Triduum 14./15./16. Feb. 2010 – St. Michael München

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Triduum 14./15./16. Feb. 2010 – St. Michael München
Triduum 14./15./16. Feb. 2010 – St. Michael München
Dunkelkammern des Herzens
Dominik Terstriep SJ
14. Feb.
Groll – „Verharrt er im Groll, wer wird da seine Sünden vergeben?“ (Sir
28,5) – Ev: Lk 15,25-32 (Der ältere Bruder)
Wir wissen nicht, wie lange der kleine Bruder unterwegs war. Jedenfalls lange genug,
um im Älteren einen Groll wachsen zu lassen, der sich nun Luft verschafft. „So viele
Jahre schon diene ich dir, nie habe ich etwas falsch gemacht, du hast mir nichts
geschenkt!“ Der Groll mag schon weiter zurückliegen – das Gefühl der älteren
Geschwister: immer Verantwortung tragen zu müssen und eingespannt sein, während
die Jüngeren frei sind, Rücksicht nehmen auf die Jüngeren, sehen, wie sich der Blick
vom Erstgeborenen zu dem Letztgeborenen neigt, alles durchkämpfen müssen, was den
Jüngeren einfach in den Schoß fällt, vielleicht sogar die Sorgen eines Elternteils anhören
und so das Gewicht einer schwierigen Familiensituation mit sich herumtragen müssen.
Das kann bitter machen. Etwas Berechtigtes mag an seiner Empfindung dran sein. Doch
hat sie auch etwas Schiefes. Was der Ältere nicht mehr sieht? Das Wir und die Freude
des Augenblicks. Sein Auge ist trüb geworden für das Gemeinsame und das Große, das
geschehen ist. Er ist eingemauert in sein Ich, auf Tage saurer Pflichterfüllung, die – aus
seiner Sicht – ohne Anerkennung blieben.
Groll als Ergebnis mangelnder Anerkennung und verweigerten Respekts? Ein Unmut,
der sich langsam aufstaut, der aber nicht offen gezeigt wird. Der Groll wächst und
gedeiht im Dunklen. Er wird verdeckt kultiviert und nagt deshalb womöglich viel mehr.
Das macht ihn so gefährlich und unberechenbar. Ein gelegentlicher Wutausbruch wäre
da vielleicht bisweilen das bessere Mittel der Wahl. Dann wäre die Sache einmal auf
dem Tisch, aber so nagt die tatsächliche oder eingebildete Kränkung ungehemmt
weiter. Und der Grollende schließt sich nach außen hin ab. Das Visier ist zugeklappt, der
Panzer dicht. Aber zum Duell steht er nicht bereit, eher in einer musealen
Waffenkammer. Er liebt das Versteckte, die Schlupfwinkel.
Am Grund des Grolls, der verwandt ist mit dem Ressentiment, steht wahrscheinlich ein
Gefühl der Ohnmacht, eine starke Empfindung ohnmächtigen Schmerzes. Und dieser
verbindet sich dann nicht selten mit Rachegedanken. Wer grollt, lebt eingesperrt in seine
Welt. Er rächt sich an den „Bösen“ meist nur in Gedanken oder Selbstgesprächen, malt
sich aus, wie es wäre, wenn endlich einmal der Tag gekommen ist. Im Gedanken
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werden die Verursacher des eigenen Unglücks herabgewürdigt. Doch ihnen offen
entgegenzutreten, vermag er nicht. Wenn Rache, dann höchstens hintenherum. Er hält
sich schadlos mit seiner Rache. Der rechte oder linke Konservative, der einer alten Welt
nachhängt, die es nicht mehr gibt, und sich in der gegenwärtigen nicht zurechtfindet,
macht sein Kreuz bei einer extremistischen Partei. Ein kirchlicher Würdenträger oder ein
„normaler“ Gläubiger, der nur von der „guten alten Zeit“ träumt und in der heutigen
allein Zerfall sieht, verachtet die Welt, zitiert alle –ismen herbei, drischt auf sie ein und
tritt nur noch als Ankläger auf. Die älteste Schwester/der älteste Bruder setzt die eigenen
Kinder als Waffe gegen Eltern oder Geschwister ein und verweigert den Großeltern und
Geschwistern den Kontakt.
Der Grollende fühlt sich ohnmächtig, hat aber dann doch einen unbändigen Willen zur
Macht. Wenn er nur könnte! Vorerst verkleinert er sich, wie er es stets tat, wartet aber
auf seine Stunde. Für den älteren Bruder ist der Vater – noch – zu stark, und den
jüngeren kann er nicht einfach aus dem Weg räumen. Vielleicht später. Der Grollende
versteht sich aufs Warten. Nietzsche bemerkte einmal, dass die Seele des Grollenden
schiele. Er verzerrt die Wirklichkeit. Er braucht den Bösen, um einen schuldigen Täter für
seine derzeitige Situation zu haben. Sich selbst sieht er nur als benachteiligtes Opfer. Die
anderen sind es, die ihn in seine miserable Lage gebracht haben: die Erosion des
kirchlichen Lebens verursachten das Konzil und die Progressiven, so die einen, und die
anderen machen den Reformstau und das Fehlen der Frauenordination verantwortlich.
Immer sind es jedenfalls die anderen und das dispensiert, sich selbst um das
Nächstliegende kümmern zu müssen. Der Grollende braucht den Bösen, der ältere den
jüngeren Bruder. Er braucht den Bösen und denkt sich als Gegenstück nun auch den
Guten aus – sich selbst: „Ich habe doch, ich bin doch, aber der da …!“ Warum der
ältere Bruder die eigentlich tragische Figur ist? Er kann nicht vergessen. Deshalb geht
nichts weiter, öffnet sich keine neue Perspektive. Wer grollt, dem können keine Sünden
vergeben werden, so lapidar sagt es die alttestamentliche Weisheit. Er bleibt eingesperrt
in seine Selbstgerechtigkeit.
Naiv ist der Ältere keineswegs, doch auch nicht ehrlich. Der Vater versucht, ihm die
Augen zu öffnen, ihn zu einer neuen Erkenntnis zu verhelfen, indem er ihm das zeigt,
was eigentlich immer gegeben war, der Ältere aber nie oder schon lange nicht mehr
gesehen hat: „Es war immer so: was mein ist, ist dein!“ Der Ältere hätte und könnte,
doch er will nicht. Der Grollende dispensiert sich von der Verpflichtung der nächsten
Dinge und weigert sich so nicht nur, sein Leben anzunehmen, sondern es auch in die
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Hand zu nehmen. Und da sind wir wieder einmal bei dem Grundproblem angelangt, mit
dem wir uns mehr oder weniger alle herumschlagen: die Annahme unserer selbst. Keine
Angst, es kommt jetzt keine weitere Predigt darüber. Nur eines, was diese Annahme
hindert: der Wunsch, ein Anderer zu sein, als der, der ich bin. Das ist letztlich auch die
Grundfrage des älteren Sohnes. Doch da wird er gegen undurchdringliche Wände
stoßen. Wir können nun einmal nicht aus uns auswandern. Verachtung der Welt und
von Menschen, Untreue und Flucht vor Aufgaben, verlogenes Ressentiment des
Lebensuntüchtigen, der die Welt verachtet – mit diesen Formen des Grolls rennen wir
letztlich gegen uns selber an, gegen Bedingungen und Rahmen, die nun einmal gesetzt
sind. Wozu der Vater im Gleichnis einlädt, wozu also Gott einlädt? Zunächst die Kirche:
»Kein Ressentiment und kein Liebäugeln mit Getto und Katakomben« (Delp I, 201). Und
uns: Die Augen zu öffnen für den größeren Zusammenhang, in den ich gestellt bin, das
alles unterfassende „Was mein ist, ist dein“, das Wir des Festes und die Größe des
Augenblicks. Die Einladung eines Gottes, der um uns wirbt und mit dem wir die sein
können, die wir sind.
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15. Feb.
Eifersucht – „Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“
(Ex 20,5) – Ev: Mt 12,30-32 (Wer nicht für mich ist …)
„Von Gedanken soll man heutzutage weder ergriffen noch besessen sein; man soll sie
vertreten, wie ein anderer Staubsauger oder Küchenmaschinen vertritt und immer mal
Produkt und Firma wechselt: ohne sein Herz, geschweige denn seine Person oder gar
sein Leben daran zu hängen“ – so konnte man vor einigen Jahren in der ZEIT lesen1.
Irgendwie scheint uns Heutigen unwohl, wenn jemand zu heiß brennt. In der Liebe, da
mag man es irgendwie noch verstehen, für Gedanken oder Ideen, gar für seinen
Glauben – da beschleicht manch einen Unwohlsein. Gleich denkt man an Radikale, die
sich in die Luft sprengen oder um sich schießen und Unbeteiligte mit in den Tod reißen.
In der Tat hat eine solche Leidenschaft etwas Unheimliches. Welche Kräfte werden da
entfesselt! Kräfte, die sich schwer kontrollieren und Menschen Dinge tun lassen, die
ihnen in ruhigeren Zeiten völlig fremd wären. Der eifersüchtige Liebhaber, der plötzlich
eMails seiner Geliebten liest, Taschen durchwühlt oder Kontrollanrufe macht.
Wenn nun Gott von sich selbst sagt, er sei ein eifersüchtiger Gott, dann ist das nicht nur
auf den ersten Blick ein harter Brocken. Eine ganze Phalanx von Schopenhauer und
Nietzsche bis hin zu Odo Marquard, Jan Assmann und Herbert Schnädelbach haben sich
auf unterschiedliche Weise daran gestoßen und sind – gewiss einseitig, aber nicht
rundweg falsch – gegen mögliche Schlagseiten zu Felde gezogen. Für sie muss der eine
Gott notwendig eifersüchtig und intolerant sein, denn er duldet keine anderen Götter
neben sich, will Alleinherrscher sein. Im Gegenzug wird der Polytheismus stark gemacht.
Er sei tolerant, da die vielen Götter ihre Kollegen tolerierten. Sein Pantheon hätte für alle
Götter Platz, auch die Fremden, die nach und nach gastfrei aufgenommen würden. Der
Polytheismus stehe für die Fülle der Perspektiven und stehe der Wirklichkeit näher als
der „Monotono-theismus“ (Nietzsche) mit seiner einseitigen Sicht. Dagegen der Gott
Israels und Jesu Christi? „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“ Punkt. Nur Gehorsam,
kein Lebensrecht für andere Götter, kein Experiment mit anderen Sichtweisen. Ein Gott,
der selbstfixiert sei und auf sich selbst fixiere, so der Vorwurf. Der Exodus-Gott, der
letztlich auch das Leben nicht neben sich dulde und die Auswanderung aus der Welt
betreibe. Ein Gott schließlich, der – so Nietzsche – seiner selbst irgendwie unsicher sein
müsse, von Schwäche und Selbstzweifel gequält. Der Polytheismus dagegen sei
friedliebend, unterscheide nicht zwischen wahr und falsch, ermögliche es, sich eigene
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C. Türcke, Besessenheit. Religionswende (7), in: DIE ZEIT Nr. 46 vom 11. Nov. 1994, 69.
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Vorstellungen und Anschauungen zu machen. Dagegen der eifernde Gott der Bibel, der
Glauben und Selbstaufgabe des Menschen fordert, der das Leben auf eine Monokultur
beschränkt und so für alle attraktiv ist, die sich vor ihrer eigenen Schwäche und ihrem
eigenen Zweifel schützen wollen, die nicht stark oder experimentierfreudig genug sind,
sich der Fülle des Wirklichen auszusetzen.
Der hier beschriebene Polytheismus klingt ziemlich modern. Wer würde da nicht gleich
ja sagen: Polykultur gegen Monokultur! Alles hätte sein Recht, dürfte sein, sich entfalten
und äußern. Die vielen Blumen im Feld sind doch allemal netter anzusehen als ein
gespritztes Getreidefeld, in dem nur der Weizen eine Chance hat. Es ist hier nicht der
Ort, eine ausgefeilte Gegendarstellung der angedeuteten Befunde zu liefern, sondern
nur einer Fragerichtung nachzugehen. Kommt der als irenisch gepriesene Polytheismus
dem Leben näher. Oder noch anders: Kann er es umfassend beschreiben? Wo ist seine
Schlagseite?
Unsere gesamte Denkhaltung und Demokratie lebt ja von der Grundüberzeugung, dass
Wahrheit nicht monotheistisch oder monozentrisch, d.h. nicht an einem Ort zu finden
ist. Balance of power, Interessenausgleich, Lösungen durch Diskurs und Anhören
möglichst vieler Stimmen, all das gehört – Gott sei Dank – zu unserer heutigen Kultur
dazu. Und tatsächlich kann ein Wahrheitsanspruch ideologisch als Waffe eingesetzt
werden oder Herrschaftsinteressen unterfüttern. Wäre aber der Verzicht auf jede
Entscheidung und verbindliche Einsicht die bessere Alternative? In parodistischer
Abwandlung von Luthers Wort: „Hier stehe ich und kann immer noch anders!“ Dürfen
wir mit dieser Haltung wichtigen, gar letzten Fragen begegnen? Gibt es nicht auch
Widerstandspflichten, die wir gut begründen können und die auf Wahrheit fußen? Es
gab und gibt Menschen, die fühlten sich einer Wahrheit verpflichtet, die ihnen nicht
gestattete, sich ihrer zu entziehen: Jesus vor Pilatus, Stephanus vor dem Hohen Rat,
Thomas Morus vor Heinrich VIII., die Geschwister Scholl und Alfred Delp vor dem
Volksgerichtshof – um nur einige zu nennen. Sie konnten nicht anders. Ihr Gewissen
band sie. Wahrheit kann in diesem Sinne tatsächlich monotheistisch-eifersüchtig sein.
Wer das Wählenkönnen als höchsten Wert begreift, wird damit natürlich seine liebe Not
haben. Auf die Gottesfrage bezogen, ließe sich da fragen: Stellt der Monotheismus den
Anspruch des Individuums infrage, letzte wählende Instanz zu sein? Hat entweder das
Wahre die Macht, unser Handeln zu normieren, oder haben wir die Macht zu sagen,
was wir für uns gelten lassen wollen? Gibt es ein Drittes zwischen dieser Alternative von
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verpflichtender Wahrheit, Gott, auf der einen und uns Menschen als frei Wählenden auf
der anderen Seite?
Ich glaube, dass gerade der biblische Monotheismus ein Drittes ermöglicht. Den
eifersüchtigen Gott bezeichneten wir – nach Auskunft vieler Exegeten – besser als den
eifernden Gott, einen, der Partei ergreift und sich gerade so schutzlos macht und
preisgibt. Das tut jeder, der für einen Menschen oder eine Sache eifert und sich zu
jemandem bekennt. Die Wahrheit des biblischen Gottes ist die, durch die die Menschen
zu ihrer Bestimmung finden. Unwahr ist alles, was den Menschen hindert, zu seiner
Bestimmung zu finden. Unwahr ist alles, was das Menschsein nicht zur Geltung
kommen lässt oder unterdrückt. Gott bekennt sich zum Menschen. Sein Wille ist, dass
der Mensch immer wieder auf die Füße kommt, aufsteht und ein Mensch ist. Die erste
mosaische Unterscheidung ist nicht die zwischen wahr/falsch, sondern zwischen
frei/unfrei (E. Zenger). Der Gott des Exodus hilft dem versklavten Volk auf die Füße,
ermöglicht es ihm, zu seiner Bestimmung zu gelangen. Und der Dekalog will das
erlangte Gut, die Freiheit, schützen. Gott gibt sich die Blöße, seine Zuneigung zu zeigen
und zu eifern und in ohnmächtiger Schwäche zu werben. Er ist nicht der gleichgültige
Gott, der sich selbst genug und dem die anderen egal sind. In ohnmächtiger Schwäche
(Kreuz) wirbt er um jeden von uns, der eifernde und leidenschaftliche Gott, der nicht
anders kann, als sich zum Menschen zu bekennen. Das ist seine Wahrheit, für die er
einstehen muss.
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16. Feb.
Neid – „Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich“ (Gen 4,5)
– Ev: Mt 20,1-16 (Arbeiter im Weinberg)
Liest man die Urgeschichte von Kain und Abel, kann es einen wie den Brudermörder
heiß überlaufen. Warum schaut der Herr auf Abels Opfer und nicht auf Kains? Dessen
Neid ist doch zu verständlich. Nicht nur seins, sondern wohl auch unser
Gerechtigkeitsempfinden und unser Sinn für Gleichheit werden da empfindlich verletzt.
Und schon sind wir bei der Frage bzw. der Situation, die den Neid auslöst – auch in
unserer Zeit: ungleiche Voraussetzungen, Lebensbedingungen und Unterschiede. Auf
der größeren Ebene des Staates, wenn es um die Verteilungsgerechtigkeit und seine
Neiddebatten geht, über die Frage nach der Berechtigung von Eliten bis hin zum
Verhältnis zwischen Geschwistern. Und auch theologisch stellt sich da die große Frage
nach der Erwählung, an der sich Generationen von Theologen die Zähne ausgebissen
haben. Ich werde sie nicht alle lösen können – leider. Aber eine kleine Spur legen, die
uns vielleicht eine Richtung andeuten kann.
Es ist eine Erfahrungstatsache, dass Neid ein Phänomen von Gesellschaften und
Konstellationen ist, die relativ gleich sind. Die Putzfrau beneidet nicht den Bankdirektor,
sondern vielleicht ihre Kollegin. Die Bibel ist voll von diesen Geschichten: Josef und seine
Brüder, David und Saul, die Arbeiter im Weinberg. Angenommen es gäbe sie, die völlig
gleichgestellte Gesellschaft, der Neid würde kaum verschwinden. Da gibt es immer noch
den „Narzissmus der kleinen Differenz“ (S. Freud). Und den durch diesen Narzissmus
geweckten Neid rächt man in der Regel nicht nach „oben“, sondern zur Seite oder nach
„unten“: am Kollegen, an der Schwester oder am Mitbruder – nicht am Chef, an den
Eltern oder den Oberen.
Es ist ein kleines Wörtchen, das der Neider im Herzen trägt: das „Nicht“, verbunden mit
einem Vergleich. Ich bin nicht so schön, nicht so erfolgreich, nicht so angesehen, nicht
so intelligent wie der Andere. Die Perspektive des Defizits: „Mir fehlt etwas.“, das der
Andere vermeintlich oder tatsächlich hat. Das mag ja zunächst einfach eine zutreffende
Beobachtung sein: Ja, so ist es, ich bin nicht wie der/die. Neid wächst erst da, wo ich das
nicht haben kann, wo ich nicht durch Arbeit, Kauf, Gewalt oder Raub an das Gut
gelangen kann, das ich gern hätte. Erst die Ohnmacht des „Nicht“ gebiert den Neid.
Die Verzweiflung angesichts des Unerreichbaren geht weiter. Das „Nicht“, das
anfänglich nur einen Sachverhalt beobachtete, wird als Neid zu einer Vernichtung. Der
Andere soll es nicht haben, wenn auch ich es nicht haben kann. Die Arbeiter der ersten
Stunde wollen nicht, dass die der letzten Stunde das Gleiche bekommen, Tarifabsprache
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oder Gerechtigkeitspostulate hin oder her. Kain will, dass Abel nicht mehr ist. Nietzsche
bringt es unnachahmlich auf den Punkt, wenn er den Neid als großen Weltvernichter
bezeichnet: „Diesem gelingt etwas nicht; schließlich ruft er empört aus: »So möge doch
die ganze Welt zugrunde gehen!« Dieses abscheuliche Gefühl ist der Gipfel des Neides,
welcher folgert: weil ich etwas nicht haben kann, soll alle Welt nichts haben! soll alle
Welt nichts sein!“
Dieses Nicht bezieht sich auf den anderen, doch der Neider selbst setzt das kleine
Wörtchen vor sein eigenes Leben. Die Nicht-Perspektive sagt auch etwas über ihn: Ich
bin nicht. Nicht nur dass er bei dem Vergleich immer schlechter abschneidet, dass er zu
der schmerzenden Einsicht kommt, nie mit dem Beneideten gleichzuziehen oder ihn gar
zu übertreffen, der Neider vernichtet sich selbst. Ein Misanthrop, der nicht nur den
Beneideten, sondern letztlich sich selbst hasst. Basilius der Große vergleicht den Neid mit
Rost, der das Eisen langsam auffrisst: „So pflegt auch der Neid die ihn mit Wehen
gebärende Seele zu verzehren. Denn der Neid ist der Ärger über das Wohlergehen des
Nächsten. Deshalb wird der Neidische Kummer und Missmut nie los.“ Der Neider gleiche
einem Nackten, der von allen Seiten verwundet werde durch die Vorzüge des Anderen.
Das Glück des Anderen ist sein Unglück. Und zu all dem wird er wahrscheinlich mit
seinem Gefühl allein bleiben und kaum mit Mitleid rechnen dürfen. Zu allen anderen
sog. Todsünden, zu Stolz, Geiz, Zorn, Wollust, Völlerei und Faulheit, mag man sich
bekennen, ggf. positiv zu deutende Facetten sehen oder sie augenzwinkernd
entschuldigen. Nur für den Neid gibt es kein Verständnis. Er ist das verfemteste und
heimlichste Laster.
Die Diagnose des Neides ist eingehend und gründlich, schaut man auf den
philosophischen und theologischen Befund. Bei dessen Heilung werden viele
Schriftsteller plötzlich sehr wortkarg. Manche gar meinen, der Neid sei unheilbar. Ich
werde wohl auch selbst kein zufriedenstellendes Rezept ausstellen können, doch
schweigen mag ich auch nicht.
Die grundlegende christliche Perspektive scheint mir die eines neidlosen Gottes zu sein.
Der Neid der altgriechischen Götter ist ihm fremd. Er zerstört nicht die Jugendblüte noch
rafft er begabte junge Menschen hinweg, und ebenso wenig rächt er allzu großes
Glück. Der Gott Jesu Christi ist ein „Freund des Lebens“ (Weish 11,26). Seine
Perspektive ist nicht das „Nicht“ des Neiders, sondern das Ja, zu allem, was lebt (vgl. 2
Kor 1,19). Dieses Ja ist in Christus verwirklicht und feierlich bestätigt. Der dreifaltige
Gott ist ein Gott, der in sich und außer sich selbst Unterschiede setzt und liebt. Die
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Verschiedenheit darf nun aber nicht missbraucht werden, um schreiende
Ungerechtigkeit in Lebensverhältnissen religiös zu rechtfertigen. Die Verschiedenheit, in
der es bei Gott geht, ist durch die Liebe, den Geist zusammengehalten. Alle sind eins in
Christus (vgl. Gal 3,28) – die Vielen als viele in dem Einen. Nachahmung dieses Gottes,
der Freude an der Differenz hat, das wäre eine erste Perspektive.
Und das ist auch das, was Kain gelernt hat. Gott verwirft ihn nicht, sondern das
Kainsmal ist ein Schutzmal. Und gerade dieser Kain wird zum Stadtgründer, zum
Gründer jener Sozialform, die der Inbegriff von Verschiedenheit ist und in der die
Unterschiedlichen ihr Auskommen miteinander aushandeln müssen. Die Stadt als
Bestätigung der Differenz.
Dann gibt es die kleinen praktischen Hinweise: Einmal den Blick dafür zu öffnen, was
der Vorzug eines anderen, eben auch eine Elite, mir an Gutem bringen kann. Sehen,
dass Erfolg oft hart erarbeitet ist und viel gekostet hat. Um nicht selbst zum Beneideten
zu werden, empfiehlt es sich, seine Vorzüge nicht wie ein Banner beständig vor sich her
zu tragen und unnötige Siege (z.B. über den Chef) zu vermeiden. Eine bewusste
Selbstverkleinerungsstrategie, die darin besteht, auf persönliche Mängel und
Unzulänglichkeiten hinzuweisen, wirkt dagegen etwas hilflos. Ein Missgeschick
herbeizuführen, um Mitleid statt Neid zu erregen, klingt aberwitzig. Raffinierter, aber
ziemlich selbstsüchtig, scheint da schon der Rat F. Bacons, sich mit einer noch
beneidenswerteren Person zu umgeben, damit diese dann der Neid trifft.
Der Schlüssel, um dem Neid zu wehren, liegt vielleicht in einem Wort „Mitfreude“. Sie
ist Konsequenz eines Einstimmens in die Freude des Schöpfers über das, was ist.
Mitfreude ist weitaus seltener als das Mitleid. Sich freuen können über den Erfolg oder
den Vorzug eines Anderen. So einfach und so groß ist das. Und wie Nächsten- und
Selbsthass durch den Neid proportional miteinander wachsen, so auch Nächsten- und
Selbstliebe durch die Mitfreude. Da halten wir es nicht nur besser mit dem Anderen,
sondern auch mit uns aus.
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