2. Praktisches Studiensemester Erfahrungsbericht

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2. Praktisches Studiensemester Erfahrungsbericht
2. Praktisches Studiensemester
bei
Mercedes-Benz U.S. International, Inc.
Erfahrungsbericht
von
Peter Wendt
FH Albstadt-Sigmaringen
Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen
Praktikumszeitraum:
03. März 2003 bis 29. August 2003
Peter Wendt
Semesteranschrift:
Masselturenstraße 33/2
72458 Albstadt
Heimatanschrift:
Konrad-Weiß-Straße 2
74544 Michelbach an der Bilz
e-mail: [email protected]
Firmenanschrift:
Mercedes-Benz U.S. International, Inc.
1 Mercedes Drive
Vance, AL 35490
U.S.A.
Betreuerin:
Sabine Post
2. Praxissemester bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc.
Peter Wendt, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen
Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003)
"Jeder, der die Chance hat, ein Praxissemester im Ausland zu
verbringen, sollte sie unbedingt ergreifen,."
So knapp zusammengefasst lässt sich ein Fazit aus meinem sechsmonatigen Praktikum bei Mercedes-Benz U.S. International, Inc. in Tuscaloosa, Alabama (USA) ziehen. Ich will es aber nicht versäumen, die Gründe für diesen Schluss und meine Erlebnisse, Gefühle und Erfahrungen im Praktikum und in der Vorbereitungsphase auf
den Auslandsaufenthalt näher auszuführen.
Der Wunsch “Auslandsaufenthalt”
Schon während des Grundstudiums wuchs in mir der Wunsch, einen Teil meines FHStudiums im Ausland zu verbringen. Von einigen Professoren immer wieder dazu animiert, die Austauschkontakte mit Partnerhochschulen im europäischen Ausland,
vor allem in England, zu nutzen, beschäftigte ich mich mit den vom Auslandsbeauftragten des Studiengangs bereitgestellten Informationsbroschüren und informierte
mich darüber hinaus im Internet direkt auf den Seiten der jeweiligen Hochschulen
über dortige Studienangebote und Lebens- und Studienbedingungen für deutsche
Studenten.
Dabei stellte sich für mich heraus, dass als sinnvolle Lösung für ein Teilstudium an
einer englischen Partnerhochschule (University of Greenwich oder University of East
London) nur die “Komplettlösung” mit einem einjährigen Aufenthalt inklusive der abgelegten Prüfungen zum Bachelor-Abschluss in Frage kam. Ein von mir favorisierter
Aufenthalt über nur ein halbes Jahr hätte zur Folge gehabt, dass ich in Albstadt einen
eventuell wichtigen Teil des Hauptstudiums verpasst hätte (auch wenn die Prüfungsleistungen an den Partnerhochschulen von meinem Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen in der Regel sehr kulant anerkannt werden), und dem kein greifbarer Abschluss oder ähnliches gegenüber gestanden wäre.
Nach Beginn des Hauptstudiums fokussierte ich meine Informationssammlung dann
auf die Ableistung des zweiten praktischen Studiensemesters im Ausland, vorzugsweise in einer englischsprachigen Umgebung.
Eintritt in die Vorbereitung: Bewerbung
Ermutigt wurde ich durch einen Aushang am schwarzen Brett des Praktikantenamtes
– eine ausgedruckte email an einen Professor im Studiengang Maschinenbau, in der
der Absender, ein Alumni der FH Albstadt-Sigmaringen, mitteilte, dass er mittlerweile
als Abteilungsleiter im Mercedes-Benz-Werk in Tuscaloosa tätig sei und die Abteilung immer wieder Verwendung für Praktikanten hätte. Obwohl der Aushang schon
über eineinhalb Jahre alt war (Eingangsdatum der email), schrieb ich den Absender
ebenfalls per email an, um zu erfahren, ob die Möglichkeit eines Praktikums dort immer noch bestand oder die mail überholt sei.
Kurz darauf bekam ich als Antwort die Aufforderung der Personalabteilung bei Mercedes-Benz U.S. International, meine Bewerbungsunterlagen einzusenden. Der Eingang derselben wurde etwa eine Woche später bestätigt und man teilte mir mit, die
Anzahl und Aufgabenbereiche der Praktikantenstellen für das Sommerhalbjahr seien
noch nicht festgelegt, ich solle mich noch ein bis zwei Monate gedulden.
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Sommersemester 2003 (03.03.2003 bis 29.08.2003)
Drei Wochen später (Ende Oktober) erhielt ich dann einen Anruf von der Sekretärin
der Abteilung “Product Controlling” mit der Frage, ob ich bereit sei, eine Telefonkonferenz mit den Abteilungsverantwortlichen zu führen. Ein Termin wurde vereinbart
und einige Tage später ein etwa 30minütiges Gespräch in englischer Sprache geführt, in dessen Verlauf ich mir nicht sicher war, ob sich daraus ein Stellenangebot
entwickeln würde oder nicht, obwohl ich das Gefühl hatte, dass zumindest keine negative Entscheidung gefallen war. Eine Woche später bekam ich dann erneut einen
Anruf, dieses Mal aus der Personalabteilung, und man bot mir ein sechsmonatiges
Praktikum von März bis August 2003 an.
Vorbereitung des Praktikums
Nachdem diese erste große Hürde genommen war – einen Praktikumsplatz zu finden
– , galt es, eine Reihe von Formalitäten in Angriff zu nehmen. Für die Abwicklung der
Visa-Beantragung und die Bereitstellung eines kompletten Versicherungspaketes
wurde mir von der zuständigen Personalbetreuerin die Organisation “Council on International Educational Exchange CIEE e.V.” empfohlen. Nach Ausfüllen einer großen Anzahl von Formularen durch den Bewerber selbst, mit Bestätigungen der
Hochschule und einem mehrseitigen Block, der vom zukünftigen Arbeitgeber auszufüllen ist, übernimmt Council den Schriftverkehr mit dem amerikanischen Konsulat –
allerdings zu einem stolzen Preis. Wer genügend Zeit hat und eventuell nervenaufreibende Telefonate und Schriftwechsel nicht scheut, kann in diesem Zusammenhang viel Geld sparen. Auch zu den von Council im Paket verkauften Kranken-, Unfall-, Reisegepäck- und Haftpflichtversicherungen gibt es sicherlich erheblich preisgünstigere Alternativen, allerdings muss man positiv anmerken, dass die versprochenen Unterlagen pünktlich und vollständig vor Abreise per Einschreiben zugestellt
wurden.
Organisation des Lebensumfelds
Nachdem auch diese Formalitäten geregelt waren, musste ich mich um das Lebensumfeld in Tuscaloosa bemühen. Glücklicherweise wurde von der für die Betreuung
der Praktikanten zuständigen Mitarbeiterin in der Personalabteilung, selbst Praktikantin von einer deutschen Fachhochschule, eine Liste der Praktikanten im Sommersemester versandt, außerdem eine Auflistung der Unterkünfte, die zum damaligen Zeitpunkt von Praktikanten belegt waren und eine Liste von Fahrzeugen, die diese zu
verkaufen hatten. So war es für mich relativ einfach, per email und Telefon Kontakt
zu den zukünftigen Kollegen aufzunehmen, eine Mitbewohnerin für das halbjährige
Praktikum zu finden und mit zweien unserer Vorgänger zu vereinbaren, dass wir deren Wohnung übernehmen würden. So kamen wir zu einem Apartment in "Stone
Creek Apartments", einem modernen, komfortablen Apartmentkomplex mit Tennisplatz und Swimmingpool, etwa fünfzehn Autominuten vom Mercedes-Werk entfernt
am östlichen Stadtrand von Tuscaloosa gelegen.
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Stone Creek Apartments aus der Luft
Auch ein Auto konnte ich auf diesem Wege schon reservieren, von einem Praktikanten der Vorgängergeneration übernahm ich einen 1993er Chrysler New Yorker – ein
Auto, das der Vorstellung von Amerika ziemlich genau entspricht, groß, eckig und
bequem.
Küche in Apartment #610 (links), Blick vom Balkon des Apartments(rechts)
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Kosten des Praktikums – Finanzierung
Währenddessen erhielt ich von der Philipp-Matthäus-Hahn-Stiftung in Albstadt die
Zusage, dass ich im Falle einer erfolgreichen Praktikumsbewerbung mit einem Förderbeitrag von 2.100 Euro rechnen könne, die nach der feierlichen Verleihung des
Stipendiums und dem Einreichen einer Kopie des einem Arbeitsvertrag entsprechenden “offer letter” ausbezahlt wurden. Diese finanzielle Unterstützung stellte im Vorfeld des Praktikums eine große Hilfe dar, denn obwohl der Lebensunterhalt in den
USA durch die relativ großzügige Vergütung des Praktikums durch Mercedes-Benz
U.S. problemlos zu finanzieren ist, müssen doch erhebliche Summen aufgebracht
werden, noch bevor man überhaupt in den USA ankommt. Daher ist es hoch anzusehen, dass der gesamte Betrag auf einmal überwiesen wird, obwohl er sich als monatlicher Beitrag über die Dauer des Auslandsaufenthaltes bemisst. In meinem Fall
summierten sich die Ausgaben im Vorfeld der Anreise mit den Zahlungen für Flug,
Versicherungen, Visum, Auto, erste Miete, Kaution,… auf über 3.500 Euro, und bevor die erste Gehaltszahlung erfolgte, musste ich noch Lebensmittel, Benzin etc. für
vier Wochen vorfinanzieren.
Allerdings darf auch nicht unterschlagen werden, dass ein Teil dieser Summe am
Ende wieder zurückfloss, aus dem Wiederverkauf meines Autos und der Übergabe
der Wohnung mitsamt der übernommenen und dazugekauften Einrichtung konnte ich
Startkapital für das folgende Studiensemester in Albstadt sammeln.
Ankunft in Tuscaloosa
Ende Februar, kurz nach Ende der Prüfungszeit des Wintersemesters 2002/2003,
hieß es dann, für ein halbes Jahr Abschied zu nehmen von Freunden und Familie.
Nach einer insgesamt etwa dreizehnstündigen Flugreise kam ich sonntag abends in
Birmingham, Alabama an, wo ich und zwei weitere mitreisende Praktikanten von drei
bereits zuvor angereisten Kollegen abgeholt wurden. Mit dem Auto legten wir dann
die letzte Etappe – Dauer etwa eine Stunde – nach Tuscaloosa zurück, wo wir übergangsweise Quartier bezogen, bis unsere Wohnungen eine Woche später frei wurden und wir uns richtig einrichten konnten.
Bei der Einreise am Flughafen von Charlotte, NC (links); Ende Februar am Lake Tuscaloosa (rechts)
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Die folgenden Tage – ich war eine Woche vor Praktikumsbeginn angereist – konnte
ich dazu nutzen, eine Reihe von Formalitäten vor Ort zu erledigen. So musste ich,
als Bedingung zur Aufnahme des Praktikums im Arbeitsvertrag festgelegt, einen Test
auf illegale Drogen ablegen, beantragte meine Sozialversicherungsnummer, ohne
die in den USA niemand arbeiten darf, und schloss eine Versicherungspolice für
mein “neues” Auto ab. Darüber hinaus blieb genügend Zeit, um gemeinsam mit anderen neu angekommenen Praktikanten erste Erkundungsfahrten in Tuscaloosa und
Umgebung zu unternehmen und Eindrücke von Stadt und Umland zu sammeln.
Das Football-Stadion in Tuscaloosa (College-Football, 88.000 Sitzplätze)
Entgegen meiner Erwartung war es zu dieser Zeit noch relativ kalt in Alabama, Temperaturen um zehn Grad Celsius entsprachen nicht dem, was ich mir nach Berichten
der Vorgänger, mit denen ich zu organisatorischen Fragen Kontakt aufgenommen
hatten, vorstellte. So war ich zunächst durchaus froh über wärmere Kleidung, die ich
“nur zur Sicherheit” mitgenommen hatte. Zu kämpfen hatte ich, wie auch die anderen
Neuankömmlinge, mit dem Jetlag. Morgens wachte ich spätestens um sechs Uhr auf,
nachdem ich nachts meistens bereits mehrfach aufgewacht war und nur schwer wieder einschlafen konnte. Obwohl ich vorgewarnt war, wie schwierig es sein würde, die
innere Uhr auf die Zeitverschiebung von sieben Stunden umzustellen, war ich doch
überrascht, wie lange die Gewöhnung tatsächlich dauerte.
Gegen Ende der ersten Woche ließ dies aber allmählich nach und ich fing an, mich
heimisch zu fühlen. Bei zwei ersten kurzen Besuchen an meinem zukünftigen Arbeitsplatz durfte ich die Kollegen kennen lernen und konnte mir einen ersten Eindruck vom Arbeitsumfeld machen.
Lake Lurleen State Park: einer der zahlreichen Seen in Alabama
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New Hire Orientation – Heranführung an das Unternehmen
Gleich in der ersten Woche meiner Praktikumszeit musste ich die New Hire Orientation besuchen, ein Seminar, in dem die neuen Mitarbeiter, egal ob Bandarbeiter, Abteilungsleiter oder eben Praktikant, über die verschiedenen Richtlinien und Philosophien bei Mercedes-Benz U.S. International informiert werden. Neben mehr oder
minder interessanten Vorträgen wurde dabei auch in Gruppenarbeit über den Hintergrund der Teilnehmer gesprochen, was eine erste Gelegenheit bot, Einblicke in Ansichten und Bildungsstand vieler Amerikaner zu gewinnen.
Mercedes-Benz U.S. International, Inc., ist eine 100%ige Tochter der DaimlerChrysler AG, allerdings rechtlich eigenständig. Der Werkleiter trägt den Titel "President and
CEO" der Gesellschaft. Im Werk in Tuscaloosa werden seit 1997 jährlich ca. 80.000
Fahrzeuge der Mercedes-Benz M-Klasse montiert. In Verwaltung und Produktion arbeiten insgesamt gut 2.000 Menschen, diese Zahl wird mit Beginn der Produktion in
der neuen Werkserweiterung verdoppelt (die Gebäude stehen bereits, Anlagen werden aufgebaut).
Das M-Klasse-Werk in Vance bei Tuscaloosa (StandAugust 2003 nach Bau der Erweiterung)
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Beginn des Praktikums
An meinem Arbeitsplatz in der Abteilung “Product Controlling” bei Mercedes-Benz
U.S. International, Inc., – im Nachfolgenden der Einfachheit halber mit der intern
verwendeten Abkürzung MBUSI bezeichnet – traf ich auf ein Team, das etwa zur
Hälfte aus deutschen und amerikanischen Mitarbeitern bestand. Die ständige Anwesenheit deutscher Kollegen war anfangs sehr hilfreich, um bei eventuellen Verständigungsschwierigkeiten Hilfe zu bekommen, allerdings hatte ich in den ersten Tagen
auch Bedenken, ob sich überhaupt die Möglichkeit bieten würde, meine englischen
Sprachkenntnisse weiter zu verbessern. Diese Bedenken erwiesen sich aber sehr
bald als unbegründet, und der ständige Wechsel zwischen zwei Sprachen brachte
einen zusätzlichen Lerneffekt mit sich.
Neben der Betreuung von Schnittstellenentwicklungsprojekten (insbesondere Dokumentation nach Meetings und ständige Überarbeitung von Prozessablaufdarstellungen) war ich mit dem Prozess zur Bearbeitung und Vermeidung von Materialmehrkostenforderungen im Vorfeld der Nullserienfertigung beschäftigt.
Darüber hinaus gehörten die Übersetzung zahlreicher verschiedenartiger Dokumente
sowie die Erstellung von Präsentationsunterlagen für Team-, Abteilungs- und Centerleiter zu meinen Aufgaben.
Erfahrungen im Arbeitsalltag
Im Arbeitsalltag fiel mir zunächst auf, dass wesentlich größerer Wert auf formelle Besprechungen gelegt wird, als ich dies in meinem ersten Praktikum bei einem mittelständischen Unternehmen im Sondermaschinenbau erlebt hatte. Angelegenheiten,
die aus meiner Erfahrung in Deutschland im Gespräch am Schreibtisch erledigt werden, erfordern im amerikanischen Arbeitsalltag eine Meetingeinladung per email, deren Annahme oder Bestätigung oder gegebenenfalls Verlegung, ebenfalls per email,
und die Reservierung eines Konferenzraums. Obwohl diese Räume bei MBUSI in
großer Anzahl zur Verfügung stehen, erwies es sich zeitweise als äußerst schwierig,
einen Raum zur gewünschten Zeit zu reservieren.
Ein Hintergrund der Neigung, viele Gespräche in abgetrennten Räumen durchzuführen, mag daran liegen, dass der gesamte administrative Bereich in einem einzigen
Großraumbüro sitzt. Es gibt keine Trennwände, und selbst die Grenzen zwischen
verschiedenen Teams und Abteilungen sind unsichtbar. Auch dies war am Anfang
gewöhnungsbedürftig für mich, erwies sich aber im Laufe der Wochen und Monate
eher als Vorteil denn als Nachteil.
Persönliche Eindrücke – Umgang mit amerikanischen Kollegen
Sehr angenehm emfand ich die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, mit der die amerikanischen Kollegen mir nach einer gewissen Eingewöhnungszeit gegenüber traten,
nachdem bei einigen von ihnen anfangs eine gewisse reservierte Haltung – vermutlich skeptisch, was von einem deutschen FH-Studenten zu erwarten ist – überwogen
hatte.
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Auffällig ist, dass viele Amerikaner Details aus ihrem Privatleben erzählen – über die
Erlebnisse ihrer Kinder und deren Befinden zum Beispiel, auf der anderen Seite aber
ein sehr oberflächliches Interesse an persönlichem Umgang an den Tag legen. Auch
die Angewohnheit, am Ende des Arbeitstages aufzustehen und wort- und kommentarlos den Raum zu verlassen, erforderte etwas Eingewöhnung. Es ist keineswegs
als unhöflich oder missachtend anzusehen, sondern vielmehr einfach – nun, normal.
Nach sechs Monaten fiel es mir auch zunehmend leichter, die Freundlichkeit im Umgang zu unterscheiden in einfach höfliche, geschäftsmäßige Freundlichkeit und eine
etwas weiter gehende, ernst gemeinte Freundlichkeit.
Kontakte außerhalb der Arbeitszeit
Durch die große Zahl der Praktikanten bei MBUSI (die während meines Aufenthaltes
noch weiter anstieg) hatte ich immer die Gewissheit, eine Gruppe von Menschen in
der Nähe zu haben, die dieselbe Sprache sprechen, ähnliche Eindrücke sammeln
und überhaupt in der gleichen Situation waren, für ein halbes Jahr einige tausend Kilometer von der Heimat entfernt zu leben und zu arbeiten, ohne vorher gewusst zu
haben, auf was sie sich einlassen. Diese große Gruppe bot eine gewisse Sicherheit,
selbst bei unangenehmsten Bedingungen bei der Arbeit und dem völligen Ausbleiben
persönlicher Kontakte zu Einheimischen nicht alleine da zu stehen. Glücklicherweise
war diese im Vorfeld geäußerte Sorge aber völlig unnötig.
Angeregt von einem amerikanischen Coop-Studenten (ein Modell, das irgendwo zwischen einer Werkstudententätigkeit und einem Studium an einer Berufsakademie
anzusiedeln ist, ähnlich dem an der FH Albstadt-Sigmaringen angebotenen Kooperationsmodell) wurde in der zweiten Hälfte meines Praktikums ein wöchentliches Treffen zwischen den deutschen und den amerikanischen Praktikanten bei MBUSI eingerichtet. Dieser “Stammtisch” sollte dazu dienen, den Kontakt zwischen den beiden
Gruppen zu vertiefen, und dieser Plan ging auf.
Während das erste Treffen vor allem sehr interessante Erkenntnisse brachte über die
Art, wie junge Amerikaner einen solchen Abend gestalten – geplant waren mehrfache Wechsel der Örtlichkeiten, immer darauf Rücksicht nehmend, dass einige der
Coop-Studenten noch unter 21 Jahren alt waren und daher zu manchen Lokalen
noch keinen Zutritt hatten – , so konnten wir in den folgenden Wochen die Kontakte
vertiefen und ausführlichere Gespräche führen.
Auch für die Verbesserung der Sprachkenntnisse waren diese Treffen sehr förderlich.
Wie im Kollegenkreis, so fiel mir auch in der Freizeit auf, dass viele Amerikaner eine
sehr oberflächliche Freundlichkeit an den Tag legen. In einem Moment unterhält man
sich gut, im nächsten Moment dreht sich der Gesprächspartner um und beginnt eine
Unterhaltung mit jemand anderem. Anfangs war dieses Verhalten sehr unerwartet,
und wer damit nicht vertraut ist, kann es leicht als Desinteresse oder Unhöflichkeit
ansehen, was nicht die Absicht ist. Diese Feststellung erforderte allerdings einige
Zeit der Beobachtung.
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Ebenso gewöhnungsbedürftig ist die Angewohnheit, im Vorübergehen Einladungen
auszusprechen oder anzunehmen, was häufig weniger ernst gemeint ist, als es in
Deutschland wäre. So kommt es nicht selten vor, dass man auf jemanden wartet, im
Glauben, verabredet zu sein, wohingegen die “Zusage” lediglich die Aussage beinhaltete, dass die Einladung oder Anfrage zur Kenntnis genommen wurde.
Trotz oder gerade wegen dieser kulturellen Unterschiede waren diese Abende sehr
lehrreich und unterhaltsam und stellten für mich die beste Möglichkeit dar, in Kontakt
zu etwa gleichaltrigen Amerikanern zu kommen. Der “Fremdenbonus”, den man als
Ausländer sonst häufig spürt, fällt in Tuscaloosa etwas geringer aus, bedingt dadurch, dass neben den ständig wechselnden Praktikanten auch eine große Zahl fest
angestellter Deutscher bei MBUSI arbeiten und Deutsche daher kaum noch als “Exoten” gelten. Anders als in verschiedenen im Laufe des Praktikums bereisten Teilen
der USA war die erste Vermutung in Sachen Nationalität daher in der Regel nicht
“schwedisch”, sondern grundsätzlich “deutsch”.
Freizeitaktivitäten / Reisen
Neben den bereits erwähnten Kontakten und Aktivitäten innerhalb Tuscaloosas hatte
ich erfreulicherweise die Möglichkeit, zahlreiche Ausflüge und Reisen im näheren
und weiteren Umfeld zu unternehmen.
Auf den ersten Blick ist die geographische Lage von Tuscaloosa im Westen Alabamas nicht sonderlich attraktiv. Obgleich die Landschaft aufgrund der häufigen und
starken Niederschläge von einer sattgrünen Vegetation überzogen ist, bietet die Region für freizeitliche Nutzung lediglich die zahlreichen Seen, auf denen Wassersport
möglich ist. Durch die dichten Wälder führen keine Waldwege, wie man sie aus
Deutschland kennt, und ein Durchstreifen auf eigene Faust ist nicht zu empfehlen, da
giftige Schlangen und andere Tiere eine ständige Gefahr darstellen.
Wenn man jedoch die Stadt- und County-Grenzen hinter sich lässt, kann man innerhalb weniger Stunden sehr attraktive Reiseziele erreichen. So sind Städte wie Atlanta, Nashville, Memphis oder New Orleans in einer Entfernung, die einen Wochenendausflug dorthin möglich macht. Auch zu den weißen Sandstränden der Golfküste
von Florida oder auch Alabama selbst fährt man nur etwa fünf Stunden, eine für amerikanische Verhältnisse nicht übertriebene Reisezeit für ein Wochenende.
So verbrachte ich insgesamt vier Wochenende am Strand von Pensacola, FL und
unternahm gemeinsam mit anderen Praktikanten und befreundeten deutschen und
amerikanischen Arbeitskollegen einige andere Autoreisen in die besagten Städte.
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Ostern 2003 vor der Skyline von Chicago, IL
Daneben nutzten wir die zwei verlängerten Wochenenden im Praktikumszeitraum zu
zwei Flugreisen nach Chicago (über Ostern 2003) und nach New York City (Memorial
Day, Ende Mai). Während in diesen beiden sehr verschiedenen Großstädten das
Wetter jeweils recht unwirtlich war, hatten wir während der einzigen freien Woche im
Praktikum (Urlaubstage für Praktikanten sind bei MBUSI nicht vorgesehen, lediglich
während des Umbaus zum Modelljahreswechsel rund um den amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli gibt es eine Woche unbezahlten Urlaub) großartiges
Wetter. Gemeinsam mit drei Kollegen flog ich nach Kalifornien, wo wir mit einem
Mietwagen den Pacific Coast Highway von Los Angeles nach San Francisco befuhren, nachdem wir einen kurzen Abstecher nach Las Vegas gemacht hatten.
Natürlich trugen auch die Eindrücke dieser Reisen erheblich dazu bei, dass die Zeit
des sechsmonatigen Praktikums noch schneller verging und mir mit Sicherheit für
immer im Gedächtnis bleiben wird.
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Leben in den USA
Leben ist nicht billig in den USA. Sogar in einer relativ dünn besiedelten Gegend wie
Tuscaloosa County im Bundesstaat Alabama im Süden der USA sind die Preise für
Mieten hoch. Für ein – zugegeben recht komfortables – Apartment im ersten Stock
(also 2nd floor in Amerika) mit zwei Schlafzimmern, zwei Badezimmern und einem
großen Wohnraum mit angegliederter Küche und Balkon bezahlten meine Mitbewohnerin – eine Studentin der FH Reutlingen – und ich monatlich 745 Dollar Kaltmiete.
Dazu kamen witterungsabhängig noch zwischen 90 und 150 Dollar für Strom, Wasser und Telefon. Die Stromkosten sind besonders vom Klima abhängig, da viele
Wohnhäuser in den USA kaum isoliert sind. Im Winter entweicht die – teuer mit einer
Elektroheizung erwärmte – Luft durch schlecht abgedichtete Fenster (mit Einfachverglasung) und Türen, im Sommer heizen sich die Räume durch Sonnenbestrahlung
so stark auf, dass die Klimaanlage rund um die Uhr in Betrieb ist, um angenehme
Raumtemperaturen zu schaffen.
Fazit
Das Fazit meines Auslandspraktikums fällt – wie bereits eingangs erwähnt – zu
100% positiv aus. Auch wenn ein Praxissemester im Inland vielleicht größere Zuwächse im Fachwissen zur Folge gehabt hätte, wurde dieser "Nachteil" durch die
vielseitigen Erfahrungen im Leben in einer anderen Kultur weit mehr als ausgeglichen. Ich habe meine Entscheidung, diese sechs Monate in Tuscaloosa zu verbringen, nie bereut, und würde den Weg wieder antreten.
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