Teilzeitarbeit - Vollzeitmann - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
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Teilzeitarbeit - Vollzeitmann - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Portraits von Männern in Teilzeit Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Portraits von Männern in Teilzeit 1 Inhaltsverzeichnis Vorworte Ingo Schierenbeck Dr. Christa Sedlatschek Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern Tanja M. Brinkmann, Rena Fehre, Götz Richter, Kerstin Purnhagen, Margareta Steinrücke 6 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Portraits von Männern in Teilzeit „Wir leben ein sehr symmetrisches Modell, in dem wir eine ‚fast’ gleiche Verteilung in der Arbeit und dem Haushalt und der Kindererziehung leben.“ Christian Beck 14 „Männer ziehen ihr Selbstbewusstsein immer noch zu ausschließlich aus dem Beruf.“ Ulf Jacob 20 „Es gibt die Pflicht und die Kür – wie Führungs- und Vaterrolle sich vereinbaren lassen“ Peter von Kampen 26 „Männer müssen mutiger sein, und Frauen müssen fordernder sein.“ Matthias Eck 32 „Ich verbinde mit männlich sein oder Mann sein eben nicht 15 Stunden am Tag zu arbeiten.“ Markus Zimmermann 38 Im Einsatz als aktiver Vater: „Ich habe es nie bereut. Es hat sehr, sehr viel Spaß gemacht und macht auch noch viel Spaß.“ Christian Reil 44 „Führungskräfte müssen nicht die Ersten sein, die kommen und die Letzten, die gehen. Sie müssen aber für ihre Mitarbeiter da sein, wenn es offene Fragen gibt.“ Tim Landgraf 52 „Männer müssen ihre Wünsche und Ansprüche gegenüber ihrem Vorgesetzten klar äußern.“ Jürgen Kolbe 60 Arbeit auf mehrere Schultern verteilen und Zeit für eigenständige Kunst gewinnen Dr. Thomas Steidel 66 „Wir haben immer zugesehen, dass wir trotz der Kinder unser Fortkommen in der Karriere ungefähr gleich gestalten.“ Christof Ronge 72 Aus Elternzeit in Teilzeit Peter Heuschötter 78 4 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 3 Vorwort zur erweiterten Neuauflage Teilzeit und Männer – das scheint nach wie vor nicht ganz zusammenzupassen. Noch immer sind es in erster Linie Frauen, die wegen ihrer familiären Situation die Arbeitszeit reduzieren, auch wenn der Anteil der Männer an Teilzeit langsam wächst. Dabei stellen wir fest: Den Bedarf an Teilzeitarbeit haben auch Männer – sei es, weil sie sich als junge Väter an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen oder sie zunehmend auch die Pflege ihrer Eltern übernehmen. Nur die konkrete Umsetzung in den Betrieben kommt nicht so schnell voran. Dabei gibt es zahlreiche gute Beispiele, die wir in der 3. Neuauflage von „Teilzeitarbeit – Vollzeitmann“ vorstellen. Zum ersten Mal erschienen ist diese Broschüre vor vier Jahren in Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Qualität der Arbeit INQA. Die jetzt vorliegende Neuauflage haben wir um drei neue Praxisbeispiele erweitert, um den Betrieben aufzuzeigen, wie Teilzeitarbeit für Männer aussehen kann. In den neu hinzugekommenen Porträts, in denen übrigens alle Paare in sogenannter kurzer Vollzeit um die 30 Wochenstunden arbeiten, wird noch einmal sehr anschaulich, wie wichtig ein gleichberechtigtes Rollenverständnis beider Partner ist. Und es wird deutlich, dass Teilzeitarbeit auch in Führungspositionen möglich ist, wenn bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen und eingehalten werden. Auch die damit einhergehende Vorbildfunktion wird in den Porträts sichtbar. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine anregende Lektüre und insbesondere betrieblichen Interessenvertretungen und Personalverantwortlichen praktische Hilfe bei der Umsetzung von Teilzeitwünschen von Männern in ihrem Betrieb. Ingo Schierenbeck Hauptgeschäftsführer Arbeitnehmerkammer Bremen 4 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Vorwort Männer in einem Teilzeitjob gehören noch immer zu einer Minderheit, die besonders mutig und innovativ oder aber den Umständen gehorchend sich dem traditionell vorherrschenden (Vor-) Bild entziehen (müssen) und nicht mehr den (alleinigen) Familienversorger abgeben. Die Umsetzung dieses Veränderungsprozesses in der realen (Berufs-) Welt scheint aber mühsam und zäh, wie die Erfahrungen aber auch die Zahlen und Fakten zeigen. Nur die Zeit drängt. Der demographische Wandel ist schon lange bei uns angekommen, die Mehrzahl der Beschäftigten wird immer älter, die Gruppe der jungen Menschen immer kleiner. Gut ausgebildete Frauen sind am Arbeitsmarkt stark nachgefragt, gleichzeitig kommt es aber durch die Folgen von Globalisierung und damit einhergehender Flexibilisierung von Ort und Zeit zur Entgrenzung von Beruf und Privatleben. Die Geburtenzahl in Deutschland ist weiterhin fallend, was nicht nur an der sinkenden Einwohnerzahl liegt, sondern vor allem an den seit Jahrzehnten vorherrschenden kinder- und familienfeindlichen Rahmenbedingungen. Eine Verbesserung dieser Situation ist erkennbar, aber der große Durchbruch ist noch ausgeblieben. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns vor Augen halten, dass für eine signifikante Verbesserung sehr rasch die gesellschaftlichen und sozialpolitischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Die INQA Studie „Was ist gute Arbeit“, basierend auf der Befragung von mehr als 7400 Beschäftigten, zeigt sehr eindringlich, was Beschäftigte motiviert, gute Arbeit in einem Unternehmen zu erbringen und welche Voraussetzungen sowohl physisch als auch psychisch förderlich sind: neben Existenzsicherung und ergonomisch gestalteter Arbeit steht die Mitgestaltung und Einflussnahme auf Arbeitsorganisation und Arbeitszeit im Mittelpunkt der Wünsche. 63% klagen über Nichtberücksichtigung privater Belange, 49% über übermäßige Mehrarbeit und Überstunden, 41% über Samstags-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Wie könnte nun das Leben von selbstbewussten Männern und Frauen aussehen, die beschlossen haben, nicht mehr nach traditioneller Art ihr Leben zu gestalten, sondern einen neuen Weg gefunden und ein Stück Freiheit wieder gewonnen haben? Wie derartige Lebensmodelle aussehen könnten, darüber erfahren Sie mehr in acht Geschichten, erzählt von Männern, die ungeschminkt ihren Weg mit all den Höhen und Tiefen beschreiben und bis dato (fast) Nichts bereut haben. Es geht dabei nicht nur um Familie und Beruf, sondern auch darum, eigene Träume zu realisieren, die vielleicht weit außerhalb von Beruf, Karriere und Familie liegen. Die Geschichten erzählen von Männern und Frauen, die aus tradierten Rollen heraustreten und neue Verantwortlichkeiten, Einsichten und Handlungsmuster übernehmen. Sie machen Mut, geben Denkanstöße, zeigen ungewöhnliche Lösungsansätze auf und motivieren vor allem, keine Angst vor Neuem zu haben. Dr. Christa Sedlatschek INQA Geschäftsführerin Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 5 Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern Tanja M. Brinkmann, Rena Fehre, Götz Richter, Kerstin Purnhagen, Margareta Steinrücke Männlichkeit und Vollzeiterwerbstätigkeit sind in der Vorstellung vieler Menschen eng miteinander verknüpft. Für die Mehrheit der Männer, aber auch für viele Frauen und die Kultur der meisten Unternehmen in Deutschland ist Vollzeiterwerbstätigkeit von Männern immer noch eine Selbstverständlichkeit, die kaum in Frage gestellt wird und für eine Karriereentwicklung oftmals geradezu unerlässlich erscheint. Hier greift sogar mehr und mehr der Trend zu einer überlangen Vollzeit. Deshalb hat Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern in Deutschland nach wie vor Seltenheitswert. Dass es sie dennoch gibt und dass sie erfolgreich und zur Zufriedenheit aller Beteiligten praktiziert werden kann, zeigt die von der Arbeitnehmerkammer Bremen im Jahr 2008 erschienene Broschüre „Teilzeitarbeit – Vollzeitmann“ anhand von acht Beispielen. In dieser aktualisierten Neuauflage der Broschüre werden die acht Beispiele um drei zusätzliche Erfahrungsberichte von Männern, die ebenso erfolgreich in Teilzeit arbeiten, erweitert. Die elf Männer, die in dieser Broschüre zu Wort kommen, haben ihre Erwerbsarbeit aus den unterschiedlichsten Gründen reduziert, sind in Teilzeit tätig und fühlen sich trotzdem als vollwertige Männer und werden so sowohl im Betrieb als auch zu Hause wahrgenommen und geschätzt. Da elf Portraits aber kein repräsentatives Bild abgeben, soll zu ihrer besseren Einordnung zunächst ein kurzer Überblick über Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern in Deutschland gegeben werden. Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern – Wunsch und Wirklichkeit Teilzeiterwerbstätigkeit ist ein relativer Begriff. Viele verbinden damit eine sogenannte halbe Stelle, also eine wöchentliche Arbeitszeit von circa 20 Stunden. Nach dem Gesetz sind Beschäftigte aber immer dann teilzeiterwerbstätig, wenn ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kürzer ist als die von vergleichbaren Vollzeiterwerbstätigen. Teilzeiterwerbstätigkeit besteht einzig und allein darin, dass die Arbeitszeit unterhalb des jeweils gültigen Vollzeitniveaus liegt. Deshalb ist Teilzeiterwerbstätigkeit sehr vielfältig. Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse gibt es sowohl knapp unterhalb des Vollzeitstandards, auch bekannt als „Vollzeit light“ oder „kurze Vollzeit“ (Spitzley 2005). Aber auch Arbeitsverhältnisse mit nur wenigen Stunden in der Woche gelten als Teilzeiterwerbstätigkeit (Troost/Wagner 2002: 2). Während seit wenigen Jahren in Deutschland eine konstante Zahl von 41 Millionen Erwerbstätigen vorliegt, waren davon im Jahr 2011 26,6 Prozent Personen in Teilzeit1 beschäftigt. Im Vergleich zum Jahr 2008 hat sich die Teilzeitquote demnach um 0,9 Prozent erhöht. Deutschland hat damit 1 Die Teilzeitquote ist der Anteil der Teilzeiterwerbstätigen an allen aktiv Erwerbstätigen. 6 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann im EU-Vergleich die dritthöchste Teilzeitquote1, lediglich in Großbritannien und den Niederlanden ist Teilzeiterwerbstätigkeit noch ausgeprägter (Europäische Kommission: 2011). Während im EU-Durchschnitt 40,6 Prozent der Arbeitnehmer in Teilzeit erwerbstätig ist, sind es in Deutschland 55,2 Prozent. Bei der Teilzeiterwerbstätigkeit zeigen sich jedoch wesentliche Geschlechterunterschiede: Die Teilzeitquote von Frauen liegt derzeit bei 45,5 Prozent, die der Männer bei 9,7 Prozent. Teilzeiterwerbstätigkeit ist demnach noch immer mehrheitlich eine weibliche Beschäftigungsform (Bundeszentrale für politische Bildung: 2012). Männer arbeiten vor allem während der Schul- und Studienzeit und ab dem Rentenalter in Teilzeit. In der Lebensphase der Familiengründung jedoch sind sie überwiegend in Vollzeit beschäftigt. Im Gegensatz dazu arbeiten Frauen hauptsächlich ab 30 Jahren, und somit zur Zeit der Familiengründung, zu einem sehr hohen Anteil in Teilzeit (Piminger 2012: 16). Teilzeitquote von Männern nach Alter Prozent 18,0 16,0 14,0 12,0 10,0 8,0 6,0 4,0 2,0 0,0 15,8 15,5 13,6 12,6 7,6 15-20 6,0 5,4 20-25 25-30 30-35 35-40 40-45 5,6 45-50 6,2 50-55 8,0 55-60 8,9 alle 60-65 Männer Männer nach Alter Während die Teilzeitquote von Müttern mit mindestens einem Kind unter 6 Jahren im Jahr 2011 bei 65,2 Prozent lag, lag der Anteil von Vätern bei nur 6,2 Prozent. Dieser Wert steigt bei Männern erst ab einer Kinderzahl von drei oder mehr Kindern. Sind Väter mit nur einem Kind im Vorschulalter zu 6,0 Prozent in Teilzeit beschäftigt, sind es bei drei oder mehr Kindern 8,3 Prozent (Körner et al. 2012: 36). Absolute Zahlen zeigen, dass die durchschnittlich geleistete Wochenarbeitszeit von Männern mit Kind(ern) sogar höher ist als die von Männern ohne Kind(er) (Klenner/Pfahl 2008: 9). Lag die wöchentliche Arbeitsstundenzahl bei Männern ohne Kind im Jahr 2012 bei 38,7 Prozent, steigt diese um 0,5 – 0,7 Stunden je nach Kinderzahl an. Erst ab einer Anzahl von drei oder mehr Kindern, arbeiten Männer 0,2 Stunden weniger als Kinderlose. Männer, die Teilzeit arbeiten und Kindern unter 14 Jahren haben, geben folgende Gründe dafür an: 24,1% finden keine Vollzeiterwerbstätigkeit. 23,0% führen Gründe wie Aus- und Fortbildung an 7,6 nennen familiäre oder persönliche Verantwortungsbereiche als Gründe Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 7 6,8% nennen Gründe wie Krankheit und Unfallfolgen 2,7% nennen die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen 35,9% nennen sonstige Gründe für den Verzicht auf Vollzeiterwerbstätigkeit. (Körner et al. 2012: 33). Es zeigt sich also, dass familienbedingte Teilzeit bei Männern selten ist. Die meisten Männer verwirklichen mit einer Teilzeitbeschäftigung nicht den Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben, sondern können beispielsweise (noch) kein Vollzeitarbeitsverhältnis finden. In 2011 waren 73 Prozent aller Eltern erwerbstätig, davon arbeiteten 93,8 Prozent der Väter, aber nur 34,1 Prozent der Mütter in Vollzeit. Obwohl 93,8 Prozent aller Väter in Vollzeit erwerbstätig sind, entspricht die tatsächliche Arbeitszeitlänge jedoch oftmals nicht ihren Wünschen. So geben 60 Prozent der Väter mit Kindern unter 18 Jahren an, dass sie ihre Arbeitszeit gern reduzieren würden. Durchschnittlich äußern Väter zu 53 Prozent den Wunsch lediglich 36 bis 40 Wochenstunden arbeiten, 19 Prozent gaben sogar an, ihre Arbeitszeit auf 30 bis 35 Stunden pro Woche verkürzen zu wollen (BMFSFJ 2010: 9). In dem Zusammenhang plädieren Väter zu 82,5 Prozent dafür, dass Arbeitgeber/innen mehr Teilzeitarbeitsplätze einrichten sollen (Zerle/Krok 2008: 12). Dazu kommt, dass 68,2 Prozent der befragten Väter ihr Unternehmen als nicht oder nur teilweise väterfreundlich empfinden. Des Weiteren bemängeln 85,5 Prozent von ihnen, dass „Vereinbarkeitsmaßnahmen zu sehr oder zum Teil zu sehr auf Frauen ausgerichtet sind (Väter gGmbH 2012: 68). Wirkungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes Im Jahr 2001 trat in Deutschland das Gesetz für Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) in Kraft (Arbeitnehmerkammer Bremen 2004). Ziel dieses Gesetzes ist es, „Teilzeitarbeit zu fördern, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge festzulegen und die Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten und befristet beschäftigten Arbeitnehmern zu verhindern“ (TzBfG, § 1). Wer mindestens sechs Monate in einem Betrieb erwerbstätig ist, in dem mehr als 15 Arbeitnehmer/innen beschäftigt sind, hat einen Rechtsanspruch auf Teilzeiterwerbstätigkeit. Bis zum Jahr 2001 war Teilzeit mit zahlreichen rechtlichen Benachteiligungen sowie vor allem mit einem eingeschränkten Berufsspektrum und niedriger Entlohnung auf den unteren Ebenen der betrieblichen Hierarchie verbunden. Ziel des neuen Rechtsanspruchs ist es, auch in Führungspositionen reduzierte Arbeitszeiten zu ermöglicht (Koch 2008). Obwohl nicht explizit in den Wortlaut des Gesetzes aufgenommen, sollen darüber hinaus die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben und die Gleichstellung von Frauen und Männern gefördert werden. Zwar gibt das TzBfG einen Rechtsanspruch auf Arbeitszeitreduzierung, jedoch keinen garantierten gesetzlichen Anspruch auf eine Rückkehr von der Teilzeit in eine Vollzeitbeschäftigung2. Aufgrund dessen ist es möglich, dass insbesondere Männer ihren Wunsch nach zeitweiser Teilzeiterwerbstätigkeit nicht realisieren, weil sie befürchten, nicht wieder in ein Vollzeitbeschäftigungsverhältnis 8 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 2 Es wurde lediglich ein Vorrang bei der Besetzung offener Stellen aufgenommen. Teilzeitbeschäftigte, die eine Verlängerung ihrer Arbeitszeit wünschen, müssen bei gleicher Eignung vorrangig berücksichtigt werden, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz besetzt wird. zurückzukommen. Nichtsdestotrotz ist die Teilzeitquote von Männern seit der Einführung des Gesetzes langsam gestiegen, wie die nachstehende Grafik verdeutlicht. Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz ist es also etwas leichter geworden, Arbeitszeitwünsche zu äußern und diese auch umzusetzen. Teilzeitarbeit von Männern in den letzten Jahren gestiegen Durchschnittliche normalerweise geleistete Wochenarbeitszeit der abhängig Teilzeitbeschäftigten in Deutschland (2001-2012) in Stunden pro Woche 24 22 Frauen 20 Männer 18 16 14 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Anmerkung:1) die Vergleichbarkeit der daten vor und nach 2005 ist infolge des veränderten Erhebungskonzeptes (unterjährige Erhebung seit 2005) nur eingeschränkt gegeben. 2) Ab 2005 werden Berlin (West) und Berlin (Ost) zusammen erfasst und - statt wie bis 2004 nur Berlin (Ost) - den neuen Bundesländerm zugerechnet. Durch diese veränderung ist eien vergleichbarkeit der Daten vor und nach der Umstellung nur bedingt gegeben. Quelle: IAQ, Mikrozensus. Bearbeitung: Peter Sopp/Alexandra Wagner. WSI. Hans Böckler Stiftung Das bisschen Haushalt, das macht doch mein Mann? – Beteiligung von Männern an Kinderbetreuung und Hausarbeit „Neue bzw. moderne Männer zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie nicht mehr so ausschließlich berufsorientiert sind wie traditionelle Männer; der Übernahme häuslicher Pflegearbeiten und einer damit zusammenhängenden Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit aufgeschlossen gegenüber stehen; sich als partnerschaftlich wahrnehmen und dass sie aktive Väter sind.“ (Döge/Volz 2004: 13). Diese neuen bzw. modernen Männer haben aber noch Seltenheitswert, dennoch zeigen neuere Studien einen deutlichen Wandel. „Das häusliche Engagement der Väter sowie deren Rolle als „Familienmanager“ werden als wichtiger werdend erachtet. Dabei picken sich die modernen Väter keinesfalls die Rosinen heraus und überlassen etwa den Frauen den Rest“ (Väter gGmbH 2012: 23). So erledigen 86,7% der befragten Väter auch Aufgaben wie den Windelwechsel oder das Zubettbringen der Kinder. Um einen Eindruck von der Arbeitsteilung von Frauen und Männern in Haushalt und Familie zu gewinnen, ist der Umfang der von Männern geleisteten unbezahlten Arbeit im Verhältnis zu der von Frauen aufschlussreich. So arbeiten Frauen in den OECD Ländern im Schnitt 3,5 Stunden täglich unbezahlt im Haushalt. Deutschland liegt dabei mit einem Wert von 3,6 Stunden knapp über dem Durchschnitt. Männer arbeiten im Vergleich zu Frauen 100 Minuten weniger in unbezahlter Arbeit, welche hauptsächlich in den Bereichen Kochen, Putzen, Pflege von Angehörigen, Einkauf und Kinderbetreuung anfällt (www.oecd.de). Im Vergleich zur Arbeitsteilung Anfang der 1990er lässt sich eine (leichte) Tendenz hin zur stärker gleichberechtigten Teilung von unbezahlter Arbeit feststellen. Allerdings sind es nicht die Männer, die ihre unbezahlte Arbeit seit Anfang der neunziger Jahre wesentlich erhöht haben, sondern die Frauen haben ihren Zeitaufwand im Vergleich Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 9 reduziert. Studien belegen, dass junge Paare oft ihren Wunsch nach gleichberechtigter Aufteilung der Reproduktionsarbeit nur bis zur Geburt des ersten Kindes verwirklichen können. Mit der Geburt des ersten Kindes fallen Frauen oftmals in ihre traditionelle Rolle im Heim und am Herd zurück und übernehmen den Großteil an Kinderbetreuung und Haushalt. Arbeits-, familien-, wirtschafts- und sozialpolitische Zusammenhänge Es gibt Gründe, die traditionelle Abstinenz von Männern gegenüber Teilzeit in Frage zu stellen. Neben politischen und moralischen Fragen der Geschlechtergerechtigkeit erfordert der demographische Wandel, das heißt die Alterung der Erwerbsbevölkerung bei niedriger Geburtenrate, die zunehmende Integration der Frauen in das Erwerbsleben und damit eine neue Arbeitsteilung in der Familie. Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen führt zu zeitlichen Engpässen im Alltag und zu Koordinationsproblemen bei vielen Paaren. Einige der hier vorgestellten Teilzeitmodelle stellen individuelle Lösungen für dieses Dilemma dar. Dabei bleiben jedoch die Regelungen der Einkommensbesteuerung (Ehegattensplitting) und der sozialen Sicherung, die sich am (männlichen) Haupternährermodell orientieren, bestehen und führen weiterhin zu sozialen Benachteiligungen zu ungunsten von Frauen. Laut aktuellen Statistiken der Europäischen Kommission befinden sich andere europäische Länder in einer besseren demografischen Situation als Deutschland. Die Geburtenzahlen sind dort höher und die Balance zwischen Familie und Beruf ist leichter herzustellen. Eine entscheidende Ursache für die relativ niedrige Geburtenrate und die anhaltenden Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie liegt in der spezifisch deutschen Lebenslaufplanung. So ist in Deutschland das Zeitfenster, in dem sich für Kinder entschieden werden kann, besonders eng. Ein Drittel des Lebens verbringen die Deutschen in der sehr langen Ausbildung. Dann erfolgt der Berufseinstieg. Die sog. „Rushhour des Lebens“, in der Karrierestart und Familiengründung in relativ engem Zeitraum zusammenfallen, ist in Deutschland ein ausgeprägtes Phänomen. Eine weitere wesentliche Einschränkung ist die finanzielle Situation, die Eltern bisher nach dem Elterngeldbezug hatten, sowie die nach wie vor defizitäre Betreuungsinfrastruktur insbesondere für unter Dreijährige. Nach dem Elterngeldbezug erleben viele Familien in Deutschland nicht selten einen ökonomischen Achterbahneffekt oder eine Abwärtsfahrt durch das Erziehungsgeld. Die hinter dem Bedarf zurückbleibenden, bezahlbaren Betreuungseinrichtungen für unter Dreijährige führen dazu, dass viele Mütter auch deswegen (länger) ihre Erwerbsarbeit unterbrechen und die Kindererziehung übernehmen bzw. eine Tätigkeit mit einem geringen zeitlichen Umfang aufnehmen. Politische Steuerungsinstrumente wie das 2007 eingeführte Elterngeld und der begonnene Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren zielen auf Entlastung, und weisen in die richtige Richtung einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Förderung von Chancengerechtigkeit. Auf dem Ausbau der Krippenbetreuung liegt aktuell das politische Augenmerk vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Unter-Dreijährige, der ab August 2013 gelten wird. Obwohl der Bund mittlerweile sehr viele Fördergelder in den bundesweiten 10 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Krippenausbau investiert, steht der Ausbau noch hinter den konkreten Bedarfen zurück und stellt Politik und Kommunen immer noch vor eine große Herausforderung. Das Elterngeld bedeutet für die meisten Eltern eine finanzielle Verbesserung im Vergleich zum vorher wirksamen Erziehungsgeld. Es soll vorrangig ein zeitweiliges Ausscheiden aus dem Beruf ermöglichen, ohne allzu große Einschränkungen bezüglich des Lebensstandards hinnehmen zu müssen. Gleichzeitig fördert es auch den schnelleren Wiedereinstieg und unterstützt damit die Fortführung einer beruflichen (Karriere-)Entwicklung. Männer wie Frauen, die in Elternzeit gehen, erhalten 67 Prozent ihres vorherigen Nettoeinkommens - bei einem Voreinkommen zwischen 1.000 und 1.200 Euro - für zwölf Monate, maximal jedoch 1.800 Euro im Monat. Für Geringverdiener/innen mit einem Einkommen unter 1.000 Euro vor der Geburt des Kindes steigt die Ersatzrate schrittweise auf bis zu 100 Prozent: je geringer das Einkommen, desto höher die Ersatzrate. Für Nettoeinkommen ab 1.200 Euro und mehr vor der Geburt des Kindes sinkt die Ersatzrate des Elterngeldes moderat von 67 auf 65 Prozent. Nimmt dazu der/die Partner/in mindestens zwei Monate Elternzeit, verlängert sich der Elterngeldbezug auf 14 Monate. Die Beteiligung von Männern an der Elternzeit wird dadurch gezielt gefördert und ist seitdem kontinuierlich gewachsen. Wurde das Erziehungsgeld im Jahre 2005 lediglich von 3,3 Prozent der Männer in Anspruch genommen, steigerte sich dies zu Beginn der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 auf 14 Prozent und wuchs bis zum Jahr 2012 auf rund 27 Prozent an. So beantragt mittlerweile bei jedem vierten Kind der Vater Elterngeld. Davon beantragen jedoch 75 Prozent, und somit drei von vier Vätern, nur für zwei Monate Elternzeit. Lediglich knapp sechs Prozent, und damit nur jeder 15. davon, nimmt die Elternzeit für ein ganzes Jahr in Anspruch (Statistisches Bundesamt 2012: 2ff.). Eine klug durchdachte, politische Neuorganisation und geschlechtergerechtere Neuverteilung von Erwerbsarbeitszeit und privater Zeit steht noch aus, durch die etwa Erwerbsunterbrechungen und Arbeitszeitverkürzungen zum Normalfall werden könnten ohne das Karriereende zu bedeuten, besonders Fürsorgeaufgaben beider Geschlechter anerkannt werden und durch staatliche Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen unterstützt werden. In Deutschland dominieren kurzfristige und kurzsichtige ökonomische Erwägungen innerhalb der Politik. Es wird mit ökonomischen Verkürzungen operiert, ohne die Konsequenzen für das Privatleben zu bedenken. Bei den Debatten um verlängerte Arbeitszeiten z.B. werden die negative Wirkung für Familien selten mitdiskutiert, genauso wenig wie bei den verlängerten Ladenöffnungszeiten. Kurzum: Die deutsche Arbeits-, Wirtschafts-, Sozial- und Familienpolitik hat noch erheblichen Modernisierungsbedarf. Positive Trends sollen dennoch nicht unerwähnt bleiben: Insbesondere der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung setzt hier neue Maßstäbe, indem er die Lebenslauforientierung zum zentralen Leitbild einer künftigen Arbeitszeitgestaltung erklärt. Aus der Verschränkung mit anderen Politikfeldern wie Bildungs-, Gesundheits- oder Tarifpolitik wird eine aktive Lebenslaufpolitik gefolgerte, durch die staatliche Interventionen auf die unterschiedlichen Phasen des Lebensverlaufs abgestimmt sind und sich wechselseitig unterstützen. Die Umsetzung erfordert ein sozialpolitisches Gesamtkonzept, das dann deutliche Chancen für Männer und Frauen bieten könnte, ihre jeweiligen Arbeitszeitwünsche besser zu realisieren. Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 11 Teilzeiterwerbstätigkeit als Wirklichkeit – zum Inhalt der Broschüre Trotz der noch langsamen Entwicklungstrends hin zu einer für beide Geschlechter realisierbaren Wunscharbeitszeit gibt es, wie sich gezeigt hat, Männer, die in Teilzeit erwerbstätig sind, auch wenn sie im Jahr 2013 im Alltag und der öffentlichen Wahrnehmung noch fast ebenso rar sind wie in 2008. Elf Beispiele, wie Teilzeiterwerbstätigkeit umgesetzt wird, wie die Reaktionen der Kolleg/innen und Vorgesetzten waren, wie sie heute funktioniert und welche Vor- und Nachteile sie den teilzeiterwerbstätigen Männern bringt und gebracht hat, stellt diese Broschüre vor. Ziel ist es Beispiele für Teilzeiterwerbstätigkeit von Männern darzustellen. Diese sind speziell in Positionen und Funktionen erwerbstätig, in welchen landläufig große Vorurteile bestehen Teilzeit einzuführen und erfolgreich umzusetzen. Dadurch wird es gegebenenfalls möglich, Männer zu ermutigen neue und ungewohnte Wege einzuschlagen, um durch eine Teilzeitbeschäftigung zumindest zeitweise andere Prioritäten zu setzen und eine veränderte Balance zwischen Erwerbstätigkeit und Privatleben zu erfahren. In der Broschüre kommen sehr unterschiedliche Männer zu Wort. Die portraitierten Männer arbeiten in verschiedenen Branchen, Funktionen und Unternehmen. Der überwiegende Teil dieser ist im Land Bremen erwerbstätig und lebt auch dort. Die Mehrheit von ihnen sind Väter. Sie haben die Arbeitszeit reduziert, um sich mehr der Kinderbetreuung und dem Haushalt zu widmen. Lediglich ein Mann ist kinderlos und teilzeiterwerbstätig, um sich neben der Arbeit in der Malerei zu verwirklichen. Einen Mann, der Pflegeaufgaben übernimmt, haben wir für die Broschüre leider nicht gewinnen können, obwohl die Übernahme von Pflegeaufgaben sicherlich in Zukunft, auch für Männer, immer größere Bedeutung erlangen wird. Ohne die Offenheit und Zeit der elf Männer wäre diese Broschüre nicht das, was sie ist. Als Redaktionsteam danken wir Matthias Eck, Peter Heuschötter, Jürgen Kolbe, Tim Landgraf, Christian Reil, Christof Ronge, Dr. Thomas Steidel, Markus Zimmermann, Ulf Jacob, Christian Beck und Peter von Kampen für Ein- und Ausblicke in den privaten wie beruflichen Alltag. Auch den Unternehmen, in denen diese Männer arbeiten, sei gedankt - zum Teil konnten die interviewten Männer die Interviews während ihrer Arbeitszeit geben. 12 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Literatur: BMFSFJ (2010): Familienbewusste Arbeitszeiten – Leitfaden für die praktische Umsetzung von flexiblen, familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen: Berlin. Bundeszentrale für Politische Bildung (2010): Teilzeitbeschäftigung. Online im Internet: http:// www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa/70599/teilzeitbeschaeftigung Europäische Kommission (2011): http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/graph.do?tab=graph&plugin=0&pcode=tps00159&langu age=de&toolbox=sort Körner, Thomas / Puch Katharina / Wingerter, Christian (2012): Qualität der Arbeit – Geld verdienen und was sonst noch zählt. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. Online im Internet: https:// www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetige/BroschuereQualitaetArbeit0010015129001.pdf?__blob=publicationFile OECD 2011: Kochen, Pflegen, Putzen: OECD-Studie zeigt Ungleichgewicht der Geschlechter: Online im Internet: http://www.oecd.org/berlin/presse/kochenpflegenputzenoecd-studiezeigtungleichgewichtdergeschlechter.htm Piminger, Irene (2012): Existenzsichernde Beschäftigung von Männern und Frauen. Agentur für Gleichstellung im ESF: Berlin. Online im Internet: http://www.esf-gleichstellung.de/fileadmin/data/Downloads/Aktuelles/expertise_existenzsichernde_beschaeftigung.pdf Statistisches Bundesamt (2012): Pressekonferenz „Elterngeld – wer, wie lange und wie viel? Online im Internet: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2012/Elterngeld/statement_egeler_elterngeld_PDF.pdf?__blob=publicationFile Väter gGmbH (2012): Trendstudie „Moderne Väter“. Wie die neue Vätergeneration Familie, Gesellschaft und Wirtschaft verändert. Online im Internet: http://vaeter-ggmbh.de/wp-content/uploads/2013/01/130124_Trendstudie_Einzelseiten_FINAL.pdf WSI (2012): Arbeitszeit sinkt bei Frauen starker als bei Männern. Online im Internet: http://www.boeckler.de/39011.htm#Tabellen Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 13 „Wir leben ein sehr symmetrisches Modell, in dem wir eine ‚fast’ gleiche Verteilung in der Arbeit, dem Haushalt und der Kindererziehung leben.“ Christian Beck ist 44 Jahre alt und arbeitet als ScrumMaster bei MeVis (Medical Solutions). Der Schwerpunkt des mittelständischen Unternehmens liegt in der Entwicklung von bildgebender Software und Services für die Bildbearbeitung in der Medizin. Insbesondere werden hier innovative Softwareprogramme zur Analyse und Bewertung von Bilddaten zur Früherkennung und Diagnostik von Krebserkrankungen entwickelt, die als Grundlage für die frühzeitige und bedarfsgerechte Krebstherapie eingesetzt werden. Der Ansatz eines ScrumMasters beruht auf der Haltung, dass die meisten modernen Entwicklungsprojekte zu komplex sind, um durchgängig planbar zu sein. Scrum versucht die Komplexität durch die Prinzipien Transparenz, Feedback und kontinuierliche Anpassung zu reduzieren. Transparenz bedeutet dabei, den Fortschritt und die Hindernisse eines Projektes kontinuierlich sichtbar zu machen, zu überprüfen und die Anforderungen des Produktes an die Bedarfe anzupassen. Dieser Prozess wird durch ein hoch qualifiziertes, interdisziplinär besetztes Entwicklungsteam von Experten für 14 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann medizinische Software wahrgenommen, die zwar eine klare Zielvorgabe bekommen, für die Umsetzung jedoch selbstständig zuständig sind und autonom eigenständige Entscheidungen treffen können. Dieser Team-Prozess wird von Christian Beck in verantwortlicher Position als ScrumMaster und Coach gesteuert. Beck moderiert Meetings, kümmert sich um Störungen des Prozesses und gewährleistet, dass die Einzelnen je nach ihren Fähigkeiten und Kompetenzen passgenau eingesetzt werden, sich weiterentwickeln und Sinn in ihrer Tätigkeit finden können. Die eigenen Vorstellungen klar darstellen Im Sommer des Jahres 2007 bekommen Christian Beck und seine Frau Sybille Nachwuchs: Ihr Sohn Moritz wird geboren. Um seine Frau direkt nach der Geburt zu unterstützen, nimmt Christian Beck statt zwei Wochen ‚full-time-Urlaub’ vier Wochen ‚part-time-Urlaub’, da seine Frau auf die Hilfe am Vormittag eher verzichten kann als am Mittag. Die Stunden, die er jeden Tag reduziert, nutzt er zum Einkaufen oder für den Haushalt, um seiner Frau den Alltag zu erleichtern. Seit 2008 arbeitet Christian Beck in Teilzeit, zu Beginn nimmt er zunächst zwei Monate Teilzeit im Umfang von 30 Wochenstunden wahr und bezieht Teilelterngeld. Den Ausschlag für die Wahl dieses Modells der Aufteilung gibt Frau Beck, die ebenfalls in verantwortlicher Position im Controlling eines großen Stromversorgers arbeitet und sehr engagiert in ihrer Tätigkeit ist. Im Rückblick findet Christian Beck, dass seine Frau die Arbeitsaufteilung sehr geschickt gesteuert hat, indem sie eine gleichberechtigte Aufteilung von Familie und Beruf für beide Seiten einforderte. So wurde er vor die Wahl gestellt, entweder in Teilzeit zu gehen, was seine Frau auch tun würde, oder weiter in Vollzeit zu arbeiten, was seine Frau in diesem Fall ebenfalls umgesetzt und mit dem Doppelverdienst eine Kinderfrau einstellt hätte. Das sei seinerzeit „ziemlich hart und strikt“ gewesen, sodass Beck wenige Argumente gegen diese Forderung der Gleichberechtigung hatte und sich nicht zurückziehen konnte, indem er nur von seiner Frau eine Arbeitszeitreduzierung verlangte. „Das war ein Umdenkprozess“, so Beck. Denn Frau Beck machte ebenfalls ganz deutlich, dass es sich dabei nicht um die nächsten Wochen oder Monate handeln würde, sondern um die nächsten 18 Jahre. Gleichzeitig wollte sie auch von ihrem Mann einen „substantiellen Vorschlag“ haben, wie er sich an der Erziehung des gemeinsamen Kindes beteiligen würde. Das einzig sinnvolle Angebot wäre daher eine Arbeitszeitreduzierung und zwar „bis auf weiteres“ gewesen. Anfänglich war das schon ein Verzicht für Christian Beck, da er sehr gerne und engagiert arbeitet. Gleichzeitig kam es ihm absurd vor, dass beide in Vollzeit arbeiten sollten, um den Sohn ganztags von einer ‚Nanny’ betreuen zu lassen. So hat er sich mit dem Gedanken angefreundet und die Überzeugung gewonnen, dass sein Sohn es ihm sicher danken würde und, dass er selbst am Ende des Lebens wahrscheinlich sehr stolz auf sich sein und nichts bereuen würde. Zunächst fand durch die reduzierte Arbeitszeit ein Umgewöhnungsprozess bei Christian Beck statt, sodass beispielsweise einige Reisetätigkeiten verringert wurden. Nach vier Jahren reduzierter Arbeitszeit, erst im Jahre 2008 auf 30 Wochenstunden, dann seit 2010 auf 33 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 15 Wochenstunden, hat Beck sich gut daran gewöhnt und sogar den Eindruck „fast genauso produktiv zu sein wie bei einer Vollzeitstelle“. Seine Frau arbeitet nach einem halben Jahr in Elternzeit 29 Wochenstunden. Die Aufteilung wird als sehr symmetrisch beschrieben, da beide jeden Tag im Büro sind und ab ca. 15.00 Uhr frei haben, sodass sie für den Sohn da sein können: „Dann ist wirklich ‚family-time’“, in der es eine sehr gleichmäßige und gleichberechtigte Verteilung der anfallenden Arbeiten gibt. Der Sohn ist seit dem Alter von einem Jahr in der Krippe und jetzt jeden Tag bis 15.30 Uhr in der Kita. Letztlich ist es so, als würden „wir jeden Tag alle bis nachmittags arbeiten gehen, und dann haben wir frei“, so Beck. Vorbilder erleichtern die Umsetzung Wie war der Umsetzungsprozess auf der Arbeit? Hat es dort Hindernisse mit den Vorgesetzten oder Kollegen gegeben? Beck beschreibt die Arbeitsbedingungen und -kultur auf beiden Seiten als recht offen für das Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bei MeVis gab es bereits einige, auch männliche, Kollegen, die in Teilzeit tätig waren und somit Vorbildfunktion hatten. Die Chefin selbst ist in der Zeit schwanger geworden und arbeitet 16 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann nun ebenfalls Teilzeit. Daher hatte Beck keine Bedenken, an seinen Geschäftsführer heranzutreten und war sich einer positiven Prüfung seines Anliegens recht sicher. Das Elternzeitgesetz, wie auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz, haben ihm dabei Sicherheit gegeben, da es sich um eine Rechtsgrundlage handelt. Die Möglichkeit vor dem Hintergrund des Elternzeitgesetzes zunächst einen befristeten Zeitraum der Teilzeitarbeit von zwei Jahren zu planen, um die Umsetzbarkeit im Unternehmen im Folgenden zu prüfen und ggf. danach eine Fortführung oder Veränderung zu diskutieren, gab dem Anliegen eine gewisse Flexibilität. Das Vorhaben wurde „nicht umstandslos freudig begrüßt“, dennoch überwog die Überzeugung, dass es umsetzbar sein würde, so Beck. Darüber hinaus unterstützt die Firma die Vereinbarkeit durch das Angebot von Belegplätzen in der betriebsnahen Kinderbetreuung ‚Entdeckerhaus’ des Technologieparks. Die Tagesstätte ist stark auf die Bedürfnisse Berufstätiger ausgerichtet, da sie außer zwischen Weihnachten und Neujahr keine Schließzeiten hat. Zudem bietet sie sehr flexible Betreuungszeiten an und stellt eine große Unterstützung seitens der Firma dar, für die Beck sehr dankbar ist. Christian Beck ist der Auffassung, dass man als Einzelner kaum in der Lage ist, die Kultur eines Unternehmens zu verändern, wenn diese für Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Belangen nicht offen ist. Sich gegen den Willen der Entscheidungsträger/in als Beschäftigte/r in verantwortlicher Position eine Teilzeitstelle zu „erkämpfen“, insbesondere als Mann, sei unter diesen Rahmenbedingungen schwierig. Sich bei der Elternzeit auf das bestehende Recht zu berufen bleibe für Männer - wie für Frauen - ein riskanter Vorstoß. „Entweder die Unternehmenskultur ermöglicht diesen Schritt in eine Elternzeit und/oder Teilzeitbeschäftigung oder eben nicht“, so Beck. Männer würden sich oftmals nicht trauen, da sie vor Sanktionen und Benachteiligungen in der Karriere zurückschrecken. Mit Recht, denn das Risiko der, vielleicht auch indirekten, Benachteiligung in Kauf nehmen zu müssen wäre, ebenso wie für Frauen in dieser Situation, nach wie vor groß. Und dafür könne man Männer nicht pauschal verurteilen, wenn die Kultur noch nicht so weit entwickelt sei, so Beck. „Die Vorstellung, dass man dafür kämpfen kann, ist schwierig, aber natürlich muss man gleichzeitig überlegen, wie eine Kulturveränderung langsam auf den Weg gebracht werden kann. Denn irgendjemand muss ja anfangen!“ Karriere in Teilzeit? Und doch: Gerade Führung ist mit reduzierter Arbeitszeit möglich! In den Führungsetagen herrscht noch eine Managementkultur vor, die suggeriert oder erwartet, „man müsse die ganze Zeit da sein, damit der Laden läuft“. Ein Manager ist allerdings für die langfristigen Ziele verantwortlich, sodass das operative Geschäft von allein laufen muss. Wenn „ich den Laden wirklich gut organisiert habe und ein funktionierendes Team aufgebaut habe, das das Ziel kennt und eigenständig Entscheidungen treffen kann, sollte ich auch delegieren und mich auf die Mitarbeiter/innen verlassen können. Ein Team, das gelernt hat, Entscheidungen effizient zu treffen, ist daher immer besser als ein Manager in seinen Einzelentscheidungen“, betont Beck. So sollte die Aufgabe der Führung kein Eingriff in das operative Geschäft darstellen, um es damit gerade für Führungskräfte zu erleichtern Arbeitszeit zu reduzieren. Beide Seiten, sowohl das Unternehmen als auch die Arbeitnehmer/innen, profitieren von der Flexibilität, daher ist eine Anwesenheitskultur in Becks Augen eine überholte Vorstellung von Führung bzw. Management. Die Tätigkeit in Teilzeit hatte schon Konsequenzen bezüglich seiner Karriereentwicklung, erinnert sich Christian Beck. Eine Situation hätte es gegeben, in der er sich noch hätte weiterentwickeln können, um noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Der damalige Geschäftsführer hatte nach anfänglichen Überlegungen Beck zu fördern dann doch einen Rückzieher gemacht und ihm die Stelle nicht mehr angeboten, da er diese mit einem/einer Mitarbeiter/in in Vollzeit besetzen wollte. Ein vergleichsweise größeres Hindernis für eine Karriere als Teilzeitarbeit scheint Beck allerdings der Aspekt fehlender bzw. geringerer Mobilität bei einem Zweiverdienerhaushalt zu sein, da man einen Karrieresprung in bestimmten Bereichen und Branchen seltener im eigenen Unternehmen macht. Stattdessen muss man nicht selten bei einem Karriereaufstieg einen Wohnortwechsel in Kauf nehmen, der wesentlich schwieriger ist, wenn der Partner ebenfalls einen anspruchsvollen Job vor Ort hat und sich womöglich umorientieren müsste. „Ich wünsche mir eine Führungskultur, die darauf abzielt, dass interdisziplinäre Teams existieren, die eigenverantwortlich arbeiten können, und dass man weniger auf Spezialistentum setzt.“ Hat man Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ganzheitlich denken, sich nicht nur auf ihre eigenen Aufgaben konzentrieren, den ganzen Prozess des Unternehmens kennen und übergeordnete Ziele haben, tut man etwas für das Unternehmen. Auf diese Weise reduziert man die Problematik, dass bei Urlaubs- oder Krankheitsfällen die Arbeit liegen bleibt. Um diesem Problem entgegen zu wirken, sind „spezialisierte Generalisten“ nötig, die alles können und dabei ihr eigenes Spezialgebiet haben. Solche Mitarbeiter/innen sind in der Lage, eine/n andere/n Mitarbeiter/in zu vertreten. Dieser Aspekt, gepaart mit einer Führungskultur, die weniger auf Mikromanagement, Steuerung und Kontrolle setzt, sondern mehr auf Führung im eigentlichen Sinne, entspricht Becks Vorstellungen. Es geht also darum, Ziele und Strategien zu kommuni- Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 17 zieren, die Bedingungen schaffen, dass sich die intrinsische Motivation entfalten kann. Auf diesem Weg lösen sich viele Probleme von selbst und Führung in Teilzeit wird möglich. Christian Beck begrüßt ein gemischtes Geschlechterverhältnis im Unternehmen. Er selbst arbeitet in einer männerdominierten Branche und erkennt klar, dass Teams, in die Frauen integriert sind, besser arbeiten. Den Grund sieht er darin, dass Frauen einen bestimmten Sinn für die Gruppe haben, weniger egoistisch sind und damit oftmals einen größeren Gruppenbeitrag leisten. „Man braucht Personen in einem Team, die eine ‚Facilitator-Rolle‘ einnehmen können und damit den ‚Männer-Alphatieren’ Kompromisse anbieten“, so Beck. „Kurz, jemand, der im Sinne des Gruppeninteresses arbeitet.“ Frauen seien „natürliche Facilitators“ und würden Teamarbeit erleichtern. Das wurde durch Lernspiele, die durch Coaches im Unternehmen ausgerichtet wurden, bestätigt: Teams mit weiblichen Mitgliedern lösten die geforderten Aufgaben besser. Aus diesem Grund ist es von großem Wert, gerade in männerdominierten Branchen aktiv dafür zu sorgen, ein gemischtes Verhältnis herzustellen. Zeit für Reflexion zu haben ist sehr wichtig „Mein wesentlicher Beitrag zur Organisation der Teilzeittätigkeit war, dass ich jeden Tag von 9.00 Uhr bis 15.00 Uhr in der Kernarbeitszeit im Büro war und die Arbeit des Teams nicht beeinträchtigt wurde“, so Beck. In der Zeit könne man alles erledigen, inklusive wichtiger Meetings. Dadurch war seine reduzierte Arbeitszeit für Kollegen nicht schmerzhaft spürbar. Täglich sechs Stunden zu arbeiten sorgt für Ausgeglichenheit, sodass innerhalb der geringeren Arbeitszeit sowohl konzentrierter als auch effektiver gearbeitet wird. „Die Zeit, die man nun für Reflexion hat, ist dabei sehr wichtig“, so Beck. 18 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Auch ergeben sich klare Vorteile für den privaten Bereich, denn die Beziehung zu seinem Sohn profitiert von dem Teilzeitmodell, welches ermöglicht, dass er ein gleichberechtigter Bezugspartner für seinen Sohn sein kann. „Wenn er sich beispielsweise weh tut, läuft er nicht immer nur zu seiner Mutter, sondern genauso oft zu mir.“ In der Zeit, in der sein Sohn noch nicht sprechen konnte, hatte er die Möglichkeit, die Bedeutung der Signale seines Sohns genauso kennen zu lernen wie seine Frau. Beide Partner haben darüber hinaus dieselben Vorstellungen von der Erziehung ihres Sohnes. Seine Frau war nie besitzergreifend und froh über seine Unterstützung. Im Haushalt hat jeder seine Schwerpunkte: Während sich seine Frau eher um die Wäsche und den Einkauf kümmert, übernimmt er den größeren Teil der (Rad-)Fahrten zum und vom Kindergarten mit Moritz. Aufgrund der Teilzeit ist die Lebensqualität höher So ist im Sommer ab 16.00 Uhr „family-time“, die oft im Freibad verbracht wird. „Was kann man sich Schöneres vorstellen?“ Gibt es dann doch einmal etwas zu erledigen, kann das ein Partner übernehmen, während sich der Andere um den Sohn kümmert. Ihnen bleiben aufgrund der symmetrischen Regelung nicht nur die Wochenenden, sondern auch die langen Feierabende unter der Woche, die sie gerne in ihrem Schrebergarten für gemeinsame Stunden mit der Familie nutzen. Darüber hinaus wird im Hause Beck jeden Abend gekocht, sodass der Sohn schon lernt, seine fünf Lieblingsgerichte selbst zu kochen. Da beide Partner in ihrer 4/5 Teilzeit 80% einer Vollzeitstelle verdienen, sind sie laut Beck als Kleinfamilie gut versorgt. Mehr Geld durch mehr Arbeit zur Verfügung zu haben, würde er nicht gegen die Freizeit und die intensiven familiären Erfahrungen eintauschen. Die Lebensqualität würde sonst darunter leiden. So sieht er oft wie im Kindergarten Eltern aus dem Auto hetzen, um ihr Kind abzugeben und schnell weiterfahren. Das sei keine Lebensqualität, so Beck. Wenn man ein Kind hat, braucht man neben einer guten Planung auch Luft für Unvorhergesehenes. Mit einem Kind läuft nicht alles nach Plan, worauf mit einer Teilzeitbeschäftigung besser reagiert werden kann. Als sein Sohn krank war, arbeitete Beck beispielsweise schwerpunktmäßig vormittags und seine Frau nachmittags, sodass der Sohn den ganzen Tag betreut war. Sybille ist stolz darauf, dass ihr Mann seine Arbeitszeit so umgestellt hat: „Das ist gut für die Beziehung“, erklärt Beck. So hat man nicht nur die kurze Zeit nach der Arbeit miteinander. Er und seine Frau haben es aufgrund dieser Arbeitszeitregelung geschafft den Stress auf ein Minimum zu reduzieren. „Es gibt kein Hinweis darauf, dass wir unser Kind zu Gunsten unserer beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten überfordert haben.“ Christian Beck glaubt, dass das 80%-Modell auch für die Kinder akzeptabel ist. Ihm ist dabei bewusst, dass es für ein Kind durchaus anstrengend sein kann, von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr in einer Kinderbetreuung zu sein. Wenn er seinen Sohn abholt, hat dieser meist noch überraschend viel Energie und will oftmals noch länger bleiben. Die Alternative als Einzelkind zuhause zu bleiben wäre sicher nicht die bessere Entscheidung; gemeinsam betreut mit anderen Kindern lernen die Kleinen schneller soziale Fähigkeiten, Selbstständigkeit, aber auch mit Enttäuschungen umzugehen, da in der Kindertagesstätte nicht rum um die Uhr ‚bemuttert’ würde. In der Kinderbetreuung wird ein vielfältiges Programm mit Singen und Spielen angeboten, das man zuhause gar nicht leisten könne. Das sei eine enorme „gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeit“, so Beck. „Ich finde das Elternzeitgesetz sehr wichtig“ Beck ist nicht der Meinung, dass eine alleinige Inanspruchnahme der ‚sogenannten Vätermonate’, wenn nach den zwei Monaten wie gehabt weiter gearbeitet wird, einen modernen Vater widerspiegelt. Sich jedoch nur für zwei Monate zu entscheiden, ist im Unternehmen eher akzeptiert und führt auf diesem Weg langsam zu einer kulturellen Veränderung. „Das Gesetz hat somit für gesellschaftliche Anerkennung einer gemeinsamen Nutzung der Elternzeit einen guten Beitrag geleistet“, so Beck. Gleichzeitig hat der Staat aufgrund der hohen Nachfrage nach Kindertagesstätten und Ganztagsschulen weiterhin eine hohe Bringschuld, die Infrastruktur auszubauen. Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 19 „Männer ziehen ihr Selbstbewusstsein immer noch zu ausschließlich aus dem Beruf.“ Ulf Jacob ist Projektleiter für Öffentlichkeitsarbeit im Zentrum für Umweltkommunikation der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, kurz DBU. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt ist eine der größten Stiftungen in Europa mit Sitz in Osnabrück. Aufgabe der Stiftung ist es Vorhaben zum Schutz der Umwelt unter besonderer Berücksichtigung der mittelständischen Wirtschaft zu fördern. Dabei unterstützen sie Projekte aus den Bereichen Umwelttechnik, Umweltforschung, Naturschutz und Umweltkommunikation. Die DBU setzt bei ihrer Fördertätigkeit insbesondere auf den produkt- und produktionsintegrierten Umweltschutz. Seit 2000 ist Ulf Jacob, 51 Jahre, in der DBU beschäftigt und mitverantwortlich für die Kommunikation und Außendarstellung der Stiftung. In diesem Rahmen betreut er zudem Projekte im Bereich Veranstaltungen und Messen. Seine Position stellt damit eine Kommunikationsschnittstelle dar, die im Bereich der Bewertung von Projektergebnissen sowie auch der PR tätig ist. Das Team, das von Ulf Jacob angeleitet wird, zeichnet sich durch eine flache Hierarchie aus. Elternteile im Erwerbs- und Privatleben auf beiden Seiten Konsens. Dazu kam Ulf Jacobs ganz persönlicher Wunsch, an der Entwicklung seiner Tochter im ersten Jahr teilhaben und sie betreuen zu wollen. Auch die Rahmenbedingungen seines Beschäftigungsverhältnisses begünstigten seine Entscheidung: Sowohl seine Frau als auch Ulf Jacob waren befristet tätig. Er hatte jedoch das sicherere und auf eine langfristige Beschäftigung ausgelegte Arbeitsverhältnis und konnte deswegen die familienbedingte Unterbrechung besser realisieren. Dadurch hatte seine Frau die Gelegenheit sich in ihrem Job erst einmal zu etablieren, während er die Betreuung der kleinen Tochter übernahm. „Meine Frau hat eine interessante und fordernde Tätigkeit und viele berufliche Ziele, ich wollte sie in ihrer Weiterentwicklung „Meine Frau sollte sich in ihrem Job erst einmal etablieren“ Im Jahr 2000 begann Ulf Jacob mit einer 40-Stunden-Woche bei der DBU. 2001 bekam die Familie das erste Kind. Herr Jacob entschied sich, einen Großteil der Elternzeit zu nutzen, sodass er nach dem Mutterschutz seiner Frau zuhause blieb und rund ein ¾ Jahr Elternzeit in Anspruch nahm. Wie es zu diesem Entschluss kam? Zum einen waren die klassischen Geschlechterrollen bei Ehepaar Jacob schon lange aufgebrochen und das Bewusstsein für eine Gleichberechtigung beider 20 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann erst einmal unterstützen“, erklärt Jacob. Daher entstand auch der Entschluss und die gemeinsame Übereinstimmung, dass er nach der Elternzeit in Teilzeit gehen würde. Nach der Elternzeit stieg Herr Jacob mit 25 Wochenstunden wieder in seinen Job ein, den er durch diese Arbeitszeitverkürzung in einer drei Tage Woche erfüllen konnte. Seine Frau hatte ebenfalls ihre Arbeitszeit reduziert, zudem war die gemeinsame Tochter eine begrenzte Zeit in der Woche in der Kinderbetreuung. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stiftung erst einen männlichen Beschäftigten in Teilzeit, sodass das Personalthema „Teilzeit für Männer“ für beide Seiten recht neu war, berichtet Jacob. Dennoch war die Umsetzung „relativ einfach mit meinem Arbeitgeber abzustimmen“, so Jacob. Damals wurde zudem in der DBU Personalbestand aufgebaut, was Flexibilität in den Zuständigkeiten und der Projektarbeit mit sich brachte und die Gestaltung seiner Teilzeitregelung vereinfachte. „Mit meinem 30-StundenTeilzeitmodell bin ich sehr zufrieden“ Schnell wurde Ulf Jacob klar, dass eine Reduzierung auf 25 Wochenstunden ihm nicht genug Raum für seine Arbeit in seinem Verantwortungsbereich bot. Seine Tätigkeit erfordert einen hohen Anteil Selbstbestimmtheit und Kreativität, „bei 25 Wochenstunden standen oft Pflichtaufgaben im Vordergrund, es fehlte die Zeit für eigene Ideen“, so Jacob. Deswegen erhöhte er auf 30 Stunden, verteilt auf vier Tage die Woche, um sich wieder mit der Entwicklung neuer Projekte und interessanter Aufgaben beschäftigen zu können. Die Rechnung ging auf. Mit seinem derzeitigen Teilzeitmodell ist er sehr zufrieden, es ermöglicht ihm eine gute Mischung aus Pflichtaufgaben und selbstverantwortlicher Zuständigkeit in interessanten Projekten. Wodurch wird es möglich auch in einer Teilzeitbeschäftigung gute Ergebnisse in verantwortlicher Position zu erbringen? „Wird der Fokus auf Ergebnisse statt auf Anwesenheitszeiten im Betrieb gerichtet, können auch Führungskräfte einer Teilzeitbeschäftigung gut nachgehen“, so Ulf Jacob. Durch eine kluge, Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 21 vollzeitnahe Teilzeit kann die weitere Entwicklung von Karriere und Führungsverantwortung ermöglicht und gefördert werden. „Ich war damals einer der ersten ‚Teilzeit-Männer’, besondere Hemmnisse gab es nicht“ Aus dem Kollegium kamen interessierte Fragen zu seinen Gründen und der Art der Umsetzung, die der Teilzeit-Pionier als positive Unterstützung wahrnahm. Mittlerweile berichtet Jacob von einer Vielzahl von Teilzeitarbeitsverträgen, die sich nicht nur aus der Elternzeit entwickeln, sondern etwa auch aufgrund der Pflege von Angehörigen. Für Herrn Jacob brachte die Teilzeitarbeit keine Nachteile mit sich. Trotz vieler Arbeitszeitveränderungen innerhalb von zwei Jahren ist sein Arbeitgeber gegenüber Fragen und Unterstützungsbedarfen stets offen geblieben. Beispielsweise war die Aufstockung von 25 auf 30 Stunden Arbeitszeit unproblematisch. Da eine Stiftung, wie es der DBU ist, marktunabhängiger agieren und Dienstleistungen erbringen kann, besteht grundsätzlich insgesamt auf betrieblicher Seite eher eine größere Flexibilität für familienfreundliche Arbeitszeitmodelle. Diese war laut Jacob unter anderem ein Grund für die problemlose Umstellung von Vollzeit auf Teilzeit. Es wundert ihn jedoch, dass beim Mutterkonzern viel Zeit verging, bis eine steigende Anzahl von Männern Interesse an aktiver Vaterschaft zeigte. Eine wachsende Anzahl deutscher Personalchefs erkennt das inzwischen und weiß, dass sich Leistungsbereitschaft im Beruf und Engagement in der Familie nicht widersprechen und dass Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung eine wesentliche Stellschraube und Unterstützung sein kann. Hier wird die Bedeutung einer Personalleitung und Geschäftsführung, die explizit hinter Teilzeitmodellen steht und sie nicht zu Karrierebremsen macht, offensichtlich. Zudem werde immer deutlicher, dass eine ak- 22 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann tive Vaterschaft nützliche Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen wie etwa Organisationstalent und Flexibilität fördern könne, findet Jacob. Dieser Mehrwert müsse auch mehr von Vorgesetzten und Arbeitgebern gesehen werden. In dem Zusammenhang ist es wichtig, dass Männer, die eine familienbedingte Arbeitszeitverkürzung anstreben, eben nicht als Leistungsverweigerer gesehen werden, sondern vielmehr von Vorgesetzten und Kollegen respektiert und geschätzt werden. Kontakt halten ist wichtig Zu Beginn der Elternzeit war es für Jacob nicht einfach zu akzeptieren, dass sich einige Projekte in seinem Zuständigkeitsbereich ohne ihn weiter entwickelten. Aus diesem Grund erschien es ihm sinnvoll, den Kontakt zur Arbeit nicht abreißen zu lassen und regelmäßig das Gespräch mit seinen Kollegen zu suchen, so Jacob. „Auf diese Weise gerät man nicht aus dem Blick im Kollegenkreis und man vermeidet eher, dass bei neuen Projekten und Aufgabenverteilung schnell Zuständigkeiten und Verantwortungen an andere vergeben werden“, betont er. Eine zielführende Möglichkeit ist es auch, gelegentlich Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen zu übernehmen, um den Kontakt zum Aufgabengebiet und zu den eigenen Verantwortlichkeiten aufrecht zu erhalten. Ulf Jacob etwa besuchte seine Kollegen auf der Arbeit während seiner Auszeit einige Male und zeigte so Präsenz sowie Interesse an der Entwicklung der Stiftung. „Die Karriere stand zu der Zeit nicht an erster Stelle – Familie und persönliche Interessen waren immer im Blick“ Als er mit 40 Jahren in die Teilzeit ging, war ihm bewusst, dass sich bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten eventuell nicht mehr bieten würden. Da er jedoch bereits eine gewisse Position erreicht hatte, stellte diese Überlegung keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund mehr dar. „Die Karriere stand zu dieser Zeit nicht an erster Stelle“, so Jacob, der sich selbst als einen Mann und Vater sieht, dessen Leben nie ausschließlich auf Berufsarbeit und berufliche Karriere zentriert war. Eine vollzeitnahe Teilzeit sei in diesem Sinne ideal - zumal man nicht selten sogar produktiver und effektiver arbeiten könne. Sich für die Gründung einer Familie zu entscheiden bedeutet für Jacob diese auch begleiten zu wollen und eine gleichmäßige Aufgabenverteilung anzustreben. Jacob sieht sich und seine Partnerin daher in gleichem Maße in der Verantwortung und der Aufgabenverteilung im privaten Bereich im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Partner. Die Eltern Jacob wechseln sich beispielsweise bei Elternabenden ab, sodass jeder Verantwortung trägt und gleichberech- tigt Einblicke erhält. Aufgrund der flexibleren Arbeitszeiten seiner Frau kümmert sie sich im spontanen Krankheitsfall der Kinder in d. R. um deren Betreuung. In solchen Fällen wird Jacob bewusst, dass sein familiärer Einsatz aufgrund seiner Arbeit in Osnabrück und den damit verbundenen Wegzeiten vergleichsweise eingeschränkter ist. Stehen Dienstreisen an, erfordert das eine gute Organisation, so Jacob. Vor drei Jahren mussten sich beide Partner gezielter um die nachmittägliche Betreuung für die Kinder kümmern, da seine Frau ebenfalls Berufspendlerin geworden war. Der gute Kontakt zu einem Nachbarn mit einer Tochter im selben Alter war und ist von Vorteil, da man sich bei der nachmittäglichen Betreuung gegenseitig unterstützen kann, so Jacob. Mit der wachsenden Selbstständigkeit der Kinder kommt es zu gemeinsamen Abstimmungen über die Tagespläne, in denen zunehmend Freunde und Nachbarn an Bedeutung gewinnen, aber auch die Großeltern aktiv Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 23 eingebunden sind. Durch die Zeit, die er dank seiner familienbedingten Auszeiten sowie der Teilzeit mit den Kindern verbringt, baute sich eine enge Beziehung zu ihnen auf. Die Freitage, an denen Jacob zuhause bleibt, kann er intensiv mit seinen Kindern nutzen und genießen und ist sehr glücklich darüber eine enge Vater-KindBeziehung aufgebaut haben zu können. Auch auf Führungsebene und dem damit verbundenen zeitlichen Aufwand sei es mit gut eingespielten Teams möglich in Teilzeit zu gehen. Jacob berichtet von einem entsprechenden Modell, dessen Anwendung keinerlei Probleme mit sich brachte. Man müsse das für sich nur organisieren und aktiv und entschlossen vorantreiben, berichtet Jacob. Bezüglich des Arbeitsablaufs muss auf den Abstimmungsbedarf von Mitarbeitern, Kunden und Vorgesetzten geachtet werden. Da stellt sich spontan die Frage, warum nur so wenige Männer in Teilzeit arbeiten? Eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer gerechteren Verteilung von Erwerbsarbeit und Erziehungs- sowie Hausarbeit scheint Jacob immer noch die klassische Rollenvorstellung der Geschlechter zu sein. Dieses Rollenbild weist nach wie vor der Mutter die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung zu und erklärt da- 24 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann mit die Teilzeitarbeit zur Frauendomäne. Flankiert durch die weibliche Zuarbeiterin herrsche im Umkehrschluss, trotz gesellschaftlichem Wandel auf vielen Ebenen, noch die wirkmächtige Prägung des männlichen Ernährermodells vor. Und diese basieren auf einer männlichen Vollzeitverfügbarkeit, die für viele Männer nach wie vor nicht so leicht zu hinterfragen sei, so Jacob. Auch das Streben nach einem gewissen Lebensstandard inklusive Statussymbole, die sich mit einer Vollzeitstelle eher realisieren ließen, sieht er als möglichen Erklärungsansatz für die geringe Verbreitung von Teilzeittätigkeit bei Männern. Viele Menschen würden sich doch sehr über Produkte, Prestige und Konsum definieren. Er selbst legt keinen Wert darauf, ob er „mit dem Auto oder dem Fahrrad bei seiner Firma vorfährt“. „Klar kann man immer mehr haben“, so Jacob, aber andere Werte und Lebensziele seien ihm wichtiger. Eine bestimmte Position zu haben, um eigene Projekte selbst mit zu gestalten und einen gewissen Einfluss auf Abläufe und inhaltliche Schwerpunkte zu haben sei wichtig für ein erfülltes Berufsleben, jedoch nicht auf Kosten der intensiven Zeit mit seiner Familie. „Männer ziehen ihr Selbstbewusstsein immer noch zu ausschließlich aus dem Beruf.“ Welche Eigenschaften müssen Männer haben, um als Führungskräfte ihre Arbeitszeit - auch wenn nur befristet und nahe an der Vollzeit - zu verkürzen? Sicher bedürfe es eines gesunden Selbstbewusstseins, um in einer männlich geprägten Betriebskultur in Teilzeit zu gehen und somit abweichendes Verhalten zu zeigen, das heißt die familiären Belange nicht per se den beruflichen unter zu ordnen. Dass Leistung noch oft an der Präsenz statt an den Ergebnissen gemessen wird, komme erschwerend hinzu, so Jacob. Bestätigung, Anerkennung und Erfüllung allein aus dem Beruf erlangen zu wollen, stellte für Jacob immer eine einseitige Perspektive auf Arbeit und Leben dar. Hier spiele auch sein langjähriges ehrenamtliches Engagement für politische Tätigkeiten eine wesentliche Rolle, erklärt Jacob. Sich für gesellschaftliche Belange und Fragen zu engagieren sei für ihn ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens und Wohlbefindens. Dabei geht es auch darum, etwas gemeinsam mit anderen zu erreichen und gesellschaftlich relevante Entwicklungen mit zu gestalten. „Das geht allerdings eher, wenn du bestimmte monetäre Rahmenbedingungen hast, die das zulassen, etwa eine Wohnung, die sich auch mit einem geringeren Gehalt abzahlen oder bezahlen lässt“, gibt Jacob zu bedenken. Hier steht erneut die Frage nach einem gewandelten, auf anderen Werten basierenden Lebensstandard und Konsumverhalten zur Diskussion, die unabhängiger machen könnten von Positionen und Karrierebestrebungen, die oftmals mit überlangen Arbeitszeiten verbunden sind. In Folge eines solchen Wandels könne eher eine neue Väter-Generation entstehen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit den tradierten Geschlechterrollen bricht. Immer mehr Männer wollen aktive Väter sein und trotzdem die Familie absichern, sodass sich vollzeitnahe Teilzeitmodelle für diese Väter eignen. Aus diesem Grund „sind sowohl Politik, als auch Arbeitgeber gefordert, über flexible, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle nachzudenken und sie anzubieten“. Denn die Arbeit in Teilzeit ist auf lange Sicht und vorausschauend geplant. Jacob beobachtet, dass sich ältere Kollegen vermehrt um die Pflege ihrer nahen Angehörigen kümmern. Die Pflege von Angehörigen wird immer mehr zum Thema. Mit seinem Teilzeitarbeitsmodell kann er gegebenenfalls auf Pflegebedürftigkeit in seinem Umfeld reagieren. Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 25 „Es gibt die Pflicht und die Kür – wie Führungsund Vaterrolle sich vereinbaren lassen“ Peter von Kampen ist kaufmännischer Geschäftsführer der ZARM Fallturm-Betriebsgesellschaft mbH am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation. Das ZARM wurde 1985 gegründet, seit 1999 ist von Kampen dort tätig. Der 1990 in Betrieb genommene Fallturm bietet Wissenschaftlern/ innen aus aller Welt die Möglichkeit, Experimente unter Schwerelosigkeit durchzuführen. Insgesamt sind rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angestellt. Von Kampen ist kaufmännischer Geschäftsführer der ZARMFallturmbetriebsgesellschaft mbH (ZARM-Fab), deren Gesellschafterin das Land Bremen ist. Als kaufmännischer Geschäftsführer ist er verantwortlich für die Finanzen der ZARM-Fab und den Betrieb des Fallturms, was von großer Bedeutung für deren rund 20 Angestellten ist. Darüber hinaus ist von Kampen als Vorstand für Finanzen verantwortlich für die kaufmännischen Belange der ZARM Technik AG. „Gleichberechtigte Partner, die Familie und berufliches Engagement vereinbaren möchten“ 2003 kommt von Kampens Tochter Carima zur Welt. Seine Frau und er sehen sich bei der Entscheidung über Aufgabenverteilung als gleichberechtigte Partner, die beide Familie und berufliches Engagement vereinbaren möchten. Peter von Kampen möchte seine Frau Bettina, die selbstständige Optikerin ist, in ihrer beruflichen Entwicklung unterstützen und Zeit mit seiner Tochter verbringen, sodass er sich bewusst für ein Teilzeit-Modell entscheidet. Diese Arbeitszeitreduzierung des Vaters auf 30 Stunden war für Carimas Eltern im Rahmen der Familienplanung ein „Tool“, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gleichberechtigt umzusetzen. Bei der Umsetzung eines Teilzeitmodells 26 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann spielte auch die Erfahrung mit den ersten beiden Kindern aus vorherigen Partnerschaften eine Rolle. Die Familie ist eine Patchwork-Familie, Carima das dritte Kind. Seine Frau und er haben jeweils beide ein eigenes Kind mit in die Ehe gebracht: „Ich bin mit 20 schon mal Vater geworden, als Zivildienstleistender, eine ganz spannende Zeit“, erzählt von Kampen. Damals blieb er mit seiner ersten Tochter zuhause und lernte, wie viel Stunden Erwerbsarbeit neben einem Haushalt mit Kleinkind überhaupt zu bewältigen sind. Das brachte die Erkenntnis, dass es ‚das bisschen Haushalt‘ so nicht gibt. Quelle: ZARM „Mein Teilzeitmodell ist langfristig angelegt“ Aufgrund des geltenden Rechtsanspruchs war die Umsetzbarkeit seines Teilzeitmodells für von Kampen eine klare Entscheidung. Allerdings wäre ein Teilzeitmodell mit geringen Wochenstunden nicht mit seinen verantwortungsvollen, vielfältigen Tätigkeiten kompatibel gewesen. So reduzierte er während des ersten Lebensjahres seiner Tochter zunächst auf 30 Stunden. „Ich habe am Jahresende den Strich darunter gezogen und musste feststellen, dass ich eigentlich 35 Stunden gearbeitet hatte. Daraufhin habe ich meinen Arbeitsvertrag auf 35 Stunden erhöht, bei denen er heute noch ist“, erklärt er. Diese sogenannte „Vollzeit-Light“ ist langfristig angelegt, „denn auch wenn die Lütte jetzt schon neun Jahre ist und im nächsten Jahr in die fünfte Klasse kommt, mache ich das ja nicht zum ersten Mal und weiß, jemand muss da sein“. „Es gibt die Pflicht und die Kür – wie Führungs- und Vaterrolle sich vereinbaren lassen“ Oder: „Kreativität vom Wickeltisch - mehr Effektivität durch Abstand zur Arbeit“ Den Wunsch seine Vaterrolle aktiv wahrzunehmen hat von Kampen im ZARM selbstbewusst vertreten und kommuniziert, „damit letztendlich das Verständnis dafür da ist, dass der von Kampen nicht faulenzt, sondern seine Arbeitszeit aus gutem Grund reduziert hat“, so von Kampen. Auch die anderen haben Familien und ein Privatleben und wissen um die Höhen und Tiefen des Zusammenlebens, umso wichtiger sei es, ganz offen zu erklären, um wen man sich kümmern will und warum. Im Kollegium nimmt er damit eine Vorreiterrolle wahr: Ein Mitarbeiter ist seitdem nach der Geburt seines Kindes ebenso in Teilzeit gegangen. Auch von der Institutsleitung kam kein Gegenwind. Im Vorfeld hatte von Kampen seinem Chef zugesichert, dass er selbstverständlich alle Verantwortungsbereiche erfüllen würde, denn „natürlich muss ein Jahresabschluss fristgerecht erstellt werden, natürlich muss ein Haushaltsplan fristgerecht abgeliefert werden“, erläutert von Kampen. Damit hat er konkret Vorschläge gemacht, wie die Verkürzung der Arbeitszeit nicht zu gravierenden Nachtei- Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 27 len führt und Lösungen angeboten. „Es gibt die Pflicht und die Kür“, führt er aus. Die Kür, das sind Projekte, die Teilnahme an Ausschreibungen, die Organisation von Kongressen, die Weiterentwicklung von Konzepten und Ideen. Zu Beginn seiner Arbeitszeitreduzierung verzichtete von Kampen auf solche Projekte: „Da wollte ich erst mal zurücktreten, da durfte auch mal ein Kelch an mir vorbei gehen“, sagt er. Verzicht und ein vorübergehendes Zurücktreten ist also durchaus möglich, so von Kampens Erfahrung. Doch gerade auch diese größeren Projekte, in die er seine Expertise einfließen lassen kann, machen Peter von Kampen deutlich Spaß. So verwundert es nicht, dass er im Jahre 2006 nach Peking reiste, wo es um die Ausschreibung einer großen Konferenz ging, die er dann zusammen mit dem damaligen Institutsleiter des ZARM und dem Bremer Buergermeister nach Bremen holte. Nebenbei sanierte er mit seiner Familie ein Bremer Reihenhaus. Wie ist das machbar? „Es ist möglich und auch nicht unmenschlich. Es bedeutet eine hohe Identifikation mit der Arbeit selbst wie auch mit dem Privaten - und damit verbunden natürlich gute Organisation, Prioritäten setzen und delegieren können“, erklärt von Kampen. Er hat sogar den Eindruck, durch die verringerte Stundenzahl effektiver und konzentrierter zu arbeiten als bei einer Präsenszeit von 45 Stunden aufwärts. „Den gewissen Abstand, den man hat, wenn man nicht zu viel arbeitet: Ich habe es immer wieder geschafft, das kreativ umzusetzen“, berichtet von Kampen, denn „auch am Wickeltisch macht man sich natürlich Gedanken über das, was auf der Arbeit anliegt“. Kreativität braucht Freiräume statt Zeitvorgaben und die kann man durchaus mal am ‚Wickeltisch‘ oder beim Spielen mit dem Nachwuchs finden, so von Kampen. Seine Funktion als kaufmännischer Geschäftsführer bringt eine hohe Verantwortung, aber auch Entscheidungsfreiheit mit sich, sodass 28 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann er gewisse Aufgaben delegieren kann und die Arbeitsorganisation neu strukturieren konnte. An der Ausübung seiner Führungsposition in vollzeitnaher Teilzeit wird sichtbar, dass von Kampens aktive Vaterrolle keine Karrierebremse darstellt. Er verdeutlicht, dass er seine langfristige berufliche Entwicklung selbst vorangetrieben hat, beispielsweise durch die Akquise von Projekten und die Entwicklung neuer Ideen. Parallel haben sich seine Aufgaben in der Teamleitung - trotz Teilzeit - über die Jahre immer mehr etabliert und gefestigt. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie seien die flexiblen Strukturen des ZARM sehr von Nutzen. „Die guten Strukturen und die eher langfristigen Aufgabe der Firma ermöglichen das auch“, so von Kampen. Anders als in der Drittmittelforschung, wo nur befristete Verträge ausgegeben werden, sind die meisten Mitarbeiter der ZARM-Fallturmbetriebsgesellschaft mbH Festangestellte. Grundsätzlich sieht er die Geschäftsführung als Stellschraube für eine erfolgreiche Vereinbarkeit: „Da kann ich sagen, ich hatte Glück, dass die Unternehmenskultur das mitgetragen hat. Letztendlich entscheidet eine Unternehmenskultur, welche Familienpolitik konkret umsetzbar ist.“ Am wirkungsvollsten ist natürlich, wenn Führungskräfte gute Vorbilder in Bezug auf Familienfreundlichkeit sind und selbstbewusst für einen eigenen Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben stehen. Damit machen sie den Mitarbeitenden Mut Angebote anzunehmen und auch eigene Teilzeitwünsche umzusetzen. Diese Vorbildrolle kommt jetzt gewissermaßen von Kampen als Führungskraft selbst zu. „Wir sind gut vernetzt, nur so funktioniert das.“ Für die erfolgreiche Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind laut von Kampen vor allem „ein großes Netzwerk und eine ständige, dynamische Organisation“ notwendig. „Wir sind gut vernetzt. Selbstverständlich haben wir eine Ganztagesschule. Selbstverständlich ging das Kind mit fünf Monaten schon die ersten Stunden zur Tagesmutter, nach einem Jahr war sie dann drei bis fünf Tage die Woche da“, so von Kampen. Der Kindergarten ging auf eine Elterninitiative zurück, von Kampen und seine Frau hatten sich dort beide engagiert; von Kampen kümmerte sich naturgemäß um die Belange des Vorstands. Hilfreich sei bei der gleichberechtigten Arbeitsteilung der Partner, dass seine Frau Bettina „manchmal zwei, drei Tage am Stück verkürzt arbeitet oder unter der Woche einen Tag frei hat, denn Geschäfte haben auch samstags, manchmal auch sonntags auf“, erzählt von Kampen. Am Wochenende kümmert sich Peter von Kampen dann um die Kinder und den Haushalt. Zudem bringt er das Kind morgens zur Schule und holt es, in Abstimmung mit seiner Frau, oft auch ab. Wenn er seine Tochter nicht abholt, arbeitet er länger, denn „irgendwann muss ich auch arbeiten“, lacht von Kampen. Stehen Dienstreisen an, ist noch mehr Absprache und Kommunikation notwendig. „Meine Frau ist beruflich hier in Bremen gebunden und nimmt nur gelegentlich auswärtige Messetermine wahr. Der Fallturm steht jedoch in einem internationalen Umfeld, ich habe Umsatzverantwortung. Das ist auch verbunden mit entsprechender Reisetätigkeit“, erklärt von Kampen. „Dann ist plötzlich alles bei meiner Frau allein abgeladen.“ Daher ist die ganze Familie froh, dass die große Tochter ab und an noch einspringen kann. „Wir kriegen das gut aufgefangen, wir müssen viel organisieren. Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 29 Natürlich, man muss immer viel absprechen“, so von Kampen. Das sei auch ein „ewiger Diskussionspunkt“, den man allerdings nicht überbewerten dürfe. Ohne dieses große Netzwerk wäre die Betreuung für Carima nicht gewährleistet. In Notfällen könne man das Kind sogar „mal in das Brillengeschäft oder in das ZARM mitnehmen, aber das ist ja keine Lösung für 200 Arbeitstage im Jahr“, gibt von Kampen zu bedenken. Auch die Arbeit im Haushalt wird aufgeteilt, wobei jeder das macht, was ihm mehr liegt. Von Kampen sieht sich nicht als „Vorbild-Koch“. Es gäbe Männer, die kochen gern, er jedoch nicht. Lieber kümmert er sich um die Wäsche und andere Aufgaben im Haus. Auch hier sind Flexibilität und Dynamik wichtig, da beispielsweise „die Geschirrspülmaschine nicht eine Woche warten kann, bis der Herr wieder da ist“. Eine familienfreundliche Unternehmenskultur als Pluspunkt im Kampf gegen den Fachkräftemangel Von Kampen ist mit seinem Teilzeitmodell sehr zufrieden: „Das ist natürlich ein totaler Gewinn.“ Er stellt aber nicht nur auf Seiten der Arbeitnehmer, sondern auch auf Seiten der 30 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Arbeitgeber ein großes Benefit fest, besonders im Hinblick auf den demografischen Wandel und den damit einher gehenden Fachkräftemangel. Von Kampen geht davon aus, dass eine Unternehmenskultur, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert, die Attraktivität der Unternehmen im Wettbewerb um gut qualifizierte Fachkräfte deutlich steigern würde. „Besonders bei den Mittelständlern in Deutschland besteht die größte Chance, da sie klein und flexibel genug sind, schnell zu agieren und individuelle Angebote zu entwickeln“, so von Kampen. Damit Teilzeitmodelle mehr Anklang finden, sieht er neben den Unternehmen noch weitere Akteure in der Pflicht, beispielsweise Politik, Medien und Gesellschaft. Von Kampen fordert ein Umdenken, generell müsse die sogenannte Rush-Hour des Lebens, die Zeitspanne zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr, entzerrt werden. Zum einen könne eine Karriere auch später stattfinden, zum anderen dürfe eine Familiengründung für Frauen nicht ein KarriereAus bedeuten. „Frauen, die in Führungspositionen gehen können, die sowieso super gebildet sind - warum sollen die komplett aus der Entwicklung rausgehen?“, fragt von Kampen rhetorisch. Er sieht jedoch schon einen Wandel der Frauenrolle, er bescheinigt den Frauen großes Können sowie das nötige Selbstbewusstsein und Ehrgeiz, weder auf Beruf noch auf Familie verzichten zu wollen. In vielen Wirtschaftsbereichen erkennt er noch Handlungsbedarf, was eine familienfreundliche Unternehmenskultur betrifft. Vorbilder in den Unternehmen und deren aktive Darstellung seien wichtig: Einerseits der Familienvater, der auch in hoch qualifizierter Position Teilzeit arbeitet, andererseits die Frau in Führungsposition, könnten beim gesellschaftlichen Wandel hin zu einer größeren Akzeptanz von Teilzeitmodellen helfen. Diese Bilder wiederum müssten viel mehr durch unterschiedliche mediale Aufbereitungen öffentlich verbreitet werden. Die Politik, so von Kampen, sei für eine bessere Familienpolitik verantwortlich, das heißt auch für eine ausreichend entwickelte Infrastruktur in Bezug auf die Kinderbetreuung. Die Unsicherheit, die bei der aktuellen Diskussion um den Ausbau der U3-Betreuung entsteht, sei nicht hilfreich. Für genauso kontraproduktiv hält von Kampen den nach wie vor negativ belegten Ausdruck „Rabenmutter“, der immer noch im Duden steht, ein Unikum der deutschen Sprache. Ganz abgesehen davon, dass Raben in Wahrheit liebevolle und sehr fürsorgliche Eltern sind. Dennoch appelliert von Kampen auch an die Eltern. Eine gelebte Gleichberechtigung bedeutet auch, dass Mütter mehr loslassen und gewisse Aufgaben und damit auch Kontrolle abgeben lernen müssten, Männer hingegen ihr Recht auf eine aktive Vaterschaft - und Teilzeitmodelle - noch selbstbewusster einfordern müssen: den Kollegen, den Vorgesetzten und Chefs, aber auch den Freunden gegenüber. Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 31 „Männer müssen mutiger sein, und Frauen müssen fordernder sein.“ Matthias Eck, 38 Jahre, Maschinenbauingenieur, Führungskraft bei Windwärts Energie GmbH in Hannover Als Matthias Eck 1996 bei der Windwärts Energie GmbH als Maschinenbauingenieur anfängt zu arbeiten, ist das Unternehmen gerade mal zwei Jahre alt und hat sechs Beschäftigte. Alternative Energieerzeugung ist Mitte der 1990er Jahre in Deutschland noch nicht sonderlich verbreitet. Rückblickend „war das eine sehr spannende Zeit“. Durch die geringe Größe des Unternehmens sind alle Mitarbeiter/innen in sämtliche Tätigkeiten und Entscheidungen eingebunden. Matthias Eck arbeitet 40 Stunden und mehr in der Woche. Er ist aktiv daran beteiligt, dass das Unternehmen wächst. Die Windwärts Energie GmbH entwickelt, finanziert und betreibt Wind-, Solar- und Bioenergieanlagen im In- und Ausland. 2008 hat das Unternehmen 56 Beschäftigte und gliedert sich in die fünf Bereiche (1) nationale Projektentwicklung, (2) internationale Projektentwicklung, (3) Marketing und Kommunikation, (4) Finanzierung sowie (5) Betriebsführung und Verwaltung realisierter Projekte. Matthias Eck leitet die Abteilung internationale Projektentwicklung. Seine Aufgabe und die seines Teams ist es, im Ausland Standorte für Wind- oder Solarenergieanlagen zu finden, den Kontakt zu den Landeigentümern aufzunehmen, über Landnutzungsrechte zu verhandeln sowie die technische Bauplanung und Genehmigungsverfahren zu koordinieren. Zurzeit werden Projekte in Frankreich, Italien, Griechenland, der Türkei sowie in Südamerika geplant bzw. umgesetzt. Mehrmals im Jahr ist Matthias Eck für seine Firma im Ausland tätig. „Nicht nur Wochenend- und Feierabendvater“ 2004 ändert sich einiges im Leben von Matthias Eck. Er und seine Frau, die ebenfalls bei 32 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann der Windwärts Energie GmbH beschäftigt ist, werden Eltern von Zwillingen. Zunächst ist klar, dass seine Frau nach der Geburt der Kinder zu Hause bleibt: „So ganz raus aus dem Beruf wollte ich nicht. Das ist mir damals nicht in den Sinn gekommen. In meiner Funktion als Teamleiter hätte ich es mir schwer vorstellen können.“ Nachdem seine Frau einige Zeit in Elternzeit ist, vermisst sie den Job. Obwohl sie durchgängig Kontakt zu Kolleg/innen hat, in Entscheidungen eingebunden ist und auch mal mit den Kindern im Unternehmen ist, fehlt ihr der tägliche Kontakt zu den anderen Mitarbeiter/innen und die Arbeit selbst, mit der sie sich sehr identifiziert. Nach neun Monaten Elternzeit kommt es zu einer Veränderung: „Meine Frau wollte wieder arbeiten gehen, und ich konnte es mir einfach gut vorstellen, tageweise zu Hause zu bleiben.“ Somit steht fest „den Job, aber auch die Erziehung und die Zeit mit den Kinder zu teilen. Sie hatte den Wunsch wieder zurück in den Beruf zu gehen, ich hatte den Wunsch nicht nur Wochenend- und Feierabendvater zu sein.“ Das gewählte Arbeitszeitmodell der Ecks, dass beide Teilzeit arbeiten, ist in Deutschland extrem selten: Nur 1-2% aller Paare mit Kindern unter 18 Jahren wählen es.1 1 Klenner/Pfahl (2008): Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht - Wege aus dem Arbeitszeitdilemma, Arbeitszeiten von Müttern, Vätern und Pflegenden. S. 16-17. Familienfreundliche Unternehmenskultur unterstützt Nach diesem persönlichen Entschluss tritt das Paar ans Unternehmen heran: Frau Eck will mit zwei Tagen in der Woche wieder einsteigen, Matthias Eck seine Arbeitszeit auf drei Tage in der Woche reduzieren, „sodass jeden Tag jemand von uns zu Hause bei den Kindern war“. Die Windwärts Energie GmbH stimmt diesem Wunsch zu. Matthias Eck stand vor seiner eigenen Arbeitszeitreduzierung einer Teilzeitarbeit durchaus kritisch gegenüber: „Ich selber habe mich früher auch schwer damit getan, als bei uns im Unternehmen die ersten Kollegen in Teilzeit gegangen sind.“ Mit seiner Entscheidung für Teilzeitarbeit ist Matthias Eck kein Pionier bei der Windwärts Energie GmbH: „Es war bei uns im Unternehmen nicht ganz neu, dass Vä- ter in Teilzeit gegangen sind. Vor mir gab es schon Männer in Leitungspositionen, die nur vier Tage in der Woche gearbeitet haben.“ Neu ist vielmehr, dass Matthias Eck zunächst nur drei Tage in der Woche erwerbstätig sein und gleichzeitig weiterhin Teamleiter für die internationale Projektentwicklung bleiben will. „Natürlich gab es eine Diskussion darüber, ob das funktioniert, aber es war ziemlich schnell Konsens, dass wir das machen wollen.“ Die Teilzeitarbeit von Matthias Eck hat für die Windwärts Energie GmbH ja auch den Vorteil, dass seine Frau wieder ins Unternehmen zurückkommen konnte: „Windwärts hat natürlich bei mir Arbeitszeit verloren, auf der anderen Seite aber Kapazitäten gewonnen. Vielleicht hat es das auch ein wenig erleichtert.“ Dass die Windwärts Energie GmbH die Arbeits- Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 33 zeitwünsche der Ecks verwirklicht, hat auch mit der familienfreundlichen Unternehmenskultur zu tun. Von den 56 Beschäftigten haben 26 Kinder unter 18 Jahren. Mit einem Altersdurchschnitt von 38 Jahren befinden sich viele Beschäftigte noch in der Familiengründungsphase. Die Arbeit bei der Windwärts Energie GmbH erfordert ein mittleres bis hohes Qualifikationsniveau. Das Unternehmen arbeitet von Anfang an daran, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, bei der Kompetenz und Motivation einen hohen Stellenwert haben und durch die es gelingt, Mitarbeiter/innen nachhaltig an das Unternehmen zu binden. Seit 2005 trägt die Windwärts Energie GmbH das Zertifikat des audit berufundfamilie® und baut seitdem ihre familienbewusste Personalpolitik kontinuierlich aus. 2006 gewinnt die Windwärts Energie GmbH den 1. Preis als „Familienfreundlicher Betrieb in der Region Hannover“. auch meine Verantwortung und nicht nur die meiner Frau. Wir müssen meine Arbeit eben so organisieren, dass es funktioniert“. Da geht es dann auch ein bisschen um die grundsätzlichere Diskussion von Frauen- und Männerbildern. Und: Darf man das auch in Leitungsfunktion machen oder darf man es nicht? „Ich habe deutlich gemacht, dass es keine Alternative dazu gibt. Insgesamt hat es aber einen großen Kampf nicht gegeben. Die Widerstände waren nur vereinzelt vorhanden“. Unter anderem liegt das an der besonderen Unternehmenskultur der Windwärts Energie GmbH, wie Matthias Eck betont: „Es geht bei uns nicht nur um die Nachhaltigkeit in der Energieversorgung, sondern auch um die Nachhaltigkeit in Bezug auf die Beschäftigten. Klar, wir machen Projektarbeit, da kann es sein, dass man auch mal sechzehn Stunden arbeiten muss, um etwas fertig zu bekommen, aber das ist nicht die Regel. Wir versuchen es mit den Überstunden nicht zu übertreiben, da uns klar ist, dass die Leute das auf Dauer nicht durchhalten würden. Wir legen viel Wert auf Mitarbeiterbindung und haben eine sehr geringe Fluktuation bei Windwärts.“ Der Alltag mit Teilzeit und Kinderbetreuung Reaktionen der Kolleg/innen Während die Führungsebene hinter dem Teilzeitwunsch von Matthias Eck als Führungskraft steht, ist die Umsetzung auf der Kollegenebene zunächst nicht ganz reibungslos. Vereinzelt sind die Kolleg/innen skeptisch, wie die anspruchsvolle Projektarbeit mit einer Dreitagewoche funktionieren soll. Matthias Eck leistet Überzeugungsarbeit und bezieht eine klare Position: „Ich habe Kinder zu Hause und möchte auch zeitweise bei diesen Kindern sein. Das ist 34 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Die Arbeitszeitreduzierung von Matthias Eck hat eine Aufgabenumverteilung zur Folge. Zwar ist er überzeugt, dass er seit seiner Vaterschaft „stringenter arbeitet“, dennoch ist es notwendig, Aufgaben an andere Mitarbeiter abzugeben. Zudem sind die Kolleg/innen gezwungen, die Kommunikation mit ihm besser zu organisieren, weil sie nicht jederzeit zu ihm kommen können, um Rücksprache zu halten. Gleichwohl kommt er seinen Mitarbeiter durch Erreichbarkeit und Flexibilität entgegen: „Meine Kollegen können mich in dringenden Fällen und zu normalen Arbeitszeiten jederzeit bei mir zu Hause oder auf dem Handy anrufen. Wenn es gerade nicht passt wegen der Kinder, dann rufe ich sie zurück. Außerdem rufe ich auch zu Hause regelmäßig meine E-Mails ab.“ Moderne Kommunikationsmedien wie Mobiltelefon oder Laptop unterstützen sein Arbeitszeitmodell positiv. Die Zwillinge wurden zwischenzeitlich an einem Tag in der Woche von einer Tagesmutter betreut und haben mittlerweile einen Ganztagesplatz im Kindergarten. Die Kinder genießen die professionelle Betreuung und das Zusammensein mit anderen Kindern offensichtlich sehr: „Wenn wir sie nachmittags abholen, würden sie manchmal gern noch ein wenig länger bleiben. Obwohl die Kinder bis 17 Uhr im Kindergarten bleiben könnten, ist das nur eine Option für den Fall, dass doch mal Termine dazwischenkommen.“ In der Regel werden die Zwillinge um 15 Uhr abgeholt. Wer die Kinder aus dem Kindergarten abholt, ist klar geregelt: Dienstags und freitags ist es Matthias Eck. „Ich möchte mir die zwei Nachmittage, die ich jetzt bei den Kindern zu Hause bin, auch nicht nehmen lassen.“ An einem Tag in der Woche werden die Zwillinge von ihrer Tante abgeholt, an zwei Tagen von ihrer Mutter. Kinderbetreuung als „gemeinsame Aufgabe“ und „geteilte Verantwortung“ Die professionelle Kinderbetreuung ermöglicht es Inna und Matthias Eck, ihre Arbeitszeiten Stück für Stück wieder aufzustocken. 2008 arbeitet Inna Eck 65 Prozent, Matthias Eck 80 Prozent. „Wir haben eine klare Regelung, wann ich für die Kinder verantwortlich bin und wann meine Frau. Und wenn die Kinder an einem Tag krank werden, an dem ich verantwortlich bin, dann bleibe ich zu Hause.“ Montags, mittwochs und donnerstags steht er dem Unternehmen den ganzen Tag zur Verfügung. Ein bis zwei Tage die Woche arbeitet er halbe Tage. An diesen Tagen arbeitet er in Absprache mit seinem Team entweder im Unternehmen oder zu Hause. Dieser aufgeteilte Rhythmus der Tage wird nur durch Auslandreisen unterbrochen. Acht bis zehn Wochen im Jahr ist Matthias Eck beruflich im Ausland unterwegs. In dieser Zeit übernimmt seine Frau die Kinderbetreuung komplett und kann ihre Arbeitszeit dementsprechend kurzfristig reduzieren. Ansonsten herrscht bei Inna und Matthias Eck das Prinzip der „geteilten Verantwortung“ vor, sowohl die Kinderbetreuung als auch die Hausarbeit teilen sie sich relativ gleichberechtigt. Zum Interview treffen wir uns an einem Donnerstag: „Heute hat meine Frau die Verantwortung für die Kinder, deshalb kann ich ganz entspannt arbeiten.“ Anstrengend findet Matthias Eck manchmal die „Rollenklärung“ innerhalb der Familie. „Meine Frau und ich haben nicht so stark unterschiedliche Rollen: Sie hat nicht die klassische Mutterrolle, und ich habe nicht die klassische Vaterrolle. Die Kompetenzen sind dadurch manchmal nicht ganz klar.“ Ab und zu hat er den Eindruck, dass es seine Kinder etwas verwirrt, dass sie mehrere Ansprechpartner haben, die das gleiche Gewicht haben und dass nicht einer von beiden immer da ist: „Aber ich glaube, sie lernen dadurch auch. Und ich glaube, sie schätzen es, dass wir unterschiedliche Dinge mit ihnen machen und unternehmen. Das bedeutet für sie mehr Vielfalt. Die kann auf der einen Seite anstrengend, aber sie kann Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 35 eben auch sehr bereichernd sein.“ Das private Umfeld von Matthias Eck reagiert sehr positiv auf die Teilzeitarbeit von ihm und seiner Frau: „In meinem Freundeskreis haben die meisten gesagt: „Es ist ja toll, dass ihr das machen könnt. Viele haben es außergewöhnlich gefunden, dass das geht, aber nicht im negativen Sinne.“ Wie erklärt Matthias Eck es sich, dass Teilzeitarbeit von Männern noch nicht zum Megatrend geworden ist? „Ich glaube, es fällt vielen einfach schwer loszulassen und es wird ihnen im Job auch schwer gemacht. Teilweise sind damit auch finanzielle Nachteile für die Familien verbunden. Und manchmal sagt die Ehefrau oder die Partnerin vielleicht auch nicht deutlich genug ‚Du bleibst auch zu Hause und ich geh auch arbeiten.’ Wenn die Mütter wieder erwerbstätig sein wollen, müssen sie selbst die Kinderbetreuung organisieren. Die Männer lassen die Frauen machen, aber sie nehmen ihnen auch nicht nichts ab. Sie sehen es nicht als gemeinsame Aufgabe, es zu organisieren, dass beide arbeiten können.“ Form nicht kann. Aber gut, man kann irgendwie nicht alles haben.“ Eine enge Bindung zu seinen Kindern ist Matthias Eck wichtiger als Karriere um jeden Preis: „Ich weiß eben, dass ich dafür mehr Zeit mit meinen Kindern habe. Da ist eine ganz starke emotionale Bindung da. Ich möchte gerne Zeit mit ihnen verbringen, ich möchte auch im Alltag für sie da sein und natürlich bekommt man so auch sehr viel mehr mit, wie sie groß werden, wie sie sich entwickeln, wie sie lernen. Kinder können auch anstrengend sein, gar keine Frage. Wir haben zwei Jungs, die haben reichlich Energie, und die können einen manchmal auch schon zur Verzweiflung bringen, aber ich würde es nicht anders machen, auf keinen Fall.“ Teilzeitarbeit als Karrierebrem- Teilzeitarbeit ein Modell für alle? se? „Man kann irgendwie nicht „Die Leute müssten nur mehr alles haben“ Mut haben, es würde gar nicht so viel Widerstand geben.“ Welche Auswirkung hat die Teilzeitarbeit eigentlich auf die Karriere von Matthias Eck? „Ich würde schon sagen, die Karriere ist nicht gestoppt, aber gebremst.“ Wenn er sich nach den vier Jahren, in denen er Teilzeit erwerbstätig ist, mit Kolleg/innen vergleicht, sieht er dass die Kolleg/innen weitergekommen sind. Ihm fehlt oft die Zeit, sich in neue Themen einzuarbeiten oder eine Weiterbildung zu besuchen. „Ich sehe schon, dass andere Leute einen beruflichen oder fachlichen Sprung gemacht haben und sich mit neuen Themen beschäftigen können. Das merke ich, dass ich das in der 36 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Matthias Eck plant gegenwärtig nicht, in nächster Zeit wieder in Vollzeit erwerbstätig zu sein. Der Alltag mit Kindern und Erwerbstätigkeit füllt ihn voll aus. „Letztendlich bleibt dann neben Kindern und Beruf extrem wenig Zeit für einen selbst übrig.“ Er würde gerne einen Tag in der Woche komplett frei haben, um eigenen Bedürfnissen nachzugehen und Zeit für sich zu haben: „Dazu fehlt mir im Moment einfach komplett die Zeit.“ Matthias Eck arbeitet gerade einen neuen Mitarbeiter ein, der einen Teil seiner Aufgaben übernehmen soll, damit dieser Wunsch nach mehr Zeit auch für sich selbst die Chance auf Verwirklichung hat. Matthias Eck ist überzeugt, dass mehr Männer Teilzeit arbeiten würden, wenn sie erstmal auf den Geschmack gekommen wären. Bisher ist Vollzeiterwerbstätigkeit aber noch eine große Selbstverständlichkeit bei Männern: „Ich könnte mir vorstellen, dass viele Männer nach einer Auszeit gerne in Teilzeit weiter arbeiten würden. Es ist eher schwer, ohne konkreten Anlass aus der Vollzeitstelle auszubrechen, sich vielleicht auch einzugestehen, dass man auch einen Tag in der Woche ersetzbar ist und dass andere Leute einen Teil des eigenen Jobs erledigen können.“ Befürchtungen von Män- nern in Bezug auf die Arbeitgeber hält er nicht immer für gerechtfertigt: „Die Leute müssten mehr Mut haben, es würde oft gar nicht so viel Widerstand geben.“ Natürlich muss man sich eine Teilzeitarbeitsstelle als Paar auch leisten können. Aber nicht nur die Männer müssen sich bewegen, sondern genauso die Frauen. „Woher kommt die Selbstverständlichkeit, dass Frauen zu Hause bleiben und Männer arbeiten gehen?“ Damit gleichberechtigte Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit in zunehmendem Maße Wirklichkeit werden, müssen sowohl Frauen als auch Männer sich verändern: „Männer müssen mutiger und Frauen müssen fordernder sein.“ Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 37 „Ich verbinde mit männlich sein oder Mann sein eben nicht 15 Stunden am Tag zu arbeiten.“ Markus Zimmermann, 41 Jahre, Pflegemanager und Public Health M.A., Qualitätsmanager bei der Arbeiterwohlfahrt Bremerhaven Eigentlich wollte Markus Zimmermann nie heiraten. Und er wollte keine Partnerin, die raucht, Krankenschwester und jünger ist als er. Es ist anders gekommen: Melanie Zimmermann ist jünger, hat eine Ausbildung als Krankenschwester und raucht. Jedoch nicht zurzeit, denn sie stillt Anneke. Anneke ist im September 2008 geboren und das zweite Kind von Markus und Melanie Zimmermann. Lust an Teilzeiterwerbstätigkeit – „Dafür sind mir andere Sachen zu wichtig“ Teilzeiterwerbstätigkeit ist für Markus Zimmermann nicht erst seit der Geburt seiner Kinder von Bedeutung. Sie hat eine lange Tradition in seiner Berufsbiografie. Nach einer Ausbildung als Krankenpfleger arbeitet er zwölf Jahre auf einer Intensivstation mit dem Schwerpunkt Dialyse am Universitätsklinikum Göttingen. Parallel macht er in dieser Zeit eine Fachweiter-bildung für Intensivkrankenpflege. 1998 startet er sein Studium „Internationales Pflegemanagement“ an der Hochschule Bremen. Ebenso wie Melanie, die Frau, für die er den Vorsatz nicht zu heiraten, aufgegeben hat. Nach einem Auslandsaufenthalt in Südafrika und dem er-folgreichen Abschluss als Pflegemanager fängt Markus Zimmermann ein zweites Studium an. Von 2002-2005 absolviert er das berufsbegleitende Aufbaustudium Gesundheitswissenschaft an der Universität Bremen. Während seiner Studienzeiten ist er weiter in Teilzeit erwerbstä-tig. Nach dem Pflegemanagementstudium und während des Public Health Studiums ist er beim Arbeitersamariterbund im Bereich Qualitätsmanagement erwerbstätig. Teilzeiterwerbs-tätigkeit war also für ihn die Möglich- 38 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann keit, sich weiterzuqualifizieren und gleichzeitig ein Einkommen zu haben. „Ein Auswahlkriterium für einen Arbeitgeber ist für mich einfach auch, dass er familienfreundlich sein muss.“ Seit vier Jahren ist Markus Zimmermann bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Bremerhaven in Teilzeit beschäftigt. Dort steigt er zunächst ein im Bereich Gesundheitswirtschaft und wechselt dann zum Qualitätsmanagement, einer Stabsstelle, die direkt bei der Geschäftsführung angesiedelt ist. Durch den Zuwachs an sozialen Problemen und Armut in Deutschland ver-sucht die AWO Bremerhaven Menschen, die von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung, Diskriminierung oder Pflegebedürftigkeit betroffen sind, zu stärken und zu unterstützen. Die AWO Bremerhaven erbringt Dienstleistungen der verschiedensten Art: in der Kindergartener-ziehung, der Sprachtherapie für Kinder und Erwachsene, der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialberatung für Migrant/innen und der Flüchtlingsarbeit. Auch Sucht- und Drogenarbeit, Sozialpsychiatrie, Altenhilfe und Qualifizierung sind Kernaufgaben der AWO Bremerhaven. Mit über 1.000 Beschäftigten und mehr als 70 Diensten und Einrichtungen ist die AWO Bre-merhaven einer der großen Arbeitgeber/ innen Bremerhavens. Die Aufgabe von Markus Zimmermann bei der AWO Bremerhaven ist, dass die vielfältigen Dienstleistungen professionell auf einem hohen qualitativen Niveau erbracht werden. Dazu gehören beispielsweise Zertifizierungen und Audits im Qualitätsmanagement. Diese sind häufig zwingende Voraussetzung, um die Dienstleistungen erbringen zu können und um Projekt- und Drittmittel zu beantragen. Zudem analysiert und optimiert er Arbeitsprozesse innerhalb der Einrichtungen und treibt die Organisationsentwicklung der AWO Bremerhaven voran. Obwohl Markus Zimmermann mit seiner Fa- milie in Bremen wohnt, hat er die AWO Bremerhaven bewusst als Arbeitgeberin gewählt. Dass die AWO Bremerhaven nicht nur eine teilzeit-freundliche, sondern auch ein familienfreundliche Arbeitgeberin ist, zeigt sich für ihn spätestens bei der Geburt von Neele im Jahr 2006. Nach der Geburt bleibt zunächst seine Frau zu Hause. Sie leitet einen ambulanten Pflegedienst, „sie ist da die Chefin“. Drei Monate nach der Geburt von Neele steigt sie mit einem Tag in der Woche wieder beruflich ein. Das funktioniert, weil Markus Zimmermann ohnehin in Teilzeit erwerbstätig ist. 2007 macht er dann vier Monate „Vollzeit Elternzeit“ und fängt dann wieder mit zwanzig Stunden an. Das annährend gleiche Gehalt der beiden Elternteile und der Erwerbswunsch von Melanie Zimmermann sind aber nicht die einzigen Gründe für die Elternzeit von Markus Zimmermann Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 39 Elternzeit: „Für mich war immer klar, dass ich zu Hause bleibe und auch nicht wenig.“ Und: „Ich würde nicht bei der AWO arbeiten, wenn die etwas gegen meine Elternzeit hätten.“ „Das neue Elterngeld ist echt klasse.“ Von Mai bis Oktober 2009 wird Markus Zimmermann erneut in Elternzeit gehen, diesmal fünf Monate für seine zweite Tochter Anneke. Während seiner ersten Elternzeit 2007 beziehen die Zimmermanns bereits kein Erziehungsgeld mehr, sodass sie die vier Monate Elternzeit mit einem Gehalt überbrücken müssen. Das ist nicht einfach, denn vor drei Jahren haben sie sich ein Haus gekauft. Bei der zweiten Elternzeit stellt sich die finanzielle Situation durch das 2007 eingeführte Elterngeld deutlich besser dar. Besonders freut sich Markus Zimmermann auf den Mai 2009. Da haben seine Frau und er nämlich noch einen Monat überlappend Elternzeit und werden mindestens drei Wochen mit den beiden Kindern im Wohnmobil seiner Schwiegereltern unterwegs sein, „weil wir wahrscheinlich nie wieder so lang am Stück gemeinsam Urlaub machen können.“ Im Juni 2009 wird Melanie Zimmermann wieder in Vollzeit die Leitung des ambulanten Pflegedienstes übernehmen. Der Alltag der Zimmermanns „Man muss mir auch nicht sagen, dass der Windeleimer voll ist.“ Momentan arbeitet Markus Zimmermann durchschnittlich dreißig Stunden pro Woche für die AWO Bremerhaven, manchmal gibt er zudem als freiberuflicher Dozent Unterricht. Seine Frau ist während ihrer derzeitigen Elternzeit nicht erwerbstätig. Trotzdem ist Markus Zimmermann nicht in Vollzeit erwerbstätig: „primär wegen der Fahrtzeiten“. Jede Woche muss er für den Arbeitsweg ca. zwölf Stunden investieren. Die Wochentage beginnen mit einem gemeinsamen Frühstück, dann bringt er Neele in die Krippe. Neele geht mit Vergnügen in ihre Kinderbetreuungseinrichtung: „Ihr tut das gut, die braucht das. Die geht da total gerne hin. Neele hatte jetzt gerade eine Woche Windpocken und gestern war sie schon wieder so gesund, dass sie sich mit uns langweilt. Wir können ihr nicht das bieten, was die Kita ihr bietet. Die braucht die Auseinandersetzung mit anderen Kinder.“ Während sich seine große Tochter in der Krippe vergnügt, steigt er von Montag bis Donnerstag in den Bus und Zug Richtung Bremerhaven. Er versucht immer gegen 17 Uhr wieder zu Hause zu sein, da Neele um 19 Uhr ins Bett geht, „da würde ich gern einfach noch mal was von mitbekommen.“ Die verbleibenden Stunden seiner 30 Stunden Stelle kann er am Freitag 40 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann haben. „Man muss mir auch nicht sagen, dass der Windeleimer voll ist. Was mich z. B. immer nervte bei den anderen Vätern, dass die Frauen denen sagen mussten: ‚Jetzt geh mal das Kind wickeln.’ So was wollte ich nie.“ Reaktionen auf den Vater in Elternzeit im Unternehmen und im Privaten von zu Hause aus erledigen. „Mein Chef lässt mir sehr viele Freiheiten, was die Arbeitszeitgestaltung angeht. Ich kann zu Hause arbeiten. Erfahrungsgemäß ist die Arbeitszeit de facto dann meistens etwas mehr“ als 30 Stunden in der Woche. Es gibt auch Phasen, in denen Projekte abgeschlossen werden müssen, z.B. Qualitätsmanagementzertifizierungen von Einrich-tungen der AWO Bremerhaven, wo er auch mal 50 Stunden in der Woche arbeiten muss. Er versucht dann trotzdem um 17 Uhr zu Hause zu sein und arbeitet „dann eben von acht bis elf von zu Hause, wenn die Kinder im Bett“ sind. Dann gibt es aber Phasen, wo er wieder etwas „runterfahren“ kann. Erleichtert wird seine Arbeitszeitflexibilität durch seinen Laptop, der sein täglicher Begleiter ist. Bei der Hausarbeit haben die Zimmermanns keine Hilfe von außen. Während der Elternzeiten engagiert sich immer der Partner stärker bei der Hausarbeit, der nicht oder geringer erwerbstätig ist. Da Melanie Zimmermann zurzeit zu Hause ist, heißt das, sie macht den überwiegenden Teil der Hausarbeit. Wenn er wieder in der Elternzeit geht, übernimmt er das. Beide haben ihre favorisierten Bereiche in der Hausarbeit: „Sie macht die Wäsche besser, ich koche besser.“ Putzen tun sie häufig auch gemeinsam: „Ich putze eigentlich total gerne, ich finde das angenehm, weil ich bei der Arbeit nur Kopfarbeit machen muss.“ Vorteilhaft ist, dass sie ähnliche Vorstellungen von Ordnung „Mein Chef fand das gut, begrüßt das“ kommentiert Markus Zimmermann die Reaktion sei-nes Chefs auf die Elternzeit. Der Geschäftsführer der AWO Bremerhaven und gleichzeitig sein direkter Vorgesetzter unterstützt auch die zweite Elternzeit erneut. Die Reaktionen auf seine erste Elternzeit bei den anderen Kolleg/innen der AWO Bremerhaven sind „eher positiv“. Die AWO Bremerhaven fördert einen frühen Wiedereinstieg von Frauen nach der Geburt und akzeptiert den Wunsch von Vätern nach Elternzeit. Der ist aber noch selten. Circa siebzig Prozent der Belegschaft sind Frauen. Schmunzelnd sagt Markus Zimmermann: „Jetzt kennen sie auch mal einen Mann, der zu Hause geblieben ist. Die meisten Männer bleiben ja doch nicht zu Hause.“ Als sich jetzt Anneke ankündigte, war es für die Kolleg/innen „schon selbstverständlich, dass ich wieder in Elternzeit gehe.“ Während seiner viermonatigen ersten Elternzeit und seiner kommenden fünfmonatigen Elternzeit wurde bzw. wird niemand für seine Position eingestellt. Kolleg/innen übernehmen bestimmte Aufgaben, und er selbst übergibt den Einrichtungen und Diensten während seiner Elternzeiten mehr Aufträge, damit sie ihr Qualitätsmanagement auch ohne seine direkte Unterstützung vorantreiben. Elternzeit bedeutet für Markus Zimmermann, noch besser wesentliche von unwesentlichen Dingen zu unterscheiden: „Es bleiben dann einfach Sachen Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 41 liegen, von denen ich denke, die sind auch nicht so relevant.“ Jedoch kennt er Männer, denen es der Arbeitgeber nicht so einfach macht, in Elternzeit zu gehen. Ein guter Freund von ihm, der Arzt ist und vor fünf Jahren plante eine familienbedingte Auszeit zu nehmen, wurde von Seiten des Unternehmens gefragt, ob er private Probleme hätte, dass er zu Hause bleiben müsste. Er hat dann keine Elternzeit gemacht. Frauen und Männer sind in Bezug auf Elternzeit aus Markus Zimmermanns Perspektive überhaupt nicht gleichberechtigt. Elternzeit bei Männern birgt immer Konfliktpotenzial oder zumindest Dis-kussionsstoff: „Bei Frauen stellt sich die Frage nicht, ob sie zu Hause bleiben oder nicht. Oder sie müssen eben zu Hause bleiben. Bei Frauen diskutiert das gar keiner. Da ist es okay, wenn sie in Elternzeit gehen und länger nicht da sind.“ In seinem privaten Umfeld ist niemand überrascht, dass Markus Zimmermann Elternzeit in Anspruch nimmt. „Die Reaktionen waren immer nur positiv, aber ich strahle auch nichts anderes aus. Selbst als ich noch keine Kinder hatte, noch nicht verheiratet war, war immer die Aussage, wenn ich Kinder habe, dass ich dann auch einen Teil zu Hause bleiben will.“ Für ihn ist es ein kostbarer Schatz, die Entwicklung intensiv mitzuerleben: „Mir war immer wichtig, wenn wir Kinder haben, dass ich dann 42 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann auch da bin, um das auch mitzubekommen.“ Die Entwicklung der zweieinhalbjährigen Neele verläuft gerade so schnell, dass er es nicht verpassen will, welche neuen Wörter sie benutzt oder jetzt schon ganze Sätze bildet. Markus Zimmermann selbst hatte bis zu seiner Pubertät einen „Wochenendvater“. Sein Vater war unter der Woche auf Montage, sodass seine Mutter hauptsächlich die Erziehung übernahm. Durch die größere Präsenz seines Vaters ab der Pubertät verbesserte sich auch ihr persönliches Verhältnis. Seine Eltern finden seine Art des Lebens positiv. Teilzeiterwerbstätigkeit und Elternzeit – ein Modell für alle Väter? „Ich glaube, ein Großteil der Männer will es nicht.“ „Das Argument von vielen Männern ist ja immer: ‚das geht bei mir nicht im Betrieb’.“ Markus Zimmermann meint, dass dieses Argument von vielen Männern nur vorgeschoben ist. Für ihn hat das primär mit dem Wollen zu tun: „Ich glaube, ein Großteil der Männer will es nicht. Dann gibt es Studien, die sagen, dass Männer in Schichten heiraten oder sich eine Partnerin aussuchen, die sozial schlechter gestellt ist. Dann stellt sich die monetäre Frage erst gar nicht. Das Hauptargument früher war ja immer: ‚meine Freundin bzw. meine Frau verdient ja viel weniger als ich.’ Wenn Männer sowieso immer in niedrigere monetäre Schichten heiraten, mag das sein. Mein Eindruck ist aber, dass das ganz oft nur vorgeschoben ist.“ Aber die Gründe für die fehlende Beteiligung der Männer sind auch bei den Frauen zu finden. Auch hier entdeckt Markus Zimmermann, dass viele Frauen traditionelle Rollen gar nicht aufbrechen wollen: „Meine beste Freundin findet es auch ganz schön, zu Hause sein zu dürfen und der Mann bringt die Kohle ran.“ Viele Frauen „finden das Mutterleben ganz schön, so anstrengend es auch ist.“ Aber auch wenn Markus Zimmermann in seinem Freundeskreis der Einzige ist, der zu Hause geblieben ist und Teilzeit arbeitet, findet er doch, dass es mehr „engagierte Väter“ als früher gibt, die nicht nur für ihren Beruf leben und sich nicht nur hauptsächlich in der Rolle des Geldverdieners sehen. Teilzeiterwerbstätigkeit passt nicht zum vorherrschenden Lebensentwurf und Selbstbild von Männern, von dem sich Markus Zimmermann abgrenzt: „Ich verbinde mit männlich sein oder Mann sein eben nicht 15 Stunden am Tag zu arbeiten. Auch früher habe ich schon gedacht, wenn ich eine 70 Stunden Woche habe, dann kann etwas nicht stimmen. Viele machen sich so unentbehrlich, dass sie meinen, sie müssen da 70 Stunden abhängen.“ Was verbindet er selbst stattdessen mit Mannsein? „Zu Hause eben auch eine aktive Rolle zu übernehmen und einen aktiven Teil an der Erziehung meiner Kinder mitgestalten zu können und das beinhaltet letztlich in bestimmten Bereichen für einen gewissen Zeitraum zurückzustecken.“ Ganz anders als andere Männer sieht er sich jedoch nicht, denn er ist beispielsweise begeisterter Werder Bremen Fan und trinkt auch gerne mal ein Bier. geklappt, was ich mir vorgenommen habe.“ Wird Markus Zimmermann eigentlich je wieder in Vollzeit erwerbstätig sein? „Nein, ich glaube, ich werde nie wieder Vollzeit arbeiten. Dafür sind mir andere Sachen zu wichtig.“ Bei einem Lottogewinn würde er sofort aufhören, erwerbstätig zu sein und stattdessen „in Ruhe promovieren und mindestens zwei Jahre mit meiner Familie wegfahren, vielleicht auch länger.“ Für ihn ist frei verfügbare Zeit ein kostbares Gut: „Freizeit ist mir wichtig und Freizeit im Moment heißt Zeit mit der Familie. Am wenigsten Zeit bleibt gerade für mich.“ Er freut sich schon auf die Zeit, wo seine eigenen Hobbys Carrerabahn fahren, Laufen, Rennradfahren und Klettern wieder an Bedeutung gewinnen. Seine eigene zukünftige berufliche Entwicklung sieht Markus Zimmermann selbstsicher und gelassen. Aus seiner Erfahrung und Beobachtung geht Karriere durch Teilzeiterwerbstätigkeit nicht so schnell, da er zum Beispiel nicht so viele Projekte machen und sich dementsprechend nicht ständig profilieren kann. Mittelfristig möchte er in eine Position, in der er noch mehr Verantwortung übernehmen kann. Die AWO Bremerhaven entwickelt sich ständig weiter, insbesondere der Qualitätsmanagementbereich. Er ist optimistisch, dass sich etwas Positives für ihn ergibt. „Ich kann nicht sagen, dass ich so eine richtige Karriereplanung habe, aber bis jetzt hat das immer gut Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 43 Im Einsatz als aktiver Vater: „Ich habe es nie bereut. Es hat sehr, sehr viel Spaß gemacht und macht auch noch viel Spaß.“ Christian Reil, Offizier und Kapitänleutnant bei der Deutschen Marine, ist 39 Jahre alt. Seine Frau ist Anwältin für Steuerrecht in einer Bremer Anwaltssozietät. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, Alexander Charles. Er ist fast drei Jahre alt. Alexander wächst zweisprachig auf, sein Vater spricht ausschließlich englisch mit ihm seine Mutter deutsch. Seine Laufbahn bei der Deutschen Marine beginnt Christian Reil 1989, direkt nach dem Abitur, bei der Bundeswehr als Offizieranwärter an der Marineschule Mürwik in Flensburg. Die Deutsche Marine ist eine Teilstreitkraft der Deutschen Bundeswehr. Ab 1990 studiert Christian Reil dreieinhalb Jahre Betriebswirtschaft an der Bundeswehruniversität in Hamburg, wo er das Studium 1994 erfolgreich beendet. Nach der Ausbildung für Marineoffiziere zum Führungstraining sowie taktisch-operativem Training fährt er ab Ende 1995 für zwei Jahre auf der Fregatte „Rheinland-Pfalz“ zur See. Die Fregatte „RheinlandPfalz“ ist ein Schiff der Bremen-Klasse mit der Hauptaufgabe U-Boot-Bekämpfung. Zunächst dient Christian Reil als Decksoffizier in einem Bereich mit etwa 25 Soldaten, die ihm unterstellt sind. Im Anschluss ist er zwei Jahre als deutscher Soldat bei der niederländischen Marine tätig, um sich danach als U-Boot-Jagd 44 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Offizier zu qualifizieren. In den kommenden Jahren bis 2000 ist Christian Reil erneut auf einem deutschen Kriegsschiff als Offizier in der Operationszentrale tätig, wo er die Hauptverantwortung für den Bereich der U-Boot-Jagd inne hat. Im Jahre 2001 wechselt er an die Marineoperationsschule nach Bremerhaven, um dort seine Lehrtätigkeit zu beginnen. Die Marineoperationsschule ist die zentrale Ausbildungseinheit der deutschen Marine für Taktik und Operation. Schwerpunkt seiner hochqualifizierten Tätigkeit ist die Ausbildung von Offizieren als Führungsorgane der Deutschen Marine. Arbeitszeitverkürzung: ein gemeinsamer Entscheidungsprozess Die Entscheidung, seine tägliche Arbeitszeit zu verkürzen und jenseits des tradierten Modells der männlichen Vollzeiterwerbstätigkeit andere Arrangements zu finden, ist ein langwieriger Prozess. Er beginnt bei Stephanny und Christian Reil schon weit vor der Geburt ihres Sohnes Alexander. Im Rahmen der Offizierausbildung bei einem weiterbildenden Lehrgang qualifiziert sich Christian Reil 2002 für die Auswahl zum Admiralsstabsoffizierlehrgang. „Danach stand die Frage, Admiralstabsausbildung oder nicht im Raum, und da sind meine Frau und ich so ein bisschen ins Grübeln gekommen. Wie stellen wir uns eigentlich unsere nicht nur nähere, sondern etwas fernere Zukunft vor?“ Christian Reil und seine Frau sind sich einig, dass sie gerne ein Kind haben möchten. Sie sind beide als Einzelkinder aufgewachsen und möchten dieses für sie positiv geprägte Familienbild fortführen. Für die Familie stellt sich die Frage, was die beste Option sein wird, ein zwischen beruflichen Verpflichtungen und Möglichkeiten sowie familiären Wünschen ausgeglichenes Leben zu führen. Die Admiralstabsoffizierausbildung als hochqualifziertes Training für strategische Führungsaufgaben sieht einen häufigen Wechsel von Dienstorten vor. Das gibt den beiden zu denken: „Da haben wir einfach mal geguckt, was passiert, wenn jetzt meine Frau Karriere macht, und wir haben festgestellt, dass das höchstwarscheinlich besser bezahlt und definitiv deutlich ortsstabiler ist.“ Und die Reils wollten unbedingt im Großraum Bremen bleiben. Das ist der erste Schritt zu der Entscheidung für Christian Reil, die Admiralstabsoffizierausbildung nicht anzustreben. Nach der Geburt von Alexander Charles im Jahre 2006 ist die logische Konsequenz dieser Entscheidung, dass es der Vater sein wird, der fünf Monate Elternzeit nimmt. „Es hätte vom Denken her nicht gepasst, zu sagen, meine Frau macht jetzt drei Jahre Elternzeit, da wir gemeinsam entschieden haben, dass sie sich ganz auf ihren Beruf konzentrieren kann und ich darauf verzichte, als Stabsoffizier von Pontius nach Pilatus versetzt zu werden.“ Es ist für die Reils dann ganz normal, dass Stephanny Reil direkt nach dem gesetzlichen Mutterschutz gleich wieder arbeiten geht. „Dann habe ich hier zu Hause das Regiment mit dem Zwerg übernommen.“ Christian Reil war am Anfang sehr überrascht, wie anstrengend das ist. Er hatte sich seinen Einsatz als aktiver Vater deutlich entspannter vorgestellt. Vor allem die ersten Wochen erlebt er als große Herausforderung und ist abends froh, wenn seine Frau endlich nach Hause kommt. „Man muss erst lernen, auf die Signale eines Kindes zu achten. Da hatte meine Frau natür- Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 45 lich drei Monate Wissensvorsprung, den man auch nicht so vermitteln kann.“ Aber nach ein paar Wochen erkennt auch Christian Reil die Signale und deren Bedeutung, weiß, wann es Hunger ist, irgendwo piekst oder einfach nur Müdigkeit ist. „Ich habe es nie bereut. Es hat sehr, sehr viel Spaß gemacht und macht auch noch viel Spaß.“ Die fünf Monate beruflicher Auszeit von Christian Reil setzen sich aus gespartem Urlaub sowie zwei Monaten regulärer Elternzeit zusammen, in denen Christian Reil auf den Lohn verzichtet. So sind die finanziellen Auswirkungen relativ gering. Im Jahre 2006 ist noch nicht das jetzt gültige Elterngeld verfügbar, bei der seit 01.01.2007 der Staat in Form einer Lohnersatzleistung zwei Drittel des Nettoeinkommens erstattet. Im Anschluss an die familienbedingte Auszeit kehrt Christian Reil in Teilzeit mit 85% der vorherigen Vollzeitstelle wieder in seinen Beruf zurück. Der neun Monate alte Sohn Alexander kommt in eine Krippe. Überrascht ist die Familie von den hohen Krippenkosten. Werden die Krippenkosten mit dem geringeren Lohn durch die Teilzeit sowie den anfallenden Fahrtkosten nach Bremerhaven gegenüber gestellt bzw. aufgerechnet, verbleibt nur ein deutlich geringerer Anteil an verfügbarem Lohn. Dabei verdient Christian Reil nicht schlecht. Es wird klar, dass für viele Geringverdiener/innen ein Ausstieg eine attraktive Variante wird. „Für die 500 Euro netto kannst du auch zu Hause bleiben,“ gibt anfangs seine Frau zu bedenken. Sie entscheiden sich dann aber doch für einen Krippenplatz, da der Sohn als Einzelkind dort die Chance bekommen soll, das soziale Miteinander zu lernen. Gleichzeitig scheint ein kompletter Ausstieg für Christian Reil zu riskant, zu viel müsste wieder nachgeholt werden. „Dann müsste ich ja fast mit der Grundausbildung wieder anfangen.“ Sohn Alexander geht von nun an täglich von 7:30 bis 15.30 in eine Krippe. „Dort fühlt er sich auch pudelwohl“ so der Vater. Er führt es darauf zurück, dass Alexander noch vor der Fremdelphase, wenn Kinder bei keinem anderen als bei den Eltern auf den Arm sein wollen, den Krippenplatz bekommt. „Mama geht zur Arbeit, Papa geht zur Arbeit und Alexander geht zur Arbeit – jeder hat seinen Job“ sagen die Reils. Und das kommt an und lässt die Stunden in der Krippe für Alexander zu einer ganz normalen Angelegenheit werden. Christian Reil hat mit seiner Teilzeittätigkeit auch einen Tag Telearbeit ausgehandelt, den er sich auf den Freitag legt. Dafür hat er von der Dienststelle einen Arbeitsplatz mit Laptop eingerichtet bekommen. Den Tag genießt er sehr, da ihm das noch mehr Zeit für das Zusammensein mit seinen Sohn ermöglicht. 46 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann „Wäre doch gelacht, wenn wir nicht noch ein paar Windmühlen finden würden.“ Teilzeit in Kombination mit Teleheimarbeit hat es bis dahin bei Offizieren der Deutschen Marine noch nicht gegeben. Obwohl es ein Präzedenzfall ist, bekommt Christian Reil vollste Unterstützung von seinen Vorgesetzten bei der Umsetzung seines Wunsches, Teilzeit zu arbeiten und gleichzeitig einen Tag in der Woche Teleheimarbeit praktizieren zu dürfen. „Mein Vorgesetzter griente mich zuerst an, er hat so eine ‚Don Quijoten Mentalität’ und meinte scherzhaft: „wäre doch gelacht, wenn wir nicht noch ein paar Windmühlen finden würden.“ Reils Vorgesetzter entpuppt sich als einer derjenigen, die gerne dabei sind, wenn was Neues passiert. Er formuliert ausführliche Kommentare und Stellungnahmen zur Begründung des Anliegens, opfert die eine oder andere Stunde seiner Freizeit und kommt zu dem Fazit: Teilzeit ist auf dem Dienstposten umsetzbar. Kritischer betrachtet wurde die Angelegenheit von der personalbearbeitenden Stelle in Köln. Man hatte dort Sorge, bei der Präzedenz etwas falsch zu machen. Das Antragsprocedere ist daher langwierig und führt dazu, dass dem Elternteilzeitantrag erst nach dem ersten Geburtstag des Sohnes stattgegeben wird. Der gesamte Prozess vom Erstantrag bis zur Bewilligung dauert schließlich 19 Monate. Viele rechtliche Details sind zu prüfen wie beispielsweise das Vollzeitvolumen, das zur Berechnung der Teilzeitstelle zu Grunde gelegt werden soll, da die Marine unterschiedliche, einer Vollzeitstelle entsprechende, Grunddienstzeiten hat. Insgesamt charakterisiert Christian Reil das Vorgehen als „richtigerweise“ sehr vorsichtig, was der mangelnden Erfahrung mit der Umsetzung von Teilzeit bei der Marine geschuldet ist. „Das neue Spielfeld musste erst einmal abgesteckt werden, wir mussten alle was lernen.“ Christian Reil beschreibt seinen Präzedenzfall als logische Konsequenz einer Öffnung der Marine für Frauen. Viel hat sich in der Bundeswehr geändert, seit 2000 die erste deutsche Frau ihre Klage, in die Streitkräfte aufgenommen zu werden, bis zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgebracht hat. Ihr Anwalt, den ihr der Bundeswehrverband an die Seite gestellt hatte, klagte unter Berufung auf das europäische Gebot der Gleichbehandlung der Geschlechter. Und gewann: Der Europäische Gerichtshof verwarf die Personalpolitik der Bundeswehr als Frauendiskriminierung. Seit 2001 sind Frauen nun zum Waffendienst zugelassen. Vorher war es den Frauen nur möglich, im Sanitätsdienst oder im Militärmusikdienst Soldatin zu werden. Insgesamt dienen heute rund 13.600 Frauen bei den Streitkräften der Bundeswehr, das sind etwa 8%. Damit wurden die Rahmenbedingen geschaffen, dass sich die Frauen bei der Bundeswehr nach der deutschen Sozialgesetzgebung verhalten können und ihre Rechte etwa bei Elternzeit oder Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 47 Elternteilzeit voll ausschöpfen können. „Frauen die Türe zu öffnen und im nachhinein zu sagen, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen gilt hier aber nicht, das ist natürlich nicht möglich.“ Und da konnte es auch nicht mehr lange dauern, bis der erste Kerl – und das war eben ich – sagt, stopp mal, wie sieht das eigentlich für mich aus?“ Christian Reil beruft sich auf das Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz, das Ende 2004 in Kraft trat. Die Verwaltungsvorschriften besagen, dass auf einem Dienstposten, der im Marinefall ein nicht See gehender Posten ist, Teilzeit nicht ausgeschlossen werden darf. Nach dem Gesetz ist die Dienstelle aufgefordert, Arbeitszeiten und sonstige Rahmenbedingungen anzubieten, die Soldatinnen und Soldaten die Vereinbarkeit von Familie und Dienst erleichtern, soweit wichtige dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Bei einer Tätigkeit, in der die Umsetzung nicht möglich ist, ist die Marine gehalten, eine Querversetzung auf einen gleichwertigen Posten zu ermöglichen. Das war bei Christian Reil aber gar nicht notwendig. 48 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Hat sich das Aufgabenvolumen von Christian Reil geändert mit dem Übergang in Teilzeit? „Offiziell heißt es, dass im Rahmen der Teilzeit von 85% einer Vollzeitstelle nicht 100% gemacht werden dürfen.“ Die Umsetzung der Teilzeit fällt bei Reil in eine insgesamte Umstrukturierungsphase der Personallandschaft bei den Dienstposten der Marine. Alle Dienstposten erfahren eine Veränderung ihres Aufgabenspektrums. Seine persönliche Quintessenz ist: Seine aktuellen Aufgaben sind in 85% Teilzeit gut zu schaffen. „Es passt einfach.“ Teilzeit kann bei der Marine bis zu 12 Jahre ausgeübt werden, ob Christian Reil diesen Zeitraum ausreizen wird oder vorher wieder in Vollzeit zurückkehrt, ist zum heutigen Zeitpunkt noch nicht entschieden. „Den ‚bunten Hund Status’ habe ich natürlich schon hier.“ Einige Kollegen belächeln am Anfang das neue Teilzeitmodell, aber der „Faulheit“, wurde Reil nie verdächtigt. „Die Standardsprüche waren dann: ‚Wie du noch hier?’ Da muss man dann ganz tapfer sein. Aber dafür werden wir hier ja bezahlt.“ Es sind vor allem die älteren Kollegen, die damit nichts anfangen können, bei denen das Modell nicht in die Rollenvorstellung und in den eigenen Erfahrungshorizont passt. Ganz anders die nachrückende, jüngere Generation, die sich (fast) von Anfang an aufgeschlossen gegenüber Christian Reils Arbeitszeitmodell zeigt. Mehr noch: Er ist als Präzedenzfall in der Deutschen Marine schon so bekannt, dass ihn zurzeit ein bis zwei Anrufe pro Woche von Kameraden erreichen, die sich nach seinen Erfahrungen mit Elternzeit und Teilzeit erkundigen, Informationen zum rechtlichen Rahmen bekommen möchten oder einfach nur neugierig sind. „Ich hab das schon mal gehabt, dass hier Lehrgangsteilnehmer vorbeigekommen sind, die sagen, ‚Oh, Sie sind das also!’“ in Potsdam ist, haben wir auch nichts davon in der Familie. Im Gegenteil: wir sehen uns nur weniger. Wenn hier beide die Ambition hätten, Karriere zu machen, dann bleibt bei unseren Berufen die Familie auf der Strecke. Der Zwerg braucht Zeit, braucht Aufmerksamkeit und Muße. Die können sie ihm nicht geben, wenn sie abends um acht nach Hause kommen. Da muss der nämlich schlafen.“ Reils Überzeugung ist es, dass vor dem Hintergrund der beruflichen Herausforderungen einer hochqualifzierten Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei und einer bei der Deutschen Marine nur eine/r der beiden Karriere in Vollzeittätigkeit machen kann. „Aber ich stecke ja dadurch nicht zurück, ich komme mir ja nicht minderwertig vor. Man muss halt das Wir-Denken in der Familie einführen. Und das bedeu- Wie wirkt sich die Erfahrung einer aktiven Vaterschaft mit viel Engagement im Haushalt auf den Beruf aus? „Man wird viel gelassener, viel ruhiger der Hektik auf der Arbeit und den scheinbar dringenden Sachen gegenüber. Ich hatte schon immer viel Spaß bei der Sache. Nur jetzt macht es mir noch mehr Freude. Man betrachtet das Leben noch mal aus einer ganz anderen Perspektive.“ Zur eigenen Weiterentwicklung beschließt Christian Reil, sich mit seiner langjährigen Erfahrung an der Marineoperationsschule in die Schulplanung und Schulentwicklung mit einzubringen. Seit einem halben Jahr ist er Teil des Personalrats. Ein erfreulicher Nebeneffekt ist auch der damit einhergehende Versetzungsschutz. Denn die Sicherheit, vor Ort bleiben zu können, ist Christian Reil nach wie vor aus familiären Gründen wichtiger, als durch eine Ortversetzung auf förderliche Dienstposten zu kommen. „Wenn das Geld, was ich durch die Beförderung bekommen würde, dann komplett durch den Auspuff geht, weil der Posten tet, am Ende des Monats muss eine schwarze Null auf dem Konto stehen. Von wem das nun kommt, ob von ihm oder von ihr, das ist doch egal, wenn man in Gemeinsamkeit denkt.“ Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 49 Umgekehrte Rollen: „that’s daddy-duck“ Christian Reil ist ab sechs Uhr früh auf dem Weg zur Arbeit und kehrt gegen 15:00 Uhr zurück. Gerade zur rechten Zeit, um Alexander um 15:30 Uhr aus der Krippe abzuholen. Je nach Wetter und Jahreszeit machen Vater Reil und Alexander dann noch Programm: von Kinderspielplatz über Freunde einladen bis zum Flugplatzbesuch. Das fasziniert Alexander besonders. Vom Starten und Landen der Flugzeuge kann er gar nicht genug bekommen. So ein Besuch lässt sich vor allem am Freitag gut einplanen, wenn Christian Reil Telearbeit von zu Hause macht. Dann können die beiden auch manchmal vormittags auf den Flughafen gehen, um danach zu Mittag den „fast food friday“, wie sie es nennen, zu zelebrieren. Dann werden zur Freude des Kleinen ausnahmsweise Menus bei Fastfood Ketten in dicken Tüten mit zur Arbeitsstelle der Mutter genommen, um sie dort gemeinsam zu verspeisen. Dies sind für die Familie die ersten Anzeichen des nahenden Wochenendes. Da Stephanny Reil jeden Tag erst gegen 19:30 Uhr zu Hause ist, haben die Reils eine Methode gefunden, damit Alexander und seine Mutter wochentags noch etwas voneinander haben in den Abendstunden. Um 18 Uhr gibt es für Alexander eine frühabendliche Schlafpause bis 19 Uhr. Danach freut er sich auf seine Mutter und kann mit ihr noch eine gute Stunde spielen, bevor es endgültig zur Nachtruhe geht. Das genießen alle gleichermaßen. Die Hausarbeiten erledigt Christian Reil zum größten Teil, denn er möchte nicht, dass sich seine Frau bei der langen Arbeitszeit abends oder auch am Wochenende noch viel im Haushalt engagieren muss. „Die wenige Zeit, die meine Frau aufgrund ihrer hohen Arbeitsin- 50 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann tensität hat, die soll sie nicht auch noch mit Putzen verschwenden. Ich sage manchmal scherzhaft, meine Frau weiß, dass wir eine Waschmaschine haben, aber wie man die so richtig bedient, da wird es kritisch.“ Einige Hausarbeiten hat Christian Reil zum Spiel umfunktioniert, wie das gemeinsame Ausräumen der Waschmaschine oder das Saugen. Dabei sitzt Sohn Alexander gerne mal auf dem großen Staubsauger, während Vater Reil die Wohnung durchsaugt. Diese Erfahrungen lassen andere Rollenbilder bei Alexander Charles entstehen, so Christian Reil: „Auf unserem Liederbuch ist vorne die Entenfamilie für das Lied ‚Alle meine Entchen’ abgebildet. Irgendwann wollte ich mal wissen, wen er da so alles sieht. Und bei der Ente in der Mitte, um die sich alle Küken scharen, sagte er dann: „that’s daddy-duck.“ Bei der Erziehung sind die Zuständigkeiten verteilt. Christian Reil fühlt sich für das „Grobe“ verantwortlich. Er ist derjenige, der Regeln vorgibt und liebevoll Grenzen setzt. Das ist ganz bewusst so arrangiert, da er damit seine Frau entlasten will, ihr in der wenigen Zeit, die ihr neben der Arbeit zur Verfügung steht, Ärger ersparen möchte. Sie soll sich möglichst nicht mit den belastenden Dingen der Kindererziehung konfrontieren müssen. Einige Freunde staunen über diesen konsequenten Erziehungsstil. Bei einem befreundeten Pärchen, mit denen sich die Reils öfter treffen, ist die Konstellation dann so: Frau Reil trifft sich mit ihm zu Mittag, um über Juristerei zu sprechen, Christian Reil geht mit ihr auf den Spielplatz und turnt mit den Kindern. „Das ist dann halt so gespiegelt, die Rollen sind genau umgekehrt.“ Wieso ist dieses Modell nicht verbreiteter? Welche Rahmenbedingungen wären nötig, damit mehr Männer in qualifizierten Positionen oder sogar als Führungskräfte zumindest für eine Phase ihres Erwerbslebens in Teilzeit erwerbstätig sein könnten? Neben der Offenheit für neue Rollenmodelle bei gleichzeitigem Denken in Gemeinsamkeit ist es für Christian Reil ganz klar, dass der finanzielle Hintergrund stimmen muss: „Die Einkommenssituation muss das schon möglich machen. Wenn die Frau, ich sag mal, im Verkauf arbeitet und er in Führungsposition, dann ist das doch klar, wer da aussteigt oder Arbeitszeit reduziert. Bestimmt nicht er.“ Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 51 „Führungskräfte müssen nicht die Ersten sein, die kommen und die Letzten, die gehen. Sie müssen aber für ihre Mitarbeiter da sein, wenn es offene Fragen gibt.“ Tim Landgraf ist 40 Jahre und arbeitet in der Präsidialabteilung der Polizei Bremen. Er leitet dort den Bereich IT-Strategie, Organisations- und Personalentwicklung. Tim Landgraf und seine Frau, Kerstin Kinner, haben drei Kinder: Jule ist 10 Jahre alt, Jonte 13 und Lisa 17. Mal Vater einer Tochter wird. Die Polizei Bremen besteht aus den Direktionen Schutzpolizei, Kriminalpolizei/Landeskriminalamt, Wasserschutz- und Verkehrspolizei, Zentrale Einsatzsteuerung und Bereitschaftspolizei. Darüber hinaus umfasst sie die Stabsbereiche Präsidialabteilung sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und die Fachdirektionen Logistik, Recht und Personal sowie Informations- und Kommunikationstechnik. Ende 2008 sind insgesamt 2.547 Mitarbeiter/innen für die Polizei Bremen tätig. Der Anteil der Frauen liegt bei 21 Prozent. Etwa 6 Prozent der Belegschaft sind in Teilzeit beschäftigt. Einer davon ist Tim Landgraf. Erste Erfahrung mit der Erziehungszeit: „Um meiner Frau den Einstieg in den Lehrerinnenberuf zu ermöglichen.“ Tim Landgraf beginnt 1996 nach einem dreijährigen Studium an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung den Dienst bei der Kriminalpolizei Bremen. Die Möglichkeit des Direkteinstiegs in den gehobenen Dienst ist zu dem Zeitpunkt eine einmalige Gelegenheit, die Tim Landgraf gerne nutzt, da ihn das zuvor begonnene Lehramtstudium nicht zufrieden stellt bzw. eine zu unsichere Zukunftsaussicht bietet. Er bricht daher das Studium vorzeitig ab. Ganz anders seine Frau, die das Lehramtstudium absolviert und gerne Lehrerin ist. Tim Landgraf ist froh, bei der Polizei eine Alternative zu finden, zumal neben dem Interesse für die Arbeit bei der Polizei auch die Notwendigkeit einer festen und sicheren Beschäftigung besteht, da er 1991 das erste 52 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Die Entscheidung, zur Polizei zu gehen, hat Tim Landgraf nie bereut: „Ich bin sehr gerne bei der Polizei und würde das auch immer wieder machen.“ Nach dem Studium arbeitet er zunächst Vollzeit im Bereich Spurensicherung. Zu dem Zeitpunkt ist er aber schon zum zweiten Mal stolzer Vater - diesmal ist es ein Sohn, der im Jahre 1995 geboren wird. Das ist auch der Grund, warum er 1997 ein Jahr Erziehungsurlaub beantragt, um sich um die zwei Kinder zu kümmern, die die jungen Eltern nun stark fordern. „Das war damals schon Exotenstatus bei der Polizei.“ Wesentlich trägt zur Entscheidung auch bei, dass seine Frau in diesem Jahr ihre erste Stelle im Schuldienst findet. „Um ihr diesen Einstieg zu ermöglichen, habe ich das damals gemacht. Ich habe das auch gerne getan, obwohl ich auch froh war, danach wieder anfangen zu können. Ich bin ja voll ausgestiegen und nicht nur in Teilzeit.“ Grund, sich auf die Rückkehr in den Job zu freuen, ist, dass „man doch recht schnell aus den Routinen herauskommt bzw. riskiert, Entwicklungsmöglichkeiten bei der Arbeit zu verpassen.“ Das Arbeitsumfeld der Polizei beschreibt er als sehr „dynamisch und vielfältig“, innerhalb eines Jahres entwickelt sich die Organisation ständig weiter. 1998 nimmt er seinen Dienst wieder auf, arbeitet zunächst in einem Ermittlungskommissariat der regionalen Kriminalitätsbekämpfung und anschließend in einer Ermittlungsgruppe zur Bekämpfung von Falschidentitäten bei Menschen mit Migrationshintergrund. Er ist nach dem einjährigen Erziehungsurlaub wieder in Vollzeit tätig bis zum Jahr 2000, um dann in den Bereich Controlling zu wechseln. Ergebnis- statt anwesenheitsorientiertes Arbeiten erleichtert Teilzeit Der Wechsel vom so genannten Kerngeschäft (Schutzpolizei, Kriminalpolizei etc.) in den Bereich Controlling erleichtert den Wechsel von Vollzeit in eine Teilzeittätigkeit, so Landgraf. Sein damaliger Chef vertritt die Einstellung, dass vor allem das Ergebnis und nicht in erster Linie die Anwesenheit zählt: „Es ist mir relativ egal, wann du arbeitest und auch relativ egal wo, Hauptsache du bekommst die Arbeitsaufträge in der entsprechenden Qualität und Zeit abgeschlossen.“ Es ist diese „positive Grundeinstellung“ gegenüber der Leistung und Einsatzbereitschaft seiner Mitarbeiter, die Tim Landgraf nutzt, ohne, wie er präzisiert, sie auszunutzen. Er beantragt Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 53 eine Arbeitszeitreduzierung auf 32 Wochenstunden, die er zwar noch als „geringe Reduzierung“ definiert, die aber im Bereich des Polizeidienstes zumindest für männliche Polizeibeamte eine Ausnahme darstellt. Die 32 Stunden arbeitet er in einer Fünftagewoche. Obwohl es bei der Umsetzung keine Hindernisse durch den direkten Vorgesetzten oder die Kollegen gibt, unterstützt die Tatsache, weiterhin an fünf Tagen anwesend zu sein, seine Entscheidung und „legitimiert“ seine Wahl. „Denn eigentlich passte in diesem Bereich die Teilzeittätigkeit nicht zum Aufgabenanfall. Das war damals schon so und ist es heute erst recht.“ Zunächst ist er im Bereich Controlling/Finanzen als Sachbearbeiter tätig. Der Bereich wird neu aufgebaut, es gibt dadurch viel Arbeit, um das Leistungs- und Finanzcontrolling zu professionalisieren. „Und da habe ich auch schon sehr viel zu Hause erledigt, auch abends und am Wochenende, und bin in der Summe häufig über meine 32 Stunden gekommen.“ Er gleicht die Überstunden dadurch aus, dass er sich „auch mal einen Tag frei genommen hat, wenn es nun gar nicht passte zu Hause, wenn plötzlich Unterstützung gebraucht wurde.“ Auch vergnügliche Momente können durch die freien Tage ab und zu genossen werden. So kann er die Kinder, die damals noch im Kindergarten waren, gelegentlich zu Ausflügen mit begleiten. Tim Landgraf wird 2005 zur Führungskraft. Er übernimmt die Leitung eines Sachgebiets in der Präsidialabteilung, zunächst für den Bereich Organisationsentwicklung und ITStrategie, später zusätzlich für den Bereich strategische Personalentwicklung. Die Aufgaben als Sachgebietsleiter sind in erster Linie geprägt durch die Bearbeitung von komplexen Vorgängen oftmals in Projektarbeit. Im Bereich der strategischen Personalentwicklung ist Tim Landgraf beispielsweise befasst an der Erstellung von Konzepten zur Auswahl 54 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann und Qualifizierung der zukünftigen Führungskräfte. Im Bereich IT-Strategie erarbeitet er Empfehlungen für die strategische Schwerpunktsetzung und Finanzplanung. Diese berufliche Weiterentwicklung wird ihm trotz seiner Teilzeitbeschäftigung ermöglicht. Der Aufgabenanfall ist nach wie vor groß. Seine Führungsaufgaben kann er momentan auch nicht delegieren, da der stellvertretende Sachgebietsleiter in einem Auslandseinsatz ist. Er kompensiert stattdessen die reduzierte Zeit durch einen „intensiveren und produktiveren Arbeitsstil und weniger Pausen“ und vermeidet es, sich durch Unterbrechungen ablenken zu lassen. Dass ihm als Führungskraft nicht deutlich weniger Aufgaben zugeteilt werden, um auf seine Teilzeitbeschäftigung Rücksicht zu nehmen, empfindet er als normal und gerechtfertigt. Tim Landgraf hat Personalverantwortung für fünf Mitarbeiter/innen, die alle hoch qualifizierte Sachbearbeiter/innen sind und damit sehr selbstständig agieren. An diese Mitarbei- ter/innen kann er die anfallenden Aufgaben und Vorgänge delegieren. Reaktion der Kolleg/innen und Übertragbarkeit von Teilzeit auf andere Bereiche Teilzeitbeschäftigung von Frauen, sowohl im Angestelltenbereich als auch bei den Vollzugsbeamten, ist bei der Polizei mittlerweile Alltag. Daher gibt es keinen Grund, warum dies nicht auch gleichermaßen für Männer gelten soll. Die Vereinbarkeit von Führungsaufgaben und Teilzeitbeschäftigung ist eine grundsätzliche Frage und hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, so Tim Landgraf. Informierte und sensibilisierte Führungskräfte tragen mit dazu bei, das Thema Teilzeitbeschäftigung von Männern zu versachlichen. Das audit berufundfamilie® leistet heute bei der Polizei Bremen einen wichtigen Beitrag dazu. Die Polizei Bremen ist seit März 2007 durch die Hertie-Stiftung mit dem audit berufundfamilie® als familienbewusste Behörde zertifiziert. Seine unmittelbaren Kollegen respektieren seine Entscheidung. Andere Kollegen wundern sich auch schon mal über einen späten Arbeitsbeginn und ein frühes Ende. Dann erläutert er den Grund seiner Teilzeittätigkeit und „dann ist das auch okay so.“ Und Tim Landgraf wird zum Vorbild: Im Laufe der Jahre haben sich diverse männliche Kollegen mit Fragen zum Thema Teilzeit an ihn gewandt. Tim Landgraf orientiert sich einerseits an den Bedürfnissen der Kollegen und Kolleginnen, denn es ist ihm wichtig, dass sie keine Nachteile durch sein Arbeitszeitmodell erfahren. Andererseits bringt er aber auch seine Wünsche in den Arbeitsalltag mit ein, beispielsweise wenn es um die Verlegung von Besprechungsterminen geht. Arbeitszeitflexibilisierungen lassen sich in der Regel recht gut in der Präsidialabteilung umsetzen. Die Führungstätigkeit von Tim Landgraf unterscheidet sich von den klassischen Führungsaufgaben im Kerngeschäft des Polizeidienstes. Im Einsatzdienst der Schutzpolizei etwa könnte die Wahrnehmung von Führungsaufgaben in Teilzeit, so seine Einschätzung, schwieriger realisierbar sein. Dort wird in festen Dienstgruppen gearbeitet. Der Dienstgruppenleiter hat während der gesamten Schicht durchgehend Führungsaufgaben zu übernehmen. Eine Arbeitszeitreduzierung lässt sich daher schwer über die tägliche Reduzierung von Arbeitsstunden umsetzen. Möglich wäre es, ganze Schichten abzugeben und statt einer Fünftagewoche beispielsweise eine Dreitagewoche zu arbeiten. „Die Polizei ist ein 24-Stundenbetrieb, das ist ein großer Vorteil, da ist insgesamt viel denkbar. Das Thema Teilzeitarbeit kann mit flexiblen Arbeitszeitmodellen gelöst werden, deren Schwächen - erhöhter Planungsaufwand, ständig wechselnde Zusammensetzung der Teams - man jedoch in den Griff bekommen muss.“ Als Sachgebietsleiter ist er der Einzige, der in Teilzeit arbeitet. Im Prinzip wäre in dem Bereich auch ein Jobsharing als Führungskraft möglich, es gibt nur keine Interessenten für das Modell. In seinem Bekannten- und Freundeskreis wird seine Tätigkeit als Führungskraft Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 55 in Teilzeit mitunter mit Erstaunen wahrgenommen. Die Reaktionen sind nicht negativ, aber die wenigsten Männer können sich vorstellen, ihre eigene Tätigkeit zu reduzieren. „Es ist durchaus üblich, dass die Frauen arbeiten, dass sie zum Teil auch qualifizierte Aufgaben haben. Aber um der Frau den Einstieg oder die Karriere zu ermöglichen, selber zurückzustecken, das ist eher selten.“ Führung in Teilzeit ist machbar, hat aber ihren Preis 56 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Die Frau von Tim Landgraf, Kerstin Kinner, ist nämlich zwischenzeitlich Schulleiterin geworden. Sie ist auch in Teilzeit an einer Bremer Schule nahe der Wohnung der Familie erwerbstätig. Auch sie arbeitet fünf Tage pro Woche, da ihre Anwesenheit als Schulleiterin jeden Tag nötig ist. „Führungskräfte müssen nicht die Ersten sein, die kommen und die Letzten, die gehen. Sie müssen aber für ihre Mitarbeiter da sein, wenn es offene Fragen gibt. Führung hat etwas mit Präsenz zu tun, und Teilzeit widerspricht dieser Präsenz - das ist einfach so - das ist in der Schule so und auch bei der Polizei“, so Tim Landgraf. „Kollegen oder Mitarbeitern wird damit schon mal die Möglichkeit genommen, mich dann zu erreichen, wenn sie gerade Bedarf haben. Das ist dann aber so. Es ist der Preis dafür.“ Wichtig ist ihm, hier einen Ausgleich zu schaffen, durch die private Erreichbarkeit zu Hause oder auf dem Handy. Das gehört bei Tim Landgraf als auch bei seiner Frau ganz selbstverständlich zu ihrem Arbeitsverständnis und wird in den Familienalltag integriert. Wie sehen die Weiterentwicklungs- und die Karrierechancen von Tim Landgraf aus? Er ist für die Ausbildung zum höheren Dienst ausgewählt worden. Nach einem langen und ausführlichen Abwägungsprozess gemeinsam mit seiner Frau entscheidet er sich gegen diesen Weg, obwohl viele Kollegen ihn dazu ermutigen. Er möchte nicht mehr auf die Tätigkeit in Teilzeit verzichten. Bereits die Ausbildungsphase ist nicht familienfreundlich, da sie einen längeren Aufenthalt in einer anderen Stadt erfordert. Seine Frau hätte sich dafür beurlauben lassen müssen. Zu dem Zeitpunkt steht sie aber selber vor dem Karriereschritt, Schulleiterin zu werden oder mit halber Stundenzahl als Lehrkraft weiterzuarbeiten. Daher fiel die Entscheidung gegen die Ausbildung für den höheren Dienst bei der Polizei aus. Die Kombination seiner Position im gehobenen Dienst in Teilzeit mit der Schulleitung seiner Frau scheint beiden auch heute die beste Möglichkeit. Zumal die Familie finanziell ebenso gut dasteht: „Dann verdient eben meine Frau A13 und ich nicht.“ Zur persönlichen Weiterentwicklung und Ergänzung seiner beruflichen Qualifikationen entscheidet sich Tim Landgraf 2005 für ein zweijähriges Fernstudium im Masterstudiengang „Öffentliches Management“ an der Universität Kassel. Die Polizei beteiligt sich an den Kosten, und er bekommt eine Teilfreistellung für das Studium. Obwohl sich das Studium momentan noch nicht direkt auf seine Karriere bzw. Bezahlung auswirkt, wird es auf die weitere Karriere sicher „positiven Einfluss“ haben, so Landgraf. Geplant ist nämlich die Rückkehr zur Kriminalpolizei, voraussichtlich nicht in ein Ermittlungskommissariat, sondern in den Stab der Kriminalpolizei. Seine Teilzeittätigkeit möchte er zunächst beibehalten „Perspektivisch soll es aber in Richtung Vollzeit gehen. Die Kinder sind ja auch schon recht groß, die Jüngste ist zehn Jahre alt, und sie werden alle immer selbstständiger.“ Der Familienalltag: „Ich mache alles was anfällt, da habe ich auch keine Berührungsängste.“ Wie kann man sich den Familienalltag mit drei Kindern zwischen zehn und siebzehn Jahren und zwei berufstätigen Eltern in Führungspositionen vorstellen? „Ich mache alles was anfällt, da habe ich auch keine Berührungsängste. Es gibt keine besonderen Schwerpunkte oder Dinge, die ich nie mache oder machen würde. Außer wenn es in den klassischen Handwerkerbereich geht, da darf und soll ich auch mehr machen. Aber da meine Frau während des Tages öfter zu Haus sein kann, wie beispielsweise in der Mittagszeit, macht sie im Haushalt definitiv mehr als ich. Sie ist belasteter, dass wissen wir beide.“ Am intensivsten war die Zeit mit den Kindern für Landgraf während des Erziehungsurlaubs und zu Beginn der Teilzeit, wo die Kinder noch kleiner waren. Der Einsatz von Tim Landgraf spielt sich heute eher nach 16.30 ab, das heißt: „Einkaufen, Wäsche zusammenlegen, die Kinder von den unterschiedlichsten Freizeitaktivitäten abholen.“ Auch morgens ist ganz klar seine Zeit: „Ich kümmere mich morgens um das Frühstück und darum, dass alle Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 57 gut zur Schule kommen, das ist mein Ding. Beim Frühstück müssen sich die Kinder um nichts kümmern, das ist so ein bisschen wie im Hotel.“ Diesen Service machen die Eltern ganz bewusst, denn der Alltag ist für die Kinder schon herausfordernd genug. Sie müssen selbstständiger sein durch die Erwerbsarbeit beider Eltern. Teilzeit. „Aber im Vergleich zu anderen Vätern, die morgens früh weg sind und abends erst wieder da sind, wenn schon gegessen wurde und die Kinder vor dem Fernseher sitzen, kriege ich viel von ihrer Entwicklung mit.“ So entstehen aber auch Freiräume für die eigene Entwicklung: „Die Kinder sind auch ganz froh, dass sie vieles selber machen können. Das merken wir vor allem an der Kleinsten, die musste sich ja Gehör verschaffen und hat sich schon im Kindergarten selber Lesen und Schreiben beigebracht, weil wir ihr nicht genügend vorgelesen haben.“ Das sei immer eine Gradwanderung, betont Tim Landgraf, denn die Eltern bemühen sich sehr, so viel Zeit wie möglich für die Erziehung aufzuwenden. „Ja klar bringt es Vorteile im Beruf, wenn man als Vater gelernt hat, ein kleines Familienunternehmen mit drei Kindern zu managen.“ Menschen, die sowohl Verantwortung im Beruf als auch in der Familie übernehmen, verfügen über ein hohes Maß an Organisationstalent, Zeitmanagement und Pragmatismus. Die Organisation profitiert davon, dass diese Mitarbeiter strukturiert vorgehen und wichtige Dinge von unwichtigen allein schon deshalb unterscheiden müssen, weil sie ansonsten nicht in der Lage wären, die Aufgaben in der vorgegebenen Zeit abzuschließen, so Tim Landgraf. Führungskräfte, die selber Kinder haben und sich um diese kümmern, haben ein anderes „Standing, sie haben einen andern Umgang mit Menschen, der geprägt ist durch die eigene Erfahrung mit Kindern.“ So der letzte Satz von Tim Landgraf, bevor er sich auf sein Rennrad schwingt, um seine Familie im 12 Kilometer entfernten Haus eines Bremer Vorortes rechtzeitig zu erreichen. Der Alltag ist gut organisiert und „durchgetimed.“ Wenn etwas mal nicht nach Plan läuft, etwa weil ein Kind krank ist, wird es gleich eng. Dann stellt sich die Frage, wer zu Hause bleibt, wer die wichtigeren Termine hat und bei wem etwas verlegt werden kann. Manchmal kommt es dann vor, dass Tim Landgraf später oder erst mittags ins Büro fährt und so lange wartet, bis seine Frau nach Hause kommt. Die gemeinsame Zeit zum Spielen mit den drei Kindern ist rar in der Woche, trotz 58 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Nützliche Sozialkompetenzen durch Familienarbeit Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 59 „Männer müssen ihre Wünsche und Ansprüche gegenüber ihrem Vorgesetzten klar äußern.“ Jürgen Kolbe, 46 Jahre, ist gelernter KFZ Schlosser und arbeitet bei der Daimler AG im Mercedes Benz Werk Bremen. Jürgen Kolbe und seine Frau Danuta Ley-Kolbe haben einen gemeinsamen Sohn, Sebastian, der 16 Jahre alt ist. Jürgen Kolbe und seine Frau sind beide seit 1989 bei der Daimler AG erwerbstätig. Auf einer von Kollegen selbst organisierten Fahrgemeinschaft haben sie sich kennen gelernt. Beide arbeiten zunächst „ganz klassisch Vollzeit“, was in der Fertigung üblich ist. Jürgen Kolbe arbeitet in Schicht- und Gruppenarbeit in verschiedenen Bereichen der Fahrzeugendmontage, während seine Frau als gelernte Schneiderin in der Näherei tätig ist. Als 1992 der gemeinsame Sohn zu Welt kommt, nimmt Danuta Ley-Kolbe Erziehungsurlaub in Anspruch. Nach dem dreijährigen Erziehungsurlaub beschließt sie, sich noch vier weitere Jahre ganz der Erziehung von Sebastian und dem Haushalt zu widmen. Diese Möglichkeit besteht durch eine Betriebsvereinbarung bei der Daimler AG. Die Familie kann nicht auf die Unterstützung von Großeltern oder Verwandten setzen. Sie wohnen nicht vor Ort bzw. sind selbst noch berufstätig. Dass Jürgen Kolbe der “Alleinernährer“ ist, scheint in der Zeit ganz normal im Familienbild der Kolbes, schließ- 60 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann lich verdient er ja den Familienlohn bei der Daimler AG. Die Daimler AG ist ein Hersteller von PKW und Nutzfahrzeugen sowie Anbieter von Finanzdienstleistungen mit Firmenzentrale in Stuttgart. Die Anfänge des Unternehmens reichen bis ins Jahr 1883 zurück. Im Werk Bremen laufen jährlich circa 300.000 Fahrzeuge vom Band, 12.800 Mitarbeiter finden Ende 2008 im Mercedes Benz Werk Bremen Arbeit. Daimler ist damit einer der größten Arbeitgeber in der Region. Der Männeranteil im Werk beträgt 94,6 %, der Frauenanteil 5,4 %. „Männer müssen ihre Wünsche und Ansprüche gegenüber ihrem Vorgesetzten klar äußern.“ Als sich 2000 für den Sohn Sebastian Kolbe der Beginn der Schulzeit ankündigt, entschließt sich Danuta Ley-Kolbe zur Daimler AG zurückzukehren. Wunsch des Ehepaars Kolbe ist es allerdings, weiterhin viel Zeit mit dem Sohn verbringen zu können, um ihn vor allem in den ersten Jahren der Grundschule begleiten und bei seiner Entwicklung unterstützen zu können. Um seiner Frau eine Wiedereingliederung in den Beruf zu ermöglichen und gleichzeitig möglichst viel Zeit zu Hause verbringen zu können, beschließt Jürgen Kolbe im Jahre 2000 gemeinsam mit seiner Frau, ein anderes Arbeitszeitmodell zu erproben. Er möchte Teilzeit arbeiten. Jürgen Kolbe spricht seinen Meister daraufhin an und nach anfänglicher Skepsis, da er befürchtet, dass Abläufe gestört werden und so die Funktionsfähigkeit der Organisationseinheit gefährdet wird, erarbeiten sie ein Teilzeitmodell. Für den reibungslosen Ablauf in der Produktion ist es dem Meister wichtig, nach wie vor mit dem Volumen eines vollen Arbeitsplatzes von 35 Stunden zu kalkulieren. Mit einem Kollegen, der zu dieser Zeit einem berufsbegleitenden Studium nachgeht, findet er seinen „Gegenpart“, mit dem er sich die Arbeitsstelle von „490 Minuten am Band“ teilen kann. Zwischen 2000 und 2003 arbeitet Jürgen Kolbe zwischen 20-27 Stunden wöchentlich. Dass ihm Teilzeit ermöglicht wurde, empfindet er im nach hinein als positives Entgegenkommen des Betriebes. Eine gesetzliche Grundlage, die Arbeitnehmer/ innen eine Reduzierung problemlos ermöglicht, gab es im Jahr 2000 noch nicht. Erst seit 2001 ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBFG) in Kraft, das den Arbeitnehmer/innen sowohl einen Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit eröffnet und unter anderem zum Ziel hat, Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Die Daimler AG bietet im Jahre 2000 nicht von sich aus Teilzeit-Modelle an, daher muss Jürgen Kolbe seine „Reduzierung auf Zeit“ selber verhandeln. Sein Vorteil ist, dass er einen Kollegen findet, der Interesse an einem Teilzeitmodell hat. Hätte es diesen nicht gegeben und hätte der Meister nicht ein offenes Ohr für dieses Experiment gehabt, „wäre es schwierig geworden“, so Jürgen Kolbe. Als große Unterstützung empfindet er den Einsatz des Betriebsrats, der „teilweise mit Engelszungen auf meinen Vorgesetzten eingeredet.“ hat. Auch die Umsetzung wird vom Betriebsrat immer wieder sachkundig begleitet. Es ist alles eine Frage des Willens und der Ausdauer: „Männer müssen ihre Wünsche und Ansprüche gegenüber ihrem Vorgesetzten klar äußern.“ Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 61 Reaktion der Kolleg/innen Und wie haben die Kolleg/innen reagiert, wie wurde die Teilzeittätigkeit von ihnen wahrgenommen? Im Prinzip hat Jürgen Kolbe sich verstanden gefühlt, viele konnten seine Gründe gut verstehen, aber „Nachahmer“, die hat er damals nicht gefunden. „Natürlich gab es da auch mal die Bemerkungen von der Seite, die einem ständig nach Schichtende ein ‚schönes langes Wochenende’ gewünscht haben. Als ob man zu Hause nur die Füße hochlegen würde.“ Seine berufliche Weiterentwicklung hat Jürgen Kolbe durch seine Teilzeitbeschäftigung nicht behindert gesehen. Allerdings war in der Zeit die Übernahme von Sonderfunktionen schwer umsetzbar, wie etwa die des Vertrauensmannes oder des Multiplikators für die Anlernung der Kollegen/innen auf neue KFZ-Modelle. Die Kombination zweier Teilzeittätigkeiten im Hause Kolbe: Ein “Gegenschichtmodell“ Band angelernt und arbeitet von nun an als angelernte KFZ Schlosserin. Jürgen Kolbe und seine Frau teilen sich die Schichten so auf, dass immer eine/r von beiden zu Hause bei Sebastian sein kann. Außer ein- bis zweimal wöchentlich, wo ihr Sohn bei Klassenkameraden privat zu Mittag ist, gelingt es dem Ehepaar Kolbe, ihre Arbeitszeiten so aufeinander abzustimmen, dass auch mittags immer zu Hause gekocht werden kann. Hier sind die flexibel organisierbaren Schichten bei Daimler ein großer Vorteil, in einigen Bereichen wird im Dreischichtmodell rund um die Uhr gearbeitet. Unterstützend ist auch die Tatsache, dass beide im 3-SchichtModell in Gegenschicht arbeiten. Nach der Nachschicht beispielsweise schlafen Herr oder Frau Kolbe anschließend vormittags und stehen auf, wenn Sebastian aus der Schule kommt und der Partner sich zur Spätschicht verabschiedet. Das Arrangement hat zwar für Danuta-Ley Kolbe und Jürgen Kolbe den Nachteil, dass sie sich während der Wochentage seltener sehen. Ein gemeinsame Wochenende genießen sie dann aber umso mehr. „Die Lebensqualität ist definitiv gestiegen. Ich habe mein Kind richtig aufwachsen gesehen.“ Frau Kolbe gelingt der Wiedereinstieg bei der Daimler AG in Teilzeit. Ihren bisherigen oder einen vergleichbaren Arbeitsplatz in der Näherei kann sie allerdings nicht wieder einnehmen, da die gesamte Abteilung im Zuge von Reorganisationsmaßnahmen ‚outgesourced’ worden ist. Daher wird sie für die Arbeit am 62 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Für Jürgen Kolbe ist die Zeit mit seinem Sohn eine wichtige und prägende Erfahrung gewesen: „Klar, ich habe viel von Sebastians Entwicklung mitbekommen. Im Sommer, nach der Frühschicht, hatten wir beispielsweise ein kleines Schwimmbecken im Garten aufgebaut. Da ich soviel mit meinem Sohn unterwegs war, dachten einige Nachbarn schon, ich hätte immer Ferien.“ Die gemeinsamen Erlebnisse beschreibt Jürgen Kolbe als Bereicherung für sein Leben: „Wir haben einmal lange an einem Drachen gebaut, der schließlich auch geflogen ist. Wenn man dann die Augen von dem Jun- gen gesehen hat, das ist unbezahlbar.“ Im Haushalt engagieren sich Danuta-Ley Kolbe und Jürgen Kolbe zeitlich gleichberechtigt. Es gibt aber persönliche Prioritäten bei den Aufgaben: „Saugen, Wischen, Garten – das machen wir alles gemeinsam. Nur an die Wäsche lässt mich meine Frau nicht ran. Fenster putzen und alle handwerklichen Reparaturen sind mein Job, das habe ich ja auch gelernt.“ Jürgen Kolbe möchte die dreijährige Erfahrung mit der Teilzeit nicht missen. „Die Lebensqualität ist definitiv gestiegen. Ich habe mein Kind richtig aufwachsen gesehen, andere Kollegen sehen ihre Kinder oft gar nicht oder nur am Wochenende oder wenn sie schon schlafen.“ Ende 2003 kehrt Jürgen Kolbe in Vollzeit zurück und arbeitet zunächst nur im Nachtdienst. Heute arbeitet er nicht mehr am Band sondern ist für die Instandsetzung von Handmaschinen zuständig und in einem Gleitzeitsystem Vollzeit tätig. Teilzeit als Möglichkeit für Männer? „Verbreitung klappt nur dann, wenn das Geld stimmt.“ Auch wenn Männer, die Teilzeit aus eigenem Wunsch beantragen, bei der Daimler AG noch nicht sehr verbreitet sind, hat sich die Kultur heute etwas gewandelt. Einige Führungskräfte sind sensibilisiert für das Thema und erkennen, dass Vereinbarkeit von Beruf und Familie auch für Männer ein wichtiges Thema sein kann. Dazu trägt auch das audit berufundfamilie® der gemeinnützigen Hertie-Stiftung bei. Die Daimler AG, Mercedes Benz Werk Bremen ist seit August 2006 als familienfreundlicher Betrieb zertifiziert. In den Zielvereinbarungen zur Weiterentwicklung der Familienfreundlichkeit finden sich neben Angeboten, die eine Kinderbetreuung betreffen, auch viele Ziele zum Thema Arbeitszeit und Arbeitsorganisation. Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 63 Eine Arbeitszeitverkürzung, auch wenn es nur temporär sein sollte, funktioniert nur dann, wenn die finanzielle Seite stimmt, so die Überzeugung von Jürgen Kolbe. Familie Kolbe ist finanziell mit zwei Teilzeitstellen auf die Entlohnung der Vollzeitstelle von Jürgen Kolbe gekommen, die für das Familieneinkommen ausreichte. Sie befinden sich im mittleren Bereich der Eingruppierung. „Kollegen und Kolleginnen, die in den unteren Einkommensbereichen eingruppiert sind, können sich sicherlich Teilzeitmodelle nicht leisten. Zumal wenn diese ein abzuzahlendes Haus und Familie haben.“ Jürgen Kolbe würde es durchaus begrü- 64 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann ßen, wenn es mehr Männer in Teilzeit geben würde. Nur müssten die Rahmenbedingungen stimmen und eine Reduzierung nicht eklatant auf Kosten des Lebensstandards gehen. Und wie sieht es mit Teilzeit in Führungspositionen aus? Für die bislang noch geringe Akzeptanz und Umsetzung von Teilzeitarbeit in Führungspositionen liegen die Gründe für Jürgen Kolbe in der hohen Verantwortung und Präsenz am Arbeitsplatz, die eine Führungsposition ausmacht. „Obwohl das finanziell ja gerade im Führungspositionen gut machbar wäre.“ Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 65 Arbeit auf mehrere Schultern verteilen und Zeit für eigenständige Kunst gewinnen Dr. Thomas Steidel ist leitender Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des städtischen Klinikums Delmenhorst. Das Klinikum Delmenhorst ist ein Krankenhaus mit Tradition. Im Jahr 1879 gegründet ist es heute ein modernes und leistungsfähiges Krankenhaus der Regel- und Schwerpunktversorgung mit derzeit 272 Betten. Rund 650 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen in den unterschiedlichen Fachkliniken und Abteilungen täglich für das Wohl der Patienten. Steigende Patientenzahlen und der medizinische Fortschritt ermöglichten in den letzten Jahren die Entwicklung zu einem modernen Gesundheitszentrum mit einem Einzugsgebiet weit über die Stadtgrenzen hinaus. In der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin werden Kinder mit allen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters - also von Geburt bis zum 18. Lebensjahr – behandelt. Schwerpunkte sind neben der Versorgung kranker Früh- und Neugeborener aus der geburtshilflichen Abteilung des Hauses sowie des benachbarten St. Josef-Stifts, insbesondere Erkrankungen der Atemwege, der Nieren und ableitenden Harnwege, der Bauchorgane, des Herz-Kreislauf-Systems, des Nervensystems sowie des Blutes. Eine große Bedeutung haben die von Fachärzten betreuten umfangreichen Ambulanzen der Kinderklinik, die häufig eine stationäre Aufnahme unnötig machen. Die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin versorgt pro Jahr etwa 1.400 Patienten stationär sowie etwa 9.000 Patienten ambulant im Rahmen einer großen Notfallambulanz und diversen Ambulanzen. Als Kinderarzt mit der Zusatzqualifikation Neuropädiatrie und Rettungsmedizin hat Dr. Steidel vielfältige und unterschiedliche Aufgaben in der Kinderklink. Zur Kinder- und Jugendmedizin gehören Primär- und Sekundärprävention, Erkennung und Behandlung von Störungen 66 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann und Erkrankungen, die hauptsächlich oder ausschließlich im Kindes- und Jugendalter auftreten. Fachärzte und -ärztinnen für Kinder- und Jugendmedizin untersuchen nach einer eingehenden Anamnese untersuchen sie die jungen Patienten, diagnostizieren die Erkrankungen und erstellen entsprechende Therapiepläne. Zu ihren Aufgaben gehören auch die Gesundheitsberatung sowie die Betreuung der Rehabilitation. Sie behandeln darüber hinaus auch umwelt- und milieubedingte Schäden sowie Suchtkrankheiten. Wichtig dabei ist die Zusammenarbeit mit Kindertherapeuten sowie der der Sucht- und Drogenberatungsstelle Delmenhorst. Fachärzte und -ärztinnen für Kinder- und Jugendmedizin beurteilen die körperliche, soziale, psychische und intellektuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Sie erkennen und behandeln angeborene sowie ausschließlich oder hauptsächlich im Kindes- und Jugendalter vorkommende Erkrankungen. Darüber hinaus veranlassen sie die Behandlung von Verhaltensauffälligkeiten. Diese beginnen bereits im Säuglingsalter. In Kooperation mit der benachbarten Kinder- und Jugendpsychiatrie im Wichernstift in Ganderkesee bietet die Klinik eine ‚Säuglingssprechstunde‘ an. Eltern und Säuglinge werden interdisziplinär von einem Pädiater und einem Kinderpsychiater ambulant betreut, um frühe Bindungsprobleme, die sich häufig in Unruhe, Schreien und Schlafproblemen äußern, zu erkennen und diesen entgegen zu wirken. Im weiteren Verlauf des Kindesalters können sich Aufmerksamkeitsdefizite, Konzentrationsstörungen und Schulschwierigkeiten zeigen. Diese Themen beschäftigen Dr. Steidel neben der Epileptologie im Rahmen seiner Ermächtigungsambulanz. Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen Als leitender Oberarzt gehört die Vertretung des Chefarztes in Gremien und bei einer Viel- zahl von organisatorischen und klinischen Fragestellungen sowie die Mitwirkung im klinischen Alltag zu seinen Aufgaben. Als Oberarzt ist Dr. Steidel zudem Ansprechpartner für die in Weiterbildung befindlichen Ärztinnen und Ärzte der Klinik. In seinem fachlichen Spezialgebiet, der Neuropädiatrie stellt er in Delmenhorst die ambulante Versorgung von Epilepsie kranken Kindern sicher. Neben seinen fachlichen Kompetenzen muss er sich darüber hinaus in die wirtschaftliche und organisatorische Entwicklung der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin einbringen. Dr. Steidel ist 58 Jahre alt und arbeitet seit 2001 in Teilzeit. Er hat die Arbeitszeit um ein Viertel auf 30 Wochenstunden reduziert. Der Kinderarzt hat eine feste tägliche Arbeitszeit und zusätzlich eine Woche pro Monat Rufbe- reitschaft. Zwei wichtige Motive haben zur Entscheidung für Teilzeit geführt: „Zum einen hat die berufliche Belastung, vor allem die Zunahme der bürokratischen Aufgaben, zu einer zu starken Beanspruchung geführt. In der Klinik bedeutet eine volle Stelle eine Arbeitsbelastung von 60 Stunden in der Woche. Das führt dazu, dass kaum Zeit und Raum für mich selbst und meine Hobbies geblieben ist. Deshalb kam mir die Idee, Teilzeit zu machen. Es erschien sinnvoll, die vielfältigen Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen. Ich habe einen Teil der Aufgaben abgegeben und dafür ist jemand in den oberärztlichen Bereich nachgerückt. Es war in sofern ein günstiger Moment, weil eine erfahrene Kollegin im Team war, die über die entsprechende Zusatzqualifikation verfügte und die nachrücken wollte.“ Zeitgleich hat eine andere oberärztliche Kollegin ebenfalls eine Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 67 Viertelstelle abgegeben und zusammen mit einer weiteren, bislang unbesetzten Viertelstelle konnte die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin einer erfahrenen Fachärztin dann eine Dreiviertelstelle als Funktionsoberärztin anbieten. Die Neuverteilung der Arbeitszeit ist in Abstimmung und mit voller Unterstützung durch den Chefarzt entwickelt und umgesetzt worden. Zeit und Raum für Kreativität im Alltag Die freiwillige Arbeitszeitverkürzung bedeutet natürlich einen Einkommensverzicht für Dr. Steidel. „Das war mir klar, aber war für mich nicht entscheidend, weil ich nicht schlecht verdient habe. Ich habe keine Kinder und habe deshalb geringere materielle Belastungen als andere. Für viele ist Teilzeit aus materiellen Gründen nicht tragbar.“ Die Hobbies von Dr. Steidel sind vor allem Sport und Malen. „Ich betreibe mehrere Sportarten und die Malerei ist schon mehr als ein Hobby. Ich mache das sehr ambitioniert und mit nicht geringem zeitlichen Aufwand. Ursprünglich war die Malerei Freizeitbeschäftigung und ein Ausgleich zum Beruf. Ein Ausgleich, der mich intensiv beschäftigt, mich ausfüllt und neue Erfahrungen mit sich bringt. Ich male seit über 25 Jahren. Je mehr man sich damit beschäftigt um so mehr wachsen die Ansprüche – sowohl an die handwerkliche Technik als auch an Originalität und Eigenständigkeit. Schrittweise entfernt man sich von der ‚Hobbymalerei‘. Zuspruch über Ausstellungen und Verkäufe haben mir deutlich gemacht, dass ich eine eigenständige Malerei entwickelt habe.“ Dr. Steidel hat Ausstellungen in Bremen, Hamburg und Berlin gemacht sowie im Jahr 2007 einen zweiten Katalog heraus gegeben. Zum malen bleibt hinreichend Zeit, es fehlt weiterhin an Zeit, um sich zu vermarkten und im Kunstbetrieb zu positionieren. „Als Künstler malt man die Hälfte der Zeit - die andere Hälfte der Zeit sollte man sich ins Gespräch bringen, an Wettbewerben teilnehmen – diese Seite des künstlerischen Arbeitens kommt nach wie vor zu kurz.“ Die Teilzeit ermöglicht es ihm, im Alltag Raum und Zeit für den kreativen Prozess des Malens ‚einzurichten‘, anders als dies in einer Vollzeitbeschäftigung möglich ist. „Früher habe ich gemalt, wenn ich von der Arbeit gekommen bin. Doch das geht mittlerweile nicht mehr. Ich habe festgestellt, dass ich mehr Abstand von den Anforderungen in der Klinik brauche und mich auch auf die Aufgabe des Malens einlassen muss. Jetzt male ich nur noch wenn ich Freizeit habe. Am gleichen Tag gewissermaßen parallel zu arbeiten und zu malen, das geht nicht mehr, wenn man bestimmte Ansprüche an technische Perfektion und die Größe der Arbeit hat. Wenn ich in mein Atelier gehe, nehme ich mir vier oder sechs Stunden Zeit, um mein Vorhaben vorzubereiten und umzusetzen.“ Die Aufgaben im Krankenhaus haben stark zugenommen. „Der Arbeitsanfall in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin hat sich für die 68 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann oberärztlichen Aufgaben in den vergangenen zehn Jahren bestimmt verdoppelt. Aus meiner damaligen 60-Stunden-Woche wäre bestimmt eine 80-Stunden-Woche geworden.“ Die freiwillige Verringerung der Arbeitszeit hat zu einer Verdichtung der Arbeit von Dr. Steidel geführt. „Zudem gehen bestimmte Informationen an mir vorbei, weil ich nicht mehr so kontinuierlich präsent bin wie früher. Vorher war ich jeden Arbeitstag bis 16.30 Uhr präsent und war in alle Prozesse eingebunden, war an jeder Rücksprache beteiligt und jetzt bin ich eben doch in der Regel einen Tag in der Woche gar nicht da. Damit kommt es ganz automatisch zu Lücken und zu Kontinuitätsverlust.“ Vorgesetzte und Kollegen akzeptieren die Teilzeit von Dr. Steidel. Anfangs haben einige Kollegen irritiert reagiert, weil die Arbeitsteilung noch nicht an die Teilzeit angepasst war. Einige Assistenten haben von einem Qualitätsverlust gesprochen. „Ich glaube nach wie vor, dass es sinnvoll ist, die vielfältigen Aufgaben auf mehrere Schultern zu verteilen.“ Es gab aus dem Haus keinen Widerstand. „Manche meiner männlichen Kollegen haben es nicht verstanden, wieso ich von einer vollen auf eine dreiviertel Stelle zurück gehe.“ Diese Barriere, die andere Männer von freiwilliger Teilzeit abhält, ist eher kultureller Natur. „Es passt auch nicht ganz zum männlichen Selbstbild: Wie kann man mit einer Dreiviertelstelle zufrieden sein und ist doch nicht krank? Da gibt es Vorurteile von männlicher Seite, während Frauen Zustimmung zu erkennen geben: Alles gut und wunderbar.“ Die fachliche Entwicklung im medizinischen Bereich ist von der Arbeitszeitreduktion nicht beeinträchtigt. „Mir war damals klar, dass ich auf dieser Position langfristig verbleiben will. In eine Praxis zu wechseln habe ich nicht angestrebt und auch der Wechsel in ein anderes Krankenhaus stand für mich nicht auf der Agen- Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 69 da. Ich habe immer wieder versucht, was Neues zu machen. Bestimmte Dinge kann man, die werden dann Routine. Es macht aber immer wieder Spaß etwas Neues zu machen und nicht immer das Gleiche.“ Gerade für spezialisierte Experten mit viel Verantwortung wie Oberärzte kann Teilzeitbeschäftigung Möglichkeitsräume für die Persönlichkeitsentwicklung öffnen. Wenn die gewonnene Zeit bewusst und gezielt genutzt wird, um sich weiter zu entwickeln und nicht nur mit anderen Verpflichtungen wieder ‚zugestellt‘ wird. Die intensive Beschäftigung mit der Malerei eröffnet Dr. Steidel eine Erfahrungswelt, von der auch seine Arbeit in der Klinik profitiert. „Es ist ein ganz anderer Bereich, mit dem ich mich beschäftigte. Ich setze mich mit dem Kunstmarkt auseinander und treffe einen ganz anderen Schlag Menschen als im Krankenhaus. Ich setzte mich mit Ideen auseinander, die völlig verschieden von dem sind, was uns im Krankenhaus beschäftigt. Das ist ein Bereich, der ganz anders strukturiert ist und funktioniert als das Krankenhaus. Das gibt 70 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann mir in beiden Bereichen Abstand. Auf der einen Seite gegenüber den Eitelkeiten im Kunstmarkt und gibt mir auf der anderen Seite Gelassenheit im Krankenhaus, wenn ich frustriert bin von der ausufernden Sitzungskultur und kleinlichem Streit. Ich weiß, dass ich autark in meiner Kunst sein kann und in diesem Bereich Selbstbestätigung ernte.“ Die Malerei eröffnet Dr. Steidel eine künstlerische Gegenwelt, die ihm hilft, die Zwänge der bürokratisierten Krankenhausmedizin zu ertragen. Das Modell freiwillige Teilzeit und Aufgabenverlagerung auf mehrere Köpfe sollte nach Dr. Steidel auch in anderen Krankenhäusern übernommen werden. „Man kann heute als Chefarzt oder leitender Oberarzt die vielfältigen Aufgaben nicht mehr alle allein bewältigen.“ Die vielfältigen fachlichen Aufgaben im oberärztlichen Bereich sind effizienter und sinnvoller zu lösen, wenn sie auf mehrere Schultern verteilt werden. Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 71 „Wir haben immer zugesehen, dass wir trotz der Kinder unser Fortkommen in der Karriere ungefähr gleich gestalten.“ Christof Ronge, 45 Jahre, Facharzt für Anästhesie, Master of Public Health, Arzt für Palliativmedizin und Schmerztherapie am Klinikum Links der Weser 2008 bekam Christof Ronge die Anfrage, ob er ins Klinikum Links der Weser wechseln möchte. Dass das Klinikum Links der Weser in Bremen für seine familienbewusste Personalpolitik mit dem audit berufundfamilie® zertifiziert ist, wusste Christof Ronge nicht. „Es sollte und konnte auch keine volle Stelle sein.“ Seit Mitte 2008 arbeitet er dort mit einer 75 Prozent Stelle. Eine Dreiviertelstelle war für ihn ein Kompromiss, „wobei dieser Kompromiss anstrengend für die Familie ist“. Zuvor war Christof Ronge von 2004 bis 2008 als Oberarzt für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum in Bassum tätig. Das heißt er führte viele der 6.000 jährlichen Narkosen am Klinikum durch und war verantwortlich für die Intensivstation. Die ersten beiden Jahre hat er Vollzeit gearbeitet und dann ein Jobsharing-Modell praktiziert, sodass er zwei Jahre mit einer halben Stelle arbeiten konnte: Eine Woche stand er der Klinik voll zur Verfügung inklusive Nachtdiensten und Wochenenden, die nächste Woche hatte er frei. „Das war das Gute daran: Eine Woche war eine Woche, und die andere Woche war ich weg.“ Die Gefahr von entgrenzten Arbeitszeiten war nicht gegeben. Dieses 72 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Arbeitszeitmodell hat ihm und seiner Familie gut gefallen. Teilzeiterwerbstätigkeit, um einen guten Kontakt zu den Kindern zu haben und der Partnerin ebenfalls die Fortführung ihrer Karriere zu ermöglichen Christof Ronge ist 1995 Vater von Miriam geworden, 1999 kam Zora zur Welt und 2003 ist Noemi geboren. Seine Frau Rebekka Alte ist ebenfalls Ärztin. „Wir haben immer zugesehen, dass wir trotz der Kinder unser Fortkommen in der Karriere ungefähr gleich gestalten. Also, dass wir das nicht so auseinanderdriften lassen. Der eine oder die eine macht die Karriere und geht alle Schritte durch und hinten bleibt jemand zurück mit den ursprünglich gleichen Ambitionen.“ Dieser Wunsch nach gleichzeitiger beruflicher Entwicklung und Kindern hat geklappt. Christof Ronge wurde 1998 Facharzt für Anästhesie, Rebekka Alte ist Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie sowie Psychotherapie und seit 2007 selbstständig in einer Gemeinschaftspraxis tätig. Sie arbeitet zurzeit ca. 40 Stunden in der Woche und kann lediglich administrative Arbeiten innerhalb ihrer Tätigkeit flexibel am Abend oder am Wochenende machen. Gleichzeitig war und ist es dem Paar wichtig, trotz beruflicher Entwicklung genügend Zeit für ihre drei Töchter zu haben. Mit ihren beiden Einkommen könnten sie sich eine ausgeprägtere Betreuung ihrer Kinder durch Dritte leisten, tatsächlich haben sie aber nur einmal wöchentlich nachmittags eine Betreuung für ihre Kinder. An den anderen Tagen wechselt sich das Paar mit der Kinderbetreuung ab. Erziehungsurlaub als Mann 1997: „Was soll jetzt aus Ihnen werden, wenn Sie aufhören zu arbeiten?“ Vor 2004 hieß Elternzeit noch Erziehungsurlaub und die Männerquote lag bei unter zwei Prozent. Einer dieser wenigen Männer war Christof Ronge, der für Miriam anderthalb Jahre Erziehungsurlaub nahm. „Als ich 1997 das erste Mal Erziehungsurlaub genommen habe, da war das mit richtigen Widerständen verbunden.“ Zwar war die Möglichkeit, Erziehungsurlaub zu nehmen, gesetzlich fixierter Anspruch. Dennoch ist sein Wunsch „mit Verwunderung quittiert worden, das überhaupt zu machen. Das fand ich recht eindrücklich.“ Christof Ronge war damals auf dem Weg zum Facharzt. Er hatte konsequent Medizin studiert und seine berufliche Laufbahn vorangebracht. Seit 1992 war er als Assistenzarzt an einem großen Klinikum im Bereich Anästhesie und operative Intensivmedizin beschäftigt. Seine Verträge waren immer befristet. Bei der Ankündigung, dass er jetzt in Erziehungsurlaub gehen würde, fragte sein Chef: „Was soll jetzt aus Ihnen werden, wenn Sie aufhören zu arbeiten?“ Christof Ronge war damals Anfang dreißig und Fragen wie diese haben ihn verunsichert. Trotz der Frage seines Chefs hat er nicht eingelenkt: „Die Entscheidung war klar, aber sie war nicht ohne innere Schwierigkeiten. Oder die kamen erst hinterher: Was habe ich mir damit angetan? Habe ich mir die Karriere damit total ruiniert? Ist mein Fortkommen nicht gesichert? Dazu muss man ja wissen, dass ich mich zu der Zeit immer in Verträgen bewegt Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 73 habe, die befristet waren. Das war der große Knackpunkt. Es gab ja immer die Befristung. Und daher war nie klar und wurde von meinem Arbeitgeber auch nicht klar formuliert, wenn ich jetzt in Erziehungsurlaub gehe, wird mein Vertrag später auch verlängert.“ Seine Frau bringt es wie folgt auf den Punkt: „Er hat auch etwas riskiert damit. Es herrschte für einen Mann noch weniger Verständnis. Bei Frauen ist das anders. Denen wird eher Verständnis entgegengebracht. Die werden zwar auch nicht mehr gefördert, aber bei Frauen hat es eine andere Normalität.“ Ende der 1990er Jahre herrschte noch kein Mangel an Ärzt/innen, sondern starke Konkurrenz untereinander um die wenige Stellen. Chefärzt/innen spielten damit und haben Druck gemacht, Nachwuchskräfte zu fördern oder eben auch nicht. „Mich hat auch die Angst richtig umgetrieben, die Stelle nicht wiederzukriegen“, so Ronge. 74 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Die anderthalb Jahre Erziehungsurlaub mit seiner Tochter Miriam hat er als sehr bereichernd erlebt. Die besondere Bindung zwischen Vater und Tochter wurde z.B. den Erzieherinnen in Miriams Krippe daran deutlich, dass Miriam, wenn sie sich wehgetan hatte, nicht wie die anderen Kinder nach der Mutter sondern „Papa, Papa“ gerufen hat. Sein privates Umfeld hat seine Erziehungsurlaube „komplett akzeptiert. Und ich habe nie von anderen Männern gehört: ‚Warum machst du das überhaupt?’ Aber auch nicht ‚Ich bin ja neidisch auf dich, dass du das so machst.’“ Als merkwürdig haben ihn dagegen die Mütter aus Miriams Krippe empfunden: „Ganz am Anfang bei Miriam war es schwierig, wie die Frauen darauf reagiert haben, also die anderen Mütter. Dass da ein Vater ist, der sein Kind immer bringt und immer holt. Das war bei Miriam ungewöhnlich und wurde auch so aufgefasst. Wir waren zwei Väter, die das so gemacht haben, und die anderen Mütter haben häufiger mit Unverständnis reagiert. Ich habe das so interpretiert, dass sie sich das eigentlich auch wünschen würden.“ Teilzeiterwerbstätigkeit – „Was bin ich denn, wenn ich nicht voll arbeite?“ Nach dem Erziehungsurlaub wollte Christof Ronge wieder in Teilzeit beruflich einsteigen. „Mir hatte der Erziehungsurlaub gut gefallen, ich war Facharzt geworden und meine Frau war noch keine Fachärztin. Deshalb musste das jetzt möglich sein, dass ich reduziere.“ Das war allerdings nicht so einfach möglich. „Das Wiederkommen in den Beruf nach dem Erziehungsurlaub mit dem Wunsch auf Teilzeit, das war richtig schwierig.“ Das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das heute in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten allen einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeiterwerbstätigkeit ermöglicht, gab es noch nicht. Es hieß: „Das machen wir nicht. Obwohl in der Abteilung schon viele Frauen da waren, die Teilzeit gearbeitet haben. Da war das deutliche Ansinnen, das nicht zu dulden“, wenn Männer in Teilzeit erwerbstätig sein wollten. grund seines Gesundheitswissenschaftsstudiums eng mit der Betreuung von Miriam und Zora wurde, kam der Großvater aus Hannover und übernahm die Betreuung. Christof Ronge wurde zum Ende des Aufbaustudiums eine halbe Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen angeboten. Die Stellenkonkurrenz unter Ärzt/innen hatte sich leicht entspannt, und Christof Ronge ging nach dem Ende seines Erziehungsurlaubs von Zora das Risiko ein, seinen Vertrag am Klinikum zu kündigen, wo er zehn Jahre gearbeitet hatte. Statt der Arbeit mit Patient/innen widmete er sich anderthalb Jahre der Versorgungsforschung. Er genoss es, seine Arbeitszeiten so einteilen zu können, dass sie mit der Kinderbetreuung vereinbar waren, denn während dieser Zeit arbeitete seine Frau Vollzeit in einer Klinik. Sein Chef an der Uni hat dieses Konzept unterstützt und in bewundernswerter Weise akzeptiert. Letztendlich hat es doch geklappt, weil eine Kollegin eine Viertelstelle aufgestockt hatte, sodass er mit einer dreiviertel Stelle wieder einsteigen konnte. „Es war eng. Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn die Kollegin nicht relativ schnell gesagt hätte: ‚Wenn das hier nicht geht, dann mach ich das möglich.’ Dann wäre es nämlich in jedem Fall zu einer Konfrontation gekommen und dann weiß ich nicht, wie es gewesen wäre.“ Auch für seine Tochter Zora hat er 2001-2003 erneut Erziehungsurlaub genommen. Dieser Erziehungsurlaub gestaltete sich noch mal ganz anders, weil Christof Ronge ein Aufbaustudium aufgenommen hatte. Wenn es auf- 2003 bekamen Rebekka Alte und Christof Ronge Noemi, ihre dritte Tochter. Nach dem Ausflug in die Wissenschaft fing Christof Ronge 2004 als Oberarzt an der Klinik in Bas- Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 75 sum an. Mit 41 Jahren hatte er zum ersten Mal in seinem Leben einen unbefristeten Vertrag, zunächst in Vollzeit. Nach zwei Jahre reduzierte er seine Stelle um die Hälfte, um wieder mehr für die Kinder dazusein und seiner Frau den beruflichen Wiedereinstieg zu erleichtern. Der Wechsel von Voll- auf Teilzeit in Bassum war kein Problem, denn sein dortiger Chef sah „dass das was Wichtiges im Leben ist, obwohl er selbst ein ganz anderes Modell hatte.“ Brücke im Stadtteil Walle. Der heutige Alltag – „Das Zeitkorsett ist enger als früher geworden“ „Ich finde, dass es jetzt schon eine stressigere Zeit ist als vorher mit einer halben Stelle und einer für die Kinder übersichtlicheren Arbeiteinteilung. Wir haben das vorher auch mit den Kindern abgesprochen. Im Moment habe ich in die Waagschale geworfen, dass mich die Palliativmedizin so interessiert, dass ich dafür persönlich auch in Kauf nehme, zeitlich angespannter zu sein mit meiner Familie.“ Durch seine Arbeitszeiterhöhung sieht er bei allen in der Familie eine „gewisse Anstrengung“. Gerade Zora signalisiert ihm, dass sie die halbe Stelle wesentlich besser fand. Auch er selbst findet, dass die Abgrenzung und psychische Belastung durch die wochenweise Arbeit geringer war als heute, wo er an allen Wochentagen arbeiten muss. Christof Ronges heutige Tätigkeit als Arzt am Klinikum Links der Weser ist vielseitig. Hauptsächlich arbeitet er auf der Palliativstation. Hier werden Menschen mit unheilbaren Erkrankungen aufgenommen, um ihre Symptome zu lindern und mit möglichst guter Lebensqualität wieder nach Hause entlassen zu werden. Nicht selten bleiben die Patient/innen aber bis zu ihrem Tod auf der Palliativstation. Des Weiteren arbeitet Christof Ronge in der Schmerzambulanz des Klinikums, und es wird versucht, einen ambulanten Palliativdienst aufzubauen, damit Palliativpatient/innen weniger in stationäre Betreuung müssen und zu Hause begleitet werden können. Weiterhin übernimmt das ärztliche Palliativteam die medizinische Betreuung von sterbenden Patient/innen des Hospiz 76 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Innerhalb seiner Tätigkeit muss er monatlich an einem Wochenende arbeiten und durchschnittlich acht Rufdienste absolvieren. Das bedeutet, an acht Nächten im Monat von 18 Uhr abends bis 8 Uhr am folgenden Tag telefonisch erreichbar zu sein und bei Notfällen in die Klinik zu fahren. Seine normale Arbeitszeit erfolgt im Schichtdienst. Mit zwei Kolleginnen haben sie ein für alle drei individuell passendes Arbeitszeitmodell gefunden, sodass sich Berufliches und Privates trotz Schichtdienst einigermaßen kombinieren lassen. Wenn Christof Ronge Frühdienst hat, muss er spätestens um 14 Uhr Noemi aus dem Kindergarten abholen. Zora ist meistens schon seit 13 Uhr allein zu Hause und erwartet die beiden. Christof Ronge gefällt es nicht so gut, dass Zora jeden Tag eine Stunde allein ist, wenn sie nach Hause kommt. Zora selbst kommentiert das so: „Manchmal ist es gut, manchmal aber auch doof.“ „Das Zeitkorsett ist enger als früher geworden“, seitdem er seine Arbeitszeit aufgestockt hat und seine Frau Vollzeit erwerbstätig ist. Lästig ist vor allem die Hausarbeit. Rebekka Alte: „Das ist auch das, was uns beide nervt. Das mit der Kinderbetreuung machen wir ja beide sehr gerne, das macht ja auch Spaß. Der Haushalt ist das, was nervt oder was zu Spannungen führt. Das ist eher ein anstrengendes Thema.“ Samstags werden auch die Kinder regelmäßig in die Hausarbeit mit einbezogen, Rebekka Alte ist für die Einkommenssteuererklärung zuständig und Christof Ronge „begnadeter Bäcker“. Ansonsten versuchen sie die Hausarbeit gleichmäßig zwischen sich zu verteilen und die größeren Kinder zum Mithelfen zu motivieren. „Grundsätzlich finde ich Teilzeit unglaublich attraktiv, auch für Menschen ohne Kinder.“ Christof Ronge meint: „Teilzeit hat einfach unglaubliche Vorzüge.“ Teilzeiterwerbstätigkeit gibt ihm einen besseren Ausgleich zur Arbeit. Er fühlt sich dadurch interessierter und motivierter für Dinge, die außerhalb der Arbeitswelt liegen. Vollzeiterwerbstätigkeit ist für ihn momentan nur für kürzere Zeit denkbar: „Ich kann mir zur Zeit nicht vorstellen, ständig voll zu arbeiten, immer diesen anderen Part zu haben, weil mir dann letztendlich zu viel verloren gehen würde. In unserem Beruf kommen ja auch noch Wochenenddienste, Nachtdienste und Bereitschaftsdienste dazu. Ich würde die Kinder dann nicht mehr genug kennen.“ Durch seine Erziehungsurlaube hat er die Erfahrung gemacht, dass er es sich für eine gewisse Zeit erlauben kann, voll zu arbeiten, weil die Beziehung mit den Kindern das über eine bestimmte Zeit trägt. „Dadurch, dass wir uns bei vielen Dingen gut kennen gelernt haben, kommen wir mit weniger Zeit aus. Aber das trägt nicht für immer, weil die Kinder sich so schnell verändern, dass dann bestimmte Situationen es erfordern, sich wieder neu kennen zu lernen und das nicht nur in dieser verkürzten Zeit abends kurz vorm Zubettbringen.“ „Man wird als Mann so erzogen, sich über seinen Beruf zu definieren und wenn man das nicht tut, was tut man dann oder was bin ich dann?“ Christof Ronge versucht auch anderen Männern entgegenzubringen, dass sie durch neue Rollen profitieren können. „Das ist noch mal so ein Schritt, wo ich in Gesprächen mit anderen Männern dahin komme, dass es interessant ist, dass sie sich damit was wert sein können, weil es einen Sinn hat.“ Christof Ronge hätte es allerdings auch nicht als gutes Modell empfunden, wenn er immer zu Hause gewesen wäre und seine Frau ausschließlich gearbeitet hätte. Für ihn ist Teilzeiterwerbstätigkeit auf jeden Fall zurzeit der richtige Weg: „Ich bin gern bei der Arbeit, und es gibt durchaus Situationen zu Hause, wo ich mir wünsche, auf der Arbeit zu sein. Aber das gleiche gibt es für die Arbeit auch. Ich finde dieses Wechselseitige gut. Ich mache das ja, mit Unterbrechungen jetzt seit zehn Jahren, und ich würde es nicht anders machen wollen solange wir noch soviel Zeit für unsere Kinder brauchen.“ Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 77 Aus Elternzeit in Teilzeit Peter Heuschötter ist 46 Jahre alt und im Werk Bremen von Airbus beschäftigt. Bremen ist nach Hamburg der zweitgrößte Standort von Airbus in Deutschland. Rund 3200 Beschäftigte sind in der Entwicklung, in der Produktion, im Programmmanagement und im Bereich Finanzen tätig. Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung, Konstruktion und Produktion von Hochauftriebssystemen für die Tragflächen fast aller Airbus-Programme. Im Rahmen des Fertigungsverbundes von Airbus ist Bremen das Zentrum für Flügelausrüstung aller Großraumflugzeuge und das Zentrum für die Herstellung der Landeklappen für alle AirbusProgramme. Weiterer Schwerpunkt ist die Herstellung von jährlich 2,5 Mio. Komponenten für den Rumpf und die Tragflächen. Die gesamte Prozesskette von Hochauftriebssystemen (z. B. Landeklappen), d. h. die Entwicklung, die Konstruktion und Erprobung, ist eine Kernfähigkeit des Standortes Bremen. Außerdem stellt die Entwicklung und Konstruktion der Frachtladesysteme für alle Airbus-Programme ein schwerpunktmäßiges Arbeitsgebiet dar. In der Ausrüstungsmontage werden die Tragflächen der Programme A340/A330 und A300/310 mit allen Systemen versehen und getestet. Dazu gehören alle elektrischen Komponenten sowie Systeme zur Enteisung und für die Flügelsteuerung. In der Strukturmontage werden die Landeklappen und deren Untergruppen für alle Airbus-Programme montiert. Mit modernsten Fügeverfahren werden hier Hochauftriebssysteme aus Metall- und Komposit-Werkstoffen montiert. An der Entwicklung und Produktion des neuen A380 ist Bremen mit allen seinen Kernkompetenzen beteiligt. In der Zukunft wird der Standort maßgeblich an der Entwicklung und Fertigung der A400M beteiligt sein. In Bremen ist daher der deutsche Anteil des Programmmanagements für die A400M angesiedelt. 78 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Peter Heuschötter arbeitet im Bereich IT. Seine Aufgaben liegen in der Bereitstellung und Anpassung von Softwarelösungen für Rechnungswesen und Controlling. Gegenwärtig besteht die Aufgabe in der Entflechtung der Werke Nordenham und Varrel aus den Airbus IT Systemen. Nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann hat er später noch eine Berufsausbildung zum Datenverarbeitungskaufmann absolviert. Bei Airbus ist er seit ca. 16 Jahren beschäftigt. Gegenwärtig ist er als Projektleiter deutschlandweit für einen bestimmten Aufgabenbereich zuständig. Flexibel durch Arbeitszeitkonto Peter Heuschötter hat seine Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden reduziert. Es gibt bei Airbus ein klassisches Gleitzeitkonto mit +100 Stunden, ein Langzeitkonto und ein Lebenszeitkonto. Die wöchentliche Arbeitszeit schwankt je nach Arbeitsanfall ziemlich stark. Im kaufmännischen Bereich spielen Stichtage eine große Rolle, der Arbeitsanfall in der unterstützenden IT schwankt parallel dazu stark. Im Winter häuft sich in den sechs bis acht Wochen vor Jahresschluss die Arbeit, dafür gibt es im Sommer auch Phasen mit geringerem Arbeitsanfall. Für die Abteilung ist es also wichtig, dass Peter Heuschötter seine Arbeitszeit flexibel auf den Arbeitsanfall ausrichtet. „Wichtig ist, dass ich meine Arbeit fertig mache. Mein Chef spricht mich regelmäßig darauf an, ob ich nicht wieder zu Vollzeit zurückkehren möchte.“ In den letzten Jahren ist die Abteilung personell geschrumpft, weil Stellen nicht wieder besetzt worden sind. „Es gibt den Bedarf, dass die verbliebenen Mitarbeiter auch die 40 Stunden arbeiten. Für einen Vorgesetzten ist es eher schwierig, über eine Planstelle zu verfügen und diese dann ‚nur‘ mit einem Teilzeitmitarbeiter besetzt zu haben. Wobei auch nicht nur nach ‚Köpfen‘, sondern auch nach full-time-aequiva- lents kalkuliert wird. Dies schon deshalb, weil in einem internationalen Unternehmen wie Airbus die Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern unterschiedlich lange Arbeitszeiten haben. Ich habe Kollegen aus dem tariflichen Bereich, die eine vertragliche 35-Stunden-Woche haben, andere haben eine vertragliche 40-StundenWoche und zudem gibt es noch außertarifliche Kollegen mit Vertrauensarbeitszeit auf Grundlage eines 40 Stunden-Vertrages. Ich mit meiner vertraglichen 30-Stunden-Woche zähle als Teilzeitmitarbeiter, obwohl es sich nur um eine Abstufung handelt.“ Das Arbeitszeitkonto flexibilisiert die Länge der wöchentlichen Arbeitszeit, Peter Heuschötter arbeitet die vertraglich vereinbarten wöchentlichen 30 Stunden nur im Durchschnitt eines längeren Zeitraumes. Gleichwohl besteht ein Interesse des Unternehmens an seinen Kapazitäten. Heuschötter hat das Angebot eines AT-Vertrages vorliegen. Er möchte jedoch auch als außertariflich Beschäftigter seinen 30-Stunden-Vertrag behalten, aber das möchte die Firma nicht. „Ich kann meine Arbeit auch mit einem AT Vertrag machen, auch mit der Besoldung, die ich jetzt habe, aber die Firma möchte Ziele auf Grundlage einer Vollzeitbeschäftigung und nicht auf Grundlage einer Teilzeitbeschäftigung vereinbaren. Das würde bedeuten, dass ich länger in der Firma bin. Und dann würde das hier bei uns nicht mehr klappen, dass wir beide arbeiten gehen und uns um die Kinder kümmern.“ Gegen die Anfrage des Unternehmens besteht Heuschötter auf der verkürzten Arbeitszeit. Sein Arbeitsgebiet ist nach der Arbeitszeitreduzierung im wesentlichen unverändert geblieben. Die Arbeitszeitverkürzung hat also Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 79 zu einer Arbeitsverdichtung geführt. „Es gibt natürlich ein Limit, den man dann nicht mehr schafft. Das passiert meist zu den bereits erwähnten Spitzenzeiten – aber das hat es früher, als ich noch in Vollzeit gearbeitet habe, auch gegeben. Dem kann man sowieso kaum gerecht werden. Wenn sich alles ballt, dann ist Land unter und dann muss man bestimmte Aufgaben strecken, dass ist jetzt nicht durch meine Teilzeit verschärft worden. Jetzt die letzten Wochen habe ich ja dann auch 40 Stunden in der Woche gearbeitet.“ Bei Arbeitsspitzen bleiben Teilaufgaben unerledigt, allerdings ist dies keine Folge der Teilzeitbeschäftigung. Da er seine Arbeitszeit zu Spitzenzeiten auf 40 Stunden hochfährt kann er das normale Maß bewältigen. Neues Gesetz ermöglicht Teilzeit Peter Heuschötter ist nicht unmittelbar aus Vollzeit in Teilzeit gewechselt, sondern erst nach einer Phase in Elternzeit. „Ich habe nach der ersten und nach der dritten Tochter Elternzeit gemacht und bin anschließend in Teilzeit gegangen. Das bahnte sich langsam an. Man darf in der Elternzeit arbeiten und ich wollte das machen. Dadurch sind wir in einen ähnlichen Rhythmus rein gekommen wie heute. Und dann nach drei Jahren endet die Elternzeit plötzlich und wir haben eine externe Betreuung zur Unterstützung gesucht und gefunden und seit sechs Jahren läuft das Modell.“ Der Einstieg in die Teilzeitbeschäftigung war eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit nach der Geburt des ersten und des dritten Kindes. „Wir zwei als Eltern haben uns zusammen gerauft – und das Teilzeitgesetz der Regierung Schröder wurde damals gerade verabschiedet und dann bin ich zu meinem Boss gegangen und habe gesagt: Auf dieses Gesetz berufe ich mich und das möchte ich machen. Mein damaliger Bereichsleiter sagte: Dann kannst Du hier keine 80 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann verantwortungsvolle Tätigkeit mehr ausüben. Doch ich bin hartnäckig geblieben und das Gesetz hat mir geholfen, dem Druck Stand zu halten. Ich hatte keine berufliche Alternative, um in einem anderen Betrieb in Bremen meine Teilzeitbeschäftigung zu verwirklichen. Da war das Gesetz schon wichtig.“ Am 1. Januar 2001 ist das Teilzeit- und Befristungsgesetz in Kraft getreten. Die Bereiche Teilzeitarbeit und Befristung wurden unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben zusammenfassend geregelt. Die Regelungen schaffen nicht nur Flexibilität für die Unternehmen sondern auch größere Zeitsouveränität für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Peter Heuschötter nutzt das gerade verabschiedete Gesetz, um die Reduzierung der Arbeitszeit durchzusetzen. Flexibel durch Absprachen Mit seiner Frau hat Peter Heuschötter drei Kinder im Alter von neun, elf und vierzehn Jahren. Die Kinder gehen in eine öffentliche Schule mit Halbtagsbetreuung und ohne Mittagessen und werden nachmittags von den Eltern und einer Betreuerin versorgt. Die Betreuerin kommt montags, dienstags und mittwochs in das Haus der Familie – sie kommt mittags und bleibt in der Regel bis 16.00 Uhr. Donnerstags übernimmt der Vater die nachmittägliche Betreuung, freitags die Mutter. Diese feste Regelung ist Kollegen und Vorgesetzten in den Betrieben der Eltern bekannt. „Bei mir auf der Arbeit ist es so, dass alle wissen Donnerstag Nachmittag gehe ich weg. Das habe ich in der Anfangszeit so konsequent gemacht, dass sich heute auf der Arbeit keiner mehr groß fragt: Ist er da oder nicht?“ Heuschötter arbeitet mittlerweile seit sechs Jahren in Teilzeit – Vorgesetzte und Kollegen haben sich mittlerweile damit arrangiert und kalkulieren seine nachmittägliche Abwesenheit am Donnerstag ein. Die Verteilung der Arbeits- und Betreu- ungszeiten zwischen den Eltern orientiert sich an der Notwendigkeit, die Kinder zu betreuen, also morgens zur Schule zu schicken und mittags nach der Schule bzw. im Anschluss an die Betreuerin zu versorgen und für die Kinder und ihre Bedürfnisse präsent zu sein. Das ist das Ziel der Eltern besteht darin, die Kinder im familiären Rahmen und mit möglichst großer persönlicher Betreuung durch beide Elternteile aufwachsen zu lassen. Dieses Ziel ist verbunden mit dem gleichwertigen Ziel, beide Elternteile im Berufsleben zu halten. Nachmittags sollen die Kinder nur (nicht zu lange) fremdbetreut werden. Länge und Lage der täglichen Arbeitszeit sowie der wöchentlichen Arbeitszeit balanciert er zwischen Arbeitsanforderungen, Kinderbetreuungsanforderungen und den Arbeitsanforderungen seiner Frau aus. Die Kinderbetreuung teilt er sich mit seiner Frau und einer Betreuerin. Diese übernimmt drei Nachmittage in der Woche, die Eltern jeweils einen Nachmittag. Die Betreuerin kümmert sich an drei Nachmittagen bis ca. 16.00 Uhr um die Kinder und wird dann von einem Elternteil abgelöst. Donnerstags ist Vater-Tag, da übernimmt Peter Heuschötter die Kinderbetreuung nach Schulschluss. Neben diesem festen Tag stimmt er sich mit seiner Frau über die Ablösung der Betreuerin ab. „Je nachdem, wer an diesem Tag eben mehr tun muss in der Firma, der löst die Betreuerin eben nicht aus – so funktioniert das.“ Planung ist wichtig Dieses Modell bildet jedoch nur die ‚normale‘ Woche ab. „Wenn jemand von uns reisen muss übernimmt der andere den Betreuungspart.“ Dienstreisen gehören bei beiden Partnern zum beruflichen Alltag, wenn auch in unterschiedlicher Häufigkeit und mit variierender Länge. Peter Heuschötter war über einen längeren Zeitraum in einem Projekt engagiert, dass häufigere Arbeitstreffen im Airbus Werk Toulouse erforderte – auch diese Herausforderung hat Kinderbetreuungsnetzwerk bewältigt. Auch bei der Mutter gehören häufigere Dienstreisen zum Arbeitsalltag. Kollisionen zwischen den zeitlichen Anforderungen an die Eltern führen zu Konflikten zwischen den Zielen ‚Betreuung der Kinder selbst übernehmen‘ und ‚berufliche Anforderungen erfüllen‘. Die Eltern haben für diesen Zielkonflikt mit ihrem Betreuungsnetzwerk verschiedene Lösungen erarbeitet. Zum einen können sie den Rahmen der Fremdbetreuung erhöhen und die Betreuerin bitten, an einzelnen Tagen länger bei der Familie zu bleiben. Zum anderen können sie sich bei der Terminvereinbarung dafür einsetzen, Dienstreisen komplementär zu den Abwesenheitszeiten des Partners zu terminieren. „Viel passiert im Vorfeld von Dienstreisen. Wir telefonieren häufiger auf der Arbeit. Wenn ich Termine mache oder Terminvorschläge rein bekomme teile ich die Brigitte mit – und sämtliche Termine, die sich bei Brigitte anbahnen stehen bei mir Arbeitskalender. Wir pflegen gegenseitig die Termine in unseren Arbeitskalendern mit. Es ist ja nicht so, dass diese Dienstreisen plötzliche kommen und dass man gar nicht mitreden kann. Häufig ist es so, dass es bei der Verabredung von Terminen auch Gestaltungsspielräume gibt und diese versuchen wir im gemeinsamen Interesse zu nutzen. Dann ist es so, dass Brigittes Dienstreisen meist Dienstags, Mittwochs oder Donnerstags anfallen und dann kann ich oder die Betreuerin ihre Abwesenheit in der Regel auffangen. Und dann gibt es noch die plötzlichen Dienstreisen. Dann muss man Glück haben. Dass einer von uns eine Dienstreise absagen musste liegt im einstelligen Prozentbereich. Das hat bislang immer ganz gut geklappt.“ Die Unterstützung durch eine flexible Betreuerin sowie vorausschauende Planung sind die entscheidenden Ressourcen, um Konflikte im Vorfeld zu entschärfen. Eine wichtige Voraussetzung für die Verbindung von Berufstätigkeit und Versorgung von Kindern ist Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 81 eine zuverlässige Gesundheit der Kinder. „Mit Gesundheit und Krankheit haben wir bislang keine Probleme – die Kinder sind eigentlich nie krank. Und auch mit der Schule haben wir Glück. Wir haben in der Schule keine Schwierigkeiten und keinen besonderen Betreuungsaufwand. Die Kinder machen aus eigenem Antrieb Hausaufgaben und nutzen unsere Abwesenheit nicht aus. Die Kinder sind jetzt keine Kleinkinder mehr, sondern brauchen eine Begleitung bei den Hausaufgaben.“ Private Kinderbetreuung Als Heuschötters Kinder zur Schule kamen gab es in Bremen noch keine Ganztagsschule. Einer Familie mit mehreren schulpflichtigen Kindern hilft die Ganztagsschule darüber hinaus nur, wenn alle Kinder betreut werden. Sobald ein Kind nicht versorgt ist, müssen die Eltern die Versorgung lösen. „Wir haben eine Formel gemacht: Wir trauen es Kindergärten, Horten und Schulen nicht zu, dass sie drei Kinder langfristig zuverlässig gut betreut kriegen. Damals ging das Hortangebot in der Grundschule nur bis zum dritten Schuljahr – das nützte uns nichts. Wir sind also bewusst aus dem öffentlichen Betreuungsangebot ausgestiegen und haben das privat auf die Beine gestellt.“ Die Familie entwickelt ihr Modell der privaten Kinderbetreuung, um sich nicht in die Abhängigkeit öffentlicher Versorgungsinfrastruktur begeben zu müssen. Nicht nur der Blick auf die Schließzeiten öffentlicher Einrichtungen während der Ferien, auch die konzeptionellen Ansätze bei der Umsetzung von Ganztagesschulen bestätigen die Familie in ihrer Entscheidung. „Schulen wie die heute gebaut werden, mit den starken Klassen, ohne Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder, ohne verschließbare Schränke für private Sachen, keine vernünftigen Mensen – da kann man nur zurück schrecken. Ganztagsschule im Sparmodus, wir sehen es an unserer Vierzehnjährigen, die hat nachmittags 82 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann Unterricht, es gibt kein Essen, so arbeitet in Deutschland kein Handwerker. Da versuchen wir uns fern zu halten und versuchen die Betreuung privat zu organisieren. Das halten wir jetzt schon so lange durch, da bin ich guter Dinge, dass wir das auch noch so lange durchhalten bis die Kinder groß sind. Es wächst sich aus vom Alter her.“ Die Verwirklichung einer familiären Betreuung mehrerer Schulkinder bei beruflich stark engagierten Eltern ist an vielfältige Voraussetzungen gebunden: „Wir sind beide in Jobs, die ganz gut bezahlt werden. Die Betreuung im familiären Rahmen kann nur funktionieren, wenn es ein erhebliches Einkommensgefälle zwischen Auftraggebern und Betreuungskräften gibt. Damit das Modell mehr Verbreitung findet sollte es steuerlich so eingerichtet werden, dass es sich mehr Eltern leisten können. Vielleicht muss es mehrere unterschiedliche Modelle für die unterschiedlichen Lebenslagen.“ Neben einer guten materiellen Ausstattung, also einem überdurchschnittlichen Verdienst ist eine große Wohnung bzw. ein Haus sicherlich eine weitere Voraussetzung. Ein weiteres Erfordernis ist eine zuverlässige, flexible und qualifizierte Betreuungskraft mit einem guten Kontakt zu den Kindern. Eine weitere materielle Voraussetzung neben einem überdurchschnittlich hohen Einkommen der Eltern ist eine symmetrische Verteilung auf die Partner: „Unser Modell macht nur Sinn, wenn die Gehälter vergleichbar hoch sind. Dann muss man in der nähe der Arbeit wohnen - Teilzeit und Pendeln macht wenig Sinn, Wegezeiten müssen gering sein. Auch muss man räumlich nahe bei der Schule sein, um die Kinder abholen zu können, wenn es ihnen schlecht geht.“ Für Peter Heuschötter profitiert die Beziehung zu seinen Kindern von seiner Präsenz: „Ich habe viel mehr Kontakt zu den Kindern. Zum Beispiel klebt die Jüngste ganz gut an mir. Ich mache auch mit den Kindern Hausaufgaben und Freizeitsachen, die ich sonst nicht machen würde. Ich sehe meine Kinder jeden Morgen und jeden Abend – ich kenne viele Kollegen, die sehen ihre Kinder nur morgens oder nur abends oder sogar mal ein paar Tage nicht. Das ist schon ein wichtiger Unterschied. Ich bin Ansprechpartner für bestimmte Dinge und Brigitte für andere Dinge.“ Auch die Partnerschaft profitiert von der Präsenz beider Eltern: „ Wir haben eine reichere Erfahrungswelt, weil wir Arbeit und Familie teilen. Arbeit ist ein Quell von Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit. Meins, deins und wir – wir sind jede Menge wir und ein bisschen meins und deins ist auch nicht schlecht.“ Partnerschaft profitiert Daneben betrachten beide ihren Lebensentwurf auch als Schritt zur Verwirklichung einer gleichberechtigten Partnerschaft: „Der Ertrag ist die Gleichberechtigung: Wir haben beide unser Einkommen, keiner muss den anderen fragen. Wir bestimmen im gleichen Maße mit wenn es um Anschaffungen und Freizeit geht.“ (Brigitte) Da beide gleichermaßen beruflich integriert sind und obendrein ungefähr gleich viel verdienen entsteht keine materiellen Abhängigkeit. Auch bei der Hausarbeit streben beide eine gleichmäßige Verteilung an: „Ich erkenne an, das Brigitte mehr macht, dass sie effizienter ist und auch fleißiger ist. Ich weiss durch Gespräche mit meinen Kollegen, dass ich mehr mache als andere, aber wenn wir es objektiv messen würden wäre ich im Hintertreffen, was die Hausarbeit angeht.“ Die Teilzeitbeschäftigung ist eine Voraussetzung für eine symmetrische Verteilung der Hausarbeit auf beide – im Alltag wirken tradierte Rollenmuster fort, die Frau übernimmt auch in dieser Familie den überwiegenden Part der Hausarbeit. Verantwortung für die Kinder erzeugt einen hohen Abstimmungs- und Aushandlungsaufwand. „Ich beneide manchmal meine männlichen Kollegen. Wenn die einen Termin reinkriegen, die sagen gleich zu , was soll‘s? Die müssen sich nicht zu Hause abstimmen, auch wenn‘s abends mal sieben oder acht Uhr wird, kein Problem. Wenn ich mir dagegen mal anschaue, was wir für ein Arbeitsaufkommen haben: Wir haben alleine 60 Stunden im Job, arbeiten faktisch aber mehr, wir haben unsere Pausenzeiten, die wir ja auch auf der Arbeit verbringen müssen und wir haben Wegezeiten. Wenn ich das mal mit dem normalen Modell, Mann arbeitet Vollzeit und Frau halbe Stelle vergleiche – die haben einen ganz anderen Stundeneinsatz. Die arbeiten viel effizienter. Und das ist der Punkt, um den ich die Paare ein bisschen beneide. Und die können schon ein bisschen entspannter auftreten. Wir haben viel mehr Diskussionen und Abstimmungen um unser Leben zu regeln. Wir organisieren uns ein Bein ab, wo andere gar nicht nachdenken müssen. Das ist der Preis für die gleichberechtigte Beziehung.“ Die Modernisierung der Rollenverteilung erzeugt höhere Organisationskosten als die Fortführung der traditionellen asymmetrischen Rollenverteilung. An diesem Paradox brechen sich in vielen Fällen die individuellen Versuche, Gleichberechtigung zu verwirklichen wie die gesellschaftlich notwendige Öffnung des Arbeitsmarktes für Eltern. Weiter als die Modernisierung von Regelungen und Institutionen ist in vielen Bereichen, wie auch bei Airbus, die Modernisierung von Kultur und Unternehmenskultur: „Kollegen und Vorgesetzte akzeptieren meinen Lebensentwurf, so dass ich mich nicht dumm oder zurückgesetzt fühle. Ich muss nicht groß gegen Widerstände kämpfen und meine Energie dafür aufzehren.“ Die angestrebte symmetrische Verteilung der Teilzeitarbeit - Vollzeitmann 83 Impressum Herausgeber/innen: Arbeitnehmerkammer Bremen Körperschaft des öffentlichen Rechts Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Telefon: 0421 36301-0 Telefax: 0421 36301-89 [email protected] www.arbeitnehmerkammer.de INQA Geschäftsstelle der Initiative Neue Qualität der Arbeit Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Friedrich-Henkel-Weg 1 - 25 D-44149 Dortmund Tel. 0231 9071 2250 Fax 0231 9071 2363 www.inqa.de www.baua.de Redaktion: Tanja M. Brinkmann Rena Fehre Götz Richter Kerstin Purnhagen Margareta Steinrücke Druck: Druckerei Wellmann Fotos: Kay Michalak Cover und S.14 - 31 Gestaltung: Rena Fehre Erscheinungsjahr Neuauflage: 2013 84 Teilzeitarbeit - Vollzeitmann