Abstracts - Universität Mozarteum Salzburg

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Abstracts - Universität Mozarteum Salzburg
Thomas Hochradner / Ulrich Leisinger (Hg.):
BACH – Beiträge zur Rezeptionsgeschichte, Interpretationsgeschichte und Pädagogik.
Drei Symposien im Rahmen des 83. Bachfestes der Neuen Bachgesellschaft in Salzburg
2008. Bericht.
klang–reden. Schriften zur Musikalischen Rezeptions- und Interpretationsgeschichte Bd.
5.
Freiburg i. Br. / Wien 2010.
Redaktion: Dominik Reinhardt
Symposion I: »Zur Bach-Rezeption in Österreich«
Christine Blanken: Dokumente der Wiener Bach-Pflege
Obwohl Bach kein Komponist war, der wirklich populär gewesen wäre, waren seine Werke, besonders
die Klavier- und Orgelkompositionen, weit über seinen sächsisch-thüringischen Lebensraum hinaus
bekannt und geschätzt. Während die Frühgeschichte der Wiener Bach-Rezeption weitgehend im Dunkeln
bleibt, ist sie seit den 1770er Jahren gut dokumentiert. Der Beitrag, der auf Vorarbeiten an einem Katalog
der Bach-Quellen in Wien und Alt-Österreich basiert, untersucht unter anderem die Bedeutung von
Musikhändlern und Verlegern wie Johann Traeg, Hoffmeister & Kühnel und Tobias Haslinger, von
Musikern wie Mozart und Beethoven und Sammlern wie Fanny von Arnstein, Gottfried van Swieten,
Erzherzog Rudolph im ausgehenden 18. Jahrhundert und von Raphael Georg Kiesewetter, Aloys Fuchs
und Josef Fischhof in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Although Bach never was a popular composer, his oeuvres, particularly his keyboard and organ
compositions, were widely disseminated beyond the borders of Thuringia and Saxony. The early history
of the Viennese Bach reception remains in the dark, but from the 1770s on there is ample evidence for his
appreciation. The paper based on research for a catalogue of the Bach Sources in Vienna and the old
Habsburgian Empire explores the significance of among others music dealers and publishers like Johann
Traeg, Hoffmeister & Kühnel, musicians like Mozart and Beethoven and collectors like Fanny von
Arnstein, Gottfried van Swieten, Archduke Rudolph in the late 18th century and Raphael Georg
Kiesewetter, Aloys Fuchs and Josef Fischhof in the first half of the 19th century.
Marko Motnik: Bach-Werke in der Fürstlich Esterházyschen Musikaliensammlung
Trotz seiner reichen Musikgeschichte kann der esterházysche Fürstenhof in Eisenstadt während des 18.
Jahrhunderts nicht zu den Bach-Pflegestätten gezählt werden. Erst während der Majoratsherrschaft
Nikolaus’ II. (1794–1833), eines leidenschaftlichen Sammlers und bedeutenden Förderers der Musik,
gelangten zu Beginn des 19. Jahrhunderts einige Werke der Familie Bach in die fürstliche Bibliothek. Im
Jahr 1810 erwarb Nikolaus die Nachlassbibliotheken von Johann Georg Albrechtsberger und Joseph
Haydn. Während in der Sammlung des gelehrten Kontrapunktisten und Organisten Albrechtsberger nur
wenige Zeugnisse einer Auseinandersetzung mit dem Werk Bachs zu finden sind, befanden sich etwa
zwei Dutzend Bachiana in der Sammlung von Haydn. Darunter sind vor allem die Abschriften der
Kompositionen Carl Philipp Emanuel Bachs von der Hand Johann Heinrich Michels hervorzuheben, die
Haydn vermutlich 1795 in Hamburg erwarb, sowie eine Partitur der h-Moll-Messe, die um 1770 in Berlin
entstanden ist. Es lässt sich zwar nicht eindeutig klären, auf welchem Weg sie in den Besitz Haydns
gelangte, dem Exemplar kann jedoch eine bedeutende Rolle für die Rezeption der h-Moll-Messe in Wien
zugesprochen werden. Im Eisenstädter Archiv liegt ferner noch eine Litanei des heute kaum bekannten
Komponisten Antonio Polzelli (eines illegitimen Sohnes von Haydn?) vor, die im Aufgriff der Kunst der
Fuge von der Aneignung der Musik Bachs ebenso ein beredtes Zeugnis ablegt.1
In spite of its rich musical history, the princely Esterházy court in Eisenstadt cannot be counted among
those places engaged intensively with the music of Bach. It was only during the reign of Nikolaus II.
Esterházy (1794–1833), a passionate collector and important patron of music, that a number of works of
the Bach family entered into the princely library at the beginning of the nineteenth century. In 1810, the
Prince acquired the musical libraries (estates) of Johann Georg Albrechtsberger and Joseph Haydn.
Although relatively few signs of an engagement with the works of Bach are to be found in the collection
of the learned contrapuntist and organist Albrechtsberger, there are some two dozen Bachiana in Haydn’s
collection. Principal among these are copies of Carl Philipp Emanuel Bach’s compositions stemming
from the hand of Johann Heinrich Michel that Haydn likely acquired in Hamburg in 1795 as well as a
score of the B-minor Mass that was made around 1770 in Berlin. Although it is not possible to say with
certainty how this score came into Haydn’s hands, it is clear that it played an important role in the
Viennese reception of the B-minor Mass. In addition, the presence in the Eisenstadt archive of a Litany by
Antonio Polzelli (illegitimate son of Haydn?) incorporating a portion of the Art of the Fugue attests to the
acquisition and knowledge of Bach’s works at the Esterházy court. (Übersetzung: James I. Armstrong)
Ulrich Leisinger: Haydns Exemplar von Bachs h-Moll-Messe und die Messe in c-Moll von
Wolfgang Amadeus Mozart
Die Rezeptionsgeschichte von Bachs h-Moll-Messe konnte lange Zeit nur bis etwa 1800 zurückverfolgt
werden. Eine vor kurzem wieder aufgefundene Abschrift aus Haydns Nachlass gehört aber zu den ältesten
Quellen für die Messe überhaupt: Die Handschrift stammt aus Berlin und kam möglicherweise durch
Gottfried van Swieten, den österreichischen Gesandten am preußischen Hof, im Jahre 1777 nach Wien.
Van Swieten hat bekanntlich Mozart an die Musik von Bach und Händel herangeführt. Aus der
Mitteilung »[er] hat mir alle Werke des händls und Sebastian Bach […] nach hause gegeben« (Mozart an
seine Schwester, 20. April 1782) kann man schließen, dass Mozart Bachs Messe zum Zeitpunkt der
1
An dieser Stelle möchte ich Herrn Dr. James I. Armstrong herzlich für die großzügige Unterstützung und Hilfe
bei meiner Forschungsarbeit danken. Dank gilt ebenso Herrn Mag. Stefan Körner und Herrn Dr. Gottfried
Holzschuh aus der Esterházy Privatstiftung sowie den MitarbeiterInnen der Széchényi-Bibliothek in Budapest.
Besonders dankbar bin ich auch Frau Dr. Christine Blanken für ihre Anregungen und die Vermittlung
zahlreicher Informationen, sowie Herrn Dr. Uwe Wolf für die Bekanntgabe seiner Forschungsergebnisse
bezüglich der h-Moll-Messe aus dem Eisenstädter Archiv. Die im vorliegenden Aufsatz erwähnten Quellen
werden im demnächst erscheinenden Katalog der Wiener und altösterreichischen Bach-Quellen, bearb. von
Christine Blanken unter Mitarbeit von Marko Motnik, Hildesheim/Zürich/New York: Olms (Leipziger Beiträge
zur Bach-Forschung 10), detailliert beschrieben.
Arbeit an der c-Moll-Messe KV 427 durchaus im Detail hätte studieren können. Die Wiederentdeckung
der Partiturabschrift aus Eisenstadt liefert daher eine völlig neuartige Quellenbasis, um die verblüffenden
Ähnlichkeiten zwischen den beiden anspruchsvollsten Messkompositionen des 18. Jahrhunderts zu
diskutieren. Mozarts Anklänge an die barocken Meister Bach und Händel in der c-Moll-Messe müssen
dabei als bewusste stilistische Entscheidung des Komponisten gewertet werden.
For a long time, the reception history of Bach’s B Minor Mass in Vienna could not be traced before the
early 1800s. The recently recovered copy of the mass from Haydn’s estate is, however, one of the earliest
sources for the mass: The manuscript originated in Berlin and is likely to have been brought to Vienna in
1777 by the Austrian Ambassador to the Prussian Court Gottfried van Swieten. Van Swieten initiated
Mozart to the music of Johann Sebastian Bach. From the statement »that he gave me all the works of
Handel and Sebastian Bach to take home with me« (Mozart’s letter to his sister, 20 April 1782) we can
conclude that Mozart would have been able to study in detail Bach’s mass at the time when working on
his Mass in C Minor K. 427. The re-discovery of the Eisenstadt score provides an entirely new basis for
exploring the astonishing similarities between two of the most demanding mass compositions of the 18th
century. Mozart’s allusions to the Baroque masters Bach and Handel in his Mass in C Minor were
apparently deliberate stylistic choices by the composer.
Thomas Hochradner: Doppelchörigkeit als Katalysator der Bach-Rezeption um 1800
Traditionen des ›stile antico‹ im 18. Jahrhundert verbinden auf unterschwellige Weise das musikalische
Werk Johann Sebastian Bachs mit dem zeitgleichen kirchenmusikalischen Schaffen im süddeutschösterreichischen Raum. In der Wiener Bach-Rezeption wurde seit dem frühen 19. Jahrhundert auf diesen
Zusammenhang rekurriert. Daneben aber hat um 1800 noch ein anderes kompositionstechnisches
Stilmittel Impulse zur Wirkungsgeschichte Bachs freigesetzt: Die doppelchörige Anlage, in der
katholischen Kirchenmusik während des 18. Jahrhunderts gelegentlich noch verwirklicht, war zu dessen
Ende – vor allem anhand bachscher Motetten – allgemein in den deutschsprachigen Ländern als ein
Idealtypus des Erhabenen verstanden worden. Einige Quellen zeigen, welchen Stellenwert Bachs
Motetten damals in der Wiener Bach-Rezeption besaßen und lassen vermuten, dass Doppelchörigkeit
auch zur Popularisierung von h-Moll-Messe und Matthäus-Passion beigetragen hat.
18th century traditions of ›stile antico‹ subliminally bind together the musical works of Johann Sebastian
Bach and the contemporary church music common in the southern German and Austrian territories. This
fact had been recoursed to within the Viennese Bach reception since the early 19th century. Besides,
however, another stylistic means brought about impulses for the appreciation of Bach about 1800:
Compositions for double choir, occasionally still realized in 18th century Catholic church music, were
considered an ideal of the musical sublime all over the German speaking countries – mainly with regard
to the motets of Bach. Some sources show to what extent these motets have influenced the Viennese Bach
reception and given rise to the assumption that bi-chorality also has supported the popularisation of
Bach’s B minor mass and Matthäus-Passion.
Symposion II: »Österreichische Bach-Interpretation?«
Martin Elste: Gibt es eine österreichische Bach-Interpretation?
Zwei österreichische Interpreten haben, jeder auf seine Weise, die Bach-Interpretation und -Rezeption in
der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts bedeutsam beeinflusst: Herbert von Karajan und Nikolaus Harnoncourt.
Karajans frühe, Aufsehen erheischende Wiener Dirigate in der Nachkriegszeit galten keineswegs dem
klassisch-romantischen Repertoire, sondern der Matthäus-Passion und der h-Moll-Messe und zeichneten
sich vor allem durch enorme Probendisziplin aus. Dank der weltweiten Verbreitung durch die Schallplatte
wurde die von Karajan geforderte spieltechnische und chorische Qualität für die h-Moll-Messe
maßstabsetzend. Ein Jahrzehnt später wurde mit der 1964 erfolgten Einspielung der Brandenburgischen
Konzerte durch den Concentus Musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt das antagonistische, von
Harnoncourt vehement propagierte Ideal bachscher Aufführungspraxis überregional bekannt. Dass von
Österreich aus ein Musiker eine weltweite musikalische Revolution auslöste, ist eindeutig mit dem
musikalischen Medium des 20. Jahrhunderts, dem Tonträger, verbunden.
Two Austrian performers have, each one on his own, greatly influenced the interpretation and reception
of the music by Bach during the second half of the 20th century: Herbert von Karajan and Nikolaus
Harnoncourt. Karajan’s early and well-received conducting of Bach’s St. Matthew Passion and his B
Minor Mass in post-war Vienna was basically characteristic for his enormous discipline and engagement
during the rehearsals. Owing to world-wide distribution through gramophone records, his Viennese
recording of the B Minor Mass became a standard for this work in terms of playing technique and choral
singing. One decade later, the 1964-recording of the Brandenburg Concertos by the Concentus Musicus
Wien brought an antagonistic performing style for Bach’s music to listeners and musicians world-wide,
vehemently propagated by Nikolaus Harnoncourt. The fact that this Austrian musician initiated a worldwide musical revolution in performing style is unambiguously bound to sound recording, the main
musical medium of the 20th century.
Hartmut Krones: Johann Sebastian Bach und die Wiener Kontrapunktlehre im 19. Jahrhundert
Im Gegensatz zu den Harmonielehren des 19. Jahrhunderts, die in ihren Beispielen sehr oft auf relativ
zeitgenössische Kompositionen zurückgreifen, bleiben die in Österreich erscheinenden
Kontrapunktlehren lange den Gradus ad parnassum von Johann Joseph Fux bzw. der ›klassischen‹
Vokalpolyphonie (dem ›stile antico‹) eines Giovanni Pierluigi da Palestrina oder gar Heinrich Isaac
verbunden. Wenn allerdings ›modernere Beispiele‹ eingebaut erscheinen, so fungieren in erster Linie
Haydn oder Mozart als Exempla, während Johann Sebastian Bach (wenn überhaupt) nur sehr am Rande
als ›älterer‹ Meister Erwähnung findet. Die Situation ändert sich dann Ende des 19. bzw. Anfang des 20.
Jahrhunderts nahezu schlagartig, als immer häufiger bachsche Werke zur Verdeutlichung meisterhafter
Stimmführungen, insbesondere aber auch meisterhaft ausgenützter ›Lizenzen‹ herangezogen werden.
Compared to harmonics of the 19th century, which frequently in their examples go back to contemporary
composition, the Austrian counterpoint models were closely connected with Gradus ad parnassum from
Johann Joseph Fux and accordingly the ›classical‹ vocal polyphony from Giovanni Pierluigi da Palestrina
or Heinrich Isaac. However, with view of more modern examples primarily Haydn or Mozart are named,
whereas Johann Sebastian Bach – if at all – is just marginally mentioned as an ›older‹ master. The
situation changes almost abruptly with the end of the 19th and the beginning of the 20th century
respectively, when works from Bach are increasingly selected to demonstrate masterly voice-leading.
Alexander Drčar: Nikolaus Harnoncourt und das Sechste Brandenburgische Konzert oder Die
Suche nach einem österreichischen Bach-Stil
Der Artikel beschäftigt sich mit der österreichischen Bach-Aufführungstradition nach 1945. Anhand von
Johann Sebastian Bachs Sechstem Brandenburgischen Konzert führe ich eine systematische Analyse
ausgewählter Abschnitte durch. Im Mittelpunkt steht Nikolaus Harnoncourt, von dem es vier Aufnahmen
gibt – je eine als Gambist (unter Josef Mertin) und Cellist (unter Felix Prohaska) und zwei mit seinem
eigenen Ensemble, dem Concentus Musicus Wien. Diesen vier Aufnahmen werden drei weitere aus dem
europäischen Ausland gegenübergestellt. Im abschließenden Resümee soll die Frage beantwortet werden,
ob es eine spezifisch österreichische Aufführungspraxis gibt und – wenn ja – woran diese festzumachen
ist.
This article refers to the tradition of interpreting Bachs music in Austria after 1945. Choosing Bachs Sixth
Brandenburg Concerto for subject, I examine a systematic analysis of selected parts of this work, focused
on the four recordings by Nikolaus Harnoncourt: one as a gambist (conducted by Josef Mertin), one as a
cellist (conducted by Felix Prohaska) and two with his own ensemble Concentus Musicus Wien. Three
recordings of ensembles based outside of Austria are analysed as well and compared to Harnoncourt’s. In
the resume I am trying to give an answer to the question whether there is a specific Austrian style of
interpreting Bach and – in case there is one – how it could be defined.
Roman Summereder: Johann Sebastian Bachs Orgelwerk. Traditionen der Vermittlung in
Österreich
Wiedergabe und Weitergabe des bachschen Tastenwerks gehen in Österreich auf Gottlieb Muffat und
Georg Christoph Wagenseil zurück. Die historische donauländische Orgel, an deren Grundtypus der
österreichische Orgelbau bis weit ins 19. Jahrhundert festhielt, erlaubte nicht die Ausführung bachscher
Orgelmusik. Gleichwohl war die ›Bach-Fuge‹ jedoch Gegenstand des kompositorischen Studiums von
Organisten, bis hin zu Anton Bruckner. Auch das Instrumentieren bachscher Tastenmusik war eine
österreichische Besonderheit musikalischer Rezeption. Albrechtsbergers und Mozarts StreicherÜbertragungen von Fugen und Triosonaten beweisen dies ebenso, wie die hochartifiziellen
Instrumentierungen Schönbergs und Weberns. Mit Bruckners Professur am Konservatorium der
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien trat eine Wende ein: Das Orgelspiel wurde institutionalisiert und
Bachs Orgelwerk von nun an obligater Gegenstand des Unterrichts. Auch begann man in den 1870er
Jahren, die Orgelklaviaturen vollständig auszubauen, sodass Bach nicht nur drei- oder vierhändig am
Pianoforte – gelegentlich auch am Pedal-Flügel –, sondern auch an Orgeln gespielt werden konnte. Aber
erst durch die Orgelbewegung der 1920er Jahre und die Initiativen von Franz Schmidt, Johann Nepomuk
David und deren Schüler konnten Orgelspiel und Bach-Interpretation in Österreich einen nachhaltigen
spieltechnischen Aufschwung nehmen. Weltgeltung als Organist im Allgemeinen und als Bach-Interpret
im Besonderen erlangte Anton Heiller. Seine Spielweise war von Anfang an geprägt durch Anschlag und
Tonbildung der neu entdeckten, rein mechanischen Schleifladenorgel. Durch seine Lehre an der Wiener
Musikhochschule seit 1945 und an der Haarlemer Sommerakademie seit 1955 gab er stilbildende Impulse
von internationaler Ausstrahlung.
A specific Austrian Bach-tradition in keyboard playing dates back to the times of Gottlieb Muffat and
Georg Christoph Wagenseil. Unfortunately the so called short pedal-octave of the ›Danubian‹ organ-type
prevented the active reception of Bach’s organ works. Nevertheless the astonishing examples of
Albrechtsberger and Mozart (later on Schoenberg and Webern, too!) make evident, that Bach’s fugues
and trio-sonatas were object of theoretical studies and instrumentations throughout the centuries. When
soon after 1870 Anton Bruckner had become teacher at the conservatory of the Gesellschaft der
Musikfreunde in Vienna a turn occurred. Four hand-execution on the pianoforte or on some rare examples
of the pedal-piano (›Pedal-Flügel‹) was replaced by organ performances. At the same time organ building
began to change and a long period of conceptual transformations and modernisations followed. But it was
not until the 1920ies that organ playing and Bach-interpretation reached a true turning point with Franz
Schmidt, Johann Nepomuk David and their pupils. They introduced the so called ›Organ Revival‹
(›Orgelbewegung‹) in Austria. After World War II Anton Heiller became an exemplary organist and
internationally influential teacher in Vienna from 1945 on, as well as in the Netherlands (Haarlem
Summer-Academy) from 1955 on. Heiller’s Bach-interpretation was based on the newly discovered pure
mechanical sliderchest-organ with all its genuine possibilities of touch and sound-production, so that he
became a pioneer of new developments of international radiation and reputation.
Johann Trummer: Bach und Bach-Interpretation als Herausforderungen für die katholische
Liturgie
Zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils spielte der Organist von St. Peter in Rom, Fernando
Germani, J.S. Bachs Präludium in c-Moll BWV 546. Bachs Musik gehört heute zum Grundbestand der
katholischen Kirchenmusik, sowohl in der Ausbildung als auch in der Praxis. Sie ist für die katholische
Kirche in künstlerischer wie in theologischer Hinsicht Maßstab für die gottesdienstliche Musik, für die
Verkündigung und Ausdeutung des Wortes der Schrift und für die Stimme der Gemeinde (im
Kirchenlied). Die Forschungen und Erfahrungen der Aufführungspraxis geben viele Impulse für eine neue
Aufführungspraxis in der katholischen Kirchenmusik, auch der Werke der Wiener Klassik. Die großen
Vokalwerke Bachs, die Oratorien, Passionen und Kantaten haben vorwiegend im Kirchenkonzert ihren
Platz. In Österreich kann für die Bedeutung der Aufführungspraxis Alter Musik in der
kirchenmusikalischen Ausbildung wie in der Praxis vor allem auf Anton Heiller und Nikolaus
Harnoncourt hingewiesen werden.
At the opening ceremony of the 2nd Vatican Council the organist of St. Peter in Rome, Fernando Germani,
played J.S. Bach’s prelude in c Minor BWV 546. Today Bach’s music is a basic component of the
repertoire of Catholic church music for the curriculum of studies as well as for the liturgical practice and
church concerts. Bach’s music imposes a standard of liturgical music in artistic and theological respects
which serves for the proclamation and interpretation of the Word of God and for the answer of the
community (in anthems). Research and experiences in the field of historically informed performance
practice influence the practice of Catholic liturgical music of the baroque and also of the following
periods. Bach’s vocal music, e.g. oratorios, passions and cantatas, are performed in churches mostly as a
non liturgical music. In Austria Anton Heiller and Nikolaus Harnoncourt are outstanding examples of the
influence of the ›New Bach Interpretation‹ on education and practice in church music.
Symposion III: »Rezeptions- und produktionsdidaktische Ansätze«
Christoph Richter: Bach für Kinder und Jugendliche?
Ausgehend von den Schwierigkeiten, Kindern und Jugendlichen die Musik Johann Sebastian Bachs
nahezubringen, werden in dem folgenden Beitrag fünf Möglichkeiten zum Umgang mit der bachschen
Musik erörtert: die Vergleichbarkeit zwischen dem (Musik-) Leben in der Bachzeit und dem heutigen
Musikleben Jugendlicher; die ›gelehrte‹ Musik Bachs im möglichen Verständnis und Umgang von
Kindern; Spiegelungen bachscher Musik in der Musik des 20. Jahrhunderts; das gesellschaftlich-höfische
Rollenspiel in den Tänzen bachscher Suiten; Bachs Kompositionen einer musikalischen ›Biblia
pauperum‹ (oder musikalischen Exegese) in ausgewählten Kirchenkantaten.
Considering the difficulties of establishing approaches to Bach’s music for children and young people, the
following text offers five ways of introducing music: to provide links between 18th century life and the
experience of young people today; to make comprehendible and comprehensible Bach’s ›elaborate‹ music
for children; to reflect the significance of Bach’s music for compositions of the 20th century; to refer to
the social role-play in the dances; to explore the musical interpretation in church-cantatas of Bach.
Michael Seywald: ›Bach cool‹ – ›Bach uncool‹. Das Bachfest 2008 im Musikum Salzburg
»Wie können wir jungen Menschen J.S. Bach nachhaltig vermitteln«, diese Frage haben wir uns im
Musikum Salzburg gestellt. Als Antwort wählten wir unterschiedliche Wege, um J.S. Bach zu begegnen:
über die Malerei – ›Ich mache mir ein Bild von Bach‹ –, über den Tanz, über eine spannende
Kriminalgeschichte zu Bach, bis hin zu ›Bach und Neues‹. J.S. Bach historisch und Bach in JazzArrangements wurden in ungewöhnlichen Konzerten gegenübergestellt, um jungen und auch älteren
Menschen eine neue Sicht- und Hörweise über Bach anbieten zu können.
Can you motivate young people to be interested in Bach? This is the question we asked ourselves in the
Musikum Salzburg. As an answer different ways to meet Bach were chosen: by painting, by dancing, by
telling a thrilling criminal story and at last by discovering ›Bach and the new‹. In concerts the original
way of performing Bach’s music and Jazz arrangements were presented, so as to offer young and old
people a new point of view about one of the world’s most important composers.
Monika Sigl-Radauer: ›Mein Bach‹ oder Wie kann man im Kinder-Konzert Johann Sebastian
Bach vermitteln?
Das Erlernen einer Bach-Invention bedeutet mehr als ›rechte Hand einzeln, linke Hand einzeln, dann
zusammen‹. Im Sinne einer Musikschule interdisziplinäre musische Kompetenzen zu entwickeln und
zugleich Kindern J.S. Bach als einen Komponisten näher zu bringen, der alles andere als eine trockene
Materie darstellt, hat uns zu einem Vermittlungsprojekt im Rahmen des 83. Bachfestes 2008 in Salzburg
herausgefordert. Herausragende SchülerInnen des Musikum Salzburg im Alter von 7–18 Jahren waren
eingeladen, ›ihren‹ Bach im Rahmen eines Konzertes vorzutragen. Um das Konzert auch jüngeren
ZuhörerInnen zugänglich zu machen, wurden die Stücke in einer Detektivgeschichte verpackt. Im Vorfeld
haben wir die Schüler befragt, warum sie gerade dieses Stück spielen, was sie dabei empfinden und was
sie über den Komponisten wissen. Aus diesen Äußerungen und Informationen aus Bachs Leben sowie
den live gespielten Stücken wurde ein musikalischer Krimi, den Astrid Mielke-Sulz, Sabine HajduPerschy und Monika Sigl-Radauer gemeinsam mit den SchülerInnen entwickelten: Sherlock Holmes und
sein Assistent Watson haben eine Nachricht gefunden, wonach Bach die Menschheit infiziert habe mit
›M…‹ – dann reißt die Nachricht ab. Sie suchen bei Anna Magdalena, versuchen es mit Bachblüten oder
erfahren, dass Bach als Thomas-Kantor keinesfalls kantige Ohren hatte. Das Projekt erforderte von uns
einen Spagat zwischen verschiedenen Vermittlungsaspekten, sollte es doch sowohl Information und
konzentriertes Zuhören sowie Mitmach-Aktionen für das Publikum ermöglichen, als auch den
vortragenden SchülerInnen eine Plattform von Respekt und Anerkennung bieten.
The learning of an invention by Bach is so much more than ›right hand alone, left hand alone, then both
together‹. The aim to convey a sense of interdisciplinary skills as well as to open children’s awareness for
J.S. Bach as a composer and a real person reflecting basic ideals to be pursued in a music school
challenged us to realize an education project within the 83th Bachfest 2008 in Salzburg. Specially gifted
pupils of the Musikum Salzburg, aged seven to eighteen, were invited to perform ›their‹ Bach within a
concert. In order to present these pieces in an accessible way for the young listeners we wrapped
everything into a detective story. Beforehand we had asked the children, why they played a particular
piece, how they felt about it and what they knew about the composer. Then we turned all the extracted
information together with snippets from Bach’s life into a gripping criminal story to be performed on
stage. Astrid Mielke-Sulz, Sabine Hajdu-Perschy and Monika Sigl-Radauer together with the young
musicians let Mr. Sherlock Holmes and his assistant Watson find a message: Bach inflicted humanity
with ›M…‹ – that was the end of the message. They try to find out more through Anna Magdalena, they
even try Bachflower remedies and in the end they find out that Bach did not have bent ears when he
worked as Thomas-Kantor. The project required a variety of abilities: information, intense listening, as
well as possibilities for audience participation and the establishment of a platform based on respect and
esteem for the young artists.
Waltraud Grabherr-Hartinger: Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche. Ein Bericht aus
der Praxis am Beispiel des Kinder- und Jugendkonzerts Der junge Bach
Durch ein behutsam gelenktes Musikhören eine Beziehung zur Musik selbst zu finden, war die Intention
des Kinder- und Jugendkonzerts Der junge Bach im Rahmen des 83. Internationalen Bachfestes Salzburg
2008.
Die Mitwirkung des Chores und des Orchesters des Musischen Gymnasiums Salzburg ermöglichte eine
große Bandbreite bei der Auswahl der Stücke des jungen Johann Sebastian Bach. Diese Stücke in eine
informative und spannende ›Musikgeschichte‹ zu verpacken, bei der das junge Publikum zum Mitmachen
angeregt wird, gelang vor allem durch die Mitwirkung eines erst 15-jährigen Komponisten, Organisten
und Dirigenten, der die Rolle des ›jungen Bach‹ meisterhaft umsetzte.
The objective of the children’s concert The Young Bach in the context of the 83rd International Bachfest
Salzburg 2008 was to establish a relationship to Bach’s music by carefully guiding the young listeners on
an ›expedition‹ exploring Bach’s music. Thanks to the participation of the choir and orchestra of the
Musisches Gymnasium Salzburg a wide range of Johann Sebastian Bach’s early compositions could be
presented. The members of the audience in this context got involved in an informative as well as
entertaining dramatic scene. The concept included the participation of a 15-year-old composer, organist
and conductor who masterfully took over the role of the ›young Bach‹.
Manuela Widmer: Bach in der Grundschule. Ein pädagogisch-didaktischer Erfahrungsbericht
Musik von Johann Sebastian Bach hat dann einen Platz in der Grundschule, wenn die Kinder Anregungen
dazu erhalten, über das Hören hinaus einen ganzheitlichen, körperorientierten Zugang zur Musik finden
zu können – und »dazu gehören Tanz, Bild, Darstellung und Selbstmusizieren«, meint Karl Heinrich
Ehrenforth. Über die Beschreibung eines dreiwöchigen Projekts mit Kindern in einem Alter zwischen
sechs und neun Jahren versucht der Beitrag deutlich zu machen, dass die Kinder primär mit der Musik
Bachs (vorrangig mit seiner Instrumentalmusik), in zweiter Linie mit seiner Person und erst in dritter
Linie mit kompositionstechnischen Details bekannt zu machen sind. Methodisch betrachtet bedeutet dies,
dass sie vor allem für eine so genannte »sich einlassende Sinnlichkeit« (Horst Rumpf) geöffnet werden
sollen.
Music of Johann Sebastian Bach has its place in primary school, when children find impulses that extend
the process of listening to music with a holistic and body orientated approach. As K.H. Ehrenforth points
out »dance, picture, performance and making music yourself« can be seen in this context. Through the
description of a three weeks project with children aged six to nine this article wants to make clear that the
children first of all should become familiar with the music of Bach itself, secondly with the person of
Bach and thirdly with theoretical details of his compositional work. Methodologically they should be
opened for an »engaging sensuality« in the sense of Horst Rumpf.