VOX extra - St. Jacobi

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VOX extra - St. Jacobi
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Grußwort 3
Einer der großen Anziehungspunkte der Hauptkirche St. Jacobi ist ihre Kantorei.
Dass diese Dame jetzt bereits ihren 50. Geburtstag feiert, erstaunt, wirkt sie
doch jung, dynamisch und völlig unverbraucht. Dass sie erst 50 ist, erstaunt allerdings nicht minder, denn wie ein solches Programm – vergewissern Sie sich
selbst in den folgenden Seiten – in nur fünf Jahrzehnte passt, grenzt entschieden an ein Wunder.
Ich gratuliere der Kantorei zu ihrem Jubiläum von ganzem Herzen – und ich
gratuliere uns zu dieser Kantorei! Neben den nahezu 100 Sängerinnen und Sängern gilt mein tief empfundener Dank dem Gründer Prof. Heinz Wunderlich. Er
hat eine ganze Ära musikalisch geprägt, und ich bin sehr froh über seine Verbundenheit mit St. Jacobi bis zum heutigen Tage. Die andere, etwas längere
Hälfte der 50 Jahre hat Kirchenmusikdirektor Rudolf Kelber mit großer Originalität und schier unendlicher Energie gewirkt. Seine Kreativität und seine unermüdliche Liebe zur Sache haben etwas Beflügelndes - nicht nur, wie in diesem
Heft deutlich wird, für die Kantorei, sondern auch für mich, die ich dem Gesang
zuhören darf (und gelegentlich auch dazu predigen …).
Vielfalt ist ein Stichwort, das die Kantorei St. Jacobi gut charakterisiert: Vielfältig ist das Repertoire, vielfältig-bunt die Sängerinnen und Sänger, weltweit die
Reiseziele, sehr flexibel die Einsatzbereitschaft, farbenreich der Humor: Es ist
eine Freude, sie zu erleben und die Früchte der Arbeit zu hören!
Doch lesen Sie selbst ein beeindruckendes VOX-Extra, das von all dem zeugt. Ich
wünsche Ihnen viel Genuss beim Lesen, und ich wünsche der Kantorei, dass sie
noch viele weitere Jahre ihre Stimme erhebt mit dem „Soli Deo Gloria“ – Gott
allein die Ehre. Seid gesegnet und singt von der Hoffnung, die in Euch ist!
Herzlichst
Hauptpastorin und Pröpstin Kirsten Fehrs
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Eine Aufführung: Schütz: Also hat Gott die Welt geliebt (1958) *** Schütz: LukasPassion (1959) *** Mozart: Vesperae solennes de confessore (1965) *** Telemann:
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Inhalt
Inhalt
Seite
Erinnerungen und Gedanken
Heinz Wunderlich
Warum nur 50, warum nicht 350?
Wohnt jedem Anfang ein Zauber inne?
Chorsingen macht Freu(n)de
26 Jahre mit Rudolf Kelber
Musiktheater
Außerhalb und unterwegs
Erlebnisse und Erfahrungen aus jüngerer Zeit
Chorübung und Weltmarkt
Kantorei heute
Das 50. - ein (fast) normales Jahr
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Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Unser Leben währet 70 Jahr (1967) *** Duruflé: Messe "Cum jubilo" (1969) *** J.N.
David: Messe "choralis de angelis" (1971) *** Schubert: Messe Es-dur (1971) ***
Erinnerungen und Gedanken 5
Prof. Heinz Wunderlich: Erinnerungen und Gedanken über die Kantorei ...
... 1978 aus Anlass des zwanzigjährigen Jubiläums
Als ich vor zwanzig Jahren dem Kirchenmusikeramt an St. Jacobi
den Vorzug vor einer
Vollprofessur in Detmold gab, wurde ich
vom damaligen Hauptpastor OKR Adolf
Drechsler gefragt: „Sind
Sie bereit, an dieser
Stelle einen ebensolchen Chor aufzubauen, wie es ihn an den anderen Hauptkirchen bereits gibt?"
Was es bedeutete, in der Innenstadtsituation Hamburgs als Letzter einen leistungsfähigen Chor aufzubauen und gleichzeitig auch im Privatleben am absoluten Nullpunkt neu zu beginnen, soll nicht geschildert werden.
1958 war das große Kirchenschiff noch nicht endgültig wiederhergestellt. Die
Schnitger-Orgel, mit deren Hilfe ich bei Konzerten, unter Assistenz der ersten
Getreuen, für die neu gegründete Kantorei warb, stand auf dem Fußboden des
Steinstraßenschiffs, aber die große Empore, über der sie originalgetreu wiedererstehen und auf der die Kantorei einmal singen sollte, war bereits gegossen.
Als wir mit Händels „Messias" das Einweihungsoratorium für die Kirche vorbereiteten (zur Aufführung am 26. Mai 1959 waren wir knapp 9 Monate alt, doch
bereits 80 Mitglieder stark), gab es dort noch kein Gestühl. Um einen Sitzplan
zum Kartenvorverkauf herstellen zu können, haben Kantoreimitglieder Stühle
umher getragen und einen ersten Plan gezeichnet, der dann auch als Unterlage
zur Einladung von Gästen für die Einweihungsfeierlichkeiten dienen konnte.
Warum ich das erwähne? Nun, ich meine betonen zu können, dass sich die Mitglieder der Kantorei St. Jacobi, vom ersten Tage ihres Bestehens an, über ihr Interesse am geistlichen Singen hinaus, Verdienste um diese Kirchengemeinde erworben haben, auch wenn sie manchmal nicht für jedermann einsehbar gewesen sind.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Reger: Motetten (Meinen Jesum lass ich nicht; O Tod, wie bitter bist du; Mein
Odem ist schwach) (1973) *** J.S. Bach: Messe G-dur (1979) *** Mendelssohn Bar-
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Erinnerungen und Gedanken
... im Gespräch mit Dörthe Landmesser (Mai 2008)
Die Kantorei St. Jacobi feiert ihr 50jähriges Jubiläum. Gab es, bevor Sie Ihr Amt
an St. Jacobi angetreten haben, eigentlich irgendeine Art von Chor?
Heinz Wunderlich: Es gab bezahlte Sänger, die jeden Sonntag zusammengetrommelt wurden, um im Gottesdienst zu singen. Die Leitung dieser Sängergruppe hatte Friedrich Bihn, der 1958 an den Michel ging, wodurch die Stelle
an St. Jacobi freigeworden war.
Wie schnell ist die Kantorei denn gewachsen?
Heinz Wunderlich: In den ersten Wochen versammelten sich ungefähr 20 Leute
zum Singen, Anfang November 1958 kam dann ein großer Schub von etwa 3040 jungen Leuten aus dem Jugendchor St. Michaelis, die mit ihrer neuen Leitung nicht zufrieden waren. Bei der ersten Weihnachtsmusik bestand die Kantorei bereits aus 80 Sängern. Durch meine Lehrtätigkeit an der Musikhochschule kamen auch immer wieder Studenten in die Kantorei.
Erinnern Sie sich noch an das erste große Projekt der Kantorei?
Heinz Wunderlich: Das erste große Konzert war die Aufführung des „Messias“
von G.F. Händel, die Proben dafür begannen im Januar. Das erste Problem war
bereits, dass es keinerlei Notenmaterial gab, denn das komplette Notenarchiv
war im Krieg verbrannt. Erst durch Sponsoren aus der Gruppe der Oberalten
konnten Noten angeschafft werden. Dieses erste Oratorium wurde noch von der
Empore aus musiziert. Die Empore ragte damals noch bis zur ersten Säule in
den Kirchenraum hinein und bot natürlich ganz andere Platzverhältnisse als
heute.
Golgatha'
„Macht los! 'Nach
de noch
- wir kommen gera
"
n.
hi
bis halb zehn
n“; HW)
(„Johannes-Passio
Wie häufig ist der Chor aufgetreten, wurde
tatsächlich weiter jeden Sonntag im Gottesdienst gesungen?
Heinz Wunderlich: Anfangs hat der Chor
jeden Sonntag gesungen, später wurden
daraus alle 14 Tage.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
tholdy: Paulus (1980) *** J. Haydn: Kleine Orgelsolomesse (1983) *** Biber: Missa
Salisburgensis für 53 Stimmen (1983) *** Brahms: Drei Motetten op. 10 und Mo-
Heinz Wunderlich 7
... und noch einmal mit seinem Grußwort zum Jubiläum 1978
Wir sind im Laufe der Jahre zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen, die
sich in vielerlei Hinsicht bewährt hat. In diesem Zusammenhang denke ich
dankbar an die hinter uns liegenden 14 USA-Tage zurück, die zweifellos einen
Höhepunkt in unserer gemeinsamen Arbeit darstellten, nicht zuletzt auch durch
die eindrucksvollen Erfahrungen mit dem, was man in den USA unter Kirche
versteht.
Die Kantorei St. Jacobi - das wünscht sich ihr im Dienste der MUSICA SACRA
nun schon ergrauter Gründer und Kantor - möge noch viele Jahrzehnte, auch
über seine eigene Wirkungszeit hinaus, in diesem Sinne weiterarbeiten.
Prof. Heinz Wunderlich
- Gründer und Leiter der Kantorei von 1958 bis 1982 -
„Sie wissen
, ic
bin gegen d h
as
Atmen.“ (HW
)
Heinz Wunderlich
Heinz Wunderlich, 1919 in Leipzig geboren, studierte in
seiner Heimatstadt bei dem legendären Orgelprofessor
und Thomaskantor Karl Straube und bei Johann Nepomuk David Komposition. Bevor er 1958 als Kirchenmusikdirektor an die Hauptkirche St. Jacobi in Hamburg
berufen wurde, hatte er von 1943 bis 1957 die gleiche
Position an der Moritzkirche in Halle (Saale) inne und
war Dozent für Orgel an der Evangelischen Kirchenmusikschule sowie an der Staatlichen Hochschule für Musik. Auch in Hamburg lehrte er neben seinem Kantorenamt, aus dem er sich 1982 zurückzog, von 1959 bis
1989 an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater als Professor für Orgelspiel und Improvisation.
Bereits das erste große Konzert der Kantorei St. Jacobi, Händels „Messias“, hinterließ einen starken Eindruck und die Kritikerin Eva Schreiber, zu einer Probe
des „Weihnachtsoratorium“ eingeladen, hielt 1959 fest: „... wir müssen sagen,
die Musikalität und Lebendigkeit dieser Kantorei ist noch ausgeglichener, noch
einheitlicher geworden. ... die Atmosphäre einer Probe bannt auch den Zuhörer.“
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
tette op. 74,1 (1983) *** Hambraeus: Motetum Arcangeli Michaelis (1983) *** Penderecki: Stabat mater (1983) *** Palestrina: Drei Motetten [O crux ave spae, O vos
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Warum nur 50, warum nicht 350?
Hier lernte man Kantor und Chor weit besser kennen, als bei jedem Interview.
Das Feuer, die Begeisterung des Dirigenten übertrug sich auf die hundert Menschen, die hier konzentriert und hart arbeiteten. Die lange Wege zurückgelegt
haben, um aus dem Groß-Hamburger Raum abends noch einmal in die Innenstadt zu kommen, und die jetzt die Müdigkeit und Abgespanntheit ihres Berufstages, ihrer Studien- und Schularbeiten nicht Raum gewinnen ließen, die
mitsingen, etwas begriffen von dem, was hinter Text und Musik steht, als sie
sangen ... ich bringe, geb und schenke dir, was du mir hast gegeben“.
Heinz Wunderlich, der als Orgelvirtuose weltweites Ansehen genießt, machte
sich auch als Komponist einen Namen. Neben Orgel- und Chorwerken ist sein
Hauptwerk wohl das szenische Osteroratorium „Maranatha – Unser Herr
kommt“. Das Werk entstand 1953 und wurde zweimal, 1961 und 1979, in
St. Jacobi szenisch aufgeführt. Wunderlichs Beziehungen trugen sicher dazu
bei, dass 1961 das Schallplatten-Label CANTATE die Kantorei für die Produktion
der „Fest- und Gedenksprüche“ von Johannes Brahms und von zwei BachKantaten verpflichtete. Später veröffentlichte Heinz Wunderlich auf dem Label
Arp-Schnitger-Records neben seinen berühmten Bach- und RegerInterpretationen auch von der Kantorei gesungene Chorwerke.
Eine Auswahl von Aufnahmen, die unter Heinz Wunderlich und Rudolf Kelber
entstanden, ist auf der zum Jubiläum veröffentlichten Doppel-CD „Gott loben,
das ist unser Amt | 50 Jahre Kantorei St. Jacobi“ zu hören.
Günter Adam Strößner
- Mitglied der Kantorei seit 1979 Sind wir ein Nachkriegsprodukt ? Warum nur 50, warum nicht 350 ?
„Ein minimales Decrescendo bitte als Attribut des guten Geschmacks" (RK)
Ein 50. Jubiläum der Kantorei wirkt angesichts der langen musikalischen Tradition an den Hauptkirchen und auch an St. Jacobi seltsam kurz gegriffen. Eine
300jährige Orgel mit einzelnen Pfeifen, die fast 500 Jahre alt sind, und ein Chor
von nur 50 Jahren, das will nicht zusammenpassen. Sicher wurde in dieser Kirche schon im Mittelalter anspruchsvoll figural musiziert. Aber während die
Münchner Hofkapelle oder die Dresdner Staatskapelle, die an entsprechenden
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
omnes, Tenebrae factae sunt] (1983) *** Schütz: Komm Hl. Geist (1984) *** Monteverdi: Dixit dominus (1984) *** Penderecki: Psalmen Davids (1985) *** Strawinski:
Warum nur 50, warum nicht 350? 9
Stellen auch die kirchenmusikalische Arbeit repräsentieren, 450 Jahre auf Orlando di Lasso und 400 Jahre auf Heinrich Schütz zurückgehen können, soll in
Hamburg nur die Nachkriegszeit als Bezug dienen? Was ist denn mit Praetorius,
Weckmann, Selle, Bernhard, Telemann und dem zweitältesten Bach-Sohn?
Ein japanisches (!)
Forschungsprojekt
über die Geschichte
der Kirchenmusik an
den Hamburger
Hauptkirchen hat
mich darauf gebracht, darüber einige Gedanken anzustellen, unter anderem auch über die
feinen Unterschiede
zwischen Hamburg
und wirklichen Musikstädten wie München, Wien, Dresden oder Leipzig. Der wesentliche Unterschied liegt zuerst einmal im Gegensatz Residenzstadt - Reichsstadt. Die fürstlich angeregten kulturellen Aktivitäten waren allemal den bürgerlichen – vom
(Pfeffer)säckel abgesparten – Bemühungen überlegen. Aber unter allen Freien
Reichs- und Hansestädten hat Hamburg sicher einen führenden Platz. Die Gänsemarktoper als erste bürgerliche Musiktheatergründung in Deutschland ist das
Symbol hierfür. Ein Georg Philipp Telemann ist nicht nur wegen der guten Luft
von Frankfurt nach Hamburg gewechselt.
Also wagen wir den Vergleich mit Leipzig, auch eine Bürgerstadt, die am Handel
gut verdient hat. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts scheint die Struktur etwa
vergleichbar: hier wie dort der Knabenchor als städtische Institution in Zusammenarbeit mit städtischen Profimusikern. Der entscheidende Unterschied in der
Entwicklung liegt im 19. Jahrhundert. Während die Knabenchöre in Leipzig und
Dresden (der Kreuzchor war ebenfalls städtisch) ihre Arbeit auch unter veränderten gesellschaftlichen und ästhetischen Voraussetzungen des 19. Jahrhunderts weiterführten, erfolgt in Hamburg die Abschaffung der Kantorei als Institution nach dem Tod des Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Nachfolgers Christian
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Threni (1985) *** Praetorius: Wie schön leuchtet der Morgenstern, Geistliches Konzert zu drei Chören (1985) *** J.S. Bach: Oster-Oratorium (1985) *** J.S. Bach:
10 Warum nur 50, warum nicht 350?
Friedrich Schwenke. Es folgt eine Zeit, in der zwar Konzerte von bürgerlichen
Musikvereinen auch in den Hauptkirchen durchgeführt wurden, der Organistenberuf aber eher amateurisiert wurde. Das Chorwesen verlor an Schlagkraft, Virtuosität und Wendigkeit. Als Beispiel sei angeführt: Selbst die Berliner Singakademie, mit der Mendelssohn die Bach -Renaissance („Matthäuspassion“ 1829)
einläutete, war in dieser Zeit nicht imstande, Bachs h-moll-Messe zu singen. Zu
weit waren die Kenntnisse des letzten Jahrhunderts verschüttet.
Erst die Singebewegung des angehenden 20. Jahrhundert brachte im weitesten
Sinne die Voraussetzungen für das, was heute als selbstverständlich gilt: Besinnung auf die Blütezeit der Vokalpolyphonie, kleine Ensembles, a cappella oder
in Begleitung durch Ensembles mit wenigen Instrumenten, in der Tendenz anfänglich alternativ, gegen die großen bürgerlichen Gesangsvereine, aber zu Beginn sehr amateurhaft, belächelt von den Profis. In mehreren Schüben hat sich
im 20. Jahrhundert die vokale und instrumentale Kompetenz dann professionalisiert. Die professionellen und halbprofessionellen Ensembles färbten auch auf
die ehrgeizigen Amateurchöre ab, deren Leistung sich stetig steigerte. Man vergleiche etwa den Klang des Chores in den Aufnahmen der h-moll-Messe von
Günter Ramin (Bachfest 1950), Karl Richter (München 1965) mit heutigen Spitzen-Laienchören dieser Größe, gerne auch mit der Kantorei St. Jacobi: Man wird
eine Entwicklung von einem etwas befremdlich an Militärischem orientierten
Chorklang zu zivilisierter Kultur feststellen können.
Denkt man diese Gedanken einer bewussten historischen Verankerung zu Ende,
liegt keine Patentlösung am Weg. Zwischen historistischer Nostalgie - die Kantorei müsste sich vielleicht mit irgendeinem alten in Fraktur geschriebenen Namen, in dem mindestens ein „ey“ vorkommt, künstlich Gewicht verschaffen –
und einem verengten Blick nur auf die letzten 50 Jahre gibt es durchaus einen
Weg in die Zukunft. Und der heißt auch: Selbstbewusstsein des mittelgroßen
Amateurchors mit durchaus professionellen Leistungsansprüchen gegenüber dem heute grassierenden Beset„Es sind nur 5 Proben
zungs -Minimalimus. Die Arbeit der anspruchsvoll operiefür das Weihnachtsrenden Kantorei ist demgegenüber nicht nur Breitensport,
oratorium, und dasondern ein ernstzunehmendes Modell auch für die Zuvon brauche ich 4
kunft. Die Gründung 1958 und der Weg bis 2008 haben
Proben für die Mateine Würde, die niemand schmälern sollte.
thäus-Passion." (HW)
Rudolf Kelber
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Himmelfahrts-Oratorium (1985) *** Händel: Nisi Dominus (1985) *** Händel: Anthem O praise the Lord (1985) *** Schütz: Weihnachtshistorie (1985) *** Friedrichs:
Wohnt jedem Anfang ein Zauber inne? 11
"Wohnt jedem Anfang ein Zauber inne?"
In der Rückschau nach nunmehr 50 Jahren vielleicht. In der Realität der Jahre
1958/59 aber war das Zauberwort: Improvisation. Das Hauptschiff der Kirche
befand sich in der Phase des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, und
auch das Südschiff war nur ein notdürftig hergerichteter Gottesdienstraum mit
eingezogener, gerader Holzdecke. Das Schmuckstück der Hauptkirche St. Jacobi,
die Arp-Schnitger-Orgel, war bereits spielfähig in der Norderkapelle - der heutigen Denkmalschutzwerkstatt - eingebaut. Es konnten regelmäßig Orgelkonzerte
von Prof. Heinz Wunderlich stattfinden. Gleichzeitig fand sich auch der erste
Aufruf zur Gründung einer jungen Kantorei am Ausgang zur Steinstraße unter
dem Motto:
Soli Deo gloria
Die erste Chorprobe, an der ich 1958
teilnahm, hielt Prof. Wunderlich im
damaligen Konfirmandenraum
(Jakobikirchhof 9) ab. Ich traf dort
auf eine Handvoll junger Sänger und
eine größere Gruppe älterer Herrschaften. Diese Zusammensetzung
änderte sich von Woche zu Woche.
Es entstand eine junge Kantorei, die
bereits nach drei Monaten im Südschiff ihr erstes weihnachtliches
Konzert mit Motetten (u.a. Heinrich
Schütz: Also hat Gott die Welt geliebt), Kantaten und Weihnachtsliedern darbieten konnte. Der Probenort wechselte laufend: Einmal Südschiff, dann wieder
Konfirmandenraum oder auch ein Raum in einer Schule in St. Georg.
Im Laufe der nächsten zwei Jahre fanden dann eine Reihe von sehr feierlichen
Gottesdiensten - immer unter Mitwirkung der Kantorei – statt. Es begann im
Mai 1959 mit der Wiedereinweihung des Hauptschiffs. Prediger waren damals
Oberkirchenrat A. Drechsler, mehr oder weniger liebevoll „der alte OKI" genannt,
und Gemeindepastor E. Kruse. Abends gelangte dann Händels „Messias" zur
Aufführung, das erste große Konzert der Kantorei. Es folgten weitere Festgottesdienste zu den jeweils gegebenen Anlässen: Weihe der Glocken, Einbau der
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Das Äußerste aber ist die Liebe (1986) *** Brahms: Messe (1986) *** J. Haydn: Nelson-Messe (1986) *** C.P.E. Bach: Michaelismusik für 2 Chöre Wq 217 (1986) ***
12 Chorsingen macht Freu(n)de
Kirchenfenster von Crodel, Anbringung des Weberschen Hauptportals, Wiedereinbau der Arp-Schnitger-Orgel auf der Empore und Aufsetzen des Turmhelms.
St. Jacobi war wie ein Phönix aus der Asche ins Gemeindeleben und ins Stadtbild zurückgekehrt.
Die Kantorei St. Jacobi, seit 1982 dann unter der Leitung von KMD Rudolf Kelber, darf in diesem Jahr auf ihr 50-jähriges Bestehen zurückblicken. Es war und
ist eine reiche und gute Zeit in gemeinsamer Liebe zur Musik und zu St. Jacobi
mit wohlwollender Begleitung des Kirchenvorstandes.
„Es geht bis zur PersönSoli Deo gloria!
lichkeitsspaltung - jeder
ist sein eigener BeichtGisela Stapelfeldt
vater." (Fugenthema
- Mitglied der Kantorei von 1958 bis 1998 Kyrie, h-moll-Messe;
RK)
„Chorsingen macht Freu(n)de!“
Dieser Werbeslogan am Auto einer Chorleiterin fiel mir spontan ein, als wir Anfang des Jahres an die Vorbereitungen für das 50. Chorjubiläum der Kantorei
St. Jacobi gingen.
Von 1960 bis 2000 hatte ich gut 40 Jahre in der Kantorei mitgesungen, und
diese schöne und unvergessliche Zeit wurde bei der Durchsicht der zahllosen
Fotos, Konzertprogramme und Reiseberichte wieder lebendig. Ich war 1958 aus
Halle nach Hamburg gekommen und besuchte hier ein Konzert der Kantorei
St. Jacobi, bei dem auf ausgelegten Zetteln um neue Chorsänger geworben
wurde. Ich bewarb mich bei Heinz Wunderlich und wurde in einem persönlichen
Brief freundlich zur nächsten Chorprobe eingeladen. Die Proben fanden damals
noch im Südschiff statt. Die 1958 neu aufgebaute Kantorei hatte inzwischen
eine stattliche Mitgliederzahl durch viele junge Sängerinnen und Sänger erreicht. Doch nach den Proben gingen und fuhren alle sofort nach Hause, denn
die Sänger/innen wohnten alle in weiter entfernten Stadtteilen oder sogar außerhalb Hamburgs. Das war übrigens auch der Grund, weshalb es für jede Chorprobe und fürs Gottesdienstsingen von der Kirche 2,-- bzw. 3,-- DM Fahrgeld
gab, das wir für unsere Reisen aufsparten! Gelegenheit zum besseren Kennen
lernen gab es also kaum, man musste am Sonnabend zur Schule, zur Uni oder
zur Arbeit. Die 5-Tage-Woche wurde erst viele Jahre später eingeführt.
Bald wurde ich jedoch von einem Chormitglied angesprochen und in die sich
bildende Chorgemeinschaft eingeladen. So fand ich meine ersten Freunde im
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Webber: Requiem (1987) *** Bernstein: Chichester Psalms (1987) *** Schnitzer:
Missa C-dur (1987) *** Messiaen: O sacrum convivium (1987) *** C.P.E. Bach: Klop-
Chorsingen macht Freu(n)de 13
Chor. Auf Chorfreizeiten und Konzertreisen wurde der Freundeskreis erweitert
und gefestigt. Die Freude am Singen war das Bindende, dazu kamen dann private Einladungen und Unternehmungen, zu Hochzeiten von Chormitgliedern wurde gesungen, „Chorkinder“ wurden geboren und manchmal zu Patenkindern.
Als Gisela Stapelfeldt und ich 1970 in den Kirchenvorstand gewählt wurden –
eine ungeheure Verjüngung des altehrwürdigen Gremiums –, dehnten wir unsere Aktivitäten in St. Jacobi aus. Der Weihnachtsmarkt wurde von Gisela Stapelfeldt und Almut Bohle ins Leben gerufen, viele Kantoreimitglieder waren begeistert ehrenamtlich dabei, einige sind es bis heute geblieben.
Als wir nach den Chorproben noch zusammensitzen wollten, in der Innenstadt
jedoch kein Lokal fanden,
richteten wir die Jacobiklause im Turm ein. Wir
feierten im Freundeskreis
unsere Geburtstage gemeinsam, Reisen wurden je
nach Interessenlage zusammen unternommen,
man traf und trifft sich bis
heute zu Gartenfesten,
macht Radtouren, ein
„Spielkreis“ wurde gegründet, und die heute nicht
mehr aktiven Sängerinnen treffen sich seit vielen Jahren regelmäßig zu den
„Kantorex“-Terminen.
Auch das ehrenamtliche Engagement blieb bis heute erhalten. Als das
„Turmcafé“ 1989 als Beitrag zum „Fest des Glaubens“ zum ersten Mal stattfand
und dann eine feste Einrichtung wurde, waren es wieder meine Chorfreunde,
die Torten und Kuchen spendeten und für das Wohl der Gäste sorgten. Längst
sind helfende Freunde neu dazu gestoßen und seit vielen Jahren Mitglieder in
der Kammer für Kirchenmusik und damit zu wichtigen Förderern geworden. So
sind wir der Kirchenmusik alle treu geblieben. Rückblickend kann ich mir mein
Leben ohne meine vielen Freunde in und um St. Jacobi gar nicht mehr vorstellen. Ja, Chorsingen macht wirklich Freu(n)de!
Heidi Ehrhardt
- Mitglied der Kantorei von 1960 bis 2000 Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
stocks Morgengesang am Schöpfungstage (1988) *** Schönberg: Ein Überlebender
aus Warschau (1988) *** Dessau: Deutsches Miserere nach Bertolt Brecht (1989) ***
14 26 Jahre mit Rudolf Kelber
Seit 1982 mit Rudolf Kelber - Herausforderungen und (be)glückende Experimente
Rudolf Kelber, 1948 in Traunstein geboren, hatte schon während der Gymnasialzeit in Nürnberg das städtische Konservatorium besucht und Unterricht in
den Fächern Klavier, Orgel, Violoncello und Musiktheorie erhalten. Das Studium
der Kirchenmusik begann er 1967 an der Musikhochschule in München. Später
kamen die Kapellmeisterausbildung sowie ein vertiefendes Orgelstudium dazu.
Lehrer waren u.a. Karl Richter und Franz Lehrndorfer (Orgel), Maria LandesHindemith und Erik Then-Bergh (Klavier) sowie Jan Koetsier und Kurt Eichhorn
(Dirigieren). Nach dem Studium ging Kelber als Theaterkapellmeister nach Gelsenkirchen und Heidelberg, bevor er mit dem Schritt nach Hamburg in die Welt
der Kirchenmusik zurückkehrte.
Ein Bayer, der in Franken aufwuchs, in Hamburg - eine experimentelle Situation, wie den beteiligten Kirchenleuten und Musikern vom ersten Moment an
deutlich wurde. Konnte das auf Dauer gut gehen? Natürlich konnte es, schließlich steht - angeblich - auch das Hamburger Rathaus auf Pfählen von fränkischen Baumstämmen.
Die glatte Assimilation
fand nicht statt: alpenländische Weihnachtsmusiken, Jodler
zum Ein(?)singen,
Übersetzungen ins
Niederbayerische,
frängische Umlaudungen und der spezielle
Kontakt zu jedem
Chormitglied, das auch
nur im Endfärndesden
dem
frankobajuwarischen Kraftfeld entstammt - all
das ist auch nach 26
Jahren noch an der
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
J. Haydn: Paukenmesse (1989) *** Schütz: 100. Psalm (1989) *** Schütz: Magnificat (1989) *** Stahmer: Davids Lobgesang (1989) *** Caldara: Crucifixus (1990) ***
26 Jahre mit Rudolf Kelber 15
Tagesordnung. Und das ist gut so, denn der landsmannschaftliche ist neben
dem tages- bzw. sozialpolitischen und dem musikimmanenten Scherz ein unverzichtbares Gewürz der allwöchentlichen Chorprobe. Die Kantorei eine Spaßgesellschaft? Unterhaltungsprogramm am Freitagabend? Nun ja, die heutigen
Kantoreimitglieder haben es kaum je anders erlebt, als einem geistblitzenden,
Pointen verschießenden, zuweilen selbst von seinen skurrilen Einfällen überraschten Sponti gegenüberzusitzen, dessen Ideen-Vitalität man sich kaum entziehen kann. Der begnadete Assoziationskünstler und pianistische Improvisator
nimmt sich die Kantoristen gern auch für ein paar Minuten als Publikum. Genuss ohne Reue. Die Kantorei ist - learning by doing - geübt im blitzschnellen
Umschalten vom konzentrierten Ernst zum Spannung lösenden Gelächter und
zurück - "piano gucken, mezzoforte singen". Da fliegen die Funken auch einmal
hin und her, inspiriertes Miteinander entsteht in und außerhalb der Musik.
Jeder, der je dabei war, weiß: Die Proben haben Tempo und Spannung, exemplarisches Lernen ist das Prinzip, Langeweile der erklärte Feind. Einzelstimmen
und ihre Normabweichungen werden - trotz der meist obligatorischen Klavierbegleitung - gehört, schnell unterbrochen, nachbearbeitet, mit einer anderen
gekoppelt einmal - einmal! - wiederholt, und dann sollte der gewünschte Effekt
doch bitteschön erreicht sein. Und die Kantorei ist, zumindest in der Spannweite vom Bass bis zum Mezzosopran, auch jederzeit gefasst auf den Dritten Mann,
der sich da teilnehmend einschaltet: den Kantor, der sein Amt sehr wörtlich
nimmt. Auch hilft der Tanz, vor allem in seinen höfischen Spielarten, vieles erklären. Alles in allem eine ziemlich einzigartige didaktische Gewürzmischung.
Wenn solche auflockernden Elemente der Probenarbeit hier herausgestellt werden, dann deshalb, um zu erklären, dass die Kantorei anders, ohne die retardierenden, Spannung lösenden Momente, gar nicht das enorme Tempo und die Intensität der Proben würde bewältigen können. Staunend nimmt man Jahr für
Jahr die Bilanz der geleisteten kleineren und großen Aufführungen zur Kenntnis. Die Musizierenden mitnehmen zur Hochspannung der Konzertsituation: das
impliziert für einen Laien-Chor auch das Risiko des Nicht-Perfekten, zuweilen
einer kleinen Frustration von Beteiligten darüber, dass nicht alles optimal aufgegangen ist, obwohl man das vielleicht hätte erreichen können. Aber immer
und immer wieder überwiegt: dankbares Erleben von Momenten des Gelingens,
konzentrierten inspirierten Miteinanders in der Musik, Freude darüber, unverwechselbare Situationen geschaffen zu haben, in denen von der aufgeführten
Musik Geist und Sendung ausging. Und auf die Musizierenden zurückwirkte.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Pergolesi: Stabat mater (1990) *** Gluck: Iphigenie auf Tauris (szenisch, Musikhochschule) (1990) *** Durante: Magnificat (1991) *** Pärt: Te Deum (1991) ***
16 26 Jahre mit Rudolf Kelber
Ein Besonderes der Ära Kelber ist sicherlich die programmatische Neugierde, das
Ausprobieren, Experimentieren, das Ansteuern neuer Ufer. Bald nach seinem
Amtsantritt gründete Kelber das Kammerorchester St. Jacobi, das seit 1999 unter dem Namen Concertone Hamburg auftritt. Als Cythara Ensemble firmiert
daneben die Besetzung mit historischen Instrumenten für die barocke Aufführungspraxis. Ebenfalls 1982 rief er das Vokalensemble als Kammerchor neben
der Kantorei ins Leben. Mit diesen Klangkörpern, nicht zu vergessen die Kemper- und die Schnitger-Orgel, deren Restaurierung er mit größter Energie betrieb, standen für die unterschiedlichsten Anforderungen hinreichende
‚Instrumente' zur Verfügung.
Natürlich ist dem gelernten Opernkapellmeister die theatralische Aktion ein
Herzensanliegen - davon handelt der nächste Abschnitt. Und ebenso selbstverständlich erscheint uns Event-gestählten Gegenwartschristen der Trend zu
Großereignissen wie einem „Bach -Marathon" über 8 Stunden (schon 1988!), einer „Italienischen Nacht", einer „Mozart-Nacht" im 250sten Geburtsjahr des
Salzburger Meisters oder den Arp-Schnitger-Nächten im Gefolge der großen
Orgelrestaurierung. Aber da herrscht nicht einfach Genosse Trend und schon gar
nicht pures Originalitätsbedürfnis. Vielmehr schafft die Mischung unterschiedlichster Werke, heterogener Stilformen und der Aufführungsorte in den Kirchenräumen die Möglichkeit, neues, neugieriges Publikum nach St. Jacobi zu
holen. Grenzüberschreitungen sind in diesem Umfeld Reiz und weniger Risiko,
etwa wenn liturgischen Elementen literarische Texte und eine leidenschaftliche
italienische Verismo-Oper wie die „Cavalleria Rusticana“ von Mascagni gegenübergestellt wurden. Für die Kantorei Gelegenheit zum erfreut akzeptierten Rollenwechsel zum Opernchor. Themennächte und -konzerte schaffen auch Raum,
in einer entspannteren Atmosphäre als im herkömmlichen Konzert selten gespielte Musik zu präsentieren. Beispielsweise die reiche, mit St. Jacobi ganz
maßgeblich verknüpfte norddeutsche Barockmusik vor Bach, deren Darbietung
die 8- bis 16-stimmige Kantorei vor höchst interessante Herausforderungen
stellte. Namen wie Thomas Selle, Hieronymus Praetorius oder Matthias Weckmann tauchen denn auch immer wieder in Gottesdiensten oder Motettenprogrammen auf, nicht nur in der einschlägigen Themennacht des Jahres 2004.
Originelle Konzertprogramme jenseits des großen Traditionsrepertoires hat die
Kantorei gern mitgetragen in dem Bewusstsein, mit Innovativem und Ausgefallenem auch neue Hörer erreichen zu können. Beispielsweise stellte Kelber 1988
vor und nach die „h-moll-Messe“ Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau".
Das Mozart-Requiem stand 1991 Alban Bergs Violinkonzert „dem Andenken eiAufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Bruckner: Te Deum (1992) *** Poulenc: Exsultate (1992) *** J. Haydn: Große Orgelsolomesse Es-dur (1993) *** Dvorák: Requiem (1993) *** Orff: Carmina Burana
Musiktheater im Kirchenraum 17
nes Engels" gegenüber. Zum Reformationstag 2004 inszenierte man in St. Jacobi einen historischen Gottesdienst „'Theatromania' oder 'Die Werke der Finsternis'" in der Gottesdienstordnung von 1699 mit Dialogpredigt für und wider die
Oper mit Musik von Christoph Bernhard und Johann Gerstenbüttel. Und 2005
koppelte Kelber die von ihm rekonstruierte Fassung von Mussorgskis
„Glagolitischer Messe für die Heiligen Kyrill und Method" mit der „St. Johannes
Damaszenus Kantate" von Sergej Tanejew.
Der Kantorei fielen schließlich auch mehrfach geburtshelferische Aufgaben bei
Kompositionen und Neu-Arrangements ihres Leiters zu. Als Beispiel herausgegriffen sei hier nur die „Missa super cantus Lennonenses McCartnesque" (2002),
der Legende nach ganz überwiegend die Frucht eines Skiurlaubs.
Und überhaupt, die kollateralen oder Unter-Töne: sie haben gern ein paar oder
auch ein paar mehr subversive Schwingungen, die nur Neulinge zuweilen als
Paukenschläge deuten. Da fliegt dem öffentlichen Dienst die bürokratische Tongebung auf Antrag mit doppeltem Durchschlag an den Kopf. Und man sollte
wissen, wie ein „Guantanamo-Akkord" zu gestalten ist. In der Regel weiß sich
Rudi Kelber mit seinem Chor sehr einig, und wem nicht alles gleichermaßen
schmeckt, der hat dennoch viel klammheimlichen Spaß, soviel jedenfalls, wie es
einer heutigen christlichen, aber nicht eben kreuzbraven Kantorei gut zu Gesicht steht.
„Im
we mer
Günter Adam Strößner, Ulrich Hagenah
ben rden wiede
- Mitglieder der Kantorei seit 1979 bzw. 1990 sch Sac diese r
luc hen lkt." ve
(HW r)
Musiktheater im Kirchenraum
Kantorei ist weit mehr als Singen. Chorsänger und -sängerinnen in St. Jacobi
müssen damit rechnen, immer wieder auch zur szenischen Aktion herangezogen
zu werden, oder umgekehrt gesagt: die Chance zum theatralischen Agieren zu
bekommen. Das begann bereits drei Jahre nach der Gründung, im November
1961, im Rahmen des in Hamburg stattfindenden Heinrich -Schütz-Festes: die
szenische Aufführung des Oratoriums „Maranatha - unser Herr kommt" des
Kantors Heinz Wunderlich im - 1959 wieder eingeweihten - Hauptschiff der
Kirche. Im November 1979 hat die Kantorei diese Aktion noch einmal erfolgreich wiederholt.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
(1994) *** Verdi: Quattro Pezzi Sacri (1994) *** Händel: Jephtha (szenisch, 4 Aufführungen) (1994) *** Kodály: Psalmus Hungaricus (1996) *** Händel: Saul (1996) ***
18 Musiktheater im Kirchenraum
Vor allem wurde das Musiktheater im Kirchenraum aber ein Markenzeichen der
Ära Kelber. Er kam nach acht Jahren Praxis als Operkapellmeister in Gelsenkirchen (1974-76) und Heidelberg (1976-82) nach Hamburg und machte mit seinen frischen Ideen Jacobi zu einem Ort kreativer musik-theatralischer Darstellung, der Experimente mit den räumlichen Möglichkeiten der Kirche, insbesondere der Auseinandersetzung mit geistlichen Inhalten in aktuellen Bildern.
Es begann 1985 mit
„Samson", Händels Oratorium
von 1743 in einer szenischen
Einrichtung von Matthias Remus, die 1987 noch einmal
wieder aufgenommen wurde.
Nicht als „szenische Turnerei", sondern konzentriert auf
die in der Musik fein analysierten, ja sezierten psychischen Entwicklungsprozesse
inszenierte der Regisseur
Samsons Schicksal als
„Schauspiel der Seele und des Leibes". Der Chor wurde geteilt in Juden und Philister, ihm fiel die Aufgabe zu, harte dramatische Gegensätze (Philister - Juden,
Sieger - Besiegte, Dagon - Jehova) zu markieren und auszuspielen. Um die
raumumspannende Konzeption in Jacobi akustisch zu untermauern, wurde das
Orchester eigens geteilt, der Philister-Chor erhielt so ein eigenes Begleitinstrument.
„Kraftakt in der Jacobikirche" überschrieb der Kritiker Georg Borchardt seinen
Bericht im Hamburger Abendblatt vom 12. März 1985. In der Tat, „Kraftakte"
waren notwendig, auch im eigentlichen Sinn des Wortes. Für uns Kantoreimitglieder fing es bereits mit der Einstudierung des Werkes an, da wir fast alle zum
ersten Mal eine so große Partie auswendig lernen mussten. Auch im „Chor der
Israeliten" war sie nötig, wenn wir während der Ouvertüre auf dem Weg ins Exil
mit unserer armseligen Habe den zur Bühne umfunktionierten Altarraum zu füllen hatten. Um glaubhaft zu wirken, waren die schäbigen Koffer, die wir mitschleppten, zuvor mit Gesangbüchern gefüllt worden. Und nachdem Samson im
2. Akt vom einstürzenden Dagon erschlagen wurde, machten sich sechs Männer
aus dem Juden-Lager auf, um ihn, auf ihren Schultern tragend, über eine steile
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Herzogenberg: Die Geburt Christi (1996) *** Saint-Saëns: Oratorio de Noël (1996)
*** Brahms: Nänie (1997) *** Brahms: Gesang der Parzen (1997) *** Brahms: Schick-
Musiktheater im Kirchenraum 19
Treppe von der Orgelempore in den Altarraum zu holen. Ein „Kraftakt", der von
Händels ergreifendem Trauermarsch begleitet wurde. Für jeden „Leichentransport“, den er unbeschadet übersteht, versprach uns der Titelheld eine Flasche Bier. Bei drei Aufführungen war ein Kasten Bier für die Träger fällig. Nach
der Premiere überschlug sich die Hamburger Presse - wie seitdem nie wieder vor Begeisterung: „Bravo-Rufe für Händels Samson", „Hamburgs bisher wohl
fesselndster Beitrag zum Händel-Jahr", „... auch chorisch und instrumental ausgezeichnet. Die Kantorei St. Jacobi leistete allein durchs Auswendigsingen Außerordentliches", „Was hier unter schwierigen Bedingungen zusammengekommen ist, steht in der hanseatischen Theaterlandschaft einzigartig da". Und Rudolf Kelber selbst lobte in einem Brief, den er zwischen den zwei letzten Aufführungen aus München schrieb, die ausgezeichnete Leistung seiner Kantorei:
„Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich euch eine solche darstellerische Intensität nicht zugetraut hätte. Das verdient höchsten Respekt!"1
1990 folgte mit Christoph Willibald Glucks „Iphigenie auf Tauris" erstmals eine
Oper, aufgeführt in der Hochschule für Musik und Theater, eine Examensinszenierung im Fach Musiktheater-Regie von Nicole Böttger. Eine weitere Diplominszenierung (Udo van Ooyen) brachte 1994 Händels spätes Oratorium „Jephtha"
ins Hauptschiff von St. Jacobi. Hier jedoch spielte der Chor nicht, sondern war
rechts und links der trapezförmigen Bühne als Kommentator nach Art der griechischen Tragödie plaziert. (Nebenbei bemerkt: Für 2009 ist mit „Theodora" ein
weiteres Händel-Oratorium in szenischer Einrichtung vorgesehen.)
Schließlich im neuen Jahrhundert „Jesus Christ Superstar" (2005) und die frühbarocke italienische Oper „Rappresentazione di anima e di corpo" von Emilio de
Cavalieri (2007). Letztere Inszenierung war geplant als Remake einer Heidelberger Version von Johann Kresnik - letzten Endes wurde in Zusammenarbeit des
Kantors mit der Regisseurin Friederike Frerichs eine ganz frisch aktualisierte
Fassung gegeben, die den Zuschauern von der Haupt-, der Nebenbühne, aus den
Kirchenschiffen und von der Empore ein Höchstmaß an Gags, Anspielungen, Assoziationen und optischen Überraschungen bot und so für alle Seiten eine echte
Herausforderung darstellte - einen großen Erfolg selbstredend auch.
Begeistert von der Samson -Aufführung 1985 waren aber auch zwei kleine Mädchen. Zweiundzwanzig Jahre
später eroberte eines davon das »Rote Sofa« anlässlich der Opernaufführung von „Rappresentazione di anima
e di corpo" in St. Jacobi.
1
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
salslied (1997) *** Rossini: Stabat Mater (1998) *** Beethoven: Missa Solemnis
(1998) *** Beethoven: 9. Sinfonie (1999) *** Mozart: Lauretanische Litanei (2000)
20 Musiktheater im Kirchenraum
Einige Worte noch zu „Jesus Christ Superstar" - dem zweifellos aufwändigsten unter
den szenischen Projekten, dem ersten Musical der Kantorei in unserer Kirche. Natürlich
kam diesem Großprojekt des Kantors Vertrautheit mit Pop-, Jazz- und Rockmusik
zustatten. Mit dem Münchner Stephan Joachim wurde ein Regisseur gewonnen, der
mit diesen Genres ebenfalls eng verbunden
war und zudem in seiner Arbeit bewusst einen Schwerpunkt auf Inszenierungen in Kirchenräumen und anderen Spielstätten außerhalb von Theatern gelegt hat. Wir Laiensängerinnen und -sänger hatten es erstmals
mit Musical-Profis zu tun: ganz anderer Pep
in den Nummern, akrobatisch, tänzerisch,
sängerisch eine andere Welt als sonst, da
ging ein spürbar neuartiger Ruck durch den
Chor. O-Ton Kelber: „Dass so intellektuelle Menschen da vor mir derartig herumhampeln würden, hab ich mir nie vorstellen können, unglaublich ..." Aber sie
taten es, in vielen, vielen Proben und acht Aufführungen.
Akustisch kam der Kirchenraum bei diesem Spektakel an seine Grenzen. Eine
gleichmäßige Beschallung war auch mit großem technischem Aufwand nicht
vollständig zu erreichen. Aber szenisch-theatralisch spielte der Raum optimal
mit: im Nordschiff Pilatus' Palast, im Südschiff auf Gerüsten ein Volksauflauf,
der sich als getanzter Sturm der Massen ins Zentrum des Geschehens durch den
Mittelgang des Hauptschiffs fortsetzt, durch den flanierend später auch Herodes seinen Song swingt; im Chorraum die Hauptbühne, und über ihr wird in der
Schlussszene von außen das zentrale Kreuzigungsfenster erleuchtet - ein hinreißender und zugleich nach innen, ins Zentrum des
„Die Kriminalit
ät geht
Stückes zurückweisender Effekt, der die Beteiligten
wie immer vom
Bass
auch bei der achten und letzten Aufführung noch beaus.“ („als ein
Dieb
rührte. Kantorei war hier viel, viel mehr als Singen.
gefangen", Joh
annesPassion; RK)
Günter Adam Strößner, Ulrich Hagenah
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
*** J. Haydn: Theresienmesse (2000) *** Reger: Der Einsiedler (2001) *** Kelber:
Missa Lennonensis McCartnesque (1999) *** F. Martin: Golgotha (2002) *** Franck:
Außerhalb und unterwegs 21
Außerhalb und unterwegs
Schon im dritten Jahr ihres Bestehens, im April 1960, unternahm die Kantorei
ihre erste Konzertreise nach Lausanne, Payerne und Nyon in der Schweiz. 1962
und 1966 ging es nach Schweden, 1968 nach Frankreich, mit Konzerten in Marseille, Toulouse, Lyon und Nizza. Die Schweiz war noch zweimal das Reiseziel
(1976, 1984), daneben Berlin (1964), Großbritannien (1970, 1972, 1975), Mainz
(1973, 1976), wohin man eine Austausch -Beziehung mit dem Mainzer Bachchor
(Ltg.: Prof. Diethard Hellmann) unterhielt, die USA (1978), Finnland (1982), Italien (1984) und zusammen mit dem Orchester St. Jacobi 1986 Brüssel und Paris.
Eine Reise nach Israel fand auf Einladung des Israel Chamber Orchestra 1988
statt. Nach dem Fall der innerdeutschen Grenze unternahm die Kantorei sehr
bald eine Erkundungsreise nach Wittenberge, Halle und Leipzig (Konzert in der
Nikolaikirche, Mai 1990). Es folgten Konzerte in Riga, Tallinn und St. Petersburg
(1992), in Dresden, Prag, Budapest, Wien und Nürnberg (1996), in Arnstadt, Erfurt, Nordhausen, Bayreuth, Regensburg und Salzburg (2000), und seither Touren nach Kreisau, Schweidnitz, Breslau und Krakau (2002), nach Rumänien
(Banat und Siebenbürgen, 2004), nach Tschechien und Österreich (u.a. Budweis,
Krumau, Linz, 2006), und schließlich zum Jubiläum der Kantorei nach Rheinland-Pfalz und ins Elsaß (Wittlich, Landau, Colmar, Kloster Marmoutier, 2008).
Die Kantorei-Reise als solche gibt es in zwei Ausführungen: die Reise mit Orchester zur Aufführung von
Oratorien und Kantaten und die reine Chorreise, bei
der man „unter sich" ist und mehr oder weniger a cappella singt. Beim ersten Typ ist die Spannweite der Erwartungen, Ansprüche und Temperamente naturgemäß erheblich größer. Das birgt zuweilen mehr Konfliktpotential, erinnert sei hier u.a. an das Thema Verteilung von Hotelzimmern zwischen Musik-Profis und
-Amateuren, gattungsmäßig unterschiedliche Ruhebedürfnisse u.dgl.m. Aber die positiven Erinnerungen an solche Reisen sind so viel
gewichtiger: der Austausch, das Miteinander mit den Orchestermusikern belebt
das ohnehin unterhaltsame chorische Reisegeschehen ungemein. Auch sind die
Grenzen fließender geworden, denn es gibt Kantoreimitglieder, die bisweilen im
Concertone spielen oder mal für eine Probe einspringen, oder ihre Kinder haben
es dorthin geschafft, oder eine Geigerin singt ein a-cappella-Konzert mit - die
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Les béatitudes (2002) *** Beethoven: Christus am Ölberg (2003) *** J. Haydn: Die
Sieben Letzten Worte des Erlösers am Kreuz (2003) *** Monteverdi: Marienvesper
22 Außerhalb und unterwegs
Verbindungen sind auf jeden Fall eng und gut, und dazu tragen gemeinsame
Reisen wie die Jubiläumstour in diesem Jahr natürlich ganz erheblich bei. Und
gerade die Reisen in großer Besetzung brachten immer wieder denkwürdige
Konzerte hervor: schon einmal die „h-moll-Messe“ 1992 zum Abschluss einer
Baltikums-Reise im kleinen Saal der Philharmonie in St. Petersburg vor einem
nach alter Musik und historischer Aufführungspraxis ganz begierigen, hochgespannten Publikum, sechs Jahre zuvor Händels „Messiah" in der Brüsseler Kathedrale Saint Michel und in St. Louis en l’Île in Paris, 1988 Händels „Samson"
in Jerusalem, 1996 dann wiederum Händel: „Jephtha" im Saal der Budapester
Redoute (Pesti Vigadó díszterme) im Rahmen der „Kulturwoche Hamburg - Budapest '96", mit großem Empfang in den historischen Räumen zum Abschluss.
Der zweite Reisetypus gerät manchmal vielleicht etwas unkonventioneller, die
kleinere Gruppe macht mehr spontane Aktionen möglich - etwa eine schnell
anberaumte a-cappella-Probe auf einem siebenbürgischen Kirchhof, im Gras
liegend Kirchturm und Sonne anzusingen, „Nun ruhen alle Wälder". Was sonst
in der engen Folge der Konzert- und Gottesdienstaufgaben gern zu kurz kommt,
geschieht quasi naturgemäß auf solchen Reisen: die Kantorei findet und entwickelt ihren a-cappella-Chorklang. Auch da gab es denkwürdige Auftritte und
Konzertorte: genannt seien nur San Marco, Venedig, 1984, Notre Dame, Paris,
1986 und der Rigaer Dom 1992.
Ein ganz nüchternes Faktum darf hier nicht ausgelassen werden: Grundsätzlich
zahlen die Kantoreimitglieder diese Reisen selbst und verwenden dafür gern einen nicht unerheblichen Teil ihres Jahresurlaubs. Sie leisten auch einen Teil der
Vorbereitung. Dankenswerterweise haben die Gemeinde oder in jüngerer Zeit
die Jacobus-Gesellschaft immer wieder wohltuende finanzielle Zugaben gewährt, wodurch jedem Kantoreimitglied ungeachtet seiner finanziellen Situation die Teilnahme möglich gemacht wurde.
Neben den Reisen über 8-10 Tage gab es immer wieder kleinere Abstecher in
die nähere Umgebung: Zuweilen ließ sich ein a-cappella-Programm ganz gut
bei befreundeten Kant- oder Pastoren im Norden ausprobieren, in Husum, Lüneburg, Tribsees oder auch Kisdorf. Immer gab es auch Abstecher mit größerem
Apparat wie in diesem Jahr mit Messiaen in den Bremer Dom, wie 1991 mit
Mozarts „c-moll-Messe“ und Arvo Pärts „Te Deum“ nach Wismar, St. Nikolai,
und Lübeck, St. Aegidien. Oder dann um die Jahrtausendwende mit Ernst Ulrich
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
(2004) *** Ramirez: Navidad nuestra (2004) *** M. Haydn: Hieronymus-Messe
(2005) *** Tanejew: St. Johannes Damaszenus Kantate (2005) *** Debussy: Le mar-
Außerhalb und unterwegs 23
von Kamekes „Moabiter Requiem In Tyrannos", das sich geradezu zum
Exportschlager entwickelte, nicht zur
ungeteilten Begeisterung der doch
sehr eigenwillig geforderten Sängerinnen und Sänger, die aber doch jedesmal von einer großen, sehr beeindruckten und dankbaren Zuhörerschaft entschädigt wurden: 1999
brachte die Kantorei das Werk über
den deutschen Widerstand gegen
den Nationalsozialismus zunächst im
Michel zu Gehör und anschließend
in der Hannoverschen Marktkirche.
Im Folgejahr wurde das Werk im KZ Neuengamme und auf der Expo in Hannover wieder aufgenommen, schließlich nochmals 2003 für Konzerte in Lübeck,
St. Aegidien, und zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin, wo die Musizierenden in der Moabiter Kirche St. Paulus dem Schauplatz der Gefangenschaft und
Hinrichtung ganz nahe waren. Ehrengast war damals der mit dem Komponisten
befreundete Altbundespräsident Richard von Weizsäcker.
Solche besonderen Konzerte an anderen Konzertorten als dem ‚heimischen'
Gotteshaus bleiben im kollektiven Gedächtnis meist auch besonders haften. Die
Kantorei durfte sich auch, vor allem wenn es um weltliches Repertoire ging, an
etlichen Hamburger Spielorten erproben - immer ein Test auf Flexibilität und
Reaktionsvermögen unter ungewohnten räumlichen Umständen: sei es in der
Freien Akademie der Künste, in der Musikhalle, der Rudolf-Steiner-Schule
Farmsen oder in der Rudolf-Steiner-Schule Nienstedten.
Ein Reisebericht früherer Jahre schloss mit Worten, die eigentlich für alle Aktivitäten gelten können, die die Kantorei „außerhalb und unterwegs" unternommen hat: „Mit offenen Sinnen haben die Kantoreimitglieder sehr individuelle
Eindrücke mitnehmen können. Vor allem hat diese Zeit dem Zusammenhalt
wieder neue Impulse gegeben. Und sie hat gezeigt, wie sehr neue Umstände,
Umgebungen und Erfahrungen dem gemeinsamen Musizieren förderlich sein
können."
Ulrich Hagenah
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
tyre de Saint Sébastien (2005) *** Webber: Jesus Christ Superstar (szenisch, 8 Aufführungen) (2005) *** Britten: Saint Nicolas (2005) *** Elgar: The Apostles (2005)
24 Aus jüngerer Zeit
Zehn Jahre ohne freien Freitag ...
Es war noch knapp im letzten Jahrtausend, 1999, als sechs Mitglieder der akademischen Musikpflege zu Hamburg, auch schlicht: Uni-Chor, sich nach dem
großen Werk sehnten …
Ach!, endlich einmal das Weihnachtsoratorium singen dürfen, eine Passion, ein
Requiem! Schluss mit dem mühsamen Erarbeiten weitgehend unbekannter akademischer Literatur, mehr Herz, weniger Schmerz! Aber wohin sich wenden??
Eine Hauptkirche musste es mindestens sein, soviel war klar, denn: wenn man
schon … dann sollte man auch! Aus St. Michaelis gab es furchterregende Nachrichten, der Aufnahmestopp in St. Nicolai war bekannt. Es wurde beschlossen,
einen Späher auszusenden, die Hamburger Hauptkirchenkantoreiszene zu prüfen und eine Durchschlupfmöglichkeit zu finden. Späher Detlev retournierte mit
Flugblättern aus St. Jacobi: zu unserer Überraschung wurde tatsächlich um Beitritte geworben, zu unserer Enttäuschung aber wurden Soprane und Tenöre gesucht (was ja eigentlich wiederum nicht weiter überraschend war…). Und wir?
Nichts als Bässe und alte Frauen! Nach einiger Überlegung folgte trotzdem der
mutige Entschluss: Jetzt oder nie, hingehen, vorsingen, eintreten! Es war
schließlich November und das WO stand unmittelbar bevor …
Also, nach Treffen am
Gerhart-HauptmannPlatz (bloß da nicht
ohne Gruppenschutz
auftauchen …) auf in
den Schnitgersaal zur
ersten Probe, irgendwo
unauffällig untertauchen, Blicke der Alteingesessenen ausblenden, Angst vor’m Vorsingen unterdrücken …
Es half natürlich alles
nichts, die Stunde der
Wahrheit kam, aber ein
rascher, angstgeboreAufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
*** H. Praetorius u.a.: Gertrudenmusik 1607 (2007) *** Cavalieri: Rappresentazione
di anima e di corpo (szenisch, 3 Aufführungen) (2007) *** Messiaen: La transfigu-
Aus jüngerer Zeit 25
ner Vorstoß „Können wir nicht einfach schnell alle zusammen …?“, Rudis kurzzeitige Verwirrung ausnutzend, führte dazu, dass wir schließlich zu sechst vor
dem Meister Aufstellung nahmen, sehr unüblich. Für unsere teils mehr, teils
weniger überzeugende Vorstellung ernteten wir immerhin ein gnädiges „Ihr
dürft mitsingen“, verbunden mit der Mitteilung, aber erst nach einem halben
Jahr vollständig aufgenommen worden zu sein. Die größte Hürde schien genommen!
Aber dann, der Schock: Weihnachtsoratorium in ganzen drei
regulären Proben (viel später wurde uns klar, dass das noch
üppig bemessen war …) - hatten wir uns da nicht völlig
überschätzt?! Und was uns als mindestens ebenso großes
Problem erschien: wie sollten wir bloß den Anschluss an die
Herde kriegen? Was für ein Sozialleben fand da überhaupt
statt und waren wir da willkommen? Oder waren wir ungeliebte Neulinge in der
falschen Stimmlage, die erstmal ein halbes Jahr kritisch beäugt und vor allem
belauscht wurden? Den Einstieg ins all-freitägliche after-choir-Bier hatten wir
irgendwie verpasst, waren zunächst zu sechst beim Italiener am Rathaus untergekrochen, um das Erlebte zu verarbeiten. Oder hatte uns einfach keiner deutlich genug Bescheid gesagt??
„Jetzt mit der
Lupe auf das
Elend!" (RK)
Das erste Konzert wurde jedenfalls mit der Strategie überstanden, den Ton zu
singen, den man bekam, ansonsten bloß immer den Meister anzugucken, und
vor allem in der ersten Reihe singend auszusehen. Im Weiteren musste sich an
die Angst gewöhnt werden, dass im Konzert vor lauter Hingabe sein Taktstock
fallen könnte oder die Brille oder gar er selbst…. Wir entdeckten dann auch
ziemlich schnell unsere bis dahin ungeahnten Fähigkeiten zum musikalischen
multitasking und die Tatsache, dass ‚jetzt noch mal mit Talent’ alles möglich
machen konnte!
Inzwischen hat Maike die Stimmführung für den Alt übernommen, Späher Detlev in den Alt eingeheiratet und Georg ins Concertone Hamburg ... Zehn Jahre
später lässt sich sagen: das Kantoreileben an St. Jacobi ist kulinarisch be- „Da kommt noch dieses Fräulein S.,
die hat 'ne schöne groß
schreibbar: VOLLFETTSTUFE!
e Stimme
mit langen blonden Ha
aren." (HW)
Julia Gebert
- Mitglied der Kantorei seit 1999 Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
ration de notre Seigneur (2008) *** Kodály: Missa brevis (2008) *** Zwei Aufführungen: Wunderlich: Maranatha - unser Herr kommt (szenisch) (1961, 1979) ***
26 Chorübung und Weltmarkt
Chorübung und Weltmarkt - Prolegomena zur Genese von Arbeitspersönlichkeiten in protestantischen Kirchenchören
1. Anlass und Eingrenzung
Die kurzfristig gewünschte Einfügung des sogenannten Schulzwanges in das
Hamburgische Schulgesetz, also die Ermächtigung, der Schule fernbleibende
Schüler auch mit Zwangsmitteln dieser zuzuführen, war mir Veranlassung, der
Geschichte der Schulpflicht in Hamburg nachzugehen. Die Geschichte des schulischen Bildungswesens in Hamburg ist bekanntlich mit der lokalen Kirchengeschichte verbunden. So war denn eine der wenigen fruchtbaren Quellen zum
Schulzwang in den Aktenbeständen der geistlichen Verwaltung des Johanneums
zu finden. In einer Eingabe an den Senat schreibt 1643 der damalige Vorsteher
der Schule, Reimarus Questus: 1 „Wenn denn die Knaben nicht lernen wollen und
schwänzen die Schule und treiben loses Werk oder gaffen den Mägden nach,
anstatt Latein und Geometrie zu lernen, so schaden sie doch nur sich selbst.
Bleiben sie jedoch den Chorübungen fern oder verspäten
sich, so leidet die Qualität der
Kirchenmusik, die doch zu Gottes Lob erklingt. [...S]o fordern
wir das Recht, solche Knaben
durch die Ratswache aus ihren
Lasterhöhlen ziehen und pünktlich in den Probensaal aufstellen
zu lassen.“2 Dieser Archivfund
war dem Verfasser Anlass, dem
Thema „Disziplin in protestantischen Chören“ nachzugehen.3
1 Hier
wie im folgenden sind die Zitate in der sprachlichen Form behutsam an die heutige Orthographie angepasst, sinntragende Eigenthümlichkeiten aber beybehalten worden.
2 Acta Johannei, Staatsarchiv Hamburg 2956/45
3 Vgl. die Studien über die Entwicklung musikalischer Kompetenz bei Leverkühn, Adrian: Knowledge, Keys and
Knock-outs, München 2002, dessen Vorschlag, zur Anpassung an reale Fähigkeiten Notenwerte von mehr als
zwei Schlägen in den Tenorstimmen zu meiden und in der Altstimme auf Vorzeichen zu verzichten allerdings
diskussionsbedürftig ist.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
J. Haydn: Schöpfung (1967, 1983) *** Liszt: Via crucis (1984, 1987) *** Händel:
Samson (szenisch) (1985, 1987) *** Berlioz: L'enfance du Christ (1989, 1994) ***
Chorübung und Weltmarkt 27
2. Topoi der Probendisziplin in der historischen Entwicklung
2.1. Von der Reformation bis zum Beginn der Aufklärung: Sündhaftigkeit des
nachlässigen Chorgesanges
Grundlegend für das Verständnis von Probendisziplin der reformatorischen Zeit
ist Luthers „Sendschrift an die Herren Cantores in Eisenach, eine christlich
Chorprobe zu halten“.4 Luther entwickelt das Thema vom Gleichnis der törichten Jungfrauen aus: Der Sänger, der mit seinen stimmlichen Möglichkeiten
nicht haushalte, verbrenne sein Öl zu früh und werde im Schlusssatz eines größeren Werkes „nit Glanz noch Krraffft“ haben, angemessen zu singen. „Sodann
namentlich die Herren Tenöre das dona nobis pacem nur noch krächzen als die
Raben, so freut’s den Antichristen und päpstlichen Feind.“ Das Gleichnis wird
aber noch in einer weiteren Perspektive fruchtbar gemacht: „Wann aber die
Sänger sein die Jungfrauen, so ist der Bräutigam der Kantor und so der saget:
Beginnet, sollens auch beginnen und nicht schwätzen noch säumen“. Wir halten fest, dass damit zwei Begriffsmerkmale der „Arbeitspersönlichkeit“ im Sinne
der Weber-Schule hier schon angelegt sind: Das des „Fulfillment“ als des Auftrages an den Arbeitenden, die Sache ganz zu erledigen, und das der
„Directiveness“ als der Direktionsunterworfenheit des Arbeitenden. Beide sind
aber nicht weltlichen Regeln, sondern höheren Mächten geschuldet: Der Bräutigam des Gleichnisses steht bekanntlich für den Heiland, dass mit jenem auch
der Chorleiter verglichen wird, zeigt eine Wertschätzung des Kantors, die eine
erhebliche Fallhöhe zur Ausbildungs - und Anstellungspraxis heutiger
C-Kirchenmusiker aufweist.
2.2. Zeit der Aufklärung: Chordisziplin als rechte Erfüllung eines Vertrages
Als C. Ph. E. Bach seinen Dienst in Hamburg antritt, findet er ein etabliertes
bürgerliches Musikleben vor, die kirchliche Musikpflege lässt aber zu wünschen
übrig. Anlässlich einer Aufführung des „Morgengesanges am Schöpfungstage“
schreibt er an Gleim in Halberstadt: „So waren bei der Generalprobe die Choristen wie fast immer nicht pünktlich, strahlend ging die Sonne über Hamburg auf
wie am Schöpfungstage - und fand viele Plätze im Chorsaal leer [...] Sagt nicht
auch die Schrift, der Arbeiter im Weinberg solle das erhalten, was ihm verspro4 Hier
zitiert nach der kleinen Clemen Ausgabe, Berlin 1930 Bd. VII, S. 125 ff.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Mendelssohn Bartholdy: Elias (1989, 1997) *** Mozart: Messe c-moll (1991, 2006)
*** Messiaen: Trois petites liturgies (1991, 2008) *** Britten: War Requiem (1995,
28 Chorübung und Weltmarkt
chen, nun, mir haben sie versprochen, richtig zu singen und das mit Geschmack.“5 Im Nachgang zu diesem Konzert wurde dann auch im Gremium der
Zweiunddreißiger eine „Arbeitsordnung für das öffentliche Musizieren zu Hamburg“ erlassen, welche neben Lohnregelungen auch Strafregelungen für undisziplinierte Sänger enthielt.6
Festzuhalten bleibt, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts Chorsingen nicht
länger als Berufung, sondern als Beruf verstanden wurde – die Pflichten wurden
kollektiv überformt, von der Gründung des Bühnenvereins 1885 über die Durchsetzung von Bekleidungssitten (vom „Tenorschal“ bis zum angeblich nur eine
Stimmgabel enthaltenden und deshalb auch im Konzert mitzuführenden
„Soprantäschchen“7) bis hin zur mündlichen Tradition von Berufsregeln, wie etwa der so genannten 80/20 Regel, nach der eine Probenteilnahme von 80% die
unwiderlegliche Vermutung der Beherrschung des Notentextes rechtfertigte.8
Der Zusammenhang mit der modernen kapitalistischen Arbeitsorganisation liegt
auf der Hand. Max Weber versteigt sich in einem Brief an Richard Strauss gar
zu der Hypothese, die moderne Fabrikorganisation sei nach dem Vorbild des
Konzertbetriebes entstanden: „So geht der Dirigent dem modernen Kapitalisten
voran, indem er alles seinen Regeln unterwirft und jede Bewegung der Fabrik in
der großen Partitur der abstrakten Organisation vorgezeichnet ist. Der Sänger
aber ist der Arbeiter, der nur auszuführen hat; hat er „Ja,
das ist 'ne fors
che
Genie, ist er hier fehl am Platze, aber am Platze hat er Sac
h
e, die Auferste
hung
zu sein.“9
Christi!" (HW)
2.3. Gegenwart: Probenteilnahme als Selbstfindung
Erst seit der empirischen Wende in der Chorforschung ist uns bewusst, dass im
ausgehenden 20. Jahrhundert das formal fortbestehende Vertragsparadigma in
der Erfüllung chorischer Pflichten weitgehend von individuellen Strategien der
Deutsche Post AG Jahresgabe des Gleim Hauses“, Halberstadt 1999, S.44 ff.
Es ist hier nicht der Raum, diese interessante Quelle, sowohl für die Hamburger Musikpflege wie für Frühformen gewerkschaftsähnlicher Interessenvertretung darzustellen. Sehr moderne Formen der Berufsgruppengewerkschaften deuten sich an, wenn etwa einer Sopranistin nach dem Konzert „drei Laibe weiß Brod und ein
Humpen Rheinwein“, einer Altistin aber „ein Roggenbrötlien und eine Kanne Bier“ zustehen. Vgl. auch Maas,
Sissi de: Bürgerrecht und Mäkelei - zur Entwicklung des Petitionsrechtes in Hamburg, Typoskript im Besitz des
Autors.
7 Ladage, Louis in: Hamburger Kleider und Sitten, Festschrift für Oehlke, Reinbek 1965, S. 34 ff.
8 Dassler, Adi: Drei Ecken ein Elfer - Berufsregeln und Gewohnheitsrecht, Herzogenaurach 1973, S. 146 ff.
9 Werkausgabe, Supplement zum XVI. Bande, S. 1234
5
6
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
2001) *** Mussorgski: Glagolitische Messe für die Heiligen Kyrill und Method
(2005, 2006) *** D. Scarlatti: Stabat mater (2006, 2007) *** Drei Aufführungen:
Chorübung und Weltmarkt 29
Bedeutungszuweisung einer adäquaten Probenpräsenz überlagert wurde. Die
Beiträge der feministischen Musikwissenschaft können hier kaum zu hoch bewertet werden,10 und aus der afrikanischen Forschung sind wichtige Aspekte
beigetragen worden, die dem eurozentrischen Blick auf europäische Chöre verstellt blieben.11 Schließlich kam dieser Forschungsansatz mit der Entwicklung
der „Probentypen“ als nationalem Referenzcluster durch den Deutschen Musikrat zu einem gewissen Abschluss.12 Ebenso wie für das Konsum- und Arbeitsverhalten des modernen postkapitalistischen Marktteilnehmers sind für den
modernen Chorsänger
Entgrenzung und Einhausung gleichbedeutende
Topoi, in deren Spannungsfeld er seine Probenpersönlichkeit immer
neu entdeckt und zur Geltung zu bringen sucht.
Das zur Probe gehen, sich
im Probensaal verhalten
und etwas Singen kann
nur als ein Insgesamtes
richtig bewertet werden.
2.4. Individuelle Probenstrategien und Konzerterfolg - A Case Study
Für den konkreten Fall der Jacobikantorei konnte das so theoretisch skizzierte
Modell eines Chores, der sich im je Zufälligen harmonisch findet, empirisch unterlegt werden. Im Wege der teilnehmenden Beobachtung wurden Probenpräsenz und Konzerterfolg dokumentiert. Dabei wurde der Konzerterfolg nach Sagittarius in der Maßeinheit Kamekepunkte gemessen, in deren Berechnung
nicht nur die Richtigkeit des gesungenen Tones, sondern auch das Auftrittsverhalten des Sängers, seine Haltung während des Konzertes, die Anzahl der Blickkontakte zum Dirigenten, Gehuste usw. eingehen.
Vgl., für viele: Nilsson, Birgit: Sex, Song and Surrender. A Gender Study in Basses, Helsingborg 1993
Mäkel-Reininsfeld, Roswitha: Wenn die Trommel spricht, schweige der Mensch. Erfahrungen einer weißen
Sufi, Dornbirn 2001
12 Hochschulrektorenkonferenz (Hrsg.): Singing for Excellence, Nationales Evidenzraster Herausragender Chö10
11
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Strawinski: Psalmensinfonie (1963, 1969, 1979) *** Bruckner: Messe e-moll (1963,
1978, 1979) *** Dvorák: Stabat mater (1983, 1996, 2006) *** Brahms: Liebeslieder-
30 Chorübung und Weltmarkt
2.4.1. Notenbesitz und Konzerterfolg
Keinerlei Korrelation zeigte sich zwischen Notenbesitz und Konzerterfolg: Von
den 30% der Kantoreimitglieder, die über 75% des in den Proben ausgeteilten
Notenmaterials verfügten, nahmen überhaupt nur 48% an dem beobachteten
Konzert teil, und bei diesen konnte zur Überraschung des Untersuchungsteams
keineswegs eine doppelt laute oder richtige Wiedergabe des Notentextes beobachtet werden. Auf der anderen Seite der Skala zeigt sich aber ein hochevidenter Cluster von Sängern, die nur aus Stimmen, kaum lesbaren Klavierauszügen
oder ohne (die richtigen) Noten singen und dennoch hohen Konzerterfolg aufweisen. Hier wird der äußere Mangel als positives Statussymbol einer überdurchschnittlich kompetenten Gruppe eingesetzt.
2.4.2. Umfang und Typus des Zuspätkommens und Konzerterfolg
Wenig verwunderlich zeigte sich eine deutliche Korrelation zwischen Berufsgruppenzugehörigkeit und Probenpünktlichkeit: Insbesondere die in Kantoreien
überrepräsentierte Berufsgruppe der Lehrer an öffentlichen Schulen zeigt die
überdurchschnittliche Pünktlichkeit und Ausgeschlafenheit, während Angehörige freier Berufe und leitende Angestellte oder Beamte durch hohe Unpünktlichkeit auffielen. Statistisch zeigte sich aber keine Beziehung zwischen Häufigkeit
und Pünktlichkeit der Probenteilnahme und Konzerterfolg. Chöre können damit
als autopoietische Systeme angesprochen werden, die nur scheinbar durch den
Chorleiter geführt werden, deren Leistungen aber vielmehr auf den weitgehend
zutreffenden autonomen Entscheidungen der einzelnen Mitglieder beruhen. Vor
diesem Hintergrund ist die Erstellung von Probenplänen nur als symbolischer
Akt zur Besänftigung des Chorleiters im Sinn einer symbolic policy systemtheoretisch gerechtfertigt.
Während also die Quantität des Zuspätkommens ohne Einfluss auf den Konzerterfolg blieb, zeigte sich eine starke Korrelation nach der Qualität des Zuspätkommens und dem Konzerterfolg. Hierzu wurden der Stil des Zuspätkommens
anhand der Parameter Lautstärke des Auftritts, Dauer des Zurechtrückens der
Kleidung vor dem Hinsetzen (vulgo: „Halstuchwurf“) und Winkel der Blickachse
zum Horizont beim Betreten des Probensaales dokumentiert und so zwei deutlich abgegrenzte Cluster der „offensiven“ und „defensiven“ Zuspätkommer dokumentiert. Wie zu vermuten, zeigen offensive Zuspätkommer mit durchAufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
walzer (1997, 2004, 2008) *** J.S. Bach: Markus-Passion (Rekonstr. R. Kelber)
(1998, 1999, 2008) *** Kameke: In Tyrannos - Moabiter Requiem (1999, 2000,
Kantorei heute 31
schnittlich 7,2 Kamekepunkten den deutlich höchsten Konzerterfolg aller Referenzgruppen, defensive Zuspätkommer verharren hingegen mit ihren Leistungen
von durchschnittlich 5,1 Kamekepunkten im unteren Drittel der Verteilung.
3. Zusammenfassung
Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass Probenteilnahme in allen Epochen unterschiedlichen Zwecken diente - dem Gottesdienst, der Erfüllung eines Vertrages, der Selbstfindung - nie jedoch der Verbesserung „Wir
sind alle eine klei
ne
der musikalischen Leistung im Konzert. Das Verhältnis Frau
Holle! ... Am Ende
eines Chorsängers zur Probe stellt sich damit ähnlich sind
es so viele Federn
,
dar wie das eines Hooligans zu einem Bundesligaspiel. dass
sie alle durcheinan
der fliegen." („Et
in
te
rr
a
Andreas Gleim
pax", h-moll-Mes
se; RK)
- Mitglied der Kantorei seit 1989 Kantorei heute
Hätten wir zum Jubiläum eine vereinssoziologische Umfrage veranstaltet, dürfte
sie unter anderem folgende Ergebnisse erbracht haben:
• Es sind mehr Frauen als Männer: 62:32 oder 2 Seiten : 1 Seite in der Chorliste (Stand: August 2008),
• mehr tief- als hochgestimmte: 52:42 (wer es genau wissen möchte: 32 Alt,
20 Bass gegenüber 30 Sopran, 12 Tenor).
• Das Durchschnittsalter liegt etwas über den 40.
• Es ist keine überalterte, aber auch keine junge Kantorei - niemand ist unter
20.
• Unter den Berufen zeigen sich Schwerpunkte bei Lehrern, Beamten, wissenschaftlichem Personal, Freiberuflern verschiedener Couleur, dann und wann
auch bei Studierenden; neben- und auch einige hauptamtliche Musiker sind
dabei, TheologInnen nicht zu vergessen.
Die mittlerweile „Dienstältesten" der aktuellen Kantorei sind: Helmut Haar,
1974 dazugestoßen, Claudia und Karl-Christian Koch (1977), Günter Adam
Strößner (1979), Regina Lahmann (1980) und Hartwig Meyer-Bahlburg (1981),
die letzten Mitsängerinnen und -sänger aus der „Ära Wunderlich". Ein großer
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
2003) *** Vier Aufführungen: Händel: Messias / Messiah (1959, 1975, 1976, 1986)
*** Mozart: Requiem (1965, 1974, 1991, 1995) *** Duruflé: Requiem (1969, 1979,
32 Kantorei heute
Teil der heutigen Sängerinnen und Sänger ist kürzer als 10 Jahre, viele noch gar
nicht lange dabei. Und doch ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit stark ausgeprägt, das zeigt sich an vielen kleinen Dingen und in den Situationen, wo es
auf das spontane Zusammenwirken ankommt. Es herrscht eine Selbstverständlichkeit des gegenseitigen Helfens, Anpackens und der Aufmerksamkeit füreinander, die gemeinschaftliche Aktivitäten leichter als an vielen anderen Orten
gelingen lässt.
Die Kantorei hatte schon lange Jahre Stimmführer, die für den regelmäßigen
Probenbesuch und die Organisation der Stimmgruppe verantwortlich waren. Im
Jahr 2000 hat sie sich als weiteres Element der Selbstorganisation einen gewählten Chorrat aus drei bis vier Personen gegeben. Er unterstützt den Kantor
in allen organisatorischen Fragen und versteht sich als Scharnier in der Kom-
munikation zwischen ihm und dem Chor. Ein gravierendes Problem stellt für
Kantoreien immer die Frage des Höchstalters dar. Nach einer oft schmerzhaften
Verjüngung der Kantorei über etliche Jahre, hat sie sich feste Grenzen gesetzt,
die nur in Ausnahmefällen überschritten werden: Sängerinnen sollten mit dem
60., Sänger mit dem 65. Lebensjahr ausscheiden. Solch eine feste Grenze hat
dazu beigetragen, quälende Diskussionen über Stimm- und sonstige Qualitäten
einzelner Mitglieder zu vermeiden, und sie wird allgemein auch akzeptiert.
Wenn die Kapazitäten der Kantorei für die besonders groß besetzten Werke
nicht hinreichen, wirken in letzter Zeit vermehrt Kantorei und Vokalensemble
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
1991, 2008) *** Verdi: Messa da Requiem (1984, 1992, 2000, 2007) *** Sechs Aufführungen: Brahms: Fest- und Gedenksprüche (1961, 1983, 1989, 1992, 1997,
Das 50. Jahr 33
St. Jacobi zusammen. Brittens „War Requiem“, Kamekes „In tyrannos", Verdis
„Messa da Requiem“ oder aktuell das große Messiaen-Projekt sind solche Fälle.
Die Fluktuation ist in den letzten beiden Jahrzehnten gewiss größer geworden,
als sie in den sechziger bis achtziger Jahren üblich war. Das überrascht nicht
angesichts der überall gewachsenen Mobilität, der schon erwähnten Berufsstruktur und ist sicherlich auch dem gewandelten Freizeitverhalten geschuldet.
Mehr konkurrierende Reize, weniger Bindungsgefühl, verflüssigte Zeitrhythmen
- wir alle kennen das Kaleidoskop von irgendwie wahrgenommenen und doch
schwer greifbaren Anzeichen der Veränderung.
Fragen wir dann: Was hält uns dennoch heute in der Kantorei? was bindet uns
an die anderen, die Institution, das gemeinsame Musizieren? --- so gibt es viele,
auch sehr individuelle Antworten; eine von ihnen liegt vielleicht in dem ungemein reizvollen Mischungsverhältnis von gefordert und aufgehoben sein, Ernst
und Fröhlichkeit, Grenzen der Belastbarkeit und Wohlgefühl des Gelingens, Individualität und Gemeinsamkeit, emotionalen und intellektuellen Herausforderungen. Und all das in einem gemeinsamen Geist, der dieser Kantorei in die
Wiege gelegt wurde:
„Singen Sie beim
Soli Deo Gloria.
Tutti mal nicht so
große Brust!" (H
auf
W) // „Bei ‚mun
di
m
'
üsst Ihr eure ganz
Ulrich Hagenah
e Oberweite ins
Spiel bringen!" (a
n den Alt, „Agnus
" des
Verdi -Requiems;
RK)
Das 50. - fast ein normales Jahr?!
4. Januar 2008: Probenbeginn. Poulenc, Strauss, Reger stehen auf dem Plan aber die erste Änderung ist gleich fällig, denn Francis Poulencs „Figure humaine" wird auf 2009 verschoben zugunsten des großen Messiaen-Projekts „La
transfiguration de Notre Seigneur Jesus Christ" im Oktober, das lange in der
Schwebe gewesen war.
Ganz kurz vor Jahresende 2007 waren unter Beteiligung von zwei Sopranen und
einem Tenor der Kantorei zwei Ehen geschlossen worden: Anlass zu Glückwünschen und passenden Geschenken, wie im Sommer noch einmal für eine Altistin, die in den Stand der musikalischen Ehe mit einem Bass von St. Johannis
Harvestehude tritt. Und dies sollten nicht die einzigen frohen Ereignisse bleiben.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
2008) *** Mozart: Krönungsmesse (1970, 1976, 1977, 1982, 1990, 2008) *** Sieben Aufführungen: J.S. Bach: Magnificat (1970, 1974, 1976, 1985, 1995, 2001,
34 Das 50. Jahr
Immer wieder Ende Januar: die jährliche 'Vollversammlung' des Chors mit vereinstümlichen Elementen wie Jahresrückblick, Kassenbericht oder Wahlen der
Stimmführer/-innen und Chorräte/-innen, aber auch dem spannenden Ausblick
des Kantors auf die mehr oder minder wahrscheinlichen Ereignisse des Jahres.
Die diesjährigen Unwägbarkeiten der Planung sind beseitigt: Eine angedachte
Konzertreise nach Shanghai ist schon abgesagt - unter den denkbaren kurzfristigen Ersatzlösungen fällt die Wahl auf Südwestdeutschland und das Elsaß -,
und die beantragte Subvention der ZEIT-Stiftung für das Messiaen-Projekt wird
fließen, so dass für Oktober und November insgesamt ein besonders dichtes
Programm angesagt ist: zwei Konzerte Messiaen, neun Tage Konzertreise, Kantoreijubiläum am 2. November, Duruflé-Requiem Ende des Monats.
Messiaen bedeutet: Um das
große Instrumentarium
auch an Singstimmen für die
vielstimmigen
Sätze aufbieten
zu können, sind
externe Mitwirkende anzuwerben. Sänger
anderer Hamburger Chöre,
Ehemalige, Kirchenmusiker, Neugierig-Kundige verschiedenster Provenienz. Für dieses Stück
werden besondere Probenphasen im April, Juli und September angesetzt: Einzelstimmproben, Wochenendproben, die Schlussproben mit Orchester schließlich ausgelagert in die städtische Fremdsprachenschule am Mittelweg (aber leider doch nicht in einen Airbus, mit dem der Kantor so gern generalprobend in
Hamburgs Partnerstadt Toulouse gejettet wäre - nein, diese Grille war dann
doch nicht finanzierbar.)
Ostern wird es sehr früh im Jahr: Wir führen Rudolf Kelbers Rekonstruktion von
Bachs Markus-Passion auf wie schon 1997/98 - stellen allerdings fest: die perAufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
2002) *** Brahms: Deutsches Requiem (1973, 1981, 1982, 1986, 1996, 2001,
2006) *** Acht Aufführungen: J.S. Bach: Johannes-Passion (1970, 1974, 1980,
Das 50. Jahr 35
sonelle Schnittmenge zu damals ist, vor allem bei den Frauenstimmen, nicht
mehr allzu groß! Den Ostergottesdienst bestreiten wir mit Motetten von Byrd
und Praetorius, zwei Examenskonzerte der dirigierenden Kelber-Schüler Maxim
Poljakowski und Hai Sheng rationellerweise mit demselben Werk, Mozarts Krönungsmesse.
„Nicht so laut
Zur Entspannung: Gartenfest am 17. Mai, angeregt schon in singen! nur die
der Chorversammlung, dankenswerterweise im großen Garten Töne!" (HW)
einer großherzigen Sopranistin unter Einsatz eines kleinen Organisations-Stoßtrupps vorbereitet. Am einzigen Regentag innerhalb von 7 Wochen findet die rauschende Feier dann statt: im Wohnzimmer.
Opulente Buffet-Beiträge der 45-50 Gäste verraten, dass diese Aufgabe schon
längere Zeit nicht mehr gestellt worden war, aber immer noch bestens bewältigt wird.
Zusätzlich: ein Brahms -Abend im Lichthof der Staatsbibliothek am 29. Mai von einer kleinen Besetzung im Februar in der zweiten Probenhälfte angeprobt,
dann im Mai mit je einer Probe im Schnitgersaal und vor Ort weiter erarbeitet:
der gesamte erste Zyklus der „Liebesliederwalzer“, dazu die zwei „Nachtwachen"
a cappella sowie „Am Schluss" aus dem zweiten Zyklus der Liebeslieder als Zugabe. Besonderer Clou: Kurzfristig hatte sich der Pianist Cord Garben gegen die
Aufführung der zweihändigen Fassung entschieden, die einen Flügel statt des
vorhandenen Klaviers erfordert hätte - so setzt sich Rudolf Kelber für den parte
primo mit ans Klavier und überlässt dem kurzentschlossen eingesprungenen
Claus Bantzer das Dirigat. Ein durchaus gelungenes Experiment trotz nicht unkomplizierter akustischer Verhältnisse.
Mit Reger- und Brahms -Motetten beteiligt sich die Kantorei, auch hier in kleiner Besetzung, am 4. Juni in St. Petri mit den dortigen KollegInnen und denen
aus St. Katharinen an der 3000. „Stunde der Kirchenmusik". Auch so eine Institution der „Welthauptstadt der Kirchenmusik", wie die Alsterwanderwegskonzerte in Poppenbüttel oder die „Nacht der Chöre" in St. Petri, zu denen die Kantorei über die Jahre immer wieder beigetragen hat. So auch in diesem Jahr zur
„Nacht" des 21. Juni: Letzter Auftritt in der neunstündigen Veranstaltung, 20
Minuten vor Mitternacht, und das mit einem gewagten Schmankerl: Richard
Strauss' 16stimmiger Motette „Jakob, dein verlorener Sohn“, zu der das Vokalensemble vier Stimmen beisteuert.
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
1989, 1993, 1997, 2005, 2006) *** 13 Aufführungen: J.S. Bach: Matthäus-Passion
(1960, 1963, 1966, 1968, 1972, 1978, 1984, 1987, 1991, 1995, 2000, 2007) ***
36 Das 50. Jahr
Wir haben zeitlich vorgegriffen: Am 8. Juni kann die romantische Kemper-Orgel
mit Kodálys Missa brevis und den Schlusschorälen der zwei Teile von Messiaens
„Transfiguration" wieder eingeweiht werden. Lange ersehnt, vom Kantor immer
wieder als ganz dickes Brett in der Gemeinde weitergebohrt, nach Amtsantritt
der neuen Hauptpastorin endlich ins Werk gesetzt, hat die Restaurierung durch
eine Dresdner Firma nunmehr stattfinden können. Vor allem für den Gottesdienstbetrieb mit Gesang von der Empore bietet das der Kantorei eine erhebliche Erleichterung. Der Festabend selbst bietet, nicht untypisch, transkulturelle
Erlebnisqualität: 18 Uhr Festkonzert mit Orgel, anschließend als Spannungslöser: Jazz mit Kelber & Friends, parallel im Gemeindesaal aus dem Kofferradio
das erste deutsche Spiel der Fußball-EM, untermalt mit Flüssigem aus der ebenfalls restaurierten „Weinorgel".
Einiges ist bis zur Sommerpause neben dem Berichteten her im Hintergrund geschehen: Planungen für die Konzertreise mit 60 Sängerinnen und Sängern, 25
Orchestermitgliedern und vier Solistinnen und Solisten. Noch mehr an Planung
und Vorbereitung verlangt das 50-Jahre-Jubiläum: Festgottesdienst, Konzert
(„h-moll-Messe“) und Empfang am 2. November, eine Einladungsaktion zu diesem Abend, für die Adressen von rund 200 ehemaligen Kantoreimitglieder ermittelt, überprüft und schließlich angeschrieben werden müssen (das Kirchenmusiksekretariat ist hierbei eine unerlässliche, gute Stütze); dann eine Ausstellung in der Schröderhalle der Kirche, das VOX-Extra, Flyer, Pressearbeit.
Mit allerhand Künftigem beschäftigt, blicken wir ganz plötzlich auch zurück:
Ein langjähriger Mitsänger im Bass, Peter Schäfer, ist am Pfingstmontag verstorben. Er hatte im Vorjahr noch mit uns auf der Bühne gestanden bei Cavalieris „Rappresentazione", als erstaunlich stilechte Berlusconi-Anverwandlung mit
Bodyguards aus seinem Bass-Umfeld. Er war, wenn er zu den Proben kam, immer früh dagewesen, immer gesprächsfreudig, opernerfahren, zugewandt, offen
und freundlich - durch einen solchen Verlust nehmen wir einmal mehr
schmerzhaft wahr, dass man im Chor gern und mit einer gewissen Selbstverständlichkeit jener Fiktion erliegt, es werde mit all den anderen zusammen immer irgendwie weitergehen.
Im Oktober reisen wir zu Konzerten in Wittlich an der Mosel, in Hermeskeil, in
der Stiftskirche Landau in der Pfalz, in Colmar und im wunderschönen gotischen Kloster Marmoutier. Seit dem Jahr 2000 ist es das erste Mal, dass wir
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
13 Aufführungen: J.S. Bach: Messe h-moll (1962, 1964, 1968, 1972, 1977, 1978,
1979, 1983, 1988, 1992, 1997, 2003, 2008) *** 34 Aufführungen: J.S. Bach:
Das 50. Jahr 37
wieder mit dem Orchester von St. Jacobi gemeinsam auf Tournee gehen. Fünf
„h-moll-Messen“ unterwegs geben uns Gelegenheit, das nachfolgende Festkonzert am 2. November perfekt vorzubereiten.
Herbst, November, RequiemZeit: für den
Ewigkeitssonntag
war Duruflés Requiem angesetzt
- im Frühjahr
wurde es dann
terminlich umgebettet in eine von
der Musikhochschule initiierte,
von Jacobi übernommene Messiaen-Nacht mit einem Schwerpunkt auf der Kammermusik des
großen französischen Komponisten am Samstag vor dem Ewigkeitssonntag. Dazu tragen die Frauen der Kantorei auch noch Messiaens „Trois petites liturgies"
bei.
Der November bringt dann noch den Auftritt eines kleinen Chor-Grüppchens
mit Mikro für die Maler- und Lackiererinnung und einen plattdeutschen Gottesdienst zum Abschied von Pastor Römmer - wohlige Erinnerungen an die CDAufnahme der plattdeutschen Weihnachtslieder werden wach. Genau diese singen wird dann Anfang Dezember im Hospital zum Heiligen Geist. Ja, und dann
fehlt nur noch das fast Unvermeidliche: Bachs Weihnachtsoratorium, das die
Kantorei heuer gibt wie in 34 der 50 Kantorei-Jahre zuvor, aber zum ersten Mal
unter der Leitung von Dörthe Landmesser: die Kantaten 1-3 leiten am Vorabend
den 4. Advent ein. Eine fröhliche Weihnachtsfeier als Après, das Singen in der
Christvesper mit all denen, die am Heiligen Abend nicht ganz woanders bei ihren Familien weilen, schließlich noch wie schon öfter 'zwischen den Jahren' eine Krippenandacht im Michel, dieses Mal mit der Bachkantate „Darzu ist erschienen der Sohn Gottes", BWV 40 --- und schon ist das Jubiläumsjahr vorbei.
Außer den 50: alles ganz normal.
Ulrich Hagenah
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
Weihnachtsoratorium (1959, 1960, 1961, 1962, 1963, 1964, 1966, 1968, 1970,
1972, 1974, 1976, 1977, 1979, 1980, 1981, 1983, 1984, 1986, 1987, 1988,
38 Kantorei für zu Hause
DOPPEL-CD ZUM JUBILÄUM MIT AUFNAHMEN AUS DEN JAHREN 1961-2007
J. Brahms Fest- und Gedenksprüche ? J. S. Bach Motette Singet dem Herrn ein neues
Lied ? Motette Der Geist hilft unser Schwachheit auf
Leitung: Heinz Wunderlich
J. S. Bach Magnificat | Markus-Passion | Matthäus-Passion | h-moll-Messe
J. Brahms Ein deutsches Requiem ? B. Britten War Requiem
C. Franck Les Béatitudes ? J. Haydn Die sieben letzten Worte ? F. Mendelssohn Elias
C. Monteverdi Marienvesper ? M. Mussorgsky Glagolitische Messe
D. Scarlatti Stabat Mater ? G. Verdi Requiem
Leitung: Rudolf Kelber
Die Doppel-CD ist über das Kirchenbüro St. Jacobi oder am Tresen im Südschiff
gegen eine Spende von € 15 erhältlich.
Nu ward veel dusend
Lichter hell
Plattdeutsche Weihnachtslieder
(1998, CD, Ed. Jacobi
RP14293)
J. S. Bach,
Markus-Passion
in der Rekonstruktion
von Rudolf Kelber
(1999, CD, Edition
Jacobi RP14510/11)
Fremde Vögel
Missa Super Cantus
Lennonenses McCartnesque für Chor a cappella, u.a. (1999, CD, Ed.
Jacobi RP14978)
Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste Aufführungs-Hitliste
1990, 1992, 1993, 1995, 1997, 1998, 1999, 2000, 2001, 2002, 2004, 2005,
2008)
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