144_GraberDünow_Mick Jagger wird 60
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MICK JAGGER WIRD 60 Mick Jagger zum 60. Geburtstag – eine Würdigung a Foto: dp Michael Graber-Dünow alt – r 60 Jahre e g g Ja k ic en li wird M hmerInn Arbeitne Am 26. Ju le ie v h r ic das in de in dem s den und ein Alter, n fi e b d ndariRuhestan er als kale m im h c bereits im eilen no gilt. logie zuw des Alters e s a h p Geronto s Leben tritt in die n Rolling n mit de scher Ein e g e g in h s er am ger tourt t das, wa h c a m Mick Jag d Welt un urch die k-Show. Stones d eine Roc rt e ri b le e ann: Er z besten k kio tart in To Tournee-S im e b 3 200 im März n Herren Die ältere R ockmusik war immer Jugendkultur, sie war Provokation und Revolte. Dabei waren die Mechanismen in den frühen Jahren einfach: „Schockiere die Elterngeneration und die Jugend wird dich lieben (und deshalb natürlich deine Platten kaufen).“ Es gab Zeiten, da war Elvis’ Hüftschwung so revolutionär, eine solche Bedrohung der Moral und der guten Sitten, dass die Fernsehanstalten nur seinen Oberkörper zeigten. Doch Elvis diente wenig später brav in der Army und als man sich auch an die Pilzköpfe der Beatles langsam zu gewöhnen begann, setzen die Rolling Stones noch eins drauf: ihre Haare waren noch länger, ihre Musik noch härter und ihre Gesten noch obszöner. Im Hintergrund zog Andrew Loog 42 Oldman, ihr erster Manager die Fäden und inszenierte die Stones als „bad guys“. „Würden Sie Ihre Tochter einen Rolling Stone heiraten lassen?“ fragte er einmal rhetorisch in einer Zeitungsanzeige, denn die Antwort war natürlich klar: Für die bürgerliche englische Presse waren die Stones die „gemeinsten Halbstarken“ und „asozialsten Elemente“ ihrer Zeit. Hymnen der Jugendkultur Doch die Bands schlugen zurück. Viele der damaligen Songs sind vollgestopft mit hämischen Angriffen auf die „alten Säcke“, die das gesellschaftliche Leben bestimmten. „What a drag it is getting old“ schrieb Mick Jagger in „Mother’s little helper“. Und „The Who“ besangen DR. MED. MABUSE 144 · JULI/AUGUST 2003 im „Young man blues“ in Umkehrung des gängigen Klischees die „gute alte Zeit“, als junge Leute noch geachtet und mit Respekt behandelt wurden. Zu den Hymnen der Jugendkultur der 60er Jahre zählten freilich zwei andere Lieder, die aber ebenfalls von den Who und den Stones stammten. In „My generation“ dichtete Pete Townshend die programmatischen Zeilen: „People try to put us down, just because we get around, things they do look awful cold, hope I die before I get old.“ Dies drückte wie kaum ein anderes Lied die Stimmung der Kids aus: Lieber sterben als so kaltherzig wie das Establishment werden. Wobei das Alter da- MICK JAGGER WIRD 60 Rebellion gegen die „alten Männer“ Zweifellos rieben sich die Stones an der Gesellschaft, und dies war einer der Gründe für ihren riesigen Erfolg. Für viele meiner Generation waren sie damit natürlich Identifikationsfiguren. „Sie strahlten wie die Sonnengötter“ schrieb Nik Cohn in seiner so herrlich subjektiven Rock-Geschichte „Pop from the beginning“. Die Bedeutung der Stones, so Cohn, lag vor allem darin, „dass man nicht mehr weich werden musste, wenn man es schaffen wollte. Man brauchte nicht mehr hübsch zu sein, man brauchte nicht mehr einfältig zu lächeln oder töricht zu schwätzen oder sich anzubiedern, die alten Männer mochten einen hassen, wie sie wollten, und dennoch konnte man eine Million Dollar verdienen“. Die Geschichten um die Auseinandersetzungen der Stones mit den „alten Männern“ der Musikindustrie sind ebenso lang wie legendär: Da durfte Jagger beispielsweise in einer Fernsehshow nicht die angeblich so unmoralische Zeile „Let’s spend the night together“ singen, sondern musste sie in „Let’s spend some time together“ umwandeln. Als die Stones als Cover für ihr Album „Beggars Banquet“ das Bild einer mit „Scheißhaus-Lyrik“ beschmierten Toilette herausbringen wollten, untersagte ihnen dies ihre Plattenfirma, bis man sich schließlich nach einem halben Jahr Streit auf ein einfaches weißes Cover einigte, um, wie Gerüchte sagen, die Platte noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt bringen zu können. Und auch den Songtitel „Starfucker“ von ihrem Album „Goats head soup“ musste die Gruppe ändern: Das Lied wurde in „Star star“ umgetauft und in Textheftchen wurde der Refrain mit „You’re a starbunker“, einem bedeutungslosen Kunstwort, wiedergegeben. Diese kleinen nostalgischen Geschich- Stück tanzend und singend über die ten zeigen aber zugleich, dass die Stones Bühne toben. „Sex and drugs and rock’n bei aller revolutionären Attitüde immer roll“ bleibt somit letztlich nur ein Mybereit waren Kompromisse einzugehen, thos. Diejenigen, die ihn exzessiv gelebt um den geschäftlichen Erfolg nicht zu haben, wie beispielsweise der frühere gefährden. Sie waren in gewisser Weise Rolling Stone Brian Jones, sind bekanntauch Opportunisten, teilweise sogar auf lich bei ihrem Flug der Sonne zu nahe musikalischem Gebiet: So versuchten sie gekommen und abgestürzt. Andere, so das erfolgreiche „Sergeant Pepper“- etwa den Who-Gitarristen Pete TownsAlbum der Beatles mit ihrem psychede- hend, plagt mit einem Hörschaden hinlischen „Their satanic majesties request“ gegen ein eher profanes Rock’n Rollnachzuahmen. Kaum hatte Bob Marley Zipperlein. dann in den 70er Jahren den Reggae inOb es nicht etwas Unehrenhaftes haternational berühmt gemacht, nahmen be, in seinem Alter noch wie ein 16die Stones „Cherry Jähriger über die BühOh Baby“ auf und als ne zu tollen, wurde schließlich die DiscoMick Jagger einmal in Welle hoch schwappeinem Interview geIn den 60ern te, sang Jagger auf fragt. „Natürlich ist es begann das Alter „Emotional rescue“ das!“ antwortete er. bereits ab 30. im Falsett und war „Ich glaube nicht, dass sich nicht zu schade, es überhaupt sehr eine Platte mit Miehrenhaft ist, in einer chael Jackson einzuspielen. Rockband zu sein. Das ist wirklich ein Ein weiterer wesentlicher Image-Fak- Widerspruch in sich, eine ehrenhafte tor der Stones ist die zur Schau getragene Rockband.“ Aber warum sollte man sexuelle Potenz ihres Frontmans. Nicht auch ein bestimmtes kalendarisches nur, dass Jaggers Lieder voller sexueller Alter und Ehrenhaftigkeit gleichsetzen? Anspielungen stecken, auch seine Show Und was ist das überhaupt: Ehrenhaftigist mit sexuell anzüglicher Gestik durch- keit? setzt, bei der er, wie bei der 76er „Black Im Gegensatz zu manch anderen Heland Blue“-Tour, auch schon mal auf ei- den der 60er Jahre, die mit Bierbauch nem aufblasbaren, Konfetti ejakulieren- und angegriffenen Stimmen auf Oldieden Riesenpenis reitet. Dies hat jedoch Festivals ihre alten Hits herunterspielen schon lange nichts mehr mit Provokati- sind die Stones frisch und kreativ geblieon und schon gar nichts mit sexueller ben. Mick Jagger zeigt, dass man auch als Befreiung zu tun, sondern ist Teil der 60-jähriger Großvater noch Rockmusik Show geworden. machen kann, ohne sich dabei lächerlich zu machen. Rockmusik ist längst schon Tee statt Drogen nicht mehr nur Jugendkultur, sondern Nun wird Mick Jagger 60 und „die sie hat im Feuilleton Einzug gehalten; sie größte Rock’n Roll Band der Welt“ tourt ist ein gesellschaftliches Ereignis, zu dem wieder durch die Lande. Natürlich wird Familien generationenübergreifend pilJagger noch immer den „Starfucker“ ge- gern, so dass damit natürlich auch das ben und wie ein Derwisch tanzen – Vermarktungspotenzial geradezu ins Unwenn auch mit kleinen Pausen, denn wie ermessliche gestiegen ist. Rockmusik ist schon auf den letzten Tourneen wird er also endgültig erwachsen geworden und sich auch dieses Mal wieder pro forma daran haben die Stones einen wesenteine Gitarre umhängen, nicht etwa um lichen Anteil. Ob dies ein Verdienst ist, sie ernsthaft zu spielen, sondern um bei mag jeder für sich selbst beurteilen. der anstrengenden Show einmal durch- Mick Jagger wird es sicherlich egal sein, schnaufen zu können. Natürlich kann denn wie heißt es so schön: „It’s only auch ein gesundheitsbewusster Mensch Rock’n Roll, but I like it ...“ wie Mick Jagger, der – ganz entgegen des gängigen Rockklischees – von Drogen und Alkohol mittlerweile wenig hält, sich statt dessen mit regelmäßigem JogMichael Graber-Dünow gen fit hält und als sein Lieblingsgetränk geb. 1957, Altenpfleger, „Tee mit Honig“ angibt, mit 60 Jahren Sozialarbeiter, Heimleiter und nicht mehr zweieinhalb Stunden am Stones-Fan in Frankfurt am Main » A U TO R mals allerdings bereits jenseits der 30 begann. Die zweite Hymne der 60er Jahre stammt von den Stones: „I can’t get no satisfaction“ mit Keith Richards’ genialem Gitarrenriff und einem unvergleichlich hämmernden Beat. Dabei handelte das Lied nicht nur von der Suche nach sexueller Befriedigung, sondern es war auch die erste Platte, die sich konsumkritisch mit all dem Werbemüll auseinander setzte, der uns aus Radio und Fernseher tagtäglich berieselt. DR. MED. MABUSE 144 · JULI/AUGUST 2003 43