NochWünsche?
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NochWünsche?
NOVEMBER 2015 ICON ICON November 2015 NochWünsche? CHRISTIAN TAGLIAVINI/CAMERA WORK Es war einmal ein Wunsch J Ja, liebes Sterntaler-Mädchen, da oben wohnt der liebe Gott. Der Vater vom Christkind. Man kann ihn nicht sehen, man kann ihn nur spüren. Merkst du es? Und je länger du schaust, desto mehr Sterne werden sich dir zeigen. Lass dich drauf ein, träume! Ab 12. Dezember ist dieses Foto in der Ausstellung „Voyages Extraordinaires“ von Christian Tagliavini in der Berliner Galerie Camera Work zu sehen. Für uns ist es das Symbol-Bild für die kommende Zeit. Man ahnt ja schon wieder das Gestöhne über den ganzen Trubel und überhört dabei leider so leicht den leisen Zauber, der sich in den letzten Wochen des Jahres entfaltet. Weihnachten soll in diesem Jahr besonders großzügig gefeiert werden, ergab eine aktuelle Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young. Das ist kein Rufen im Wald. Und erst recht keine Ignoranz. Eine Studie über das Verhältnis der Deutschen zum Luxus, die das Institut Allensbach kürzlich für die „Welt am Sonntag“ zum Thema durchführte, ergab, dass die Toleranz Konsum gegenüber wächst. Der Neid ist noch da, nimmt aber ab. Wir freuen uns darauf. Noch Wünsche? Haben wir! Sehen Sie die Sternschnuppen? SALIM LANGATTA Mit 13 bekam ich meine erste Unterwasserkamera. Das war der Anfang. Ich fotografierte so ziemlich alles, weil es Spaß machte. Jetzt fotografiere ich, weil ich nicht gut malen kann. Bei mir sieht alles nach Skizze aus. Ich habe als Kind viel Zeit in New York verbracht. Mein Vater heiratete damals eine Amerikanerin. Mit 17 zog ich allein von Rom nach New York und blieb für 14 Jahre. Dann lebte ich eine Weile in Paris. Und nun bin ich zurück in Rom, einfach weil es sich auch nach so vielen Jahren noch wie mein zu Hause anfühlt. Bis heute inspirieren mich das Kino und die Malerei. Anfangs empfand ich das Woolworth Buildung in New York, wo wir die Modestrecke fotografierten, als abweisend. Aber während der ersten Aufnahmen konnten wir die Seele des Hauses spüren und dann wurde es warm. Seite 44 Auf dem Cover: Pelzjacken, Rock, Pulli von Altazurra; Schmuck: Wempe HEIKE BLÜMNER Nicht, dass sie sich beschweren will, aber Stil-Autorin Heike Blümner bereist eigentlich stets dieselben (spannenden) Städte und Regionen. Bis zu dem Tag, als der kanadische Jackenhersteller Canada Goose ihr vorschlug, in den abgelegensten Winkel der Arktis zu kommen, um dort mehr über die Schneiderkünste der Inuit zu erfahren. Pond Inlet heißt das Fleckchen im vereisten Nirgendwo, von dem noch nie jemand etwas gehört hatte. Niemand? Nun ja, Heike Blümners Vater, seinerzeit Globetrotter, unternahm in den frühen 60er-Jahren als Student eine Expedition in die Arktis. Und wo verbrachte er einen Teil der Zeit? Ausgerechnet in Pond Inlet! Neben Tagebuchaufzeichnungen stellte er seiner Tochter Fotos von dieser Reise zur Verfügung, die perfekt zum Reportagethema in dieser Ausgabe passen. Dennoch: Heike Blümner hat sich vom schönen Schock dieses unglaublichen Zufalls noch immer nicht vollständig erholt. Ab Seite 88 COVER: SALIM LANGATTA; DIESE SEITE: MARIO TESTINO; HEIKE BLÜMNER DIRK MERTEN Mit dem Beruf ist es wie dem Reisen, man kommt häufig über Umwege ans Ziel. Unser Mode-Fotograf Dirk Merten begann seine Karriere mit den bewegten Bildern als Kameramann. Man sollte meinen, unbewegte Bilder seien weniger flüchtig, ließen Schöpfer und Betrachter mehr Zeit. Außer man arbeitet auf Island. „Alles ändert sich ständig: das Wetter, die Farben, Licht und Stimmung. Das macht es sehr aufregend.“ Manchmal spielt alles zusammen, aber das ist Glückssache. Schon allein die Fahrt von einer Location zur nächsten dauert überraschend lange. „Kaum zu glauben, dass man drei Tage braucht, um Island auf der Hauptstraße zu umrunden.“ Die Insel ist in etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Lange Wege ist der 42-Jährige aber glücklicherweise aus seiner Wahlheimat Berlin gewohnt. Dort lebt er seit rund 18 Jahren. Mehr Island gibt es ab Seite 78. IMPRESSUM ICON Chefredakteurin: Inga Griese (verantwortlich) Textchef: Dr. Philip Cassier Redaktion: Caroline Börger, Heike Blümner, Nicola Erdmann (icon.de), Julia Hackober (icon.de), Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger. Korrespondentin in New York: Huberta von Voss. Style-Editor in NY: Nadia Rath, Korrespondentin in Paris: Silke Bender Autoren: Susanne Opalka, Esther Sterath, Andreas Toelke Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver, Rebecca Bülow Artdirektorin: Barbara Krämer Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Delia Bob, Katja Schroedter Fotoredaktion: Julia Sörgel, Elias Gröb Bildbearbeitung: Thomas Gröschke, Liane Kühne-Kootz, Kerstin Schmidt Verlagsgeschäftsführung: Dr. Stephanie Caspar, Dr. Torsten Rossmann General Manager: Johannes Boege Gesamtanzeigenleitung: Stefan Mölling; Anzeigen ICON: Roseline Nizet ([email protected]) Objektleitung: Carola Curio ([email protected]) Verlag: WeltN24 GmbH Druck: Prinovis Ltd. & Co KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf ICON ist ein Supplement der „Welt am Sonntag“, die nächste Ausgabe erscheint am 6. Dezember 2015. Sie erreichen uns unter [email protected] Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit 11 #4 / *(4&( /#4 !/*(*'4/# 7(4#' *'-&4 0* ' -#& #4#*( :8/# 4 # #0*( ( 7/*-#0!( (4%/ 7( 0#( 4/( (! !+!04/ /<#0#*(. # !/ 9/8 4 8/ #(( 9*&&04(# ( &(/ 7( #( *(-!0 # 9*( #(/ &7 &%#/4( 4/((" %*(04&&4#*( 7' ( #04. # <# 4 $(( !4!#''& 8/ ' - / 74( *(7( :# 7! 0* ' #!( ,)1 7 0#(/ /04( #0 (! (#( 0!. #0#4 ( 0!*- 4 *(4&(.*' ICON Extravaganz lautete das Stichwort für unser Shooting im Woolworth Building in New York. Es hat sich übrigens seit der Postkartenzeichnung (rechts) von 1913 kaum verändert. Von links: Model Zen trägt ein Kleid von Jil Sander, Schuhe von Christian Louboutin und Ohrringe von Ohr NYC. Carly trägt ein Kleid von Prada und Stiefel von Giambattista Valli NOVEMBER 2015 SALIM LANGATTA AUSGEWÄHLT 16 KOMM MAL RUN TER ... Ein bisschen gemütlich darf’s nun schon werden, sagen unsere Lifestyle-Weisen. Und verraten, wie sie dafür sorgen 28 30 32 36 GESCHENKE 42 ... UND LEG DICH HI N Auch bei Icona und Iken dominiert die entspannte Horizontale – sie haben Looks für Couch und Co. geshoppt SIR PAULS HA NDSCHRIFT Die einen halten Caran d’Ache für eine Marke, die hochwertige Stifte herstellt. Paul Smith hält die Produkte für Designobjekte – und machte sich ans Werk 66 WAS FÜR’ N TRIP Sollten Sie in wärmeren Gefilden feiern, haben wir ein paar Ideen, was das Leben in der Sonne erst so richtig spaßig macht SCHMUCK 68 WIR MACHEN BLAU AM MEER Diese Farbe ist ein ganzes Universum von Möglichkeiten: Unsere schönsten Stücke und Accessoires in Hamburger bunt GLÜCKSBRI N GER Coco Chanel liebte Talismane wie ihren Ring mit Topas. Davon inspiriert hat das Haus eine Kollektion herausgebracht. Inga Griese funkeln schon die Augen E IN E D LER ROM AN OW Die Cartier-Kollektion Étourdissant feiert Farben, Licht und Bewegung. Und dann ist da noch ein ganz berühmter Saphir wieder aufgetaucht, erfuhr Silke Bender an der Côte d’Azur SO T IC KT DER TÜF TLER Ferdinand Berthoud war mehr als ein Uhrmacher. Deswegen bringt Chopard jetzt unter seinem Namen eine Marke mit Sammlerstücken heraus. Pierre-André Schmitt kennt die Hintergründe 69 70 72 STA DTEINWÄRTS Ob für den Abend in der Oper, den Barbesuch oder das Flanieren auf dem Boulevard – hier finden Sie Inspirationen für jede Metropole der Welt FÜR GA NZ O BEN Wer sagt eigentlich, dass auf dem Gipfel die Luft dünn sei? Mit unseren Tipps behalten Sie auf dem Berg nicht nur den Überblick – Sie genießen ihn vollkommen FELD, WA LD & WIESEN Auf dem Land ist Weihnachten noch mal so entspannt. Und mit unseren Geschenkideen reimt sich das erst so richtig INTERFOTO/MARY EVANS 74 STRO H STERNSTU NDEN Strohintarsien mussten als Handwerkstechnik vor dem Vergessen gerettet werden. Die Pariserin Lison de Caunes hat sich darum sehr verdient gemacht – wer dabei ans Basteln denkt, wird staunen 76 FLAUSCH RAU SCH Die Bühnendekorateurin Heike Schönfeld verarbeitet Mohair aus Südafrika zu Schals und Decken. Sie macht das im Sommer MODE 38 A-LIGA Als es in München noch eine ernst zu nehmende Schickeria gab, stellte Aigner eine Art Uniform. Dann verstaubten ChiChi und Label. Nun ist es wieder voller Leben, das Label, weiß Silvia Ihring 40 SCOTCH PU R Highend-Strick – das ist Barrie aus Schottland. Fast hätten sie aufgeben müssen. Chanel hat dafür gesorgt, dass nicht elig on D y“ v „Am e e p d m nist. ehla t: St blog ico h c i L n Wo h erde Es w unseren r Übe htful l. 13 DER CHANEL MOMENT www.chanel.com CHANEL-Kundenservice - Tel. 01801-24 26 35 (3,9 Ct/Min. aus dem Festnetz, max. 42 Ct/Min. aus Mobilfunknetzen). ICON In Pelz und Wolle gehüllt, hat Model Elena bei unserem Shooting auf Island nicht gefroren. Links: Cape von Agnona. Mantel: Boss. Strickpulli: Bottega Veneta. Turtle-Neck-Oberteil: Cédric Charlier. Hose: Wunderkind. Stiefel: Burak Uyan. Rechts: Kompletter Look von Louis Vuitton NOVEMBER 2015 MODE 60 78 KAPITALI SM US, ABER RICHTI G Mit dem Namen Woolworth verbindet man in der Regel nichts Glamouröses. Doch wer die alte Firmenzentrale in New betritt, befindet sich in einer strahlenden Welt. Eine großartige Kulisse für unser Modeshooting Z E ITRE ISE Gut, dass es mit den Hemden für CocaCola dann doch nichts Großes wurde. Tommy Hilfiger begab sich in New York mit Inga Griese auf die Spuren seiner Karriere 96 99 100 WUNDER-ROSA-BA R Es ist rosa und glitzert? Dann sind Frauen glücklich. Wir fanden passende Kosmetik 102 HE BT DIE LAUN E Molteni & C. hat Designgeschichte geschrieben. Jetzt widmet man sich der Neuauflage der Möbel von Giò Ponti MUSTE RMÖBEL Quadrate können sehr uniform wirken – oder sie machen aus Möbeln unnachahmliche Unikate. Esther Strerath berät HEILIGE, NÖ, BLAUE NACHT Die Farbe der Nacht feiert ein Comeback, auch in der Kosmetikwelt. Die Neuheiten GO FOR IT Starfotograf Mario Testino inszeniert Talente, die von ihrem Durchbruch erzählen. Nicola Erdmann traf in den Alpen auf das Männermodel Johannes Huebl 108 GUTES FL EISCH Ludwig Hatecke aus dem Schweizer Engadin ist der Künstler unter den Metzgern 104 MRS. DENMARK 110 DAS LE BEN, EINE PRALINE Patrick Roger ist der beste Chocolatier Frankreichs. Was er macht, ist fast zu schade zum essen. Silke Bender tat’s trotzdem 106 PFLA NZEN, KUNDIG 112 GLO BAL DIARY Unsere Postkarten erreichen uns dieses Mal aus Venedig, Kopenhagen und New York 114 DER B AU PLAN So einsteht der Kaschmir-Fur-Cardigan von Brunello Cucinelli Wie Marianne Tromborg dem Skandinavien-Credo „Less is more“ folgte und so mit ihrer Kosmetik eine Menge Erfolg hat Von wegen bei Kosmetik geht es nur ums Äußerliche: Was von Dr. Hauschka kommt, beweist das Gegenteil IC E ICE, BABY Isländer gelten als leicht exzentrisch. Sie leben ja auch auf einem ziemlich einzigartigen Fleck Erde. Aber wer Mode inszenieren möchte, der ist hier richtig DESIGN 98 GESCHICHTEN 88 94 WA RMHALTEPACKUNG Canada Goose ist ein Label für Leute, die im Winter draußen ranklotzen müssen. Kein Wunder, dass man mit Inuit kooperiert: Heike Blümner sah sich das an UNSTERBLICHE AUGENBLICKE Kuba und die Monroe: Elliott Erwitt gehört zu den letzten wahren Fotoreportern. In Amsterdam gibt’s nun eine Ausstellung Pause zwischen den Geysiren. Mantel mit Materialmix: Kenzo. Lederhose und Oberteil: Hermès DIRK MERTEN (5) 44 KOSMETIK 15 STILISTEN AUCH UNSERE LIFESTYLE-WEISEN PROBIEREN’S JETZT MAL MIT GEMÜTLICHKEIT Diors Begleiter PHOTOGRAPH BY RICHARD AVEDON © THE RICHARD AVEDON FOUNDATION Als Fotograf Richard Avedon 1947 die ersten Fotos für Christian Dior schoss, hatte er sich wohl nicht träumen lassen, dass ihn seine Arbeiten für die folgenden 30 Jahre zum Chronisten der Marke machen würden. Als er zwei Jahre später das berühmte „Junon“-Kleid einfing, wird er allerdings geahnt haben, was es mit der Zeitlosigkeit des Modehauses auf sich hat. Der Bildband „Dior by Avedon“ mit klugen Texten von Justine Picardie und Olivier Saillard wirft einen Blick zurück in jene Zeit (Rizzoli-Verlag). BYE-BYE, HERBST-BLUES Unser Mittel gegen den Herbst-Blues? Ignorieren. Denn jetzt sind nicht nur die Tage kürzer, sondern gleich die ganze Saison. Während wir im Sommer sieben Monate Vorlauf für unsere Kollektionen haben, bleiben jetzt gerade mal fünf. Das bedeutet vor allem eines: Ab ins Bootcamp – formerly known as Atelier. Sollte man uns dennoch mal draußen antreffen, dann nach dem Motto: „Der Weg ist da, wo die Angst ist.“ Wir reisen nicht der Sonne hinterher, sondern geradewegs nach Hamburg, eine Stadt, die den Umgang mit feuchtkaltem Wetter zur Kunst erhoben hat: Auf ein ausgedehntes Lunch mit Lieblingskundinnen im Restaurant „Die Bank“ folgen Spa-Nachmittage im „The George“ und lange Abende am Kamin unserer Freunde. Womit wir auch schon beim nächsten Herbst-Highlight wären: jegliche Selbstkasteiung über Bord zu werfen. Gedanken an die Bikini- beziehungsweise Badehosenfigur sind obsolet und ein Mehr an Volumen lässt sich auf die Winterstoffe schieben. Deshalb nutzen wir unsere Stippvisiten in der Schweiz auch für die Klassiker des schlechten Eigentlich-lebe-ich-gesund-Gewissens: Johnny Talbot & Käsefondue – und am nächsten Tag Raclette. Adrian Runhof Und Coopers Meinung zum Herbst? Je kürzer, desto besser. Als Winterenthusiast freut sich Designer-Duo des unser Hund jetzt schon auf viel, viel Schnee. Er fängt ihn, durchpflügt, isst ihn. Vermutlich Modelabels „Talbot ist er ein Schlittenhund, der im falschen (Terrier)Körper geboren wurde. Runhof“ in München Wir hingegen wappnen uns gegen die Kälte mit einer herzerwärmenden Idee: Zur Adventszeit verwandeln wir den Innenhof unserer neuen Münchner Boutique in ein Lichtermeer. Abends lassen wir uns versehentlich einschließen, genießen die Pracht der barocken Räume um uns herum und schauen hinaus in das Funkeln und Glitzern. Ganz versonnen, mit einem Glas Rotwein in der Hand. Und froh, unseren Hamburger Kamin-Freunden zukünftig ein adäquates Erlebnis bieten zu können. 16 Weihnachtszauber: Sieht aus wie ein echter, der Kunstbaum mit eingebauten Lichtern ÜBER BALSAMHILL.DE BOUTIQUES BERLIN • FRANKFURT • MUNICH Big Bang Jeans Diamonds. Damen-Chronograph aus Edelstahl, Lünette besetzt mit 36 Diamanten von insgesamt 1,8 Karat. Ziffernblatt aus original Jeansstoff besetzt mit 8 Diamanten, exklusiv kreiert von Hublot. Band aus verwaschenem Jeansstoff, aufgenäht auf schwarzes Kautschuk. Auf 250 Exemplare limitierte Edition. AprèsSki THE STYLISH LIFE; TENEUES; FAIRCHILD PHOTO SERVICE/CONDÉ NAST/CORBIS Trendsportarten sind flüchtig. Die Tradition, sich im Winter zum Skifahren in Aspen, St. Moritz und Co. zu treffen, hat sie alle überdauert. Gelegentlich muss etwas Kunstschnee aushelfen, wie hier bei Moncler – in Paris. Mehr Stil zeigt „The Stylish Life Skiing“ (teNeues). UND SONST NOCH KARTELL WIEDER DA: 1912 eröffnete Madame Vionnet ihren eigenen Haute-Couture-Salon in der Pariser Avenue Montaigne. Mehr als 100 Jahre später gehört die Marke Goga Ashkenazi, und sie eröffnete nun nahe der ersten Adresse einen 250 Quadratkilometer großen Flagshipstore. (Rue FrançoisIer)æ HOCH DIE TASSEN: Butterbrot zum Wodka gibt’s ab 17. November für vier Tage in der Popup-Boulangerie von Grey Goose (Friedrichstraße 124, Berlin). æ MIT GEBRÜLL: Der französische Papier Tigre weitet sein Revier aus und ist nun auch in der Hauptstadt mit einem Shop anzutreffen. Mit dabei: Schreibwaren, Geschenke, Dekoration Spielzeug – natürlich alles aus Papier (Mulackstraße 32, Berlin) æ PLANET PLASTIK: Das Kartell Museum in Mailand hat nach einem radikalen Make-over wieder geöffnet. Ein Blickfang ist der weiß getünchte Fiat 500, auf dessen Dach Skier montiert sind – die Halterung ist das allererste Plastikteil, das die Firma je hergestellt hat. Das war 1949, gerade hatte Chemiker Giulio Castelli Kartell gegründet. Zwei Jahre später kam die erste Kollektion für den Haushalt auf den Markt, ein Eimer mit Deckel. Heute wird jede Minute irgendwo auf der Welt ein Teil der Marke verkauft. 1000 Exponate zeigt das Museum auf 2500 Quadratmetern und drei Etagen. Ein Ausschnitt nur, und doch wird hier klar, wie omnipräsent die Marke ist, wer hätte nicht schon mal auf dem Bestseller „Ghost“ (der erste transparente Stuhl, 2002) Platz genommen..? Via delle industrie 3, 20082 Noviglio Du hast da was: PuschelTaschenanhänger mit Initialen Ü B E R F E N D I I N D E R M A X I M I L I A N S T R S S E 12 –14 IN MÜNCHEN RAUSCH ODER RAUS Wir schalten um in den Wintermodus. Die Sonne macht’s vor und zeigt sich jeden Tag zwei Minuten weniger. Runterfahren. Wer nicht das Glück hat, bis zum nächsten Frühling in den Winterschlaf zu treten, muss seinen eigenen Weg finden, entspannt durch die kalte Jahreszeit zu kommen. Mein Rat: Betrinken Sie sich! Wobei, offen gestanden leiste ich dem selbst wenig Folge. Sobald meine Bürotür ins Schloss Herbert Seckler fällt, findet man mich im Wattenmeer oder am Strand – nicht trinkend, aber spazierend mit meiKultwirt vom Sylter „Sansibar“ nen Hunden. Raus, raus, immer nur raus in die Natur. Das macht den Kopf frei. Wie, zu kalt? Legen Sie zwei Schichten Kleidung oben drauf oder investieren Sie bei allzu großer Frostbeuligkeit in eine von diesen Ultra Light Daunenjacken. Danach fühlt es sich großartig an, nach Hause zu kommen. Die Deutschen sind Meister im liebevollen Einrichten. Nirgends geben die Leute so viel Geld für Möbel aus wie hier. Jetzt ist die Zeit zu genießen, was man geschaffen hat. Ich nehme dafür gern auf dem Sofa Platz, nebst Käse, Brot und Dip. Über den Fernseher flimmern Serien. Ich schaue alles: „The 100“, „House of Cards“oder „Game of Thrones“. Mein eiserner Thron ist glücklicherweise bequem gepolstert, es lässt sich lang darauf aushalten. Dazu passt ein königlicher Merlot aus dem Nappa Valley. Der 2012er Amuse Bouche hat gerade lang genug gelagert, um ein weiches Pflaumenaroma zu entwickeln. Keine Panik, wenn Sie nicht passend zum Serienprogramm einen goldenen Kelch zur Hand haben, in einem bauchigen Weinglas entfalten sich die Aromen ohnehin viel besser. HOW TO ART – TEIL VI: Schattenloses Dasein FLORENTINE JOOP Vorfreude ist der rote Teppich des Glücks. Früher! Als das Christkind noch lebte. Wünsche noch Flügel hatten. Christbaum. Glänzende Augen. Verpackte Berge. Schenken machte glücklicher, als beschert zu werden. Heute: Ein Klick bei Amazon – mit Lieferadresse des Kindes. Anruf bei Manufactum – Transport in die Studenten-Bude. Wie war noch mal Papas PayPal-Code? Ach. Zünden Sie sich eine Bienenwachskerze an und öffnen Sie eine Flasche Dom Pérignon – und schreiben Sie mit Montblanc-Füller (es gibt jetzt einen fürs Fliegen) eine Liste, die Ihr Herz diktiert. 1. Zeit. Für sich selbst – und andere 2. Hermès-Apple-Watch – mit Ladeknopf am Nachttisch 3. Light-Helikopter oder „Tragschrauber“ – Prospekt! 4. Tom-Ford-Parfüm 5. Alle alten 007-Romane 6. Das goldbronzene buchleichte MacBook 7. Neues Riesen-iPad mit Stift 8. Die Biografie über John le Carré (Englisch). 9. Asterix – „Der PapyDavid rus des Cäsar“ Blieswood (Deutsch oder FranzöConnaisseur sisch). aus Hamburg 10. Schneekanone für Romantiker. 11. Eine Vespa zum Träumen (auch gebraucht) 12. Skibrille mit Handy-Kopfhörern von Oakley 13. „Exclusive Yachtclubs“ (133 Fotos) von Svante Domizlaff – wenn die eigene Yacht überwintert 14. ...... 15. ...... 16. ...... 17. ...... 18. ...... 19. ...... Bitte selbst ausfüllen! Hoffentlich schneit es – wie früher, als unsere Augen noch leuchteten. Das Licht schwindet. Der Tag erhellt sich meist im Zwielicht, der Regen wäscht die Laune hinfort, und die Blätter wirbeln vor den Scheinwerfern herum, bevor sie sich ablegen, um eine rutschige Schicht auf Berlins Bürgersteigen zu werden. Lichtabwesenheit ist der Malerei abträglich. Ohne Licht keine Schatten, keine Kunst der Farbe und Form. Keine Lust mehr. Meine ansonsten so geliebte Heimatstadt Hamburg hatte uns Gestalter nie mit Licht verwöhnt. Das graue Helle, das die Augen blendete, tat meiner Malerei nicht gut. Der erhebendste Moment ist es, die Lichthebung zu setzen, geschickte Tüpfelchen auf Mittelgrund, die die Raum- und Bildwirkung vervollkommnen. Dann zeigt sich, welch malerisches Geschick in einem steckte. Gelernt ist gelernt, sagt der Norddeutsche, aber dafür braucht es eben das Licht, um überhaupt sehen zu können und das Sehen zu lernen. Es ist kein Wunder, dass so unsagbar viele Maler ihr Licht sehnendes Heil in den Mittelmeerregionen suchten. Sogar in den Wintermonaten scheint dort die Sonne und streichelt das kreative Auge mit leuchtenden Farben und langen Schatten. Es ist ein schattenloses Dasein in den nördlichen Regionen unseres Landes. Zeichnen ist eine Lösung, denn für eine gute Zeichnung braucht es anderes Licht. Da reicht auch grelles Kunstlicht, um den sensiblen Strich und die lebendige Schraffur zu schaffen. Es gab und gibt viele grandiose Zeichner, Grafiker und Bildhauer in meiner Mal was Eigenes: Kaschmirpullover oder Twin-Sets selbst gestalten ÜBER PRINGLEDECONSTRUCTED.COM Heimatstadt. Allen voran natürlich Horst Janssen, aber auch Loriot studierte in Hamburg und Fritz Fleer mit seinen Bronzefiguren. Maler sind Mangelware geblieben. Berlin gab mir das Licht zurück, der Himmel so weit, die Sommer so heiß, der Winter so kalt, und die Sonne hat Platz zum wandern. Einer meiner liebsten Maler, Walter Rudolf Leistikow, und auch Max Liebermann waren Lichtbringer, schufen flirrende und irisierende Landschaften. Berlin ist eine Stadt mit internationalem Licht, könnte man sagen. Hamburg machte mich zum Zeichner, Berlin zum Maler. Und genau wie deutscher Wein lange Zeit chronisch unterbewertet wurde, so wird auch das Licht hierzulande nicht genug gewürdigt. Malerische Landschaften, fand schon Casper David Friedrich, dafür braucht man gar nicht an die Côte d’Azur, da reicht Hiddensee. Bleibt da immer noch der Herbst mit seinen kurzen nebligen Tagen, den bleiernen Regenwolken über bleiernen Gemütern. Nun ist wieder Zeit für ein Gefühl, welches uns Kreativen sehr vertraut ist: die Melancholie, nicht zu verwechseln mit Depression oder Schwermut. Melancholie ist dem Kreativen sein Salz in der Suppe, deshalb mag der Sommer das Licht bringen, der Herbst bringt die Idee. Und wenn das Licht sich zurückzieht und der Mond wieder Hof hält, kann der Künstler entspannen und träumen, innerlich auf Reisen gehen. Denn wo viel Licht ist, kann man den Mond nicht sehen. GETTY IMAGES PICTURE ALLIANCE SANTA BLIESWOOD Florentine Joop Illustratorin und Autorin in Berlin 19 Einfach mal raus jetzt. Es war schon immer ein Kommen und Gehen. Die Menschen kamen wegen des guten Wetters, um eine Traumkarriere in Hollywood zu machen oder um an einer der vielen Universitäten und Hochschulen zu studieren. Danach zogen sie weiter. Über die Frage, ob es ein neues Los Angeles gebe, lächeln die Angelenos. Bewegung und Veränderung sind der Normalzustand. Die nach New York zweitgrößte Stadt der Vereinigten Staaten zählt als Metropolregion mit knapp 18 Millionen Einwohnern zu den größten der Welt. Mit allen Vor- und Nachteilen: Wenn Sie durchschnittlich 64 Stunden pro Jahr im Stau stehen, muss Mobilität neu erfunden werden. Abschrecken lässt sich davon allerdings niemand. Insbesondere aus Paris und New York ziehen jetzt immer mehr Künstler nach L.A., mieten in maroden Stadtteilen alte Lagerhallen, eröffnen Cafés, Galerien und Ateliers und prägen damit das kulturelle Leben. Downtown werden alte Gebäude aufwendig saniert, und mit den neuen Hotels, Restaurants und Läden entsteht da, wo sich eben noch nachts keiner auf die Straße traute, ein neues Zentrum. Im September ist dort gerade das Broad Museum eröffnet worden, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Museum of Contemporary Art und der Disney Concert Hall. Spätestens seit der Eröffnung des Getty Centers 1997, hoch oben in den Santa Monica Mountains, kommen Touristen allein für den Besuch von einem der 300 Museen. Was sie sehen, stammt wesentlich aus privaten Sammlungen und reicht von spektakulärer zeitgenössischer Kunst über Dinosaurier bis zu interaktiven, biologischen und physikalischen Wundern, Letzteres im California Science Center. Galerien namhafter Künstler und immer wieder Stars und Sternchen und Hollywood-Feeling am Sunset Boulevard sowie in Nachtklubs und Bars im Trendviertel Silver Lake. Dazu traumhafte Parks und die Avantgardearchitektur der 1920er- und 30erJahre von Frank Lloyd Wright, R. M. Schindler, John Lautner und Richard Neutra. Viele der Gebäude schrieben Filmgeschichte. Das kunstvolle Innere aus Marmor, Eisen, Holz und Glas des Bradbury Building beispielsweise kennen Sie aus den Blockbustern „Chinatown“ und „Blade Dr. Maria Runner“. Was kaum einer weiß: Es wurde von Schneider dem arbeitslosen Designer George H. Wyman Kreativdirektorin entworfen, der nie zuvor ein Haus gebaut hatte der Autostadt und der den Bauauftrag annahm, nachdem sein in Wolfsburg verstorbener Bruder es ihm in einer Séance befohlen hatte. Leider starb Wyman, bevor das Haus 1893 fertig wurde. Irgendwie alles filmreif! Sehenswert ist zweifellos auch die Cathedral of Our Lady of the Angels von José Rafael Moneo, die drittgrößte Kathedrale der Welt mit Platz für 3000 Menschen im Innenraum und 6000 im Kirchhof oder die Union Station aus der Zeit als Hollywoodstars wie Marlene Dietrich noch mit dem Zug reisten. In L.A. muss alles, so scheint es, etwas größer oder schöner sein als insbesondere in New York: Der größte Stadtpark der USA, der Griffith Park, fünfmal so groß wie der Central Park in New York, ist ein Geschenk des Millionärs Griffith mit 90 Kilometer Wanderwegen, Pferderanch, Karussells, einem Zoo, Planetarium und Museum. Auf den langen Wegen durch die Stadtteile lohnt ein Stop im „Zinc Café Market & Bar“ im Arts District oder im Biorestaurant „Gracias Madre“ im angesagten Mission District, ein Hotspot für vegane VIPs. Natürlich hat L.A. auch eine elegante Seite: Der Blick von der Terrasse des „Nobu Malibu“ auf den Pazifik ist mindestens so spektakulär wie das Essen. 20 CHRISTOPHER BAILEY WAS NEUES IM WESTEN? Londoner Schirmherr Ob Burberrys CEO und Kreativchef Christopher Bailey im engen Kontakt zu Harry Potter steht, ist nicht bekannt. Fest steht, dass er sich dieses Jahr der Gestaltung des traditionellen „Claridge’s“-Weihnachtsbaums in der Lobby des Londoner Hotels annimmt. Da denkt man schon an Zauberei, wenn aus über 100 metallisch reflektierenden Regenschirmen ein Festbaum wird. Bau-Art: Adventskalender zum Selbstfüllen für Designbewusste Ü B E R H I E R O N Y M U S - C P. C O M FOTOGRAFIE VON KILLIAN SCHÖNBERGER,AUS THE GREAT WIDE OPEN,COPYRIGHT GESTALTEN 2015 Himmelsgewölbe Wenn es zu Hause dunkel und trist ist, schweifen die Gedanken in die Ferne. Heben ab in höhere Gefilde wie die Sextner Dolomiten. Der Bildband „The Great Wide Open“ von Jeffrey Bowman, Sven Ehmann und Robert Klanten führt in 42 Panoramen um die ganze Welt (Gestalten Verlag). GEMÜT UND GEMÜTLICHKEIT 22 BERG-SEHNSUCHT Ich bin im tiefsten Chiemgau aufgewachsen und habe jeden Tag die Berge gesehen. Das prägt. Als kleines Mädchen war eines meiner spannendsten Abenteuer, in unserem Kinderbadezimmer auf den Toilettenrand zu klettern und von dort, auf Zehenspitzen stehend, aus dem Dachfenster zu gucken. Denn von dort offenbarte sich mir die Frontalansicht der Kampenwand, mein 35 Kilometer Luftlinie entfernter „Hausberg“ und je nach Wetter quasi zum Greifen nah. Manchmal war die Sicht so klar, dass ich sogar glaubte, das Gipfelkreuz, übrigens das größte in den bayerischen Alpen, berühren zu können. Am aufregendsten war es jedoch abends: Die glitzernde Lichterkette der Kampenwand-Gondelbahn faszinierte mich unendlich und meine romantische Berg-Sehnsucht wuchs ins Unermessliche. Die Kampenwand war quasi mein zweites Zuhause: Im Winter verbrachte ich jede freie Sekunde mit Skiern und ohne Stöcke als „Pistensau“ (O-Ton meines Vaters), und im Sommer wanderten wir als bajuwarisch gekleidete Bilderbuchfamilie zum Gipfel hinauf. Zwischen den 1669 Metern meines bayerischen Lieblingsbergs und dem Mount Everest als höchstem Berg der Welt gab’s für mich damals keinen Unterschied: Von oben auf die Welt, das hügelige Grün des Chiemgau und das unendliche Blau des Chiemsees zu blicken und dabei die steinerne Alpen-Kulisse im Rücken förmlich zu spüren, das raubt mir auch heute noch den Atem. Neuer Praktikant? Unser Uhrenmagazin fand Helfer im Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum RAGNAR SCHMUCK In meinem Freundeskreis beobachte ich, dass viele ständig und das ganze Jahr auf Reisen sind. Und das nicht nur geschäftlich. Auch Skype, Facetime und WhatsApp haben nichts an der Mobilität geändert. Ein Wochenende hier, zwei Tage dort. Man benutzt den Flieger wie ein Taxi, trotz des Stresses beim Einchecken, der langen Schlangen und all der Unannehmlichkeiten, die inzwischen mit Flugreisen verbunden sind. Ist das „The fast lane“-Lebensgefühl aus der „Financial Times“Kolumne von Tyler Brûlé überhaupt noch so erstrebenswert? Ich reise, deshalb bin ich? Vielleicht sollten wir versuchen, mit der Ankunft des Herbstes einen Gang zurückzuschalten. Es ist die ideale Zeit, um einen besinnlicheren Lebensstil, die lokalen Vorzüge wiederzuentdecken. Hier also ein paar Tipps für den Genuss der kühleren Tage mit allen Sinnen: Genießen Sie die eigenen vier Wände bewusster. Kaschmirdecke, ein spannendes Buch und all die großen und kleinen Privilegien, die wir eigentlich für so selbstverständlich Emmanuel halten. Profitieren wir wieder mehr von de Bayser unseren wunderbaren kulturellen EinrichMitbesitzer von „The Corner tungen. Ein Museumsbesuch, ein Konzert Berlin“ oder abends ins Theater: Genießen wir mehr die großartigen Dinge vor Ort, ohne immer in die Ferne zu schweifen. Der Herbst ist die Zeit der Geselligkeit: Vielleicht mal wieder alte Freunde einladen, um zusammen ein neues Rezept mit saisonalen Zutaten auszuprobieren? Gemütlichkeit ist etwas fürs Gemüt. Die Batterien aufladen für eine Welt, die durch zu viel Information, Meinung und Social Media aus den Fugen zu geraten scheint. Zünden wir eine Kerze an: ein Bad im Kerzenschein, ein Dinner bei Kerzenlicht, ein aufgeschlagenes Bett im schwachen Schein einer Kerze. Romantik, Wohlbehagen, Sinnlichkeit, wer will da noch ans andere Ende der Welt skypen? L I E G T A M 19 . N O V E M B E R I N D I E W E LT Ala Zander Inhaberin der PR-Agentur Stilart in München Es ist angerichtet Ich sitze Anfang der 70er-Jahre in München auf einem angegrauten Flokatiteppich und stricke einen Regenbogenpullover. Dabei rauche ich einen Joint und höre „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd. Ich trage Hotpants, Willy Brandt hat den Friedensnobelpreis bekommen und meine Nachbarn suchen ihren Frieden in den Armen von Bhagwan. Von diesem Wahn halte ich allerdings nichts, sondern denke darüber nach, wie es mit meinem Leben weitergeht und in welchem Beruf ich mich als Nächstes versuche. Ich hatte es schon als „Bild“-Reporterin, Werbetexterin, Fotografin und in einem Reisebüro probiert, aber alles erfolglos wieder abgebrochen. Jetzt bin ich 27 Jahre alt und müsste doch endlich meine Berufung finden. Aber in meinem berauschten Zustand denke ich lieber darüber nach, wie ich die nächste Party mit meinen Mitbewohnern in unserer abgerockten Villa in Pasing organisiere. Darin bin ich richtig gut, und unsere dekorativen, exzessiven Feste mit Disco-Sound und -Feeling machen Furore. Flower Power und Hippie-Kultur sind angesagt: Schlaghosen, Peace-Zeichen und Blumen über Blumen. Dem Schrecken des Iris von Arnim Vietnamkrieges setzen wir bunte, schrill gemusterte FolkloreDesignerin in Hamburg und Nostalgie-Looks entgegen, und Pazifismus und sexuelle Freiheit stehen im Mittelpunkt des Interesses. Aber auch meine bunten Pullover kommen gut an. Viele Freundinnen möchten unbedingt einen haben. Stricken ist damals das Credo. Von der Kleidung bis zur Dekoration der Wohnung wird alles gestrickt und gehäkelt, und auch Männer greifen ungeniert zur Stricknadel. Ich brauche eine Idee. Die habe ich, als mir klar wird, dass ich meine Pullover vervielfältigen lassen muss, und 24 Fest-Schuhwerk: Die „Dandy Mirror“-Derbys gibt’s auch in Christbaumkugelblau und -rot E T WA I M K A D E W E B E R L I N , T A U E N T Z I E H N S T R . 21– 2 4 zwar von Heimarbeiterinnen. Ich verlasse München, das mir kein Glück gebracht hat, und ziehe nach Hamburg in eine kleine Wohnung in die Brüderstraße. Dort eröffne ich 1976 eine Boutique. Die Regenbogenpullis werden abgelöst. Ich entwerfe Geschichten in Strick, bunt, wild, gemustert, mit Motiven aus der Kunst, ein typisches Produkt des übermütigen und freien Lebensgefühls der 70er-Jahre. Was damals der Vietnamkrieg war, sind heute leider viele Kriegsschauplätze in aller Welt. Angst, Flucht, Tod und Entsetzen sind allgegenwärtig. Deshalb kann ich gut verstehen, dass die Mode ihre Inspiration derzeit wieder aus den 70er-Jahren bezieht. Es ist die Sehnsucht nach Freiheit und Lebendigkeit. Alles schien möglich, es gab kein ModeDiktat. Ich kann dieses Revival gut verstehen – Hauptsache, die Schulterpolster bleiben uns erspart. FRATELLI ROSETTI MEINE WELT SIND DIE SIEBZIGER CATHLEEN NAUNDORF Einmal in die Töpfe der gehobenen Küche im Hotel „Plaza Athénée“ in Paris schauen, das wäre doch was. Fotografin Cathleen Naundorf hat sich getraut und serviert eine DiorRobe, angerichtet auf einem Polaroid. Verwaschene Kontraste geben die für die Fotografin typische nostalgische Note. Jener Stil brachte der Deutschen schon Fotoaufträge bei sechs Couture-Häusern ein. Die Ergebnisse zeigt ab 7. Januar die Ausstellung „Haute Couture“ in der Edwynn Houk Gallery in New York. MERT ALAS AND MARCUS PIGGOTT/TASCHEN VERLAG RotBündchen Nein, Gisele Bündchen hat sich nicht im Nikolaus-Fundus bedient. Der rote Rauschemantel gehörte 2008 zu einer Modestrecke der Fotografen Mert Alas und Marcus Piggott. Ein limitiertes, signiertes, gleichnamiges Buch zeigt die schönsten Bilder ihrer Karriere (Taschen Verlag). UND SONST NOCH LANGSTRUMPF: Dorothee Schumacher hat gemeinsam mit Item m6 eine Strumpfkollektion entworfen, die gesehen werden will. Ja, am besten in Riemchensandalen und Pumps. Denn die „High Heel Socks“ etwa sind mit einem kleinen Kristall verziert. Gibt’s über item-m6.com æ KLEINE SCHÄTZE: Schon zehn Jahre klimpern Thomas Sabos Kleeblatt, Herzchen und Co. an zahlreichen Armbändern. Zum Jubiläum des „Charm Clubs“ gibt es eine Sonderkollektion mit je fünf weißen Diamanten pro Anhänger, eingefasst in Sterling-Silber, über thomassabo.com æ GANZ DER PAPA:Mit der „Father & Son“-Kollektion vom Wäschehersteller Mey gibt’s Papas weißes T-Shirt nun auch für Junior. Auf Wunsch auch mit eingestickten Initialen (gibt’s etwa bei Lodenfrey in München oder Schnitzler in Münster) æ NEUERÖFFNUNG: Salvatore Ferragamo hat es sich mit Schuhen und Accessoires im neuen Ladengeschäft in Berlin schön gemacht – auf 290 Quadratmetern (Kurfürstendamm 193) æ NICHT VON DIESER WELT: Die Geschenke-Sets mit Kosmetikprodukten von Aesop sind nach Sternenformationen wie Kassiopeia oder Perseus benannt. Wir wünschen uns „Auriga“, das Zeichen für Winterhimmel. Über aesop.com æ TÜRCHEN AUF, GUTES TUN: Es gibt ihn wieder, den Charity-Adventskalender vom Concept-Store Apropos, der mit Gewinnen unter anderem von Etro, Woolrich und Schmuck von Coleen B. Rosenblat bestückt ist. Der Verkaufserlös unterstützt krebskranke Kinder, über apropos-store.com oder in den Geschäften in Köln, Hamburg oder München Für Nostalgiker: So wird es festlich mit Dolce & Gabbana 26 TRENDBAROMETER VON WOLFGANG JOOP Herr Haka Kürzlich kam die Frage auf: Was heißt Mode überhaupt? Man guckt dann schnell im Internet und ich fühlte mich sehr bestätigt von der Erklärung, sie sei ein „zeitlich begrenzter Abschnitt“. Moden gehen vorbei und weil der Abschnitt begrenzt ist, können wir viel Blödsinn mitmachen. Inzwischen kommen diese Abschnitte aber derart schnell, dass bald allen die Luft ausgeht. Wir leben in einer Phase, in der Designer gehen oder sich umbringen, weil sie den Druck nicht mehr aushalten und in der wiederum die Stylisten den Ton angeben und absahnen. Ich selbst hab mir kürzlich auf Ibiza bei „Throw it out“ großkarierte Hemden aus Acryl mit schrägen Patches gekauft. Quasi lustiges Grunge. Wenn es ernst ist, ist die Lust am Verkleiden groß. Frau Dob Aber ganz ohne Marken haben wir keine Selbstverteidigung am Leib. Die Peergroup schützt. Was sagt es aus, wenn eine Marke mit dem Namen „Les Enfants Riches Déprimés“ erfolgreich ist? Das ist ein Streetwear-Label aus Los Angeles, 2012 von dem amerikanischen Künstler Henri Alexander gegründet. Die Idee zu dem Namen kam ihm morgens um 3 auf dem Montmartre in Paris. Eine Art französischer Punk mit ein bisschen 70er Subkultur und 80er Japan Avantgarde. Déconstruction trifft auf handgemachte Prints. Als Haltung gegen die Luxusmode – aber zu verrückt hohen Preisen, eine Lederjacke mal eben 3000 Dollar, T-Shirts für 500 Dollar. Nach dem Motto: „Wir sind reich, wir sind kindisch, aber so depressiv? Was ist das? OH, LOOK! UNSERE ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM) CLOUDICONA Heiter bis wolkig: Sieht aus wie ein Armband, ist aber ein Ring – „Clouds“ von Vieri + Woll-Lust: Pullover „Keel“ von Iris von Arnim + Icona in the sky with diamonds: Die „Cerfs-Volants“-Ohrringe sind von van Cleef & Arpels + = 11.797 € Entspannte Gesichtszüge: „Creme Iridoradiante Rich“ von Apot.care + + Leo macht lustig: Die Loafer sind von Unützer + Kandidat zum Kuscheln: Kaschmirdecke „Trinity Classic“ von Lala Berlin Ihren Earl Grey trinkt Icona gern aus der VeraWang-Tasse von artedona.com Weit und breit keine Sonne in Sicht: Hose von & Other Stories Comfort Zone: Die Chaiselongue ist von Minotti NERDIKEN + Grau und schlau: „Esel“ aus dem Matthes & Seitz Berlin Verlag + + Alles im grauen Bereich: Pullover von Tiger of Sweden Klarer Fall: Karaffe und Whiskygläser von Nachtmann Pures Vergnügen: „Strictly“ von Jil Sander + Ziemlich „layed back“: Der „Grand Repos“ von Vitra ist im Farbton „Razzle Dazzle“ auf 350 Stück limitiert 28 Grey Day: Hose aus der COS Essentials Seasonal Collection Durchsichtige Absichten: Brille von Tod’s über misterspex.de + Pantoffelheld: Samtslipper von Etro über mrporter.com = 6.655 € ES FUNKELT Pass gut auf Coco Chanel liebte Talismane. Einer war ein Ring mit einem Topas. Das Thema inspirierte Schmuck-Direktor 30 lich einen Geist ein. Aber ich mag und erzähle gern eine Geschichte, weil es vielen auch wichtig ist, zu verstehen, worum es geht. Trotzdem können sie den Schmuck so sehen, wie sie wollen. Früher ging es um große Steine, um Macht. Die Könige, die Bischöfe ... aber das ändert sich. Daher brauchen wir Geschichten. Die Idee der Kollektion ist also ziemlich neu, auch wenn Mademoiselle Chanel bereits 1932 eine entwarf, weil sie daran gewöhnt war, Kollektionen zu machen. Aber die meisten Leute fertigten Einzelstücke. Kollektionen waren sehr selten, auch vor 20 Jahren noch. Früher gab es am Pariser Place Vendôme, wo auch Ihr Atelier ist, all die berühmten Juweliergeschäfte. Heute drängen die großen, sagen wir mal „Lifestyle-Marken“ in Ihr Terrain. Wie sehen Sie das? Wir waren 1993 ja selbst die Ersten. Darüber darf ich mich also nicht beschweren. Es kaufte auch niemand echten Schmuck zu enormen Preisen bei einer Modemarke. Ganz genau. Deshalb war es ein smarter Zug von Chanel, zur damaligen Zeit darauf zu setzen und vorauszusehen, dass es möglich ist. Auch Chanel weist nachhaltige Produktionen und zertifizierte Lieferwege nach. Ist das Testat vom „Responsible Jewellery Council“ heute wichtiger als das Design? Es geht um verantwortungsvolle Herstellung – nicht um verantwortungsvolles Träumen! CHANEL FINE JEWELRY I st Chanel der Traum eines Benjamin Comar zu einer bezaubernden HauteSchmuckdesigners? Es stehen Joaillerie-Kollektion. Inga Griese ist beglückt jede Menge Geld und Möglichkeiten zur Verfügung. Glücklicherweise werden wir von unserem Wie arbeiten Sie? Sprechen Sie zuerst mit Karl Management sehr dabei unterstützt, dieses Lagerfeld über seine modischen Ideen? Geschäft zu entwickeln. Die Grenzen sind Nein – wir arbeiten getrennt von Herrn Laweit gesteckt. Im Schmuckdesign geht es aber gerfeld. In der Mode machen sie neun Kolleknicht darum, zu machen, was man will, son- tionen pro Jahr – das ist unheimlich viel! Wir dern zu versuchen, Dinge zu kreieren, die an- hingegen arbeiten in Zyklen von zwei Jahren. deren gefallen. Ich mache das gern, weil mir die wertvollen Materialien gefallen und weil Aber Sie nutzen das Archiv? man seiner Arbeit eine Seele geben muss. Es gibt nur sehr wenig Material, denn MadeDenn Schmuck hat keine Funktion, er hat nur, moiselle hat nur eine einzige Schmuckkollekwas man in ihn hineinlegt. Deswegen liebe tion 1932 gemacht. Wir lassen uns von ihrem ich es auch, die ältesten Stücke der Welt für Erbe inspirieren – ich meine die Löwen, die heutige Frauen zu verwandeln. Perlen, das Weiß, das Schwarz, die Kamelie und so weiter. Aber die Idee besteht nicht daHat sich deren Einstellung gewandelt? rin, nostalgisch zu sein und zu wiederholen. Ja. Lange war Schmuck ein Symbol für Macht, eine Trophäe. Heute geht es mehr um Eleganz Es ist schon erstaunlich, dass aus ein paar und Gefühl, Frauen haben ein größeres Ge- Schlüsselcodes so viele neue Produkte entstespür für die Feinheiten. Das freut mich. hen, bei denen man als Betrachter aber sofort die Verbindung Chanel herstellt. Kaufen sie immer häufiger selbst? Wir haben das Glück, für das Unternehmen Es hängt von der Kultur und dem Land ab, in einer Dame zu arbeiten, die eine Visionärin jedem Fall suchen sie ihn immer häufiger war und vieles lange vor allen anderen geselbst aus. Sie haben eine Beziehung zu dem macht hat. Also denke ich, ja, es entsteht alles Schmuck und deswegen haben wir nun die aus der Marke heraus. Die Magie von Chanel „Talisman“-Kollektion entworfen. Wir hatten hat eine enorme Tiefe, eine Tiefe im Sinne das Gefühl, dass es der richtige Moment ist. von kreativer Offenheit. Talismane braucht man immer, aber jetzt vielleicht besonders. Wenn man ihn trägt, ist man Reicht es nicht, dass Schmuck einfach schön entspannt und fühlt sich stark. Gabrielle Cha- ist? Braucht er eine Geschichte? Ein Thema? nel war ja umgeben von solchen Dingen und Die Leute müssen selbst etwas aus einer Koldaher gehören sie zur Kultur des Hauses. lektion herauslesen. Wir hauchen ihr ledig- FLANIEREN MIT HERMÈS Informationen unter: Tel. 089/55 21 53-0 Hermes.com Krokodil von rechts Auf Beutezug: Das KrokodilCollier aus üppigen Smaragden und Diamanten ist eines der Prachtstücke der 50teiligen Kollektion, die Cartier im Sommer in Südfrankreich präsentierte Luxusschmuck erlebt eine neue Hochkonjunktur. Cartier lud zur Präsentation standesgemäß an die Côte d’Azur und wartete mit einem Knüller auf: Dem legendären Romanow-Saphir mit 197.8 Karat. Silke Bender durfte ihn zumindest anschauen D 32 ie Côte d’Azur ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Zumindest, wenn man heute die Strandpromenaden entlangspaziert. Die Eleganz, der Glamour und die Prise Nonkonformität, die die Orte Antibes oder Juan-Les-Pins einst umwehten, sind aufgesaugt worden von Hüpfund Bettenburgen, China-Restaurants und kreischenden Wohlstandskindern. Die Riviera, wie sie ab den 20er-Jahren zunächst die amerikanische Intellektuellen- und Künstlerszene faszinierte, ist ein Mythos, tief verschüttet unter den Sedimenten einer ziemlich profanen Gegenwart. Man muss die Orte, in der die Vergangenheit noch funkelt, mit der Lupe suchen, sie freilegen – und genau damit kennt sich Cartier aus. Für die Präsentation seiner neuen Haute-Joaillerie-Kollektion Étourdi- ssant hat Cartier sie wieder ausgegraben und reanimiert. Erste Station: Das Art-déco-Hotel „Belles Rives“, in dem einst F. Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda die Roaring Twenties ans Mittelmeer brachten. Verblichene Schwarz-WeißFotos in der Hotelbar erzählen davon: Josephine Baker mit Gepard auf dem hoteleigenen Bootssteg, Ernest Hemingway oder Rudolph Valentino – Familienfotos eines intellektuellen Jetsets. Im Hotel, das damals noch „Villa Saint Louis“ hieß, soll Fitzgerald „Zärtlich ist die Nacht“ geschrieben haben. Heute umarmt man hier eher die Vergangenheit, als dass man sich von der Muse küssen lässt. Weiter geht es ins Château de la Garoupe in Antibes. Hier wurde für zwei Wochen fast der gesamte Cartier-Schatz versammelt. Wer in dieser Zeit eine der weltweiten Cartier-Boutiquen in der Hoffnung auf ein exklusives Einzelstück besuchte, dem wurde ein Besuch an der Côte d’Azur nahegelegt. Nicht nur die 50 neuen Kreationen der Étourdissant-Kollektion, sondern auch die historischen Kronjuwelen des Hauses waren dort ausgestellt. Im ersten Stock des Châteaus sitzt die Kreativdirektorin von Cartier, Jacqueline Karachi, in einem klimatisierten Empfangssalon und hält die Zeichnungen der neuen Kollektion mit dem bezeichnenden französischen Namen für „atemberaubend“ hoch. Sie erzählt von Bewegung, Farben, Leichtigkeit und dem Licht, das diese Kollektion inspirierte. Von farbigen Steinen, die sie aneinanderreihte wie die Pinseltupfer der Impressionisten: „Ohne die ausgesucht schönen Steine könnten wir nicht diesen Zauber entfalten“, sagt sie. Und die Steine werden immer seltener, die Nachfrage steigt. Lange war das Pariser Juwelierhaus die erste Adresse, wenn es darum ging, die üppigsten Preziosen für gekrönte Häupter von 3 Kaiserin Eugénie bis zu indischen MONTAGE: ICON; CARTIER JUWELEN „Schmuckverrückte Frauen wie Liz Taylor gibt es heute noch genug“ P I E R R E R A I N E R O, I m a g e - D i r e k t o r b e i C a r t i e r Der Romanow-Saphir ist wieder aufgetaucht. Nun als Armspange in der Étourdissant-Kollektion, zu der auch die Schmuckuhr und der Pantherreif gehören 34 3 Maharadschas zu fertigen. Heute tummeln sich einige Wettbewerber auf dem Markt. Luxusschmuck erlebt in den letzten zehn Jahren eine neue Hochkonjunktur. Wir leben in Zeiten, wo viele Superreiche nach Wertanlagen suchen, die sicherer und bleibender erscheinen als Wertpapiere und Firmenbeteiligungen. Seit 1982 arbeitet Jacqueline Karachi bereits bei Cartier, heute leitet sie ein Team aus 12 Designern. Anders als die extravagante Jeanne Toussaint, die legendäre Cartier-Designerin, Coco Chanel-Freundin und Erfinderin des Haustieres von Cartier, dem Panther, ist die kurzhaarige Mittfünfzigerin diskret fast bis zur Schüchternheit. Wenn sie von den kostbaren Steinen spricht, die sie zu einer CartierPreziose verarbeiten soll, spricht sie von Demut gegenüber deren Geschichte und Seele. Als ihr kürzlich der berühmte blaue Romanow-Saphir auf dem Samttablett gereicht wurde, um ihm zu neuem Leben zu verhelfen, musste auch sie schlucken: „So ein Stein ist etwas ganz Besonderes, er trägt so viele Geheimnisse in sich“, sagt sie andächtig. Sie ersann ihn neu als Manschettenarmreif, mit einem bewegten Strukturmuster aus Diamanten, die wie Raureif schimmern. Der kostbare Saphir lässt sich bei Bedarf auch gegen einen dezenteren, gravierten Bergkristall austauschen. Das Romanow-Armband ist das Highlight der neuen Étourdissant-Kollektion und mit einem Preis von fast acht Millionen Euro auch das wertvollste Stück. Der kissenförmige, meerblaue 197.8 KaratStein mit dem leicht pinkfarbenen Schimmer gehörte der letzten russischen Zarin Maria Fjodorowna, die ihn als Brosche trug. Durch die Revolutionswirren verschwand er lange von der Bildfläche, bis er 1928 plötzlich bei Cartier in New York wieder auftauchte und fortan als Halskette der Operndiva Ganna Walska Furore machte. 1971 veräußerte sie den wertvollen Stein bei einer Auktion an einen unbekannten Bieter, 1992 kam er bei einer Sotheby’s Auktion in Genf erneut unter den Hammer – und landete im vergangenen Jahr schließlich erneut bei Cartier. Wie, von wem – das bleibt Hausgeheimnis. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, dass der Romanow-Saphir nun ausgerechnet im Château de la Garoupe seinen neuen Besitzer finden soll. Das Anfang des 20. Jahrhunderts vom britischen Baron Aberconway erbaute Anwesen mit der spekta- kulären, kaskadenartigen Treppe zum Meer gehörte zuletzt dem russischen Oligarchen Boris Beresowski, der unter mysteriösen Umständen 2013 in England starb. Im März dieses Jahres hat die französische Justiz das Anwesen konfisziert, es geht um Strafzahlungen und Geldwäsche in Millionenhöhe. So wurde für Cartier ein weiteres prächtiges Anwesen an der Côte frei, ein temporärer Showroom der Extraklasse. Aber über die nicht minder schillernde Geschichte der außergewöhnlichen Eventlocation wollte dann doch lieber keiner der Gastgeber gern reden. Der Mann, der das könnte und der auch weiß, wie der Romanow-Saphir den Weg zu Cartier fand, hütet sein Geheimnis genauso strikt wie das Haus seine wertvollen Juwelen: Pierre Rainero, seit 31 Jahren Direktor für Image, Stil und das kulturelle Erbe der Firma. Er kennt die fast 170-jährige Geschichte des Hauses wie kein anderer. Sein Blick schweift von der Beletage des Hauses die Treppen hinunter zum Meer, das mit den Juwelen im Innern um die Wette zu glitzern scheint. Cartier und die Côte d’Azur, das sei eine lange Romanze: „Wenn ich das so sehe, muss ich spontan an einen privat gedrehten Film in unserem Archiv denken“, erzählt er. „1956 schenkte Filmproduzent Mike Todd in der Villa La Favorite am Cap Ferrat Liz Taylor ein wunderschönes Rubin-Collier, eines unserer emblematischsten Stücke der 50er-Jahre. Ihr strahlendes Gesicht sprach Bände. Die Perspektive mit dem Garten und den Treppen zum Meer ist die gleiche wie hier. Das Collier haben wir nach ihrem Tod zurückgekauft, es ist heute Teil unserer unverkäuflichen, privaten Kollektion.“ Als noch zu Lebzeiten der Schauspielerin jemand einen Dokumentarfilm über Cartier drehen wollte, fragte er nach diesem Film: „Ich selbst habe Liz Taylor daraufhin einen Brief geschrieben, um um ihre Erlaubnis zu bitten.“ Ihre freundliche Antwort: Gar kein Problem, aber man sähe in dieser Szene im Publikum auch ihren späteren Mann Eddie Fisher, und den möchte man doch bitte aus dem Film tilgen. Ohne Kommentar. Rainero lacht. Die weibliche Psychologie sei eben manchmal ein Buch mit sieben Siegeln. Schmuckverrückte Frauen wie Liz Taylor gäbe es heute noch genug. Frauen, die auch im Alltag sündhaft teuren Schmuck tragen – und das gerade hier an der Côte d’Azur. Vielleicht nicht gerade auf der Croisette, aber in den privaten Villen oder auf den Festen. Eine von ihnen ist das Jetset-Girl Bianca Brandolini d’Adda, das Gesicht der „Paris Nouvelle Vague“Kollektion von Cartier. Später, beim Empfang im Strand-Restaurant „La Guérite“ auf einer Insel vor Cannes, erscheint sie mit einem üppigen Krokodil aus Smaragden und Diamanten, das sich von rechts um ihren zarten Hals wickelt – ein weiteres Paradestück aus der Étourdissant-Kollektion. Designerin Jacqueline Karachi verschluckte sich fast an ihrem Hummer. Ein hektischer Blick umher: Ist denn genug Security da, um Model und Schmuck ausreichend zu schützen? Ihr Kollege Pierre Rainero findet jedoch: CartierSchmuck sei zum Tragen da. Nichts sei doch trauriger, als wenn die schönen Stücke statt im Sonnenlicht an einer schönen Frau zu strahlen in irgendwelchen dunklen Tresoren lagern. Der alte Glanz der Côte d’Azur, er kann noch immer magisch funkeln. In der Villa L’Antre de Minotaure, in der Picasso von 1961 an lebte und arbeitete, in der er 1973 starb und in der sich seine Witwe Jacqueline 1986 erschoss, durften ausgesuchte Cartier-Kunden und die Presse später am Abend für ein paar Stunden einen Blick auf die Bucht von Cannes werfen. Das mit drei Toren gesicherte Immobilien-Juwel gehört heute einem anonymen, belgischen Kunsthändler. Nur weil dieser die Villa heute wieder verkaufen will, war es überhaupt möglich, das Atelier des Meisters und das Gefühl zu genießen, zu den Auserwählten zu gehören, die sich – versteckt hinter hohen Mauern und langen, knirschenden Kieseinfahrten – offenbar noch immer zu exklusiven Festen unter sich treffen. EGS 2079 - EGS 2080 - EGS 2082 ARMANI.COM/ATRIBUTE COMEBACK Beim Namen des Tüftlers Der Uhrmacher Ferdinand Berthoud war seiner Zeit voraus. Unter seinem Comeback: 2006 kaufte Karl-Friedrich Scheufele die Namensrechte des Uhrmachers Ferdinand Berthoud. Nun gibt es den ersten Chronographen 36 N atürlich kannte ChopardCo-Chef Karl-Friedrich Scheufele den Namen dieses Mannes: Wusste, dass Ferdinand Berthoud (1727 -1807) ein bedeutender Uhrmacher gewesen war, dass der Mann Könige, Kaiser aber auch Revolutionäre beliefert hatte, dass er wichtige Abhandlungen über die Uhrmacherei geschrieben und hochpräzise Chronometer für die französische Marine gebaut hatte. Karl-Friedrich Scheufele ist schließlich leidenschaftlicher Uhrensammler. Und er hat in seiner Sammlung auch Stücke von Ferdinand Berthoud. Viele davon sind heute leider nicht mehr erhalten. Als sich im Jahre 2006 dann die Gelegenheit ergab, die Rechte am Namen Ferdinand Berthoud zu kaufen, griff Scheufele zu. „Es bedeutet mir viel, dass er nur wenige Kilometer von Fleurier entfernt geboren wurde“, erzählt der Unternehmer bei einem Treffen im Pariser „Hotel Vendôme“. In Fleurier, so muss man wissen, werden bei Chopard Manufacture die hochwertigen L.U.C.-Kaliber der Marke gebaut. Die etwas einfacheren, industriell gefertigten Rohwerke produziert die Marke im hauseigenen Unternehmen Fleurier-Ebauches. Und bald werden in einem eigenen Gebäude nun auch Ferdinand-Berthoud-Uhren gefertigt – zum Auftakt werden es Haute-Horlogerie-Uhren für mehr als 220.000 Euro sein. Blick zurück: Ferdinand Berthoud wird am 18. März 1727 in Plancemont sur Couvet im Neuenburgischen Val-de-Travers als Spross einer angesehen Uhrmacherfamilie geboren. Offensichtlich ist es dem ehrgeizigen jungen Mann jedoch zu eng im Tal, als 18-Jähriger wandert er nach Paris aus. Der Start dort ist eher unerfreulich. Weil er seine Ausbildung nicht bei den Meistern der Pariser Gemeinschaft absolviert hat, muss er als einfacher Geselle arbeiten. Damit findet sich der Mann nicht ab, er schreibt seine Überlegungen zur Uhrmacherei in einem Aufsatz mit dem Titel „Anwendung zur Weiterentwicklung der Uhrmacherkunst“ auf. Dazu steckt er die Beschreibung einer neuartigen Uhrenkonstruktion in einen Briefumschlag – und reicht die Papiere bei der königlichen Akademie der Wissenschaften ein. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich war- ten: Louis XV., König von Frankreich, verleiht Ferdinand Berthoud 1753 den Titel eines Uhrmachermeisters. Er kann jetzt endlich in der Rue de Harlay sein eigenes Atelier eröffnen. Dem Publizieren bleibt der Uhrmacher treu. Er schreibt Artikel für die von Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert herausgegebene neue Enzyklopädie. Und es folgen viele Bücher, die zu Standardwerken werden. Wirklich berühmt wird Ferdinand Berthoud aber für seine Marine-Chronometer. 1768 werden zwei Exemplare auf einer 18 Monate dauernden Seereise der Corvette „Isis“ von Rochefort nach Santo Domingo und zurück getestet. Mit Erfolg. Mit dem Marinechronometer Nr. 8 konnte die Position des Schiffes akkurat ermittelt werden – dank der für die damalige Zeit hochpräzisen Uhr auf einen halben Grad genau. Karl-Friedrich Scheufele liebt diese Art von Geschichten. Der Mann, der neben Uhren auch ein Faible für Klassiker des Automobilbaus hat, wollte deshalb den Namen Berthoud zum Programm seiner neuen Uhrenmarke machen: „Wir haben uns überlegt“, sagt Scheufele, „wie Ferdinand Berthoud eine Uhr wohl entwickeln würde, wenn er heute lebte.“ Und so sei der neue Chronograph entstanden. Liebhabern schöner Uhrenmechanik wird sofort die spezielle Säulenkonstruktion des Werkes auffallen. Die Uhr hat ein Tourbillon und vor allem einen aufwendigen Antrieb über Kette und Schnecke. „Ein Kunstwerk“, kommentiert der Initiator. Und streng limitiert. 100 Stück wird Chopard bauen, 50 in Roséund 50 in Weißgold. Die Uhr wird nur an zehn exklusiven Verkaufspunkten zu haben sein, einer davon ist die Boutique Dubail am Place Vendôme. Geplant sind weitere Modelle, auch eines für rund 50.000 Euro. Über die Frage, ob das neue Stück dem Namensgeber gefallen würde, kann man nur spekulieren. Überliefert ist, dass er Neuerungen offen gegenüber stand. Als der französische Nationalkonvent 1793 den neuen Revolutionskalender erließ, baute Berthoud auch entsprechende Uhren. Sie teilen den Tag in zehn Stunden auf, die Stunde in 100 Minuten und die Minuten in 100 Sekunden. Man hat ihm dies später nicht übel genommen. Im Gegenteil: Drei Jahre vor dessen Tod schlug Kaiser Napoleon 1804 den Uhrmacher aus der Schweiz für seine Verdienste zum Ritter der Ehrenlegion. Solides Handwerk hat eben über alle politischen Strömungen hinaus Bestand. Pierre-André Schmitt MONTAGE: ICON Namen bringt Chopard nun eine neue Marke mit Sammlerstücken heraus S pl e n d or a Der spektakulärste Weg, Licht zu brechen, hat 137 Facetten. Splendora BY KIM etabliert mit dem WEMPE-Cut® einen vollkommen neuartigen Diamantschliff in feinster Qualität. Im Gegensatz zum Brillantschliff mit 57 Facetten glänzt der WEMPE-Cut® mit 137 handgeschliffenen Facetten. Erleben Sie unabhängig und international zertifizierte Solitaire im Rundschliff, die sich durch extrem hohe Lichtreflexion und außergewöhnliche Brillanz auszeichnen. Entdecken Sie die Weltneuheit Splendora BY KIM jetzt in Ihrer Wempe Niederlassung und auf splendora.wempe.de An den besten Adressen Deutschlands und in London, Paris, Madrid, Wien, New York und Peking. www.wempe.de AIGNER (5) MADE IN GERMANY Erinnerungen an Etienne In den 70ern traf sich die Münchner Society beim „Aigner Renntag“ in Riem. Das Label heute: CEO Sibylle Schön und Designer Christian Beck, ein Look aus der Frühjahr/ SommerKollektion 2016 und die dem Emirat Katar gewidmete „Cybill“-Tasche aus der „Metropolitan“-Jubiläumskollektion Der Münchner Jetset und der Logo-Gürtel: Aigner ist ein Stück deutsche Modegeschichte. Und mit 50 Jahren wieder erfolgreich C 38 hristian Beck muss ein wenig frische Luft schnappen. Kurz nach dem Interview trifft man den Chefdesigner von Aigner noch einmal beim Hinausgehen im Hof vor der Unternehmenszentrale in München. An seiner Seite: drei kleine, schmale Hunde mit glänzend grauem Fell, die aufgeregt neben ihm hertrippeln. Für eine so knabenhaft schlanke Person wie Beck – hochgekämmte Justin-BieberHaartolle, schwarze Skinny Pants – könnte man sich keine passendere Rasse vorstellen als diese drei „italienischen Windspiele“. Sie alle tragen Lederhalsbänder, auf die ein hufeisenförmiges „A“-Logo appliziert ist, Maßanfertigungen aus Aigners Münchner Lederatelier. Und als ob das nicht schon vielsagend wäre, heißt eines der Tiere auch noch Etienne. Ohne Etienne Aigner, den Gründer und Namensgeber des Labels, wäre Christian Beck gar nicht hier. Aigner gilt heute als eines der wenigen erfolgreichen und international anerkannten deutschen Luxusmodeunternehmen – und im Jahr des 50. Firmenjubiläums möchte man umso mehr betonen, wie wichtig die eigene Geschichte ist. In Deutschland lebt sie bis heute in den Erinnerungen und den Kleiderschränken vieler Menschen weiter. Der eine besitzt womöglich noch einen Gürtel mit der plakativen „A“-Schnalle, die andere erinnert sich an die kleine AignerUmhängetasche im charakteristischen Burgunderrot. Solche Stücke erzählen von einer Zeit, als Uschi Glas und Pierre Brice den „Aigner Renntag“ auf der Galopprennbahn in Riem feierten und München so viel Jetset-Glamour besaß wie Saint-Tropez. „Man muss sich Gunter Sachs vorstellen, mit aufgeknöpftem Hemd und barfuß in Lederschuhen. So war das Lebensgefühl damals. Die haben den Luxus genossen und wollten einfach leben“, erzählt Sibylle Schön, CEO der Marke. „Für München war es eine großartige Zeit!“ Es war cool, und die Coolen trugen Aigner. Tempi passati, könnte man sagen. Doch einer guten Zeit nachzuweinen hilft niemandem weiter. Sibylle Schön und Christian Beck stehen für das moderne Aigner, bei dem es nach 50 Jahren so gut läuft wie lange nicht mehr. Vertretungen in 47 Ländern, 97 eigene Shops, eine Kampagne mit dem deutschen Topmodel Toni Garrn, Modenschauen auf der Mailänder Modewoche und eine limitierte Jubiläums-Taschenkollektion, die ruck, zuck ausverkauft war. „Was wir tun, kann nicht ganz falsch sein“, sagt die Chefin. Die 47-Jährige, die Erfahrungen unter anderem bei Escada, Wolford und Goldpfeil gesammelt hat, ist eine große, schlanke Frau, der blonde Bob ist zum kleinen Zopf frisiert, das schwarz-weiß gemusterte Etuikleid sitzt perfekt. Höflich-nüchterne CEO-Referate bekommt man von ihr aber nicht zu hören. Das Event zum 50. Jubiläum von Aigner in München war der „Wahnsinn“, die Taschen sind „der Hit“, und Deutschland überhaupt sei ein „cooles Land“. Dabei strahlt sie so gut gelaunt, dass man ihre Begeisterung durchaus als aufrichtig wahrnimmt. Und die Managerin hat Grund zur guten Laune. In den vergangenen Jahren haben deutsche Mode- und Accessoires-Unternehmen vor allem mit Insolvenzen und Unternehmensverkäufen für Schlagzeilen gesorgt. Auch Aigner strauchelte. Als Schön 2008 auf Wunsch der Firmenbesitzerin Evi Brandl bei Aigner einstieg, musste sie erst einmal mit roten Zahlen in den Büchern kämpfen. „Das Produkt hat einfach nicht gestimmt“, sagt sie. Sie sanierte das Unternehmen, verlegte die Design-Abteilung von Italien nach München und holte den damals erst 25-jährigen Christian Beck ins Team. Sie kannte ihn noch von ihrer Zeit bei Goldpfeil. Heute verantwortet Beck als Head of Design alles Kreative. Er entwirft die Taschenlinien, die Laufstegkollektionen und überwacht und koordiniert das Design der verschiedenen Lizenzprodukte, darunter Mode, Schuhe, Schmuck und Kinderbekleidung. Sowohl bei den Kleidern als auch bei den Accessoires bleibt er dem zeitlosen Credo der Marke treu, wagt sich aber an verspieltere Designs wie einen Rucksack aus einem irisierend grünen Stoff. Die Taschen haben schnörkellose Formen, starke Farben, Troddeln, Prägungen und Nieten. Aigner soll auch jüngere Generationen begeistern. Dafür müsse das Traditionsunternehmen aber nicht komplett umgekrempelt werden, sagt Christian Beck gelassen. „Man sollte nicht krampfhaft versuchen, etwas zu verändern, was in seinem Kern schon gut ist. Und Aigner hat ein tolles Erbe.“ Silvia Ihring bogner.com ACTIONGELADENE BILDER, SPANNENDE REPORTAGEN UND DIE NEUESTEN TRENDS FÜR DIE PISTE BESTELLEN SIE JETZT DAS BOGNER SKI-MAGAZIN AUF BOGNER.COM/ICON In der kontemplativen Umgebung Schottlands entstand dieses Kleid von Barrie mit dem Namen „Candy Tree“. Die Schauspielerin Lily Collins wirbt für die Marke HIGHLAND-COUTURE KARL LAGERFELD; BARRIE (2) Fenster auf in der Wollwerkstatt So geht der perfekte Coup: Chanel rettete die schottische B 40 raucht die Modewelt im Zeitalter eines Strickbooms noch ein weiteres Kaschmir-Label? Ein Blick in die meisten Kleiderschränke verrät, wo bisher die Grenzen des wolligen Hypes lagen: Vor allem ging es um Materialfetischismus. Vom Wollsiegel bis zur Vikunja-Qualität, meistens steht im Stricksegment die Verfeinerung des Materials und weniger die des Designs im Vordergrund. Oder anders gesagt: Die meisten Leute besitzen zig graue oder dunkelblaue Pullover, die mehr oder weniger gleich aussehen, sich aber alle unterschiedlich anfühlen. Doch jetzt endlich, bei Barrie, reißt mal jemand die Fenster der Wollwerkstatt auf. Über das verarbeitete Kaschmir braucht man sich nicht weiter auszulassen – es ist von der Qualität, die man in diesem Segment der Mode erwarten darf. Es sind die Designs, die bei Barrie weit über das Übliche hinausweisen: Ein Kaschmirkleid mit dem Namen „Candy Tree“ mit aufwendigen Stickereien und Blumenapplikationen, Mäntel mit chanelesken Bordüren, Cardigans mit knalligen, aufgezogenen Blätter-Intarsien, die an der interessanten Grenze zwischen spießig und supercool balancieren. Außerdem ist das Haus verantwortlich für das Revival des Motivstrickpullovers. Ein Genre, von dem man bisher augenzwinkernd dachte, dass nur Katzenliebhaberinnen daran Gefallen finden könnten. Ja, es gibt in der aktuellen Kollektion auch graue Kasch- Strickfirma Barrie vor dem Aus, die Designerin Odile Massuger entwirft wegweisende Designs, und Karl Lagerfeld setzt das Ganze in Szene mir-Sweatpants und dunkelblaue KaschmirCulottes, aber wer die Kür so gut interpretiert, darf auch auf dem Pflichtprogramm senden. Karl Lagerfeld hat bei diesem Coup nicht nur im Hintergrund gewirkt, sondern auch vordergründig bei der Präsentation der Marke mitgemischt. Schon seit 25 Jahren arbeitet Chanel mit der schottischen Strickmanufaktur zusammen. Besonders öffentlichkeitswirksam wurde diese Kooperation 2012 in Szene gesetzt. Unter dem Motto „Paris–Edinburgh“ zeigte Lagerfeld damals die jährlich stattfindende „Métiers d’Art“-Kollektion in den dicken Gemäuern von Linlithgow Palace in Schottland, Geburtsort von Maria Stuart und über Hunderte von Jahren Sitz der schottischen Könige. Métiers d’Art verbindet die elegante DNA des Hauses mit wechselnden traditionell folkloristischen Elementen aus Regionen der Welt, die in einer Beziehung zu Coco Chanel stehen. Die Veranstaltung ist stets eine Feier des handwerklichen Savoirfaire der mit Chanel assoziierten Ateliers. In Linlithgow Palace gab es spektakuläre Highland-Couture zu sehen, in der Wolle und Strick die zentrale Rolle spielten. Barrie hatte damals die Entwürfe für die anspruchsvollen Pariser gefertigt. Andere Häuser wie Hermès setzten ebenfalls auf die Ex- pertise der Schotten, und auch das Label selbst brachte zu dieser Zeit seine eigene Linie mit klassischer Knitwear heraus. Doch trotz treuer Kunden hatte man sich unternehmerisch verheddert. Das über hundert Jahre alte Unternehmen stand kurz vor der Pleite. Wie schon einige Male in vergleichbaren Situationen zuvor entpuppte sich Chanel nicht nur als ideeller, sondern auch als tatsächlicher Schutzpatron des hoch spezialisierten Modeund Kunsthandwerks. Die Franzosen kauften die Schotten auf, investierten eine Millionen Pfund in neue Maschinen und installierten die Kreativdirektorin Odile Massuger. Sie ist diejenige, die sich die frischen Entwürfe auf die Fahnen schreiben darf. Lagerfeld verpasste der Marke in seiner Kampagne mit der Schauspielerin Lily Collins den passenden Look. Barrie kann diese Inszenierung gut gebrauchen. Bei aller Begeisterung könnte es sein, dass es noch etwas Zeit braucht, bis die grauen und dunkelblauen Pullis im Schrank Platz machen für die wegweisenden Schotten. Heike Blümner Das Revival des Motivstrickpullovers steht unmittelbar bevor BUCHERER.COM EINZIGARTIG WIE IHRE EMOTIONEN SEIT 1888 UHREN SCHMUCK JUWELEN ANGESTIFTET Wirklich bezeichnend England trifft die Schweiz: Paul Smith hat zum hundertsten Firmenjubiläum Kugelschreiber für die Manufaktur Caran d’Ache designt. Schließlich steht der sonst so bescheidene Designer auf die Goliath-Miene 42 B ei allem, was Briten und Schweizer trennt, einen sie doch zwei Dinge: Ihr Hang dazu, Dinge nicht unnötig aufzublasen und ihre Liebe zu bestem Handwerk. Insofern ist es naheliegend, dass Großbritanniens berühmtester Designer beim Schreiben auf eine Schweizer Marke schwört, die für allerbeste Manufakturarbeit steht: Seit Langem schon benutzt Paul Smith den Kugelschreiber 849 von Caran d’Ache. Und zum 100. Geburtstag der Marke hat er nun zehn neue Farben für das Unternehmen erdacht. Die Schäfte der zehn Stifte sind jeweils in kräftigen Farbtönen lackiert. Einige Varianten erinnern an Farbspiele, die vor kurzem auch auf dem Laufsteg in der neuen Kollektion von Paul Smith zu sehen waren. Ein Blick in die Werkstätten der Firma lässt erahnen, was den Engländer an dem Stiftehersteller fasziniert: Die Firma liegt in GenfThônex, man fährt dorthin durch die gesamte Stadt am Lac Léman und wenn man nicht aufpasst, landet man in Frankreich, die Manufaktur wurde direkt an der Grenze gebaut. Als die Firma 1915 als „Fabrique Genevoise de Crayons“ (Genfer Bleistiftfabrik) gegründet wurde, befand sie sich noch mitten in der Stadt, die neuen Besitzer, die sie 1924 übernahmen, zogen aus Platzgründen auf das heutige Areal. Bis heute gelingt es, den Eindruck zu erwecken, jedwede moderne Entwicklung sei zwar komplett an der Firma vorüber gegangen – man sei aber auf der Höhe der Zeit geblieben. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben die einzige Manufaktur, die ihr gesamtes Angebot an Bleistiften, Buntstiften, Kugelschreibern und Farbstiften an einem Standort fertigt. Seinen Namen verdankt es der Begeisterung der Ehefrau des damaligen Besitzers Arnold Schweizer für den französischen Karikaturisten Emmanuel Poiré: Der signierte seine Zeichnungen mit „Caran d’Ache“, einer ins Französische transferierten Version des russischen Wortes „karandasch“. Was soviel MONTAGE: ICON Farben-Magier: Designer Paul Smith hat zum 100-jährigen Firmenjubiläum von Caran d’Ache nun den Kugelschreiber-Klassiker 849 in zehn neue Farbvarianten gekleidet wie Bleistift heißt. Heute arbeiten 300 Menschen für das Unternehmen – in 90 Berufen. Für die Mine werden Grafit und Blei nach einem geheimen Rezept zu einer Pampe verarbeitet, die unter hohem Druck zu Platten gepresst wird. Die Platten werden dann zerbröselt, die Substanz zu einer Art Endlos-Spaghetti gezogen und in gleich lange Teile geschnitten. Diese Teile müssen biegsam sein und werden per Hand zu Bündeln in Boxen gesammelt und in einer Trockenschleuder acht Stunden lang bei 110 Grad getrocknet; zum Schluss werden sie noch bei 1000 Grad gebacken. Jetzt sind sie hart, aber noch nicht malfähig, sie müssen erst noch in einem Wachsbad (auch ein geheimes Rezept) imprägniert werden, sonst krümelt es. Die fertigen Minen kommen auf ein Transportband, wo sie in eine Hälfte einer Zedernholzplatte geklebt werden, parallel auf einem zweiten Band läuft die andere Hälfte der Holzplatte, dann wird zusammengeleimt. Ein Sandwich-Prinzip also. Genauso wird mit den Farbstiften verfahren, die über 300 Couleurs werden als Pigmente während der Mischung zur Primärpampe beigefügt. Buntstifte aus allen Kästen des Unternehmens kann man traditionell einzeln nachkaufen. Genaue Zahlen nennt man nicht: „Mehrere zehn Millionen pro Jahr“, sagt Carole Hubscher, seit gut zwei Jahren als Präsidentin verantwortlich. Besonders zelebriert wird im Jubiläumsjahr selbstverständlich das erste Model, ein Zangenmienenstift, der sogenannte „Fixpencil“. Das Faible von Paul Smith wiederum für die Kugelschreiber ist leicht erklärbar, die hauseigene „Goliath“-Miene schreibt und schreibt und schreibt, für vier bis sechs Kilometer soll die Tinte reichen. Das entspricht dem Arbeitsethos des produktiven Briten. Seine Entwürfe sind übrigens durchaus bezahlbar: 45 Euro pro Stück kostet ein Modell in einem extra entworfenen Kasten. Als besonderen Clou hat Sir Paul außerdem 100 Farben aus allen Nuancen der Manufaktur für einen Jubiläums-Koffer ausgewählt. Die 849 Kugelschreiber darin bilden das für Smith repräsentative Streifenmuster. Der Koffer allerdings ist nicht im freien Handel zu haben, das Unternehmen nutzt ihn zu Repräsentationszwecken. Zum Jubiläum lud die Firma auch zu einem feierlichen Essen ein. Man sass in einem Bereich, in dem normalerweise die beweglichen Dekorationsfiguren wie Clowns oder Tiere gebaut werden. Schaufenster und Geschäfte werden damit dekoriert. Es sind komplizierte Unikate, sogar ihre Kleidung wird selbst genäht. Wie groß die Liebe zum Details ist, illustriert diese Geschichte: Als der langjährige Konstrukteur der Figuren die Firma verließ, dauerte es ein Jahr, bis zufällig jemand vor der Tür in Thônex stand, der nicht diesen Job suchte, aber, wie sich herausstellte, genau die benötigten Fähigkeiten dafür mitbrachte. Die Jubiläums-Produkte werden in neuen Schachteln, ergänzt durch die historischen Figur „Bonne-Mine“, verkauft. Und das Logo ist jetzt moderner, ein Zugeständnis an die Zeit. Das war’s aber schon, alles total unaufgeregt. Etwas darstellen zu wollen, was man nicht ist, das funktioniert nicht gut, das weiß man bei Caran d’Ache. Und auch Paul Smith spielt seine Kollektion britisch herunter: „Ich verwende die Stifte von Caran d’Ache schon seit vielen Jahren, und um den Geburtstag zu feiern, habe ich zehn einzigartige Farben ausgewählt. Ich hoffe, sie gefallen Ihnen.“ Ein Mann von Sir Pauls Kaliber hofft selten vergeblich. IC B E R L I N BY HERRENDORF LIETZENBURGER STRASSE 99 10707 BERLIN T. +49 (0)30 755 4204 56 [email protected] AGENTEN DEUTSCHLAND: PLZ 0/1/2/3/4/5 HANDELSAGENTUR STOLLENWERK T. 0221 2828259 - [email protected] PLZ 6/7/8/9 HANDELSAGENTUR RIEXINGER T. 07121 325953 - [email protected] INDIVIDUELLE EINRICHTUNGSBERATUNG SITZSYSTEM SEYMOUR | DESIGN RODOLFO DORDONI CREATE YOUR OWN DESIGN EXPERIENCE AT MINOTTI.COM WENIGES BEHÄLT SEINEN GLANZ BIS INS HOHE ALTER. DAS WOOLWORTH BUILDING IN NEW YORK FEIERTE KÜRZLICH SEINEN 100. GEBURTSTAG UND GLÄNZTE VOR ALLEM MIT PRUNK UND NOSTALGIE. UND WIR GEBEN NUN NOCH MODISCHEN GLAMOUR DAZU Goldene Zeiten FOTOGRAF: SALIM LANGATTA STYLISTIN: NADIA RATH MODELS: ZEN C/O VIVA MODELS UND CARLY MOORE C/O THE SOCIETY HAARE: MARCO SANTINI C/O THE WALL GROUP MAKE-UP: FUMIAKI NAGAKAWA C/O THE WALL GROUP PRODUKTION: ISABEL SCHARENBERG PRODUKTION AM SET: SANDRA PELIKAN DIGITALE TECHNIK: PEDRO KOECHLIN 1. FOTOASSISTENT: ARTURO STANING 2. FOTOASSISTENT: JUAN HEREDIA 1. STYLING-ASSISTENTIN: JANELLE OLSEN 2. STYLING-ASSISTENTIN: GADDIEL LOPEZ REQUISITE: SARA FOLDENAUER C/O RAY BROWN. 44 VIELEN DANK AN ROY SUSKIN UND DAS WOOLWORTH BUILDING Kleid: Max Mara. Body: Hermès. Mantel: Paul Smith. Ohrring: Christian Dior 46 Zen trägt links ein Kleid von Chanel. Ring von Pomellato. Schuhe: Prada. Carly trägt rechts Kleid und Ohrringe von Dolce & Gabbana. Schuhe: Jason Wu. Alle Strumpfhosen von Falke Diese Seite: Fake-FurMantel von Stella McCartney. Seidenchiffon-Kleid von Brunello Cucinelli. Perlenbesticktes Kleid: Jason Wu. Linke Seite: Mantel von Alice & Olivia. Kleid Tommy Hilfiger. Stiefel Tory Burch. Clutch von Burberry 49 50 Zweimal Total-Look: Zen (links) trägt ein komplettes Outfit von Saint Laurent und Carly eines von Louis Vuitton Carly lehnt an einem Vintage-Dreirad in einer Bluse von Antonio Marras. Rock von Emanuel Ungaro. Lacklederstiefel Christian Dior Rechte Seite: Hemd und Weste Ralph Lauren. Mantel: von The Row. Hose Michael Kors Collection. Ring von Pomellato 53 Beide Kleider sind von Bottega Veneta. Das Collier links von Pomellato 55 56 Diese Seite: Weißes Spitzenkleid: Valentino. Lederjacke mit Pelzärmeln: Marni. Loafer: Maison Margiela. Linke Seite: Hose: Odeeh. Spitzentop: Gucci. Blazer: Derek Lam. Schuhe: Christian Louboutin. Korsage aus Samt: Giorgio Armani SCHAUPLATZ NEW YORK Kathedrale für Kunst und Kapitalismus Frank Winfield Woolworth widmete sein Leben dem Geld. Daran ist nichts schlecht: Sein Gebäude war lange das höchste der Welt – und ist heute unter anderem eine fantastische Kulisse für Modefotografie Wenn Frank Winfield Woolworth in Ruhe arbeiten wollte, zog er sich in sein privates Büro zurück, 40 Stockwerke über dem New Yorker Asphalt. Arbeiten, das hieß für den SelfmadeMann, der als Verkäufer angefangen und mit 300 Dollar ein Handelsimperium aufgebaut hatte, vor allem eines: über Geld nachdenken. Eine Beschäftigung, für die sein Büro mit der kunstvollen Kassettendecke wie geschaffen war. Nicht umsonst wird das Gebäude, in dem es lag, bis heute „Cathedral of Commerce“ genannt – Kathedrale des Kommerzes. Wolkenkratzer-Liebhaber kennen den Spitznamen. Das aus Backsteinen geschichtete Vermächtnis des Kaufmanns trägt ihn: das Woolworth Building in Manhattan, 233 Broadway. Bis 1930, lange über den Tod des Erbauers 1919 hinaus, war es das höchste Gebäude der Welt. Mit 241 Metern überragte es die ersten Hochhäuser New Yorks. Der Bau war mehr als ein Betonkoloss. Er war Gesprächsthema. Bei Roy Suskin klingt die Geschichte etwas anders. Suskin kümmert sich seit mehr als 15 Jahren für die aktuellen Eigentümer, eine Investorengruppe, um den Erhalt des Woolworth Building. „Woolworth hatte ein großes Ego. Er mag den Bau als Werbemaßnahme gerechtfertigt haben. Aus wirtschaftlicher Sicht hatte er aber nicht viel davon, außer zwei Etagen für seine Firma.“ Die Büros der F. W. Woolworth Company befanden sich auf dem 23. und 24. Stock, dabei umfasste die Kette schon damals rund 700 Geschäfte. Die restlichen 55 Stockwerke vermietete der Unternehmer – mit Ausnahme seines Privatbüros. Was genau er da tat? Darüber könne man bloß spekulieren, es trage zum Mythos Woolworth bei, sagt Suskin. Genau wie das Gerücht, er habe nur deshalb ein Schwimmbecken in den Keller einbauen lassen, um sich nackt mit Showgirls zu vergnügen. Suskin zufolge ist das „großer Unsinn“. Der Pool war eine An- nehmlichkeit für die Angestellten: „Wenn es etwas gab, für das Woolworth Leidenschaft empfand, dann war es Geld. Er wollte für einen Dollar das bekommen, wofür andere 1,50 Dollar zahlten.“ Da brauchte er seine Leute. Vielleicht verschleierte Woolworth aus diesem Grund, welchen Preis sein Bürokomplex wirklich hatte. In den USA weiß jedes Schulkind, dass er die 13,5 Millionen Dollar für den Bau in bar beglich. Nur den wenigsten ist bekannt, dass allein 5,5 Millionen in den Kauf von Grundstücken flossen, die weitaus weniger wert waren. Die Eigentümer wussten um Woolworths unumstößlichen Plan, das höchste Gebäude der Welt zu errichten. Und er zahlte. So sehr der Multimillionär es hasste, Geld auszugeben, so wenig wollte er an schönen Dingen sparen. „Es gab den Witz, dass Rockefeller seine Hosen trug, bis die Unterhosen hindurchschienen. Woolworth war das Gegenteil, er zog sich gern gut an“, erzählt Suskin mit jovialem Ton. Was für seine Anzüge galt, galt für seinen Wolkenkratzer. Woolworth wollte Gold, Marmor, Terrakotta. Sein Architekt Cass Gilbert entwarf ihm ein Gebäude, das sich mit gotischen Fassaden-Elementen und der byzantinischen Kuppel in der Lobby bei unterschiedlichsten Stilen bediente und doch wirkt, als entstamme es einer eleganten Geschmackswelt. Im Foyer mit der Marmortreppe und den Kuppel-Mosaiken kommt zu dieser Welt eine weitere Komponente hinzu: Witz. Davon zeugen zwei Fresken namens „Labor“ (Arbeit) und „Commerce“ (Handel) und mehrere Büsten. Eine von ihnen karikiert Woolworth als Münzen zählenden Knauserer. Man kann sich vorstellen, dass ihm der Spitzname „Cathedral of Commerce“ durchaus gefiel. Der Name geht auf einen Geistlichen zurück, der der Eröffnung 1913 beiwohnte und sah, wie 80.000 Glühbirnen das neue Bauwerk erleuchteten – auf Knopfdruck von Präsident Woodrow Wilson. Ab diesem Zeit- W 58 punkt kamen die Besucher zu Hunderttausenden – ein Ansturm, auf den das Gebäude laut Suskin nie ausgelegt war. „Das Foyer ist nur sechs Meter breit, wenn sechs Touristen nebeneinanderstanden, war der Weg für die Angestellten der Büros verstopft.“ 1941 sperrte man die Besucher aus, für mehr als 70 Jahre. Trotz regelmäßigem Protest. Seit 2013 bietet die Urenkelin von Cass Gilbert wieder Touren an, buchen kann man sie auf der Website woolworthtours.com. Die Preise haben sich seit dem letzten Jahrhundert kaum verändert. Früher bezahlte man 50 Cent – so viel wie heute 50 Dollar. Und gerade einmal fünf Dollar weniger kostet eine 45-minütige Führung heute. Wer will, kann den Betrag als Reminiszenz an den verstorbenen Hausherrn interpretieren. „Wir haben Briefe von Woolworth, in denen er sich darüber aufregt, dass man 50 Cent für einen Botenjungen ausgab. Er führte einen Multi-Millionen-Konzern und wühlte sich so lange durch Papiere, bis er 50 Cent fand, die man einsparen konnte“, erzählt Suskin. Es war nicht sein einziger Tick. Er, dessen Vermögen auf dem Verkauf von Produkten für fünf oder zehn Cent („Five-Cent-Store“) fußte, legte Wert auf Qualität und Sicherheit. Und darauf, beides zu demonstrieren. Fahrstühle, die durch Luftkissen am Boden gesichert waren, ließ er, beispielsweise mit Eiern und Champagnerflaschen beladen, in die Tiefe rauschen. Suskin amüsieren solche Anekdoten: „Es gab ‚Times‘-Schlagzeilen dazu!“ In der Presse taucht das Woolworth Building jüngst wieder häufiger auf. In den oberen Etagen entstehen Luxuswohnungen und ein 110Millionen-Dollar-Penthouse. Ein vertretbarer Betrag, findet Suskin: „Kunst kostet bis zu 70 Millionen, und dieses Haus ist ein Kunstwerk.“ Der Geist des Erbauers wird in die neue, separate Lobby einziehen: Dort soll die Kassettendecke aus Woolworths Büro verbaut werden. Manch einen der zukünftigen superreichen Mieter könnte sie zum Nachdenken anregen. Und sei es über 50-Cent-Beträge. Anna Eube WWW.BRIDGEMANIMAGES.COM, ACTION PRESS Mit 241 Metern einst das höchste Haus der Welt: Das Woolworth Building am Broadway 60 Tadellos und geradeaus: Tommy Hilfiger auf der Terrasse seines New Yorker Apartments ANFANGEN „Ich will nur ich sein“ Er war jung, ein Landei, hatte kein Geld, keine Ausbildung – aber er war voller Zuversicht. Er wollte Mode machen in New York. Dreißig Jahre ist das her und Tommy Hilfiger längst einer der berühmtesten Designer der Welt. Inga Griese fuhr mit ihm noch einmal zum Anfang seiner Karriere zurück. Fotos: Jürgen Frank Karte: Claudia Bernhardt T adellos. Hätte man nur ein Wort, mit dem man Tommy Hilfiger beschreiben sollte, das wär’s. Alles an ihm ist picobello. Der dunkelblaue Anzug sitzt haarscharf, das offene Hemd ist blütenweiß und auch nach zweieinhalb Stunden Fahrt sind die Manschetten ohne jeden Makel, die Brogues (barfuß) sind poliert, das Glas von seinem Smartphone bleibt klar wie gerade ausgepackt, selbst wenn er es mehrmals ans Ohr gehalten hat. Er spricht akkurat, schaut einen aufmerksam mit blaugrauen Augen an und hält dem Blick stand. Wir treffen uns am Plaza Hotel in New York, er besitzt dort eine der spektakulären Residenzen direkt am Central Park, ein Haus im Haus mit Blick über ganz New York. Es ist seine Familien-Stadtwohnung, sein Zuhause ist in Conneticut, bei günstigen Verkehrsbedingungen 45 Minuten Fahrtzeit: Er ist ein Wassermensch, die Stadtluft macht ihm zu schaffen. Er verspätet sich etwas, wie alle im New Yorker Wahnsinnsverkehr, in der Lobby mit kunstvollen Mosaiken, elegantem Blumenarrangement und Polstersesseln lässt es sich gut warten und kultivierten Reichtum beobachten. Später, nach unserer Fahrt durch das New York seiner Anfänge, bittet Hilfiger noch in sein Appartement, man sieht das Geld, aber spürt die Wärme, mit der es eingerichtet ist. Allein das Kinderzimmer mit Kutterbett und zwei Meter hoher Flauschgiraffe für den jüngsten, achtjährigen Sohn aus der glücklichen Ehe mit Dee! Er führt durch jeden Raum, erzählt die Geschichten der Warhol-Bilder und der Fotografien, ohne auch nur eine Spur von Aufschneiderei. Und er ist immer einen Schritt voraus, um zu sehen, ob alles akkurat ist. Streicht im Kaminzimmer ein Kissen glatt, richtet im Wohnzimmer, verschiebt die Stühle auf der Terrasse mit Park-Weitblick um einige Millimeter. Das runde Turmzimmer ist Eloise gewidmet. Sie ist ein kleines Mädchen aus einem Kinderbuch, das einst heimlich im Plaza-Turm gewohnt hat. Nun versteckt sie sich hinter den Vorhängen der Trompe l’oeil-Tapete und sitzt als Stoffpuppe in der gemütlichen Sitzecke. Und das Buch steht im Wohnzimmerregal. In der schwarz-weißen Küche hängt an der Wand ein Telefon, wie man es aus alten Filmen kennt. Es funktioniert noch. Am viereckigen Tresen in der Mitte der Küche stehen kleine Gurkensandwiches bereit. Und Stoffservietten. Wir essen im Stehen und sprechen über Flüchtlinge in Deutschland. Hilfiger hat großen Respekt vor der Großzügigkeit. Er sagt, er selbst hätte Angst. Doch erst einmal geht es auf Tour. Ein sonniger September-Tag. Tommy hält die Tür zum schwarzen SUV auf, heraus fährt eine Stufe zum bequemen Einsteigen, im hellgrauen Inneren ist die laute Welt ausgeschlossen. Hilfiger sagt: „Wir fahren jetzt zur Adresse meines ersten Designbüros. Später habe ich dann eine Designfirma ganz in der Nähe eröffnet.“ Auf geht’s. Können Sie sich noch an den Tag erinnern, an dem Sie das Büro gemietet haben? Eigentlich gehörte es jemandem, der eine Firma für Damenmode hatte. Furchtbare Sachen. Aber ich musste einen Fuß in die Tür bekommen, ich wusste nämlich, dass er Produktionsstätten in Queens besitzt. Ich kannte den Neffen – und dem bot ich an: „Lass mich eine Modelinie entwerfen. Du musst mich erst bezahlen, wenn sie sich verkauft.“ Also kam ich hin und sah mir den Showroom an und die Kleidung: Blusen aus Polyester und diese Röcke, schreckliche Mode für ältere Frauen ohne Geschmack. Und ich sagte: „Ich weiß nicht, ob ich meine Kleider in einer Fabrik machen lassen kann, in der so etwas genäht wird. Aber ich habe einen Freund in Indien …“ - Sehen Sie, hier ist der Laden in der 5th Avenue! ...mit Produktionsstätten, dort könnten wir die Sachen produzieren lassen.“ Also ließen wir dort eine ganze Modelinie anfertigen. Welcher Art? Bowling-Hemden mit Stickereien und Hawaii-Hemden – sehr bunt und lässig und jugendlich. Wir nannten sie „Tommy Hill“. Hill? Ich dachte, dass niemand meinen Nachnamen richtig aussprechen könne. Es war sehr erfolgreich. Aber als ich dann Geld haben wollte, bekam ich keines. Viele Karrieren haben so angefangen. Denn die Wut, die so etwas wachruft, setzt die Kraft frei, den nächsten Schritt zu tun. Genau. Ich fand dann heraus, dass er sich den Namen „Tommy Hill“ hatte schützen lassen. Also stellte ich ihn zur Rede und sagte: „Hey, das ist mein Name!“ Und er antwortete: „Ist es nicht. Du heißt Tommy Hilfiger.“ Ich lernte dann die Leute kennen, die gleich nebenan einen Showroom hatten und beschloss, eine komplett andere ModeGediegen: Hilfigers linie in einer anderen Arbeitszimmer Fabrik in Indien produzieren zu lassen. Das wurde die „Twentieth Century Survival.“ Ich fühlte mich großartig. In welcher Zeit war das? 1980. Ich dachte dabei an Militärstil, Camouflage, Olivgrün, Khaki, Pilotenanzüge, authentische Militärkleidung, aber mit romantischen, weißen Blusen. Sie waren politisch? Ein wenig. Und gleichzeitig war es eine tolle Zeit in Indien. Ich habe nach Stoffen gesucht, mir Fabriken angesehen, war dort vor Ort und habe wirklich alles selber entworfen und gefertigt. Nach etwa einem Monat war alles fertig. Ich packte die ganze Kollektion in einen Koffer und ging damit zu Saks, zu Bloomingdale’s und Barneys und verkaufte sie. Sie wurde sehr erfolgreich. In Indien zu produzieren war damals noch ein Abenteuer, oder? Es war alles sehr einfach dort. Manche der Fabriken hatten keinen Strom. Manche hatten blanken Erdfußboden. Manchmal bekam ich meine Lieferungen, manchmal nicht. Manchmal hatten die weißen Blusen Flecken vom Curry, das die Näherinnen an ihren Arbeitsplätzen aßen. Und manchmal war das Weiß eher ein Grau. Es war also nicht leicht, Qualität produzieren zu lassen. Die Sachen waren nie wirklich perfekt. Eines Tages lernte ich dann jemanden kennen, der Fabriken in Hongkong hatte. Wir gründeten ein Unternehmen und nannten es Click Point. Eigentlich wollte ich, dass es Check Point heißt, denn ich wollte, dass alles perfekt durchgecheckt ist. Den Namen konnten wir allerdings nicht schützen lassen, also nahmen wir „Click! Point“, weil es „Klick“ machte. Wir ließen die Sachen in Hongkong produzieren, und die Qualität war super und dort – dies hier ist 3 61 New York mit Hilfiger Start:The Plaza Residences, Central Park South/ Fifth Ave. Richtung Downtown Erstes Büro: 25 West/39th Street. Erste Wohnung: 225 East/12th Trash &Vaudeville called Limbo Shop, 4 St. Marks Place, Funky Town, 14. Marks Place. Nächste Wohnung: 427 East 9th. „Needle Park", aka: Tompkins Square Park , 10th Street Dann wieder aufwärts Richtung Uptown. Türkisches Bad, 268 East 10th. Sapporo East Restaurant, 245 East 10th Street und weiter zur 25 West, 68 Street. Das erste Kind wird hier geboren Das erste Geschäft: 282 Columbus Avenue. Von dort zurück zu Plaza Residences 62 3 übrigens das alte Tommy-Hilfiger-Büro, 25 West 39th – lernte ich Herrn Murjani kennen, dem damals Gloria Vanderbilt Jeans gehörte. Vanderbilt Jeans? Ja. Das war eine große Firma, Anfang der Achtzieger. Ich hatte damals eine Stelle bei Calvin Klein und war sehr froh darüber, denn ich bewunderte ihn sehr, aber dann sagte Mr. Murjani zu mir: „Machen wir unsere eigene Firma auf!“ Und wir taten es und nannten sie dieses Mal Tommy Hilfiger! Es war Männermode, die wie für mich entworfen war: Ein bisschen popperhaft, cool, klassisch mit einer besonderen Note. Sie wurde sehr beliebt. Sie haben sich nie verändert, oder? Ich will mich gar nicht verändern. Ist das schwer? Nein. Ich will nur ich sein. Ich habe noch Freunde, die ich in der Schulzeit kennen gelernt habe. Sehen Sie, dieses grüne Gebäude … Können wir das Dachfenster bitte aufmachen? In diesem grünen Gebäude habe ich Tommy Hill und Twentieth Century Survival gegründet. Und in diesem schwarz-weißen GebäuBlick aus Hilfigers de dann Tommy HilfiApartment zur 5th ger. 1984, im 18. Stock. Haben Sie den Typen, der sie schlecht behandelt hat, je wiedergesehen? Ja, wir haben ihm die Namensrechte für Tommy Hill abgekauft. – Da ist Nadal, Rafael Nadal. FOTOS: JÜRGEN FRANK; INGA GRIESE Wir fahren an einem großen Billboard vorbei, der Tennisstar ist das aktuelle Marken-Testimonial... Also. Als wir Tommy Hilfiger gründeten, sagte Mr. Murjani, er habe gerade einen Vertrag über eine Modelinie für Coca-Cola abgeschlossen. Er fragte mich, ob ich das auch übernehmen würde. Also tat ich es. Cola-Mode? Das waren Rugby-Shirts, sportliche Kleidung in Rot und Weiß. Die Linie war sehr erfolgreich, doch dann gab es Ärger. In vielen amerikanischen Fabriken wurden die dort aufgestellten Coca-Cola-Maschinen abgeschafft, weil es hieß, Coca-Cola lasse Kleidung in Asien produzieren. Darum wollen sie nichts mehr mit denen zu tun haben. Das war ein ziemlicher politischer Aufruhr. Und ich beschloss, mich lieber voll auf Tommy Hilfiger zu konzentrieren. Fünf Jahre später ging meinem Partner, der mich finanziell deckte, das Geld aus. Also musste ich einen neuen Investor suchen. Ich ging zu den Banken an der Wall Street. Ich fragte Leute, die ich kannte – Freun- Der Vintage Store in de, Familienmitglieder. St. Marks Place Aber ich fand niemanden, der mir Geld geben wollte, denn keiner wollte in ein Modeunternehmen investieren. Sie fanden das Konzept von Mode an sich zu unsicher: heute so, morgen so. Vor seinem ersten Geschäft Klingt, als wär’s heute. Aber ich musste die Bestellungen bedienen, musste also versuchen, in den asiatischen Fabriken die Ware zu bekommen. Ich hatte gerade mal genug Geld für ein Ticket und ein wirklich mieses Hotel und fuhr zu der Fabrik, die für mich Pullis produzierte, und sagte: „Können Sie mir bitte die Ware ausliefern, ich zahle, sobald ich das Geld vom Kunden habe.“ Ich sprach dort mit einem gewissen Silas Chou, dem die Fabrik gehörte und erzählte ihm die ganze Geschichte. Er schlug vor, dass wir Partner werden. Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Wir wurden Partner, und er half mir, das Unternehmen aufzubauen, es zu professionalisieren und zu dem zu machen, was es heute ist. Womit haben Sie ihn überzeugt? Er erkannte meine Leidenschaft. Aber ihm gefielen auch die Sachen. Eines Tages nahm er mich zur Seite und sagte: „Du musst deinen Namen in das Unternehmen einbringen.“ Ich zögerte, der Name war ja alles, was ich hatte. Und er sagte: „Ich stecke Geld in die Firma, mache sie groß. Willst du lieber ein kleiner Teil eines Elefanten sein oder ein großer Teil einer Erbse?“ Ich nahm den Elefanten. Mitte der 80er-Jahre sorgten Sie mit einer Kampagne für einen ziemlichen Skandal. Wir lernten diesen genialen Werbetypen kennen, George Lois. Ich stellte mir Fotos von einem gut aussehenden Model in unseren Sachen am Strand in den Hamptons vor. Aber er meinte: „Nein, nein, nein. Wenn ihr das macht, wird es 20 Jahre dauern und viele Millionen Dollar kosten, bis man euch kennt. Ich mache euch über Nacht bekannt.“ Und er präsentierte die Kampagne, in der er mich mit Ralph Lauren, Calvin Klein und Perry Ellis verglich. Ich wehrte ab, mir war das peinlich. Aber er blieb hartnäckig. Als die Anzeige dann am Times Square lief, brach die Hölle los. Die ganze Modeszene stürzte sich auf mich: „Was glaubt dieser Typ, wer er ist?“ – „Der hat doch noch nicht einmal Modedesign studiert.“ – „Er ist überhaupt kein Designer.“ Wie haben Sie reagiert? Ich überlegte, einfach etwas ganz anderes zu machen. Aber dann dachte ich: „Ich muss mich richtig anstrengen und gute Kleidung produzieren, denn die Menschen sind neugierig – sie werden kommen und gucken, was es mit meiner Mode auf sich hat. Sie taten es offenbar wirklich? Gucci gab es bereits, aber Prada, Vuitton, Bottega machten damals nur Lederwaren. Heute ist alles viel härter. Aber es gab schon auch damals Konkurrenz, und die Einzelhändler hatHier wird gegessen: ten ihre Lieblinge. Aber Hilfigers Küche wir haben immer weitergemacht. Später kam ein weiterer Partner dazu, Lawrence Stroll, der einer der Mitbesitzer von Polo in Europa war. Sein Ansatz war: nicht kleckern, sondern klotzen. Er sagte: „Lasst uns überall Läden eröffnen, mit Männermode, Frauenmode und Kindermode.“ Ende der Achtziger waren wir dann ein Team aus vier Leuten: Silas Chou für die Produktion und Strategie, Joel Horowitz fürs Tagesgeschäft, Lawrence Stroll für die großen Ideen und ich fürs Kreative. Wollten Sie nicht eigentlich Musiker werden? Aber ich war nicht wirklich gut. Doch ich wollte als Teenager aussehen wie die Rockstars, mit langen Haaren und Schlaghosen und allem. Das brachte mich dazu, meinen ersten Jeansladen zu eröffnen. Und als ich dann Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger wieder über Werbung nachdachte – so eine Kampagne, nach der mich alle hassen, wollte ich nie wieder – sagte ich zu meinem Bruder Andy, der damals für mich arbeitete: „Kleiden wir die Musiker ein.“ Und so fingen wir an, alle anzuziehen, von Britney Spears bis Usher. Da haben Sie dann einfach angerufen und gesagt: „Hi, hier ist Tommy. Ich würde Ihnen gern mal was anziehen?“ Andy arbeitete im Musikgeschäft und kannte viele persönlich. Wir schenkten ihnen Klamotten, und sie trugen sie auf der Bühne. Und die Fans taten es dann auch. Dann fingen wir an, Werbung mit den Stars zu machen und sponsorten zum Beispiel eine Tour für Pete Townshend von The Who, für Lenny Kravitz, für die Rolling Stones, warben mit David 3 63 sen sehr coolen Laden, Max’s Kansas City, da gingen David Bowie, Lou Reed und all die Rockstars hin. Später dann gab es das Studio 54, das war sehr, sehr durchgedreht. Ich würde sagen, die Zeit hier war die beste meines Lebens, weil einfach immer etwas los war. Es ging mehr um den Spaß als um den Status? Ja, ich brauchte nicht viel, und man nahm alles nicht so wichtig. Es gab keine Regeln – man tat einfach, wozu man Lust hatte. Aber ich hatte den Traum, das Unternehmen noch weiter voranzubringen, denn es hatte mich gepackt und faszinierte mich. 3 Bowie und Iman und blieben eng mit der Musikszene verbunden. Andererseits verkörpert Ihre Mode den typisch amerikanischen Ostküsten-Stil. Es ist das, was ich „Fame“ nenne: F-A-M-E – Fashion, Art, Music, Entertainment. Alles zusammen ergibt Popkultur. Es ist nicht nur die Musik. Da gehört Hollywood dazu, Aspen, Miami, dieser ganze Popkultur-Lifestyle. Damit haben wir uns abgehoben. In welcher Hinsicht? Wir waren eine junge, coole Marke, die junge, coole Leute attraktiv fanden. Dadurch unterschieden wir uns damals von der Konkurrenz, denn die nahm Mode sehr ernst. Wir machten sportliche Mode: Jeans, große Logos, RotWeiß-Blau, Zahlenaufdrucke, alles von der Sportwelt inspiriert. Die Hip-Hopper fingen an, diese Sachen zu tragen, dann die Skater, die Popper, die Sportstars und dann die Schüler und College-Studenten. Und dann waren wir überall bekannt. Auch überpräsent, oder? Eine Zeit lang wurde es in Amerika zu viel. Aber das europäische Geschäft entwickelte sich basierend auf meiner ursprünglichen DNA mit den amerikanischen Klassikern, ein bisschen eleganter, weniger logolastig, weniger Streetwear. Wie war das, als Sie als junger Mann aus ihrem dem Heimatort Elmira in New York ankamen? Wir, also meine Frau Susie und ich und mein Bruder, hatten ein paar Freunde in New York. Wir mieteten erst eine Wohnung in der 31st Street und zogen wenige Monate später zur East 9th Street. Als wir in der Gegend wohnten war es noch eine der schlimmsten Gegenden New Yorks, aber eben auch billig. Man nannte den Tompkins Square damals Needle Park. Nadel wie Fixen, nicht wie Nähen. Man konnte nachts Schüsse hören … 64 Hatten Sie eine Waffe? Nein. Vielleicht hätte ich eine haben sollen (lacht). Aber ich habe gerne dort gewohnt, denn die coolen Bars und Clubs waren zu Fuß erreichbar. Wir gingen damals ins CBGB’s und haben dort die Ramones gesehen, auch die Sex Pistols. In den Siebzigern gab es auch die- Ihre Show am Montag hatte etwas von diesem Siebziger-Jahre-Feeling. Die Stimmung in der Halle mit dem Kunststrand, die Musik, die witzigen Häkelbikinis. Die Idee war, dass man als trendige Frau aus New York oder L.A. oder anderswo nicht Prada, Gucci oder Missoni am Urlaubsort kaufen möchte, sondern etwas von dort, bei einem Händler oder einem kleinen Laden. Das hat diesen lässigen Boho-Hippie-Chic. – Verzeihung – Mark, könntest du hier rechts in die 12th Street abbiegen? Ich möchte Ihnen meine allererste Wohnung hier zeigen. Bevor ich ganz nach New York zog, kam ich etwa zweimal pro Monat hierher und mietete damals eine Wohnung von einem Typen, die Adresse war 225 East 12th. Da lag nur eine Matratze auf dem War unmöbliert: Boden. Und überall hier Wohnung in der 9th in der Gegend hingen die Junkies herum. Also fuhr ich mit meinem kleinen VW hierher … Oh, Sie hatten einen VW? ... den parkte ich hier, und am nächsten Morgen war die Scheibe eingeschlagen und das Radio war weg. Mal sehen, es ist die Nummer 225 hier links. Das ist das Gebäude. Oh, wow, das steht noch da. .. Und es gab da eine Reinigung. Da brachte ich immer meine Jeans hin zum Bleichen, damit sie gebraucht aussehen. R&S Cleaners hieß die Reinigung. Und die Jeans verkauften Sie dann? Ich brachte immer zehn oder zwölf Stück auf einmal hin und verkaufte sie in meinem Laden in Elmira. Sie haben viele Geschwister, aber mit dem einen Bruder haben Sie diese enge Beziehung. Ist das Zufall? Das liegt daran, dass er sich am meisten für Mode und Musik interessiert. Einer meiner Brüder starb an einem Hirntumor. Er war ein richtiger Musiker. Dann habe ich noch einen Bruder, der gerne Dinge baut, der hat also nichts mit Mode zu tun. Und ich habe eine Schwester, die auch gerne Mode macht. Sie ist Designerin und hilft bei Tommy Hilfiger, das ist sehr schön. Dann habe ich noch eine Schwester, die als Krankenschwester arbeitet, eine, die Lehrerin ist … Wir sind sehr viele. Gibt Ihnen das Kraft? Ja, es ist toll. Vor allem habe ich durch meine große Familie aber gelernt, dass die Menschen alle verschieden sind. – Ich zeige Ihnen jetzt, wo der kleine Hippie-Laden war, in dem ich zum ersten Mal Jeans gekauft habe, die ich dann in meine eigenen Läden gebracht und an meine Bekannten verkauft habe, im Jahr 1969 war das. Wie viel haben Sie draufgeschlagen? Sie kosteten fünf Dollar, und ich habe sie für elf Dollar weiterverkauft. – Hier am St. Marks Place hingen früher die Rockstars und Hippies ab. Und da ist ein Laden, hier auf der rechten Seite, der heißt Trash and Vaudeville. Und da im Marks Hotel hab ich mal übernachtet. Gruselig. Wir steigen aus, die Sicherheitsmänner aus dem Wagen hinter uns auch. Sie bleiben auf Abstand, Hilfiger sprintet die Treppe zu dem Laden im Hochpaterre hinauf. Früher hieß er Limbo Shop. Die Klamotten sind alle sehr hippiemäßig. Hier habe ich viele Sachen gekauft und zu Hause verkauft. Der Laden ist geschlossen, eine Frau öffnet vorsichtig, guckt ungläubig, als Hilfiger sich höflich vorstellt und schließt die Tür wieder. Wir drehen um, ein junger Mann eilt heran, juchzt „Tommy Hilfiger! Sir!“ Sind Sie gern prominent? Wenn ich gerade mit meiner Familie in einem Restaurant zu Abend esse, kann es schon ein bisschen nervig sein. Und ich mag es nicht,, wenn die Leute zu aufdringlich sind. Man sagt einfach: „Hallo, ich bin ein Fan von Ihnen“, und das ist okay. – Mark, wir biegen hier die Nächste rechts ab und fahren dann einmal um den Block. – Das hier ist nämlich East 9th Street, das ist mittlerweile eine sehr schöne Gegend, sie hat sich sehr verändert. Hier habe ich damals oft zu Abend gegessen, bei Sapporo East, einem japanischen Restaurant. Ist es jetzt teuer hier? Es wird jetzt teurer. Ach, ich glaube, wir sind schon vorbei – das Russische Bad. Hier ist man damals hingegangen, wenn man am Wochenende etwas Besonderes machen wollte. Es gab diese große Sauna und Dampfbäder. Was trugen Sie damals? Jeans, Jeans, Jeans, Jeans, Jeans (lacht). Und immer Lederjacke. Wir waren vielleicht die erste Generation, die Casual-Mode trugen. Man sah damals nicht viele Leute in T-Shirts in der Stadt. Vielleicht in den Clubs in Downtown, aber es gab auch kaum jemanden, der sein Hemd nicht in die Hose steckte. Es war der Anfang einer Casual-Mode-Revolution, die dann in den Achtzigern an Fahrt gewann und bis heute andauert, weltweit. – Wir fahren zur 73rd Street; ich zeige Ihnen, wo ich 1987 meinen ersten Tommy Hilfiger-Laden hatte, rechts Frauen, links Männer. Werden Sie manchmal nostalgisch? Manchmal. Aber es passiert so viel in meinem Leben, da drehen sich die Gedanken um Morgen und den Tag darauf und die nächste Woche. Viel an die Zukunft zu denken lenkt oft ab und lässt keine Zeit für Reflexion. Wobei ich jetzt, da ich in der Arbeit zu meiner Biografie stecke, auch sehr viel an früher denke. Es ist fast wie eine Therapie. Einerseits kommen mir die 30 Jahre mit der Firma Tommy Hilfiger wie eine Woche vor. Aber andererseits denke ich: Wow, was ist dir alles passiert. Eckwohnung mit Blick auf den Central Park G_fkfA\ejDXli`kq Uschi Glas für =@E<A<N<CC<IPÆ?8E;D8;<@E><ID8EP NNN%J<M@>E<%;< GESCHENKE Traumreise MONTAGE: ICON Von oben nach unten: Anhänger von Sévigné, Clutch von Dior, Handtuch: Hermès, Sonnenbrille: Dolce & Gabbana, Teetasse: Fürstenberg, der Ring ist von Pomellato ANDERE FAMILIEN, ANDERE SITTEN: WEIL WIR NICHT WISSEN, WO SIE AM LIEBSTEN DEN HEILIGEN ABEND VERBRINGEN, HABEN WIR FÜR (FAST) JEDES REISEZIEL ODER ZUHAUSE PASSENDE GESCHENKE AUSGEWÄHLT. EGAL, OB SIE NUN AUF DEM BERG, AUF DEM LAND, IN DER STADT, AM RAUEN MEER ODER GAR IN DER SÜDSEE FEIERN. 66 FOTOS: ATTILA HARTWIG. STYLING: THORSTEN OSTERBERGER 1 7 8 2 3 9 10 5 6 11 ZUSAMMENGESTELLT VON MIRA WIESINGER UND CAROLINE BÖRGER 4 12 1. The Look of Love: Sonnenbrille von Julian Zigerli für „Lunettes Kollektion“. 2. Regenbogenfarben: Kaftan „Electrolight“ von Mara Hoffman (über net-a-porter.com). 3. Handschmeichler: „Lotus“-Ringe von Ole Lynggaard. 4. Portemonnaies dürfen gern auch gefüllt verschenkt werden. Dieses ist von Tomas Maier. 5. Es gibt was auf die Ohren: lederbezogene Kopfhörer „Plica White“ von Molami. 6. Nimm mich mit! Den Flamingo von Hansa Toys findet man bei modaoperandi.com. 7. Sweet like Candy: Ohrhänger von Tamara Comolli. 8. Die FernwehJacke ist von Achtland. 9. Smarter Reisebegleiter: Der Shopper von Horizn Studios kommt mit einem zwölfmonatigen „Travel Assistent“, der vielerlei für Sie erledigen kann. Infos unter horizn-studios.com. 10. Rosige Aussichten: Sonnenbrille von Dior. 11. Für Strand-Männer: Badehose von Vilebrequin (über mr-porter.com). 12. Leichtfüßig im Sand: Sandale „Milli“ von Salvatore Ferragamo (stylebop.com) 67 2 MONTAGE: ICON 1 12 3 Blaue Stunden 11 4 7 5 10 9 68 8 6 Großes Bild (von oben nach unten): Tasche „Boy“ von Chanel, Parfum: „Sauvage“ von Dior, das Schmuckkästchen ist von Smythson of Bond Street (net-a-porter.com), Kalender von Graphic Image (dsq206.com), Kamera: Leica. 1. Da wird ihr warm ums Herz: Strickpullover von Equipment. 2. Es wird Zeit: Die „Happy Fish“ von Chopard. 3. Kleiner Tipp: Sie will bestimmt die Clutch von Olympia Le-Tan (theoutnet.com). 4. Ge-Fellt ihr bestimmt: sportliche Pelzjacke von Steinbrück Pelze 5. Wasserdicht und schlicht: Gummierter Rucksack von Hunter. 6. Meeresglitzern: Brosche von Chanel Fine Jewelry. 7. Fest verankern Sie sich im Herz der Beschenkten mit einer Kette von Cada. 8. Wärmespender: Whiskeybecher „Arctic“ von Artel (artedona.com). 9. See-Fest: Kaschmirpullover von Chinti & Parker. 10. Unendliche Tiefen bietet die Tasche „Fluke“ von Tsatsas. 11. Wirkt entspannend: Poncho von Wunderkind. 12. Zum Vor-Freude-an-die-Decke-Springen: Plaid von Lexington 1 2 MONTAGE: ICON 14 3 13 Stadtlust 12 4 7 5 11 8 10 6 9 Großes Bild (von oben nach unten): Tasche von Charlotte Olympia (net-a-porter.com), Parfüm „Donna“ von Valentino, Fliege von „The Bow Tie“, Aktentasche von Prada, Füllfederhalter „M“ von Montblanc, Kette von Michael Kors. 1. So cool! Darth-Vader-Kette aus der Star-Wars-Kollektion von Malaikaraiss. 2. Foxy Lady: Mütze von Markus Lupfer. 3. Die elegante Alternative zur Jogginghose auf dem Sofa: Pyjama von F.R.S. For Restless Sleepers (net-a-porter.com). 4. Für Stadtläufer: Sneaker Free 3.0 Flyknit aus der The NikeLab Gyakusou-Kollektion 5. Glanzstück: Die Tasche ist von Mulberry. 6. Lass sie weich werden mit Samt-Heels von Casadei. 7. Go for Gold: Armreif aus der „Tiffany T“-Kollektion. 8. Küsse ernten mit dem Kettenanhänger von Marie-Hélène de Taillac. 9. Musik to go: Der Reiselautsprecher „Stockwell Black“ ist von Marshall Headphones. 10. Schicker Laufbursche: Laufband „Myrun“ von Technogym. 11. Guter Taschendieb: Die „Trapeze“ von Céline wird ihr Herz stehlen. 12. Heiße Sohlen: Paillettenschuhe von Floris van Bommel. 13. Sanfter Engel: Samtjackett von Joseph. 14. Bringt Augen zum Leuchten: Rucksack von Fendi (stylebop.com) MONTAGE: ICON Alp-Träume 70 Von oben nach unten: Der Gürtel ist von Versace, Fell-Boots: Brunello Cucinelli, Uhr: Speedmaster „Dark Side of the Moon“ in „black black“ von Omega, Tasche: „Twist“-Bag von Louis Vuitton, die Brille ist von Jimmy Choo 1 11 2 10 3 9 4 12 8 5 1. Bärenstark! Der Schlüsselanhänger ist von Prada. 2. Sportsfreund: Kapuzenjacke aus Seide von Ermenegildo Zegna. 3. Eleganter Begleiter: Die Sonnenbrille „Cellor“ von Persol mit flexiblem Steg lässt sich in der Mitte zusammenfalten. 4. Après Ski? Mais, oui! Von Moët & Chandon gibt es jetzt einen neuen Champagner: den „MCIII“. 5. Strahlend schön mit den schillernden Puderperlen „Météorites Flocons Enchantés“ von Guerlain. 6. Schneetreiben: Die Clutch mit Kristallflocken ist von Jimmy Choo. 6 7. Für die super Sause: Ski „Nira Montana Ti – Allterrain Rocker“ von Indigo. 8. Richtungsweisend: Die Bucket-Bag ist aus der „Destination“-Kollektion von Loup Noir. 9. Lang lebe der Rollkragen: schlichtes Kaschmirkleid von Raey über matchesfashion.com 10. Zeigen Sie Profil mit Boots von Porsche Design. 11. Um vor dem Kamin zu sitzen: den Norwegerpullover „Suffolk“ von Claudia Schiffer für TSE gibt es über Stylebop.com. 12. Runter vom Sofa! Und rauf auf den Berg! Die Jacke von Perfect Moment finden Sie bei matchesfashion.com, mehr Infos auch unter perfectmoment.com 7 71 1 3 MONTAGE: ICON 2 5 4 Landpartie 6 7 8 9 13 11 10 72 12 Großes Bild (von oben nach unten): Rucksack von The Bridge, Kartenspiel: Burberry, Stifte und Stiftehalter aus der Graf-von-Faber-Castell-Kollektion, Karten und Umschläge von Pineider (Quartier 206), Uhr: „Portofino Automatic von IWC, Decke: Falke. 1. Duftes Präsent: Parfüm „Ombre Mercure Extrême“ von Terry de Gunzburg (niche-beauty.com). 2. Für Waldspaziergänge: Jacke von COS. 3. Für flotte Bienen: Tasche von Gucci. 4. Weil jede Frau Kaschmir liebt, ist die Decke von FTC Cashmere eine gute Idee. 5. Tannenduft in jedem Raum: Die Kerze „Sapin“ ist von Diptyque. 6. Heiße Liebe: Thermoskanne „Bernadotte“ von Georg Jensen. 7. Eiszeit: Der „Huntley Ice Bucket“ ist von Ralph Lauren. 8. Selbststricken ist angesagt: Wolle von Lala Berlin & Lana Grossa. 9. Dürfen wir Ihnen auf die Sprünge helfen? Anhänger „Paddock Botte“ von Hermès. 10. Für Trendmänner: „Beard Wash“ von Percy Nobleman (hagel-shop.de). 11. Holz in der Hütte: Beistelltisch von Uccellino. 12. Auf den Hund gekommen? Klar! Krawatte von Hackett. 13. Für Gutsbesitzer: „Signature Chair FH 429“ von Frits Henningsen (1954) für Carl Hansen & Søn LAKE TEGERNSEE · SOUTHAMPTON · SYLT · PALM BEACH · MUNICH DIE RUHIGE HAND Stroh zu Gold Als Lison de Caunes vor 30 Jahren anfing, die alte Handwerkstechnik der Strohintarsien vor dem Vergessen zu retten, interessierte das niemanden. Heute versetzt sie mit ihrem Handwerk die Luxusbranche in Aufregung und Silke Bender gleich mit 74 Handarbeit: Jeder Halm muss einzeln auf die Holzplatten aufgeklebt werden. Die Technik aus dem 18. Jahrhundert erlebt bei Lison de Caunes (links) eine Renaissance. Oben: Eine ihrer Arbeiten für den Pariser Flagshipstore von Guerlain SOPHIE BASSOULS (1); GILLES TRILLARD (1); GUY GALLICE; HERMÈS; LISON DE CAUNES I Im Restaurant „Goumard“ in Paris darf man noch rauchen, zumindest in der Zigarrenlounge, wo die großen Tabakfreunde von Winston Churchill bis Zino Davidoff als Posterboys verewigt sind. Im 19. Jahrhundert, als das Restaurant noch „Prunier“ hieß, gingen hier Oscar Wilde und Sarah Bernhardt ein und aus. Heute ist es einer der seltenen Orte, wo man sich als Raucher noch verwöhnt fühlt und im warmen, gediegenen Ambiente auf komfortablen Chesterfield-Sofas seinem Laster frönen kann. Von prachtvollem LaliqueKristall beschienen, zeigt Davidoff Cigars hier den ersten, fertigen Humidor vom Wert eines Kleinwagens. Wie Perlmutt schimmert seine Oberfläche, und die Grüntöne verändern sich mit jedem Perspektivwechsel. Und obwohl das Muster aussieht wie eine dreidimensionale Struktur aus Tabakblättern, fühlt der Humidor sich so glatt an wie Lack. Anfassen erwünscht! „Nur zu“, ermutigt seine Schöpferin Lison de Caunes. „Genau dieses sinnliche Vergnügen macht das Handwerk so interessant.“ Strohintarsien hatten ihren großen Moment im Frankreich des 18. Jahrhunderts und zu Zeiten des Art-déco und wurden dann vergessen. Die gelernte Buchbinderin Lison de Caunes war die Erste, die in den 80er-Jahren begann, sich das verloren gegangene Handwerk in Eigenregie wieder anzueignen. „Sagen wir, ich war familiär vorbelastet“, erzählt sie lächelnd und zündet sich am Tag nach dem Restaurantbesuch in ihrem pittoresken Hinterhofatelier im 6. Pariser Arrondissement eine Zigarette an. Sie bemerkt den besorgten Blick der anwesenden Journalisten angesichts der überall lagernden Sträuße aus getrocknetem Stroh: „Keine Sorge, das Material ist nicht entflammbar – deshalb ist es ja so gut für Innendekorationen geeignet.“ Eine in Goldtönen glänzende Wandpaneele mit kunstvollen, abstrakten Mustern wartet auf seine Verschiffung nach New York, für eine private Bibliothek. Daneben werkelt ein Mitarbeiter an der nächsten Paneele. Mit dem Finger öffnet er vorsichtig jeden einzelnen der getrockneten Halme und plättet sie mit einem Messer auf einem langen Tisch. Anschließend klebt er sie vorsichtig auf die MDF-Platte. Madame de Caunes fährt mit der Hand über die schimmernde Fläche der Wandpaneele: „Strohintarsien brauchen keinen Lack, Silizium sorgt für den ganz natürlichen Glanz und imprägniert gleichzeitig“, erklärt sie. „Und das bei guter Lagerung über Jahrhunderte.“ Sie holt ein Lieblingsstück ihrer Sammlung hervor, ein mit Blumen und Salonszenen kunstvoll dekoriertes Nähkästchen aus dem 18. Jahrhundert, das noch heute in intensiven Gold- und Brauntönen glänzt. An solchen Objekten, die sie günstig zum Beispiel auf Auktionen und bei Antiquitätenhändlern erstand, schulte sie ihre Kunst. Auf einem anderen Tisch steht, halb fertig, der nächste Humidor. Eine Woche Handarbeit steckt in jedem. Vier Mitarbeiter braucht das Atelier heute, um den zahlreichen Aufträgen gerecht zu werden. „Als ich damit anfing, verdiente ich nicht mal genug, um mich selbst über Wasser zu halten“, erzählt die Künstlerin, die jetzt auch Unternehmerin ist. Ihre Mutter, die Feministin und Schriftstellerin Benoîte Groult, hielt sie sogar für eine „desperate Housewife“ mit lamentablem Hang zum Basteln, als sie sich plötzlich mit so viel Herzblut auf das Stroh stürzte. Es war ihr Großvater André Groult, ein bekannter Dekorateur und Möbeldesigner des französischen Art-déco, der sie inspirierte. „Er war berühmt für seine Galuchat-Technik, getrocknete Hai- und Rochenhaut, mit der er seine Möbel beschichtete“, sagt sie. Und eben Strohintarsien. Für einen der angesagtesten Juweliere des Art-déco, René Boivin, verkleidete er in seiner Zeit die Wände des Geschäftes am Place Vendôme. „Als die aufgrund eines Wasserschadens im Hause in den 80erJahren beschädigt wurden, wusste niemand, wie sie zu restaurieren sind“, erinnert sich de Caunes. „Damit sie nicht einfach abgerissen wurden, habe ich mir diese Aufgabe gestellt. Ich fand es fantastisch, was für eine luxuriöse Ästhetik man mit diesem so bescheidenen Material Stroh schaffen kann.“ Das seltene Können der Pariserin sprach sich herum, immer mehr Museen und Sammler brachten ihre Stücke zum Restaurieren vorbei. Irgendwann stand Peter Marino in ihrem Atelier. Der New Yorker Innenarchitekt gilt als der Palastmeister der Luxusmarken, von Armani bis Valentino wird er weltweit gerufen, wenn das Raumerlebnis besonders erhebend sein soll. So auch vom „Four Seasons“-Hotel in New York, für das er in den 90er-Jahren das Penthouse gestalten sollte – und bei Lison de Caunes die Wandverkleidungen bestellte. „Von da an waren Strohintarsien wieder im zeitgenössischen Design angekommen“, erinnert sie sich. „Und heute sind sie wieder richtig in.“ Sie arbeitete schon für Hermès-Möbel, gestaltete die Wände des Guerlain-Flagshipstores an den Champs-Élysées, die Schaufenster für Louis Vuitton Joaillerie am Place Vendôme, oder die Displays, in denen Cartier seine Preziosen auf der letzten Biennale des Antiquaires im Grand Palais zeigte. Der Aufwind im Luxusmarkt lässt es in den Burgunder Roggenfeldern rauschen, aus denen de Caunes ihr Rohmaterial bezieht. Die raffinierte, natürliche und ungewohnte Ästhetik, verbunden mit französischer Tradition und Handwerk – kein Wunder, dass die großen Luxusfirmen, stets auf der Suche nach neuen Kitzeln, um ihre verwöhnte Klientel zu verführen, die Intarsien lieben. Inzwischen hat Lison de Caunes vielen Schülern in Workshops das Handwerk beigebracht, sogar an der Pariser Innenarchitektenschmiede École Boulle wird es wieder gelehrt. Mittlerweile böten auch zwei, drei andere Ateliers in der Stadt die Technik an. Ihre Pionierleistung jedoch brachten ihr den Titel „Maître D’Art“ ein, an der Wand im Atelier hängt die Urkunde zur Ernennung als Ritterin der französischen Ehrenlegion. Auch ihre Mitarbeiter sind Quereinsteiger, die wie sie aus ganz anderen Jobs zu ihrer neuen Berufung kamen. „Handarbeit ist befriedigender, als nur an irgendwelchen Bildschirmen zu hängen“, sagt die Meisterin. „Und schauen Sie uns an: Stroh konserviert gut. Keiner von uns sieht so alt aus, wie er ist.“ Den Humidor fertigte sie in limitierter Auflage für Davidoff. Unten: Paravent aus dem Atelier Lison de Caunes Das Lafayette beauftragte Lison de Caunes für die Dekoration – sie trägt den Titel eines „Mâitre d’Art“ Madame de Caunes fertigt Kleinmöbel bis zu ganzen Wandgestaltungen – hier ein faltbarer Beistelltisch von Hermès 75 HANDARBEIT JULIA BAIER (4) Die Fransen der Mohairschals (links) werden per Hand gedreht. Der Webstuhl (unten) stammt noch aus dem elterlichen Familienbetrieb Nur Flausch, kein Fussel In der ehemaligen Weberei ihrer Eltern in Sachsen verarbeitet die Bühnendekorateurin D 76 en freudlosen Ausdruck Wolldecke kann man getrost vergessen. Beim Anblick der flauschigen Plaids und Schals aus der Weberei von Heike Schönfeld wird einem gleich – man darf das hier mal sagen – warm ums Herz. Einfach hineinschmiegen und den Winter kommen lassen. Kein Mohair ist so kostbar und fein wie das der langlockigen Angora-Ziegen aus der Karoo-Wüste auf der südafrikanischen Hochebene. Diamantfaser wird die Mohairwolle wegen ihrer Exklusivität auch genannt. Die Frau, die mit diesem kostbarem Rohmaterial zaubert, ist vor allem in Theaterkreisen über deutsche Grenzen hinweg bekannt. Sie webt Bühnenrequisiten für die großen Häuser und Opernbühnen per Hand. Ihr erster selbst entworfener Teppich wurde bereits 1993 mit dem Sächsischen Staatspreis für Design ausgezeichnet. Innenausstatter kommen aber vor allem wegen ihrer Mohairdecken zu ihr. „Das ist meine Sommerarbeit“, verrät Schönfeld. „Die Theater machen Ferien, und wir füllen derweil unsere Lager für den Winter.“ Flieder, Schäfchenweiß, Pink, Türkis, Korallenrot oder Bübchenblau quillt der Flaum aus den Regalen. Reise- und Kniedecken in 60 Farben und seit Neuestem auch Schals. 1966 in Zwickau geboren, hat die Weberin Textil- und Modedesign auf Burg Giebichenstein in Halle und außerdem noch Innenarchitektur studiert. 1997 übernahm sie die Handweberei ihrer Eltern im sächsischen Crimmitschau, die diese 1952 gegründet hat- Heike Schönfeld Mohair aus Südafrika zu Schals und Decken ten. Zu DDR-Zeiten machten sie Tischdecken und Läufer aus Leinen, aber auch schon karierte Mohairdecken. Crimmitschau hatte sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts zum Textilschwerpunkt entwickelt, nach der Wende brach zunächst alles zusammen. Die Tochter baute die elterliche Firma um und konzentrierte sich auf Bühne, Innenausstattung und das Weben von Mohair, ihrer besonderen Leidenschaft. Es ist etwas rustikaler und nicht so teuer wie Kaschmir, dem sehr feinen, seltenen und weniger rauen Bauchhaar der entsprechenden Ziegenart. Die Spinnerei „Diese Wolle“ in Aachen verarbeitet den Rohstoff aus Südafrika zu sogenannten Loups. Diese Fäden mit den typischen boucléartigen Schlaufen landen in Crimmitschau auf Docken oder Spulen. Dann erst wählt die Weberin die Farben aus, von denen sie glaubt, dass sie Potenzial für die nächste Saison haben. In diesem Jahr kommen Schwarz, Orange, mildes Zitronengelb und Marone dazu. Und ab geht das Rohmaterial in die oberfränkische Färberei Fatex nach Wunsiedel. Zurück im Betrieb werden die Garne auf konische Rollen umgespult. Die Webkette wird am Webstuhl vorbereitet, das sogenannte Schären. Es klackt jedes Mal trocken im Raum, wenn Heike Schönfeld wie eine Organistin an der Orgel die Pedale tritt und der Schuss den Faden mit der Kette zum Gewebe verbindet. Je nach Breite werden mehrere Schals nebeneinander gewebt und später getrennt. Die Fransen dreht sie bereits am Webstuhl per Hand. Wenn alles fertig ist, werden Plaid oder Schal zur Veredelung außer Haus gegeben. Dort wäscht und walkt man die Teile vorsichtig. Das gibt Stabilität und erleichtert später die Pflege. Nach dem Trocknen wird die gesamte Fläche mit Karden angeraut – das sind Blütenstände von Disteln, die seit jeher und noch heute von den Webern zur Behandlung von Wolle, Kaschmir oder Mohair benutzt werden. Die trockenen Disteln zupfen die Faserenden zart heraus. Das ergibt schließlich den Flausch, der nicht fusselt, wenn sorgsam gearbeitet wird. Dann werden die Webstücke nur noch maschinell gebürstet und gedämpft. Und schließlich kommt jeder Stoff auf den Leuchttisch, um letzte Unreinheiten zu entfernen. Dort werden auch die Stücke einfach mit der Schere getrennt. Fertig sind die Decken und Schals, die auch nach längerer Benutzung in Form bleiben. Der Begriff Mohair kommt übrigens aus dem Arabischen und meint „Stoff mit Haaren“. Bei Heike Schönfeld sind es eher Härchen, die sowohl in der Großstadtwüste als auch in der norddeutschen Tiefebene dem Träger ähnlich gute Dienste leisten wie der Wüstenziege aus Südafrikas Hochebene. Inge Ahrens W W W. T H O M A S S A B O . C O M LOVE BRIDGE Unvergessliche Momente verewigen mit einer persönlichen Gravur. 18 Karat Weißgold, 18 Karat Roségold oder 18 Karat Gelbgold und weiße Diamanten. Exklusiv erhältlich in unseren Flagship Stores – London . Zürich . Frankfurt . Stuttgart . Hamburg . München . Wien . Paris Im ewigen Eis IN ISLAND MALEN DIE ELEMENTE BILDER, RAUE DETAILS WIRKEN ALS GANZES WEICH UND FLIESSEND. GLEICHES GILT FÜR UNSERE MODE. WARM ANGEZOGEN HABEN WIR UNSER MODEL IN DAS LAND DER GEYSIRE UND PFERDE GESCHICKT FOTO: DIRK MERTEN STYLING: GUIDO WERTH C/O KOLLEKTIV NOIR MODEL: ELENA BARTELS C/O CORE MANAGEMENT HAARE & MAKE-UP: CAROLIN JARCHOW C/O NINA KLEIN PRODUKTION: KOLLEKTIV NOIR FOTO-ASSISTENZ: VANESSA KROUPA STYLING-ASSISTENZ: TINE KOZJAK 78 Diese Seite: Mantel: Chloé. Kleid: Masha Ma. Linke Seite: Pelzoberteil: Brunello Cucinelli. Wollkleid: Trussardi 80 Links: Pelzschal: Brunello Cucinelli. Mantel: Prada. Rollkragenpulli: Boss. Hose: Loewe. Handschuhe: Ann Demeulemeester. Mitte: Mantel von Etro. Strickpulli: Paul Smith. Turtle-Neck-Oberteil: Jil Sander. Lederrock: Gucci. Ring: René Talmon L'Armée. Schuhe: Ralph Lauren. Socken: Wolford. Rechts: Pelz-Cape von A.F. Vandevorst. Kleid: Valentino. Stiefel: Burberry Prorsum 81 82 Mantel in Taupe mit weißem Streifen von Fendi und Schuhe von Etro 83 Grobstrick-Pulli und passender Schal von Chanel. Hose von Paul Smith Mantel: Michael Kors Collection. Kleid und Lackstiefel: Dior. Shirt: Prada 84 Jacke: Akris. Kleid: Pascal Millet. Stiefel: Trussardi. Leggings: Wolford Pelzoberteil: Salvatore Ferragamo. Rollkragenpulli: Agnona. Hose und Gürtel: Ann Demeulemeester. Kette: René Talmon L’Armée Wer reist schon von Deutschland ins arktische Pond Inlet? Die Autorin der Reportage stellte fest, dass ihr Vater, Dieter Blümner, bereits 1962 auf einer Expedition dort war. Daher stammen auch die historischen Aufnahmen der Inuit-Bevölkerung, unter anderem die beiden auf dieser Seite. Zusammen mit aktuellen Fotos zeigt sich: Einiges hat sich seitdem getan – die traditionelle Bekleidung wurde jedoch nur in Details verändert 88 AM ENDE DER WELT Arktisch, praktisch, gut Wenn die Inuit-Näherinnen mit ihrer Arbeit loslegen, können sich alle anderen warm anziehen. Der kanadische Outdoorspezialist Canada Goose schenkt ihnen dafür Tonnen von Stoff. Heike Blümner war bei der Übergabe dabei CANADA GOOSE (1); DIETER BLÜMNER (2) G egen sieben Uhr morgens schrillt die Sirene im Feuerwehrhaus von Pond Inlet. Ein paar Jugendliche haben am Müllwagen gezündelt – Schwelbrand. Später am Tag muss das Rettungsteam raus auf das gefrorene Meer. Der Teilnehmer einer Expedition hat sich beim Überqueren einer Eisspalte verletzt. Er wird mit dem Hubschrauber geborgen und später von einem Rettungsflugzeug ausgeflogen. Wer nun immer noch findet, dass in einer der nördlichsten zivilen Siedlungen der Welt nichts los sei, wird auch vom arktischen Reiseleiter Steve Ruskay eines Besseren belehrt: „Man muss sich nur auf einen Stein setzen und auf das vereiste Meer hinausschauen. Über die Stunden hinweg merkt man, das immer etwas in Bewegung ist. Ich nenne das Polar-Fernsehen schauen.“ Doch an diesem Tag lassen die Einwohner sowohl das reguläre TV- als auch das Natur-Programm links liegen. Aufregender als ein Schwelbrand oder ein Helikoptereinsatz ist, dass das Bekleidungsunternehmen Canada Goose hier zwei Tonnen Stoff gratis verteilt. Daraus fertigen die Näherinnen vor Ort Jacken. Schon Stunden vorher versammeln sich Dutzende von Einheimischen vor dem Eingang der Sporthalle, in der das Event stattfinden soll. Die meisten von ihnen haben die traditionellen selbst gemachten Inuit-Parkas an. Seit Tausenden von Jahren wissen die Einheimischen, wie man sich mit Kleidung vor schier unvorstellbarer Kälte schützt. Für die Ureinwohner der Arktis war es Teil einer Überlebensstrategie, die bis heute von Generation zu Generation weitergegeben wird. Die handgemachten Jacken und Parkas werden heute allerdings eher nicht mehr aus Leder und Fell gefertigt, sondern aus Stoff. Fell kommt, wenn überhaupt, nur sparsam zum Einsatz. Die Flora und Fauna der Arktis steht unter Naturschutz, nur die Inuit dürfen dort heute noch jagen: Aber der Rückgang der Karibu-, Robben- und Eisbärpopulationen macht auch für sie das Fell seltener und kostbarer. Zudem sind Stoffjacken pflegeleichter. Nach wie vor verbringen die Babys und Kinder der Inuit die ersten vier Jahre größtenteils in der Kapuze des Amauti-Parkas ihrer Mutter. Neugeborene liegen darin nur in einen Baumwollstrampler gehüllt und werden von der Wärme der Mutter auch bei Eiseskälte auf Körpertemperatur gehalten. Kleinkinder stehen in der Kapuze, halten sich an den Schultern der Mutter fest und schauen von dort in die Welt. Wenn sich jemand mit den Feinheiten nördlichster Schneiderkunst auskennt, ist es Apphia Killiktee. Sie trinkt im Speiseraum der örtlichen Herberge gerade Tee. Die dunkelhaarige Frau mit dem freundlichen Gesicht, die auf die Frage nach ihrem Alter lächelnd mit „alt genug“ antwortet, ist eine der angesehensten Näherinnen der Gemeinschaft und somit eine wichtige Autoritätsperson. Ihre Fähigkeiten klingen für europäische Standards fast nach Zauberei: Apphia Killiktee kann einen perfekt sitzenden Parka fertigen, ohne den zukünftigen Träger auch nur einmal zu berühren. Sie nimmt nur per Auge Maß. Hochstapelei kann sie sich wie niemand hier leisten: „Wenn etwas nicht sitzt, kann der Träger der Jacke seine Aufgaben für die Gemeinschaft nicht mehr erledigen“, erklärt sie. Gerade arbeitet sie an 32 Jacken für das örtliche Rettungsteam. Für sie müssen die Parkas hinten länger sein als vorn, damit die Fahrer der Snowmobile auf den Rockschößen sitzen können und sie nicht nach hinten wegwehen. Bei den Amountis der Mütter wiederum müsse die Hals- und Schulterpartei besonders sorgfältig gefertigt werden, damit es in diesem Bereich nicht zu Verspannungen kommt. Funktionalität, so die arktische Chefdesignerin stehe über allem, aber „jeder hat seinen eigenen Style“. Der Funktionswert leuchtet sofort ein – Fehler und verpasste Chancen haben in der Arktis weitreichendere Konsequenzen als in den meisten anderen Teilen der Welt. Ob etwas planbar, lieferbar oder erreichbar ist, hängt auch von unbeeinflussbaren Faktoren ab – meistens vom Wetter, und das ist hier meistens nicht nur ungemütlich, sondern menschenfeindlich. Pond Inlet liegt am nördlichen Zipfel von Baffin Island in Kanada und gehört zum teilunabhängigen Nunavut-Territorium der Inuit. Auf Google Earth findet man den winzigen Fle- cken umgeben von Eisflächen kontinentalen Ausmaßes, Tundra oder auch arktische Wüste genannt. Das Klima hier ist nicht nur kalt, sondern auch extrem trocken. Die einzige hier gedeihende Vegetation sind Schwämme und Mose, aus denen im Sommer kleine Blümchen für ein paar Wochen ihre Köpfe trotzig der Sonne entgegenstrecken. Kein Weg und keine Straße führen in den Ort. Wer hierhin reist, steigt in Iqualuit, der Hauptstadt des Nunavut-Territoriums, in eine Propellermaschine, die einmal am Tag – wenn das Wetter es erlaubt – startet und nach fünfstündigem Flug über Gletscherlandschaften auf einer Schotterpiste in Pond Inlet landet. Hier drängeln sich auf einem Hügel kleine, graue Holzhäuser und Container-Architektur. Davor liegt eine Meeresbucht, in der das Wasser die meiste Zeit des Jahres über gefroren ist. Um die 1500 Menschen leben in dem Örtchen, die meisten von ihnen sind Inuit. Aber auch einige „Southener“, also Südländer, hat es dauerhaft hierher verschlagen, und als Südländer gilt bereits jemand, der aus dem Norden Kanadas stammt, wo noch vereinzelt Bäume wachsen. Pick-up-Trucks und Allterrain-Fahrzeuge tuckern über die staubigen Straßen des Dorfes. Kinder, so scheint es, sind auf BMX-Rädern unterwegs, sobald sie über den Lenker gucken können. Das Zentrum des „Wenn etwas nicht sitzt, kann der Träger der Jacke seine Aufgaben für die Gemeinschaft nicht mehr erledigen“ APPHIA KILLIKTEE, Näherin Ortes ist die Lebensmittel-Kooperative und die Schule. Davor liegt ein kleiner, eingezäunter Basketballplatz. Jetzt im Sommer, die Ferien haben gerade begonnen, gibt es keinerlei wahrnehmbare Helligkeitsabstufungen zwischen Tag und Nacht und die Temperatur liegt konstant um den Gefrierpunkt. Bei gleichbleibender Helligkeit löst sich das Zeitgefühl in Wohlgefallen auf: Gespielt oder geschlafen wird, wann einem danach ist. Nachts um 3 89 Kinderparka gestern (links) und heute (rechts). Es sind kaum Unterschiede zu erkennen. Nur SpidermanApplikationen waren damals noch nicht en vogue 90 DIETER BLÜMNER (2); HEIKE BLÜMNER (1); GUILLAUME SIMONEAU (1) Damals wie heute: Wenn es rausgeht aufs Meer zur Jagd, muss die Kleidung perfekt sitzen. Felle und Häute kommen jedoch weniger zum Einsatz 3 zwei ist auf dem Basketballplatz genauso viel los wie mittags um zwei. Nicht nur das Zeit-, sondern auch das Temperaturgefühl scheint außer Kraft gesetzt. Kaum schieben sich für kurze Zeit die Wolken auseinander, tragen die Menschen T-Shirts oder Trainingsjacken, was ungefähr in eine ähnliche Kategorie von erstaunlich fällt wie Italiener, die sich bei 20 Grad in Daunenjacken kuscheln und letztendlich der Beweis dafür ist, das gefühlte Temperaturen sich in unendlich viele subjektive Einheiten aufspalten lassen. Nur im arktischen Winter gibt es nichts zu diskutieren. Dann herrscht hier tiefste Dunkelheit, und es wird bis zu minus 50 Grad kalt – ohne Windchill gerechnet, die die Kälte noch extremer macht. Und selbst die abgehärteten Einheimischen brauchen eine Jacke mit geradezu übernatürlichen Fähigkeiten, auch wenn die Annehmlichkeiten der Zivilisation hier längst Einzug gehalten haben: Niemand in Pond Inlet wohnt mehr im Iglu. Natürlich sind die Häuser geheizt, nur das Handy macht hier schlapp. Dafür hat es das Internet bis hierher geschafft, wenn auch in wackeliger Qualität. Im Supermarkt ist die Auswahl an Waren ähnlich wie in anderen kanadischen Kleinstädten, wenn auch exorbitant teurer. Bei einer Tour durchs Dorf finden sich aber überall noch Spuren aus „den alten Zeiten“ wie die Inuit die Epoche vor dem Beginn der systematischen Erforschung der Arktis im 18. und 19. Jahrhundert durch europäische Wissenschaftler und Eroberer nennen. Hier und da sind noch Robbenfelle und seltener noch ein Eisbärfell an den Seiten der Häuser zum Trocknen aufgespannt. Wer es noch archaischer mag, findet am Rand des Dorfs Walknochen und die Überreste von Seehunden, die die Jäger dort liegen gelassen haben. In einer angrenzenden Bucht, in der ein Gletscherwasserfluss ins Meer hinab donnert, haben einige Dorfbewohner auf dem jetzt nicht mehr mit Eis überzogenem Tundraboden ihre Sommerzelte aufgeschlagen. Sichtbarste Zeichen dieser überlieferten Traditionen im Alltag sind aber nach wie vor die selbst genähten Jacken der Inuit. Vor der Sporthalle von Pond Inlet lässt sich gut beobachten, was die Näherin Apphia Killiktee mit „eigenem Style“ meinte. Hier geht es ähnlich bunt und individualistisch zu wie bei einem Fashion-Event in südlicheren Gefilden: Jetzt, im Sommer, sieht man viele leicht gesteppte Baumwoll-Amountis in bunten Millefleur-Mustern. Andere tragen ihre besten Winterparkas zur Schau: Manche sind schlicht und einfarbig mit der übergroßen bauschigen Fellumrandung der Kapuze als einzigem Akzent. Andere Parkas sind aufwendig mit winzigen Perlen bestickt. Apphia Killiktee zeigt einen ihrer aktuellen Lieblingsentwürfe – ein apfelgrüner Parka mit aufgenähten Ornamenten. Eine andere Frau hat ein Erbstück mitgebracht, die Felljacke ihrer Großmutter. Und es bestätigt sich: Lediglich das Material, aber nicht der Schnitt der Jacken hat sich geändert. Für Canada Goose ist das natürlich hochinteressant: Der Daunenjackenhersteller aus Toronto hat in seiner Heimat schon immer als der Ausstatter für diejenigen gegolten, die im Winter aus beruflichen Gründen vor die Tür müssen: Mountis, Trapper, Forscher und Abenteurer. Auch wenn die Jacken inzwischen genauso gern von Eppendorferinnen getragen werden, die bei Regen im SUV 3 Lay your trust in the world´s finest white T-shirt. Blue Yard/Berlin-Mitte, Stiesing/Bremen, Schlösser/Hannover, Schnitzler/Münster, Wirschke/Düsseldorf, Engelhorn/Mannheim, Lodenfrey/München, Fischer/Konstanz, Helmut Eder/Kitzbühel, Grüner/Klagenfurt, AP&Co/Zürich. www.meystory.com HEIKE BLÜMNER (2); DIETER BLÜMNER (1) Eine Gruppe Mädchen aus Pond Inlet in den 60er-Jahren und eine junge Mutter mit Kind bei der Stoffausgabe von Canada Goose in der Sporthalle des Ortes heute (unten) Ob per Quad oder BMXRad: Schon vor dem Event herrscht vor der Sporthalle von Pond Inlet Andrang 92 3 unterwegs sind, wie von kanadischen Farmern, die im Schneesturm auf dem Traktor nach dem Rechten schauen; bei Canada Goose besinnt man sich gern auf die frühe Kernzielgruppe und die immerhin sechzigjährige Firmengeschichte. Kevin Spreekmeester, Marketingchef des Labels, hatte Pond Inlet, das im Sommer auch ein Anziehungspunkt für Naturliebhaber und Wildnisabenteurer ist, bereits mehrmals besucht, als ein dort lebender Freund zu ihm sagte: „Warum fragt eigentlich niemand die Inuit, was sie über warme Jacken wissen? Immerhin stellen sie seit Tausenden von Jahren selbst welche her.“ Der Gedanke ließ Spreekmeester nicht mehr los. Zurück in Toronto, schlug er vor, einige Näherinnen aus Pond Inlet in die Fabrik von Canada Goose einzuladen, um mit ihnen gemeinsam eine Jacke zu entwerfen, die alle Anforderungen der Menschen in der Arktis vereint. Das Ziel: „Die Verbindung von nördlicher Intelligenz mit unserer Technologie.“ Das Ergebnis war ein Parka, dessen Hülle vom Daunenteil zum Waschen abgetrennt werden konnte, an dem Ringe für Werkzeuge angebracht waren und auch einige Reflektoren. Doch die Näherinnen aus Pond Inlet bemerkten noch etwas anderes. Bei einer Tour durch die Fabrik waren sie erstaunt, als sie die Stoffmengen sahen, die dort als Ausschuss galten. Tonnen bleiben pro Jahr übrig, und so entstand die Idee, diese hochqualitativen Reste in den nördlichsten und abgelegensten Kommunen in Kanada an die nähende Bevölkerung zu verschenken: „Anfangs waren die Leute misstrauisch, denn immer, wenn jemand aus dem Süden kommt, möchte er auch etwas von ihnen haben. Niemand möchte sie einfach so dafür ehren, dass sie schlau und nachhaltig agieren“, sagt der Marketingexperte. Das anfängliche Misstrauen sei inzwischen überwunden, das Engagement wird als aufrichtig empfunden. Und Canada Goose verschweigt nicht, dass das Unternehmen trotzdem etwas davon hat: „eine fantastische Geschichte“ nämlich. So groß der Andrang vor der Sporthalle kurz vor Öffnung der Türen ist, so sehr fügt sich im Innern alles zu einer gelernten sozialen Ordnung: Niemand drängelt, alte Menschen werden grundsätzlich vorgelassen. Die Dorfpolizei hat nichts zu tun, außer hier und da ein Schwätzchen zu halten. Meter und Meter von Stoff reißen die freiwilligen Helfer von den unzähligen Rollen. Bergeweise wird das kostbare Material in den taghellen Abend hinausgetragen – und trotzdem hat man nicht das Gefühl, dass am Ende jemand zu kurz kommt. Irgendwann ist auch das letzte Fitzelchen verteilt, es kehrt wieder Ruhe ein. Nur die Kinder spielen weiter Nacht-Basketball bei Sonnenschein. Das Polar-TV bietet für ungeübte Augen eher testbildartige Spannung, da kommt ein Absacker mit der Society des Ortes, dem Polizisten und seiner Frau, der Leiterin des Supermarktes und dem Mechaniker des Flughafens, gerade recht. Der Mechaniker winkt am nächsten Tag der rumpeligen Propellermaschine zum Abschied hinterher. Nach einer Tagesreise landet man in der kanadischen Hauptstadt Ottawa. In einer Nachbarsitzreihe ruft ein kleines InuitMädchen beim Anflug auf den Flughafen aufgeregt: „Mama, schau! Sind das Bäume? Bäume, überall Bäume.“ Noch benommen von den arktischen Eindrücken, wird klar: Auch Exotik ist relativ. www.jockey.de & % % ( * *& ( % $% (# '! #(# # (# ! '! # $"#& # $%$%& I & $%#% # ( % %/368+27/,/;/-2=31= <38. +66/ "/;<98/8 +>< />=<-26+8. J<=/;;/3-2 >8. ./; $-2@/3C .3/ L,/; +2;/ +6= <38. >8. C>7 */3=:>85= ./; 87/6.>81 32;/8 (928<3=C 38 /38/7 .3/</; K8./; 2+,/8 +< /@388<:3/6 ,/1388= +7 !5=9,/; >7 &2; * >8. /8./= +7 /C/7,/; >7 &2; * &7 =/36C>8/27/8 ,/<>-2/8 $3/ .3/ (/,<3=/ <29@B9>;/49-5/B-97 >8. 0961/8 $3/ ./8 8@/3<>81/8 3/ %/368+27/ 3<= +>0 /38/ 87/6.>81:;9"/;<987+36+.;/<</,/<-2;K85=";/3</38/;<=/;";/3</38/#/3</0L;./8/@388/;>8./38//16/3=:/;<988+-2+5/"6+-3.9./;8+-2 /@)9;53=B /38C@/3=/;,3<C/28=/;";/3<0L;8/>8/@388/;/38/<9-5/BG(K<-2/+,9<37(/;=?98,3< 3/#/3</7><<@K2;/8../898+=/8/,;>+; >8. !5=9,/; .>;-21/0L2;= @/;./8 6=/;8+=3?/ #/3</=/;738/ <38. 83-2= ?/;0L1,+; '# $%%# 9-5/B 7, /><=; /-2381/8 />=<-26+8. 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Oder die Hunde-Aufnahmen, alle voll tiefem Humor. 87 Jahre ist er nun alt, er lebt in New York. Gerade ist er in Amsterdam, für eine Vernissage mit Fotos aus Kuba. Der Erlös geht an junge Fotografen, Preisträger des „Elliott Erwitt Havana Club 7 Fellowship“ (havanna-fellowship.com). Erwitt spricht über Fidel Castro, mit schwacher, heiserer Stimme. Er ist ihm 1964, fünf Jahre nach der kubanischen Revolution, sehr nahe gekommen mit der Kamera, so nah wie niemand sonst. Castro traute ihm. So war es auch mit der Monroe, aber was soll er dazu sagen? Dass er nicht besonders stolz ist auf das Foto, meint Erwitt. Weil es gestellt war, arrangiert, weil es Posing war in einer Drehpause: „Sie war hübsch. Aber ich habe nie begriffen, was so Besonderes an ihr gewesen sein soll.“ Er machte andere Bilder von ihr, ohne Getue. Nur Marilyn Monroe als Marilyn, als der Mensch, der sie war. „Normal halt“, sagt Erwitt. „Das war etwas völlig anderes.“ Ganz normal hat er auch Marlene Dietrich fotografiert, Jacqueline und John F. Kennedy oder Richard Nixon, wie er gerade in Moskau über eine Küchenmesse geht und, Schrecken des Protokolls, völlig ungeplant auf Nikita Chruschtschow stößt. „Das Foto ist außergewöhnlich“, sagt Erwitt, „weil die Situation es war.“ Der Russe und der Amerikaner hatten eine Auseinandersetzung, und Nixon setzte Chruschtschow den gestreckten Zeigefinger auf die Brust. „Ich bin nicht gerade ein Freund von Nixon gewesen, genauso wenig von Chruschtschow“, sagt Erwitt, „aber das hat hier keine Rolle gespielt. Das Foto ist einfach nur die Szene. 36 Bilder, die komplette Filmrolle ging drauf nur für (C) ELLIOTT ERWITT / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS (2) diesen einen Moment. Ich hatte Nixon im Bild, erst mit dem Finger oben, dann auf Chruschtschows Brust. Das Brustbild hab’ ich genommen. Es ist das Foto, das eine Story zeigt – und ich wusste, diese Story stimmt. Weil Chruschtschow, mit Nixons piksendem Finger auf der Brust, „Fick doch deine Großmutter!!“ blaffte. Auf Russisch. Nixon verstand kein Wort, und seine Leute waren geistesgegenwärtig genug, es nicht zu übersetzen. Aber Erwitt begriff, was hier auf Messers Schneide stand. Er versteht Russisch – und Russland, seine Eltern stammen daher. In Amsterdam hat Elliott Erwitt jetzt die besten Kuba-Bilder von 1964 an Ausstellungswände gehängt. Alltag nach der Revolution, der Máximo Líder im Auto oder umringt von schwärmerischen Mädchen, Che Guevara mit einer dicken Zigarre. An den Fotowänden gegenüber gibt es die gleichen Bilder noch einmal. Wieder Kuba, die Kubaner. Bloß 50 Jahre später, heute. Erwitt, einer der letzten ganz großen, alles überragenden Fotografen des vergangenen Jahrhunderts, hat Castro diesmal zwar nicht fotografieren können. Aber das Leben jetzt, 56 Jahre nach der Revolution. Die Arbeit, die Langeweile, die Leute auf der Straße. Er fotografierte wie damals 1964 in Schwarz-Weiß und auf Film. Es sind großartige, klassische Beispiele für die einzigartige, untergegangene Kunst der reisenden Fotoreporter. Man sieht auf den ersten Blick: Alle Aufnahmen sind völlig unbearbeitet, absolut original, hundertprozentig manipulationsfrei und authentisch. Nur ein einziges Mal, sagt Erwitt, dürfe sich ein guter Fotograf am Film zu schaffen machen: „Sie machen ein Foto, und danach entscheiden Sie, ob’s wirklich eines ist. Erst das macht das Foto zum Foto. Draufhalten, abdrücken ist das kleinste Problem. Da nimmt man mit, was man kriegen kann. Fotos, die jemanden ganz schlecht aussehen lassen. Oder ins beste Licht rücken, beides bei derselben Gelegenheit. Aber hinterher entscheide ich, wie ich’s sehe.“ In Kuba lief er jetzt zu den Kubanern über. Zwar ist die Armut unübersehbar in seinen Fotos. Aber glücklicher kann es kaum irgendwo zugehen, eine Insel voller armer, aber erlebnisreicher, froher, einander zugetaner Der Máximo Líder als Popstar: 1964 war Fidel Castro in Kuba ein Volksheld – Elliott Erwitts Foto belegt das eindrucksvoll Menschen. „Stimmt, so ist es wirklich“, sagt er, „Aber das hat nichts mit dem Embargo der Amerikaner zu tun. In anderen karibischen Ländern sind die Leute nicht so nett.“ Könnte es nicht Bilder geben, bei denen Erwitt nach vielen Jahren begreift: Ich habe mich geirrt? Es war ganz anders? Was ich da zeige, ist nicht wahr? „Kann mich an solche Bilder nicht erinnern“, antwortet er souverän, „Aber ich bin sicher, es gibt sie.“ Man muss kein Philosoph sein, man muss für ein gutes Foto nicht mehr als andere vom Leben und von Menschen verstehen, ist er überzeugt. Es reiche ein visuelles Gespür. Und der Instinkt für den magischen menschlichen Moment: „Aber eigentlich begreife ich eben erst hinterher, was auf den Bildern ist.“ Erwitt weiß, es ist vorbei. Die großen unabhängigen, reisenden Fotoreporter waren plötzlich da, seit Anfang der 30er-Jahre, sie drehten gloriose Runden um die Welt. Dann verlöschte das Genre, der Beruf. Es war das Glück seines Lebens, so einer zu sein: ein Journalist mit Kamera wie Henri CartierBresson oder Robert Capa. Alles Stars der elitären, weltberühmten Fotoagentur Magnum, deren Präsident Erwitt jahrelang war. Magnum gibt es noch immer. Berühmte Fotografen auch. Aber was ist das bloß, was die neuen, digitalen Superstars da treiben? Manche manipulierten ihre Fotos am Computer, sagt Erwitt. Er habe Bilder gesehen von Blut, Schlamm, Tod und Elend in ästhetisch großartiger Vollendung. Meisterhaft bebilderte Dramatik, voller Schönheit der Komposition, des Lichts, der Farben. Aber Erwitt findet immer noch, das Echte und das Glaubwürdige sei der beste Teil vom Bild. Für ihn muss drauf sein, was vor der Kamera war. Alles, auch wenn’s nicht ins Bild passen sollte. Der Augenblick, wie er tatsächlich war. Und am besten spielt man den „Schöner fotografieren“-Tinnef mutwillig und freiwillig noch eins herunter durch den Verzicht auf Farbe, durch Schwarz-Weiß. Wie bei dem Ballettsaal in Kuba, den er gerade fotografierte. Was war da los? Ja, nichts, außer den Mädels vom Corps de ballet, die da, unscharf belichtet, irgendeine Passage proben. Blödes Foto, blättern wir weiter? Ganz hinten, fast unsichtbar, steht eine Bank an der Wand. Dort kauert die Ballettmeisterin, blind und bald hundert Jahre alt. Aber auf Erwitts Foto ist zu sehen, wie sie die Ballerinen in graziöse Drehungen versetzt, wie sie es ist, die alle Tänzerinnen, den ganzen Saal ins Schweben bringt mit ihrem Charisma, ihrer Magie, nur durch ihre Anwesenheit. Oder das Foto mit den beiden Clowns vor dem Zirkuszelt. Drinnen läuft die Vorstellung, sie sind gerade nicht dran, keiner guckt zu, von Erwitt mit der Kamera mal abgesehen. Und was machen die beiden da? Faxen, Witze. Es ist kein Job. Die zwei sind wirklich echte Clowns. Sie können nicht anders, ihr Leben ist ein großer, langer Auftritt. „Ich mach’ Fotos von allem, was ich vor mir sehe“, sagt Erwitt. „Aber ich habe viele Gelegenheiten verpasst, oft, sehr oft. Die besten Bilder meines Lebens habe ich nur gesehen. Ich hatte gerade keine Kamera dabei. Letzte Woche zum Beispiel. Ich habe einen neuen Hund, er kam zusammen mit meinen Kindern zu Besuch. Ich sah die Bilder. Und ich konnte sie nicht machen.“ 95 Nicht nur Anzug und Turnschuhe als Kombination sind bei Elliott Erwitt noch Ausdruck wahren individuellen Stils MOLTENI (4) GESCHICHTSTRÄCHTIG 96 Schicker als jeder Nierentisch: Giò Pontis Beistelltisch D.552.2 aus den 50er-Jahren gibt es jetzt wieder bei Molteni Optimismus in Serie Die Firma „Molteni & C“ hat selbst Designgeschichte geschrieben. Jetzt widmet man sich der Neuauflage der Möbel von Giò Ponti. Francesca Molteni erzählte Esther Strerath, wie es dazu kam E in riesiger Stuhl, feuerrot, steht da auf der Wiese. Der Betrachter fühlt sich auf „Alice im Wunderland“-Format geschrumpft. Ein Stück weiter ragt ein Tischbein aus dem Gras, ein Ausrufezeichen, ebenfalls knallrot. Das Firmengelände von „Molteni & C“ verweist auf den ersten Blick nicht auf das, was das Familienunternehmen produziert: Zeitlose Möbel, in deren Erscheinung meisterliche Raffinesse steckt. Hier, knapp 40 Autominuten nördlich von Mailand, in Giussano wird noch die gesamte Herstellung kontrolliert – und alles an einem Ort produziert: Es beginnt mit dem Trocknen und Pressen des Holzes und endet mit einem fertigen Schrank. Im Korpus verschwindende Türen und aufspringende Kassettendecks kommen ebenfalls von hier. Ihr sattes Klacken – sämtliche Scharniere, Schrauben und Gewinde sind patentierte Spezialanfertigungen – bestätigen die Ernsthaftigkeit der Konstruktion, der aber immer auch eine Leichtigkeit innewohnt. Außerdem macht man sich um eine Legende verdient: Vor drei Jahren stellte Molteni & C auf dem „Salone del Mobile“ die ersten re-editierten Möbelstücke Giò Pontis vor. Seither wird die Kollektion jährlich um zwei oder drei Stücke erweitert. Von Ponti (1891–1979), dem großen Meister moderner Architektur, der in Mailand allenthalben mit Gebäuden vertreten und dessen Pirelli-Turm ein Wahrzeichen der Stadt ist, wurde bis dato fast gar nichts mehr produziert. „Wir hatten ihn überhaupt nicht auf dem Radar“, erzählt Francesca Molteni, älteste Tochter von Carlo und Enkelin des Firmengründers Angelo Molteni. Zusammen mit ihrem Vater sei sie bei Pontis Enkel Paolo, einem Architekturfotografen, zu Besuch gewesen. In seinem Studio fiel den Besuchern ein Bücherregal auf. Es stellte sich heraus, dass es aus dem Haus von Paolos Großvater stammte, der Villa Dezza. Ponti hatte es nur für sich selbst entworfen. „Plötzlich wurde uns klar, wie wenige Stücke aus seinem Werk noch hergestellt werden“, fährt Francesca Molteni fort. So baten die Moltenis die Pontis, das Archiv ansehen zu dürfen, Francesca verbrachte schließlich Wochen dort. Denn: „Es ist voller Projekte, die nie oder nur für spezielle Gebäude realisiert worden sind.“ Anhaltspunkt für eine Kollektion waren dann die Möbel, mit denen der Designer selbst gelebt hatte, rund 30 Stücke wurden zunächst ausgewählt. Die Ponti-Familie war sehr eng in den Prozess involviert. Francesca Molteni erinnert sich: „Einmal zum Beispiel sah seine Tochter Leti- zia den kleinen Teetisch, dessen Gitter von Hand bemalt sind und kritisierte, dass die Farben nicht dem Original entsprächen. Erst als sie um den Tisch herumging, fiel ihr wieder ein, dass er aus unterschiedlichen Perspektiven verschiedene Farben hatte.“ Tatsächlich sind einzig die Systeme der Schubladen den gestiegenen Anforderungen an Belastbarkeit angepasst. Aus heutiger Sicht erscheint es seltsam, dass sich der Möbelhersteller und der Architekt nie getroffen haben. Francesca Molteni erklärt das so: „Wir haben mit der Produktion von Design erst vergleichsweise spät angefangen, Ende der 60er-Jahre.“ Da kooperierte Ponti längst eng mit anderen Firmen. Großvater Molteni hatte 1934 eine kleine Schreinerei aufgemacht und fügte seinem Namen das „& C“ als Referenz an die Mitarbeiter hinzu. Die Ehefrau kümmerte sich um die Buchhaltung, schnell waren die Stilmöbel fürs Schlafzimmer gefragt. Damals gab es in Italien noch keine Serienproduktion, das änderte sich mit dem Wirtschaftsboom der 50er-Jahre. Molteni war der Erste, der seriell produzierte, mithilfe in Deutschland erworbener Maschinen. 1979 beschäftigte die Firma 550 Mitarbeiter, der erste Store in Rom wurde eröffnet, in Paris gab es da bereits einen. Heute arbeiten 800 Menschen für das Haus, 80 Prozent der Schränke sind immer noch Maßanfertigungen, sämtliche Cartier-Boutiquen richtet man ebenso ein wie das Teatro La Fenice in Venedig sowie die öffentlichen Bereiche der Kreuzfahrtschiffe von Holland America Line und P&O North Sea Ferries. Francesca hat als Kind viel Zeit mit ihren Großeltern verbracht: „Mein Großvater war einschüchternd, er sah mich manchmal mit durchdringendem Blick aus seinen blauen Augen an, ohne etwas zu sagen“, erinnert sie sich. Ihre Großmutter sei kein mütterlicher Typ gewesen und ihr Vater wiederum sei eigentlich von ihrer Tante aufgezogen worden, die unverheiratet und kinderlos war. Sie selbst habe als Kind Design gehasst, sagt Francesca Molteni nur halb scherzend. Sie studierte lieber Philosophie und ging nach Rom, wo sie Dokumentarfilme für den Sender Rai produzierte. Es sollte noch Jahre dauern, bis sie sich mit dem Familienunternehmen anfreundete, in dem ihre Schwester und ihr Bruder längst tätig waren. Inzwischen ist sie es, die das Wirken ihrer Familie am eindrucksvollsten verkündet: Seit 2002 produziert sie Videos für die Firma, sie verantwortet die Website, organisiert Ausstellungen und nennt sich selbst „die Ponti-Beauftragte“. Bis heute lerne sie immer wieder Neues von dem Star-Architekten. Besonders das: „optimistisch zu sein und italienisches Design in der ganzen Welt zu promoten.“ Sessel D.154.2 wurde exklusiv für die Villa Planchart in Caracas entworfen Giò Ponti, einer der berühmtesten Architekten und Designer Italiens Das Original der Kommode D.655.1 wurde 1952 gebaut, heute bei Molteni 97 So malerisch kann es rund um das „Ice Q“ aussehen – wenn das Wetter stimmt EISSTURM Den beiden Statisten (links) machte das Schneegestöber, das das Panorama verdrängte, natürlich nichts aus. „Johannes ist für mich Jetset“, sagt Testino (oben bei der Arbeit) – und stellte das Model ins Zentrum einer Après-SkiPartyszene (unten) Ganz nach oben Mario Testino inszeniert für eine Werbekampagne den bekannter Talente. In Sölden traf er dafür auf Model Johannes Huebl – und widrige Bedingungen D 98 er Himmel ist so weiß, dass es schmerzt, wenn man nach draußen schaut. Dort wirbelt der Schnee, die Skigondeln mussten bereits den Betrieb einstellen, weil der Wind so stark bläst. In der letzten Gondel, die an diesem Tag aus dem Söldener Tal zum Gipfel des Gaislachkogels aufbrechen durfte, befanden sich dann noch Lampen, Stative, Kleidung – denn der Starfotograf Mario Testino will heute hier, auf 3048 Metern Höhe, Fotos für eine Werbekampagne des Wodkaherstellers Cîroc schießen. Unter dem Motto „My Arrival“ geht es um Momente des Durchbruchs von besonderen Talenten. Im Mittelpunkt steht das Männer-Model Johannes Huebl, der bei seinem Aussehen dann gar keine andere Wahl hatte, als diesen Beruf zu ergreifen – wenngleich er sein Studium der Kulturwissenschaften, Schwerpunkt Fotografie und Philosophie, erfolgreich absolvierte. Auch im Gespräch legt er Wert darauf, dass man merkt, dass er mehr ist als Model und Ehemann des New Yorker It-Girls Olivia Palermo. Heute ist der 38-Jährige Protagonist eines Settings, mit dem Testino in der Tradition des Fotografen Slim Aarons den gebürtigen Hannoveraner Huebl als Mitglied des aktuellen Jetsets inszenieren will. Ein Blick auf Huebls Instagram-Account, der ein kleines Gesamtkunstwerk aus Glamour und der Inszenierung von Schönheit ist, erklärt, dass das Konzept recht naheliegend ist. Der Meister der Inszenierung ist an diesem Tag aber ein anderer. Denn wenn Mario Testino einen solchen Auftrag annimmt, dann wird das keine Studioproduktion, dann sucht er eine spektakuläre Location und erdenkt eine Geschichte – dieses Mal mit den Fixpunkten Durchbruch, Gipfel, unendlicher Ausblick. Letzterer war zumindest noch am Vortag da. Und in diesem Fall hat der Ort noch einen besonderen Zauber: Das 2013 eröffnete Gourmetrestaurant „Ice Q“ war unlängst Drehort im aktuellen James Bond-Film „Spectre“ und wurde zu einer futuristischen Klinik umgestylt, in der Bond-Girl Léa Seydoux – noch ahnungslos – als Psychologin arbeitet. Heute ist von dem so faszinierenden Bruch zwischen Bergwelt und Glaskubus jedoch nichts zu erkennen: Der Schneesturm hat aus der filmreifen Kulisse eine komplett weiße Fläche gemacht. Und wie will Mario Testino – der übrigens noch nie skigefahren ist – nun damit arbeiten? „Don’t cross the bridge until you get there“, mach dir keine Sorgen, bevor es so weit ist, antwortet der Fotograf, wenn man ihn kurz vor dem Shooting danach fragt; ihm werde schon etwas einfallen. In diesem Fall bedeutet „etwas“ am Ende, für einen Teil der Motive das Treiben draußen zu ignorieren, der Rest wird per Photoshop erledigt. Es geht ja auch eigentlich um Johannes Huebl, über den Testino sagt: „Er ist auf eine altmodi- sche Art und Weise gut aussehend. Er ist ein junger Mann mit den Werten und der Ausstrahlung eines älteren Herren.“ Apropos Mann – für Testino ist Sean Connery der Mann überhaupt. Da schließt sich dann auch der Kreis zur Bond-Kulisse. „Pierce Brosnan hatte ja auch so seine Momente“, sagt Testino. „Aber bei Connery war da noch etwas Dunkles. Und er sah immer ohne Anstrengung nach Gentleman aus.“ Genau das macht für Testino nämlich Männlichkeit aus: „Die Codes verändern sich, aber immer gilt: Manieren machen Männer.“ Und in dieser Hinsicht ist dann auch Huebl ein echter Mann. Er selbst sagt: „Mario mag bestimmt, dass ich einen anständigen Scheitel und meist Oberhemden trage.“ Und was waren nun ihre Momente des Durchbruchs? „Ein Schlüsselmoment war, als ich Diana fotografiert habe“, sagt Testino. Johannes Huebl spricht von verschiedenen „Meilensteinen“ und dass er versuche, sich in der Nähe des Zufalls aufzuhalten. Die Nähe von Mario Testino ist sicher auch nicht schlecht, weil Huebl inzwischen selbst auch hinter der Kamera arbeitet. Nach unten geht es an diesem Tag nur mit der Schneeraupe. Als nächste Kampagneorte wählte Testino übrigens Ibiza Nicola Erdmann und Kapstadt. IMAGES BY MARIO TESTINO FOR CÎROC® ULTRA-PREMIUM VODKA(3); RUDI WYHLIDAL/ÖTZTAL TOURISMUS „Ich habe es geschafft“-Moment DESIGN Die Würfel sind gefallen Aneinandergereihte Quadrate sind auf einmal in. Die Möbel-Designer haben den Trend erkannt und umgesetzt. Esther Strerath hat das Spiel verstanden V erguckt? Mitnichten! Das jahrhundertealte Spiel mit optischen Täuschungen und der Wahrnehmung des Betrachters hält Einzug in das MöbelDesign: Regale, die, je nach Blickwinkel, mal schlank, mal stämmig wirken, kleine Tische im 3-D-Look, an Mosaiksteine erinnernde Untersetzer. Zwar haben bereits die Römer in Pompeji ihre Böden mit den irritierenden Würfelmustern gefliest, ein berühmtes Fußbodenmosaik aus Antiochia (antikes Syrien) aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. zeigt ein ähnliches Muster. Und der Würfel selbst tauchte um 3000 v. Chr. erstmalig bei iranischen Brettspielen auf. Die Dreidimensionalität vortäuschenden Vierecke prägten fortan die unterschiedlichsten Epochen, finden sich bei Picasso und machten den niederländischen Künstler Maurits Cornelis Escher (1898–1972) zu einem Pop-Star des 20. Jahrhunderts, dank seiner „Darstellung perspektivischer Unmöglichkeiten, optischer Täuschungen und multistabiler Wahrnehmungsphänomene,“ (das lernt man auf Wikipedia). Das schwedische „Note Design Studio“ wiederum taufte seine kubischen Kerzenhalter „POV“ – nach dem gleichnamigen Film-Fachausdruck, bei dem die Kamera vorgibt, Bilder aus der Sicht eines Protagonisten wiederzugeben. „Meine Möbelserie ‚Illusion‘ ist inspiriert von den Bodenfliesen der Renaissance-Paläste und der Geburt der perspektivischen Gesetze“, erklärt Designer Jean-Claude Cardiet von „2222 Edition Design“. Leichter nimmt es hingegen US-Designer Michael Kors, der sich in das Muster verliebte und auf Bikinis und Blusen druckte sowie in Nerze einfärbte. Sein Statement zur kommenden Frühjahrs-Kollektion? „Graphic, Glamour, Geometric Hexagon.“ All das kann man jetzt schon mit Möbeln haben. MONTAGE: ICON : res gba von a r r T ile“ t f ü e t t „T t e m k l Pa r z -Ta b d e . c o l n Ho remo not X LBei Mosai s 222 telltis kstein 2ed ch a itio von ls nde sign .com r: ste mu von n e äße cts“ sch Ma iergef rchite com) . Pa p a f u A r o s e t r e o „T n l i g n (vo elürf Alp W e r von lba mit“ delta e p i r a L e t „ S d: (üb n wa hoglu om) c Nu bilya. o m Gu „Ro t gest Kal cky“ apelt pak von : Re g ian C (üb harle al s er lac han ce. fr) isKub e r ü ef alt -Ti m b e m o n Te a H a n d c h e r v : e ten mikb en“ a ott r e K ls P „ Po Mu s aus tergül K und ork u tig: Un Vo n s c h ö n n d M D t e r s e t ze F are t de awa n T scho r re.c isch nt . om nd Wa w i e r e d r he an beina halte gn t k t esi r t i h c g i i W est s) eel eD bef alt: T „Not enu.a gem v“ von ber m ü „ Po d i o “ ( u t S tz: pla z t i m S hen ix a orgisc ms“ m r ge oo ste Mu hl des ios „R r S t u i g n -T ) e s De ms.g r( o o BEAUTY STILISTEN HIER KOMMEN UNSERE KOSMETIKEXPERTEN ZU WORT DICK AUFTRAGEN Masken, Masken, Masken. So könnte das Motto für die kommenden Monate lauten. Wenn die Luft draußen kalt und es drinnen durch Heizungsluft viel zu trocken ist, bedeutet das Stress für die Haut. Darum empfehle ich besonders gern jetzt Masken. Diese – auch wenn’s komisch klingen mag – Extraportion Pflege wirkt Wunder. Die neue Generation, wie etwa die „Extra Intense Mask“ von Sensai, lässt sich problemlos auftragen (nicht zu verwechseln mit den Fließmasken) und arbeitet gründlich über Nacht. Auch ein Tipp: Probieren Sie das mal nach einem langen Spaziergang aus – ab nach Hause, in die Wohlfühlklamotten, Maske drauf, Tee trinken und auf die Wirkung warten. Nicht vergebens, versprochen. Und: Kann er auch. COURTESY VINCENT PETERS Weihnachtsmärchen: Ein einziger Tropfen des „Wundermittels“ der isländischen Kosmetikmarke Bioeffect soll ausreichen, um die Haut mit allem zu versorgen, was sie braucht. Zum fünften Geburtstags des EGF-Serums gibt es nun eine auf 2999 Stück limitierte Sonderedition. Das Besondere? Die Dosis, die Form der Glasflasche, die Menge (statt sonst 15 ml sind es 50 ml) und der Preis. Gibt’s über bioeffect.de Bleibt dem Spiegel überhaupt eine Wahl, wenn Hollywoodstar Scarlett Johansson so eindringlich hineinblickt? Festgehalten ist die Szene von Fotograf Vincent Peters. Seine schönen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zum Thema „In the Light“ zeigt die Berliner Galerie „206“ ab 27. November. Sei kein Frosch: Im Hinblick auf den Lippenstift „Frog Prince“ von Lipstick Queen ist das im Wortsinn gemeint. Doch wir können hier bereits aufklären: Er bleibt nicht grün, sondern verwandelt sich beim Auftragen, nee, nicht in den Prinzen, aber in Prinzessinnen-Rosé. Über niche-beauty.de Eine für alle: Es gibt sie doch, die Farbe, die Blau-, Grün- und Braunäugige gleichermaßen gut auf den Augenlidern tragen können: Taupe (im Französischen übrigens das Wort für Maulwurf). Deshalb macht man mit der „En Taupe“-Palette aus zehn kühlen und warmen Farbnuancen garantiert nichts verkehrt. Von Zoeva (zum Beispiel über Douglas) Inhaberin der „Parfümerie Temme“ in Ulm KÖSTLICH Bin ich schön? Zweierlei Feierei: Nicht nur, dass „Flowerbomb“, das Parfüm des Designerduos Viktor & Rolf, sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Nein, alle Jahre wieder gestalten die beiden Niederländer auch einen Weihnachtsflakon, der in diesem Jahr jedoch eigentlich ein Silvesterknaller ist – mit seinem Mini-Feuerwerk am Verschluss. Petra Ludin Heiter weiter: 20 Jahre Caudalie. Das feiert Inhaberin Mathilde Thomas mit einer neuen Pflegelinie ihrer Wein(trauben)basierten Kosmetik. „Resveratrol Lift“: Der Augenbalsam etwa soll Tränensäcke mindern. Santé! Es duftet nach Karamell, Schokolade, Honig und Marzipan. Und nein, Sie stehen nicht in Ihrer liebsten Pariser Patisserie, sondern wahrscheinlich gerade vor einem Regal in einer Parfümerie. Denn dort sind die sogenannten GourmandDüfte angesagt, zu denen sich die Parfümeure von Desserts und Süßigkeiten inspirieren ließen. Es sind Leckereien, die nicht auf die Hüfte schlagen, sondern lediglich die Nase hochsteigen. Gute Beispiele dafür sind etwa „Black Opium“ von Yves Saint Laurent oder „Decadence“ von Marc Jacobs. Und dessen Flakon in Handtaschenform ist zugleich noch ein Genuss fürs Auge! Bon appétit! Karin Schuhwerk Geschäftsführerin der „Parfümerie Lüdicke“ in Füssen PSSS t! S Die Neulinge Luxus-Trophäe Buy one, get one free ... Das ist was für alle La Prairie-Fans: Ein eleganter Pokal voll Pflege und mit Mehrwert. Die Schweizer Luxusmarke liefert ihre „Skin Caviar Luxe Cream“ nun in einem von Hand gefertigten Kristallglas. Spätestens wenn der Cremetopf geleert ist (gern auch schon mal zwischendurch), können Sie ihn herausnehmen, Eiswürfel einfüllen und die Glasschale mit Kaviar (extra kaufen!) befüllen. Und genießen. Blau wie die Nacht Overnight Express Nicht ohne Grund wird es abends dunkel. Körper und Geist sollen so automatisch in den Ruhe- und Schlafmodus umschalten. Weil das auch der Haut nicht so immer gelingen mag, muss man nachhelfen. Etwa mit der neuen „Extra Intensive Mask“ von Sensai, die derzeit allenthalben als „Knaller“ gehandelt wird und mit ihrer (so die Pressemitteilung) „daunenweichen, gehaltvollen Textur“ die Haut träumen lassen soll. Öh, heißt es deshalb oft: traumhaft schön? Nachts gehen nicht nur Igel, Maus und Co. auf Tour. Auch unsere Haut ist nachtaktiv, erholt sich während der Schlafenszeit von den Tagesstrapazen, lässt die Zellen entgiften, damit sie am Morgen frisch und entspannt aussieht. Doch ohne Unterstützung von außen wird’s schwierig. Da kommt die „Night Detoxifying Essence“ aus der OrchidéeImperiale-Linie von Guerlain ins Spiel. Die zwei Wirkstoffphasen vermischen sich durch Schütteln und sollen den Regenerationsprozess ankurbeln. Bonne nuit! Eins mit Sternchen Die viel verkauften Damendüfte „Alien“, „Angel“ und „Womanity“ sind schon lange nachfüllbar. Man kauft einen Flakon und füllt ihn später aus einem einfachen Glasfläschchen mittels Trichter wieder auf. Nachhaltigkeit lautet die Devise von Thierry Mugler. Männer können nun nachziehen, denn Muglers „A Men“ ist ab sofort auch „betankbar“. Gruß aus der Galaxis Welches Gestirn meinen Sie in diesem Lidschattendöschen von Bobbi Brown zu erkennen? Mars, Neptun oder vielleicht Pluto? Richtig, es ist der Mond. Die Struktur bekommt „Moon Rock“ (gibt’s noch in drei anderen Farben) aus der Weihnachtskollektion „Sterling Nights“ übrigens dadurch, dass die Lidschatten-Formel gebacken wird, aktuell DER große Trend am Beauty-Firmament. 10 2 Es kann kein Zufall sein, dass rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft viele Duft- und Kosmetikmarken limitierte Sondereditionen herausbringen. So auch Sisley, wo man für den AllzeitKlassiker „Soir de Lune“ nun eigens ein festliches „Kleid“ entworfen hat. Weltweit gibt es bloß 6000 Flakons. Und auch hier geht es darum, rechtzeitig zu sein. ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER Im Mondschein THE NEW FRAGRANCE Ihre PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT freuen sich auf Ihren Besuch! Tauchen Sie ein, in die großartige Welt der inhabergeführten PARFÜMERIEN MIT PERSÖNLICHKEIT und begegnen Sie hier Ihren Duft-Experten. www.parfuemerien-mit-persoenlichkeit.de Bloß keinen Kleister Die Dänin Marianne Tromborg suchte lange vergebens nach wirksamen Produkten für einen natürlichen wie gut erholten Teint. Schließlich ging sie in die Küche und legte los, erzählt Susanne Opalka P 10 4 lattes Land, weiter Horizont: Unsere nördlichen Nachbarn punkten seit Jahrzehnten mit ihrem unangestrengt bewussten Lebensstil – ihre Mode ist begehrt, ihr Design berühmt. Umso erstaunlicher, dass Kosmetikprodukte aus Dänemark bei uns erst jetzt richtig Fahrt aufnehmen. Beim Anblick der schlicht designten Tiegel räumen die Gedanken reflexartig das Bad frei, dabei hat Marianne Tromborg, Gründerin der gleichnamigen Marke aus Kopenhagen, noch gar nicht angefangen. Wie oft mag sie wohl schon erzählt haben, was in und hinter der beglückend duftenden „Aroma Therapy Body Lotion“ steckt. Gefühlt klingt’s jedoch nach Premiere – für alle. „Auch die Lip Cure enthält nur die reinsten natürlichen Stoffe, Macadamianussöl, Sheabutter, Aloe Vera, sie heilt, sie schützt und wenn du hungrig bist, kannst du sie ablecken“, sagt sie und lacht laut. „Ich liebe es, mit essbaren Inhaltsstoffen zu arbeiten, natürlich, Sie sehen es, ich liebe Essen.“ Wieder strahlt sie und lacht ansteckend. Fast alle Tromborg-Produkte entstehen aus persönlichen Bedürfnissen oder Vorlieben. Für die eigene hochsensible Haut entwickelt sie ein erfrischendes, pflegendes Gesichtswasser, für den Sohn, als er ins „Spiky hair“-Alter kommt, ein Haarwachs, weil keines ohne Mineralöl zu finden ist. „Saudoof fand er es, dass seine Mutter es ‚Holger Wax‘ nannte, allerdings nur so lange, bis er entdeckte, dass der Name Tromborg seine Beliebtheit bei den Mädchen steigerte.“ Ähnlich praktisch kam es auch zur Gründung. Als sie in den 90er-Jahren als Visagistin arbeitete, vermisste die heute 49-Jährige Produkte mit Transparenz, die Leichtigkeit. „Ich habe in meiner Küche experimentiert, bis ich hatte, was ich wollte. Ich arbeite lieber mit Licht und Schatten, anstatt zu verdecken, zu übermalen. Ich fürchte, viele verstehen nicht, wie schön sie von Natur aus sind,“ sagt sie. 2003 ist es so weit, mit dem befreundeten Modefotografen Michael Wendt als Kreativdirektor entwickelt sie ihr Lebensgefühl als Marke; Dekorative Kosmetik, Pflege und Düfte – konsequent ganzheitlich – mit natürlichen Inhaltsstoffen. Drei Linien, die sie „Professional Make-up“, „Treatment“ und „Scandinavian Mood“ nennt. Der Erfolg bleibt zunächst überschaubar. Ein Grund: nur wenige, von ihr persönlich ausgesuchte, Geschäfte dürfen ihre „Babys“ anbieten. Organisch eben, langsam wachsen, dafür nachhaltig, das war ihr Credo. Inzwischen gehen die Produkte aus eigenem Labor, eigenen Produktionsstätten, alles in Dänemark, hinaus in die Welt. Weiterhin jedoch selektiv, in Deutschland sind es gerade mal sechs Geschäfte, wie Ludwig Beck in München oder Galeries Lafayette in Berlin. „Zweiter Eingang links, gleich neben dem Schloss“ – lautet die Wegbeschreibung zum Tromborg Headquarter in der Amaliegade 16. Vor vier Jahren hat sich dieser Haustraum erfüllt. Auf 900 Quadratmetern arbeitet das Team in direkter Nachbarschaft zum Königspalast Amalienborg. Im Stockwerk drüber wohnt die 22-jährige Tochter Simone. Von den Räumen der Firma schaut man verträumt in den königlichen Garten oder sinniert beim Anblick einer verbarrikadierten Tür, was sich dahinter wohl verbergen mag. „König Frederik VI. ist da durch zu seiner Mätresse geschlichen, die mit den vier gemeinsamen Kindern hier wohnte“, klärt Tim Schyberg schmunzelnd auf, seit 25 Jahren Mariannes Ehemann. Erst 2006 stieg er in die Firma ein, mischt seitdem aber umso intensiver mit. Er ist ein renommierter Wissenschaftler mit Expertise in der pharmazeutischen und biotechnologischen Industrie und zuständig für den Marken-Inhalt: „Science behind beauty.“ Sechs Jahre hat der „verrückte Wissenschaftler“, wie er sich selbst nennt, an der neuen Luxuspflege „Beauty of North“ gearbeitet: „Wir verwenden Extrakte von Pflanzen-Wildformen, die einem Zustand vorliegen, wie er durch die Evolution entstanden ist, ohne dass der Mensch sie kultiviert hat. Hunderte oder Tausende Jahre bevor sie überhaupt entdeckt wurden, sind sie in ihrem natürlichen Umfeld gewachsen. Sie mussten bestimmte Fähigkeiten und Substanzen entwickeln, um zu überleben; so enthalten sie starke energiereiche Strukturen und eine Fülle an Antioxidantien. Natur in ihrer wahrhaftigsten Form.“ Für die Fundorte sei keine Reise zu weit, keine Recherche zu aufwendig. In North Dakota folgte man dem „singenden Wind“ der Prärieblumen (Krokusse), von denen die Indianer sagen, dass sie den Pflanzen mitteilen, dass sie blühen sollen – oder arbeitete sich durch jahrhundertealte Aufzeichnungen aus dänischen Klöstern. Trotz des hochkarätigen Inhalts, allein der Star, die „Anti-Aging Molecular Messenger Cream“ enthält elf verschiedene Peptide, über 45 aktive Inhaltsstoffe, gilt stets Tromborgs Grundprinzip: schnell, unkompliziert, verträglich. „Wir haben alle Jobs, arbeiten hart, haben Kinder und sollen dann auch noch spektakulären Sex haben. Wenn das alles stimmt, hast du morgens nur noch fünf Minuten, um super auszusehen.“ Also: Fröhlich reicht Marianne die „Baked Minerals Collection“ für den „natürlichen Glow“ herum. TROMBORG; MONTAGE: ICON MARKENGESCHICHTE T H E C U L T U R E O F T O TA L B E A U T Y DERMOSTHETIQUE Hocheffiziente Kosmetikprodukte auf Basis aktueller biologischer Zellforschung und deren Einfluss auf die Physiologie von Haut, Kopfhaut und Haarwurzeln. In ausgesuchten Friseur – Salons und auf www.labiosthetique.de 10 6 Was wäre, wenn ein Unternehmen seine Mitarbeiter am Gewinn beteiligen würde? Wenn das Gehalt sich auch an Bedürftigkeit orientierte? Oder das Mittagessen in der Kantine biologisch wäre? Wie schön wäre es, in Räumen zu arbeiten, deren Wände sanft abgetönt sind, in denen Neonlicht abwesend und Schönheit nicht gleich Oberflächlichkeit wäre? Sondern, wie Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, 1923 schrieb: „Wenn dasjenige schön ist, was sein Inneres in seiner äußeren Gestaltung zur Offenbarung bringt.“ Utopie? Nun, nicht in der Wala Heilmittel GmbH, die seit ihrem Beginn im Jahr 1935, als sie durch Dr. Rudolf Hauschka in Ludwigsburg gegründet wurde, anthroposophische Arzneien entwickelt und dabei den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt. Basis für jegliches Tun ist auch der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur. Das Zugpferd des Unternehmens mit rund 800 Mitarbeitern ist seit 1967 die Dr. Hauschka Naturkosmetik mit Produkten, die ganz ohne synthetische Emulgatoren, Konservierungsmittel, Farb- und Duftstoffe auskommen. Und auch beinahe ohne Werbung. Die dafür aber mit Heilpflanzenauszügen angereichert sind, die die Haut als ganzheitliches Organ ansprechen sollen. Die Rohstoffe dafür stammen aus biologisch dynamischer Landwirtschaft. Oder aus dem eigenen Garten in Bad Boll, dem heutigen Sitz der Wala. Idyllisch am Fuße der schwäbischen Alb gelegen, gedeihen in diesem Kleinod neben Rosen für den Bestseller von Dr. Hauschka, die Rosencreme, auch Gewächse wie Wundklee, Gänseblümchen und Kapuzinerkresse. Und dann gibt es auch verwahrloste Ecken. So zumindest scheint es zunächst. Tatsächlich wird hier die Natur aber sich selbst überlassen, sodass sich Nützlinge ansiedeln können. Alles, was im eigenen Garten nicht wächst, besorgt man sich aus legalen Wildsammlungen. Dieses ganzheitliche Prinzip spricht heute nicht mehr nur die Bio-Hedonisten der 80erJahre an, die im Interesse ihrer Kinder die Welt retten wollten. Es gefällt vor allem den sogenannten „Lohas“, ein Akronym für „Lifestyles of Health and Sustainability“, dank derer in Deutschland laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr das Geschäft mit Naturkosmetik die Milliardengrenze durchbrechen konnte. Es sind Konsumenten, die einen gesundheitsbewussten Lebensstil pflegen Elisabeth Sigmund gilt als Pionierin der Naturkosmetik DURCH DIE BLUME Heilig’s Kräutle Bei der Naturkosmetikmarke Dr. Hauschka pflegt man die Haut mit Heilpflanzenextrakten – und viele Angelegenheiten anders zu regeln als in der Branche üblich. Mira Wiesinger besuchte den Firmensitz im schwäbischen Bad Boll DR. HAUSCHKA (3) W und, ganz wichtig, dabei gut aussehen wollen. Menschen wie Julia Roberts. Seitdem sie am Filmset von „Erin Brockovich“ mit Produkten aus Bad Boll verschönert wurde, beteuert sie immer wieder, wie begeistert sie von der Marke sei. Sie ist nicht die Einzige: Madonna schwört auf die Rosencreme und auch Jennifer Aniston, Uma Thurman, Sofia Coppola, Stella McCartney und Kate Moss sind Anhänger der Dr.-Hauschka-Lehre. Zu der viel mehr gehört als bloßes Eincremen. „Kosmetik, das ist alle Körperpflege, Hautpflege, Schönheitspflege in ihrer ureigensten Bedeutung. Dieses Wort, von dem griechischen ‚kosmein‘ abgeleitet, bedeutet ordnen, harmonisieren“, schreibt Elisabeth Sigmund 1974 in der Anleitung ihrer kosmetischen Praxis. Seit 1962 war sie maßgeblich an der Entwicklung der Dr. Hauschka Produkte beteiligt, arbeitete bis zu ihrem Tod 2013 bei der Wala. 1914 in Wien geboren, interessierte sich Sigmund früh für Kosmetik und für Heilpflanzen. Das Wissen eignete sie sich mit Medizinbüchern aus Klosterbibliotheken an. Nach ihrer Ausbildung zur Rotkreuzschwester studierte sie Medizin, schmiss das Studium jedoch zugunsten der Entwicklung eigener Kosmetika. Ende des Zweiten Weltkriegs emigrierte sie mit ihrem Mann nach Schweden, eröffnete hier ihren Schönheitssalon. Als Alleingängerin benutzte sie nicht marktübliche Produkte, sondern die eigenen, die nicht äußerlich korrigieren, sondern die hauteigenen Regenerationskräfte aktivieren wollen. Bis heute revolutionär ist ihr Konzept der fettfreien Nachtpflege. Ihre Erkenntnis dafür gewann sie aus Halbseitenversuchen am eigenen Gesicht. Nach einigen Wochen sah die fettfrei behandelte Gesichtshälfte rosiger, glatter, vitaler aus. Mittlerweile ist es wissenschaftlich bestätigt, dass der Stoffwechsel der Haut in der Nacht besonders aktiv ist und das Organ sich besser regenerieren kann, wenn es atmet und dabei nicht unter einem dicken Fettfilm liegt. Auch das „Peelen“ war bei Sigmund tabu. Zu sehr greife man ein in den eigenen Erneuerungsprozess der Haut. Stattdessen integrierte sie die Lymphdrainage, bis heute Herzstück jeder Dr.-HauschkaBehandlung, in ihre Praxis. Denn das Lymphsystem funktioniere wie ein Klärwerk. Außerdem riet sie ihren Kundinnen schon damals auch die „innere Kosmetik“ zu pflegen: Mit gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf, Bewegung, frischer Luft und maßvoller Sonneneinwirkung. 1600 Naturkosmetikerinnen arbeiten heute in 40 Ländern nach Sigmunds Methode, 140 Produkte umfasst das Dr.-Hauschka-Sortiment und auch die Konzeption aller neuen Präparate des Hauses basiert auf ihren Ideen. Selbst die dekorative Kosmetik, seit 1999 auf dem Markt, enthält Heilpflanzenauszüge. Es ist ein Konzept, das nicht nur buchstäblich hübsch klingt. Es ist auch äußerst lukrativ. Waren es 1994 noch umgerechnet rund 19 Millionen Euro Umsatz, erzielte die Wala im vergangenen Jahr 129 Millionen Euro. Circa drei Viertel davon erwirtschaftet allein durch Dr. Hauschka Kosmetik. Dabei scheint man gar nicht besonders erpicht auf den Umsatz zu sein. Das Unternehmen ist heute ein gemeinnütziger Verein, der nicht verkauft oder vererbt werden, sondern nur von geistigen Nachkommen weitergeführt werden darf. Nach einem Besuch in Bad Boll scheint allein das Sinn zu ergeben. Und es bleibt nur noch die eine Frage offen: Wenn man auf solch menschen- und umweltfreundliche Weise so viel Geld verdienen kann, wieso eigentlich machen es dann nicht alle so? Celebration ten s n ö h Die sctücke: S R’S A A Z BA TAGE VIN CTION SELE ie & Ihn für S Der WELTSTAR unter den Fashionmagazinen. Jetzt im Handel und als E –Paper. HARPERSBAZAAR.DE DELIKATES I In der piekfeinen Metzgerei im Örtchen Scuol sehen die Fleischtranchen aus wie gemalt. Salsiz, eine lokale Wurstspezialität, sind hier dreieckig geformt wie sonst nur die Riegel einer Schweizer Toblerone. Durchwachsener Speck lockt rosig – und die Quader feinen Bündnerfleisches gleichen marmornen Skulpturen. Fast könnte man glauben, ein Bildhauer habe sie geschaffen. Wir sind im Kanton Graubünden, genau genommen in Scuol auf 1290 Meter Höhe. Und Ludwig Hatecke ist dort mehr als ein Metzger – man könnte ihn den Bildhauer der alpinen Fleischtradition nennen. Augen so blau wie ein Bündner Gletscher, smart, schlank und charmant: Das soll ein Schlachter sein? Ludwig Hatecke räumt nicht nur mit der Erwartung auf, dass Fleisch bestenfalls appetitlich daherkommen sollte. Seine Erzeugnisse scheinen in einer Design- 10 8 schmiede entworfen zu sein. Dabei übt Hatecke sein Handwerk mit großem Vergnügen aus, wie schon sein Großvater in St. Moritz und sein Vater in Zernez. Sein Ururgroßvater, Spross einer norddeutschen Schiffszimmererfamilie im niedersächsischen Freiburg an der Elbe, ging als junger Mann auf die Walz und blieb in den Alpen stecken. 1864 kaufte er in Scuol ein schon damals uraltes, trutziges Engadiner Bauernhaus und baute an. Das Gebäude aus dem 14. Jahrhundert steht heute noch mitten in Scuol wie ein Dickschiff auf Grund. Unten werden die Tiere hineingeführt und zu Frisch- oder als Trockenfleisch verarbeitet. Hatecke ist für seine luftgetrocknete Ware berühmt. Früher schlachteten die Bauern einen Teil ihres Milchviehs nach dem Almabtrieb im September. Das eingebrachte Sommerheu hätte nicht für alle Tiere im Stall gereicht. Aus dem Schlachtvieh machten sie Bündnerfleisch für den Winter. Das ernährte ihre Familien. Heute, da die Bauern nicht mehr so arm sind, gibt es Bündnerfleisch das ganze Jahr über. Es ist nahezu fettfrei und hat kaum Kohlenhydrate. Eiweiß, Eisen, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente machen es zu einer Energiebombe, die jeden Ernährungsexperten überzeugen dürfte. Heute ist der Begriff eine geschützte geografische Bezeichnung (GGA) und gehört zum kulinarischen Erbe des Landes. Nur Stotzerfleisch aus der Rinderkeule, das an der Bündner Luft getrocknet ist, darf so ausgezeichnet werden. Manche sagen „Bindenfleisch“ wegen der Tücher, die man im 18. und 19. Jahrhundert zum Pressen um die Fleischstücke band. „Die Luft ist so trocken, dass von Sils bis St. Moritz hinab vom Monat Oktober bis März alles Fleisch nicht im Rauch, sondern an der Luft gedörrt wird“, schrieb der preußische Arzt und Reiseschriftsteller Johann Gottfried Ebel in seiner 1793 erschienenen „Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art die Schweitz zu bereisen“. Hatecke wird heute von fast 80 Bauern mit Schafen und Milchkühen beliefert. Mehr als 100 Jäger gehen im Herbst für ihn auf die Pirsch. Sie erlegen Hirsch, Gams oder Reh und manchmal sogar ein Murmeltier. Das schmecke entfernt wie Hase und sei etwas für Liebhaber, verrät der Fleischer. Zwei Drittel der in der Metzgerei verarbeiteten Tiere kommen aus dem Unterengadin, der Rest aus dem Oberengadin. Die Schafe sind für die Salsiz. Die Milchkühe werden zu Bündnerfleisch verarbeitet: „Die Tiere fressen das Gras der im Frühsommer über und über blühenden Alpwiesen, und die ungesättigten Fettsäuren machen das Fleisch der Milchkühe zarter und feinfaseriger als die der männlichen Tiere“, so Hatecke. „Je älter es ist, desto schmackhafter.“ Wir machen eine Runde durch den Handwerksbetrieb und lernen manches über die alten Methoden des Haltbarmachens nach Bündner Art. Im Keller werden die Kühe geschlachtet und noch warm ausgenommen. Oberschale, Unterschale und Nuss aus der Keule der Kuh sind für das Bündnerfleisch reserviert. Mit Salz, möglichst wenig Nitrat, Pfeffer, Wacholder und Lorbeer eingerieben ruht es auf einem Marmortisch und wird 21 Tage bei fünf Grad Raumtemperatur jeden zweiten Tag gewendet. Dann spülen die Metzger die Kräuter mit handwarmem Wasser ab, tupfen alles trocken und trocknen das Fleisch bis zu drei Monate lang. Tagsüber sind die Fenster des Reiferaumes geschlossen. Des Nachts flutet die frische und klare Bergluft hinein. Immer wieder prüft der Chef durch Drücken den Reifegrad, und immer wieder kommt das Fleisch während des Trocknungsprozesses in eine hölzerne eckige Presse für die typische Form. Die Würste im Rindskranzdarm werden in einer eigenen Form dreieckig gedrückt. Am Ende hat das Fleisch 50 Prozent seiner Feuchtigkeit, also seines Gewicht verloren. Das Salz hat eine steingraue Schale gebildet. Feiner weißer Edelschimmel verleiht eine extra aromatische Note. Essreif ist es, wenn es im Kern satt dunkelrot ist. Das sehen wir im Laboratorium der Wurst. Dort sind die, man muss es so sagen, Preziosen des Metzgers hauchfein geschnitten und ausgebreitet: die Wildwurst, der Schweinespeck, der Hirschschinken und natürlich das Bündnerfleisch. Die Verkostung kann beginnen. Jeder interessierte Besucher der Metzgerei landet hier, sofern er sich für den Dienstagstermin und das „Erlebnis alpines Fleischhandwerk“ angemeldet hat. Bündnerfleisch ist mit dem Walliser Trockenfleisch und dem Tessiner Carne seca verwandt. Beide sind luftgetrocknet und gepökelt. Ganz im Gegensatz zum Appenzeller Mostbröckli, das gepökelt, geräuchert und dann erst getrocknet wird. Früher aßen die Bündner ihr Trockenfleisch gern gewürfelt wie Speck. Erst die Erfindung der FleischSchneidemaschinen in den 50er-Jahren machte es möglich, dass man es derart hauchdünn aufschneiden konnte, wie es heute beliebt. Bündnerfleisch schmeckt pur am besten, aber im Unterengadin sollte man es auch mal zu den Capuns probieren. Das sind in Mangoldblätter gewickelte Teigpäckchen. Hatecke ist in seinem Element. Der Begriff „regional“ ist für ihn ein Gütezeichen, Handarbeit oberstes Gebot. Seine Werkstätten vom Schlachthaus bis zur Wursterei spiegeln seine pure Ästhetik. Das von den Decke herabhängende Fleisch sieht aus wie aus den umliegenden Bergen geschlagene Steine. Es duftet atemberaubend. Die besonnen arbeitenden Schlachter in den weißen Kitteln scheinen alten Bildern entsprungen. Das Fleisch ist appetitlich, ja schön. „Fleisch ist ein sehr wertvolles Lebensmittel“, betont der Meister. „Wir machen hier keine Zeremonie.“ Er hat den Metzgerberuf erlernt, sich in Wirtschaftsdingen gebildet, Französisch studiert, und wenn es seine Zeit erlaubt, reist er gern umher, um in anderen Qualitätsmanufakturen in die Töpfe zu gucken oder noch feinere Verpackungen zu finden. Sohn David ist 23 und Koch. Er steht im St. Moritzer Laden. Der jüngste Sohn ist erst 17 und geht noch zur Schule, aber er sagt jetzt schon zum Vater: „Am liebsten würde ich das auch irgendwann mit meinem Bruder machen.“ Heute hat der 60-Jährige vier Geschäfte: in St. Moritz, Zernez und zwei in Scuol. Er beliefert feine Hotels, wie beispielsweise das „Waldhaus“ in Sils Maria, aber auch mal die Feinkostetage eines Departmentstores wie des KaDeWes in Berlin. Auch die Dörfler kaufen bei ihm ein. Urlauber lassen sich die Preziosen wie Pralinen in die festen, edlen, schwarzen Kartons packen und schmecken zu Hause nach. Beim Öffnen des Deckels knistert das rote Seidenpapier. Schöner und sinnlicher kann man ein Stückchen Region nicht der Heimat entführen. BENJAMIN HASENCLEVER (4); CYRUS SAEDI Zum Anschauen zu verlockend, zum Essen fast zu schön: Contadino, dreieckige Salami vom Rind mit Schweinefleisch (links); Panzetta, Speck vom Schwein; Pelegrin, reines Trockenfleisch vom Rind; Puolpa, Bündnerfleisch vom Rind (unten von links nach rechts) Aus Fleisch und Mut Ludwig Hatecke aus dem Unterengadin ist der Künstler unter den Metzgern. Inge Ahrens konnte sich nicht entscheiden, ob sie seine Produkte von alpinen Wild- und Wiesentieren essen oder aufhängen sollte 10 9 GELÜSTE Alles Roger! Patrick Roger baute die Berliner Mauer und Lagerfelds Muse aus Schokolade. Zur Wiederöffnung des Rodin-Museums in Paris goss er dem Bildhauer zu Ehren eine Skulptur aus Kakaomasse. Seine Pralinés sind so bildschön, dass man sich fast S 110 Schokolade zum Frühstück, für Patrick Roger ganz normal. Die Journalisten, die sich an diesem Morgen in der frisch renovierten Boutique am Boulevard Saint Germain in Paris einfinden, werden vom Maître persönlich gefüttert: „Erst kosten, dann sprechen“, ordnet er an. „Entspannen wir uns erst einmal.“ Also, Augen zu, Mund auf. Das Hüftgold wird verteilt wie die Heilige Kommunion. Es zerschmelzen zarte Praliné-Carrées mit knuspriger Noisette-Füllung oder fruchtig-scharf gepfefferte Minze und Zitronengras auf der Zunge. Beides tanzt auf den Geschmacksnerven, das eine wie ein dramatischer Tango, das andere wie ein flirrender Salsa. Patrick Roger ist ein Verführer und keiner, der dabei Gewissensbisse kennt: „Vergessen Sie Schuldgefühle. Ich esse davon 500 bis 600 Gramm am Tag“, sagt er, und es sieht bei ihm nicht so aus, als müsste er sich dafür in Shapewear-Schlüpfer zwängen wie Bridget Jones. Seine mittlerweile neun Schokoladentempel in Paris und Brüssel sind Pilgerorte für Naschkatzen aus aller Welt und selbst die, die es eigentlich lieber salzig mögen, werden angesichts der brillanten Präsentation der exquisiten Leckereien schnell umgepolt: Die Boutiquen Patrick Roger gleichen eher einer Schmuckgalerie denn einem Schoko-Laden. Jede für sich ist ein sorgsam durchkomponiertes Design-Bijou – und jede ist anders. Die von dem Pariser Architektenbüro SCAU um- nicht traut, sie zu essen. Silke Bender besuchte den besten Chocolatier Frankreichs und biss trotzdem zu gestaltete Boutique am Boulevard Saint Germain in Paris ist ein dramatischer, dunkler Black Cube, in dem die süßen Preziosen in grün illuminierten Showcases präsentiert werden. Die schwarzgebrannte Holzverkleidung ist die formschöne Aufarbeitung des Dramas, das Patrick Roger vergangenes Jahr heimsuchte: „Mitten in der Vorbereitung des Weihnachtsgeschäfts brannte unser Atelier ab. Eine Katastrophe, die unser Team aber zusammengeschweißt hat“, erzählt er. Von einem einheitlichen Boutique-Design hält der „Schokoartist“ nichts. Überhaupt ist Patrick Roger in der feinen Pariser Patisserie-Szene einer, der gern aus der Reihe tanzt. Er trägt Pferdeschwanz, ist stolz darauf, ein Landei aus der Normandie zu sein, und neben Schokolade und Bildhauerei sind seine großen Leidenschaften Moto-Cross und seine PS-starke Ducati: „Schokolademachen ist wie Motorradfahren“, behauptet er. „Es geht um Timing und um gute Vorbereitung. Man muss es verstehen, langsam zu sein, um im richtigen Moment sehr schnell reagieren zu können.“ Geboren in dem 200-Seelen-Dorf Le Perche, wo sein Vater der örtliche Bäcker war, sah seine Bestimmung nicht so aus, als würde es ihn bis auf die elegantesten Pariser Boulevards führen. Mit 18 Jahren kam er zwar als Patisserie-Lehrling zu Pierre Mauduit nach Paris, dort machte er sich jedoch mehr schlecht als recht. Zum Schokolademachen wurde er verdonnert, weil er für Eclairs und Petit Fours nicht taugte. „Ich weiß nicht genau, wann meine Liebesgeschichte mit Schokolade begann. Es ist wie mit dem Küssen: Schön ist es irgendwie immer, aber irgendwann fühlt es sich richtig an“, sagt er. „Ich hatte meine Muse gefunden.“ Er war nicht nur auf den Geschmack gekommen, er erkannte auch die skulpturale Qualität der Materie, mit der er schnell anfing, Kunstwerke zu formen. Aus dem mäßig motivierten Lehrling wurde ein Schokoladen-Virtuose, der schon bald anspruchsvolle Sonderanfertigungen für Bühnen-Dekorationen von Serge Gainsbourg bis Jean-Paul Gaultier machte. 1994 gewinnt er mit seiner grün schillernden Pralinen-Halbkugel „L’Amazon, une demi-sphère“, einer Kreation aus Schokolade, Limette und Karamel, den Titel des Schokoladenweltmeisters, drei Jahre später macht er sich selbstständig. Seine Vision war, die frische Bauernküche der Normandie in Chocolaterie zu übersetzen: Bis auf den Kakao, der aus 47 Ländern kommt, baut er viele der Zutaten selbst an. Alle Nüsse und Mandeln zum Beispiel kommen noch heute von den familieneigenen Plantagen in Le Perche, so auch die für die kleinen Noisette-Pralinés namens „L’instinct“, mit denen er jede Frage unterfüttert. Sie wurden 1997 Bestseller aus dem Stand, drei Monate später hatte er bereits 18 Angestellte, heute 40. Seine Kreationen werden vi- MICHEL LABELLE Die Pralinen von Patrick Roger eignen sich als kulinarischer Höchstgenuss genauso wie zu Deko-Zwecken suell und geschmacklich immer ausgefallener und experimenteller – so schön, dass man sie fast nicht essen mag. Im Jahr 2000 wird er als bester Handwerker und Chocolatiers Frankreichs ausgezeichnet. War er als Kind nie hinund hergerissen, ob er den niedlichen SchokoWeihnachtsmann nun behalten oder essen soll? „Bei uns zu Hause gab es keinen Weihnachtsmann aus Schokolade – und Hasen zu Ostern nur in echt, mit Fell“, grinst er. Er findet die Frage obsolet. „Kinder haben keine Skrupel vor meinen Figuren. Bei den Elefanten und Marienkäfern essen sie sogar die Augen zuerst.“ Und bei den erwachsenen Kunden? Spielt er bewusst mit dem Moment des Zögerns, dem Akt des Essens als ZerstöIn Rogers Boutique am rung? Er schaut verPlace de la Madeleine dutzt: „Nein, überschauten einst Schokohaupt nicht. Die ladenaffen aus dem Form muss schön Schaufenster sein, damit ich Lust habe, sie zu essen.“ Inspiration findet er überall: Manchmal ist es ein Geruch, mal eine Reise, die Augen einer Frau, die ihm Ideen geben für neue Kreationen. Die sind nicht zwingend charmant. „Ich mag keine blauen Augen“, erläutert er. „Meine Praliné-Kugel Cyclone ist ganz blau. Ich habe da eine Schicht von einer besonders harten Zutat eingefügt, die im Biss wiedergibt, was diese Augen für mich „Vergessen Sie Schuldgefühle!“ PAT R I C K R O G E R , Frankreichs berühmtester Schokoladenmeister bedeutet haben.“ Das klingt ein wenig nach gebrochenem Herzen. Nur seine Skulpturen aus Schokolade, die sind für die Ewigkeit bestimmt. Zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls baute er ein Stück der Berliner Mauer aus Schokolade nach. 2011 hat er die „Magnum-Suite“, ein Hotelzimmer aus über zehn Tonnen Schokolade für Langnese geschaffen, inklusive der knackig-braunen Lagerfeld-Muse Baptiste Giabiconi auf dem Bett. „Bei meinem ersten Entwurf fand Karl Lagerfeld die Augenbrauen von Baptiste zu hell und ich musste sie dunkler machen“, sagt er und lächelt. „Er ist genauso detailversessen wie ich.“ Sein neuester Coup: Für das renovierte Rodin-Museums in Paris hat er den Schriftsteller Honoré de Balzac in eine fast vier Meter hohe Schokoladenskulptur gegossen. Sie begrüßt dort die Besucher. Am Ende des Pressetermins gibt es noch einmal Schokolade. Eine kleine Degustation seiner neuesten Kreation für Weihnachten: Wer findet, dass die Kombination von Marzipan mit Sellerie, Kartoffeln und Schwarzem Reis irgendwie schräg klingt, muss wieder die Augen zu und den Mund aufmachen. Es schmeckt einfach nur – himmlisch. Wie lange er daran getüftelt hat, den Sellerie-Geschmack so deutlich und doch so fein dosiert hinzubekommen? „Nicht lange“, sagt er. „Ich weiß genau, was ich tun muss. Alles eine Frage von Erfahrung und Intuition.“ 111 SONNTAG, 15. NOVEMBER 2015 Global Diary VENEDIG Schon mit dem Boot loszufahren, anstatt am Flughafen in ein Taxi zu steigen, macht Venedig aufregend – und sei es der Wasserbus, das Vaporetto. Aber mit dem Boot direkt ins Hotel zu fahren, das ist grandios. Möglich ist das im neuesten Haus von Architekt Matteo Thun, dem „JW Marriott“ in der italienischen Lagunen-Stadt. Haus ist maßlos untertrieben, die ganze „Isola delle Rose“, eines der Fleckchen Erde, die in der Lagune schwimmen, ist das Hotel. Man nähert sich von San Marco kommend, wo man den Bootsbus gegen ein Hotel-Shuttle getauscht hat, schippert am „Hotel Cipriani“ vorbei (schon Casanova turtelte hier) und sieht kurz darauf ei- nen Wassertank auf Stelzen. Dann biegt das Boot nicht in die Schneise zwischen Ufergrün und türkisfarbenen Säulen, stoppt nicht vor den Teak-Bänken mit den Schwarz-Weiß-Fotografien darüber, an denen vorbei man 19 Stufen hinauf und durch ein Glasportal tretend, in der Lobby ist – das Szenario ist Anreisenden mit Privat-Taxi vorbehalten. „Mein“ (kostenfreies) Shuttle hält einige Meter weiter, an einem Steg, vor einem kleinen, barocken Pavillon. Ich schubse meinen Rollkoffer über den glänzenden Steinboden der Lobby – wow! Die Lobby, ein glänzender Saal mit Steinböden, Spiegeln, Marmor und lagunengrünen Teppichen. Alle vier Eincheck-Marmortische sind besetzt. Morgen wird das neue Juwel der US-Kette offiziell Eröffnung feiern, derweil reichen lächelnde, junge Frauen geeiste Wassergläser. Verstehe, das kann dauern, dann also gleich auf Erkundungstour. Die circa 16 Hektar kleine Insel war einst eine Krankenhaus-Station, das Hauptgebäude eine Klinik. Ich schlendere unter Olivenbäumen entlang und erreiche eine Mini-Marina. Gerade ist ein Restaurant, das „Dopolavoro“ mit schönstem Patio und mit Blick auf den Lido fertiggestellt worden. Weiter durch den Park stoße ich auf einen Backsteinquader: Thun hat ihn ausgehöhlt, in Parzellen unterteilt und in die Grundmauern von 1936 Boxen eingesetzt. Jetzt sind es Luxus-Suiten mit glucksenden Whirlpools im Gärtchen. Aus der Kapelle wurde ein Spa – das Die jährliche Umfrage des Magazins „Monocle“ ergab eine Überraschung: Kopenhagen ist die lebenswerteste Stadt der Welt. Die Gründe: viel Wasser, viel schicke Architektur, coole dänische Mode und spannende Gourmetküche. Und nicht zuletzt die erquickliche Fahrradkultur. Die Regierung hat großflächig dafür gesorgt, dass diese Art Verkehr ziemlich reibungslos läuft. Und auch das Metronetz wird ausgebaut, weswegen der Kongens Nytorv (Königplatz) im Zentrum seit Jahren von einem Bauzaun ummantelt ist. Trotzdem – sehenswert ist er doch, abgesehen von etwas Werbung, mit farbenfroher Kunst verbrämt und somit SelfieHotspot. Am Kongens Nytorv prunkt das Leading Hotel „D’Angleterre“, die Traditionsadresse ist nach 10-jähriger Renovierungszeit im frischen Gewand. Der Ursprung des Hauses geht auf 1755 zurück, das Resultat einer Lovestory – Diener des Königs verliebt sich in ambitionierte Tochter des Hofkochs und etabliert ihr zuliebe eine Gaststätte. Daraus gewachsen ist ein Haus, in dem sich heute klassisch-elegante Einrichtung mit dänischen Design-Elementen und modernster Technik vermischt. Am besten gefallen mir die Zimmer mit Balkon im Obergeschoss mit Ausblick bis ins Kneipenviertel Nyhavn mit seinen kunterbunten Häusern. Die Tradition feiner Küche setzt heutzutage Ronny Emborg im Stern-gekrönten „Marchal“ fort. Für Entschleunigung sorgt auch die neue Radler- und Fußgängerbrücke von Ólafur Elíasson. „Cirkelbroen“ aus fünf versetzten Plattformen wurde von einer Stiftung zur Förderung des guten Lebens (!) gespendet. Beim Mittag im „Tårnet“, ein Baby von Luxus-Caterer Rasmus Bo Bojesen, fällt die Wahl der kreativen Smørrebrøds schwer. Das Restaurant versteckt sich im Turm von Parlamentsgebäude Schloss Christiansborg, Panorama inklusive. Der Blick schweift über königliche Gärten, Reitplatz, rote Ziegel- und grüne Kupferdächer. Das alles erfreut Magen und Seele sogar an düstersten Tagen. Für Kiki Baron hat der Norden noch mehr an Wert gewonnen KOPENHAGEN 112 Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer. Illustriert von Tim Dinter größte Venedigs und mit einer Fensterfront Richtung „Downtown Venice“. Ich brauche meinen Bikini und eile – Wolken ziehen auf – vorbei an Erdgeschoss-Terrassen und Rosenbüschen anderer Residenzen des Resorts, das aus insgesamt 20 Gebäuden besteht. Jetzt klappt es auch mit dem Einchecken. Und dann, ein paar Minuten später, auf der Liege des Rooftop-Pools mit 19 Sonnenschirmen, gekachelter Bar und Super-Panorama, auch mit der Entschleunigung. Schwimmen im Wasser über dem Wasser. „Es ist selten, in Venedig Venedig zu sehen“, hat Matteo Thun in einem Interview („Wallpaper“) gesagt, das ich auf dem Hinflug gelesen habe. Hier, auf der Roseninsel, ist die Stadt überall im Fokus. Auch, weil es sich bei „JW“ um ein „Three Zero“-Projekt (null CO2, null Entfernungen, null Abfall) handelt. Alle Materialien, die Thun eingesetzt hat, stammen aus der Region, Stoffe von Rubelli, Glas aus Murano. Ich entscheide mich, anstatt 25 Euro für WiFi auf dem Zimmer auszugeben, diese in ein PastaGericht zu investieren, inklusive eines Rosés aus dem Alto Adige. Auf der Gartenterrasse ist das Internet frei zugänglich, der italienische Kellner akzeptiert meinen Vorschlag, hier Roomservice in Anspruch zu nehmen, da die Küche schon geschlossen hat. Als ich am nächsten Morgen in aller Früh die Insel wieder mit dem Shuttle verlasse, ist die himmlische Ruhe in Gedanken dabei. Esther Strerath träumt jetzt oft von Lagunen NEW YORK Huch, schon da? Keine dreißig Minuten Fahrzeit vom Flughafen La Guardia bis zum Hotel. Glück gehabt. Wie mit dem Haus. Eine Empfehlung, aber man weiß ja trotzdem nie. Die Lage scheint schon mal prima, Midtown, zwischen Broadway und 28. Straße, U-Bahn-Station nur einen Block entfernt. Starbucks sowieso. Ich achte auf so etwas. Bin manchmal zu geizig für teures Frühstück extra und es gibt Tageszeiten in New York, da nimmt man besser die Bahn oder läuft, als mit dem Auto vor sich „hinzustauen“. The NoMad. Klasse Name, schön doppeldeutig. Für Berufs-Nomaden wie mich – und „mad“ wird man auch nicht, weil man sich nicht verschaukelt fühlt. Eher ungeahnt geborgen. Das Zimmer, wieder huch, könnte einem Filmskript entnommen sein. Irgendetwas mit Napoleon und Josephine in der Neuzeit, oder eine historische Reiseromanze. Fehlen nur noch Louis-Vuitton-Koffer. Große Fenster, dunkler Holzboden, ein in der Zimmer-Proportion riesiges Bett auf einem Berberteppich, gute Matratze, verschossene Fotos an der Wand, ein kleiner Reise-Schreibtisch, hinter einem dick gesteppten Paravent verstecken sich WC und die Dusche. Sonst kann ich es nicht leiden, wenn die Wanne im Zimmer steht, in diesem Ambiente muss sie es. Nirgends Kitsch, nur Atmosphäre. Eine Bar wie im „Costes“ in Paris. „Besuchen Sie unser Restaurant“, hatte der Concierge gesagt. Ein Blick hinein, drei Sterne von der „New York Times“, Mick Jagger riesengroß als Foto an der Wand: Ich wusste gleich, ich verpasse etwas. Wenigstens bleibt Zeit, in der Bibliothek den Laptop aufzuklappen. Ich bestelle das kleine Gericht mit Pasta und Gemüse gleich noch einmal, verdammt frisch und köstlich. Das Taxi muss warten. Der Flughafen ist ja nicht weit. Inga Griese liebt Hotels mit freiem WLAN THE ORIGINAL IN WINTER TOURISM SINCE 1864 www.engadin.stmoritz.ch www.stmoritz.ch BAUPLAN 1 2 3 7 5 6 8 9 DIE „CASHMERE FUR“-JACKE VON BRUNELLO CUCINELLI In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden weiterhin Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu Am Pelz scheiden sich die Geister: Tragen, verbannen, faux oder lieber ganz umsteigen? Auf Kaschmir zum Beispiel. Mit kuscheligen Pullovern aus dem Bauch- und Schlundfell der Kaschmirziege begann auch Brunello Cucinelli 1978 seinen Erfolgszug. Seine knallbunten Modelle waren damals ein Novum. Knapp 40 Jahre später geht das Modehaus aus Solomeo nun den nächsten Schritt und verwandelt Wolle in Pelz. „Cashmere Fur“ nennt sich das fluffige Ergebnis. 85 Arbeitsstunden stecken in einer Jacke. Wir haben uns den Zauber in neun Schritten mal genauer angeschaut. 1. Für die Jacke braucht es ein spezielles Kaschmirgarn, das mit einem kleinen Anteil technischer Fasern zu kleinen Schlaufen versponnen wird. 2. Eine Strickmaschine fertigt aus dem Garn ein Gewebe. 3. Eine Unzahl von Nadeln strickt flink parallel, wofür Hände ewig brauchen würden. 4. Das fertige Stück Gewebe kommt aus der Maschine. 5. und 6. Die einzelnen Gewebestücke werden auf einer speziellen Halterung an Zacken fixiert und per Hand zusammengenäht. 7. Erst jetzt ist die grobe Form der Jacke fertig. 8. Um eventuelle Schmutzreste loszuwerden, wird die Jacke anschließend gewaschen. 9. Nun muss nur noch der Reisverschluss eingenäht werden. Dann kann gekuschelt werden. Übrigens: Pro Jahr werden nur 350 Stück produziert. 114 BRUNELLO CUCCINELLI 4