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Seit 20 Jahren getrennt | 2 Trauer in Indien | 6 Tschechien und die Slowakei gehen seit 1992 getrennte und steinige Wege Nach dem Tod der vergewaltigten Studentin gehen die Proteste weiter oder z Mitfeiern nüscht wie weg | 9 Zwei Millionen Gäste wollen in Berlin die Party des Jahres feiern. Viele Berliner suchen lieber das Weite. Montag, 31. Dezember 2012 67. Jahrgang/Nr. 304 ● Bundesausgabe 1,50 €, Auslandspreis 1,80 € STANDPUNKT Weil er es sich wert ist Früher Vogel SPD-Kanzlerkandidat mäkelt vorsorglich am Kanzlergehalt herum Von Uwe Kalbe Die SPD hat die soziale Gerechtigkeit wiederentdeckt. Wie ernst es ihr damit ist, darüber kann der Wähler aber nur spekulieren. Bereits jetzt erkennen kann er immerhin, wie ernst es Peer Steinbrück damit ist. Gerechtigkeit wird für ihn dort zum Thema, wo sie für ihn erfahrbar ist. Das macht ihn so menschlich, sympathisch – dort oben, wo er seine Kreise zieht. Der frühe Vogel fängt den Wurm, Steinbrück hat zumindest in den letzten Jahren für den eigenen Vorteil gesorgt, solange Zeit dafür war. Dass er längst den Blick für das reale Leben verloren hat – dort unten, wo soziale Gerechtigkeit mehr ist als ein akademisches Problem –, das ist nicht nur seines, das ist das Problem der SPD seit langem, und insofern hat die Sozialdemokratie den Kandidaten, den sie verdient. Aber der Wähler, hat er es nicht verdient, dass sich die politische Klasse wenigstens ein bisschen mehr Mühe gibt, ihren eigenen Ansprüchen zu genügen? Wenn Steinbrück sich schon vorab öffentlich Gedanken über das Gehalt macht, das er als Bundeskanzler zu erwarten hätte, dann ist das vor allem peinlich. CDU-Generalsekretär Gröhe trifft den Nagel auf den Kopf mit seiner Bemerkung, die Kanzlerin habe sich wenigstens nie beschwert über ihr geringes Gehalt. Chapeau! Auch im Duell um die ganz persönliche Eignung der Kandidaten sind Punkte zu verteilen. Und Angela Merkel muss derzeit gar nichts tun in diesem Duell. Steinbrück tut schon alles. Seine überraschende Ungeniertheit hat ihren Charme verloren. Sie dürfte viele Wähler zum Schluss führen: Der frühe Vogel kann mich mal. Unten links Für Roland Jahn ist es auch 22 Jahre nach der Wende noch immer in höchstem Maße befreiend, der ehemaligen Stasi-Zentrale aufs Dach zu steigen. Als Chef der MfS-Unterlagen, der dort täglich ein und aus geht, ist freilich längst ein Gewöhnungseffekt eingetreten. Jahn sucht deshalb nach Befreiungssteigerung und will die Rolling Stones auf sein Dach einladen. Mit dieser leicht zum Randständigen tendierenden Form der Vergangenheitsbewältigung verdient Jahn jedenfalls Anerkennung. Und Nachahmung. Behörden mit ambitionierten Chefs sollte man künftig an ihren Dachkonzerten erkennen. Jahn verweist auf das Jahr 1968, als ein angebliches Konzert der Stones auf dem Dach des Springer-Hochhauses DDR-Jugendliche in Scharen zur Berliner Mauer streben ließ. Viele wurden eingesperrt. Ob sie nochmal kommen würden, weiß keiner. Bisher allerdings scheitert die Auftaktveranstaltung bei Roland Jahn noch am wichtigsten. Keiner weiß, warum die Stones diesmal spielen sollten. uka www.neues-deutschland.de twitter.com/ndaktuell Einzelpreise Tschechien 65/75 CZK Polen 6,60/9,50 PLN ISSN 0323-3375 x Kritik an neuem Waffendeal mit Riad Friedensbewegung kündigt für 2013 verstärkte Proteste an Peer Steinbrück will mit dem Thema soziale Gerechtigkeit für die SPD im Wahlkampf punkten. Von Uwe Kalbe Bundestagsabgeordnete und Minister, aber auch die Kanzlerin erwartet zu Jahresbeginn eine Steigerung ihrer Bezüge. Das dürfte SPDKanzlerkandidat Peer Steinbrück kaum zu einer Änderung seiner Meinung bewegen: Bundeskanzler verdienen zu wenig. »Das Risiko, dass meine Frau eine flammende Rede auf mich hält, würde ich auch lieber nicht eingehen«, sann Peer Steinbrück für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« über seine Ehe nach. Frau Steinbrück wird 2013 also nicht als Wahlkampfhelferin zu erleben sein. Doch auch die SPD dürfte zunehmend Motivationsprobleme bekommen angesichts des Echos, das ihr Kanzlerkandidat mit seinem Poltergang durch die politischen Fettnäpfe auslöst. Nach üppigen Vortragshonoraren geht es jetzt um Steinbrücks Vorstellung eines angemessenen Bundeskanzlergehalts. »Nahezu jeder Sparkas- sendirektor in Nordrhein-Westfalen verdient mehr als die Kanzlerin«, sagte Steinbrück im Interview und weckte den Unwillen sogar von Altkanzler Gerhard Schröder. »Ich habe jedenfalls davon immer leben können«, ließ der die »Bild am Sonntag« wissen. »Und wem die Bezahlung als Politiker zu gering ist, der kann sich ja um einen anderen Beruf bemühen.« Das empfahl auch LINKE-Vorsitzende Katja Kipping, die befürchtet, Steinbrück vertreibe die Wähler von den Urnen. Und Geschäftsführer Matthias Höhn flehte die SPD über Facebook geradezu an, »beendet diese Aufführung bitte so schnell wie möglich und überlegt noch mal neu – inhaltlich und personell«. Er könne keine Genugtuung empfinden, schließlich brauche Deutschland einen Politikwechsel. Die Einkünfte der Kanzlerin steigen zu Jahresbeginn um knapp 200 auf 16 816 Euro, hinzu kommt eine Diätenerhöhung – insgesamt sind es rund 350 Euro mehr, die Angela Merkel erhält. Doch Steinbrück Foto: dpa/Jens Wolf geht es nicht um Marginalien – auch wenn es sich bei Merkels Plus um etwa jene Summe handelt, die Hartz-IV-Betroffene monatlich erhalten. Top-Manager kassierten 2011 durchschnittlich 4,3 Millionen Euro – wohl daran misst Steinbrück ein Kanzlergehalt sowie »an der Leistung, die sie oder er erbringen muss und im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten mit weit weniger Verantwortung und viel größerem Gehalt«. SPD-Sozialpolitiker Hans-Peter Bartels merkte an, ein Spitzenamt wie das des Kanzlers sei eine Ehre. »Man macht es nicht, um reich zu werden.« Das heißt nicht, dass man es dem Zufall überlassen dürfte. Derzeit verschaffen Bundesminister von Union und FDP politischen Freunden dem »Spiegel« zufolge gutdotierte Posten. Noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl soll vor allem Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) durch Beförderungen Fakten schaffen. Aber auch im Umwelt- und im Justizministerium sei heftiges Stühlerücken im Gange. Seite 3 . Morales brüskiert Madrid Bolivien verstaatlicht vier Töchter des spanischen Energieriesens Iberdrola Von Martin Ling Der einstigen Kolonialmacht Spanien weht in Südamerika ein rauher Wind entgegen. Nach der Enteignung des Erdölkonzerns Repsol in Argentinien trifft es dieses Mal den Energiekonzern Iberdrola in Bolivien: Verstaatlichung gegen eine noch offene Entschädigung. Drei Pfeiler hat Boliviens Präsident Evo Morales bei seinem Amtsantritt 2006 zur Neugründung Boliviens benannt: eine Landreform, eine neue Verfassung und die Verstaatlichung zentraler Wirtschaftssektoren. Eine begrenzte Landreform sowie eine neue Verfassung wurden längst verabschiedet und auch bei der Verstaatlichung von wirtschaftlichen Kernsektoren macht Morales Zug um Zug: Am Wochenende hat die bolivianische Regierung erneut Töchterunternehmen eines spanischen Stromkonzerns verstaatlicht und sich damit den Ärger der Regierung in Madrid zugezogen. Betroffen seien vier Tochterunternehmen des spanischen Energiekonzerns Iberdrola, hieß es am Samstag in einem Dekret des Präsidenten Evo Morales. Die Unternehmen hätten in ländlichen Gegenden höhere Strompreise verlangt als in Städten. Außerdem hätten die vier Iberdrola-Töchter insgesamt auf dem Land schlechteren Service geboten, erklärte Mora- les. Polizisten und Soldaten bahnten sich am Samstag einen Weg ins Hauptquartier von Electropaz in La Paz, einem der betroffenen Unternehmen. Sie wurden demonstrativ angeführt von Vize-Präsident Álavaro García Linera. Die spanische Regierung bedauerte den Schritt. In einer am späten Samstagabend in Madrid veröffentlichten Mitteilung forderte das Außenministerium eine »gerechte Entschädigung«. Außerdem hieß es, Bolivien müsse für Rechtssicherheit im Lande sorgen. Das sei für »alle ausländischen Investitionen unerlässlich«. Nach spanischen Medienberichten vom Sonntag wird Iberdrola ei- ne finanzielle Entschädigung von rund 75 Millionen Euro verlangen. Auf eine solche Entschädigung drang auch das spanische Unternehmen in einer kurzen Erklärung, ohne allerdings eine Summe zu nennen. Börsenexperten zufolge liegt der Wert der Iberdrola-Beteiligungen an allen vier betroffenen Unternehmen in Bolivien bei etwa 76 Millionen Euro. Bereits im Mai hatte die bolivianische Regierung den Stromnetz-Betreiber TDE verstaatlicht, der zwei Drittel des Stromnetzes in Bolivien betreibt. Mutter von TDE war der spanische Energiekonzern REE. Kommentar Seite 4 Berlin/Riad (nd). Mit Kritik hat die Friedensbewegung auf Berichte reagiert, nach denen Saudi-Arabien erneut deutsche Kriegswaffen kaufen will. Wie die »Bild am Sonntag« meldet, soll das autoritär regierte Königreich 30 ABC-Spürpanzer für etwa 100 Millionen Euro bestellt haben. Dem Bericht zufolge sind die Verkaufsverhandlungen fast abgeschlossen, der geheim tagende Bundessicherheitsrat habe bereits seine Zustimmung signalisiert. Ein Regierungssprecher sagte, man äußere sich grundsätzlich nicht öffentlich zu Angelegenheiten des Bundessicherheitsrats, dem neben der Bundeskanzlerin auch Minister angehören und der unter anderem über die Ausfuhr von deutschen Kriegswaffen entscheidet. Man werde aber im Nachhinein »völlige Transparenz« herstellen, so der Sprecher. »Deutschland wird zum Hoflieferanten des restriktiven wahabitischen Königshauses und fördert dessen Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und die Unterstützung dschihadistischer Gotteskrieger«, kritisierte dagegen der Geschäftsführer des Netzwerkes Friedenskooperative, Manfred Stenner. Die bereits bekannte Aufrüstung Saudi-Arabiens unter anderem mit Leopard II-Kampfpanzern diene dem Golfstaat zur Bekämpfung möglicher Freiheitsaufstände, soll Stenner zufolge das sunnitische Regime aber auch gegen den schiitischen Iran positionieren. Kritik kam auch von den Grünen, Amnesty International, der SPD und der Linkspartei. Stenner kündigte an, die deutschen Rüstungsexporte 2013 zum Wahlkampfthema zu machen. »Rüstungsexporte sind unpopulär«, so Stenner. Ähnlich äußerte sich der Bundesausschuss Friedensratschlag. »Waffenexporte werden von großen Teilen der Bevölkerung außerordentlich kritisch gesehen«, heißt es in einem Ausblick auf 2013. Die Friedensbewegung werde ihre Aktivitäten auf diesem Feld »vor allem an den Rüstungsstandorten« verstärken. Seite 5 SPORT Sieg für Jacobsen Oberstdorf (dpa). Das erste Springen der 61. Vierschanzentournee in Oberstdorf gewann der Norweger Anders Jacobsen vor Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer aus Österreich und Severin Freund aus Rastbüchl. Michael Neumayer aus Berchtesgaden kommt als zweitbester Deutscher auf Rang neun, Andreas Wellinger wird Elfter. Kowalczyk in Oberhof vorn Oberhof (nd). Justyna Kowalczyk (Polen) hat die Führung bei der siebten Tour de Ski der Langläufer übernommen. Die Titelverteidigerin siegte am Sonntag beim Verfolgungsrennen über neun Kilometer. Denise Herrmann aus Oberwiesenthal behauptete ihren vierten Platz aus dem Prolog. Bei den Männern geht der russische Läufer Maxim Wylegschanin als Führender ins neue Jahr. Er gewann das Verfolgungsrennen über 15 Kilometer. Bester Deutscher ist Andi Kühne aus Oberwiesenthal auf Platz elf. Abschied für Neuner und Greis Gelsenkirchen (dpa). Rekordweltmeisterin Magdalena Neuner bestritt am Sonnabend in der Schalker Fußball-Arena ihr letztes Biathlonrennen. Die Wallgauerin unterlag nur der der fünffachen Junioren-Weltmeisterin Dorothea Wierer. Die 50 000 Zuschauer in Gelsenkirchen feierten sie mit Ovationen. Auch für den dreifachen Olympiasieger Michael Greis war das Rennen auf Schalke sein letztes. Er belegte im Mixed-Staffelwettbewerb mit Franziska Hildebrand den sechsten Platz. Seiten 18 bis 20