen sein, bis hin zu sehr schweren Ionen wie Xenon oder gar Uran.
4.1. Wirkungsquerschnitt einer Kernreaktion
Der Wirkungsquerschnitt σ einer Kernreaktion ist vergleichbar mit der Geschwindigkeitskonstanten k einer chemischen Reaktion:
dc
= k ⋅ c1 ⋅ c 2
dt
(5)
13
wobei c die Konzentration eines Reaktionsproduktes und c1 bzw. c2 die Konzentrationen der beiden Edukte sind. Reaktionspartner bei einer Kernreaktion sind nach
der allgemeinen Gleichung
A+x→B+y
das Nuklid A im Target und der Strahl der Teilchen x. Da wir bei Kernreaktionen die
einzelnen Atome betrachten, setzen wir anstelle der Konzentration der Nuklide A
und B die Zahl der Atome NA bzw. NB ein und anstelle der Konzentration der
Teilchen x ihre Flußdichte Φ. Letztere ist definiert als die Zahl der Teilchen pro
Querschnittsfläche und Zeit. Für eine Kernreaktion gilt dann analog Gl. (5):
dNB
= σ ⋅ Φ ⋅NA
dt
(6)
Der Wirkungsquerschnitt σ ist durch die Gl. (6) definiert. Er ist, ähnlich wie die Geschwindigkeitskonstante k, ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, daß die Reaktion
abläuft. Er hat die Dimension einer Fläche. Der Wirkungsquerschnitt ist eine sehr
wichtige Größe zur Charakterisierung der Reaktion. Die experimentelle Bestimmung erfolgt durch Messung der Ausbeute für die betreffende Kernreaktion als
Funktion der Energie der Geschosse. Insbesondere die Wirkungsquerschnitte beim
Einfang von Neutronen verschiedener Energie wurden von vielen Arbeitsgruppen
eingehend untersucht, die Ergebnisse aber lange Zeit streng geheim gehalten. Auf
der ersten Genfer Atomkonferenz im Jahr 1955 wurden die Werte aus den USA,
Großbritannien und der ehemaligen UdSSR erstmals verglichen. Sie sind in umfangreichen Handbüchern als Funktion der Energie der Neutronen aufgezeichnet.
Anschaulich kann man sich den Wirkungsquerschnitt als Größe der Zielscheibe
vorstellen, die dem Geschoß dargeboten wird. Der Wirkungsquerschnitt hat nur
beiläufig mit der wirklichen Größe der Kerne zu tun. Der Durchmesser der Atomkerne ist von der Größenordnung 10–14 m, ihr Querschnitt somit von der Größenordnung 10–26 m2. Um eine bequeme Einheit zur Verfügung zu haben, definierte
man willkürlich
1 barn (abgekürzt 1 b) = 10–26 m2
Allein von der geometrischen Größe der Kerne erwartet man also Wirkungsquerschnitte in der Größenordnung 1 b. Die Bezeichnung "barn" stammt aus dem Englischen und bedeutet "Scheune". Als die ersten Wirkungsquerschnitte experimentell
14
bestimmt wurden, fand man teilweise sehr hohe Werte ("as big as a barn"). Daß die
geometrische Größe nur einen Teilaspekt darstellt, zeigen die Wirkungsquerschnitte der stabilen Gadoliniumisotope gegenüber thermischen Neutronen, die in folgender Tabelle zusammengestellt sind:
152Gd
154Gd
155Gd
156Gd
157Gd
158Gd
160Gd
900
60
61000
2,0
25400
2,3
1,5
b
b
b
b
b
b
b
Thermische Neutronen spüren fast ausschließlich die starke Wechselwirkung, die
für den Zusammenhalt der Kerne verantwortlich ist. Die Reichweite der starken
Wechselwirkung geht nicht wesentlich über die Ausmaße der Kerne hinaus. Daher
fehlt aus der makroskopischen Welt jede Erfahrung über deren Wirkungsweise.
Reaktionen mit positiv geladenen Projektilen weisen im Vergleich mit Neutronenreaktionen wesentlich kleinere Wirkungsquerschnitte auf, da zusätzlich die
Coulomb-Abstoßung überwunden werden muß. Die Wirkungsquerschnitte für die
Streuung von Neutronen hoher Energie, oberhalb 10 MeV, korrespondieren recht
gut mit der geometrischen Größe der Kerne.
4.2. Kinetik von Kernreaktionen
In der Folge soll die Aktivierung durch Beschuss quantitativ beschrieben werden.
Ein Nuklid A, das Target, wird mit Projektilen x bestrahlt. Dabei entsteht ein Nuklid B
nebst möglicherweise weiteren Produkten y.
A + x → B + y
Für die Bildungsrate des Nuklids B gilt Gl. (6). Bei einem dünnen Target ist die
Flußdichte Φ innerhalb des Targets konstant. Dann ist auch die Bildungsrate des
Nuklids B an allen Stellen des Targets gleich. Außerdem wird vorausgesetzt , daß
sich die Zahl der Atome des Nuklids A infolge von Kernreaktionen nicht merklich
ändert. Das entstehende Nuklid B zerfällt gemäß
dNB
= σ ⋅ Φ ⋅NA − λ ⋅NB
dt
(7)
15
Die Integration dieser Gleichung zwischen den Grenzen t = 0 und t liefert:
NB (t) =
σ ⋅ Φ ⋅NA
λ
(1– e )
(8)
−λt
Die Aktivität des Nuklids B ist durch seine Zerfallsrate gegeben:
A =
(
dNB (t)
= λ ⋅NB (t) = σ ⋅ Φ ⋅NA 1– e−λt
dt
)
(9)
Bei Bestrahlungen wird die Menge der eingesetzten Substanz A meist nicht als
Anzahl Atome NA, sondern als Masse m angegeben. Mit
NA =
wobei:
N Av . .
H m
M
N Av
M
H
m
=
=
=
=
(10)
Avogadro-Konstante (6,022 . 1023 mol–1)
Molmasse oder Atommasse der Substanz
Häufigkeit des Nuklids A in dem betreffenden Element
Masse des bestrahlten Elements
Eingesetzt in Gl. (9) ergibt:
A =
(
m ⋅H ⋅NAv ⋅ σ ⋅ Φ
1– e−λt
M
)
(11)
Ersetzt man die Zerfallskonstante durch die Halbwertszeit T1/2, so ergibt sich:
A =
(
m ⋅H ⋅NAv ⋅ σ ⋅ Φ
1– 2−t/T1/ 2
M
)
(12)
Bei gegebener Flußdichte wird also nach einer Bestrahlungsdauer von einer Halbwertszeit die Hälfte der maximal erreichbaren Aktivität erhalten.
Mit wachsender Bestrahlungszeit nähert sich die Aktivität asymptotisch der Sättigungsaktivität (vgl. Fig. 7). Bestrahlungszeiten die größer sind als etwa 10 Halbwertszeiten des gebildeten Radionuklids, führen nicht mehr zu einer merklichen
Erhöhung der Radioaktivität und sind deshalb sinnlos.
16
relative Aktivität
A
Amax
Sättigungsaktivität
1
0,75
0,5
0,25
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
Bestrahlungszeit t / t1/2
Fig. 7: Aktivität als Funktion der Bestrahlungszeit
Der Umsatz bei einer Kernreaktion folgt aus Gl. (9):
(
NB (t)
σ⋅Φ
=
1– e−λt
NA
λ
)
Für die Herstellung größerer Mengen eines Radionuklids ist deshalb der Ausdruck
σΦ/λ von entscheidender Bedeutung. Da die Werte für σ und λ gegeben sind,
kommt es in erster Linie auf die Flußdichte Φ an.
Häufig wird man die Probe nicht direkt nach Bestrahlungsende weiterverarbeiten
können, sondern erst nach Ablauf einer Zeit t' nach Bestrahlungsende. Daher ist
die Abnahme der erzeugten Aktivität A in dieser Zeit zu berücksichtigen. Man erhält:
A(t' ) =
(
m ⋅H ⋅NAv ⋅ σ ⋅ Φ
1– 2−t/T1/ 2
M
)
2−t'/T1/ 2
(13)
5. Aktivierungsanalyse
Die Aktivierungsanalyse beruht auf der Erzeugung von Radionukliden durch Kernreaktionen. Für die durch Aktivierung hervorgerufene Aktivität gilt Gl. (11). Die
Nachweisbarkeit eines Elements demnach von folgenden Faktoren abhängig:
17
a) Wirkungsquerschnitt für die Kernreaktion σ
b) Fluß der Geschoßteilchen Φ
c) Verhältnis von Bestrahlungszeit zu Halbwertszeit, t/T1/2
Die Möglichkeiten der Aktivierungsanalyse sind sehr vielseitig, weil alle Kernreaktionen für die Aktivierung herangezogen werden können. Man unterscheidet in der
Praxis folgende Methoden:
– Aktivierung mit Reaktorneutronen, vorzugsweise (n, γ)-Reaktionen
– Aktivierung mit den Neutronen eines Spontanspalters wie
anderen Neutronenquelle, vorzugsweise (n, γ)-Reaktionen
252 Cf
oder einer
– Aktivierung mit energiereichen Neutronen, z. B. den 14 MeV-Neutronen aus
einem Neutronengenerator, vorzugsweise (n, 2n)-Reaktionen
– Aktivierung mit geladenen Teilchen aus einem Beschleuniger wie p, d, α, 3He
oder schweren Ionen
– Aktivierung mit Photonen, die mit einem Elektronenbeschleuniger erzeugt
werden, vorzugsweise (γ, n)-, (γ, 2n)- und (γ, γ')-Reaktionen
– Bestrahlung mit Neutronen und Messung der bei (n, γ)-Reaktionen aufretenden
prompten γ-Strahlung
5.1. Aktivierung mit Reaktorneutronen
Am häufigsten werden Reaktorneutronen für die Aktivierung benutzt, weil diese in
Kernreaktoren in verhältnismäßig hoher Flußdichte zur Verfügung stehen. Außerdem ist der Wirkungsquerschnitt der (n, γ)-Reaktionen, die durch thermische Neutronen bevorzugt ausgelöst werden, verhältnismäßig hoch. Geht man davon aus,
daß eine Aktivität von 10 Bq eine quantitative Bestimmung erlaubt, so erhält man
die in Tab. 2 eingetragenen Werte für die Nachweisgrenze von verschiedenen
Elementen durch (n, γ)-Reaktionen bei einem Neutronenfluß Φ = 1014 cm–2 s–1 und
einer Bestrahlungszeit von einer Stunde bzw. einer Woche. Die an der Spitze der
Tab. 2 stehenden Elemente besitzen einen hohen Wirkungsquerschnitt für die Erzeugung von Radionukliden durch die (n, γ)-Reaktionen und können deshalb einer
18
außerordentlich großen Empfindlichkeit nachgewiesen werden, wie sie durch
andere analytische Methoden im allgemeinen nicht erreicht werden.
In 1g Substanz
bestimmbare Menge
Bestrahlungszeit 1 h
Bestrahlungszeit 1 Woche
10–14 - 10–13 g
Dy1)
Eu1), Dy1)
10–13 - 10–12 g
Co, Rh*)2), Ag*)2), In1), Eu1), Ir
Mn, Co, Rh*)1), Ag*)2), In, Sm1), Ho,
Re1), Ir, Au
10–12 - 10–11 g
10–11 - 10–10 g
10–10 - 10–9 g
V, Mn, Se*), Br1), I1), Pr, Er*), Yb*), Hf*), Na, Sc, V, Cu2), As, Se*), Br1), Pd, Sb,
Th1)
I1, Cs, La, Pr, Er*), Tm1, Yb*), Lu, Hf*),
W, Hg, Th1)
Mg, Al, Cl1), Ar, Cu1), Ga2), Nb, Cs,
Sm, Ho, Lu, Re, Au, U
Mg, Al, Cl1), Ar, K1), Cr1), Ni1), Ge1), Kr,
Yβ), Nb, Ru, Gd1), Tb1), Tl1), Os1), U
F*), Na, Ge1), As, Kr, Rb1), Sr, Mo, Ru, F*), Pβ), Zn, Rb1), Sr, Mo, Te1), Ba, Ce,
Pd, Sb, Te1), Ba, La, Nd1), Gd1), W,
Nd, Pt, Tlβ)
Os, Hg, Tlβ)
10–9 - 10–8 g
Ne*), Siβ), K, Sc, Ti, Ni, Yβ), Cd, Sn,
Xe, Tb1), Tm, Ta, Pt
Ne*), Siβ), Ti, Cd, Sn, Xe, Biβ)
10–8 - 10–7 g
Pβ), Cr1), Zn, Ce
Sβ), Caβ), Fe, Zr
10–7 - 10–6 g
Sβ), Zr, Pbβ), Biβ)
Pbβ)
10–6 - 10–5 g
O*), Caβ)
O*)
Tab. 2: Nachweisgrenzen für die Bestimmung der Elemente durch Aktivierung mit
thermischen Neutronen
*) Diese Elemente liefern bei der Neutronenaktivierung Radionuklide mit Halbwertszeiten zwischen 1 s
und 1 min. Man muß deshalb für eine quantitative Bestimmung eine Zerfallsrate von etwa 100 Bq
voraussetzen. Die Elemente sind hinsichtlich ihrer Nachweisgrenze bei der nächstfolgenden Gruppe
eingeordnet.
β) Reine β-Strahler.
1) 2) Bei Messung der γ-Linien mit einem γ-Spektrometer ist das Element mit Rücksicht auf die Häufig-
keit der γ-Übergänge in der nächsten bzw. übernächsten Gruppe einzuordnen.
5.2. Gesichtspunkte für die Anwendung der Aktivierungsanalyse
Auf Grund der hohen Empfindlichkeit ist die Neutronenaktivierungsanalyse (NAA)
eine Methode zur Bestimmung von Nebenbestandteilen, die in niedrigen Konzentrationen vorliegen. Sie eignet sich insbesondere für die Bestimmung von Spurenelementen und besitzt deshalb für die Halbleitertechnik als Analysenmethode
große Bedeutung. Weitere Anwendungsgebiete sind die Spurenanalyse in Wasser,
in biologischem Material und in Mineralien. Die richtige Wahl der Bestrahlungszeit
19
und des Zeitpunktes der Aktivitätsmessung spielen bei der NAA eine wichtige Rolle.
Der Aktivitätsanstieg ist in Fig. 7 als Funktion der Bestrahlungszeit dargestellt.
Zweckmäßigerweise wählt man die Bestrahlungszeit von einer bis zu mehreren
Halbwertzeiten der entstehenden Nuklide. Man unterscheidet Langzeitbestrahlungen (ab 1 Tag) und Kurzzeitbestrahlungen (einige Sekunden oder Minuten). Wenn
man nur kurzlebige Radionuklide erzeugen will, genügt eine kurze Bestrahlungszeit. Für Kurzzeitbestrahlungen benötigt man ein schnelles Transportsystem, z. B.
eine Rohrpostanlage, welche die Probe rasch in die Bestrahlungsposition nahe
dem Reaktorkern und nach der Bestrahlung wieder zurück befördert.
Die NAA wird im allgemeinen als Vergleichsmethode angewendet. Die Proben mit
unbekanntem Gehalt und Kalibrationsproben mit bekanntem Gehalt werden gemeinsam unter den gleichen Bedingungen bestrahlt, in der gleichen Weise verarbeitet und vermessen. Die chemische Aufarbeitung kann entfallen, wenn keine
anderen Radionuklide vorhanden sind oder die Aktivität der gesuchten Radionuklide unabhängig von den radioaktiven Verunreinigungen und von anderen störenden Radionukliden gemessen werden kann. Dazu wird im allgemeinen ein Spektrometer eingesetzt. Man spricht in diesem Fall von zerstörungsfreier oder instrumenteller NAA. Die γ-Spektren können mit einem Rechenprogramm ausgewertet
werden (vgl. P20).
Ein wichtiger Gesichtspunkt für die Anwendung der NAA zur Lösung einer Aufgabe
ist die Frage, in welchem Umfang der Hauptbestandteil aktiviert wird. In diesem
Zusammenhang ist das Verhältnis der Wirkungsquerschnitte des gesuchten
Nebenbestandteils und des Hauptbestandteils, σ x/σ H , von Bedeutung. Je größer
dieses Verhältnis, desto günstiger ist die Anwendung der NAA im betreffenden Fall.
5.3. Anwendungsbeispiel einer Neutronenaktivierungsanalyse
5.3.1. Die NAA im Dienst der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte
Aus der chemischen Zusammensetzung von kulturgeschichtlich wertvollen Objekten lassen sich vielerlei Rückschlüsse ziehen, sei es in rein historischer Hinsicht,
oder um Fälschungen auf die Spur zu kommen. Unter der Vielzahl der Methoden
spielen die zerstörungsfrei arbeitenden eine besonders wichtige Rolle. Neben der
Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) ist die NAA eine der wichtigsten Vertreter dieser
Methoden. Das wirksamste und meistverwendete Verfahren besteht in der Bestrah-
20
lung der Probe mit thermischen Neutronen in einem Kernreaktor. Die entstandene
Radioaktivität wird anschließend mit einem Germanium-HalbleiterSpektrometer gemessen, und die Elementar-Zusammensetzung wird auf Grund der erhaltenen γSpektren bestimmt. Die in der Probe verbleibende Aktivität klingt in der Regel innert
einiger Tage bis Wochen auf ein genügend niedriges Niveau ab, um als inaktiv zu
gelten.
5.3.1.1. Entlarvung eines Sammlerobjektes als Nachahmung eines
alten wissenschaftlichen Instrumentes
Alte wissenschaftliche Instrumente haben im Lauf der letzten Jahre Auktionspreise
erreicht, die die Nachahmung derartiger Gegenstände durch geschickte Fälscher
zu einem lohnenden Geschäft macht. Eine Fabrikationswerkstätte solcher Objekte
befindet sich anscheinend in Großbritanien und hat bereits ein bis zwei Dutzend
Fälschungen von wertvollen gnomonischen Instrumenten in den Verkehr gebracht
[2]. Ein Erzeugnis der erwähnten Werkstätte ist 1976 Herrn A. Brieux in die Hände
geraten. Der betreffende Gegenstand (Fig. 8) wurde von ihm als sehr verdächtig
bezeichnet. Es handelt sich um einen astronomischen Ring, signiert "Le Maire à
Paris", bei welchem die drehbare Schiene, die sonst bei solchen Instrumenten den
Lochblendenschieber trägt, durch eine beidseitige mit zahlreichen Skalen versehene Scheibe ersetzt ist. Die Scheibe ist um eine N-S-Achse orientierbar; Alhidade
auf einer Seite und auf der anderen Seite einen Gelenkzeiger, der auf einem verschiebbaren Reiter montiert ist. Die Ausführung ist sehr gut. Als Hinweise auf eine
Fälschung sind kaum mehr als gewisse Schriftzüge der Signatur und die verdächtige Dicke des verwendeten Messingbleches zu bezeichnen.
Fig. 8: Das untersuchte Objekt: Eine Fälschung eines angeblich von Le Maire in
Paris hergestellten Instrumentes
21
Das damalige Laboratorium für Radiochemie veranlasste die Durchführung einer
NAA. Zu diesem Zweck wurde ein Teil des verdächtigen Objektes zusammen mit je
einem Teil aus 2 alten Instrumenten und einem Stück aus modernem Messing
einer vergleichenden Untersuchung unterworfen. Als alte Instrumente wurden ein
kleines Tischteleskop signiert "Paris à Paris" und ein deutscher astronomischer
Ring aus dem 18. Jahrhundert mit 2 Kreisen und verschiebbarer Lochblende gewählt.
Fig. 9: γ-Spektren der 4 untersuchten Proben.
22
Probe
Probe
Probe
Probe
1:
2:
3:
4:
modernes Messing
Teil des fraglichen Instrumentes
Flügelschraube des Teleskopes "Paris à Paris"
Teil eines deutschen astronomischen Ringes
Die vier Proben wurden während 100 Sekunden dem Fluß thermischer Neutronen
im Kernreaktor SAPHIR des Eidg. Institutes für Reaktorforschung (EIR) in
Würenlingen (heute: Paul Scherrer Institut (PSI)) ausgesetzt. Darauf wurden die γSpektren der in den Proben erzeugten Radionuklide mit einem Ge(Li)-Halbleiterdetektor und einem 800-Kanal-Analysator aufgenommen (Fig. 9). Jede Probe
wurde fünfmal vermessen, das erste Mal kurz nach der Bestrahlung, das letzte Mal
22 Tage danach. Auf die Auswertung der Spektren kann hier nicht im Detail eingegangen werden (vgl. [3]).
Die Resultate der Messungen zeigten sich als recht ergiebig. Fig. 9 zeigt vier der
zwanzig insgesamt aufgenommenen Spektren. Die horizontale Lage der Spitzen
ist für die verschiedenen in den Proben vorhandenen Elemente charakteristisch.
Die Höhe der Spitzen ist ein Maß für die Mengen der Elemente. Die alten Messingproben unterscheiden sich vom modernen Messing durch völlig andersartige
Spektren. Das Messing des dubiosen Instrumentes erscheint eindeutig als modern.
In der Tab. 3 sind die Mengen der in den 4 Proben gefundenen Spurenelemente
zusammengestellt.
Probe 1
Probe 2
Probe 3
Probe 4 Nachweisgrenze
Sb
7
2
2000
340
0,5
As
–
–
1000
650
50
Ag
23
42
300
470
10
Au
0,045
0,033
600
10
0,02
Mn
5
–
8
6
3
Fe
1000
–
7000
2000
500
Co
8
8
150
80
2
Hg
–
–
49
2
1
In
3
–
21
28
0,5
Ga
–
–
–
130
60
Tab. 3: Gehalt an Spurenelementen der vier analysierten Metallproben in ppm.
Striche bedeuten, daß die in der letzten Spalte angegebenen unteren
Nachweisgrenzen nicht überschritten wurden.
23
Die Resultate erlauben folgende Schlußfolgerungen:
1. Modernes Messing ist wesentlich reiner als altes Messing, was in Anbetracht
der Fortschritte der Metallurgie im Lauf von 2 Jahrhunderten nicht verwundert.
2. Die Probe aus dem fraglichen Instrument ist die reinste von allen und deutet auf
ein modernes Messing guter Qualität hin.
3. Der abnorm hohe Goldgehalt der 3. Probe fand nachträglich seine Erklärung.
Eine nähere Prüfung des betreffenden Teiles (eine Flügelschraube aus einem
kleinen Tisch-Spiegelteleskop signiert "Paris à Paris") zeigt, daß diese
Vergoldungsreste aufweist. Der ebenfalls relativ hohe Quecksilbergehalt ist
sehr wahrscheinlich auf Feuervergoldung zurückzuführen.
4. Die Anwesenheit von Gallium, das nur in der 4. Probe nachgewiesen wurde,
deutet auf die Herkunft des Kupfers hin. Im 18. Jahrhundert wurde das in
Deutschland verbrauchte Kupfer zu einem guten Teil aus dem Mansfelder Erz
im Harzgebirge gewonnen wurde, das als galliumhaltig bekannt ist.
Die Nachweisgrenzen für gewisse Elemente könnten durch eine längere Bestrahlungszeit und den Einsatz eines empfindlicheren Spektrometers ohne weiteres um
zwei bis drei Zehnerpotenzen erniedrigt werden. Dadurch könnten die Konzentrationen weiterer Spurenelemente bestimmt werden. Eine Anhäufung experimenteller Befunde ist für den Nachweis einer Fälschung eine wichtige Stütze.
5.3.2. Literatur
[1] P. Jordan, K. May, Mitteilungsblatt des Verbandes der Museen der Schweiz Nr.
16 (1976)
[2[ A. Brieux, Une officine de faussaires, Art et Curiosité, Janvier-Février 1975
[3] P. Jordan, K. May, Mise en évidence d'une falsification d'instrument scientifique
ancien au moyen de l'analyse par radioactivation. Art et Curiosité (1977)
6. Chemische Reaktionen nach Kernumwandlungen
Von einem radioaktiven Zerfall oder einer induzierten Kernreaktion ist nicht nur der
Atomkern betroffen, sondern auch die Elektronenhülle und damit die chemische
24
Bindung. Bruchteile der bei Kernumwandlungen freigesetzten Energiebeträge
werden in Form von kinetischer Energie bzw. Anregungsenergie auf die Atome
übertragen, was Rückstoß- bzw. Anregungseffekte induziert. In Abweichung vom
strengen statistischen Begriff der Temperatur, der mit der mittleren kinetischen
Energie einer Vielzahl von Atomen oder Molekülen verknüpft ist, läßt sich auch
einem einzelnen Atom eine Temperatur zuordnen, indem man feststellt, welcher
Temperatur die kinetische Energie des Atoms entspricht. Dazu setzt man die kinetische Energie des Atoms gleich der bei der Temperatur T wahrscheinlichsten Energie und erhält:
Ekin =
m 2
⋅ v = kT
2
(14)
mit der Boltzmann-Konstanten k = 8,617 · 10–5 eV/K.
T =
Ekin
K
= 1,16049 ⋅104
⋅ Ekin
eV
k
(15)
Eine kinetische Energie von 1 eV entspricht einer Temperatur von etwa 104 K. Die
Rückstoßenergien bei Kernumwandlungen liegen im Bereich von 1 MeV, was einer
temperatur von 1010 K entspricht. Daher wird für Rückstoßatome häufig der
Ausdruck "heiße Atome" gebraucht und entsprechend versteht man unter "Chemie
heißer Atome" ("hot atom chemistry") die Untersuchung der chemischen Effekte von
Kernumwandlungen. 1934 bestrahlten L. Szilard und T. A. Chalmers Ethyljodid mit
Neutronen und stellten fest, daß ein beträchtlicher Teil des über die Kernreaktion
127I (n, γ) 128I gebildeten radioaktiven Jods 128I sich mit Wasser aus der organischen
Phase extrahieren ließ. Da das Jod im Ethyljodid kovalent gebunden und somit
wasserunlöslich ist, mußte also beim Einfang des Neutrons die chemische Bindung
zwischen dem Ethylrest und dem entstandenen 128I gelöst worden sein. Szilard und
Chalmers glaubten zunächst, daß die Kohlenstoff-Jod-Bindung durch die kinetische
Energie des eingefangenen Neutrons aufgebrochen sei. Der gleiche Effekt ist aber
auch bei Bestrahlung mit thermischen Neutronen zu beobachten. Diese haben eine
Energie von 0,025 eV. Die bei einem Stoß mit einem 127I-Atom übertragene kinetische Energie beträgt dann maximal etwa 17 J. Der Einfangsrückstoß kann keinen
Bindungsbruch bewirken. Kurze Zeit später wies jedoch Enrico Fermi darauf hin,
daß der Rückstoß der nach dem Neutroneneinfang emittierten γ-Quanten ausreicht,
chemische Bindungen zu spalten. Die Änderung des chemischen Bindungszustandes durch den γ-Rückstoß beim Einfang eines Neutrons bezeichnet man nach den
Entdeckern als "Szilard-Chalmers-Prozeß". Er ermöglicht auf sehr einfache Weise
25
eine chemische Isotopentrennung, nämlich die Trennung der entstandenen Radioisotope von der um viele Zehnerpotenzen größeren Menge der nicht umgewandelten inaktiven Isotope (vgl. 6.2.).
6.1. Rückstoßenergie nach α-, β- und γ-Emission
Wird bei einer Kernumwandlung ein Teilchen oder ein γ-Quant emittiert, so erhält
der Restkern einen Rückstoß, der sich nach dem Impulserhaltungssatz berechnen
läßt. Für die Emission eines α-Teilchens gilt:
pα = pR = mα · vα = mR · vR
oder mit E =
ER =
(16)
p2
2 m
mα
Eα
mR
(17)
Beim α-Zerfall von 212Bi entstehen α-Teilchen mit einer Energie Eα ≈ 6 MeV. Der
208Pb-Rückstoßkern erhält damit eine Energie von:
ER =
4
⋅ 6 MeV ≈ 0,1 MeV
208
Diese Energie übersteigt jede chemische Bindungsenergie und reicht sogar aus,
das Rückstoßatom aus dem Präparat herauszuschlagen, wenn der Zerfall nahe der
Oberfläche erfolgt. Für die Berechnung der Rückstoßenergie beim β-Zerfall ist die
relativistische Massenzunahme des Elektrons zu berücksichtigen, da die Geschwindigkeiten der β-Teilchen beim Verlassen des Atomkerns der Lichtgeschwindigkeit nahekommt (vgl. P01, Seite 4). Es ergibt sich die Zahlenwertgleichung:
ER = 5,36 ⋅10
−10
2
Eβ
u Eβ
+ 5,41⋅10−4 u
eV mR
mR
(18)
Dabei ist u die atomare Masseneinheit. Emittiert z. B. ein Atom der Masse 100 u ein
Elektron mit einer Energie von 2 MeV, so beträgt die Rückstoßenergie des
Tochteratoms
26
ER = 5,36 ⋅10−10
2 ⋅106 eV
u (2 ⋅106 eV)2
+ 5,41⋅10−4 u
= 32,26 eV
eV
100 u
100 u
Somit liegt die Rückstoßenergie im Bereich von 10 eV bis 100 eV und ist damit um
mehrere Zehnerpotenzen geringer als die α-Rückstoßenergie. Sie ist aber immer
noch größer als die bei chemischen Reaktionen umgesetzten Energien. Da die βTeilchen eines Nuklids ein kontinuierliches Energiespektrum besitzen (vgl. P05,
Fig. 1), gilt das auch für die Tochteratome, deren Energiespektrum von null bis zur
maximalen Rückstoßenergie ER(max) bei Eβ(max) reicht.
Die bei der Emission eines γ-Quants dem Restkern übertragene Rückstoßenergie
berechnet sich analog nach Gl. (18) zu:
ER = 5,36 ⋅10−10
2
u Eγ
eV mR
(19)
Beim Neutroneneinfang werden im Durchschnitt 6 bis 9 MeV Bindungsenergie frei.
Bei Emission eines einzigen γ-Quants errechnet sich hieraus eine Rückstoßenergie
von einigen hundert eV. Die Bindungsenergie wird jedoch mit wenigen Ausnahmen
bei leichten Elementen durch Emission von durchschnittlich 2 bis 6 γ-Quanten hintereinander abgegeben. Ist das Zeitintervall zwischen der Emission der einzelnen
γ-Quanten kürzer als die Zeit, die zum Aufbrechen einer chemischen Bindung nötig
ist (≈ 10–14 s), so ergibt sich der wahre Rückstoßimpuls durch vektorielle Addition
der Einzelimpulse. Der experimentell beobachtete Rückstoßimpuls ist damit von der
Winkelverteilung der emittierten γ-Quanten abhängig.
Die Rückstoßenergie ER wirkt jedoch nicht nur als "innere" Energie Ei gegen die
chemische Bindung, sondern ein Teil wird als kinetische Energie Ekin auf das Molekül oder den Molekülrest, dem das Rückstoßatom angehört, übertragen. Aufgrund
der Impulserhaltung ergibt sich:
Ei = ER ⋅
wobei
M − mR
M
(20)
mR = Masse des Rückstoßatoms
M = Masse des Moleküls mit dem Rückstoßatom
Der Anteil der Energie Ei, der die chemische Bindung löst, wird bei gleichem Rückstoßatom um so größer, je schwerer das Molekül mit dem Rückstoßkern ist.
27
6.2. Rückstoßreaktionen (Szilard-Chalmers-Reaktionen)
Um die Rückstoßatome von den anderen Atomen abtrennen zu können, müssen
folgende Bedingungen erfüllt sein:
1. Die durch den Rückstoß erzeugten radioaktiven Atome müssen sich in einem
anderen Bindungs- bzw. Wertigkeitszustand als die Ausgangsatome befinden.
2. Es darf zumindest kein thermischer Isotopenaustausch mit den inaktiven
Atomen stattfinden. Ein derartiger Isotopenaustausch ist möglich durch
a)
Elektronenaustausch, wie z. B. bei
∗
Fe2+ + Fe3+
b)
⇔
∗
Fe3+ + Fe2+
Atom- oder Ionenaustausch, z. B. bei
C4H9I +
∗−
I
⇔
C4H9 ∗I + I−
3. Die Ausgangsverbindungen müssen chemisch und strahlenchemisch weitgehend stabil sein.
Die Güte einer Rückstoßtrennung lässt sich durch den Anreicherungsfaktor charakterisieren. Dieser ist definiert als das Verhältnis der spezifischen Aktivität des
abgetrennten Radionuklides zu seiner spezifischen Aktivität in der Ausgangssubstanz nach Bestrahlung. In einigen Fällen wurden Anreicherungsfaktoren bis zu 106
erreicht. Der Anreicherungsfaktor ist unter anderem abhängig von der Bestrahlungszeit und dem Bestrahlungsort. Bestrahlt man Ethyljodid in einem Reaktor, so
wird ein Teil der Verbindung strahlenchemisch zersetzt unter Freisetzung von
inaktivem Jod, welches das Rückstoßjod verdünnt und somit den Anreicherungsfaktor herabsetzt.
Für Szilard-Chalmers-Trennungen sind die organischen Halogenverbindungen
besonders geeignet, da hier das Halogen in anorganische Ionen, bevorzugt in
Halogenid, übergeht. Gut geeignet sind auch metallorganische Verbindungen wie
Dibenzol-Chrom, ferner Metallcarbonyle oder stabile Metallchelate, z. B. Phthalocyanide, Komplexe mit EDTA (Ethylendiaminotetraessigsäure). Unter den
anorganischen Verbindungen lassen sich besonders jene von Übergangselemen-
28
ten verwenden, da diese meist in mehreren stabilen Wertigkeitsstufen vorkommen.
−
3−
−
Sehr geeignet sind auch Oxidanionen wie CrO2−
4 , MnO4, PO4 oder ClO4, weil sich
die in niedrigeren Wertigkeitsstufen vorliegenden Rückstoßatome leicht abtrennen
lassen und weil kein Isotopenaustausch zwischen den hohen und den niederen
Wertigkeitsstufen erfolgt (vgl.Tab. 4).
Bestrahlte Substanz
Rückstoßatom
(n, γ)-Prozess
Ausbeuteprodukt
(nach Lösen in Wasser)
Retention
(in %)
KMnO4
56Mn
Mn2+, MnO2
22
K2CrO4
51Cr
Cr2+, Cr3+
60
NaClO4
38Cl
KIO4
128I
Cl– ClO−4
I–, I2, IO3−
K2ReCl6
186Re, 188Re
ReO2, ReO4−
63
trans-[Co-en2Cl2]NO3 1,2
60Co
Co2+
7,3
1 en = Ethylendiamin
0
4
2 Bestrahlung bei –78°C, sonst bei 20 bis 50°C
Tab. 4: Beispiele für Reaktionsprodukte bzw. Retentionen
Unter der Retention versteht man den Anteil der durch eine bestimmte Kernumwandlung erzeugten Atome, die danach in der chemischen Form der Ausgangsverbindung vorliegt. Eine Retention kann dadurch zustande kommen, daß die
chemische Bindung bei der Kernumwandlung erhalten bleibt (primäre Retention)
oder dadurch, daß das Rückstoßatom nach Spaltung der Bindung durch Substitution oder Rekombination wieder eine neue Bindung gleicher Art eingeht (sekundäre Retention). Durch Arbeiten in sehr verdünnter Substanz läßt sich die sekundäre
Retention weitgehend vermeiden.