Teilzeitarbeit - Vollzeitmann - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Transcription

Teilzeitarbeit - Vollzeitmann - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Portraits von Männern in Teilzeit
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Portraits von Männern in Teilzeit
1
Inhaltsverzeichnis
Vorworte
Ingo Schierenbeck
Dr. Christa Sedlatschek
Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern
Tanja M. Brinkmann, Rena Fehre, Götz Richter, Kerstin Purnhagen, Margareta Steinrücke 6
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Portraits von Männern in Teilzeit
„Wir leben ein sehr symmetrisches Modell, in dem wir eine ‚fast’ gleiche Verteilung
in der Arbeit und dem Haushalt und der Kindererziehung leben.“
Christian Beck
14
„Männer ziehen ihr Selbstbewusstsein immer noch zu ausschließlich aus dem Beruf.“
Ulf Jacob
20
„Es gibt die Pflicht und die Kür – wie Führungs- und Vaterrolle sich vereinbaren lassen“
Peter von Kampen
26
„Männer müssen mutiger sein, und Frauen müssen fordernder sein.“
Matthias Eck
32
„Ich verbinde mit männlich sein oder Mann sein eben nicht 15 Stunden am Tag
zu arbeiten.“
Markus Zimmermann
38
Im Einsatz als aktiver Vater: „Ich habe es nie bereut. Es hat sehr, sehr viel Spaß gemacht und macht auch noch viel Spaß.“
Christian Reil
44
„Führungskräfte müssen nicht die Ersten sein, die kommen und die Letzten,
die gehen. Sie müssen aber für ihre Mitarbeiter da sein, wenn es offene Fragen gibt.“
Tim Landgraf
52
„Männer müssen ihre Wünsche und Ansprüche gegenüber ihrem Vorgesetzten
klar äußern.“
Jürgen Kolbe
60
Arbeit auf mehrere Schultern verteilen und Zeit für eigenständige Kunst gewinnen
Dr. Thomas Steidel
66
„Wir haben immer zugesehen, dass wir trotz der Kinder unser Fortkommen in
der Karriere ungefähr gleich gestalten.“
Christof Ronge 72
Aus Elternzeit in Teilzeit
Peter Heuschötter
78
4
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
3
Vorwort zur erweiterten Neuauflage
Teilzeit und Männer – das scheint nach wie vor nicht ganz zusammenzupassen. Noch immer sind
es in erster Linie Frauen, die wegen ihrer familiären Situation die Arbeitszeit reduzieren, auch
wenn der Anteil der Männer an Teilzeit langsam wächst. Dabei stellen wir fest: Den Bedarf an
Teilzeitarbeit haben auch Männer – sei es, weil sie sich als junge Väter an der Erziehung ihrer
Kinder beteiligen oder sie zunehmend auch die Pflege ihrer Eltern übernehmen. Nur die konkrete
Umsetzung in den Betrieben kommt nicht so schnell voran. Dabei gibt es zahlreiche gute Beispiele, die wir in der 3. Neuauflage von „Teilzeitarbeit – Vollzeitmann“ vorstellen.
Zum ersten Mal erschienen ist diese Broschüre vor vier Jahren in Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Qualität der Arbeit INQA. Die jetzt vorliegende Neuauflage haben wir um drei neue
Praxisbeispiele erweitert, um den Betrieben aufzuzeigen, wie Teilzeitarbeit für Männer aussehen
kann. In den neu hinzugekommenen Porträts, in denen übrigens alle Paare in sogenannter kurzer
Vollzeit um die 30 Wochenstunden arbeiten, wird noch einmal sehr anschaulich, wie wichtig ein
gleichberechtigtes Rollenverständnis beider Partner ist. Und es wird deutlich, dass Teilzeitarbeit
auch in Führungspositionen möglich ist, wenn bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen und
eingehalten werden. Auch die damit einhergehende Vorbildfunktion wird in den Porträts sichtbar.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine anregende Lektüre und insbesondere betrieblichen Interessenvertretungen und Personalverantwortlichen praktische Hilfe bei der Umsetzung
von Teilzeitwünschen von Männern in ihrem Betrieb.
Ingo Schierenbeck
Hauptgeschäftsführer
Arbeitnehmerkammer Bremen
4
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Vorwort
Männer in einem Teilzeitjob gehören noch immer zu einer Minderheit, die besonders mutig und
innovativ oder aber den Umständen gehorchend sich dem traditionell vorherrschenden (Vor-) Bild
entziehen (müssen) und nicht mehr den (alleinigen) Familienversorger abgeben. Die Umsetzung
dieses Veränderungsprozesses in der realen (Berufs-) Welt scheint aber mühsam und zäh, wie
die Erfahrungen aber auch die Zahlen und Fakten zeigen.
Nur die Zeit drängt. Der demographische Wandel ist schon lange bei uns angekommen, die
Mehrzahl der Beschäftigten wird immer älter, die Gruppe der jungen Menschen immer kleiner. Gut ausgebildete Frauen sind am Arbeitsmarkt stark nachgefragt, gleichzeitig kommt es
aber durch die Folgen von Globalisierung und damit einhergehender Flexibilisierung von Ort und
Zeit zur Entgrenzung von Beruf und Privatleben. Die Geburtenzahl in Deutschland ist weiterhin
fallend, was nicht nur an der sinkenden Einwohnerzahl liegt, sondern vor allem an den seit
Jahrzehnten vorherrschenden kinder- und familienfeindlichen Rahmenbedingungen. Eine Verbesserung dieser Situation ist erkennbar, aber der große Durchbruch ist noch ausgeblieben. Vor
diesem Hintergrund müssen wir uns vor Augen halten, dass für eine signifikante Verbesserung sehr
rasch die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen.
Die INQA Studie „Was ist gute Arbeit“, basierend auf der Befragung von mehr als 7400 Beschäftigten, zeigt sehr eindringlich, was Beschäftigte motiviert, gute Arbeit in einem Unternehmen zu
erbringen und welche Voraussetzungen sowohl physisch als auch psychisch förderlich sind: neben Existenzsicherung und ergonomisch gestalteter Arbeit steht die Mitgestaltung und Einflussnahme auf Arbeitsorganisation und Arbeitszeit im Mittelpunkt der Wünsche. 63% klagen über
Nichtberücksichtigung privater Belange, 49% über übermäßige Mehrarbeit und Überstunden,
41% über Samstags-, Sonn- und Feiertagsarbeit.
Wie könnte nun das Leben von selbstbewussten Männern und Frauen aussehen, die beschlossen haben, nicht mehr nach traditioneller Art ihr Leben zu gestalten, sondern einen neuen Weg
gefunden und ein Stück Freiheit wieder gewonnen haben?
Wie derartige Lebensmodelle aussehen könnten, darüber erfahren Sie mehr in acht Geschichten,
erzählt von Männern, die ungeschminkt ihren Weg mit all den Höhen und Tiefen beschreiben und bis
dato (fast) Nichts bereut haben. Es geht dabei nicht nur um Familie und Beruf, sondern auch darum,
eigene Träume zu realisieren, die vielleicht weit außerhalb von Beruf, Karriere und Familie liegen.
Die Geschichten erzählen von Männern und Frauen, die aus tradierten Rollen heraustreten und
neue Verantwortlichkeiten, Einsichten und Handlungsmuster übernehmen. Sie machen Mut, geben Denkanstöße, zeigen ungewöhnliche Lösungsansätze auf und motivieren vor allem, keine
Angst vor Neuem zu haben.
Dr. Christa Sedlatschek
INQA Geschäftsführerin
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
5
Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern
Tanja M. Brinkmann, Rena Fehre, Götz Richter, Kerstin Purnhagen, Margareta Steinrücke
Männlichkeit und Vollzeiterwerbstätigkeit sind in der Vorstellung vieler Menschen eng miteinander
verknüpft. Für die Mehrheit der Männer, aber auch für viele Frauen und die Kultur der meisten
Unternehmen in Deutschland ist Vollzeiterwerbstätigkeit von Männern immer noch eine Selbstverständlichkeit, die kaum in Frage gestellt wird und für eine Karriereentwicklung oftmals geradezu
unerlässlich erscheint. Hier greift sogar mehr und mehr der Trend zu einer überlangen Vollzeit.
Deshalb hat Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern in Deutschland nach wie vor Seltenheitswert.
Dass es sie dennoch gibt und dass sie erfolgreich und zur Zufriedenheit aller Beteiligten praktiziert
werden kann, zeigt die von der Arbeitnehmerkammer Bremen im Jahr 2008 erschienene Broschüre „Teilzeitarbeit – Vollzeitmann“ anhand von acht Beispielen. In dieser aktualisierten Neuauflage
der Broschüre werden die acht Beispiele um drei zusätzliche Erfahrungsberichte von Männern, die
ebenso erfolgreich in Teilzeit arbeiten, erweitert.
Die elf Männer, die in dieser Broschüre zu Wort kommen, haben ihre Erwerbsarbeit aus den unterschiedlichsten Gründen reduziert, sind in Teilzeit tätig und fühlen sich trotzdem als vollwertige
Männer und werden so sowohl im Betrieb als auch zu Hause wahrgenommen und geschätzt.
Da elf Portraits aber kein repräsentatives Bild abgeben, soll zu ihrer besseren Einordnung zunächst
ein kurzer Überblick über Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern in Deutschland gegeben werden.
Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern – Wunsch und Wirklichkeit
Teilzeiterwerbstätigkeit ist ein relativer Begriff. Viele verbinden damit eine sogenannte halbe Stelle,
also eine wöchentliche Arbeitszeit von circa 20 Stunden. Nach dem Gesetz sind Beschäftigte
aber immer dann teilzeiterwerbstätig, wenn ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kürzer ist
als die von vergleichbaren Vollzeiterwerbstätigen. Teilzeiterwerbstätigkeit besteht einzig und allein
darin, dass die Arbeitszeit unterhalb des jeweils gültigen Vollzeitniveaus liegt. Deshalb ist Teilzeiterwerbstätigkeit sehr vielfältig. Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse gibt es sowohl knapp unterhalb
des Vollzeitstandards, auch bekannt als „Vollzeit light“ oder „kurze Vollzeit“ (Spitzley 2005). Aber
auch Arbeitsverhältnisse mit nur wenigen Stunden in der Woche gelten als Teilzeiterwerbstätigkeit
(Troost/Wagner 2002: 2).
Während seit wenigen Jahren in Deutschland eine konstante Zahl von 41 Millionen Erwerbstätigen
vorliegt, waren davon im Jahr 2011 26,6 Prozent Personen in Teilzeit1 beschäftigt. Im Vergleich
zum Jahr 2008 hat sich die Teilzeitquote demnach um 0,9 Prozent erhöht. Deutschland hat damit
1 Die Teilzeitquote ist der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen an allen aktiv Erwerbstätigen.
6
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
im EU-Vergleich die dritthöchste Teilzeitquote1, lediglich in Großbritannien und den Niederlanden ist
Teilzeiterwerbstätigkeit noch ausgeprägter (Europäische Kommission: 2011).
Während im EU-Durchschnitt 40,6 Prozent der Arbeitnehmer in Teilzeit erwerbstätig ist, sind es
in Deutschland 55,2 Prozent. Bei der Teilzeiterwerbstätigkeit zeigen sich jedoch wesentliche Geschlechterunterschiede: Die Teilzeitquote von Frauen liegt derzeit bei 45,5 Prozent, die der Männer bei 9,7 Prozent. Teilzeiterwerbstätigkeit ist demnach noch immer mehrheitlich eine weibliche
Beschäftigungsform (Bundeszentrale für politische Bildung: 2012).
Männer arbeiten vor allem während der Schul- und Studienzeit und ab dem Rentenalter in Teilzeit.
In der Lebensphase der Familiengründung jedoch sind sie überwiegend in Vollzeit beschäftigt. Im
Gegensatz dazu arbeiten Frauen hauptsächlich ab 30 Jahren, und somit zur Zeit der Familiengründung, zu einem sehr hohen Anteil in Teilzeit (Piminger 2012: 16).
Teilzeitquote von Männern nach Alter
Prozent
18,0
16,0
14,0
12,0
10,0
8,0
6,0
4,0
2,0
0,0
15,8
15,5
13,6
12,6
7,6
15-20
6,0
5,4
20-25 25-30 30-35 35-40 40-45
5,6
45-50
6,2
50-55
8,0
55-60
8,9
alle
60-65 Männer
Männer nach Alter
Während die Teilzeitquote von Müttern mit mindestens einem Kind unter 6 Jahren im Jahr 2011
bei 65,2 Prozent lag, lag der Anteil von Vätern bei nur 6,2 Prozent. Dieser Wert steigt bei Männern
erst ab einer Kinderzahl von drei oder mehr Kindern. Sind Väter mit nur einem Kind im Vorschulalter
zu 6,0 Prozent in Teilzeit beschäftigt, sind es bei drei oder mehr Kindern 8,3 Prozent (Körner et
al. 2012: 36).
Absolute Zahlen zeigen, dass die durchschnittlich geleistete Wochenarbeitszeit von Männern mit
Kind(ern) sogar höher ist als die von Männern ohne Kind(er) (Klenner/Pfahl 2008: 9). Lag die wöchentliche Arbeitsstundenzahl bei Männern ohne Kind im Jahr 2012 bei 38,7 Prozent, steigt diese
um 0,5 – 0,7 Stunden je nach Kinderzahl an. Erst ab einer Anzahl von drei oder mehr Kindern,
arbeiten Männer 0,2 Stunden weniger als Kinderlose.
Männer, die Teilzeit arbeiten und Kindern unter 14 Jahren haben, geben folgende Gründe dafür an:
 24,1% finden keine Vollzeiterwerbstätigkeit.
 23,0% führen Gründe wie Aus- und Fortbildung an
 7,6 nennen familiäre oder persönliche Verantwortungsbereiche als Gründe
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
7
 6,8% nennen Gründe wie Krankheit und Unfallfolgen
 2,7% nennen die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen
 35,9% nennen sonstige Gründe für den Verzicht auf Vollzeiterwerbstätigkeit.
(Körner et al. 2012: 33).
Es zeigt sich also, dass familienbedingte Teilzeit bei Männern selten ist. Die meisten Männer
verwirklichen mit einer Teilzeitbeschäftigung nicht den Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit
von Erwerbs- und Privatleben, sondern können beispielsweise (noch) kein Vollzeitarbeitsverhältnis
finden. In 2011 waren 73 Prozent aller Eltern erwerbstätig, davon arbeiteten 93,8 Prozent der
Väter, aber nur 34,1 Prozent der Mütter in Vollzeit.
Obwohl 93,8 Prozent aller Väter in Vollzeit erwerbstätig sind, entspricht die tatsächliche Arbeitszeitlänge jedoch oftmals nicht ihren Wünschen. So geben 60 Prozent der Väter mit Kindern unter
18 Jahren an, dass sie ihre Arbeitszeit gern reduzieren würden. Durchschnittlich äußern Väter zu
53 Prozent den Wunsch lediglich 36 bis 40 Wochenstunden arbeiten, 19 Prozent gaben sogar an,
ihre Arbeitszeit auf 30 bis 35 Stunden pro Woche verkürzen zu wollen (BMFSFJ 2010: 9).
In dem Zusammenhang plädieren Väter zu 82,5 Prozent dafür, dass Arbeitgeber/innen mehr Teilzeitarbeitsplätze einrichten sollen (Zerle/Krok 2008: 12). Dazu kommt, dass 68,2 Prozent der
befragten Väter ihr Unternehmen als nicht oder nur teilweise väterfreundlich empfinden. Des Weiteren bemängeln 85,5 Prozent von ihnen, dass „Vereinbarkeitsmaßnahmen zu sehr oder zum Teil
zu sehr auf Frauen ausgerichtet sind (Väter gGmbH 2012: 68).
Wirkungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes
Im Jahr 2001 trat in Deutschland das Gesetz für Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) in Kraft (Arbeitnehmerkammer Bremen 2004). Ziel dieses Gesetzes ist es, „Teilzeitarbeit zu
fördern, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge festzulegen und die
Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten und befristet beschäftigten Arbeitnehmern zu verhindern“
(TzBfG, § 1). Wer mindestens sechs Monate in einem Betrieb erwerbstätig ist, in dem mehr als
15 Arbeitnehmer/innen beschäftigt sind, hat einen Rechtsanspruch auf Teilzeiterwerbstätigkeit.
Bis zum Jahr 2001 war Teilzeit mit zahlreichen rechtlichen Benachteiligungen sowie vor allem mit
einem eingeschränkten Berufsspektrum und niedriger Entlohnung auf den unteren Ebenen der
betrieblichen Hierarchie verbunden. Ziel des neuen Rechtsanspruchs ist es, auch in Führungspositionen reduzierte Arbeitszeiten zu ermöglicht (Koch 2008). Obwohl nicht explizit in den Wortlaut
des Gesetzes aufgenommen, sollen darüber hinaus die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben
und die Gleichstellung von Frauen und Männern gefördert werden.
Zwar gibt das TzBfG einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung, jedoch keinen garantierten
gesetzlichen Anspruch auf eine Rückkehr von der Teilzeit in eine Vollzeitbeschäftigung2. Aufgrund
dessen ist es möglich, dass insbesondere Männer ihren Wunsch nach zeitweiser Teilzeiterwerbstätigkeit nicht realisieren, weil sie befürchten, nicht wieder in ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis
8
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
2 Es wurde lediglich ein Vorrang bei der Besetzung offener Stellen aufgenommen. Teilzeitbeschäftigte,
die eine Verlängerung ihrer Arbeitszeit wünschen, müssen bei gleicher Eignung vorrangig berücksichtigt
werden, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz besetzt wird.
zurückzukommen. Nichtsdestotrotz ist die Teilzeitquote von Männern seit der Einführung des Gesetzes langsam gestiegen, wie die nachstehende Grafik verdeutlicht. Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz ist es also etwas leichter geworden, Arbeitszeitwünsche zu äußern und diese auch
umzusetzen.
Teilzeitarbeit von Männern in den letzten Jahren gestiegen
Durchschnittliche normalerweise geleistete Wochenarbeitszeit der abhängig Teilzeitbeschäftigten
in Deutschland (2001-2012) in Stunden pro Woche
24
22
Frauen
20
Männer
18
16
14
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
Anmerkung:1) die Vergleichbarkeit der daten vor und nach 2005 ist infolge des veränderten Erhebungskonzeptes (unterjährige Erhebung seit 2005)
nur eingeschränkt gegeben. 2) Ab 2005 werden Berlin (West) und Berlin (Ost) zusammen erfasst und - statt wie bis 2004 nur Berlin (Ost) - den neuen
Bundesländerm zugerechnet. Durch diese veränderung ist eien vergleichbarkeit der Daten vor und nach der Umstellung nur bedingt gegeben.
Quelle: IAQ, Mikrozensus. Bearbeitung: Peter Sopp/Alexandra Wagner. WSI. Hans Böckler Stiftung
Das bisschen Haushalt, das macht doch mein Mann? – Beteiligung
von Männern an Kinderbetreuung und Hausarbeit
„Neue bzw. moderne Männer zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie nicht mehr so
ausschließlich berufsorientiert sind wie traditionelle Männer; der Übernahme häuslicher Pflegearbeiten und einer damit zusammenhängenden Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aufgeschlossen gegenüber stehen; sich als partnerschaftlich wahrnehmen und dass sie aktive Väter sind.“
(Döge/Volz 2004: 13). Diese neuen bzw. modernen Männer haben aber noch Seltenheitswert,
dennoch zeigen neuere Studien einen deutlichen Wandel. „Das häusliche Engagement der Väter
sowie deren Rolle als „Familienmanager“ werden als wichtiger werdend erachtet. Dabei picken
sich die modernen Väter keinesfalls die Rosinen heraus und überlassen etwa den Frauen den Rest“
(Väter gGmbH 2012: 23). So erledigen 86,7% der befragten Väter auch Aufgaben wie den Windelwechsel oder das Zubettbringen der Kinder.
Um einen Eindruck von der Arbeitsteilung von Frauen und Männern in Haushalt und Familie zu
gewinnen, ist der Umfang der von Männern geleisteten unbezahlten Arbeit im Verhältnis zu der
von Frauen aufschlussreich. So arbeiten Frauen in den OECD Ländern im Schnitt 3,5 Stunden
täglich unbezahlt im Haushalt. Deutschland liegt dabei mit einem Wert von 3,6 Stunden knapp über
dem Durchschnitt. Männer arbeiten im Vergleich zu Frauen 100 Minuten weniger in unbezahlter
Arbeit, welche hauptsächlich in den Bereichen Kochen, Putzen, Pflege von Angehörigen, Einkauf
und Kinderbetreuung anfällt (www.oecd.de). Im Vergleich zur Arbeitsteilung Anfang der 1990er
lässt sich eine (leichte) Tendenz hin zur stärker gleichberechtigten Teilung von unbezahlter Arbeit
feststellen. Allerdings sind es nicht die Männer, die ihre unbezahlte Arbeit seit Anfang der neunziger Jahre wesentlich erhöht haben, sondern die Frauen haben ihren Zeitaufwand im Vergleich
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
9
reduziert. Studien belegen, dass junge Paare oft ihren Wunsch nach gleichberechtigter Aufteilung
der Reproduktionsarbeit nur bis zur Geburt des ersten Kindes verwirklichen können. Mit der Geburt
des ersten Kindes fallen Frauen oftmals in ihre traditionelle Rolle im Heim und am Herd zurück und
übernehmen den Großteil an Kinderbetreuung und Haushalt.
Arbeits-, familien-, wirtschafts- und sozialpolitische
Zusammenhänge
Es gibt Gründe, die traditionelle Abstinenz von Männern gegenüber Teilzeit in Frage zu stellen.
Neben politischen und moralischen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit erfordert der demographische Wandel, das heißt die Alterung der Erwerbsbevölkerung bei niedriger Geburtenrate, die
zunehmende Integration der Frauen in das Erwerbsleben und damit eine neue Arbeitsteilung in
der Familie. Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen führt zu zeitlichen Engpässen im Alltag
und zu Koordinationsproblemen bei vielen Paaren. Einige der hier vorgestellten Teilzeitmodelle
stellen individuelle Lösungen für dieses Dilemma dar. Dabei bleiben jedoch die Regelungen der Einkommensbesteuerung (Ehegattensplitting) und der sozialen Sicherung, die sich am (männlichen)
Haupternährermodell orientieren, bestehen und führen weiterhin zu sozialen Benachteiligungen zu
ungunsten von Frauen.
Laut aktuellen Statistiken der Europäischen Kommission befinden sich andere europäische Länder
in einer besseren demografischen Situation als Deutschland. Die Geburtenzahlen sind dort höher
und die Balance zwischen Familie und Beruf ist leichter herzustellen. Eine entscheidende Ursache
für die relativ niedrige Geburtenrate und die anhaltenden Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von
Beruf und Familie liegt in der spezifisch deutschen Lebenslaufplanung. So ist in Deutschland das
Zeitfenster, in dem sich für Kinder entschieden werden kann, besonders eng. Ein Drittel des Lebens verbringen die Deutschen in der sehr langen Ausbildung. Dann erfolgt der Berufseinstieg. Die
sog. „Rushhour des Lebens“, in der Karrierestart und Familiengründung in relativ engem Zeitraum
zusammenfallen, ist in Deutschland ein ausgeprägtes Phänomen.
Eine weitere wesentliche Einschränkung ist die finanzielle Situation, die Eltern bisher nach dem Elterngeldbezug hatten, sowie die nach wie vor defizitäre Betreuungsinfrastruktur insbesondere für
unter Dreijährige. Nach dem Elterngeldbezug erleben viele Familien in Deutschland nicht selten einen ökonomischen Achterbahneffekt oder eine Abwärtsfahrt durch das Erziehungsgeld. Die hinter
dem Bedarf zurückbleibenden, bezahlbaren Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige führen
dazu, dass viele Mütter auch deswegen (länger) ihre Erwerbsarbeit unterbrechen und die Kindererziehung übernehmen bzw. eine Tätigkeit mit einem geringen zeitlichen Umfang aufnehmen.
Politische Steuerungsinstrumente wie das 2007 eingeführte Elterngeld und der begonnene Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren zielen auf Entlastung, und weisen in die richtige
Richtung einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Förderung von Chancengerechtigkeit. Auf dem Ausbau der Krippenbetreuung liegt aktuell das politische Augenmerk vor dem
Hintergrund des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Unter-Dreijährige, der ab August
2013 gelten wird. Obwohl der Bund mittlerweile sehr viele Fördergelder in den bundesweiten
10
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Krippenausbau investiert, steht der Ausbau noch hinter den konkreten Bedarfen zurück und stellt
Politik und Kommunen immer noch vor eine große Herausforderung. Das Elterngeld bedeutet für
die meisten Eltern eine finanzielle Verbesserung im Vergleich zum vorher wirksamen Erziehungsgeld. Es soll vorrangig ein zeitweiliges Ausscheiden aus dem Beruf ermöglichen, ohne allzu große
Einschränkungen bezüglich des Lebensstandards hinnehmen zu müssen. Gleichzeitig fördert es
auch den schnelleren Wiedereinstieg und unterstützt damit die Fortführung einer beruflichen (Karriere-)Entwicklung. Männer wie Frauen, die in Elternzeit gehen, erhalten 67 Prozent ihres vorherigen
Nettoeinkommens - bei einem Voreinkommen zwischen 1.000 und 1.200 Euro - für zwölf Monate,
maximal jedoch 1.800 Euro im Monat. Für Geringverdiener/innen mit einem Einkommen unter
1.000 Euro vor der Geburt des Kindes steigt die Ersatzrate schrittweise auf bis zu 100 Prozent:
je geringer das Einkommen, desto höher die Ersatzrate. Für Nettoeinkommen ab 1.200 Euro
und mehr vor der Geburt des Kindes sinkt die Ersatzrate des Elterngeldes moderat von 67 auf
65 Prozent. Nimmt dazu der/die Partner/in mindestens zwei Monate Elternzeit, verlängert sich
der Elterngeldbezug auf 14 Monate. Die Beteiligung von Männern an der Elternzeit wird dadurch
gezielt gefördert und ist seitdem kontinuierlich gewachsen.
Wurde das Erziehungsgeld im Jahre 2005 lediglich von 3,3 Prozent der Männer in Anspruch genommen, steigerte sich dies zu Beginn der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 auf 14
Prozent und wuchs bis zum Jahr 2012 auf rund 27 Prozent an. So beantragt mittlerweile bei jedem
vierten Kind der Vater Elterngeld. Davon beantragen jedoch 75 Prozent, und somit drei von vier
Vätern, nur für zwei Monate Elternzeit. Lediglich knapp sechs Prozent, und damit nur jeder 15.
davon, nimmt die Elternzeit für ein ganzes Jahr in Anspruch (Statistisches Bundesamt 2012: 2ff.).
Eine klug durchdachte, politische Neuorganisation und geschlechtergerechtere Neuverteilung von
Erwerbsarbeitszeit und privater Zeit steht noch aus, durch die etwa Erwerbsunterbrechungen und
Arbeitszeitverkürzungen zum Normalfall werden könnten ohne das Karriereende zu bedeuten, besonders Fürsorgeaufgaben beider Geschlechter anerkannt werden und durch staatliche Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen unterstützt werden. In Deutschland dominieren kurzfristige
und kurzsichtige ökonomische Erwägungen innerhalb der Politik. Es wird mit ökonomischen Verkürzungen operiert, ohne die Konsequenzen für das Privatleben zu bedenken. Bei den Debatten
um verlängerte Arbeitszeiten z.B. werden die negative Wirkung für Familien selten mitdiskutiert,
genauso wenig wie bei den verlängerten Ladenöffnungszeiten. Kurzum: Die deutsche Arbeits-,
Wirtschafts-, Sozial- und Familienpolitik hat noch erheblichen Modernisierungsbedarf. Positive
Trends sollen dennoch nicht unerwähnt bleiben: Insbesondere der erste Gleichstellungsbericht der
Bundesregierung setzt hier neue Maßstäbe, indem er die Lebenslauforientierung zum zentralen
Leitbild einer künftigen Arbeitszeitgestaltung erklärt. Aus der Verschränkung mit anderen Politikfeldern wie Bildungs-, Gesundheits- oder Tarifpolitik wird eine aktive Lebenslaufpolitik gefolgerte,
durch die staatliche Interventionen auf die unterschiedlichen Phasen des Lebensverlaufs abgestimmt sind und sich wechselseitig unterstützen. Die Umsetzung erfordert ein sozialpolitisches
Gesamtkonzept, das dann deutliche Chancen für Männer und Frauen bieten könnte, ihre jeweiligen
Arbeitszeitwünsche besser zu realisieren.
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
11
Teilzeiterwerbstätigkeit als Wirklichkeit – zum Inhalt der
Broschüre
Trotz der noch langsamen Entwicklungstrends hin zu einer für beide Geschlechter realisierbaren
Wunscharbeitszeit gibt es, wie sich gezeigt hat, Männer, die in Teilzeit erwerbstätig sind, auch
wenn sie im Jahr 2013 im Alltag und der öffentlichen Wahrnehmung noch fast ebenso rar sind
wie in 2008. Elf Beispiele, wie Teilzeiterwerbstätigkeit umgesetzt wird, wie die Reaktionen der
Kolleg/innen und Vorgesetzten waren, wie sie heute funktioniert und welche Vor- und Nachteile sie
den teilzeiterwerbstätigen Männern bringt und gebracht hat, stellt diese Broschüre vor. Ziel ist es
Beispiele für Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern darzustellen. Diese sind speziell in Positionen
und Funktionen erwerbstätig, in welchen landläufig große Vorurteile bestehen Teilzeit einzuführen
und erfolgreich umzusetzen. Dadurch wird es gegebenenfalls möglich, Männer zu ermutigen neue
und ungewohnte Wege einzuschlagen, um durch eine Teilzeitbeschäftigung zumindest zeitweise
andere Prioritäten zu setzen und eine veränderte Balance zwischen Erwerbstätigkeit und Privatleben zu erfahren.
In der Broschüre kommen sehr unterschiedliche Männer zu Wort. Die portraitierten Männer arbeiten in verschiedenen Branchen, Funktionen und Unternehmen. Der überwiegende Teil dieser ist
im Land Bremen erwerbstätig und lebt auch dort. Die Mehrheit von ihnen sind Väter.
Sie haben die Arbeitszeit reduziert, um sich mehr der Kinderbetreuung und dem Haushalt zu
widmen. Lediglich ein Mann ist kinderlos und teilzeiterwerbstätig, um sich neben der Arbeit in der
Malerei zu verwirklichen. Einen Mann, der Pflegeaufgaben übernimmt, haben wir für die Broschüre
leider nicht gewinnen können, obwohl die Übernahme von Pflegeaufgaben sicherlich in Zukunft,
auch für Männer, immer größere Bedeutung erlangen wird.
Ohne die Offenheit und Zeit der elf Männer wäre diese Broschüre nicht das, was sie ist. Als Redaktionsteam danken wir Matthias Eck, Peter Heuschötter, Jürgen Kolbe, Tim Landgraf, Christian Reil,
Christof Ronge, Dr. Thomas Steidel, Markus Zimmermann, Ulf Jacob, Christian Beck und Peter von
Kampen für Ein- und Ausblicke in den privaten wie beruflichen Alltag. Auch den Unternehmen, in denen diese Männer arbeiten, sei gedankt - zum Teil konnten die interviewten Männer die Interviews
während ihrer Arbeitszeit geben.
12
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Literatur:
BMFSFJ (2010): Familienbewusste Arbeitszeiten – Leitfaden für die praktische Umsetzung von
flexiblen, familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen: Berlin.
Bundeszentrale für Politische Bildung (2010): Teilzeitbeschäftigung. Online im Internet: http://
www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70599/teilzeitbeschaeftigung
Europäische Kommission (2011):
http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/graph.do?tab=graph&plugin=0&pcode=tps00159&langu
age=de&toolbox=sort
Körner, Thomas / Puch Katharina / Wingerter, Christian (2012): Qualität der Arbeit – Geld verdienen und was sonst noch zählt. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. Online im Internet: https://
www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetige/BroschuereQualitaetArbeit0010015129001.pdf?__blob=publicationFile
OECD 2011: Kochen, Pflegen, Putzen: OECD-Studie zeigt Ungleichgewicht der Geschlechter:
Online im Internet: http://www.oecd.org/berlin/presse/kochenpflegenputzenoecd-studiezeigtungleichgewichtdergeschlechter.htm
Piminger, Irene (2012): Existenzsichernde Beschäftigung von Männern und Frauen. Agentur für
Gleichstellung im ESF: Berlin. Online im Internet:
http://www.esf-gleichstellung.de/fileadmin/data/Downloads/Aktuelles/expertise_existenzsichernde_beschaeftigung.pdf
Statistisches Bundesamt (2012): Pressekonferenz „Elterngeld – wer, wie lange
und wie viel? Online im Internet:
https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2012/Elterngeld/statement_egeler_elterngeld_PDF.pdf?__blob=publicationFile
Väter gGmbH (2012): Trendstudie „Moderne Väter“. Wie die neue Vätergeneration Familie, Gesellschaft und Wirtschaft verändert. Online im Internet: http://vaeter-ggmbh.de/wp-content/uploads/2013/01/130124_Trendstudie_Einzelseiten_FINAL.pdf
WSI (2012): Arbeitszeit sinkt bei Frauen starker als bei Männern. Online im Internet:
http://www.boeckler.de/39011.htm#Tabellen
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
13
„Wir leben ein sehr symmetrisches Modell,
in dem wir eine ‚fast’ gleiche Verteilung in
der Arbeit, dem Haushalt und der Kindererziehung leben.“
Christian Beck ist 44 Jahre alt und arbeitet als ScrumMaster bei MeVis (Medical
Solutions).
Der Schwerpunkt des mittelständischen Unternehmens liegt in der Entwicklung von bildgebender Software und Services für die Bildbearbeitung in der Medizin. Insbesondere werden
hier innovative Softwareprogramme zur Analyse und Bewertung von Bilddaten zur Früherkennung und Diagnostik von Krebserkrankungen
entwickelt, die als Grundlage für die frühzeitige
und bedarfsgerechte Krebstherapie eingesetzt
werden.
Der Ansatz eines ScrumMasters beruht auf
der Haltung, dass die meisten modernen Entwicklungsprojekte zu komplex sind, um durchgängig planbar zu sein. Scrum versucht die
Komplexität durch die Prinzipien Transparenz,
Feedback und kontinuierliche Anpassung zu
reduzieren. Transparenz bedeutet dabei, den
Fortschritt und die Hindernisse eines Projektes
kontinuierlich sichtbar zu machen, zu überprüfen und die Anforderungen des Produktes an
die Bedarfe anzupassen. Dieser Prozess wird
durch ein hoch qualifiziertes, interdisziplinär
besetztes Entwicklungsteam von Experten für
14
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
medizinische Software wahrgenommen, die
zwar eine klare Zielvorgabe bekommen, für die
Umsetzung jedoch selbstständig zuständig sind
und autonom eigenständige Entscheidungen
treffen können. Dieser Team-Prozess wird von
Christian Beck in verantwortlicher Position als
ScrumMaster und Coach gesteuert. Beck moderiert Meetings, kümmert sich um Störungen
des Prozesses und gewährleistet, dass die
Einzelnen je nach ihren Fähigkeiten und Kompetenzen passgenau eingesetzt werden, sich weiterentwickeln und Sinn in ihrer Tätigkeit finden
können.
Die eigenen Vorstellungen klar
darstellen
Im Sommer des Jahres 2007 bekommen Christian Beck und seine Frau Sybille Nachwuchs:
Ihr Sohn Moritz wird geboren. Um seine Frau
direkt nach der Geburt zu unterstützen, nimmt
Christian Beck statt zwei Wochen ‚full-time-Urlaub’ vier Wochen ‚part-time-Urlaub’, da seine
Frau auf die Hilfe am Vormittag eher verzichten
kann als am Mittag. Die Stunden, die er jeden
Tag reduziert, nutzt er zum Einkaufen oder für
den Haushalt, um seiner Frau den Alltag zu erleichtern.
Seit 2008 arbeitet Christian Beck in Teilzeit, zu
Beginn nimmt er zunächst zwei Monate Teilzeit
im Umfang von 30 Wochenstunden wahr und
bezieht Teilelterngeld.
Den Ausschlag für die Wahl dieses Modells der
Aufteilung gibt Frau Beck, die ebenfalls in verantwortlicher Position im Controlling eines großen
Stromversorgers arbeitet und sehr engagiert in
ihrer Tätigkeit ist. Im Rückblick findet Christian
Beck, dass seine Frau die Arbeitsaufteilung
sehr geschickt gesteuert hat, indem sie eine
gleichberechtigte Aufteilung von Familie und
Beruf für beide Seiten einforderte. So wurde
er vor die Wahl gestellt, entweder in Teilzeit zu
gehen, was seine Frau auch tun würde, oder
weiter in Vollzeit zu arbeiten, was seine Frau in
diesem Fall ebenfalls umgesetzt und mit dem
Doppelverdienst eine Kinderfrau einstellt hätte.
Das sei seinerzeit „ziemlich hart und strikt“ gewesen, sodass Beck wenige Argumente gegen
diese Forderung der Gleichberechtigung hatte
und sich nicht zurückziehen konnte, indem er
nur von seiner Frau eine Arbeitszeitreduzierung
verlangte. „Das war ein Umdenkprozess“, so
Beck. Denn Frau Beck machte ebenfalls ganz
deutlich, dass es sich dabei nicht um die nächsten Wochen oder Monate handeln würde,
sondern um die nächsten 18 Jahre. Gleichzeitig wollte sie auch von ihrem Mann einen „substantiellen Vorschlag“ haben, wie er sich an der
Erziehung des gemeinsamen Kindes beteiligen
würde. Das einzig sinnvolle Angebot wäre daher
eine Arbeitszeitreduzierung und zwar „bis auf
weiteres“ gewesen. Anfänglich war das schon
ein Verzicht für Christian Beck, da er sehr gerne und engagiert arbeitet. Gleichzeitig kam es
ihm absurd vor, dass beide in Vollzeit arbeiten
sollten, um den Sohn ganztags von einer ‚Nanny’ betreuen zu lassen. So hat er sich mit dem
Gedanken angefreundet und die Überzeugung
gewonnen, dass sein Sohn es ihm sicher danken würde und, dass er selbst am Ende des
Lebens wahrscheinlich sehr stolz auf sich sein
und nichts bereuen würde.
Zunächst fand durch die reduzierte Arbeitszeit
ein Umgewöhnungsprozess bei Christian Beck
statt, sodass beispielsweise einige Reisetätigkeiten verringert wurden. Nach vier Jahren reduzierter Arbeitszeit, erst im Jahre 2008 auf
30 Wochenstunden, dann seit 2010 auf 33
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
15
Wochenstunden, hat Beck sich gut daran gewöhnt und sogar den Eindruck „fast genauso
produktiv zu sein wie bei einer Vollzeitstelle“.
Seine Frau arbeitet nach einem halben Jahr in
Elternzeit 29 Wochenstunden. Die Aufteilung
wird als sehr symmetrisch beschrieben, da beide jeden Tag im Büro sind und ab ca. 15.00
Uhr frei haben, sodass sie für den Sohn da sein
können: „Dann ist wirklich ‚family-time’“, in der
es eine sehr gleichmäßige und gleichberechtigte Verteilung der anfallenden Arbeiten gibt.
Der Sohn ist seit dem Alter von einem Jahr in
der Krippe und jetzt jeden Tag bis 15.30 Uhr
in der Kita. Letztlich ist es so, als würden „wir
jeden Tag alle bis nachmittags arbeiten gehen,
und dann haben wir frei“, so Beck.
Vorbilder erleichtern die
Umsetzung
Wie war der Umsetzungsprozess auf der Arbeit? Hat es dort Hindernisse mit den Vorgesetzten oder Kollegen gegeben?
Beck beschreibt die Arbeitsbedingungen und
-kultur auf beiden Seiten als recht offen für das
Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Bei MeVis gab es bereits einige, auch männliche, Kollegen, die in Teilzeit tätig waren und
somit Vorbildfunktion hatten. Die Chefin selbst
ist in der Zeit schwanger geworden und arbeitet
16
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
nun ebenfalls Teilzeit. Daher hatte Beck keine
Bedenken, an seinen Geschäftsführer heranzutreten und war sich einer positiven Prüfung
seines Anliegens recht sicher. Das Elternzeitgesetz, wie auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz, haben ihm dabei Sicherheit gegeben, da
es sich um eine Rechtsgrundlage handelt. Die
Möglichkeit vor dem Hintergrund des Elternzeitgesetzes zunächst einen befristeten Zeitraum
der Teilzeitarbeit von zwei Jahren zu planen,
um die Umsetzbarkeit im Unternehmen im Folgenden zu prüfen und ggf. danach eine Fortführung oder Veränderung zu diskutieren, gab dem
Anliegen eine gewisse Flexibilität. Das Vorhaben
wurde „nicht umstandslos freudig begrüßt“,
dennoch überwog die Überzeugung, dass es
umsetzbar sein würde, so Beck. Darüber hinaus unterstützt die Firma die Vereinbarkeit
durch das Angebot von Belegplätzen in der betriebsnahen Kinderbetreuung ‚Entdeckerhaus’
des Technologieparks. Die Tagesstätte ist stark
auf die Bedürfnisse Berufstätiger ausgerichtet,
da sie außer zwischen Weihnachten und Neujahr keine Schließzeiten hat. Zudem bietet sie
sehr flexible Betreuungszeiten an und stellt eine
große Unterstützung seitens der Firma dar, für
die Beck sehr dankbar ist. Christian Beck ist
der Auffassung, dass man als Einzelner kaum
in der Lage ist, die Kultur eines Unternehmens
zu verändern, wenn diese für Vereinbarkeit von
beruflichen und familiären Belangen nicht offen
ist. Sich gegen den Willen der Entscheidungsträger/in als Beschäftigte/r in verantwortlicher
Position eine Teilzeitstelle zu „erkämpfen“, insbesondere als Mann, sei unter diesen Rahmenbedingungen schwierig. Sich bei der Elternzeit
auf das bestehende Recht zu berufen bleibe für
Männer - wie für Frauen - ein riskanter Vorstoß.
„Entweder die Unternehmenskultur ermöglicht
diesen Schritt in eine Elternzeit und/oder Teilzeitbeschäftigung oder eben nicht“, so Beck.
Männer würden sich oftmals nicht trauen, da sie
vor Sanktionen und Benachteiligungen in der
Karriere zurückschrecken. Mit Recht, denn das
Risiko der, vielleicht auch indirekten, Benachteiligung in Kauf nehmen zu müssen wäre, ebenso
wie für Frauen in dieser Situation, nach wie vor
groß. Und dafür könne man Männer nicht pauschal verurteilen, wenn die Kultur noch nicht so
weit entwickelt sei, so Beck. „Die Vorstellung,
dass man dafür kämpfen kann, ist schwierig,
aber natürlich muss man gleichzeitig überlegen, wie eine Kulturveränderung langsam auf
den Weg gebracht werden kann. Denn irgendjemand muss ja anfangen!“
Karriere in Teilzeit?
Und doch: Gerade Führung ist mit reduzierter
Arbeitszeit möglich!
In den Führungsetagen herrscht noch eine Managementkultur vor, die suggeriert oder erwartet, „man müsse die ganze Zeit da sein, damit
der Laden läuft“. Ein Manager ist allerdings für
die langfristigen Ziele verantwortlich, sodass
das operative Geschäft von allein laufen muss.
Wenn „ich den Laden wirklich gut organisiert
habe und ein funktionierendes Team aufgebaut
habe, das das Ziel kennt und eigenständig
Entscheidungen treffen kann, sollte ich auch
delegieren und mich auf die Mitarbeiter/innen
verlassen können. Ein Team, das gelernt hat,
Entscheidungen effizient zu treffen, ist daher
immer besser als ein Manager in seinen Einzelentscheidungen“, betont Beck. So sollte die
Aufgabe der Führung kein Eingriff in das operative Geschäft darstellen, um es damit gerade
für Führungskräfte zu erleichtern Arbeitszeit
zu reduzieren. Beide Seiten, sowohl das Unternehmen als auch die Arbeitnehmer/innen,
profitieren von der Flexibilität, daher ist eine Anwesenheitskultur in Becks Augen eine überholte
Vorstellung von Führung bzw. Management.
Die Tätigkeit in Teilzeit hatte schon Konsequenzen bezüglich seiner Karriereentwicklung,
erinnert sich Christian Beck. Eine Situation hätte
es gegeben, in der er sich noch hätte weiterentwickeln können, um noch mehr Verantwortung
zu übernehmen. Der damalige Geschäftsführer
hatte nach anfänglichen Überlegungen Beck zu
fördern dann doch einen Rückzieher gemacht
und ihm die Stelle nicht mehr angeboten, da er
diese mit einem/einer Mitarbeiter/in in Vollzeit
besetzen wollte. Ein vergleichsweise größeres
Hindernis für eine Karriere als Teilzeitarbeit
scheint Beck allerdings der Aspekt fehlender
bzw. geringerer Mobilität bei einem Zweiverdienerhaushalt zu sein, da man einen Karrieresprung in bestimmten Bereichen und Branchen seltener im eigenen Unternehmen macht.
Stattdessen muss man nicht selten bei einem
Karriereaufstieg einen Wohnortwechsel in Kauf
nehmen, der wesentlich schwieriger ist, wenn
der Partner ebenfalls einen anspruchsvollen
Job vor Ort hat und sich womöglich umorientieren müsste.
„Ich wünsche mir eine Führungskultur, die darauf abzielt, dass interdisziplinäre Teams existieren,
die eigenverantwortlich arbeiten
können, und dass man weniger
auf Spezialistentum setzt.“
Hat man Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die
ganzheitlich denken, sich nicht nur auf ihre eigenen Aufgaben konzentrieren, den ganzen
Prozess des Unternehmens kennen und übergeordnete Ziele haben, tut man etwas für das Unternehmen. Auf diese Weise reduziert man die
Problematik, dass bei Urlaubs- oder Krankheitsfällen die Arbeit liegen bleibt. Um diesem Problem entgegen zu wirken, sind „spezialisierte
Generalisten“ nötig, die alles können und dabei
ihr eigenes Spezialgebiet haben. Solche Mitarbeiter/innen sind in der Lage, eine/n andere/n
Mitarbeiter/in zu vertreten. Dieser Aspekt, gepaart mit einer Führungskultur, die weniger auf
Mikromanagement, Steuerung und Kontrolle
setzt, sondern mehr auf Führung im eigentlichen
Sinne, entspricht Becks Vorstellungen. Es geht
also darum, Ziele und Strategien zu kommuni-
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
17
zieren, die Bedingungen schaffen, dass sich die
intrinsische Motivation entfalten kann. Auf diesem Weg lösen sich viele Probleme von selbst
und Führung in Teilzeit wird möglich.
Christian Beck begrüßt ein gemischtes Geschlechterverhältnis im Unternehmen. Er selbst
arbeitet in einer männerdominierten Branche
und erkennt klar, dass Teams, in die Frauen integriert sind, besser arbeiten. Den Grund sieht
er darin, dass Frauen einen bestimmten Sinn
für die Gruppe haben, weniger egoistisch sind
und damit oftmals einen größeren Gruppenbeitrag leisten. „Man braucht Personen in einem
Team, die eine ‚Facilitator-Rolle‘ einnehmen können und damit den ‚Männer-Alphatieren’ Kompromisse anbieten“, so Beck. „Kurz, jemand,
der im Sinne des Gruppeninteresses arbeitet.“
Frauen seien „natürliche Facilitators“ und würden Teamarbeit erleichtern. Das wurde durch
Lernspiele, die durch Coaches im Unternehmen ausgerichtet wurden, bestätigt: Teams mit
weiblichen Mitgliedern lösten die geforderten
Aufgaben besser. Aus diesem Grund ist es von
großem Wert, gerade in männerdominierten
Branchen aktiv dafür zu sorgen, ein gemischtes
Verhältnis herzustellen.
Zeit für Reflexion zu haben ist
sehr wichtig
„Mein wesentlicher Beitrag zur Organisation
der Teilzeittätigkeit war, dass ich jeden Tag von
9.00 Uhr bis 15.00 Uhr in der Kernarbeitszeit
im Büro war und die Arbeit des Teams nicht beeinträchtigt wurde“, so Beck. In der Zeit könne
man alles erledigen, inklusive wichtiger Meetings. Dadurch war seine reduzierte Arbeitszeit
für Kollegen nicht schmerzhaft spürbar. Täglich
sechs Stunden zu arbeiten sorgt für Ausgeglichenheit, sodass innerhalb der geringeren Arbeitszeit sowohl konzentrierter als auch effektiver gearbeitet wird. „Die Zeit, die man nun für
Reflexion hat, ist dabei sehr wichtig“, so Beck.
18
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Auch ergeben sich klare Vorteile für den privaten Bereich, denn die Beziehung zu seinem
Sohn profitiert von dem Teilzeitmodell, welches
ermöglicht, dass er ein gleichberechtigter Bezugspartner für seinen Sohn sein kann. „Wenn
er sich beispielsweise weh tut, läuft er nicht immer nur zu seiner Mutter, sondern genauso oft
zu mir.“ In der Zeit, in der sein Sohn noch nicht
sprechen konnte, hatte er die Möglichkeit, die
Bedeutung der Signale seines Sohns genauso
kennen zu lernen wie seine Frau. Beide Partner
haben darüber hinaus dieselben Vorstellungen
von der Erziehung ihres Sohnes. Seine Frau war
nie besitzergreifend und froh über seine Unterstützung. Im Haushalt hat jeder seine Schwerpunkte: Während sich seine Frau eher um die
Wäsche und den Einkauf kümmert, übernimmt
er den größeren Teil der (Rad-)Fahrten zum und
vom Kindergarten mit Moritz.
Aufgrund der Teilzeit ist die Lebensqualität höher
So ist im Sommer ab 16.00 Uhr „family-time“,
die oft im Freibad verbracht wird. „Was kann
man sich Schöneres vorstellen?“ Gibt es dann
doch einmal etwas zu erledigen, kann das ein
Partner übernehmen, während sich der Andere um den Sohn kümmert. Ihnen bleiben aufgrund der symmetrischen Regelung nicht nur
die Wochenenden, sondern auch die langen
Feierabende unter der Woche, die sie gerne in
ihrem Schrebergarten für gemeinsame Stunden
mit der Familie nutzen. Darüber hinaus wird im
Hause Beck jeden Abend gekocht, sodass der
Sohn schon lernt, seine fünf Lieblingsgerichte
selbst zu kochen.
Da beide Partner in ihrer 4/5 Teilzeit 80% einer Vollzeitstelle verdienen, sind sie laut Beck
als Kleinfamilie gut versorgt. Mehr Geld durch
mehr Arbeit zur Verfügung zu haben, würde er
nicht gegen die Freizeit und die intensiven familiären Erfahrungen eintauschen. Die Lebensqualität würde sonst darunter leiden. So sieht
er oft wie im Kindergarten Eltern aus dem Auto
hetzen, um ihr Kind abzugeben und schnell
weiterfahren. Das sei keine Lebensqualität, so
Beck. Wenn man ein Kind hat, braucht man neben einer guten Planung auch Luft für Unvorhergesehenes. Mit einem Kind läuft nicht alles
nach Plan, worauf mit einer Teilzeitbeschäftigung besser reagiert werden kann. Als sein
Sohn krank war, arbeitete Beck beispielsweise
schwerpunktmäßig vormittags und seine Frau
nachmittags, sodass der Sohn den ganzen Tag
betreut war. Sybille ist stolz darauf, dass ihr
Mann seine Arbeitszeit so umgestellt hat: „Das
ist gut für die Beziehung“, erklärt Beck. So hat
man nicht nur die kurze Zeit nach der Arbeit
miteinander. Er und seine Frau haben es aufgrund dieser Arbeitszeitregelung geschafft den
Stress auf ein Minimum zu reduzieren.
„Es gibt kein Hinweis darauf, dass
wir unser Kind zu Gunsten unserer
beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten überfordert haben.“
Christian Beck glaubt, dass das 80%-Modell
auch für die Kinder akzeptabel ist. Ihm ist dabei bewusst, dass es für ein Kind durchaus anstrengend sein kann, von 9.00 Uhr bis 16.00
Uhr in einer Kinderbetreuung zu sein. Wenn
er seinen Sohn abholt, hat dieser meist noch
überraschend viel Energie und will oftmals noch
länger bleiben. Die Alternative als Einzelkind zuhause zu bleiben wäre sicher nicht die bessere
Entscheidung; gemeinsam betreut mit anderen
Kindern lernen die Kleinen schneller soziale
Fähigkeiten, Selbstständigkeit, aber auch mit
Enttäuschungen umzugehen, da in der Kindertagesstätte nicht rum um die Uhr ‚bemuttert’
würde. In der Kinderbetreuung wird ein vielfältiges Programm mit Singen und Spielen angeboten, das man zuhause gar nicht leisten könne. Das sei eine enorme „gesellschaftliche und
kulturelle Entwicklungsmöglichkeit“, so Beck.
„Ich finde das Elternzeitgesetz
sehr wichtig“
Beck ist nicht der Meinung, dass eine alleinige
Inanspruchnahme der ‚sogenannten Vätermonate’, wenn nach den zwei Monaten wie gehabt
weiter gearbeitet wird, einen modernen Vater
widerspiegelt. Sich jedoch nur für zwei Monate
zu entscheiden, ist im Unternehmen eher akzeptiert und führt auf diesem Weg langsam zu
einer kulturellen Veränderung. „Das Gesetz hat
somit für gesellschaftliche Anerkennung einer
gemeinsamen Nutzung der Elternzeit einen guten Beitrag geleistet“, so Beck. Gleichzeitig hat
der Staat aufgrund der hohen Nachfrage nach
Kindertagesstätten und Ganztagsschulen weiterhin eine hohe Bringschuld, die Infrastruktur
auszubauen.
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
19
„Männer ziehen ihr Selbstbewusstsein immer
noch zu ausschließlich aus dem Beruf.“
Ulf Jacob ist Projektleiter für Öffentlichkeitsarbeit im Zentrum für Umweltkommunikation der Deutschen Bundesstiftung
Umwelt, kurz DBU.
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt ist eine
der größten Stiftungen in Europa mit Sitz in
Osnabrück. Aufgabe der Stiftung ist es Vorhaben zum Schutz der Umwelt unter besonderer Berücksichtigung der mittelständischen
Wirtschaft zu fördern. Dabei unterstützen sie
Projekte aus den Bereichen Umwelttechnik,
Umweltforschung, Naturschutz und Umweltkommunikation. Die DBU setzt bei ihrer Fördertätigkeit insbesondere auf den produkt- und
produktionsintegrierten Umweltschutz.
Seit 2000 ist Ulf Jacob, 51 Jahre, in der DBU
beschäftigt und mitverantwortlich für die Kommunikation und Außendarstellung der Stiftung.
In diesem Rahmen betreut er zudem Projekte
im Bereich Veranstaltungen und Messen. Seine Position stellt damit eine Kommunikationsschnittstelle dar, die im Bereich der Bewertung
von Projektergebnissen sowie auch der PR tätig ist. Das Team, das von Ulf Jacob angeleitet
wird, zeichnet sich durch eine flache Hierarchie aus.
Elternteile im Erwerbs- und Privatleben auf
beiden Seiten Konsens. Dazu kam Ulf Jacobs
ganz persönlicher Wunsch, an der Entwicklung
seiner Tochter im ersten Jahr teilhaben und sie
betreuen zu wollen. Auch die Rahmenbedingungen seines Beschäftigungsverhältnisses
begünstigten seine Entscheidung: Sowohl
seine Frau als auch Ulf Jacob waren befristet
tätig. Er hatte jedoch das sicherere und auf
eine langfristige Beschäftigung ausgelegte
Arbeitsverhältnis und konnte deswegen die familienbedingte Unterbrechung besser realisieren. Dadurch hatte seine Frau die Gelegenheit
sich in ihrem Job erst einmal zu etablieren,
während er die Betreuung der kleinen Tochter
übernahm. „Meine Frau hat eine interessante
und fordernde Tätigkeit und viele berufliche
Ziele, ich wollte sie in ihrer Weiterentwicklung
„Meine Frau sollte sich in ihrem
Job erst einmal etablieren“
Im Jahr 2000 begann Ulf Jacob mit einer
40-Stunden-Woche bei der DBU. 2001 bekam die Familie das erste Kind. Herr Jacob
entschied sich, einen Großteil der Elternzeit
zu nutzen, sodass er nach dem Mutterschutz
seiner Frau zuhause blieb und rund ein ¾
Jahr Elternzeit in Anspruch nahm. Wie es zu
diesem Entschluss kam? Zum einen waren die
klassischen Geschlechterrollen bei Ehepaar
Jacob schon lange aufgebrochen und das Bewusstsein für eine Gleichberechtigung beider
20
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
erst einmal unterstützen“, erklärt Jacob. Daher entstand auch der Entschluss und die gemeinsame Übereinstimmung, dass er nach der
Elternzeit in Teilzeit gehen würde. Nach der
Elternzeit stieg Herr Jacob mit 25 Wochenstunden wieder in seinen Job ein, den er durch
diese Arbeitszeitverkürzung in einer drei Tage
Woche erfüllen konnte. Seine Frau hatte ebenfalls ihre Arbeitszeit reduziert, zudem war die
gemeinsame Tochter eine begrenzte Zeit in
der Woche in der Kinderbetreuung.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stiftung erst
einen männlichen Beschäftigten in Teilzeit, sodass das Personalthema „Teilzeit für Männer“
für beide Seiten recht neu war, berichtet Jacob. Dennoch war die Umsetzung „relativ einfach mit meinem Arbeitgeber abzustimmen“,
so Jacob. Damals wurde zudem in der DBU
Personalbestand aufgebaut, was Flexibilität in
den Zuständigkeiten und der Projektarbeit mit
sich brachte und die Gestaltung seiner Teilzeitregelung vereinfachte.
„Mit meinem 30-StundenTeilzeitmodell bin ich sehr zufrieden“
Schnell wurde Ulf Jacob klar, dass eine Reduzierung auf 25 Wochenstunden ihm nicht
genug Raum für seine Arbeit in seinem Verantwortungsbereich bot. Seine Tätigkeit erfordert
einen hohen Anteil Selbstbestimmtheit und
Kreativität, „bei 25 Wochenstunden standen
oft Pflichtaufgaben im Vordergrund, es fehlte
die Zeit für eigene Ideen“, so Jacob. Deswegen erhöhte er auf 30 Stunden, verteilt auf vier
Tage die Woche, um sich wieder mit der Entwicklung neuer Projekte und interessanter Aufgaben beschäftigen zu können. Die Rechnung
ging auf. Mit seinem derzeitigen Teilzeitmodell
ist er sehr zufrieden, es ermöglicht ihm eine
gute Mischung aus Pflichtaufgaben und selbstverantwortlicher Zuständigkeit in interessanten
Projekten. Wodurch wird es möglich auch in
einer Teilzeitbeschäftigung gute Ergebnisse in
verantwortlicher Position zu erbringen? „Wird
der Fokus auf Ergebnisse statt auf Anwesenheitszeiten im Betrieb gerichtet, können auch
Führungskräfte einer Teilzeitbeschäftigung gut
nachgehen“, so Ulf Jacob. Durch eine kluge,
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
21
vollzeitnahe Teilzeit kann die weitere Entwicklung von Karriere und Führungsverantwortung
ermöglicht und gefördert werden.
„Ich war damals einer der ersten
‚Teilzeit-Männer’, besondere
Hemmnisse gab es nicht“
Aus dem Kollegium kamen interessierte Fragen
zu seinen Gründen und der Art der Umsetzung,
die der Teilzeit-Pionier als positive Unterstützung wahrnahm. Mittlerweile berichtet Jacob
von einer Vielzahl von Teilzeitarbeitsverträgen,
die sich nicht nur aus der Elternzeit entwickeln,
sondern etwa auch aufgrund der Pflege von
Angehörigen. Für Herrn Jacob brachte die Teilzeitarbeit keine Nachteile mit sich. Trotz vieler
Arbeitszeitveränderungen innerhalb von zwei
Jahren ist sein Arbeitgeber gegenüber Fragen
und Unterstützungsbedarfen stets offen geblieben. Beispielsweise war die Aufstockung
von 25 auf 30 Stunden Arbeitszeit unproblematisch. Da eine Stiftung, wie es der DBU
ist, marktunabhängiger agieren und Dienstleistungen erbringen kann, besteht grundsätzlich
insgesamt auf betrieblicher Seite eher eine
größere Flexibilität für familienfreundliche Arbeitszeitmodelle. Diese war laut Jacob unter
anderem ein Grund für die problemlose Umstellung von Vollzeit auf Teilzeit. Es wundert
ihn jedoch, dass beim Mutterkonzern viel Zeit
verging, bis eine steigende Anzahl von Männern Interesse an aktiver Vaterschaft zeigte.
Eine wachsende Anzahl deutscher Personalchefs erkennt das inzwischen und weiß, dass
sich Leistungsbereitschaft im Beruf und Engagement in der Familie nicht widersprechen und
dass Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung
eine wesentliche Stellschraube und Unterstützung sein kann. Hier wird die Bedeutung einer
Personalleitung und Geschäftsführung, die explizit hinter Teilzeitmodellen steht und sie nicht
zu Karrierebremsen macht, offensichtlich.
Zudem werde immer deutlicher, dass eine ak-
22
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
tive Vaterschaft nützliche Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen wie etwa Organisationstalent und Flexibilität fördern könne, findet
Jacob. Dieser Mehrwert müsse auch mehr
von Vorgesetzten und Arbeitgebern gesehen
werden. In dem Zusammenhang ist es wichtig, dass Männer, die eine familienbedingte Arbeitszeitverkürzung anstreben, eben nicht als
Leistungsverweigerer gesehen werden, sondern vielmehr von Vorgesetzten und Kollegen
respektiert und geschätzt werden.
Kontakt halten ist wichtig
Zu Beginn der Elternzeit war es für Jacob nicht
einfach zu akzeptieren, dass sich einige Projekte in seinem Zuständigkeitsbereich ohne
ihn weiter entwickelten. Aus diesem Grund erschien es ihm sinnvoll, den Kontakt zur Arbeit
nicht abreißen zu lassen und regelmäßig das
Gespräch mit seinen Kollegen zu suchen, so
Jacob. „Auf diese Weise gerät man nicht aus
dem Blick im Kollegenkreis und man vermeidet
eher, dass bei neuen Projekten und Aufgabenverteilung schnell Zuständigkeiten und Verantwortungen an andere vergeben werden“,
betont er. Eine zielführende Möglichkeit ist es
auch, gelegentlich Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen zu übernehmen, um den Kontakt zum Aufgabengebiet und zu den eigenen
Verantwortlichkeiten aufrecht zu erhalten. Ulf
Jacob etwa besuchte seine Kollegen auf der
Arbeit während seiner Auszeit einige Male und
zeigte so Präsenz sowie Interesse an der Entwicklung der Stiftung.
„Die
Karriere stand zu der Zeit
nicht an erster Stelle – Familie
und persönliche Interessen waren immer im Blick“
Als er mit 40 Jahren in die Teilzeit ging, war
ihm bewusst, dass sich bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten eventuell nicht mehr bieten
würden. Da er jedoch bereits eine gewisse Position erreicht hatte, stellte diese Überlegung
keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund mehr
dar. „Die Karriere stand zu dieser Zeit nicht an
erster Stelle“, so Jacob, der sich selbst als einen Mann und Vater sieht, dessen Leben nie
ausschließlich auf Berufsarbeit und berufliche
Karriere zentriert war. Eine vollzeitnahe Teilzeit
sei in diesem Sinne ideal - zumal man nicht selten sogar produktiver und effektiver arbeiten
könne.
Sich für die Gründung einer Familie zu entscheiden bedeutet für Jacob diese auch begleiten zu wollen und eine gleichmäßige Aufgabenverteilung anzustreben. Jacob sieht sich
und seine Partnerin daher in gleichem Maße
in der Verantwortung und der Aufgabenverteilung im privaten Bereich im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie für
beide Partner. Die Eltern Jacob wechseln sich
beispielsweise bei Elternabenden ab, sodass
jeder Verantwortung trägt und gleichberech-
tigt Einblicke erhält. Aufgrund der flexibleren
Arbeitszeiten seiner Frau kümmert sie sich im
spontanen Krankheitsfall der Kinder in d. R.
um deren Betreuung. In solchen Fällen wird
Jacob bewusst, dass sein familiärer Einsatz
aufgrund seiner Arbeit in Osnabrück und den
damit verbundenen Wegzeiten vergleichsweise eingeschränkter ist. Stehen Dienstreisen
an, erfordert das eine gute Organisation,
so Jacob. Vor drei Jahren mussten sich beide Partner gezielter um die nachmittägliche
Betreuung für die Kinder kümmern, da seine
Frau ebenfalls Berufspendlerin geworden war.
Der gute Kontakt zu einem Nachbarn mit einer Tochter im selben Alter war und ist von
Vorteil, da man sich bei der nachmittäglichen
Betreuung gegenseitig unterstützen kann, so
Jacob. Mit der wachsenden Selbstständigkeit
der Kinder kommt es zu gemeinsamen Abstimmungen über die Tagespläne, in denen
zunehmend Freunde und Nachbarn an Bedeutung gewinnen, aber auch die Großeltern aktiv
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
23
eingebunden sind.
Durch die Zeit, die er dank seiner familienbedingten Auszeiten sowie der Teilzeit mit den
Kindern verbringt, baute sich eine enge Beziehung zu ihnen auf. Die Freitage, an denen
Jacob zuhause bleibt, kann er intensiv mit
seinen Kindern nutzen und genießen und ist
sehr glücklich darüber eine enge Vater-KindBeziehung aufgebaut haben zu können.
Auch auf Führungsebene und dem damit verbundenen zeitlichen Aufwand sei es mit gut
eingespielten Teams möglich in Teilzeit zu
gehen. Jacob berichtet von einem entsprechenden Modell, dessen Anwendung keinerlei
Probleme mit sich brachte. Man müsse das für
sich nur organisieren und aktiv und entschlossen vorantreiben, berichtet Jacob. Bezüglich
des Arbeitsablaufs muss auf den Abstimmungsbedarf von Mitarbeitern, Kunden und
Vorgesetzten geachtet werden.
Da stellt sich spontan die Frage, warum nur so
wenige Männer in Teilzeit arbeiten? Eines der
größten Hindernisse auf dem Weg zu einer gerechteren Verteilung von Erwerbsarbeit und Erziehungs- sowie Hausarbeit scheint Jacob immer noch die klassische Rollenvorstellung der
Geschlechter zu sein. Dieses Rollenbild weist
nach wie vor der Mutter die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung zu und erklärt da-
24
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
mit die Teilzeitarbeit zur Frauendomäne. Flankiert durch die weibliche Zuarbeiterin herrsche
im Umkehrschluss, trotz gesellschaftlichem
Wandel auf vielen Ebenen, noch die wirkmächtige Prägung des männlichen Ernährermodells
vor. Und diese basieren auf einer männlichen
Vollzeitverfügbarkeit, die für viele Männer nach
wie vor nicht so leicht zu hinterfragen sei, so
Jacob. Auch das Streben nach einem gewissen Lebensstandard inklusive Statussymbole,
die sich mit einer Vollzeitstelle eher realisieren
ließen, sieht er als möglichen Erklärungsansatz für die geringe Verbreitung von Teilzeittätigkeit bei Männern. Viele Menschen würden
sich doch sehr über Produkte, Prestige und
Konsum definieren. Er selbst legt keinen Wert
darauf, ob er „mit dem Auto oder dem Fahrrad bei seiner Firma vorfährt“. „Klar kann man
immer mehr haben“, so Jacob, aber andere
Werte und Lebensziele seien ihm wichtiger.
Eine bestimmte Position zu haben, um eigene Projekte selbst mit zu gestalten und einen
gewissen Einfluss auf Abläufe und inhaltliche
Schwerpunkte zu haben sei wichtig für ein erfülltes Berufsleben, jedoch nicht auf Kosten
der intensiven Zeit mit seiner Familie.
„Männer ziehen ihr Selbstbewusstsein immer noch zu ausschließlich aus dem Beruf.“
Welche Eigenschaften müssen Männer haben,
um als Führungskräfte ihre Arbeitszeit - auch
wenn nur befristet und nahe an der Vollzeit - zu
verkürzen? Sicher bedürfe es eines gesunden
Selbstbewusstseins, um in einer männlich geprägten Betriebskultur in Teilzeit zu gehen und
somit abweichendes Verhalten zu zeigen, das
heißt die familiären Belange nicht per se den
beruflichen unter zu ordnen. Dass Leistung
noch oft an der Präsenz statt an den Ergebnissen gemessen wird, komme erschwerend
hinzu, so Jacob. Bestätigung, Anerkennung
und Erfüllung allein aus dem Beruf erlangen
zu wollen, stellte für Jacob immer eine einseitige Perspektive auf Arbeit und Leben dar.
Hier spiele auch sein langjähriges ehrenamtliches Engagement für politische Tätigkeiten
eine wesentliche Rolle, erklärt Jacob. Sich für
gesellschaftliche Belange und Fragen zu engagieren sei für ihn ein wesentlicher Bestandteil
seines Lebens und Wohlbefindens. Dabei geht
es auch darum, etwas gemeinsam mit anderen zu erreichen und gesellschaftlich relevante
Entwicklungen mit zu gestalten. „Das geht allerdings eher, wenn du bestimmte monetäre
Rahmenbedingungen hast, die das zulassen,
etwa eine Wohnung, die sich auch mit einem
geringeren Gehalt abzahlen oder bezahlen
lässt“, gibt Jacob zu bedenken. Hier steht erneut die Frage nach einem gewandelten, auf
anderen Werten basierenden Lebensstandard
und Konsumverhalten zur Diskussion, die unabhängiger machen könnten von Positionen
und Karrierebestrebungen, die oftmals mit
überlangen Arbeitszeiten verbunden sind.
In Folge eines solchen Wandels könne eher
eine neue Väter-Generation entstehen, die im
Rahmen ihrer Möglichkeiten mit den tradierten
Geschlechterrollen bricht. Immer mehr Männer wollen aktive Väter sein und trotzdem die
Familie absichern, sodass sich vollzeitnahe
Teilzeitmodelle für diese Väter eignen. Aus
diesem Grund „sind sowohl Politik, als auch
Arbeitgeber gefordert, über flexible, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle nachzudenken
und sie anzubieten“.
Denn die Arbeit in Teilzeit ist auf lange Sicht
und vorausschauend geplant. Jacob beobachtet, dass sich ältere Kollegen vermehrt um die
Pflege ihrer nahen Angehörigen kümmern. Die
Pflege von Angehörigen wird immer mehr zum
Thema. Mit seinem Teilzeitarbeitsmodell kann
er gegebenenfalls auf Pflegebedürftigkeit in
seinem Umfeld reagieren.
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
25
„Es gibt die Pflicht und die Kür – wie Führungsund Vaterrolle sich vereinbaren lassen“
Peter von Kampen ist kaufmännischer
Geschäftsführer der ZARM Fallturm-Betriebsgesellschaft mbH am Zentrum für
angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation.
Das ZARM wurde 1985 gegründet, seit 1999
ist von Kampen dort tätig. Der 1990 in Betrieb
genommene Fallturm bietet Wissenschaftlern/
innen aus aller Welt die Möglichkeit, Experimente unter Schwerelosigkeit durchzuführen.
Insgesamt sind rund 100 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter angestellt. Von Kampen ist
kaufmännischer Geschäftsführer der ZARMFallturmbetriebsgesellschaft mbH (ZARM-Fab),
deren Gesellschafterin das Land Bremen ist.
Als kaufmännischer Geschäftsführer ist er
verantwortlich für die Finanzen der ZARM-Fab
und den Betrieb des Fallturms, was von großer
Bedeutung für deren rund 20 Angestellten ist.
Darüber hinaus ist von Kampen als Vorstand
für Finanzen verantwortlich für die kaufmännischen Belange der ZARM Technik AG.
„Gleichberechtigte Partner, die
Familie und berufliches Engagement vereinbaren möchten“
2003 kommt von Kampens Tochter Carima
zur Welt. Seine Frau und er sehen sich bei
der Entscheidung über Aufgabenverteilung
als gleichberechtigte Partner, die beide Familie und berufliches Engagement vereinbaren
möchten. Peter von Kampen möchte seine
Frau Bettina, die selbstständige Optikerin ist,
in ihrer beruflichen Entwicklung unterstützen
und Zeit mit seiner Tochter verbringen, sodass er sich bewusst für ein Teilzeit-Modell
entscheidet. Diese Arbeitszeitreduzierung des
Vaters auf 30 Stunden war für Carimas Eltern
im Rahmen der Familienplanung ein „Tool“, um
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gleichberechtigt umzusetzen.
Bei der Umsetzung eines Teilzeitmodells
26
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
spielte auch die Erfahrung mit den ersten beiden Kindern aus vorherigen Partnerschaften
eine Rolle. Die Familie ist eine Patchwork-Familie, Carima das dritte Kind. Seine Frau und er
haben jeweils beide ein eigenes Kind mit in die
Ehe gebracht: „Ich bin mit 20 schon mal Vater
geworden, als Zivildienstleistender, eine ganz
spannende Zeit“, erzählt von Kampen. Damals
blieb er mit seiner ersten Tochter zuhause und
lernte, wie viel Stunden Erwerbsarbeit neben
einem Haushalt mit Kleinkind überhaupt zu
bewältigen sind. Das brachte die Erkenntnis,
dass es ‚das bisschen Haushalt‘ so nicht gibt.
Quelle: ZARM
„Mein Teilzeitmodell ist langfristig angelegt“
Aufgrund des geltenden Rechtsanspruchs
war die Umsetzbarkeit seines Teilzeitmodells
für von Kampen eine klare Entscheidung. Allerdings wäre ein Teilzeitmodell mit geringen
Wochenstunden nicht mit seinen verantwortungsvollen, vielfältigen Tätigkeiten kompatibel gewesen. So reduzierte er während des
ersten Lebensjahres seiner Tochter zunächst
auf 30 Stunden. „Ich habe am Jahresende den
Strich darunter gezogen und musste feststellen, dass ich eigentlich 35 Stunden gearbeitet hatte. Daraufhin habe ich meinen Arbeitsvertrag auf 35 Stunden erhöht, bei denen er
heute noch ist“, erklärt er. Diese sogenannte
„Vollzeit-Light“ ist langfristig angelegt, „denn
auch wenn die Lütte jetzt schon neun Jahre
ist und im nächsten Jahr in die fünfte Klasse
kommt, mache ich das ja nicht zum ersten Mal
und weiß, jemand muss da sein“.
„Es gibt die Pflicht und die Kür
– wie Führungs- und Vaterrolle
sich vereinbaren lassen“
Oder: „Kreativität vom Wickeltisch - mehr Effektivität durch Abstand zur Arbeit“
Den Wunsch seine Vaterrolle aktiv wahrzunehmen hat von Kampen im ZARM selbstbewusst
vertreten und kommuniziert, „damit letztendlich das Verständnis dafür da ist, dass der von
Kampen nicht faulenzt, sondern seine Arbeitszeit aus gutem Grund reduziert hat“, so von
Kampen. Auch die anderen haben Familien und
ein Privatleben und wissen um die Höhen und
Tiefen des Zusammenlebens, umso wichtiger
sei es, ganz offen zu erklären, um wen man
sich kümmern will und warum. Im Kollegium
nimmt er damit eine Vorreiterrolle wahr: Ein
Mitarbeiter ist seitdem nach der Geburt seines
Kindes ebenso in Teilzeit gegangen.
Auch von der Institutsleitung kam kein Gegenwind. Im Vorfeld hatte von Kampen seinem
Chef zugesichert, dass er selbstverständlich
alle Verantwortungsbereiche erfüllen würde,
denn „natürlich muss ein Jahresabschluss
fristgerecht erstellt werden, natürlich muss
ein Haushaltsplan fristgerecht abgeliefert werden“, erläutert von Kampen. Damit hat er konkret Vorschläge gemacht, wie die Verkürzung
der Arbeitszeit nicht zu gravierenden Nachtei-
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
27
len führt und Lösungen angeboten. „Es gibt
die Pflicht und die Kür“, führt er aus. Die Kür,
das sind Projekte, die Teilnahme an Ausschreibungen, die Organisation von Kongressen, die
Weiterentwicklung von Konzepten und Ideen.
Zu Beginn seiner Arbeitszeitreduzierung verzichtete von Kampen auf solche Projekte: „Da
wollte ich erst mal zurücktreten, da durfte
auch mal ein Kelch an mir vorbei gehen“, sagt
er. Verzicht und ein vorübergehendes Zurücktreten ist also durchaus möglich, so von Kampens Erfahrung. Doch gerade auch diese größeren Projekte, in die er seine Expertise einfließen lassen kann, machen Peter von Kampen
deutlich Spaß. So verwundert es nicht, dass
er im Jahre 2006 nach Peking reiste, wo es
um die Ausschreibung einer großen Konferenz ging, die er dann zusammen mit dem
damaligen Institutsleiter des ZARM und dem
Bremer Buergermeister nach Bremen holte.
Nebenbei sanierte er mit seiner Familie ein
Bremer Reihenhaus. Wie ist das machbar? „Es
ist möglich und auch nicht unmenschlich. Es
bedeutet eine hohe Identifikation mit der Arbeit
selbst wie auch mit dem Privaten - und damit
verbunden natürlich gute Organisation, Prioritäten setzen und delegieren können“, erklärt
von Kampen. Er hat sogar den Eindruck, durch
die verringerte Stundenzahl effektiver und konzentrierter zu arbeiten als bei einer Präsenszeit von 45 Stunden aufwärts. „Den gewissen
Abstand, den man hat, wenn man nicht zu viel
arbeitet: Ich habe es immer wieder geschafft,
das kreativ umzusetzen“, berichtet von Kampen, denn „auch am Wickeltisch macht man
sich natürlich Gedanken über das, was auf der
Arbeit anliegt“. Kreativität braucht Freiräume
statt Zeitvorgaben und die kann man durchaus
mal am ‚Wickeltisch‘ oder beim Spielen mit
dem Nachwuchs finden, so von Kampen.
Seine Funktion als kaufmännischer Geschäftsführer bringt eine hohe Verantwortung, aber
auch Entscheidungsfreiheit mit sich, sodass
28
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
er gewisse Aufgaben delegieren kann und die
Arbeitsorganisation neu strukturieren konnte.
An der Ausübung seiner Führungsposition in
vollzeitnaher Teilzeit wird sichtbar, dass von
Kampens aktive Vaterrolle keine Karrierebremse darstellt. Er verdeutlicht, dass er seine
langfristige berufliche Entwicklung selbst vorangetrieben hat, beispielsweise durch die Akquise von Projekten und die Entwicklung neuer
Ideen. Parallel haben sich seine Aufgaben in
der Teamleitung - trotz Teilzeit - über die Jahre
immer mehr etabliert und gefestigt.
Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie seien die flexiblen Strukturen des
ZARM sehr von Nutzen. „Die guten Strukturen
und die eher langfristigen Aufgabe der Firma
ermöglichen das auch“, so von Kampen. Anders als in der Drittmittelforschung, wo nur
befristete Verträge ausgegeben werden, sind
die meisten Mitarbeiter der ZARM-Fallturmbetriebsgesellschaft mbH Festangestellte.
Grundsätzlich sieht er die Geschäftsführung
als Stellschraube für eine erfolgreiche Vereinbarkeit: „Da kann ich sagen, ich hatte Glück,
dass die Unternehmenskultur das mitgetragen
hat. Letztendlich entscheidet eine Unternehmenskultur, welche Familienpolitik konkret umsetzbar ist.“ Am wirkungsvollsten ist natürlich,
wenn Führungskräfte gute Vorbilder in Bezug
auf Familienfreundlichkeit sind und selbstbewusst für einen eigenen Ausgleich zwischen
Beruf und Privatleben stehen.
Damit machen sie den Mitarbeitenden Mut
Angebote anzunehmen und auch eigene Teilzeitwünsche umzusetzen. Diese Vorbildrolle
kommt jetzt gewissermaßen von Kampen als
Führungskraft selbst zu.
„Wir sind gut vernetzt, nur so
funktioniert das.“
Für die erfolgreiche Vereinbarkeit von Beruf
und Familie sind laut von Kampen vor allem
„ein großes Netzwerk und eine ständige, dynamische Organisation“ notwendig. „Wir sind gut
vernetzt. Selbstverständlich haben wir eine
Ganztagesschule. Selbstverständlich ging das
Kind mit fünf Monaten schon die ersten Stunden zur Tagesmutter, nach einem Jahr war
sie dann drei bis fünf Tage die Woche da“, so
von Kampen. Der Kindergarten ging auf eine
Elterninitiative zurück, von Kampen und seine
Frau hatten sich dort beide engagiert; von
Kampen kümmerte sich naturgemäß um die
Belange des Vorstands.
Hilfreich sei bei der gleichberechtigten Arbeitsteilung der Partner, dass seine Frau Bettina
„manchmal zwei, drei Tage am Stück verkürzt
arbeitet oder unter der Woche einen Tag frei
hat, denn Geschäfte haben auch samstags,
manchmal auch sonntags auf“, erzählt von
Kampen. Am Wochenende kümmert sich Peter von Kampen dann um die Kinder und den
Haushalt.
Zudem bringt er das Kind morgens zur Schule
und holt es, in Abstimmung mit seiner Frau, oft
auch ab. Wenn er seine Tochter nicht abholt,
arbeitet er länger, denn „irgendwann muss ich
auch arbeiten“, lacht von Kampen.
Stehen Dienstreisen an, ist noch mehr Absprache und Kommunikation notwendig. „Meine
Frau ist beruflich hier in Bremen gebunden
und nimmt nur gelegentlich auswärtige Messetermine wahr. Der Fallturm steht jedoch in
einem internationalen Umfeld, ich habe Umsatzverantwortung. Das ist auch verbunden
mit entsprechender Reisetätigkeit“, erklärt von
Kampen. „Dann ist plötzlich alles bei meiner
Frau allein abgeladen.“ Daher ist die ganze Familie froh, dass die große Tochter ab und an
noch einspringen kann. „Wir kriegen das gut
aufgefangen, wir müssen viel organisieren.
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
29
Natürlich, man muss immer viel absprechen“,
so von Kampen. Das sei auch ein „ewiger Diskussionspunkt“, den man allerdings nicht überbewerten dürfe.
Ohne dieses große Netzwerk wäre die Betreuung für Carima nicht gewährleistet. In Notfällen
könne man das Kind sogar „mal in das Brillengeschäft oder in das ZARM mitnehmen, aber
das ist ja keine Lösung für 200 Arbeitstage im
Jahr“, gibt von Kampen zu bedenken.
Auch die Arbeit im Haushalt wird aufgeteilt, wobei jeder das macht, was ihm mehr liegt. Von
Kampen sieht sich nicht als „Vorbild-Koch“. Es
gäbe Männer, die kochen gern, er jedoch
nicht. Lieber kümmert er sich um die Wäsche und andere Aufgaben im Haus. Auch
hier sind Flexibilität und Dynamik wichtig, da
beispielsweise „die Geschirrspülmaschine
nicht eine Woche warten kann, bis der Herr
wieder da ist“.
Eine familienfreundliche Unternehmenskultur als Pluspunkt
im Kampf gegen den Fachkräftemangel
Von Kampen ist mit seinem Teilzeitmodell sehr
zufrieden: „Das ist natürlich ein totaler Gewinn.“ Er stellt aber nicht nur auf Seiten der
Arbeitnehmer, sondern auch auf Seiten der
30
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Arbeitgeber ein großes Benefit fest, besonders im Hinblick auf den demografischen Wandel und den damit einher gehenden Fachkräftemangel. Von Kampen geht davon aus, dass
eine Unternehmenskultur, die die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf fördert, die Attraktivität
der Unternehmen im Wettbewerb um gut qualifizierte Fachkräfte deutlich steigern würde.
„Besonders bei den Mittelständlern in Deutschland besteht die größte Chance, da sie klein
und flexibel genug sind, schnell zu agieren und
individuelle Angebote zu entwickeln“, so von
Kampen.
Damit Teilzeitmodelle mehr Anklang finden,
sieht er neben den Unternehmen noch weitere
Akteure in der Pflicht, beispielsweise Politik,
Medien und Gesellschaft. Von Kampen fordert
ein Umdenken, generell müsse die sogenannte Rush-Hour des Lebens, die Zeitspanne zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr, entzerrt
werden. Zum einen könne eine Karriere auch
später stattfinden, zum anderen dürfe eine Familiengründung für Frauen nicht ein KarriereAus bedeuten. „Frauen, die in Führungspositionen gehen können, die sowieso super gebildet sind - warum sollen die komplett aus der
Entwicklung rausgehen?“, fragt von Kampen
rhetorisch. Er sieht jedoch schon einen Wandel der Frauenrolle, er bescheinigt den Frauen
großes Können sowie das nötige Selbstbewusstsein und Ehrgeiz, weder auf Beruf noch
auf Familie verzichten zu wollen.
In vielen Wirtschaftsbereichen erkennt er noch
Handlungsbedarf, was eine familienfreundliche
Unternehmenskultur betrifft. Vorbilder in den
Unternehmen und deren aktive Darstellung
seien wichtig: Einerseits der Familienvater,
der auch in hoch qualifizierter Position Teilzeit
arbeitet, andererseits die Frau in Führungsposition, könnten beim gesellschaftlichen
Wandel hin zu einer größeren Akzeptanz von
Teilzeitmodellen helfen. Diese Bilder wiederum
müssten viel mehr durch unterschiedliche mediale Aufbereitungen öffentlich verbreitet werden. Die Politik, so von Kampen, sei für eine
bessere Familienpolitik verantwortlich, das
heißt auch für eine ausreichend entwickelte
Infrastruktur in Bezug auf die Kinderbetreuung. Die Unsicherheit, die bei der aktuellen
Diskussion um den Ausbau der U3-Betreuung
entsteht, sei nicht hilfreich. Für genauso kontraproduktiv hält von Kampen den nach wie vor
negativ belegten Ausdruck „Rabenmutter“, der
immer noch im Duden steht, ein Unikum der
deutschen Sprache. Ganz abgesehen davon,
dass Raben in Wahrheit liebevolle und sehr fürsorgliche Eltern sind.
Dennoch appelliert von Kampen auch an die
Eltern. Eine gelebte Gleichberechtigung bedeutet auch, dass Mütter mehr loslassen und
gewisse Aufgaben und damit auch Kontrolle
abgeben lernen müssten, Männer hingegen
ihr Recht auf eine aktive Vaterschaft - und Teilzeitmodelle - noch selbstbewusster einfordern
müssen: den Kollegen, den Vorgesetzten und
Chefs, aber auch den Freunden gegenüber.
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
31
„Männer müssen mutiger sein, und Frauen
müssen fordernder sein.“
Matthias Eck, 38 Jahre, Maschinenbauingenieur, Führungskraft bei Windwärts
Energie GmbH in Hannover
Als Matthias Eck 1996 bei der Windwärts Energie GmbH als Maschinenbauingenieur anfängt
zu arbeiten, ist das Unternehmen gerade mal
zwei Jahre alt und hat sechs Beschäftigte.
Alternative Energieerzeugung ist Mitte der
1990er Jahre in Deutschland noch nicht sonderlich verbreitet. Rückblickend „war das eine
sehr spannende Zeit“. Durch die geringe Größe
des Unternehmens sind alle Mitarbeiter/innen
in sämtliche Tätigkeiten und Entscheidungen
eingebunden. Matthias Eck arbeitet 40 Stunden und mehr in der Woche. Er ist aktiv daran
beteiligt, dass das Unternehmen wächst.
Die Windwärts Energie GmbH entwickelt, finanziert und betreibt Wind-, Solar- und Bioenergieanlagen im In- und Ausland. 2008 hat das Unternehmen 56 Beschäftigte und gliedert sich in die
fünf Bereiche (1) nationale Projektentwicklung,
(2) internationale Projektentwicklung, (3) Marketing und Kommunikation, (4) Finanzierung sowie
(5) Betriebsführung und Verwaltung realisierter Projekte. Matthias Eck leitet die Abteilung
internationale Projektentwicklung. Seine Aufgabe und die seines Teams ist es, im Ausland
Standorte für Wind- oder Solarenergieanlagen
zu finden, den Kontakt zu den Landeigentümern
aufzunehmen, über Landnutzungsrechte zu
verhandeln sowie die technische Bauplanung
und Genehmigungsverfahren zu koordinieren.
Zurzeit werden Projekte in Frankreich, Italien,
Griechenland, der Türkei sowie in Südamerika
geplant bzw. umgesetzt. Mehrmals im Jahr ist
Matthias Eck für seine Firma im Ausland tätig.
„Nicht nur Wochenend- und
Feierabendvater“
2004 ändert sich einiges im Leben von Matthias Eck. Er und seine Frau, die ebenfalls bei
32
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
der Windwärts Energie GmbH beschäftigt ist,
werden Eltern von Zwillingen. Zunächst ist klar,
dass seine Frau nach der Geburt der Kinder
zu Hause bleibt: „So ganz raus aus dem Beruf
wollte ich nicht. Das ist mir damals nicht in den
Sinn gekommen. In meiner Funktion als Teamleiter hätte ich es mir schwer vorstellen können.“
Nachdem seine Frau einige Zeit in Elternzeit ist,
vermisst sie den Job. Obwohl sie durchgängig
Kontakt zu Kolleg/innen hat, in Entscheidungen
eingebunden ist und auch mal mit den Kindern
im Unternehmen ist, fehlt ihr der tägliche Kontakt zu den anderen Mitarbeiter/innen und die
Arbeit selbst, mit der sie sich sehr identifiziert.
Nach neun Monaten Elternzeit kommt es zu
einer Veränderung: „Meine Frau wollte wieder
arbeiten gehen, und ich konnte es mir einfach
gut vorstellen, tageweise zu Hause zu bleiben.“
Somit steht fest „den Job, aber auch die Erziehung und die Zeit mit den Kinder zu teilen. Sie
hatte den Wunsch wieder zurück in den Beruf
zu gehen, ich hatte den Wunsch nicht nur Wochenend- und Feierabendvater zu sein.“ Das
gewählte Arbeitszeitmodell der Ecks, dass beide Teilzeit arbeiten, ist in Deutschland extrem
selten: Nur 1-2% aller Paare mit Kindern unter
18 Jahren wählen es.1
1 Klenner/Pfahl (2008): Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht - Wege aus dem Arbeitszeitdilemma, Arbeitszeiten von Müttern, Vätern und Pflegenden. S. 16-17.
Familienfreundliche Unternehmenskultur unterstützt
Nach diesem persönlichen Entschluss tritt das
Paar ans Unternehmen heran: Frau Eck will mit
zwei Tagen in der Woche wieder einsteigen,
Matthias Eck seine Arbeitszeit auf drei Tage in
der Woche reduzieren, „sodass jeden Tag jemand von uns zu Hause bei den Kindern war“.
Die Windwärts Energie GmbH stimmt diesem
Wunsch zu. Matthias Eck stand vor seiner eigenen Arbeitszeitreduzierung einer Teilzeitarbeit
durchaus kritisch gegenüber: „Ich selber habe
mich früher auch schwer damit getan, als bei
uns im Unternehmen die ersten Kollegen in Teilzeit gegangen sind.“ Mit seiner Entscheidung
für Teilzeitarbeit ist Matthias Eck kein Pionier
bei der Windwärts Energie GmbH: „Es war bei
uns im Unternehmen nicht ganz neu, dass Vä-
ter in Teilzeit gegangen sind. Vor mir gab es
schon Männer in Leitungspositionen, die nur
vier Tage in der Woche gearbeitet haben.“
Neu ist vielmehr, dass Matthias Eck zunächst
nur drei Tage in der Woche erwerbstätig sein
und gleichzeitig weiterhin Teamleiter für die
internationale Projektentwicklung bleiben will.
„Natürlich gab es eine Diskussion darüber, ob
das funktioniert, aber es war ziemlich schnell
Konsens, dass wir das machen wollen.“ Die
Teilzeitarbeit von Matthias Eck hat für die Windwärts Energie GmbH ja auch den Vorteil, dass
seine Frau wieder ins Unternehmen zurückkommen konnte: „Windwärts hat natürlich bei
mir Arbeitszeit verloren, auf der anderen Seite
aber Kapazitäten gewonnen. Vielleicht hat es
das auch ein wenig erleichtert.“
Dass die Windwärts Energie GmbH die Arbeits-
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
33
zeitwünsche der Ecks verwirklicht, hat auch
mit der familienfreundlichen Unternehmenskultur zu tun. Von den 56 Beschäftigten haben
26 Kinder unter 18 Jahren. Mit einem Altersdurchschnitt von 38 Jahren befinden sich viele
Beschäftigte noch in der Familiengründungsphase. Die Arbeit bei der Windwärts Energie
GmbH erfordert ein mittleres bis hohes Qualifikationsniveau. Das Unternehmen arbeitet von
Anfang an daran, eine Unternehmenskultur zu
entwickeln, bei der Kompetenz und Motivation
einen hohen Stellenwert haben und durch die
es gelingt, Mitarbeiter/innen nachhaltig an das
Unternehmen zu binden. Seit 2005 trägt die
Windwärts Energie GmbH das Zertifikat des
audit berufundfamilie® und baut seitdem ihre
familienbewusste Personalpolitik kontinuierlich aus. 2006 gewinnt die Windwärts Energie
GmbH den 1. Preis als „Familienfreundlicher
Betrieb in der Region Hannover“.
auch meine Verantwortung und nicht nur die
meiner Frau. Wir müssen meine Arbeit eben
so organisieren, dass es funktioniert“. Da geht
es dann auch ein bisschen um die grundsätzlichere Diskussion von Frauen- und Männerbildern. Und: Darf man das auch in Leitungsfunktion machen oder darf man es nicht? „Ich habe
deutlich gemacht, dass es keine Alternative
dazu gibt. Insgesamt hat es aber einen großen
Kampf nicht gegeben. Die Widerstände waren
nur vereinzelt vorhanden“. Unter anderem liegt
das an der besonderen Unternehmenskultur
der Windwärts Energie GmbH, wie Matthias
Eck betont: „Es geht bei uns nicht nur um die
Nachhaltigkeit in der Energieversorgung, sondern auch um die Nachhaltigkeit in Bezug auf
die Beschäftigten. Klar, wir machen Projektarbeit, da kann es sein, dass man auch mal
sechzehn Stunden arbeiten muss, um etwas
fertig zu bekommen, aber das ist nicht die
Regel. Wir versuchen es mit den Überstunden
nicht zu übertreiben, da uns klar ist, dass die
Leute das auf Dauer nicht durchhalten würden.
Wir legen viel Wert auf Mitarbeiterbindung und
haben eine sehr geringe Fluktuation bei Windwärts.“
Der Alltag mit Teilzeit und
Kinderbetreuung
Reaktionen der Kolleg/innen
Während die Führungsebene hinter dem Teilzeitwunsch von Matthias Eck als Führungskraft
steht, ist die Umsetzung auf der Kollegenebene zunächst nicht ganz reibungslos. Vereinzelt
sind die Kolleg/innen skeptisch, wie die anspruchsvolle Projektarbeit mit einer Dreitagewoche funktionieren soll. Matthias Eck leistet
Überzeugungsarbeit und bezieht eine klare Position: „Ich habe Kinder zu Hause und möchte
auch zeitweise bei diesen Kindern sein. Das ist
34
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Die Arbeitszeitreduzierung von Matthias Eck
hat eine Aufgabenumverteilung zur Folge. Zwar
ist er überzeugt, dass er seit seiner Vaterschaft
„stringenter arbeitet“, dennoch ist es notwendig, Aufgaben an andere Mitarbeiter abzugeben. Zudem sind die Kolleg/innen gezwungen,
die Kommunikation mit ihm besser zu organisieren, weil sie nicht jederzeit zu ihm kommen
können, um Rücksprache zu halten. Gleichwohl
kommt er seinen Mitarbeiter durch Erreichbarkeit und Flexibilität entgegen: „Meine Kollegen
können mich in dringenden Fällen und zu normalen Arbeitszeiten jederzeit bei mir zu Hause
oder auf dem Handy anrufen. Wenn es gerade
nicht passt wegen der Kinder, dann rufe ich sie
zurück. Außerdem rufe ich auch zu Hause regelmäßig meine E-Mails ab.“ Moderne Kommunikationsmedien wie Mobiltelefon oder Laptop
unterstützen sein Arbeitszeitmodell positiv.
Die Zwillinge wurden zwischenzeitlich an einem
Tag in der Woche von einer Tagesmutter betreut und haben mittlerweile einen Ganztagesplatz im Kindergarten. Die Kinder genießen die
professionelle Betreuung und das Zusammensein mit anderen Kindern offensichtlich sehr:
„Wenn wir sie nachmittags abholen, würden
sie manchmal gern noch ein wenig länger
bleiben. Obwohl die Kinder bis 17 Uhr im Kindergarten bleiben könnten, ist das nur eine
Option für den Fall, dass doch mal Termine
dazwischenkommen.“ In der Regel werden die
Zwillinge um 15 Uhr abgeholt. Wer die Kinder
aus dem Kindergarten abholt, ist klar geregelt:
Dienstags und freitags ist es Matthias Eck.
„Ich möchte mir die zwei Nachmittage, die ich
jetzt bei den Kindern zu Hause bin, auch nicht
nehmen lassen.“ An einem Tag in der Woche
werden die Zwillinge von ihrer Tante abgeholt,
an zwei Tagen von ihrer Mutter.
Kinderbetreuung als „gemeinsame Aufgabe“ und „geteilte
Verantwortung“
Die professionelle Kinderbetreuung ermöglicht
es Inna und Matthias Eck, ihre Arbeitszeiten
Stück für Stück wieder aufzustocken. 2008
arbeitet Inna Eck 65 Prozent, Matthias Eck 80
Prozent. „Wir haben eine klare Regelung, wann
ich für die Kinder verantwortlich bin und wann
meine Frau. Und wenn die Kinder an einem Tag
krank werden, an dem ich verantwortlich bin,
dann bleibe ich zu Hause.“ Montags, mittwochs
und donnerstags steht er dem Unternehmen
den ganzen Tag zur Verfügung. Ein bis zwei
Tage die Woche arbeitet er halbe Tage. An
diesen Tagen arbeitet er in Absprache mit seinem Team entweder im Unternehmen oder zu
Hause. Dieser aufgeteilte Rhythmus der Tage
wird nur durch Auslandreisen unterbrochen.
Acht bis zehn Wochen im Jahr ist Matthias Eck
beruflich im Ausland unterwegs. In dieser Zeit
übernimmt seine Frau die Kinderbetreuung
komplett und kann ihre Arbeitszeit dementsprechend kurzfristig reduzieren. Ansonsten
herrscht bei Inna und Matthias Eck das Prinzip der „geteilten Verantwortung“ vor, sowohl
die Kinderbetreuung als auch die Hausarbeit
teilen sie sich relativ gleichberechtigt. Zum Interview treffen wir uns an einem Donnerstag:
„Heute hat meine Frau die Verantwortung für
die Kinder, deshalb kann ich ganz entspannt
arbeiten.“
Anstrengend findet Matthias Eck manchmal
die „Rollenklärung“ innerhalb der Familie. „Meine Frau und ich haben nicht so stark unterschiedliche Rollen: Sie hat nicht die klassische
Mutterrolle, und ich habe nicht die klassische
Vaterrolle. Die Kompetenzen sind dadurch
manchmal nicht ganz klar.“ Ab und zu hat er
den Eindruck, dass es seine Kinder etwas verwirrt, dass sie mehrere Ansprechpartner haben, die das gleiche Gewicht haben und dass
nicht einer von beiden immer da ist: „Aber ich
glaube, sie lernen dadurch auch. Und ich glaube, sie schätzen es, dass wir unterschiedliche
Dinge mit ihnen machen und unternehmen.
Das bedeutet für sie mehr Vielfalt. Die kann
auf der einen Seite anstrengend, aber sie kann
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
35
eben auch sehr bereichernd sein.“
Das private Umfeld von Matthias Eck reagiert
sehr positiv auf die Teilzeitarbeit von ihm und
seiner Frau: „In meinem Freundeskreis haben
die meisten gesagt: „Es ist ja toll, dass ihr das
machen könnt. Viele haben es außergewöhnlich gefunden, dass das geht, aber nicht im
negativen Sinne.“
Wie erklärt Matthias Eck es sich, dass Teilzeitarbeit von Männern noch nicht zum Megatrend
geworden ist? „Ich glaube, es fällt vielen einfach schwer loszulassen und es wird ihnen im
Job auch schwer gemacht. Teilweise sind damit auch finanzielle Nachteile für die Familien
verbunden. Und manchmal sagt die Ehefrau
oder die Partnerin vielleicht auch nicht deutlich genug ‚Du bleibst auch zu Hause und ich
geh auch arbeiten.’ Wenn die Mütter wieder
erwerbstätig sein wollen, müssen sie selbst
die Kinderbetreuung organisieren. Die Männer
lassen die Frauen machen, aber sie nehmen
ihnen auch nicht nichts ab. Sie sehen es nicht
als gemeinsame Aufgabe, es zu organisieren,
dass beide arbeiten können.“
Form nicht kann. Aber gut, man kann irgendwie nicht alles haben.“ Eine enge Bindung zu
seinen Kindern ist Matthias Eck wichtiger als
Karriere um jeden Preis: „Ich weiß eben, dass
ich dafür mehr Zeit mit meinen Kindern habe.
Da ist eine ganz starke emotionale Bindung
da. Ich möchte gerne Zeit mit ihnen verbringen, ich möchte auch im Alltag für sie da sein
und natürlich bekommt man so auch sehr viel
mehr mit, wie sie groß werden, wie sie sich
entwickeln, wie sie lernen. Kinder können auch
anstrengend sein, gar keine Frage. Wir haben
zwei Jungs, die haben reichlich Energie, und
die können einen manchmal auch schon zur
Verzweiflung bringen, aber ich würde es nicht
anders machen, auf keinen Fall.“
Teilzeitarbeit als Karrierebrem- Teilzeitarbeit ein Modell für alle?
se? „Man kann irgendwie nicht „Die Leute müssten nur mehr
alles haben“
Mut haben, es würde gar nicht
so viel Widerstand geben.“
Welche Auswirkung hat die Teilzeitarbeit eigentlich auf die Karriere von Matthias Eck? „Ich
würde schon sagen, die Karriere ist nicht gestoppt, aber gebremst.“ Wenn er sich nach den
vier Jahren, in denen er Teilzeit erwerbstätig
ist, mit Kolleg/innen vergleicht, sieht er dass
die Kolleg/innen weitergekommen sind. Ihm
fehlt oft die Zeit, sich in neue Themen einzuarbeiten oder eine Weiterbildung zu besuchen.
„Ich sehe schon, dass andere Leute einen beruflichen oder fachlichen Sprung gemacht haben und sich mit neuen Themen beschäftigen
können. Das merke ich, dass ich das in der
36
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Matthias Eck plant gegenwärtig nicht, in
nächster Zeit wieder in Vollzeit erwerbstätig zu
sein. Der Alltag mit Kindern und Erwerbstätigkeit füllt ihn voll aus. „Letztendlich bleibt dann
neben Kindern und Beruf extrem wenig Zeit für
einen selbst übrig.“ Er würde gerne einen Tag
in der Woche komplett frei haben, um eigenen
Bedürfnissen nachzugehen und Zeit für sich
zu haben: „Dazu fehlt mir im Moment einfach
komplett die Zeit.“ Matthias Eck arbeitet gerade einen neuen Mitarbeiter ein, der einen
Teil seiner Aufgaben übernehmen soll, damit
dieser Wunsch nach mehr Zeit auch für sich
selbst die Chance auf Verwirklichung hat.
Matthias Eck ist überzeugt, dass mehr Männer Teilzeit arbeiten würden, wenn sie erstmal
auf den Geschmack gekommen wären. Bisher
ist Vollzeiterwerbstätigkeit aber noch eine
große Selbstverständlichkeit bei Männern: „Ich
könnte mir vorstellen, dass viele Männer nach
einer Auszeit gerne in Teilzeit weiter arbeiten
würden. Es ist eher schwer, ohne konkreten
Anlass aus der Vollzeitstelle auszubrechen,
sich vielleicht auch einzugestehen, dass man
auch einen Tag in der Woche ersetzbar ist und
dass andere Leute einen Teil des eigenen Jobs
erledigen können.“ Befürchtungen von Män-
nern in Bezug auf die Arbeitgeber hält er nicht
immer für gerechtfertigt: „Die Leute müssten
mehr Mut haben, es würde oft gar nicht so viel
Widerstand geben.“ Natürlich muss man sich
eine Teilzeitarbeitsstelle als Paar auch leisten
können. Aber nicht nur die Männer müssen
sich bewegen, sondern genauso die Frauen.
„Woher kommt die Selbstverständlichkeit,
dass Frauen zu Hause bleiben und Männer
arbeiten gehen?“ Damit gleichberechtigte Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit in zunehmendem Maße Wirklichkeit werden, müssen sowohl Frauen als auch Männer
sich verändern: „Männer müssen mutiger und
Frauen müssen fordernder sein.“
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
37
„Ich verbinde mit männlich sein oder Mann sein
eben nicht 15 Stunden am Tag zu arbeiten.“
Markus Zimmermann, 41 Jahre, Pflegemanager und Public Health M.A., Qualitätsmanager bei der Arbeiterwohlfahrt
Bremerhaven
Eigentlich wollte Markus Zimmermann nie heiraten. Und er wollte keine Partnerin, die raucht,
Krankenschwester und jünger ist als er. Es ist
anders gekommen: Melanie Zimmermann ist
jünger, hat eine Ausbildung als Krankenschwester und raucht. Jedoch nicht zurzeit, denn sie
stillt Anneke. Anneke ist im September 2008
geboren und das zweite Kind von Markus und
Melanie Zimmermann.
Lust an Teilzeiterwerbstätigkeit
– „Dafür sind mir andere Sachen
zu wichtig“
Teilzeiterwerbstätigkeit ist für Markus Zimmermann nicht erst seit der Geburt seiner Kinder
von Bedeutung. Sie hat eine lange Tradition in
seiner Berufsbiografie. Nach einer Ausbildung
als Krankenpfleger arbeitet er zwölf Jahre auf
einer Intensivstation mit dem Schwerpunkt Dialyse am Universitätsklinikum Göttingen. Parallel
macht er in dieser Zeit eine Fachweiter-bildung
für Intensivkrankenpflege. 1998 startet er
sein Studium „Internationales Pflegemanagement“ an der Hochschule Bremen. Ebenso wie
Melanie, die Frau, für die er den Vorsatz nicht
zu heiraten, aufgegeben hat. Nach einem Auslandsaufenthalt in Südafrika und dem er-folgreichen Abschluss als Pflegemanager fängt
Markus Zimmermann ein zweites Studium an.
Von 2002-2005 absolviert er das berufsbegleitende Aufbaustudium Gesundheitswissenschaft an der Universität Bremen. Während
seiner Studienzeiten ist er weiter in Teilzeit erwerbstä-tig. Nach dem Pflegemanagementstudium und während des Public Health Studiums
ist er beim Arbeitersamariterbund im Bereich
Qualitätsmanagement erwerbstätig. Teilzeiterwerbs-tätigkeit war also für ihn die Möglich-
38
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
keit, sich weiterzuqualifizieren und gleichzeitig
ein Einkommen zu haben.
„Ein Auswahlkriterium für einen
Arbeitgeber ist für mich einfach
auch, dass er familienfreundlich
sein muss.“
Seit vier Jahren ist Markus Zimmermann bei
der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bremerhaven in
Teilzeit beschäftigt. Dort steigt er zunächst ein
im Bereich Gesundheitswirtschaft und wechselt dann zum Qualitätsmanagement, einer
Stabsstelle, die direkt bei der Geschäftsführung angesiedelt ist. Durch den Zuwachs an
sozialen Problemen und Armut in Deutschland
ver-sucht die AWO Bremerhaven Menschen,
die von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung, Diskriminierung oder Pflegebedürftigkeit
betroffen sind, zu stärken und zu unterstützen.
Die AWO Bremerhaven erbringt Dienstleistungen der verschiedensten Art: in der Kindergartener-ziehung, der Sprachtherapie für Kinder
und Erwachsene, der Kinder- und Jugendhilfe,
der Sozialberatung für Migrant/innen und der
Flüchtlingsarbeit. Auch Sucht- und Drogenarbeit, Sozialpsychiatrie, Altenhilfe und Qualifizierung sind Kernaufgaben der AWO Bremerhaven. Mit über 1.000 Beschäftigten und mehr
als 70 Diensten und Einrichtungen ist die AWO
Bre-merhaven einer der großen Arbeitgeber/
innen Bremerhavens.
Die Aufgabe von Markus Zimmermann bei der
AWO Bremerhaven ist, dass die vielfältigen
Dienstleistungen professionell auf einem
hohen qualitativen Niveau erbracht werden.
Dazu gehören beispielsweise Zertifizierungen
und Audits im Qualitätsmanagement. Diese
sind häufig zwingende Voraussetzung, um die
Dienstleistungen erbringen zu können und um
Projekt- und Drittmittel zu beantragen. Zudem
analysiert und optimiert er Arbeitsprozesse
innerhalb der Einrichtungen und treibt die
Organisationsentwicklung der AWO Bremerhaven voran.
Obwohl Markus Zimmermann mit seiner Fa-
milie in Bremen wohnt, hat er die AWO Bremerhaven bewusst als Arbeitgeberin gewählt.
Dass die AWO Bremerhaven nicht nur eine
teilzeit-freundliche, sondern auch ein familienfreundliche Arbeitgeberin ist, zeigt sich für ihn
spätestens bei der Geburt von Neele im Jahr
2006. Nach der Geburt bleibt zunächst seine
Frau zu Hause. Sie leitet einen ambulanten
Pflegedienst, „sie ist da die Chefin“. Drei Monate nach der Geburt von Neele steigt sie mit
einem Tag in der Woche wieder beruflich ein.
Das funktioniert, weil Markus Zimmermann ohnehin in Teilzeit erwerbstätig ist. 2007 macht
er dann vier Monate „Vollzeit Elternzeit“ und
fängt dann wieder mit zwanzig Stunden an.
Das annährend gleiche Gehalt der beiden Elternteile und der Erwerbswunsch von Melanie
Zimmermann sind aber nicht die einzigen Gründe für die Elternzeit von Markus Zimmermann
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
39
Elternzeit: „Für mich war immer klar, dass ich
zu Hause bleibe und auch nicht wenig.“ Und:
„Ich würde nicht bei der AWO arbeiten, wenn
die etwas gegen meine Elternzeit hätten.“
„Das neue Elterngeld ist echt
klasse.“
Von Mai bis Oktober 2009 wird Markus Zimmermann erneut in Elternzeit gehen, diesmal
fünf Monate für seine zweite Tochter Anneke.
Während seiner ersten Elternzeit 2007 beziehen die Zimmermanns bereits kein Erziehungsgeld mehr, sodass sie die vier Monate Elternzeit mit einem Gehalt überbrücken müssen.
Das ist nicht einfach, denn vor drei Jahren
haben sie sich ein Haus gekauft. Bei der zweiten Elternzeit stellt sich die finanzielle Situation
durch das 2007 eingeführte Elterngeld deutlich besser dar.
Besonders freut sich Markus Zimmermann
auf den Mai 2009. Da haben seine Frau und
er nämlich noch einen Monat überlappend Elternzeit und werden mindestens drei Wochen
mit den beiden Kindern im Wohnmobil seiner
Schwiegereltern unterwegs sein, „weil wir
wahrscheinlich nie wieder so lang am Stück
gemeinsam Urlaub machen können.“ Im Juni
2009 wird Melanie Zimmermann wieder in Vollzeit die Leitung des ambulanten Pflegedienstes übernehmen.
Der Alltag der Zimmermanns „Man muss mir auch nicht sagen, dass der Windeleimer voll
ist.“
Momentan arbeitet Markus Zimmermann
durchschnittlich dreißig Stunden pro Woche
für die AWO Bremerhaven, manchmal gibt er
zudem als freiberuflicher Dozent Unterricht.
Seine Frau ist während ihrer derzeitigen Elternzeit nicht erwerbstätig. Trotzdem ist Markus
Zimmermann nicht in Vollzeit erwerbstätig:
„primär wegen der Fahrtzeiten“. Jede Woche
muss er für den Arbeitsweg ca. zwölf Stunden investieren. Die Wochentage beginnen mit
einem gemeinsamen Frühstück, dann bringt er
Neele in die Krippe. Neele geht mit Vergnügen
in ihre Kinderbetreuungseinrichtung: „Ihr tut
das gut, die braucht das. Die geht da total gerne hin. Neele hatte jetzt gerade eine Woche
Windpocken und gestern war sie schon wieder
so gesund, dass sie sich mit uns langweilt. Wir
können ihr nicht das bieten, was die Kita ihr
bietet. Die braucht die Auseinandersetzung
mit anderen Kinder.“
Während sich seine große Tochter in der Krippe
vergnügt, steigt er von Montag bis Donnerstag
in den Bus und Zug Richtung Bremerhaven. Er
versucht immer gegen 17 Uhr wieder zu Hause zu sein, da Neele um 19 Uhr ins Bett geht,
„da würde ich gern einfach noch mal was von
mitbekommen.“ Die verbleibenden Stunden
seiner 30 Stunden Stelle kann er am Freitag
40
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
haben. „Man muss mir auch nicht sagen, dass
der Windeleimer voll ist. Was mich z. B. immer
nervte bei den anderen Vätern, dass die Frauen denen sagen mussten: ‚Jetzt geh mal das
Kind wickeln.’ So was wollte ich nie.“
Reaktionen auf den Vater in Elternzeit im Unternehmen und
im Privaten
von zu Hause aus erledigen. „Mein Chef lässt
mir sehr viele Freiheiten, was die Arbeitszeitgestaltung angeht. Ich kann zu Hause arbeiten. Erfahrungsgemäß ist die Arbeitszeit de
facto dann meistens etwas mehr“ als 30 Stunden in der Woche. Es gibt auch Phasen, in denen Projekte abgeschlossen werden müssen,
z.B. Qualitätsmanagementzertifizierungen von
Einrich-tungen der AWO Bremerhaven, wo er
auch mal 50 Stunden in der Woche arbeiten
muss. Er versucht dann trotzdem um 17 Uhr
zu Hause zu sein und arbeitet „dann eben von
acht bis elf von zu Hause, wenn die Kinder im
Bett“ sind. Dann gibt es aber Phasen, wo er
wieder etwas „runterfahren“ kann. Erleichtert
wird seine Arbeitszeitflexibilität durch seinen
Laptop, der sein täglicher Begleiter ist.
Bei der Hausarbeit haben die Zimmermanns
keine Hilfe von außen. Während der Elternzeiten engagiert sich immer der Partner stärker bei der Hausarbeit, der nicht oder geringer erwerbstätig ist. Da Melanie Zimmermann
zurzeit zu Hause ist, heißt das, sie macht den
überwiegenden Teil der Hausarbeit. Wenn er
wieder in der Elternzeit geht, übernimmt er
das. Beide haben ihre favorisierten Bereiche in
der Hausarbeit: „Sie macht die Wäsche besser,
ich koche besser.“ Putzen tun sie häufig auch
gemeinsam: „Ich putze eigentlich total gerne,
ich finde das angenehm, weil ich bei der Arbeit
nur Kopfarbeit machen muss.“ Vorteilhaft ist,
dass sie ähnliche Vorstellungen von Ordnung
„Mein Chef fand das gut, begrüßt das“ kommentiert Markus Zimmermann die Reaktion
sei-nes Chefs auf die Elternzeit. Der Geschäftsführer der AWO Bremerhaven und gleichzeitig
sein direkter Vorgesetzter unterstützt auch die
zweite Elternzeit erneut.
Die Reaktionen auf seine erste Elternzeit bei
den anderen Kolleg/innen der AWO Bremerhaven sind „eher positiv“. Die AWO Bremerhaven
fördert einen frühen Wiedereinstieg von Frauen
nach der Geburt und akzeptiert den Wunsch
von Vätern nach Elternzeit. Der ist aber noch
selten. Circa siebzig Prozent der Belegschaft
sind Frauen. Schmunzelnd sagt Markus Zimmermann: „Jetzt kennen sie auch mal einen
Mann, der zu Hause geblieben ist. Die meisten
Männer bleiben ja doch nicht zu Hause.“ Als
sich jetzt Anneke ankündigte, war es für die
Kolleg/innen „schon selbstverständlich, dass
ich wieder in Elternzeit gehe.“
Während seiner viermonatigen ersten Elternzeit und seiner kommenden fünfmonatigen
Elternzeit wurde bzw. wird niemand für seine
Position eingestellt. Kolleg/innen übernehmen
bestimmte Aufgaben, und er selbst übergibt
den Einrichtungen und Diensten während seiner Elternzeiten mehr Aufträge, damit sie ihr
Qualitätsmanagement auch ohne seine direkte
Unterstützung vorantreiben. Elternzeit bedeutet für Markus Zimmermann, noch besser
wesentliche von unwesentlichen Dingen zu unterscheiden: „Es bleiben dann einfach Sachen
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
41
liegen, von denen ich denke, die sind auch
nicht so relevant.“
Jedoch kennt er Männer, denen es der Arbeitgeber nicht so einfach macht, in Elternzeit zu
gehen. Ein guter Freund von ihm, der Arzt ist
und vor fünf Jahren plante eine familienbedingte Auszeit zu nehmen, wurde von Seiten des
Unternehmens gefragt, ob er private Probleme
hätte, dass er zu Hause bleiben müsste. Er
hat dann keine Elternzeit gemacht. Frauen
und Männer sind in Bezug auf Elternzeit aus
Markus Zimmermanns Perspektive überhaupt
nicht gleichberechtigt. Elternzeit bei Männern
birgt immer Konfliktpotenzial oder zumindest
Dis-kussionsstoff: „Bei Frauen stellt sich die
Frage nicht, ob sie zu Hause bleiben oder
nicht. Oder sie müssen eben zu Hause bleiben. Bei Frauen diskutiert das gar keiner. Da
ist es okay, wenn sie in Elternzeit gehen und
länger nicht da sind.“
In seinem privaten Umfeld ist niemand überrascht, dass Markus Zimmermann Elternzeit
in Anspruch nimmt. „Die Reaktionen waren immer nur positiv, aber ich strahle auch nichts
anderes aus. Selbst als ich noch keine Kinder
hatte, noch nicht verheiratet war, war immer
die Aussage, wenn ich Kinder habe, dass ich
dann auch einen Teil zu Hause bleiben will.“ Für
ihn ist es ein kostbarer Schatz, die Entwicklung intensiv mitzuerleben: „Mir war immer
wichtig, wenn wir Kinder haben, dass ich dann
42
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
auch da bin, um das auch mitzubekommen.“
Die Entwicklung der zweieinhalbjährigen Neele
verläuft gerade so schnell, dass er es nicht
verpassen will, welche neuen Wörter sie benutzt oder jetzt schon ganze Sätze bildet.
Markus Zimmermann selbst hatte bis zu seiner Pubertät einen „Wochenendvater“. Sein
Vater war unter der Woche auf Montage, sodass seine Mutter hauptsächlich die Erziehung
übernahm. Durch die größere Präsenz seines
Vaters ab der Pubertät verbesserte sich auch
ihr persönliches Verhältnis. Seine Eltern finden
seine Art des Lebens positiv.
Teilzeiterwerbstätigkeit und
Elternzeit – ein Modell für alle
Väter? „Ich glaube, ein Großteil
der Männer will es nicht.“
„Das Argument von vielen Männern ist ja immer: ‚das geht bei mir nicht im Betrieb’.“ Markus Zimmermann meint, dass dieses Argument
von vielen Männern nur vorgeschoben ist. Für
ihn hat das primär mit dem Wollen zu tun: „Ich
glaube, ein Großteil der Männer will es nicht.
Dann gibt es Studien, die sagen, dass Männer
in Schichten heiraten oder sich eine Partnerin
aussuchen, die sozial schlechter gestellt ist.
Dann stellt sich die monetäre Frage erst gar
nicht. Das Hauptargument früher war ja immer:
‚meine Freundin bzw. meine Frau verdient ja
viel weniger als ich.’ Wenn Männer sowieso
immer in niedrigere monetäre Schichten heiraten, mag das sein. Mein Eindruck ist aber, dass
das ganz oft nur vorgeschoben ist.“ Aber die
Gründe für die fehlende Beteiligung der Männer sind auch bei den Frauen zu finden. Auch
hier entdeckt Markus Zimmermann, dass viele
Frauen traditionelle Rollen gar nicht aufbrechen
wollen: „Meine beste Freundin findet es auch
ganz schön, zu Hause sein zu dürfen und der
Mann bringt die Kohle ran.“ Viele Frauen „finden
das Mutterleben ganz schön, so anstrengend
es auch ist.“ Aber auch wenn Markus Zimmermann in seinem Freundeskreis der Einzige ist,
der zu Hause geblieben ist und Teilzeit arbeitet,
findet er doch, dass es mehr „engagierte Väter“ als früher gibt, die nicht nur für ihren Beruf
leben und sich nicht nur hauptsächlich in der
Rolle des Geldverdieners sehen.
Teilzeiterwerbstätigkeit passt nicht zum vorherrschenden Lebensentwurf und Selbstbild
von Männern, von dem sich Markus Zimmermann abgrenzt: „Ich verbinde mit männlich sein
oder Mann sein eben nicht 15 Stunden am Tag
zu arbeiten. Auch früher habe ich schon gedacht, wenn ich eine 70 Stunden Woche habe,
dann kann etwas nicht stimmen. Viele machen
sich so unentbehrlich, dass sie meinen, sie
müssen da 70 Stunden abhängen.“ Was verbindet er selbst stattdessen mit Mannsein? „Zu
Hause eben auch eine aktive Rolle zu übernehmen und einen aktiven Teil an der Erziehung
meiner Kinder mitgestalten zu können und das
beinhaltet letztlich in bestimmten Bereichen für
einen gewissen Zeitraum zurückzustecken.“
Ganz anders als andere Männer sieht er sich
jedoch nicht, denn er ist beispielsweise begeisterter Werder Bremen Fan und trinkt auch
gerne mal ein Bier.
geklappt, was ich mir vorgenommen habe.“
Wird Markus Zimmermann eigentlich je wieder in Vollzeit erwerbstätig sein? „Nein, ich
glaube, ich werde nie wieder Vollzeit arbeiten.
Dafür sind mir andere Sachen zu wichtig.“ Bei
einem Lottogewinn würde er sofort aufhören,
erwerbstätig zu sein und stattdessen „in Ruhe
promovieren und mindestens zwei Jahre mit
meiner Familie wegfahren, vielleicht auch länger.“ Für ihn ist frei verfügbare Zeit ein kostbares Gut: „Freizeit ist mir wichtig und Freizeit im
Moment heißt Zeit mit der Familie. Am wenigsten Zeit bleibt gerade für mich.“ Er freut sich
schon auf die Zeit, wo seine eigenen Hobbys
Carrerabahn fahren, Laufen, Rennradfahren
und Klettern wieder an Bedeutung gewinnen.
Seine eigene zukünftige berufliche Entwicklung sieht Markus Zimmermann selbstsicher
und gelassen. Aus seiner Erfahrung und Beobachtung geht Karriere durch Teilzeiterwerbstätigkeit nicht so schnell, da er zum Beispiel
nicht so viele Projekte machen und sich dementsprechend nicht ständig profilieren kann.
Mittelfristig möchte er in eine Position, in der
er noch mehr Verantwortung übernehmen
kann. Die AWO Bremerhaven entwickelt sich
ständig weiter, insbesondere der Qualitätsmanagementbereich. Er ist optimistisch, dass
sich etwas Positives für ihn ergibt. „Ich kann
nicht sagen, dass ich so eine richtige Karriereplanung habe, aber bis jetzt hat das immer gut
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
43
Im Einsatz als aktiver Vater: „Ich habe es nie
bereut. Es hat sehr, sehr viel Spaß gemacht
und macht auch noch viel Spaß.“
Christian Reil, Offizier und Kapitänleutnant bei der Deutschen Marine, ist 39
Jahre alt.
Seine Frau ist Anwältin für Steuerrecht in einer Bremer Anwaltssozietät. Sie haben einen
gemeinsamen Sohn, Alexander Charles. Er ist
fast drei Jahre alt. Alexander wächst zweisprachig auf, sein Vater spricht ausschließlich englisch mit ihm seine Mutter deutsch.
Seine Laufbahn bei der Deutschen Marine
beginnt Christian Reil 1989, direkt nach dem
Abitur, bei der Bundeswehr als Offizieranwärter an der Marineschule Mürwik in Flensburg.
Die Deutsche Marine ist eine Teilstreitkraft der
Deutschen Bundeswehr.
Ab 1990 studiert Christian Reil dreieinhalb Jahre Betriebswirtschaft an der Bundeswehruniversität in Hamburg, wo er das Studium 1994
erfolgreich beendet. Nach der Ausbildung für
Marineoffiziere zum Führungstraining sowie
taktisch-operativem Training fährt er ab Ende
1995 für zwei Jahre auf der Fregatte „Rheinland-Pfalz“ zur See. Die Fregatte „RheinlandPfalz“ ist ein Schiff der Bremen-Klasse mit der
Hauptaufgabe U-Boot-Bekämpfung. Zunächst
dient Christian Reil als Decksoffizier in einem
Bereich mit etwa 25 Soldaten, die ihm unterstellt sind. Im Anschluss ist er zwei Jahre als
deutscher Soldat bei der niederländischen
Marine tätig, um sich danach als U-Boot-Jagd
44
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Offizier zu qualifizieren. In den kommenden
Jahren bis 2000 ist Christian Reil erneut auf
einem deutschen Kriegsschiff als Offizier in
der Operationszentrale tätig, wo er die Hauptverantwortung für den Bereich der U-Boot-Jagd
inne hat. Im Jahre 2001 wechselt er an die
Marineoperationsschule nach Bremerhaven,
um dort seine Lehrtätigkeit zu beginnen. Die
Marineoperationsschule ist die zentrale Ausbildungseinheit der deutschen Marine für Taktik
und Operation. Schwerpunkt seiner hochqualifizierten Tätigkeit ist die Ausbildung von Offizieren als Führungsorgane der Deutschen
Marine.
Arbeitszeitverkürzung: ein gemeinsamer Entscheidungsprozess
Die Entscheidung, seine tägliche Arbeitszeit zu
verkürzen und jenseits des tradierten Modells
der männlichen Vollzeiterwerbstätigkeit andere Arrangements zu finden, ist ein langwieriger
Prozess. Er beginnt bei Stephanny und Christian Reil schon weit vor der Geburt ihres Sohnes
Alexander. Im Rahmen der Offizierausbildung
bei einem weiterbildenden Lehrgang qualifiziert
sich Christian Reil 2002 für die Auswahl zum
Admiralsstabsoffizierlehrgang. „Danach stand
die Frage, Admiralstabsausbildung oder nicht
im Raum, und da sind meine Frau und ich so
ein bisschen ins Grübeln gekommen. Wie stellen wir uns eigentlich unsere nicht nur nähere,
sondern etwas fernere Zukunft vor?“ Christian
Reil und seine Frau sind sich einig, dass sie
gerne ein Kind haben möchten. Sie sind beide
als Einzelkinder aufgewachsen und möchten
dieses für sie positiv geprägte Familienbild
fortführen. Für die Familie stellt sich die Frage,
was die beste Option sein wird, ein zwischen
beruflichen Verpflichtungen und Möglichkeiten
sowie familiären Wünschen ausgeglichenes
Leben zu führen. Die Admiralstabsoffizierausbildung als hochqualifziertes Training für strategische Führungsaufgaben sieht einen häufigen Wechsel von Dienstorten vor. Das gibt
den beiden zu denken: „Da haben wir einfach
mal geguckt, was passiert, wenn jetzt meine
Frau Karriere macht, und wir haben festgestellt, dass das höchstwarscheinlich besser
bezahlt und definitiv deutlich ortsstabiler ist.“
Und die Reils wollten unbedingt im Großraum
Bremen bleiben.
Das ist der erste Schritt zu der Entscheidung
für Christian Reil, die Admiralstabsoffizierausbildung nicht anzustreben. Nach der Geburt
von Alexander Charles im Jahre 2006 ist die
logische Konsequenz dieser Entscheidung,
dass es der Vater sein wird, der fünf Monate
Elternzeit nimmt. „Es hätte vom Denken her
nicht gepasst, zu sagen, meine Frau macht
jetzt drei Jahre Elternzeit, da wir gemeinsam
entschieden haben, dass sie sich ganz auf ihren Beruf konzentrieren kann und ich darauf
verzichte, als Stabsoffizier von Pontius nach
Pilatus versetzt zu werden.“
Es ist für die Reils dann ganz normal, dass
Stephanny Reil direkt nach dem gesetzlichen
Mutterschutz gleich wieder arbeiten geht.
„Dann habe ich hier zu Hause das Regiment
mit dem Zwerg übernommen.“ Christian Reil
war am Anfang sehr überrascht, wie anstrengend das ist. Er hatte sich seinen Einsatz als
aktiver Vater deutlich entspannter vorgestellt.
Vor allem die ersten Wochen erlebt er als
große Herausforderung und ist abends froh,
wenn seine Frau endlich nach Hause kommt.
„Man muss erst lernen, auf die Signale eines
Kindes zu achten. Da hatte meine Frau natür-
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
45
lich drei Monate Wissensvorsprung, den man
auch nicht so vermitteln kann.“ Aber nach ein
paar Wochen erkennt auch Christian Reil die
Signale und deren Bedeutung, weiß, wann es
Hunger ist, irgendwo piekst oder einfach nur
Müdigkeit ist. „Ich habe es nie bereut. Es hat
sehr, sehr viel Spaß gemacht und macht auch
noch viel Spaß.“
Die fünf Monate beruflicher Auszeit von Christian Reil setzen sich aus gespartem Urlaub sowie zwei Monaten regulärer Elternzeit zusammen, in denen Christian Reil auf den Lohn verzichtet. So sind die finanziellen Auswirkungen
relativ gering. Im Jahre 2006 ist noch nicht das
jetzt gültige Elterngeld verfügbar, bei der seit
01.01.2007 der Staat in Form einer Lohnersatzleistung zwei Drittel des Nettoeinkommens
erstattet. Im Anschluss an die familienbedingte
Auszeit kehrt Christian Reil in Teilzeit mit 85%
der vorherigen Vollzeitstelle wieder in seinen
Beruf zurück. Der neun Monate alte Sohn Alexander kommt in eine Krippe. Überrascht ist die
Familie von den hohen Krippenkosten. Werden
die Krippenkosten mit dem geringeren Lohn
durch die Teilzeit sowie den anfallenden Fahrtkosten nach Bremerhaven gegenüber gestellt
bzw. aufgerechnet, verbleibt nur ein deutlich
geringerer Anteil an verfügbarem Lohn. Dabei
verdient Christian Reil nicht schlecht. Es wird
klar, dass für viele Geringverdiener/innen ein
Ausstieg eine attraktive Variante wird. „Für die
500 Euro netto kannst du auch zu Hause bleiben,“ gibt anfangs seine Frau zu bedenken.
Sie entscheiden sich dann aber doch für einen
Krippenplatz, da der Sohn als Einzelkind dort
die Chance bekommen soll, das soziale Miteinander zu lernen. Gleichzeitig scheint ein kompletter Ausstieg für Christian Reil zu riskant, zu
viel müsste wieder nachgeholt werden. „Dann
müsste ich ja fast mit der Grundausbildung
wieder anfangen.“ Sohn Alexander geht von
nun an täglich von 7:30 bis 15.30 in eine Krippe. „Dort fühlt er sich auch pudelwohl“ so der
Vater. Er führt es darauf zurück, dass Alexander noch vor der Fremdelphase, wenn Kinder
bei keinem anderen als bei den Eltern auf den
Arm sein wollen, den Krippenplatz bekommt.
„Mama geht zur Arbeit, Papa geht zur Arbeit
und Alexander geht zur Arbeit – jeder hat seinen Job“ sagen die Reils. Und das kommt an
und lässt die Stunden in der Krippe für Alexander zu einer ganz normalen Angelegenheit
werden.
Christian Reil hat mit seiner Teilzeittätigkeit
auch einen Tag Telearbeit ausgehandelt, den
er sich auf den Freitag legt. Dafür hat er von
der Dienststelle einen Arbeitsplatz mit Laptop
eingerichtet bekommen. Den Tag genießt er
sehr, da ihm das noch mehr Zeit für das Zusammensein mit seinen Sohn ermöglicht.
46
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
„Wäre doch gelacht, wenn wir
nicht noch ein paar Windmühlen
finden würden.“
Teilzeit in Kombination mit Teleheimarbeit
hat es bis dahin bei Offizieren der Deutschen
Marine noch nicht gegeben. Obwohl es ein
Präzedenzfall ist, bekommt Christian Reil vollste Unterstützung von seinen Vorgesetzten
bei der Umsetzung seines Wunsches, Teilzeit
zu arbeiten und gleichzeitig einen Tag in der
Woche Teleheimarbeit praktizieren zu dürfen.
„Mein Vorgesetzter griente mich zuerst an, er
hat so eine ‚Don Quijoten Mentalität’ und meinte
scherzhaft: „wäre doch gelacht, wenn wir nicht
noch ein paar Windmühlen finden würden.“
Reils Vorgesetzter entpuppt sich als einer derjenigen, die gerne dabei sind, wenn was Neues
passiert. Er formuliert ausführliche Kommentare und Stellungnahmen zur Begründung des
Anliegens, opfert die eine oder andere Stunde
seiner Freizeit und kommt zu dem Fazit: Teilzeit ist auf dem Dienstposten umsetzbar.
Kritischer betrachtet wurde die Angelegenheit
von der personalbearbeitenden Stelle in Köln.
Man hatte dort Sorge, bei der Präzedenz etwas falsch zu machen. Das Antragsprocedere
ist daher langwierig und führt dazu, dass dem
Elternteilzeitantrag erst nach dem ersten Geburtstag des Sohnes stattgegeben wird. Der
gesamte Prozess vom Erstantrag bis zur Bewilligung dauert schließlich 19 Monate. Viele
rechtliche Details sind zu prüfen wie beispielsweise das Vollzeitvolumen, das zur Berechnung
der Teilzeitstelle zu Grunde gelegt werden soll,
da die Marine unterschiedliche, einer Vollzeitstelle entsprechende, Grunddienstzeiten hat.
Insgesamt charakterisiert Christian Reil das
Vorgehen als „richtigerweise“ sehr vorsichtig,
was der mangelnden Erfahrung mit der Umsetzung von Teilzeit bei der Marine geschuldet ist.
„Das neue Spielfeld musste erst einmal abgesteckt werden, wir mussten alle was lernen.“
Christian Reil beschreibt seinen Präzedenzfall
als logische Konsequenz einer Öffnung der Marine für Frauen. Viel hat sich in der Bundeswehr
geändert, seit 2000 die erste deutsche Frau
ihre Klage, in die Streitkräfte aufgenommen
zu werden, bis zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgebracht hat. Ihr Anwalt,
den ihr der Bundeswehrverband an die Seite
gestellt hatte, klagte unter Berufung auf das
europäische Gebot der Gleichbehandlung der
Geschlechter. Und gewann: Der Europäische
Gerichtshof verwarf die Personalpolitik der
Bundeswehr als Frauendiskriminierung. Seit
2001 sind Frauen nun zum Waffendienst zugelassen. Vorher war es den Frauen nur möglich,
im Sanitätsdienst oder im Militärmusikdienst
Soldatin zu werden. Insgesamt dienen heute
rund 13.600 Frauen bei den Streitkräften der
Bundeswehr, das sind etwa 8%. Damit wurden die Rahmenbedingen geschaffen, dass
sich die Frauen bei der Bundeswehr nach der
deutschen Sozialgesetzgebung verhalten können und ihre Rechte etwa bei Elternzeit oder
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
47
Elternteilzeit voll ausschöpfen können. „Frauen
die Türe zu öffnen und im nachhinein zu sagen,
die Gleichbehandlung von Männern und Frauen
gilt hier aber nicht, das ist natürlich nicht möglich.“ Und da konnte es auch nicht mehr lange
dauern, bis der erste Kerl – und das war eben
ich – sagt, stopp mal, wie sieht das eigentlich für mich aus?“ Christian Reil beruft sich
auf das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz, das Ende 2004 in Kraft trat. Die
Verwaltungsvorschriften besagen, dass auf
einem Dienstposten, der im Marinefall ein nicht
See gehender Posten ist, Teilzeit nicht ausgeschlossen werden darf. Nach dem Gesetz ist
die Dienstelle aufgefordert, Arbeitszeiten und
sonstige Rahmenbedingungen anzubieten, die
Soldatinnen und Soldaten die Vereinbarkeit von
Familie und Dienst erleichtern, soweit wichtige
dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Bei
einer Tätigkeit, in der die Umsetzung nicht
möglich ist, ist die Marine gehalten, eine Querversetzung auf einen gleichwertigen Posten zu
ermöglichen. Das war bei Christian Reil aber
gar nicht notwendig.
48
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Hat sich das Aufgabenvolumen von Christian
Reil geändert mit dem Übergang in Teilzeit? „Offiziell heißt es, dass im Rahmen der Teilzeit von
85% einer Vollzeitstelle nicht 100% gemacht
werden dürfen.“ Die Umsetzung der Teilzeit
fällt bei Reil in eine insgesamte Umstrukturierungsphase der Personallandschaft bei den
Dienstposten der Marine. Alle Dienstposten
erfahren eine Veränderung ihres Aufgabenspektrums. Seine persönliche Quintessenz ist:
Seine aktuellen Aufgaben sind in 85% Teilzeit
gut zu schaffen. „Es passt einfach.“ Teilzeit
kann bei der Marine bis zu 12 Jahre ausgeübt werden, ob Christian Reil diesen Zeitraum
ausreizen wird oder vorher wieder in Vollzeit
zurückkehrt, ist zum heutigen Zeitpunkt noch
nicht entschieden.
„Den ‚bunten Hund Status’ habe
ich natürlich schon hier.“
Einige Kollegen belächeln am Anfang das neue
Teilzeitmodell, aber der „Faulheit“, wurde Reil
nie verdächtigt. „Die Standardsprüche waren
dann: ‚Wie du noch hier?’ Da muss man dann
ganz tapfer sein. Aber dafür werden wir hier ja
bezahlt.“ Es sind vor allem die älteren Kollegen,
die damit nichts anfangen können, bei denen
das Modell nicht in die Rollenvorstellung und in
den eigenen Erfahrungshorizont passt. Ganz
anders die nachrückende, jüngere Generation,
die sich (fast) von Anfang an aufgeschlossen
gegenüber Christian Reils Arbeitszeitmodell
zeigt. Mehr noch: Er ist als Präzedenzfall in
der Deutschen Marine schon so bekannt, dass
ihn zurzeit ein bis zwei Anrufe pro Woche von
Kameraden erreichen, die sich nach seinen
Erfahrungen mit Elternzeit und Teilzeit erkundigen, Informationen zum rechtlichen Rahmen
bekommen möchten oder einfach nur neugierig sind. „Ich hab das schon mal gehabt, dass
hier Lehrgangsteilnehmer vorbeigekommen
sind, die sagen, ‚Oh, Sie sind das also!’“
in Potsdam ist, haben wir auch nichts davon in
der Familie. Im Gegenteil: wir sehen uns nur
weniger. Wenn hier beide die Ambition hätten,
Karriere zu machen, dann bleibt bei unseren
Berufen die Familie auf der Strecke. Der Zwerg
braucht Zeit, braucht Aufmerksamkeit und
Muße. Die können sie ihm nicht geben, wenn
sie abends um acht nach Hause kommen. Da
muss der nämlich schlafen.“
Reils Überzeugung ist es, dass vor dem Hintergrund der beruflichen Herausforderungen
einer hochqualifzierten Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei und einer bei der Deutschen
Marine nur eine/r der beiden Karriere in Vollzeittätigkeit machen kann. „Aber ich stecke ja
dadurch nicht zurück, ich komme mir ja nicht
minderwertig vor. Man muss halt das Wir-Denken in der Familie einführen. Und das bedeu-
Wie wirkt sich die Erfahrung einer aktiven Vaterschaft mit viel Engagement im Haushalt
auf den Beruf aus? „Man wird viel gelassener,
viel ruhiger der Hektik auf der Arbeit und den
scheinbar dringenden Sachen gegenüber. Ich
hatte schon immer viel Spaß bei der Sache.
Nur jetzt macht es mir noch mehr Freude. Man
betrachtet das Leben noch mal aus einer ganz
anderen Perspektive.“
Zur eigenen Weiterentwicklung beschließt
Christian Reil, sich mit seiner langjährigen Erfahrung an der Marineoperationsschule in die
Schulplanung und Schulentwicklung mit einzubringen. Seit einem halben Jahr ist er Teil des
Personalrats. Ein erfreulicher Nebeneffekt ist
auch der damit einhergehende Versetzungsschutz. Denn die Sicherheit, vor Ort bleiben
zu können, ist Christian Reil nach wie vor aus
familiären Gründen wichtiger, als durch eine
Ortversetzung auf förderliche Dienstposten
zu kommen. „Wenn das Geld, was ich durch
die Beförderung bekommen würde, dann komplett durch den Auspuff geht, weil der Posten
tet, am Ende des Monats muss eine schwarze
Null auf dem Konto stehen. Von wem das nun
kommt, ob von ihm oder von ihr, das ist doch
egal, wenn man in Gemeinsamkeit denkt.“
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
49
Umgekehrte Rollen: „that’s
daddy-duck“
Christian Reil ist ab sechs Uhr früh auf dem
Weg zur Arbeit und kehrt gegen 15:00 Uhr zurück. Gerade zur rechten Zeit, um Alexander
um 15:30 Uhr aus der Krippe abzuholen. Je
nach Wetter und Jahreszeit machen Vater Reil
und Alexander dann noch Programm: von Kinderspielplatz über Freunde einladen bis zum
Flugplatzbesuch. Das fasziniert Alexander besonders. Vom Starten und Landen der Flugzeuge kann er gar nicht genug bekommen.
So ein Besuch lässt sich vor allem am Freitag
gut einplanen, wenn Christian Reil Telearbeit
von zu Hause macht. Dann können die beiden
auch manchmal vormittags auf den Flughafen
gehen, um danach zu Mittag den „fast food friday“, wie sie es nennen, zu zelebrieren. Dann
werden zur Freude des Kleinen ausnahmsweise Menus bei Fastfood Ketten in dicken Tüten
mit zur Arbeitsstelle der Mutter genommen,
um sie dort gemeinsam zu verspeisen. Dies
sind für die Familie die ersten Anzeichen des
nahenden Wochenendes.
Da Stephanny Reil jeden Tag erst gegen
19:30 Uhr zu Hause ist, haben die Reils eine
Methode gefunden, damit Alexander und seine Mutter wochentags noch etwas voneinander haben in den Abendstunden. Um 18 Uhr
gibt es für Alexander eine frühabendliche
Schlafpause bis 19 Uhr. Danach freut er sich
auf seine Mutter und kann mit ihr noch eine
gute Stunde spielen, bevor es endgültig zur
Nachtruhe geht. Das genießen alle gleichermaßen.
Die Hausarbeiten erledigt Christian Reil zum
größten Teil, denn er möchte nicht, dass sich
seine Frau bei der langen Arbeitszeit abends
oder auch am Wochenende noch viel im Haushalt engagieren muss. „Die wenige Zeit, die
meine Frau aufgrund ihrer hohen Arbeitsin-
50
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
tensität hat, die soll sie nicht auch noch mit
Putzen verschwenden. Ich sage manchmal
scherzhaft, meine Frau weiß, dass wir eine
Waschmaschine haben, aber wie man die so
richtig bedient, da wird es kritisch.“ Einige
Hausarbeiten hat Christian Reil zum Spiel umfunktioniert, wie das gemeinsame Ausräumen
der Waschmaschine oder das Saugen. Dabei
sitzt Sohn Alexander gerne mal auf dem großen Staubsauger, während Vater Reil die Wohnung durchsaugt. Diese Erfahrungen lassen
andere Rollenbilder bei Alexander Charles
entstehen, so Christian Reil: „Auf unserem
Liederbuch ist vorne die Entenfamilie für das
Lied ‚Alle meine Entchen’ abgebildet. Irgendwann wollte ich mal wissen, wen er da so alles sieht. Und bei der Ente in der Mitte, um
die sich alle Küken scharen, sagte er dann:
„that’s daddy-duck.“
Bei der Erziehung sind die Zuständigkeiten
verteilt. Christian Reil fühlt sich für das „Grobe“ verantwortlich. Er ist derjenige, der Regeln vorgibt und liebevoll Grenzen setzt. Das
ist ganz bewusst so arrangiert, da er damit
seine Frau entlasten will, ihr in der wenigen
Zeit, die ihr neben der Arbeit zur Verfügung
steht, Ärger ersparen möchte. Sie soll sich
möglichst nicht mit den belastenden Dingen
der Kindererziehung konfrontieren müssen.
Einige Freunde staunen über diesen konsequenten Erziehungsstil. Bei einem befreundeten Pärchen, mit denen sich die Reils öfter
treffen, ist die Konstellation dann so: Frau
Reil trifft sich mit ihm zu Mittag, um über Juristerei zu sprechen, Christian Reil geht mit
ihr auf den Spielplatz und turnt mit den Kindern. „Das ist dann halt so gespiegelt, die
Rollen sind genau umgekehrt.“
Wieso ist dieses Modell nicht verbreiteter?
Welche Rahmenbedingungen wären nötig, damit mehr Männer in qualifizierten Positionen
oder sogar als Führungskräfte zumindest für
eine Phase ihres Erwerbslebens in Teilzeit erwerbstätig sein könnten? Neben der Offenheit
für neue Rollenmodelle bei gleichzeitigem
Denken in Gemeinsamkeit ist es für Christian
Reil ganz klar, dass der finanzielle Hintergrund
stimmen muss: „Die Einkommenssituation
muss das schon möglich machen. Wenn die
Frau, ich sag mal, im Verkauf arbeitet und er
in Führungsposition, dann ist das doch klar,
wer da aussteigt oder Arbeitszeit reduziert.
Bestimmt nicht er.“
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
51
„Führungskräfte müssen nicht die Ersten
sein, die kommen und die Letzten, die gehen. Sie müssen aber für ihre Mitarbeiter da
sein, wenn es offene Fragen gibt.“
Tim Landgraf ist 40 Jahre und arbeitet
in der Präsidialabteilung der Polizei Bremen. Er leitet dort den Bereich IT-Strategie, Organisations- und Personalentwicklung.
Tim Landgraf und seine Frau, Kerstin Kinner,
haben drei Kinder: Jule ist 10 Jahre alt, Jonte
13 und Lisa 17.
Mal Vater einer Tochter wird.
Die Polizei Bremen besteht aus den Direktionen Schutzpolizei, Kriminalpolizei/Landeskriminalamt, Wasserschutz- und Verkehrspolizei, Zentrale Einsatzsteuerung und Bereitschaftspolizei. Darüber hinaus umfasst sie
die Stabsbereiche Präsidialabteilung sowie
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und die
Fachdirektionen Logistik, Recht und Personal
sowie Informations- und Kommunikationstechnik. Ende 2008 sind insgesamt 2.547 Mitarbeiter/innen für die Polizei Bremen tätig. Der
Anteil der Frauen liegt bei 21 Prozent. Etwa
6 Prozent der Belegschaft sind in Teilzeit beschäftigt. Einer davon ist Tim Landgraf.
Erste Erfahrung mit der Erziehungszeit: „Um meiner Frau
den Einstieg in den Lehrerinnenberuf zu ermöglichen.“
Tim Landgraf beginnt 1996 nach einem
dreijährigen Studium an der Hochschule für
Öffentliche Verwaltung den Dienst bei der
Kriminalpolizei Bremen. Die Möglichkeit des
Direkteinstiegs in den gehobenen Dienst ist
zu dem Zeitpunkt eine einmalige Gelegenheit,
die Tim Landgraf gerne nutzt, da ihn das zuvor begonnene Lehramtstudium nicht zufrieden stellt bzw. eine zu unsichere Zukunftsaussicht bietet. Er bricht daher das Studium
vorzeitig ab. Ganz anders seine Frau, die das
Lehramtstudium absolviert und gerne Lehrerin ist. Tim Landgraf ist froh, bei der Polizei
eine Alternative zu finden, zumal neben dem
Interesse für die Arbeit bei der Polizei auch
die Notwendigkeit einer festen und sicheren
Beschäftigung besteht, da er 1991 das erste
52
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Die Entscheidung, zur Polizei zu gehen, hat
Tim Landgraf nie bereut: „Ich bin sehr gerne bei der Polizei und würde das auch immer
wieder machen.“ Nach dem Studium arbeitet
er zunächst Vollzeit im Bereich Spurensicherung. Zu dem Zeitpunkt ist er aber schon
zum zweiten Mal stolzer Vater - diesmal ist es
ein Sohn, der im Jahre 1995 geboren wird.
Das ist auch der Grund, warum er 1997 ein
Jahr Erziehungsurlaub beantragt, um sich um
die zwei Kinder zu kümmern, die die jungen
Eltern nun stark fordern. „Das war damals
schon Exotenstatus bei der Polizei.“ Wesentlich trägt zur Entscheidung auch bei, dass
seine Frau in diesem Jahr ihre erste Stelle im
Schuldienst findet. „Um ihr diesen Einstieg zu
ermöglichen, habe ich das damals gemacht.
Ich habe das auch gerne getan, obwohl ich
auch froh war, danach wieder anfangen zu
können. Ich bin ja voll ausgestiegen und nicht
nur in Teilzeit.“ Grund, sich auf die Rückkehr in
den Job zu freuen, ist, dass „man doch recht
schnell aus den Routinen herauskommt bzw.
riskiert, Entwicklungsmöglichkeiten bei der
Arbeit zu verpassen.“ Das Arbeitsumfeld der
Polizei beschreibt er als sehr „dynamisch und
vielfältig“, innerhalb eines Jahres entwickelt
sich die Organisation ständig weiter. 1998
nimmt er seinen Dienst wieder auf, arbeitet
zunächst in einem Ermittlungskommissariat
der regionalen Kriminalitätsbekämpfung und
anschließend in einer Ermittlungsgruppe zur
Bekämpfung von Falschidentitäten bei Menschen mit Migrationshintergrund. Er ist nach
dem einjährigen Erziehungsurlaub wieder in
Vollzeit tätig bis zum Jahr 2000, um dann in
den Bereich Controlling zu wechseln.
Ergebnis- statt anwesenheitsorientiertes Arbeiten erleichtert
Teilzeit
Der Wechsel vom so genannten Kerngeschäft
(Schutzpolizei, Kriminalpolizei etc.) in den Bereich Controlling erleichtert den Wechsel von
Vollzeit in eine Teilzeittätigkeit, so Landgraf.
Sein damaliger Chef vertritt die Einstellung,
dass vor allem das Ergebnis und nicht in erster Linie die Anwesenheit zählt: „Es ist mir
relativ egal, wann du arbeitest und auch relativ egal wo, Hauptsache du bekommst die
Arbeitsaufträge in der entsprechenden Qualität und Zeit abgeschlossen.“ Es ist diese
„positive Grundeinstellung“ gegenüber der
Leistung und Einsatzbereitschaft seiner Mitarbeiter, die Tim Landgraf nutzt, ohne, wie
er präzisiert, sie auszunutzen. Er beantragt
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
53
eine Arbeitszeitreduzierung auf 32 Wochenstunden, die er zwar noch als „geringe Reduzierung“ definiert, die aber im Bereich des
Polizeidienstes zumindest für männliche Polizeibeamte eine Ausnahme darstellt. Die 32
Stunden arbeitet er in einer Fünftagewoche.
Obwohl es bei der Umsetzung keine Hindernisse durch den direkten Vorgesetzten oder
die Kollegen gibt, unterstützt die Tatsache,
weiterhin an fünf Tagen anwesend zu sein,
seine Entscheidung und „legitimiert“ seine
Wahl. „Denn eigentlich passte in diesem Bereich die Teilzeittätigkeit nicht zum Aufgabenanfall. Das war damals schon so und ist es
heute erst recht.“ Zunächst ist er im Bereich
Controlling/Finanzen als Sachbearbeiter tätig. Der Bereich wird neu aufgebaut, es gibt
dadurch viel Arbeit, um das Leistungs- und
Finanzcontrolling zu professionalisieren. „Und
da habe ich auch schon sehr viel zu Hause
erledigt, auch abends und am Wochenende,
und bin in der Summe häufig über meine 32
Stunden gekommen.“ Er gleicht die Überstunden dadurch aus, dass er sich „auch mal
einen Tag frei genommen hat, wenn es nun
gar nicht passte zu Hause, wenn plötzlich Unterstützung gebraucht wurde.“ Auch vergnügliche Momente können durch die freien Tage
ab und zu genossen werden. So kann er die
Kinder, die damals noch im Kindergarten waren, gelegentlich zu Ausflügen mit begleiten.
Tim Landgraf wird 2005 zur Führungskraft.
Er übernimmt die Leitung eines Sachgebiets
in der Präsidialabteilung, zunächst für den
Bereich Organisationsentwicklung und ITStrategie, später zusätzlich für den Bereich
strategische Personalentwicklung. Die Aufgaben als Sachgebietsleiter sind in erster Linie
geprägt durch die Bearbeitung von komplexen Vorgängen oftmals in Projektarbeit. Im
Bereich der strategischen Personalentwicklung ist Tim Landgraf beispielsweise befasst
an der Erstellung von Konzepten zur Auswahl
54
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
und Qualifizierung der zukünftigen Führungskräfte. Im Bereich IT-Strategie erarbeitet er
Empfehlungen für die strategische Schwerpunktsetzung und Finanzplanung.
Diese berufliche Weiterentwicklung wird ihm
trotz seiner Teilzeitbeschäftigung ermöglicht.
Der Aufgabenanfall ist nach wie vor groß. Seine Führungsaufgaben kann er momentan auch
nicht delegieren, da der stellvertretende Sachgebietsleiter in einem Auslandseinsatz ist. Er
kompensiert stattdessen die reduzierte Zeit
durch einen „intensiveren und produktiveren
Arbeitsstil und weniger Pausen“ und vermeidet es, sich durch Unterbrechungen ablenken
zu lassen. Dass ihm als Führungskraft nicht
deutlich weniger Aufgaben zugeteilt werden,
um auf seine Teilzeitbeschäftigung Rücksicht
zu nehmen, empfindet er als normal und gerechtfertigt.
Tim Landgraf hat Personalverantwortung für
fünf Mitarbeiter/innen, die alle hoch qualifizierte Sachbearbeiter/innen sind und damit
sehr selbstständig agieren. An diese Mitarbei-
ter/innen kann er die anfallenden Aufgaben
und Vorgänge delegieren.
Reaktion der Kolleg/innen und
Übertragbarkeit von Teilzeit auf
andere Bereiche
Teilzeitbeschäftigung von Frauen, sowohl im
Angestelltenbereich als auch bei den Vollzugsbeamten, ist bei der Polizei mittlerweile Alltag.
Daher gibt es keinen Grund, warum dies nicht
auch gleichermaßen für Männer gelten soll.
Die Vereinbarkeit von Führungsaufgaben und
Teilzeitbeschäftigung ist eine grundsätzliche
Frage und hat nichts mit dem Geschlecht zu
tun, so Tim Landgraf. Informierte und sensibilisierte Führungskräfte tragen mit dazu bei,
das Thema Teilzeitbeschäftigung von Männern
zu versachlichen. Das audit berufundfamilie®
leistet heute bei der Polizei Bremen einen
wichtigen Beitrag dazu. Die Polizei Bremen
ist seit März 2007 durch die Hertie-Stiftung
mit dem audit berufundfamilie® als familienbewusste Behörde zertifiziert.
Seine unmittelbaren Kollegen respektieren
seine Entscheidung. Andere Kollegen wundern sich auch schon mal über einen späten
Arbeitsbeginn und ein frühes Ende. Dann erläutert er den Grund seiner Teilzeittätigkeit
und „dann ist das auch okay so.“ Und Tim
Landgraf wird zum Vorbild: Im Laufe der Jahre haben sich diverse männliche Kollegen mit
Fragen zum Thema Teilzeit an ihn gewandt.
Tim Landgraf orientiert sich einerseits an den
Bedürfnissen der Kollegen und Kolleginnen,
denn es ist ihm wichtig, dass sie keine Nachteile durch sein Arbeitszeitmodell erfahren.
Andererseits bringt er aber auch seine Wünsche in den Arbeitsalltag mit ein, beispielsweise wenn es um die Verlegung von Besprechungsterminen geht. Arbeitszeitflexibilisierungen lassen sich in der Regel recht gut
in der Präsidialabteilung umsetzen. Die Führungstätigkeit von Tim Landgraf unterscheidet sich von den klassischen Führungsaufgaben im Kerngeschäft des Polizeidienstes.
Im Einsatzdienst der Schutzpolizei etwa
könnte die Wahrnehmung von Führungsaufgaben in Teilzeit, so seine Einschätzung, schwieriger realisierbar sein. Dort wird in festen
Dienstgruppen gearbeitet. Der Dienstgruppenleiter hat während der gesamten Schicht
durchgehend Führungsaufgaben zu übernehmen. Eine Arbeitszeitreduzierung lässt sich
daher schwer über die tägliche Reduzierung
von Arbeitsstunden umsetzen. Möglich wäre
es, ganze Schichten abzugeben und statt einer Fünftagewoche beispielsweise eine Dreitagewoche zu arbeiten. „Die Polizei ist ein
24-Stundenbetrieb, das ist ein großer Vorteil,
da ist insgesamt viel denkbar. Das Thema
Teilzeitarbeit kann mit flexiblen Arbeitszeitmodellen gelöst werden, deren Schwächen
- erhöhter Planungsaufwand, ständig wechselnde Zusammensetzung der Teams - man
jedoch in den Griff bekommen muss.“
Als Sachgebietsleiter ist er der Einzige, der
in Teilzeit arbeitet. Im Prinzip wäre in dem Bereich auch ein Jobsharing als Führungskraft
möglich, es gibt nur keine Interessenten für
das Modell. In seinem Bekannten- und Freundeskreis wird seine Tätigkeit als Führungskraft
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
55
in Teilzeit mitunter mit Erstaunen wahrgenommen. Die Reaktionen sind nicht negativ, aber
die wenigsten Männer können sich vorstellen,
ihre eigene Tätigkeit zu reduzieren. „Es ist
durchaus üblich, dass die Frauen arbeiten,
dass sie zum Teil auch qualifizierte Aufgaben
haben. Aber um der Frau den Einstieg oder
die Karriere zu ermöglichen, selber zurückzustecken, das ist eher selten.“
Führung in Teilzeit ist machbar,
hat aber ihren Preis
56
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Die Frau von Tim Landgraf, Kerstin Kinner,
ist nämlich zwischenzeitlich Schulleiterin geworden. Sie ist auch in Teilzeit an einer Bremer Schule nahe der Wohnung der Familie
erwerbstätig. Auch sie arbeitet fünf Tage pro
Woche, da ihre Anwesenheit als Schulleiterin
jeden Tag nötig ist. „Führungskräfte müssen
nicht die Ersten sein, die kommen und die
Letzten, die gehen. Sie müssen aber für ihre
Mitarbeiter da sein, wenn es offene Fragen
gibt. Führung hat etwas mit Präsenz zu tun,
und Teilzeit widerspricht dieser Präsenz - das
ist einfach so - das ist in der Schule so und
auch bei der Polizei“, so Tim Landgraf. „Kollegen oder Mitarbeitern wird damit schon mal
die Möglichkeit genommen, mich dann zu erreichen, wenn sie gerade Bedarf haben. Das
ist dann aber so. Es ist der Preis dafür.“ Wichtig ist ihm, hier einen Ausgleich zu schaffen,
durch die private Erreichbarkeit zu Hause oder
auf dem Handy. Das gehört bei Tim Landgraf
als auch bei seiner Frau ganz selbstverständlich zu ihrem Arbeitsverständnis und wird in
den Familienalltag integriert.
Wie sehen die Weiterentwicklungs- und die
Karrierechancen von Tim Landgraf aus? Er ist
für die Ausbildung zum höheren Dienst ausgewählt worden. Nach einem langen und ausführlichen Abwägungsprozess gemeinsam
mit seiner Frau entscheidet er sich gegen
diesen Weg, obwohl viele Kollegen ihn dazu
ermutigen. Er möchte nicht mehr auf die Tätigkeit in Teilzeit verzichten. Bereits die Ausbildungsphase ist nicht familienfreundlich, da
sie einen längeren Aufenthalt in einer anderen
Stadt erfordert. Seine Frau hätte sich dafür
beurlauben lassen müssen. Zu dem Zeitpunkt
steht sie aber selber vor dem Karriereschritt,
Schulleiterin zu werden oder mit halber Stundenzahl als Lehrkraft weiterzuarbeiten. Daher
fiel die Entscheidung gegen die Ausbildung
für den höheren Dienst bei der Polizei aus.
Die Kombination seiner Position im gehobenen Dienst in Teilzeit mit der Schulleitung
seiner Frau scheint beiden auch heute die
beste Möglichkeit. Zumal die Familie finanziell
ebenso gut dasteht: „Dann verdient eben meine Frau A13 und ich nicht.“
Zur persönlichen Weiterentwicklung und Ergänzung seiner beruflichen Qualifikationen
entscheidet sich Tim Landgraf 2005 für ein
zweijähriges Fernstudium im Masterstudiengang „Öffentliches Management“ an der Universität Kassel. Die Polizei beteiligt sich an
den Kosten, und er bekommt eine Teilfreistellung für das Studium. Obwohl sich das Studium momentan noch nicht direkt auf seine
Karriere bzw. Bezahlung auswirkt, wird es auf
die weitere Karriere sicher „positiven Einfluss“
haben, so Landgraf. Geplant ist nämlich die
Rückkehr zur Kriminalpolizei, voraussichtlich
nicht in ein Ermittlungskommissariat, sondern in den Stab der Kriminalpolizei. Seine
Teilzeittätigkeit möchte er zunächst beibehalten „Perspektivisch soll es aber in Richtung
Vollzeit gehen. Die Kinder sind ja auch schon
recht groß, die Jüngste ist zehn Jahre alt, und
sie werden alle immer selbstständiger.“
Der Familienalltag: „Ich mache
alles was anfällt, da habe ich
auch keine Berührungsängste.“
Wie kann man sich den Familienalltag mit drei
Kindern zwischen zehn und siebzehn Jahren
und zwei berufstätigen Eltern in Führungspositionen vorstellen? „Ich mache alles was anfällt, da habe ich auch keine Berührungsängste. Es gibt keine besonderen Schwerpunkte
oder Dinge, die ich nie mache oder machen
würde. Außer wenn es in den klassischen
Handwerkerbereich geht, da darf und soll
ich auch mehr machen. Aber da meine Frau
während des Tages öfter zu Haus sein kann,
wie beispielsweise in der Mittagszeit, macht
sie im Haushalt definitiv mehr als ich. Sie ist
belasteter, dass wissen wir beide.“
Am intensivsten war die Zeit mit den Kindern
für Landgraf während des Erziehungsurlaubs
und zu Beginn der Teilzeit, wo die Kinder noch
kleiner waren. Der Einsatz von Tim Landgraf
spielt sich heute eher nach 16.30 ab, das
heißt: „Einkaufen, Wäsche zusammenlegen,
die Kinder von den unterschiedlichsten Freizeitaktivitäten abholen.“ Auch morgens ist
ganz klar seine Zeit: „Ich kümmere mich morgens um das Frühstück und darum, dass alle
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
57
gut zur Schule kommen, das ist mein Ding.
Beim Frühstück müssen sich die Kinder um
nichts kümmern, das ist so ein bisschen wie
im Hotel.“ Diesen Service machen die Eltern
ganz bewusst, denn der Alltag ist für die Kinder schon herausfordernd genug. Sie müssen
selbstständiger sein durch die Erwerbsarbeit
beider Eltern.
Teilzeit. „Aber im Vergleich zu anderen Vätern,
die morgens früh weg sind und abends erst
wieder da sind, wenn schon gegessen wurde und die Kinder vor dem Fernseher sitzen,
kriege ich viel von ihrer Entwicklung mit.“
So entstehen aber auch Freiräume für die eigene Entwicklung: „Die Kinder sind auch ganz
froh, dass sie vieles selber machen können.
Das merken wir vor allem an der Kleinsten,
die musste sich ja Gehör verschaffen und hat
sich schon im Kindergarten selber Lesen und
Schreiben beigebracht, weil wir ihr nicht genügend vorgelesen haben.“ Das sei immer eine
Gradwanderung, betont Tim Landgraf, denn
die Eltern bemühen sich sehr, so viel Zeit wie
möglich für die Erziehung aufzuwenden.
„Ja klar bringt es Vorteile im Beruf, wenn
man als Vater gelernt hat, ein kleines Familienunternehmen mit drei Kindern zu managen.“ Menschen, die sowohl Verantwortung
im Beruf als auch in der Familie übernehmen,
verfügen über ein hohes Maß an Organisationstalent, Zeitmanagement und Pragmatismus. Die Organisation profitiert davon, dass
diese Mitarbeiter strukturiert vorgehen und
wichtige Dinge von unwichtigen allein schon
deshalb unterscheiden müssen, weil sie ansonsten nicht in der Lage wären, die Aufgaben in der vorgegebenen Zeit abzuschließen,
so Tim Landgraf. Führungskräfte, die selber
Kinder haben und sich um diese kümmern,
haben ein anderes „Standing, sie haben einen andern Umgang mit Menschen, der geprägt ist durch die eigene Erfahrung mit Kindern.“ So der letzte Satz von Tim Landgraf,
bevor er sich auf sein Rennrad schwingt,
um seine Familie im 12 Kilometer entfernten
Haus eines Bremer Vorortes rechtzeitig zu
erreichen.
Der Alltag ist gut organisiert und „durchgetimed.“ Wenn etwas mal nicht nach Plan läuft,
etwa weil ein Kind krank ist, wird es gleich
eng. Dann stellt sich die Frage, wer zu Hause
bleibt, wer die wichtigeren Termine hat und
bei wem etwas verlegt werden kann. Manchmal kommt es dann vor, dass Tim Landgraf
später oder erst mittags ins Büro fährt und
so lange wartet, bis seine Frau nach Hause
kommt. Die gemeinsame Zeit zum Spielen mit
den drei Kindern ist rar in der Woche, trotz
58
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Nützliche Sozialkompetenzen
durch Familienarbeit
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
59
„Männer müssen ihre Wünsche und Ansprüche
gegenüber ihrem Vorgesetzten klar äußern.“
Jürgen Kolbe, 46 Jahre, ist gelernter KFZ
Schlosser und arbeitet bei der Daimler
AG im Mercedes Benz Werk Bremen.
Jürgen Kolbe und seine Frau Danuta Ley-Kolbe haben einen gemeinsamen Sohn, Sebastian, der 16 Jahre alt ist.
Jürgen Kolbe und seine Frau sind beide seit
1989 bei der Daimler AG erwerbstätig. Auf
einer von Kollegen selbst organisierten Fahrgemeinschaft haben sie sich kennen gelernt.
Beide arbeiten zunächst „ganz klassisch
Vollzeit“, was in der Fertigung üblich ist.
Jürgen Kolbe arbeitet in Schicht- und Gruppenarbeit in verschiedenen Bereichen der
Fahrzeugendmontage, während seine Frau
als gelernte Schneiderin in der Näherei tätig
ist. Als 1992 der gemeinsame Sohn zu Welt
kommt, nimmt Danuta Ley-Kolbe Erziehungsurlaub in Anspruch. Nach dem dreijährigen
Erziehungsurlaub beschließt sie, sich noch
vier weitere Jahre ganz der Erziehung von
Sebastian und dem Haushalt zu widmen.
Diese Möglichkeit besteht durch eine Betriebsvereinbarung bei der Daimler AG. Die
Familie kann nicht auf die Unterstützung
von Großeltern oder Verwandten setzen.
Sie wohnen nicht vor Ort bzw. sind selbst
noch berufstätig. Dass Jürgen Kolbe der
“Alleinernährer“ ist, scheint in der Zeit ganz
normal im Familienbild der Kolbes, schließ-
60
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
lich verdient er ja den Familienlohn bei der
Daimler AG.
Die Daimler AG ist ein Hersteller von PKW und
Nutzfahrzeugen sowie Anbieter von Finanzdienstleistungen mit Firmenzentrale in Stuttgart. Die Anfänge des Unternehmens reichen
bis ins Jahr 1883 zurück. Im Werk Bremen
laufen jährlich circa 300.000 Fahrzeuge vom
Band, 12.800 Mitarbeiter finden Ende 2008
im Mercedes Benz Werk Bremen Arbeit.
Daimler ist damit einer der größten Arbeitgeber in der Region. Der Männeranteil im Werk
beträgt 94,6 %, der Frauenanteil 5,4 %.
„Männer müssen ihre Wünsche
und Ansprüche gegenüber ihrem Vorgesetzten klar äußern.“
Als sich 2000 für den Sohn Sebastian Kolbe der Beginn der Schulzeit ankündigt, entschließt sich Danuta Ley-Kolbe zur Daimler
AG zurückzukehren. Wunsch des Ehepaars
Kolbe ist es allerdings, weiterhin viel Zeit mit
dem Sohn verbringen zu können, um ihn vor
allem in den ersten Jahren der Grundschule
begleiten und bei seiner Entwicklung unterstützen zu können. Um seiner Frau eine Wiedereingliederung in den Beruf zu ermöglichen
und gleichzeitig möglichst viel Zeit zu Hause verbringen zu können, beschließt Jürgen
Kolbe im Jahre 2000 gemeinsam mit seiner
Frau, ein anderes Arbeitszeitmodell zu erproben. Er möchte Teilzeit arbeiten. Jürgen Kolbe
spricht seinen Meister daraufhin an und nach
anfänglicher Skepsis, da er befürchtet, dass
Abläufe gestört werden und so die Funktionsfähigkeit der Organisationseinheit gefährdet
wird, erarbeiten sie ein Teilzeitmodell. Für
den reibungslosen Ablauf in der Produktion ist
es dem Meister wichtig, nach wie vor mit dem
Volumen eines vollen Arbeitsplatzes von 35
Stunden zu kalkulieren. Mit einem Kollegen,
der zu dieser Zeit einem berufsbegleitenden
Studium nachgeht, findet er seinen „Gegenpart“, mit dem er sich die Arbeitsstelle von
„490 Minuten am Band“ teilen kann. Zwischen
2000 und 2003 arbeitet Jürgen Kolbe zwischen 20-27 Stunden wöchentlich. Dass ihm
Teilzeit ermöglicht wurde, empfindet er im
nach hinein als positives Entgegenkommen
des Betriebes.
Eine gesetzliche Grundlage, die Arbeitnehmer/
innen eine Reduzierung problemlos ermöglicht, gab es im Jahr 2000 noch nicht. Erst seit
2001 ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz
(TzBFG) in Kraft, das den Arbeitnehmer/innen
sowohl einen Anspruch auf Verringerung der
Arbeitszeit eröffnet und unter anderem zum
Ziel hat, Eltern die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie zu erleichtern.
Die Daimler AG bietet im Jahre 2000 nicht
von sich aus Teilzeit-Modelle an, daher muss
Jürgen Kolbe seine „Reduzierung auf Zeit“
selber verhandeln. Sein Vorteil ist, dass er
einen Kollegen findet, der Interesse an einem
Teilzeitmodell hat. Hätte es diesen nicht gegeben und hätte der Meister nicht ein offenes
Ohr für dieses Experiment gehabt, „wäre
es schwierig geworden“, so Jürgen Kolbe.
Als große Unterstützung empfindet er den
Einsatz des Betriebsrats, der „teilweise mit
Engelszungen auf meinen Vorgesetzten eingeredet.“ hat. Auch die Umsetzung wird vom
Betriebsrat immer wieder sachkundig begleitet. Es ist alles eine Frage des Willens und
der Ausdauer: „Männer müssen ihre Wünsche
und Ansprüche gegenüber ihrem Vorgesetzten klar äußern.“
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
61
Reaktion der Kolleg/innen
Und wie haben die Kolleg/innen reagiert, wie
wurde die Teilzeittätigkeit von ihnen wahrgenommen? Im Prinzip hat Jürgen Kolbe sich
verstanden gefühlt, viele konnten seine Gründe gut verstehen, aber „Nachahmer“, die hat
er damals nicht gefunden. „Natürlich gab es
da auch mal die Bemerkungen von der Seite, die einem ständig nach Schichtende ein
‚schönes langes Wochenende’ gewünscht haben. Als ob man zu Hause nur die Füße hochlegen würde.“
Seine berufliche Weiterentwicklung hat Jürgen
Kolbe durch seine Teilzeitbeschäftigung nicht
behindert gesehen. Allerdings war in der Zeit
die Übernahme von Sonderfunktionen schwer
umsetzbar, wie etwa die des Vertrauensmannes
oder des Multiplikators für die Anlernung der
Kollegen/innen auf neue KFZ-Modelle.
Die Kombination zweier Teilzeittätigkeiten im Hause Kolbe: Ein
“Gegenschichtmodell“
Band angelernt und arbeitet von nun an als
angelernte KFZ Schlosserin. Jürgen Kolbe
und seine Frau teilen sich die Schichten so
auf, dass immer eine/r von beiden zu Hause bei Sebastian sein kann. Außer ein- bis
zweimal wöchentlich, wo ihr Sohn bei Klassenkameraden privat zu Mittag ist, gelingt
es dem Ehepaar Kolbe, ihre Arbeitszeiten
so aufeinander abzustimmen, dass auch mittags immer zu Hause gekocht werden kann.
Hier sind die flexibel organisierbaren Schichten bei Daimler ein großer Vorteil, in einigen
Bereichen wird im Dreischichtmodell rund
um die Uhr gearbeitet. Unterstützend ist
auch die Tatsache, dass beide im 3-SchichtModell in Gegenschicht arbeiten. Nach der
Nachschicht beispielsweise schlafen Herr
oder Frau Kolbe anschließend vormittags
und stehen auf, wenn Sebastian aus der
Schule kommt und der Partner sich zur Spätschicht verabschiedet. Das Arrangement hat
zwar für Danuta-Ley Kolbe und Jürgen Kolbe
den Nachteil, dass sie sich während der Wochentage seltener sehen. Ein gemeinsame
Wochenende genießen sie dann aber umso
mehr.
„Die Lebensqualität ist definitiv
gestiegen. Ich habe mein Kind
richtig aufwachsen gesehen.“
Frau Kolbe gelingt der Wiedereinstieg bei der
Daimler AG in Teilzeit. Ihren bisherigen oder
einen vergleichbaren Arbeitsplatz in der Näherei kann sie allerdings nicht wieder einnehmen, da die gesamte Abteilung im Zuge von
Reorganisationsmaßnahmen ‚outgesourced’
worden ist. Daher wird sie für die Arbeit am
62
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Für Jürgen Kolbe ist die Zeit mit seinem Sohn
eine wichtige und prägende Erfahrung gewesen: „Klar, ich habe viel von Sebastians Entwicklung mitbekommen. Im Sommer, nach
der Frühschicht, hatten wir beispielsweise ein
kleines Schwimmbecken im Garten aufgebaut.
Da ich soviel mit meinem Sohn unterwegs
war, dachten einige Nachbarn schon, ich hätte
immer Ferien.“ Die gemeinsamen Erlebnisse
beschreibt Jürgen Kolbe als Bereicherung für
sein Leben: „Wir haben einmal lange an einem
Drachen gebaut, der schließlich auch geflogen
ist. Wenn man dann die Augen von dem Jun-
gen gesehen hat, das ist unbezahlbar.“
Im Haushalt engagieren sich Danuta-Ley Kolbe und Jürgen Kolbe zeitlich gleichberechtigt.
Es gibt aber persönliche Prioritäten bei den
Aufgaben: „Saugen, Wischen, Garten – das
machen wir alles gemeinsam. Nur an die Wäsche lässt mich meine Frau nicht ran. Fenster
putzen und alle handwerklichen Reparaturen
sind mein Job, das habe ich ja auch gelernt.“
Jürgen Kolbe möchte die dreijährige Erfahrung
mit der Teilzeit nicht missen. „Die Lebensqualität ist definitiv gestiegen. Ich habe mein Kind
richtig aufwachsen gesehen, andere Kollegen
sehen ihre Kinder oft gar nicht oder nur am
Wochenende oder wenn sie schon schlafen.“
Ende 2003 kehrt Jürgen Kolbe in Vollzeit
zurück und arbeitet zunächst nur im Nachtdienst. Heute arbeitet er nicht mehr am Band
sondern ist für die Instandsetzung von Handmaschinen zuständig und in einem Gleitzeitsystem Vollzeit tätig.
Teilzeit als Möglichkeit für Männer? „Verbreitung klappt nur
dann, wenn das Geld stimmt.“
Auch wenn Männer, die Teilzeit aus eigenem
Wunsch beantragen, bei der Daimler AG
noch nicht sehr verbreitet sind, hat sich die
Kultur heute etwas gewandelt. Einige Führungskräfte sind sensibilisiert für das Thema
und erkennen, dass Vereinbarkeit von Beruf
und Familie auch für Männer ein wichtiges
Thema sein kann. Dazu trägt auch das audit
berufundfamilie® der gemeinnützigen Hertie-Stiftung bei. Die Daimler AG, Mercedes
Benz Werk Bremen ist seit August 2006 als
familienfreundlicher Betrieb zertifiziert. In den
Zielvereinbarungen zur Weiterentwicklung der
Familienfreundlichkeit finden sich neben Angeboten, die eine Kinderbetreuung betreffen,
auch viele Ziele zum Thema Arbeitszeit und
Arbeitsorganisation.
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
63
Eine Arbeitszeitverkürzung, auch wenn es nur
temporär sein sollte, funktioniert nur dann,
wenn die finanzielle Seite stimmt, so die Überzeugung von Jürgen Kolbe. Familie Kolbe ist
finanziell mit zwei Teilzeitstellen auf die Entlohnung der Vollzeitstelle von Jürgen Kolbe
gekommen, die für das Familieneinkommen
ausreichte. Sie befinden sich im mittleren Bereich der Eingruppierung. „Kollegen und Kolleginnen, die in den unteren Einkommensbereichen eingruppiert sind, können sich sicherlich Teilzeitmodelle nicht leisten. Zumal wenn
diese ein abzuzahlendes Haus und Familie haben.“ Jürgen Kolbe würde es durchaus begrü-
64
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
ßen, wenn es mehr Männer in Teilzeit geben
würde. Nur müssten die Rahmenbedingungen
stimmen und eine Reduzierung nicht eklatant
auf Kosten des Lebensstandards gehen.
Und wie sieht es mit Teilzeit in Führungspositionen aus? Für die bislang noch geringe
Akzeptanz und Umsetzung von Teilzeitarbeit
in Führungspositionen liegen die Gründe für
Jürgen Kolbe in der hohen Verantwortung
und Präsenz am Arbeitsplatz, die eine Führungsposition ausmacht. „Obwohl das finanziell ja gerade im Führungspositionen gut
machbar wäre.“
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
65
Arbeit auf mehrere Schultern verteilen und
Zeit für eigenständige Kunst gewinnen
Dr. Thomas Steidel ist leitender Oberarzt
an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des städtischen Klinikums Delmenhorst.
Das Klinikum Delmenhorst ist ein Krankenhaus
mit Tradition. Im Jahr 1879 gegründet ist
es heute ein modernes und leistungsfähiges
Krankenhaus der Regel- und Schwerpunktversorgung mit derzeit 272 Betten. Rund 650
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen in
den unterschiedlichen Fachkliniken und Abteilungen täglich für das Wohl der Patienten. Steigende Patientenzahlen und der medizinische
Fortschritt ermöglichten in den letzten Jahren
die Entwicklung zu einem modernen Gesundheitszentrum mit einem Einzugsgebiet weit
über die Stadtgrenzen hinaus. In der Klinik für
Kinder- und Jugendmedizin werden Kinder mit
allen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters - also von Geburt bis zum 18. Lebensjahr
– behandelt. Schwerpunkte sind neben der
Versorgung kranker Früh- und Neugeborener
aus der geburtshilflichen Abteilung des Hauses
sowie des benachbarten St. Josef-Stifts, insbesondere Erkrankungen der Atemwege, der
Nieren und ableitenden Harnwege, der Bauchorgane, des Herz-Kreislauf-Systems, des Nervensystems sowie des Blutes. Eine große Bedeutung haben die von Fachärzten betreuten
umfangreichen Ambulanzen der Kinderklinik,
die häufig eine stationäre Aufnahme unnötig
machen. Die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin versorgt pro Jahr etwa 1.400 Patienten
stationär sowie etwa 9.000 Patienten ambulant im Rahmen einer großen Notfallambulanz
und diversen Ambulanzen.
Als Kinderarzt mit der Zusatzqualifikation Neuropädiatrie und Rettungsmedizin hat Dr. Steidel vielfältige und unterschiedliche Aufgaben in
der Kinderklink. Zur Kinder- und Jugendmedizin gehören Primär- und Sekundärprävention,
Erkennung und Behandlung von Störungen
66
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
und Erkrankungen, die hauptsächlich oder
ausschließlich im Kindes- und Jugendalter auftreten. Fachärzte und -ärztinnen für Kinder- und
Jugendmedizin untersuchen nach einer eingehenden Anamnese untersuchen sie die jungen
Patienten, diagnostizieren die Erkrankungen
und erstellen entsprechende Therapiepläne.
Zu ihren Aufgaben gehören auch die Gesundheitsberatung sowie die Betreuung der Rehabilitation. Sie behandeln darüber hinaus auch
umwelt- und milieubedingte Schäden sowie
Suchtkrankheiten. Wichtig dabei ist die Zusammenarbeit mit Kindertherapeuten sowie der
der Sucht- und Drogenberatungsstelle Delmenhorst. Fachärzte und -ärztinnen für Kinder- und
Jugendmedizin beurteilen die körperliche, soziale, psychische und intellektuelle Entwicklung
von Kindern und Jugendlichen. Sie erkennen
und behandeln angeborene sowie ausschließlich oder hauptsächlich im Kindes- und Jugendalter vorkommende Erkrankungen. Darüber
hinaus veranlassen sie die Behandlung von
Verhaltensauffälligkeiten. Diese beginnen bereits im Säuglingsalter. In Kooperation mit der
benachbarten Kinder- und Jugendpsychiatrie
im Wichernstift in Ganderkesee bietet die Klinik
eine ‚Säuglingssprechstunde‘ an. Eltern und
Säuglinge werden interdisziplinär von einem
Pädiater und einem Kinderpsychiater ambulant
betreut, um frühe Bindungsprobleme, die sich
häufig in Unruhe, Schreien und Schlafproblemen äußern, zu erkennen und diesen entgegen zu wirken. Im weiteren Verlauf des Kindesalters können sich Aufmerksamkeitsdefizite,
Konzentrationsstörungen und Schulschwierigkeiten zeigen. Diese Themen beschäftigen
Dr. Steidel neben der Epileptologie im Rahmen
seiner Ermächtigungsambulanz.
Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen
Als leitender Oberarzt gehört die Vertretung
des Chefarztes in Gremien und bei einer Viel-
zahl von organisatorischen und klinischen
Fragestellungen sowie die Mitwirkung im klinischen Alltag zu seinen Aufgaben. Als Oberarzt ist Dr. Steidel zudem Ansprechpartner für
die in Weiterbildung befindlichen Ärztinnen und
Ärzte der Klinik. In seinem fachlichen Spezialgebiet, der Neuropädiatrie stellt er in Delmenhorst die ambulante Versorgung von Epilepsie
kranken Kindern sicher. Neben seinen fachlichen Kompetenzen muss er sich darüber hinaus in die wirtschaftliche und organisatorische
Entwicklung der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin einbringen.
Dr. Steidel ist 58 Jahre alt und arbeitet seit
2001 in Teilzeit. Er hat die Arbeitszeit um ein
Viertel auf 30 Wochenstunden reduziert. Der
Kinderarzt hat eine feste tägliche Arbeitszeit
und zusätzlich eine Woche pro Monat Rufbe-
reitschaft. Zwei wichtige Motive haben zur Entscheidung für Teilzeit geführt: „Zum einen hat
die berufliche Belastung, vor allem die Zunahme der bürokratischen Aufgaben, zu einer zu
starken Beanspruchung geführt. In der Klinik
bedeutet eine volle Stelle eine Arbeitsbelastung von 60 Stunden in der Woche. Das führt
dazu, dass kaum Zeit und Raum für mich selbst
und meine Hobbies geblieben ist. Deshalb kam
mir die Idee, Teilzeit zu machen. Es erschien
sinnvoll, die vielfältigen Aufgaben auf mehrere
Schultern zu verteilen. Ich habe einen Teil der
Aufgaben abgegeben und dafür ist jemand in
den oberärztlichen Bereich nachgerückt. Es
war in sofern ein günstiger Moment, weil eine
erfahrene Kollegin im Team war, die über die
entsprechende Zusatzqualifikation verfügte
und die nachrücken wollte.“ Zeitgleich hat eine
andere oberärztliche Kollegin ebenfalls eine
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
67
Viertelstelle abgegeben und zusammen mit einer weiteren, bislang unbesetzten Viertelstelle
konnte die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin einer erfahrenen Fachärztin dann eine Dreiviertelstelle als Funktionsoberärztin anbieten.
Die Neuverteilung der Arbeitszeit ist in Abstimmung und mit voller Unterstützung durch den
Chefarzt entwickelt und umgesetzt worden.
Zeit und Raum für Kreativität im
Alltag
Die freiwillige Arbeitszeitverkürzung bedeutet
natürlich einen Einkommensverzicht für Dr.
Steidel. „Das war mir klar, aber war für mich
nicht entscheidend, weil ich nicht schlecht verdient habe. Ich habe keine Kinder und habe
deshalb geringere materielle Belastungen als
andere. Für viele ist Teilzeit aus materiellen
Gründen nicht tragbar.“ Die Hobbies von Dr.
Steidel sind vor allem Sport und Malen. „Ich
betreibe mehrere Sportarten und die Malerei
ist schon mehr als ein Hobby. Ich mache das
sehr ambitioniert und mit nicht geringem zeitlichen Aufwand. Ursprünglich war die Malerei
Freizeitbeschäftigung und ein Ausgleich zum
Beruf. Ein Ausgleich, der mich intensiv beschäftigt, mich ausfüllt und neue Erfahrungen
mit sich bringt. Ich male seit über 25 Jahren.
Je mehr man sich damit beschäftigt um so
mehr wachsen die Ansprüche – sowohl an die
handwerkliche Technik als auch an Originalität
und Eigenständigkeit. Schrittweise entfernt
man sich von der ‚Hobbymalerei‘. Zuspruch
über Ausstellungen und Verkäufe haben mir
deutlich gemacht, dass ich eine eigenständige Malerei entwickelt habe.“ Dr. Steidel hat
Ausstellungen in Bremen, Hamburg und Berlin
gemacht sowie im Jahr 2007 einen zweiten
Katalog heraus gegeben. Zum malen bleibt
hinreichend Zeit, es fehlt weiterhin an Zeit, um
sich zu vermarkten und im Kunstbetrieb zu positionieren. „Als Künstler malt man die Hälfte
der Zeit - die andere Hälfte der Zeit sollte man
sich ins Gespräch bringen, an Wettbewerben
teilnehmen – diese Seite des künstlerischen
Arbeitens kommt nach wie vor zu kurz.“
Die Teilzeit ermöglicht es ihm, im Alltag Raum
und Zeit für den kreativen Prozess des Malens
‚einzurichten‘, anders als dies in einer Vollzeitbeschäftigung möglich ist. „Früher habe ich
gemalt, wenn ich von der Arbeit gekommen
bin. Doch das geht mittlerweile nicht mehr.
Ich habe festgestellt, dass ich mehr Abstand
von den Anforderungen in der Klinik brauche
und mich auch auf die Aufgabe des Malens
einlassen muss. Jetzt male ich nur noch wenn
ich Freizeit habe. Am gleichen Tag gewissermaßen parallel zu arbeiten und zu malen, das
geht nicht mehr, wenn man bestimmte Ansprüche an technische Perfektion und die Größe
der Arbeit hat. Wenn ich in mein Atelier gehe,
nehme ich mir vier oder sechs Stunden Zeit,
um mein Vorhaben vorzubereiten und umzusetzen.“
Die Aufgaben im Krankenhaus haben stark
zugenommen. „Der Arbeitsanfall in der Klinik
für Kinder- und Jugendmedizin hat sich für die
68
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
oberärztlichen Aufgaben in den vergangenen
zehn Jahren bestimmt verdoppelt. Aus meiner
damaligen 60-Stunden-Woche wäre bestimmt
eine 80-Stunden-Woche geworden.“ Die freiwillige Verringerung der Arbeitszeit hat zu einer
Verdichtung der Arbeit von Dr. Steidel geführt.
„Zudem gehen bestimmte Informationen an
mir vorbei, weil ich nicht mehr so kontinuierlich
präsent bin wie früher. Vorher war ich jeden
Arbeitstag bis 16.30 Uhr präsent und war in
alle Prozesse eingebunden, war an jeder Rücksprache beteiligt und jetzt bin ich eben doch in
der Regel einen Tag in der Woche gar nicht da.
Damit kommt es ganz automatisch zu Lücken
und zu Kontinuitätsverlust.“
Vorgesetzte und Kollegen akzeptieren die
Teilzeit von Dr. Steidel. Anfangs haben einige
Kollegen irritiert reagiert, weil die Arbeitsteilung noch nicht an die Teilzeit angepasst war.
Einige Assistenten haben von einem Qualitätsverlust gesprochen. „Ich glaube nach wie vor,
dass es sinnvoll ist, die vielfältigen Aufgaben
auf mehrere Schultern zu verteilen.“ Es gab
aus dem Haus keinen Widerstand. „Manche
meiner männlichen Kollegen haben es nicht
verstanden, wieso ich von einer vollen auf eine
dreiviertel Stelle zurück gehe.“ Diese Barriere,
die andere Männer von freiwilliger Teilzeit abhält, ist eher kultureller Natur. „Es passt auch
nicht ganz zum männlichen Selbstbild: Wie
kann man mit einer Dreiviertelstelle zufrieden
sein und ist doch nicht krank? Da gibt es Vorurteile von männlicher Seite, während Frauen
Zustimmung zu erkennen geben: Alles gut und
wunderbar.“
Die fachliche Entwicklung im medizinischen
Bereich ist von der Arbeitszeitreduktion nicht
beeinträchtigt. „Mir war damals klar, dass ich
auf dieser Position langfristig verbleiben will.
In eine Praxis zu wechseln habe ich nicht angestrebt und auch der Wechsel in ein anderes
Krankenhaus stand für mich nicht auf der Agen-
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
69
da. Ich habe immer wieder versucht, was Neues zu machen. Bestimmte Dinge kann man, die
werden dann Routine. Es macht aber immer
wieder Spaß etwas Neues zu machen und nicht
immer das Gleiche.“ Gerade für spezialisierte
Experten mit viel Verantwortung wie Oberärzte
kann Teilzeitbeschäftigung Möglichkeitsräume für die Persönlichkeitsentwicklung öffnen.
Wenn die gewonnene Zeit bewusst und gezielt
genutzt wird, um sich weiter zu entwickeln und
nicht nur mit anderen Verpflichtungen wieder
‚zugestellt‘ wird. Die intensive Beschäftigung
mit der Malerei eröffnet Dr. Steidel eine Erfahrungswelt, von der auch seine Arbeit in der Klinik profitiert. „Es ist ein ganz anderer Bereich,
mit dem ich mich beschäftigte. Ich setze mich
mit dem Kunstmarkt auseinander und treffe
einen ganz anderen Schlag Menschen als im
Krankenhaus. Ich setzte mich mit Ideen auseinander, die völlig verschieden von dem sind,
was uns im Krankenhaus beschäftigt. Das ist
ein Bereich, der ganz anders strukturiert ist
und funktioniert als das Krankenhaus. Das gibt
70
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
mir in beiden Bereichen Abstand. Auf der einen Seite gegenüber den Eitelkeiten im Kunstmarkt und gibt mir auf der anderen Seite Gelassenheit im Krankenhaus, wenn ich frustriert
bin von der ausufernden Sitzungskultur und
kleinlichem Streit. Ich weiß, dass ich autark in
meiner Kunst sein kann und in diesem Bereich
Selbstbestätigung ernte.“ Die Malerei eröffnet
Dr. Steidel eine künstlerische Gegenwelt, die
ihm hilft, die Zwänge der bürokratisierten Krankenhausmedizin zu ertragen.
Das Modell freiwillige Teilzeit und Aufgabenverlagerung auf mehrere Köpfe sollte nach Dr.
Steidel auch in anderen Krankenhäusern übernommen werden. „Man kann heute als Chefarzt
oder leitender Oberarzt die vielfältigen Aufgaben nicht mehr alle allein bewältigen.“ Die vielfältigen fachlichen Aufgaben im oberärztlichen
Bereich sind effizienter und sinnvoller zu lösen, wenn sie auf mehrere Schultern verteilt
werden.
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
71
„Wir haben immer zugesehen, dass wir
trotz der Kinder unser Fortkommen in der
Karriere ungefähr gleich gestalten.“
Christof Ronge, 45 Jahre, Facharzt für
Anästhesie, Master of Public Health, Arzt
für Palliativmedizin und Schmerztherapie
am Klinikum Links der Weser
2008 bekam Christof Ronge die Anfrage,
ob er ins Klinikum Links der Weser wechseln
möchte. Dass das Klinikum Links der Weser
in Bremen für seine familienbewusste Personalpolitik mit dem audit berufundfamilie® zertifiziert ist, wusste Christof Ronge nicht. „Es
sollte und konnte auch keine volle Stelle sein.“
Seit Mitte 2008 arbeitet er dort mit einer 75
Prozent Stelle.
Eine Dreiviertelstelle war für ihn ein Kompromiss, „wobei dieser Kompromiss anstrengend für die Familie ist“. Zuvor war Christof
Ronge von 2004 bis 2008 als Oberarzt für
Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum
in Bassum tätig. Das heißt er führte viele der
6.000 jährlichen Narkosen am Klinikum durch
und war verantwortlich für die Intensivstation.
Die ersten beiden Jahre hat er Vollzeit gearbeitet und dann ein Jobsharing-Modell praktiziert, sodass er zwei Jahre mit einer halben
Stelle arbeiten konnte: Eine Woche stand er
der Klinik voll zur Verfügung inklusive Nachtdiensten und Wochenenden, die nächste Woche hatte er frei. „Das war das Gute daran:
Eine Woche war eine Woche, und die andere
Woche war ich weg.“ Die Gefahr von entgrenzten Arbeitszeiten war nicht gegeben. Dieses
72
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Arbeitszeitmodell hat ihm und seiner Familie
gut gefallen.
Teilzeiterwerbstätigkeit, um einen
guten Kontakt zu den Kindern
zu haben und der Partnerin
ebenfalls die Fortführung ihrer
Karriere zu ermöglichen
Christof Ronge ist 1995 Vater von Miriam geworden, 1999 kam Zora zur Welt und 2003 ist
Noemi geboren. Seine Frau Rebekka Alte ist
ebenfalls Ärztin. „Wir haben immer zugesehen,
dass wir trotz der Kinder unser Fortkommen in
der Karriere ungefähr gleich gestalten. Also,
dass wir das nicht so auseinanderdriften lassen. Der eine oder die eine macht die Karriere
und geht alle Schritte durch und hinten bleibt
jemand zurück mit den ursprünglich gleichen
Ambitionen.“
Dieser Wunsch nach gleichzeitiger beruflicher
Entwicklung und Kindern hat geklappt. Christof
Ronge wurde 1998 Facharzt für Anästhesie,
Rebekka Alte ist Fachärztin für Psychiatrie,
Neurologie sowie Psychotherapie und seit
2007 selbstständig in einer Gemeinschaftspraxis tätig. Sie arbeitet zurzeit ca. 40 Stunden in
der Woche und kann lediglich administrative
Arbeiten innerhalb ihrer Tätigkeit flexibel am
Abend oder am Wochenende machen.
Gleichzeitig war und ist es dem Paar wichtig, trotz beruflicher Entwicklung genügend
Zeit für ihre drei Töchter zu haben. Mit ihren
beiden Einkommen könnten sie sich eine ausgeprägtere Betreuung ihrer Kinder durch Dritte
leisten, tatsächlich haben sie aber nur einmal
wöchentlich nachmittags eine Betreuung für
ihre Kinder. An den anderen Tagen wechselt
sich das Paar mit der Kinderbetreuung ab.
Erziehungsurlaub als Mann 1997:
„Was soll jetzt aus Ihnen werden,
wenn Sie aufhören zu arbeiten?“
Vor 2004 hieß Elternzeit noch Erziehungsurlaub und die Männerquote lag bei unter zwei
Prozent. Einer dieser wenigen Männer war
Christof Ronge, der für Miriam anderthalb
Jahre Erziehungsurlaub nahm. „Als ich 1997
das erste Mal Erziehungsurlaub genommen
habe, da war das mit richtigen Widerständen
verbunden.“ Zwar war die Möglichkeit, Erziehungsurlaub zu nehmen, gesetzlich fixierter
Anspruch. Dennoch ist sein Wunsch „mit Verwunderung quittiert worden, das überhaupt
zu machen. Das fand ich recht eindrücklich.“
Christof Ronge war damals auf dem Weg zum
Facharzt. Er hatte konsequent Medizin studiert
und seine berufliche Laufbahn vorangebracht.
Seit 1992 war er als Assistenzarzt an einem
großen Klinikum im Bereich Anästhesie und
operative Intensivmedizin beschäftigt. Seine
Verträge waren immer befristet. Bei der Ankündigung, dass er jetzt in Erziehungsurlaub
gehen würde, fragte sein Chef: „Was soll jetzt
aus Ihnen werden, wenn Sie aufhören zu arbeiten?“
Christof Ronge war damals Anfang dreißig
und Fragen wie diese haben ihn verunsichert.
Trotz der Frage seines Chefs hat er nicht eingelenkt: „Die Entscheidung war klar, aber sie
war nicht ohne innere Schwierigkeiten. Oder
die kamen erst hinterher: Was habe ich mir
damit angetan? Habe ich mir die Karriere damit total ruiniert? Ist mein Fortkommen nicht
gesichert? Dazu muss man ja wissen, dass ich
mich zu der Zeit immer in Verträgen bewegt
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
73
habe, die befristet waren. Das war der große
Knackpunkt. Es gab ja immer die Befristung.
Und daher war nie klar und wurde von meinem
Arbeitgeber auch nicht klar formuliert, wenn
ich jetzt in Erziehungsurlaub gehe, wird mein
Vertrag später auch verlängert.“ Seine Frau
bringt es wie folgt auf den Punkt: „Er hat auch
etwas riskiert damit. Es herrschte für einen
Mann noch weniger Verständnis. Bei Frauen ist
das anders. Denen wird eher Verständnis entgegengebracht. Die werden zwar auch nicht
mehr gefördert, aber bei Frauen hat es eine
andere Normalität.“
Ende der 1990er Jahre herrschte noch kein
Mangel an Ärzt/innen, sondern starke Konkurrenz untereinander um die wenige Stellen.
Chefärzt/innen spielten damit und haben Druck
gemacht, Nachwuchskräfte zu fördern oder
eben auch nicht. „Mich hat auch die Angst richtig umgetrieben, die Stelle nicht wiederzukriegen“, so Ronge.
74
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Die anderthalb Jahre Erziehungsurlaub mit seiner Tochter Miriam hat er als sehr bereichernd
erlebt. Die besondere Bindung zwischen Vater
und Tochter wurde z.B. den Erzieherinnen in
Miriams Krippe daran deutlich, dass Miriam,
wenn sie sich wehgetan hatte, nicht wie die anderen Kinder nach der Mutter sondern „Papa,
Papa“ gerufen hat.
Sein privates Umfeld hat seine Erziehungsurlaube „komplett akzeptiert. Und ich habe nie
von anderen Männern gehört: ‚Warum machst
du das überhaupt?’ Aber auch nicht ‚Ich bin ja
neidisch auf dich, dass du das so machst.’“ Als
merkwürdig haben ihn dagegen die Mütter aus
Miriams Krippe empfunden: „Ganz am Anfang
bei Miriam war es schwierig, wie die Frauen
darauf reagiert haben, also die anderen Mütter. Dass da ein Vater ist, der sein Kind immer bringt und immer holt. Das war bei Miriam
ungewöhnlich und wurde auch so aufgefasst.
Wir waren zwei Väter, die das so gemacht haben, und die anderen Mütter haben häufiger
mit Unverständnis reagiert. Ich habe das so
interpretiert, dass sie sich das eigentlich auch
wünschen würden.“
Teilzeiterwerbstätigkeit – „Was
bin ich denn, wenn ich nicht voll
arbeite?“
Nach dem Erziehungsurlaub wollte Christof
Ronge wieder in Teilzeit beruflich einsteigen.
„Mir hatte der Erziehungsurlaub gut gefallen,
ich war Facharzt geworden und meine Frau
war noch keine Fachärztin. Deshalb musste
das jetzt möglich sein, dass ich reduziere.“
Das war allerdings nicht so einfach möglich.
„Das Wiederkommen in den Beruf nach dem
Erziehungsurlaub mit dem Wunsch auf Teilzeit,
das war richtig schwierig.“ Das Teilzeit- und
Befristungsgesetz, das heute in Unternehmen
mit mehr als 15 Beschäftigten allen einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeiterwerbstätigkeit ermöglicht, gab es noch nicht. Es hieß:
„Das machen wir nicht. Obwohl in der Abteilung
schon viele Frauen da waren, die Teilzeit gearbeitet haben. Da war das deutliche Ansinnen,
das nicht zu dulden“, wenn Männer in Teilzeit
erwerbstätig sein wollten.
grund seines Gesundheitswissenschaftsstudiums eng mit der Betreuung von Miriam und
Zora wurde, kam der Großvater aus Hannover
und übernahm die Betreuung. Christof Ronge
wurde zum Ende des Aufbaustudiums eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an
der Universität Bremen angeboten. Die Stellenkonkurrenz unter Ärzt/innen hatte sich leicht
entspannt, und Christof Ronge ging nach dem
Ende seines Erziehungsurlaubs von Zora das
Risiko ein, seinen Vertrag am Klinikum zu kündigen, wo er zehn Jahre gearbeitet hatte. Statt
der Arbeit mit Patient/innen widmete er sich
anderthalb Jahre der Versorgungsforschung.
Er genoss es, seine Arbeitszeiten so einteilen
zu können, dass sie mit der Kinderbetreuung
vereinbar waren, denn während dieser Zeit arbeitete seine Frau Vollzeit in einer Klinik. Sein
Chef an der Uni hat dieses Konzept unterstützt
und in bewundernswerter Weise akzeptiert.
Letztendlich hat es doch geklappt, weil eine
Kollegin eine Viertelstelle aufgestockt hatte,
sodass er mit einer dreiviertel Stelle wieder
einsteigen konnte. „Es war eng. Ich weiß nicht,
was gewesen wäre, wenn die Kollegin nicht relativ schnell gesagt hätte: ‚Wenn das hier nicht
geht, dann mach ich das möglich.’ Dann wäre
es nämlich in jedem Fall zu einer Konfrontation gekommen und dann weiß ich nicht, wie es
gewesen wäre.“
Auch für seine Tochter Zora hat er 2001-2003
erneut Erziehungsurlaub genommen. Dieser
Erziehungsurlaub gestaltete sich noch mal
ganz anders, weil Christof Ronge ein Aufbaustudium aufgenommen hatte. Wenn es auf-
2003 bekamen Rebekka Alte und Christof
Ronge Noemi, ihre dritte Tochter. Nach dem
Ausflug in die Wissenschaft fing Christof
Ronge 2004 als Oberarzt an der Klinik in Bas-
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
75
sum an. Mit 41 Jahren hatte er zum ersten Mal
in seinem Leben einen unbefristeten Vertrag,
zunächst in Vollzeit. Nach zwei Jahre reduzierte er seine Stelle um die Hälfte, um wieder
mehr für die Kinder dazusein und seiner Frau
den beruflichen Wiedereinstieg zu erleichtern.
Der Wechsel von Voll- auf Teilzeit in Bassum
war kein Problem, denn sein dortiger Chef sah
„dass das was Wichtiges im Leben ist, obwohl
er selbst ein ganz anderes Modell hatte.“
Brücke im Stadtteil Walle.
Der heutige Alltag – „Das Zeitkorsett ist enger als früher geworden“
„Ich finde, dass es jetzt schon eine stressigere Zeit ist als vorher mit einer halben Stelle
und einer für die Kinder übersichtlicheren Arbeiteinteilung. Wir haben das vorher auch mit
den Kindern abgesprochen. Im Moment habe
ich in die Waagschale geworfen, dass mich die
Palliativmedizin so interessiert, dass ich dafür
persönlich auch in Kauf nehme, zeitlich angespannter zu sein mit meiner Familie.“ Durch
seine Arbeitszeiterhöhung sieht er bei allen in
der Familie eine „gewisse Anstrengung“. Gerade Zora signalisiert ihm, dass sie die halbe
Stelle wesentlich besser fand. Auch er selbst
findet, dass die Abgrenzung und psychische
Belastung durch die wochenweise Arbeit geringer war als heute, wo er an allen Wochentagen
arbeiten muss.
Christof Ronges heutige Tätigkeit als Arzt am
Klinikum Links der Weser ist vielseitig. Hauptsächlich arbeitet er auf der Palliativstation.
Hier werden Menschen mit unheilbaren Erkrankungen aufgenommen, um ihre Symptome zu
lindern und mit möglichst guter Lebensqualität
wieder nach Hause entlassen zu werden. Nicht
selten bleiben die Patient/innen aber bis zu ihrem Tod auf der Palliativstation. Des Weiteren
arbeitet Christof Ronge in der Schmerzambulanz des Klinikums, und es wird versucht,
einen ambulanten Palliativdienst aufzubauen,
damit Palliativpatient/innen weniger in stationäre Betreuung müssen und zu Hause begleitet werden können. Weiterhin übernimmt das
ärztliche Palliativteam die medizinische Betreuung von sterbenden Patient/innen des Hospiz
76
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Innerhalb seiner Tätigkeit muss er monatlich an
einem Wochenende arbeiten und durchschnittlich acht Rufdienste absolvieren. Das bedeutet,
an acht Nächten im Monat von 18 Uhr abends
bis 8 Uhr am folgenden Tag telefonisch erreichbar zu sein und bei Notfällen in die Klinik
zu fahren. Seine normale Arbeitszeit erfolgt im
Schichtdienst. Mit zwei Kolleginnen haben sie
ein für alle drei individuell passendes Arbeitszeitmodell gefunden, sodass sich Berufliches
und Privates trotz Schichtdienst einigermaßen
kombinieren lassen. Wenn Christof Ronge
Frühdienst hat, muss er spätestens um 14 Uhr
Noemi aus dem Kindergarten abholen. Zora ist
meistens schon seit 13 Uhr allein zu Hause
und erwartet die beiden. Christof Ronge gefällt es nicht so gut, dass Zora jeden Tag eine
Stunde allein ist, wenn sie nach Hause kommt.
Zora selbst kommentiert das so: „Manchmal
ist es gut, manchmal aber auch doof.“
„Das Zeitkorsett ist enger als früher geworden“, seitdem er seine Arbeitszeit aufgestockt
hat und seine Frau Vollzeit erwerbstätig ist.
Lästig ist vor allem die Hausarbeit. Rebekka
Alte: „Das ist auch das, was uns beide nervt.
Das mit der Kinderbetreuung machen wir ja
beide sehr gerne, das macht ja auch Spaß.
Der Haushalt ist das, was nervt oder was zu
Spannungen führt. Das ist eher ein anstrengendes Thema.“ Samstags werden auch die
Kinder regelmäßig in die Hausarbeit mit einbezogen, Rebekka Alte ist für die Einkommenssteuererklärung zuständig und Christof Ronge
„begnadeter Bäcker“. Ansonsten versuchen
sie die Hausarbeit gleichmäßig zwischen sich
zu verteilen und die größeren Kinder zum Mithelfen zu motivieren.
„Grundsätzlich finde ich Teilzeit
unglaublich attraktiv, auch für
Menschen ohne Kinder.“
Christof Ronge meint: „Teilzeit hat einfach unglaubliche Vorzüge.“ Teilzeiterwerbstätigkeit
gibt ihm einen besseren Ausgleich zur Arbeit.
Er fühlt sich dadurch interessierter und motivierter für Dinge, die außerhalb der Arbeitswelt liegen. Vollzeiterwerbstätigkeit ist für ihn
momentan nur für kürzere Zeit denkbar: „Ich
kann mir zur Zeit nicht vorstellen, ständig voll
zu arbeiten, immer diesen anderen Part zu haben, weil mir dann letztendlich zu viel verloren
gehen würde. In unserem Beruf kommen ja
auch noch Wochenenddienste, Nachtdienste
und Bereitschaftsdienste dazu. Ich würde die
Kinder dann nicht mehr genug kennen.“ Durch
seine Erziehungsurlaube hat er die Erfahrung
gemacht, dass er es sich für eine gewisse Zeit
erlauben kann, voll zu arbeiten, weil die Beziehung mit den Kindern das über eine bestimmte
Zeit trägt. „Dadurch, dass wir uns bei vielen
Dingen gut kennen gelernt haben, kommen wir
mit weniger Zeit aus. Aber das trägt nicht für
immer, weil die Kinder sich so schnell verändern, dass dann bestimmte Situationen es erfordern, sich wieder neu kennen zu lernen und
das nicht nur in dieser verkürzten Zeit abends
kurz vorm Zubettbringen.“
„Man wird als Mann so erzogen, sich über
seinen Beruf zu definieren und wenn man das
nicht tut, was tut man dann oder was bin ich
dann?“ Christof Ronge versucht auch anderen
Männern entgegenzubringen, dass sie durch
neue Rollen profitieren können. „Das ist noch
mal so ein Schritt, wo ich in Gesprächen mit
anderen Männern dahin komme, dass es interessant ist, dass sie sich damit was wert sein
können, weil es einen Sinn hat.“
Christof Ronge hätte es allerdings auch nicht
als gutes Modell empfunden, wenn er immer
zu Hause gewesen wäre und seine Frau ausschließlich gearbeitet hätte. Für ihn ist Teilzeiterwerbstätigkeit auf jeden Fall zurzeit der
richtige Weg: „Ich bin gern bei der Arbeit, und
es gibt durchaus Situationen zu Hause, wo ich
mir wünsche, auf der Arbeit zu sein. Aber das
gleiche gibt es für die Arbeit auch. Ich finde
dieses Wechselseitige gut. Ich mache das ja,
mit Unterbrechungen jetzt seit zehn Jahren,
und ich würde es nicht anders machen wollen
solange wir noch soviel Zeit für unsere Kinder
brauchen.“
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
77
Aus Elternzeit in Teilzeit
Peter Heuschötter ist 46 Jahre alt und im
Werk Bremen von Airbus beschäftigt.
Bremen ist nach Hamburg der zweitgrößte
Standort von Airbus in Deutschland. Rund
3200 Beschäftigte sind in der Entwicklung, in
der Produktion, im Programmmanagement und
im Bereich Finanzen tätig. Ein Schwerpunkt ist
die Entwicklung, Konstruktion und Produktion
von Hochauftriebssystemen für die Tragflächen fast aller Airbus-Programme. Im Rahmen
des Fertigungsverbundes von Airbus ist Bremen das Zentrum für Flügelausrüstung aller
Großraumflugzeuge und das Zentrum für die
Herstellung der Landeklappen für alle AirbusProgramme. Weiterer Schwerpunkt ist die Herstellung von jährlich 2,5 Mio. Komponenten für
den Rumpf und die Tragflächen. Die gesamte
Prozesskette von Hochauftriebssystemen (z.
B. Landeklappen), d. h. die Entwicklung, die
Konstruktion und Erprobung, ist eine Kernfähigkeit des Standortes Bremen. Außerdem
stellt die Entwicklung und Konstruktion der
Frachtladesysteme für alle Airbus-Programme
ein schwerpunktmäßiges Arbeitsgebiet dar.
In der Ausrüstungsmontage werden die Tragflächen der Programme A340/A330 und
A300/310 mit allen Systemen versehen und
getestet. Dazu gehören alle elektrischen Komponenten sowie Systeme zur Enteisung und
für die Flügelsteuerung. In der Strukturmontage werden die Landeklappen und deren Untergruppen für alle Airbus-Programme montiert.
Mit modernsten Fügeverfahren werden hier
Hochauftriebssysteme aus Metall- und Komposit-Werkstoffen montiert. An der Entwicklung
und Produktion des neuen A380 ist Bremen
mit allen seinen Kernkompetenzen beteiligt. In
der Zukunft wird der Standort maßgeblich an
der Entwicklung und Fertigung der A400M beteiligt sein. In Bremen ist daher der deutsche
Anteil des Programmmanagements für die
A400M angesiedelt.
78
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Peter Heuschötter arbeitet im Bereich IT. Seine Aufgaben liegen in der Bereitstellung und
Anpassung von Softwarelösungen für Rechnungswesen und Controlling. Gegenwärtig
besteht die Aufgabe in der Entflechtung der
Werke Nordenham und Varrel aus den Airbus
IT Systemen. Nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann hat er später noch eine Berufsausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann
absolviert. Bei Airbus ist er seit ca. 16 Jahren
beschäftigt. Gegenwärtig ist er als Projektleiter deutschlandweit für einen bestimmten Aufgabenbereich zuständig.
Flexibel durch Arbeitszeitkonto
Peter Heuschötter hat seine Arbeitszeit auf 30
Wochenstunden reduziert. Es gibt bei Airbus
ein klassisches Gleitzeitkonto mit +100 Stunden, ein Langzeitkonto und ein Lebenszeitkonto. Die wöchentliche Arbeitszeit schwankt je
nach Arbeitsanfall ziemlich stark. Im kaufmännischen Bereich spielen Stichtage eine große
Rolle, der Arbeitsanfall in der unterstützenden
IT schwankt parallel dazu stark. Im Winter häuft
sich in den sechs bis acht Wochen vor Jahresschluss die Arbeit, dafür gibt es im Sommer
auch Phasen mit geringerem Arbeitsanfall.
Für die Abteilung ist es also wichtig, dass Peter
Heuschötter seine Arbeitszeit flexibel auf den
Arbeitsanfall ausrichtet. „Wichtig ist, dass ich
meine Arbeit fertig mache. Mein Chef spricht
mich regelmäßig darauf an, ob ich nicht wieder zu Vollzeit zurückkehren möchte.“ In den
letzten Jahren ist die Abteilung personell geschrumpft, weil Stellen nicht wieder besetzt
worden sind. „Es gibt den Bedarf, dass die
verbliebenen Mitarbeiter auch die 40 Stunden
arbeiten. Für einen Vorgesetzten ist es eher
schwierig, über eine Planstelle zu verfügen und
diese dann ‚nur‘ mit einem Teilzeitmitarbeiter
besetzt zu haben. Wobei auch nicht nur nach
‚Köpfen‘, sondern auch nach full-time-aequiva-
lents kalkuliert wird. Dies schon deshalb, weil
in einem internationalen Unternehmen wie Airbus die Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern
unterschiedlich lange Arbeitszeiten haben. Ich
habe Kollegen aus dem tariflichen Bereich, die
eine vertragliche 35-Stunden-Woche haben,
andere haben eine vertragliche 40-StundenWoche und zudem gibt es noch außertarifliche
Kollegen mit Vertrauensarbeitszeit auf Grundlage eines 40 Stunden-Vertrages. Ich mit meiner vertraglichen 30-Stunden-Woche zähle als
Teilzeitmitarbeiter, obwohl es sich nur um eine
Abstufung handelt.“ Das Arbeitszeitkonto flexibilisiert die Länge der wöchentlichen Arbeitszeit, Peter Heuschötter arbeitet die vertraglich
vereinbarten wöchentlichen 30 Stunden nur
im Durchschnitt eines längeren Zeitraumes.
Gleichwohl besteht ein Interesse des Unternehmens an seinen Kapazitäten. Heuschötter
hat das Angebot eines AT-Vertrages vorliegen.
Er möchte jedoch auch als außertariflich Beschäftigter seinen 30-Stunden-Vertrag behalten, aber das möchte die Firma nicht. „Ich
kann meine Arbeit auch mit einem AT Vertrag
machen, auch mit der Besoldung, die ich jetzt
habe, aber die Firma möchte Ziele auf Grundlage einer Vollzeitbeschäftigung und nicht auf
Grundlage einer Teilzeitbeschäftigung vereinbaren. Das würde bedeuten, dass ich länger
in der Firma bin. Und dann würde das hier bei
uns nicht mehr klappen, dass wir beide arbeiten gehen und uns um die Kinder kümmern.“
Gegen die Anfrage des Unternehmens besteht
Heuschötter auf der verkürzten Arbeitszeit.
Sein Arbeitsgebiet ist nach der Arbeitszeitreduzierung im wesentlichen unverändert geblieben. Die Arbeitszeitverkürzung hat also
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
79
zu einer Arbeitsverdichtung geführt. „Es gibt
natürlich ein Limit, den man dann nicht mehr
schafft. Das passiert meist zu den bereits erwähnten Spitzenzeiten – aber das hat es früher, als ich noch in Vollzeit gearbeitet habe,
auch gegeben. Dem kann man sowieso kaum
gerecht werden. Wenn sich alles ballt, dann
ist Land unter und dann muss man bestimmte
Aufgaben strecken, dass ist jetzt nicht durch
meine Teilzeit verschärft worden. Jetzt die letzten Wochen habe ich ja dann auch 40 Stunden
in der Woche gearbeitet.“ Bei Arbeitsspitzen
bleiben Teilaufgaben unerledigt, allerdings ist
dies keine Folge der Teilzeitbeschäftigung. Da
er seine Arbeitszeit zu Spitzenzeiten auf 40
Stunden hochfährt kann er das normale Maß
bewältigen.
Neues Gesetz ermöglicht
Teilzeit
Peter Heuschötter ist nicht unmittelbar aus
Vollzeit in Teilzeit gewechselt, sondern erst
nach einer Phase in Elternzeit. „Ich habe nach
der ersten und nach der dritten Tochter Elternzeit gemacht und bin anschließend in Teilzeit
gegangen. Das bahnte sich langsam an. Man
darf in der Elternzeit arbeiten und ich wollte
das machen. Dadurch sind wir in einen ähnlichen Rhythmus rein gekommen wie heute.
Und dann nach drei Jahren endet die Elternzeit
plötzlich und wir haben eine externe Betreuung zur Unterstützung gesucht und gefunden
und seit sechs Jahren läuft das Modell.“ Der
Einstieg in die Teilzeitbeschäftigung war eine
Unterbrechung der Erwerbstätigkeit nach der
Geburt des ersten und des dritten Kindes. „Wir
zwei als Eltern haben uns zusammen gerauft –
und das Teilzeitgesetz der Regierung Schröder
wurde damals gerade verabschiedet und dann
bin ich zu meinem Boss gegangen und habe
gesagt: Auf dieses Gesetz berufe ich mich und
das möchte ich machen. Mein damaliger Bereichsleiter sagte: Dann kannst Du hier keine
80
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
verantwortungsvolle Tätigkeit mehr ausüben.
Doch ich bin hartnäckig geblieben und das
Gesetz hat mir geholfen, dem Druck Stand zu
halten. Ich hatte keine berufliche Alternative,
um in einem anderen Betrieb in Bremen meine Teilzeitbeschäftigung zu verwirklichen. Da
war das Gesetz schon wichtig.“ Am 1. Januar
2001 ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz in
Kraft getreten. Die Bereiche Teilzeitarbeit und
Befristung wurden unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben zusammenfassend
geregelt. Die Regelungen schaffen nicht nur
Flexibilität für die Unternehmen sondern auch
größere Zeitsouveränität für die Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen. Peter Heuschötter
nutzt das gerade verabschiedete Gesetz,
um die Reduzierung der Arbeitszeit durchzusetzen.
Flexibel durch Absprachen
Mit seiner Frau hat Peter Heuschötter drei Kinder im Alter von neun, elf und vierzehn Jahren.
Die Kinder gehen in eine öffentliche Schule
mit Halbtagsbetreuung und ohne Mittagessen und werden nachmittags von den Eltern
und einer Betreuerin versorgt. Die Betreuerin
kommt montags, dienstags und mittwochs in
das Haus der Familie – sie kommt mittags und
bleibt in der Regel bis 16.00 Uhr. Donnerstags
übernimmt der Vater die nachmittägliche Betreuung, freitags die Mutter. Diese feste Regelung ist Kollegen und Vorgesetzten in den
Betrieben der Eltern bekannt. „Bei mir auf der
Arbeit ist es so, dass alle wissen Donnerstag
Nachmittag gehe ich weg. Das habe ich in der
Anfangszeit so konsequent gemacht, dass
sich heute auf der Arbeit keiner mehr groß
fragt: Ist er da oder nicht?“ Heuschötter arbeitet mittlerweile seit sechs Jahren in Teilzeit
– Vorgesetzte und Kollegen haben sich mittlerweile damit arrangiert und kalkulieren seine
nachmittägliche Abwesenheit am Donnerstag
ein. Die Verteilung der Arbeits- und Betreu-
ungszeiten zwischen den Eltern orientiert sich
an der Notwendigkeit, die Kinder zu betreuen,
also morgens zur Schule zu schicken und mittags nach der Schule bzw. im Anschluss an
die Betreuerin zu versorgen und für die Kinder
und ihre Bedürfnisse präsent zu sein. Das ist
das Ziel der Eltern besteht darin, die Kinder im
familiären Rahmen und mit möglichst großer
persönlicher Betreuung durch beide Elternteile
aufwachsen zu lassen. Dieses Ziel ist verbunden mit dem gleichwertigen Ziel, beide Elternteile im Berufsleben zu halten. Nachmittags
sollen die Kinder nur (nicht zu lange) fremdbetreut werden. Länge und Lage der täglichen
Arbeitszeit sowie der wöchentlichen Arbeitszeit balanciert er zwischen Arbeitsanforderungen, Kinderbetreuungsanforderungen und
den Arbeitsanforderungen seiner Frau aus.
Die Kinderbetreuung teilt er sich mit seiner
Frau und einer Betreuerin. Diese übernimmt
drei Nachmittage in der Woche, die Eltern jeweils einen Nachmittag. Die Betreuerin kümmert sich an drei Nachmittagen bis ca. 16.00
Uhr um die Kinder und wird dann von einem
Elternteil abgelöst. Donnerstags ist Vater-Tag,
da übernimmt Peter Heuschötter die Kinderbetreuung nach Schulschluss. Neben diesem
festen Tag stimmt er sich mit seiner Frau über
die Ablösung der Betreuerin ab. „Je nachdem,
wer an diesem Tag eben mehr tun muss in der
Firma, der löst die Betreuerin eben nicht aus
– so funktioniert das.“
Planung ist wichtig
Dieses Modell bildet jedoch nur die ‚normale‘
Woche ab. „Wenn jemand von uns reisen muss
übernimmt der andere den Betreuungspart.“
Dienstreisen gehören bei beiden Partnern zum
beruflichen Alltag, wenn auch in unterschiedlicher Häufigkeit und mit variierender Länge.
Peter Heuschötter war über einen längeren
Zeitraum in einem Projekt engagiert, dass häufigere Arbeitstreffen im Airbus Werk Toulouse
erforderte – auch diese Herausforderung hat
Kinderbetreuungsnetzwerk bewältigt. Auch
bei der Mutter gehören häufigere Dienstreisen
zum Arbeitsalltag. Kollisionen zwischen den
zeitlichen Anforderungen an die Eltern führen
zu Konflikten zwischen den Zielen ‚Betreuung
der Kinder selbst übernehmen‘ und ‚berufliche
Anforderungen erfüllen‘. Die Eltern haben für
diesen Zielkonflikt mit ihrem Betreuungsnetzwerk verschiedene Lösungen erarbeitet. Zum
einen können sie den Rahmen der Fremdbetreuung erhöhen und die Betreuerin bitten, an
einzelnen Tagen länger bei der Familie zu bleiben. Zum anderen können sie sich bei der Terminvereinbarung dafür einsetzen, Dienstreisen
komplementär zu den Abwesenheitszeiten des
Partners zu terminieren. „Viel passiert im Vorfeld von Dienstreisen. Wir telefonieren häufiger
auf der Arbeit. Wenn ich Termine mache oder
Terminvorschläge rein bekomme teile ich die
Brigitte mit – und sämtliche Termine, die sich
bei Brigitte anbahnen stehen bei mir Arbeitskalender. Wir pflegen gegenseitig die Termine
in unseren Arbeitskalendern mit. Es ist ja nicht
so, dass diese Dienstreisen plötzliche kommen und dass man gar nicht mitreden kann.
Häufig ist es so, dass es bei der Verabredung
von Terminen auch Gestaltungsspielräume
gibt und diese versuchen wir im gemeinsamen
Interesse zu nutzen. Dann ist es so, dass
Brigittes Dienstreisen meist Dienstags, Mittwochs oder Donnerstags anfallen und dann
kann ich oder die Betreuerin ihre Abwesenheit
in der Regel auffangen. Und dann gibt es noch
die plötzlichen Dienstreisen. Dann muss man
Glück haben. Dass einer von uns eine Dienstreise absagen musste liegt im einstelligen
Prozentbereich. Das hat bislang immer ganz
gut geklappt.“ Die Unterstützung durch eine
flexible Betreuerin sowie vorausschauende
Planung sind die entscheidenden Ressourcen,
um Konflikte im Vorfeld zu entschärfen. Eine
wichtige Voraussetzung für die Verbindung von
Berufstätigkeit und Versorgung von Kindern ist
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
81
eine zuverlässige Gesundheit der Kinder. „Mit
Gesundheit und Krankheit haben wir bislang
keine Probleme – die Kinder sind eigentlich
nie krank. Und auch mit der Schule haben wir
Glück. Wir haben in der Schule keine Schwierigkeiten und keinen besonderen Betreuungsaufwand. Die Kinder machen aus eigenem
Antrieb Hausaufgaben und nutzen unsere Abwesenheit nicht aus. Die Kinder sind jetzt keine
Kleinkinder mehr, sondern brauchen eine Begleitung bei den Hausaufgaben.“
Private Kinderbetreuung
Als Heuschötters Kinder zur Schule kamen gab
es in Bremen noch keine Ganztagsschule. Einer Familie mit mehreren schulpflichtigen Kindern hilft die Ganztagsschule darüber hinaus
nur, wenn alle Kinder betreut werden. Sobald
ein Kind nicht versorgt ist, müssen die Eltern
die Versorgung lösen. „Wir haben eine Formel
gemacht: Wir trauen es Kindergärten, Horten
und Schulen nicht zu, dass sie drei Kinder langfristig zuverlässig gut betreut kriegen. Damals
ging das Hortangebot in der Grundschule nur
bis zum dritten Schuljahr – das nützte uns
nichts. Wir sind also bewusst aus dem öffentlichen Betreuungsangebot ausgestiegen und
haben das privat auf die Beine gestellt.“ Die Familie entwickelt ihr Modell der privaten Kinderbetreuung, um sich nicht in die Abhängigkeit
öffentlicher Versorgungsinfrastruktur begeben
zu müssen. Nicht nur der Blick auf die Schließzeiten öffentlicher Einrichtungen während der
Ferien, auch die konzeptionellen Ansätze bei
der Umsetzung von Ganztagesschulen bestätigen die Familie in ihrer Entscheidung. „Schulen
wie die heute gebaut werden, mit den starken Klassen, ohne Rückzugsmöglichkeiten für
die Kinder, ohne verschließbare Schränke für
private Sachen, keine vernünftigen Mensen
– da kann man nur zurück schrecken. Ganztagsschule im Sparmodus, wir sehen es an
unserer Vierzehnjährigen, die hat nachmittags
82
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
Unterricht, es gibt kein Essen, so arbeitet in
Deutschland kein Handwerker. Da versuchen
wir uns fern zu halten und versuchen die Betreuung privat zu organisieren. Das halten wir
jetzt schon so lange durch, da bin ich guter
Dinge, dass wir das auch noch so lange durchhalten bis die Kinder groß sind. Es wächst sich
aus vom Alter her.“
Die Verwirklichung einer familiären Betreuung
mehrerer Schulkinder bei beruflich stark engagierten Eltern ist an vielfältige Voraussetzungen gebunden: „Wir sind beide in Jobs, die
ganz gut bezahlt werden. Die Betreuung im familiären Rahmen kann nur funktionieren, wenn
es ein erhebliches Einkommensgefälle zwischen Auftraggebern und Betreuungskräften
gibt. Damit das Modell mehr Verbreitung findet
sollte es steuerlich so eingerichtet werden,
dass es sich mehr Eltern leisten können. Vielleicht muss es mehrere unterschiedliche Modelle für die unterschiedlichen Lebenslagen.“
Neben einer guten materiellen Ausstattung,
also einem überdurchschnittlichen Verdienst
ist eine große Wohnung bzw. ein Haus sicherlich eine weitere Voraussetzung. Ein weiteres
Erfordernis ist eine zuverlässige, flexible und
qualifizierte Betreuungskraft mit einem guten
Kontakt zu den Kindern. Eine weitere materielle Voraussetzung neben einem überdurchschnittlich hohen Einkommen der Eltern ist
eine symmetrische Verteilung auf die Partner:
„Unser Modell macht nur Sinn, wenn die Gehälter vergleichbar hoch sind. Dann muss man in
der nähe der Arbeit wohnen - Teilzeit und Pendeln macht wenig Sinn, Wegezeiten müssen
gering sein. Auch muss man räumlich nahe
bei der Schule sein, um die Kinder abholen zu
können, wenn es ihnen schlecht geht.“
Für Peter Heuschötter profitiert die Beziehung
zu seinen Kindern von seiner Präsenz: „Ich
habe viel mehr Kontakt zu den Kindern. Zum
Beispiel klebt die Jüngste ganz gut an mir. Ich
mache auch mit den Kindern Hausaufgaben
und Freizeitsachen, die ich sonst nicht machen
würde. Ich sehe meine Kinder jeden Morgen
und jeden Abend – ich kenne viele Kollegen,
die sehen ihre Kinder nur morgens oder nur
abends oder sogar mal ein paar Tage nicht.
Das ist schon ein wichtiger Unterschied. Ich
bin Ansprechpartner für bestimmte Dinge und
Brigitte für andere Dinge.“ Auch die Partnerschaft profitiert von der Präsenz beider Eltern:
„ Wir haben eine reichere Erfahrungswelt, weil
wir Arbeit und Familie teilen. Arbeit ist ein Quell
von Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit.
Meins, deins und wir – wir sind jede Menge
wir und ein bisschen meins und deins ist auch
nicht schlecht.“
Partnerschaft profitiert
Daneben betrachten beide ihren Lebensentwurf auch als Schritt zur Verwirklichung einer
gleichberechtigten Partnerschaft: „Der Ertrag
ist die Gleichberechtigung: Wir haben beide
unser Einkommen, keiner muss den anderen
fragen. Wir bestimmen im gleichen Maße mit
wenn es um Anschaffungen und Freizeit geht.“
(Brigitte) Da beide gleichermaßen beruflich
integriert sind und obendrein ungefähr gleich
viel verdienen entsteht keine materiellen Abhängigkeit. Auch bei der Hausarbeit streben
beide eine gleichmäßige Verteilung an: „Ich
erkenne an, das Brigitte mehr macht, dass sie
effizienter ist und auch fleißiger ist. Ich weiss
durch Gespräche mit meinen Kollegen, dass
ich mehr mache als andere, aber wenn wir es
objektiv messen würden wäre ich im Hintertreffen, was die Hausarbeit angeht.“ Die Teilzeitbeschäftigung ist eine Voraussetzung für eine
symmetrische Verteilung der Hausarbeit auf
beide – im Alltag wirken tradierte Rollenmuster
fort, die Frau übernimmt auch in dieser Familie
den überwiegenden Part der Hausarbeit.
Verantwortung für die Kinder erzeugt einen
hohen Abstimmungs- und Aushandlungsaufwand. „Ich beneide manchmal meine männlichen Kollegen. Wenn die einen Termin reinkriegen, die sagen gleich zu , was soll‘s? Die
müssen sich nicht zu Hause abstimmen, auch
wenn‘s abends mal sieben oder acht Uhr wird,
kein Problem. Wenn ich mir dagegen mal anschaue, was wir für ein Arbeitsaufkommen
haben: Wir haben alleine 60 Stunden im Job,
arbeiten faktisch aber mehr, wir haben unsere
Pausenzeiten, die wir ja auch auf der Arbeit
verbringen müssen und wir haben Wegezeiten.
Wenn ich das mal mit dem normalen Modell,
Mann arbeitet Vollzeit und Frau halbe Stelle
vergleiche – die haben einen ganz anderen
Stundeneinsatz. Die arbeiten viel effizienter.
Und das ist der Punkt, um den ich die Paare
ein bisschen beneide. Und die können schon
ein bisschen entspannter auftreten. Wir haben
viel mehr Diskussionen und Abstimmungen um
unser Leben zu regeln. Wir organisieren uns
ein Bein ab, wo andere gar nicht nachdenken
müssen. Das ist der Preis für die gleichberechtigte Beziehung.“ Die Modernisierung der
Rollenverteilung erzeugt höhere Organisationskosten als die Fortführung der traditionellen
asymmetrischen Rollenverteilung. An diesem
Paradox brechen sich in vielen Fällen die individuellen Versuche, Gleichberechtigung zu
verwirklichen wie die gesellschaftlich notwendige Öffnung des Arbeitsmarktes für Eltern.
Weiter als die Modernisierung von Regelungen
und Institutionen ist in vielen Bereichen, wie
auch bei Airbus, die Modernisierung von Kultur
und Unternehmenskultur: „Kollegen und Vorgesetzte akzeptieren meinen Lebensentwurf, so
dass ich mich nicht dumm oder zurückgesetzt
fühle. Ich muss nicht groß gegen Widerstände
kämpfen und meine Energie dafür aufzehren.“
Die angestrebte symmetrische Verteilung der
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann
83
Impressum
Herausgeber/innen:
Arbeitnehmerkammer Bremen
Körperschaft des öffentlichen Rechts
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
Telefon: 0421 36301-0
Telefax: 0421 36301-89
[email protected]
www.arbeitnehmerkammer.de
INQA Geschäftsstelle der Initiative
Neue Qualität der Arbeit
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin
Friedrich-Henkel-Weg 1 - 25
D-44149 Dortmund
Tel. 0231 9071 2250
Fax 0231 9071 2363
www.inqa.de
www.baua.de
Redaktion:
Tanja M. Brinkmann
Rena Fehre
Götz Richter
Kerstin Purnhagen
Margareta Steinrücke
Druck:
Druckerei Wellmann
Fotos: Kay Michalak
Cover und S.14 - 31
Gestaltung:
Rena Fehre
Erscheinungsjahr Neuauflage:
2013
84
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann