das weisse album
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EIN KUNSTMAGAZIN Nr. 13 ROBERT RYMAN Lindbergh / Giacometti M ARY REID KELLEY GEDRECHSELTES ELFENBEIN SEPTEMBER 2016 Nr. 13 / September 2016 DAS WEISSE ALBUM Die Kunst der Perfektion. Loewe bild 7. Fernsehen war gestern. Bildkunst ist heute. Mit Farben, brillanter als im echten Leben. Mit Kontrasten, schärfer als je zuvor. Auf einem Bildschirm, dünner als ein Smartphone – dank OLED-Technologie. Wie gemacht für Trendsetter des guten Geschmacks. Gönnen Sie sich ein echtes Meisterwerk. Den Loewe bild 7. Erfahren Sie mehr im Loewe Fachhandel oder auf www.loewe.tv. AUFTAKT „BLAU wurde Stück für Stück weiß. Und dann, ganz zum Schluss, kam der Text, der am wenigsten mit Kunst zu tun hatte, dafür am meisten mit unserem Leben“ Eben noch hatte er mir in schwärzesten Tönen den unaufhörlichen Niedergang seines Berufsstandes, nun ja, sagen wir ruhig: ausgemalt. Und nun saß er, nur Momente später, völlig versöhnt vor mir und strahlte wie das schönste Weiß auf den Bildern seines Kollegen Robert Ryman: Gerhard Richter sprach von der unglaublichen Sicherheit, mit der Ryman seinen Weg gegangen sei, einer Sicherheit, die ihm, Richter, immer gefehlt habe. Er sprach von Rymans fast mönchischer Inbrunst, mit der er seine Arbeit machte, und wie Richter so erzählte, wurde mir klar, dass man sich die Geschichte des Robert Ryman, eines Malers, der sein Leben lang ausschließlich weiße, quadratische Bilder gemalt und trotz dieser Selbstbeschränkung ein ganzes Universum geschaffen hatte, dass man sich diese Geschichte noch einmal in aller Ausführlichkeit erzählen lassen müsse. Allein: Die richtige Publikation fehlte. Noch. Ein Jahr später, es waren bereits die ersten Ausgaben von BLAU erschienen, erzählte uns Christoph Becker, der Direktor am Kunsthaus Zürich, vom „Weißen Giacometti“, den ebenso raren wie fragilen Gipsarbeiten, die im Depot des Museums lagerten. Ob sie nicht, fragten wir ihn, nur zum Beispiel, Peter Lindbergh für uns fotografieren dürfe? Becker war einverstanden, Lindbergh ebenso – und dann fiel uns Ryman wieder ein. Plötzlich hatten wir nicht eine Geschichte, nicht zwei, wir hatten ein ganzes Heft vor Augen. War nicht gerade der Kampf ums Weiße Haus entbrannt? Hatte nicht der junge österreichische Rapper Yung Hurn mit Bianco den Hit der Stunde? Und ähnelte unsere Arbeit nicht zunehmend dem FischliWeiss-Video Der Lauf der Dinge? Gesine Borcherdt sprach mit Brian O’Doherty, der mit Inside the White Cube vor genau 40 Jahren einen der einflussreichsten Essays der jüngeren Kunstgeschichte geschrieben hat. Margit J. Mayer schickte uns ihre Kulturgeschichte des weißen Raumes. 5 Hans-Joachim Müller wandelte auf den Spuren von elfenbeindrechselnden Fürsten. Und Swantje Karich hatte Durs Grünbein am Telefon, der zwar im Urlaub weilte, aber zufällig ein altes Notizbuch mit sich herumtrug, das ein Gedichtfragment namens Weiße Verben enthielt, welches es nun nur noch zu beenden galt. BLAU wurde Stück für Stück weiß. Und dann, ganz zum Schluss, kam der Text, der am wenigsten mit Kunst zu tun hatte, dafür am meisten mit unserem Leben. Als wir Erling Kagge, dem norwegischen Abenteurer und Sammler, der den größten Kunstbestseller des letzten Jahres geschrieben hatte, bei unserem einjährigen Jubiläum zu später Stunde von unserer weißen September-Ausgabe erzählten, versprach er uns, in einem persönlichen Essay auf seine Expedition zum Südpol zurückzublicken. Als ich dann kurz vor Redaktionsschluss las, wie er zu Beginn seines fünfzigtägigen Fußmarsches nur ein gleißendes Weiß wahrgenommen hatte, und wie er erst mit der Zeit hier ein leichtes bläuliches Schimmern, dort eine gelbliche Aderung zu erkennen begann, wie Kagge von der Abwesenheit jedes Lärms und der Wohltat der Stille sprach – da glaubte ich für einen Moment die Stimme Gerhard Richters zu hören. Richter, wie er an jenem Nachmittag vor zwei Jahren in seinem Atelier saß, über die Gemälde Robert Rymans sprach und strahlte. Und ich wusste, es war gut. CORNELIUS TITTEL 10 CONTRIBUTORS / IMPRESSUM 13ESSAY EIN KUNSTMAGAZIN ROBERT RYMAN Counsel, 1982, Öl und Lack auf Leinwand, 244 × 244 cm Nr. 13 / September 2016 Limitiertes Cover ALBERTO GIACOMETTI Ausschnitt aus Werken, fotografiert im Kunsthaus Zürich von Peter Lindbergh Erling Kagge 16 NEUES, ALTES, BLAUES 18 DICHTER DRAN Durs Grünbein 20INTERVIEW „ Als ich jetzt wieder in New York war, waren es auch seine Bilder, die mich mit dieser bekloppten Stadt versöhnt haben. Sie erinnerten mich daran, was ich mir selbst für eine Kunstwelt erträumt und erhofft hatte“ — GERHARD RICHTER ÜBER ROBERT RYMAN Brian O’Doherty 24BEWEGTBILD Axel Hütte 24 DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT Der Lancia Stratos 26BLITZSCHLAG Gerhard Lenz 30 UM DIE ECKE Belgrad INTO THE GREAT WHITE OPEN MIT NUR EINER FARBE EIN UNIVERSUM SCHAFFEN: SIEBEN WEGGEFÄHRTEN VERNEIGEN SICH VOR ROBERT RYMAN s. 46 DER WEISSE GIACOMETTI SO HABEN WIR IHN NOCH NIE GESEHEN: DIE RAREN GIPSE DES MEISTERS, FOTOGRAFIERT VON PETER LINDBERGH S. 36 WEGE ZU SICH FÜNFZIG TAGE UND KEIN EINZIGES WORT. ERLING KAGGE WAR IM EWIGEN EIS UND ERZÄHLT VON DER EWIGEN STILLE s. 13 INHALT 6 Von oben im Uhrzeigersinn: ROBERT RYMAN Counsel, 1982, Öl und Lack auf Leinwand, 244 × 244 cm. ALBERTO GIACOMETTI: Composition cubiste, um 1926, Kopf Bruno, 1919, und Grand buste de Diego d’après nature, um 1951 (Details), Gips; fotografiert im Kunsthaus Zürich von Peter Lindbergh. ROBERT RYMAN in seinem Atelier in New York, 1999. ALBERTO GIACOMETTI, Femme, 1929, und Grand buste de Diego d’après nature, um 1951, Gips; fotografiert im Kunsthaus Zürich von Peter Lindbergh. ERLING K AGGE auf Südpolexpedition APÉRO ENCORE 74 GRAND PRIX Die Kunstmarkt-Kolumne 76WERTSACHEN EIN KUNSTMAGAZIN Nr. 13 / September 2016 Was uns gefällt 78 BLAU KALENDER Unsere Termine im September 81BILDNACHWEISE 82 DER AUGENBLICK Zoe Leonard — MARGIT J. MAYER DIE GÖTTIN DES GEMETZELS EINE EXKURSION IN MARY REID KELLEYS VIKTORIANISCHE HIGH-TECH-HÖLLE s. 58 WUNDER FÜR DIE KAMMER WIE DIE FÜRSTEN DAS KUNSTHANDWERK ERLERNTEN UND AUS ELFENBEIN SPEKTAKULÄRST NUTZLOSES SCHUFEN s. 71 MEHR LICHT ZWISCHEN DEKADENZ UND UNSCHULD: EINE KLEINE KULTURGESCHICHTE VON LOOS BIS MARGIELA VON MARGIT J. MAYER s. 64 INHALT 8 Von oben im Uhrzeigersinn: MARY REID KELLEY, fotografiert von Sarah Brück. Rekonstruktion des Wohnzimmers von CHARLES RENNIE MACK INTOSH, 1906. Höfischer Deckelhumpen mit Porträts von Leopold I. und der kaiserlichen Familie von DANIEL VADING, Berlin, 1670, Höhe 16 cm „Weiß ist die komplexeste Farbe – streng physikalisch ausgedrückt: Farbmischung – und in unseren Köpfen die widersprüchlichste. Wir verbinden damit Naivität, Leichtigkeit, Optimismus, Luxus, Sport und Kraft, aber auch Reife, Konzentration, Kontrolle, Dekadenz, Erschöpfung und Kapitulation“ LUMINOR SUBMERSIBLE 1 950 3 D AYS C H R O N O F LY B A C K A U TO M AT I C T I TA N I O - 4 7 M M ( R E F. 6 1 5 ) PA N E R A I B O U T I Q U E MÜNCHEN - MAXIMILIANSTRASSE 31 PA N E R A I . C O M • +49 (0)89 20 30 30 95 My Abstract World CONTRIBUTORS Peter LINDBERGH Zwei Ausflüge von Paris nach Zürich brauchte er für sein Debüt bei BLAU. Einen, um die Gipsskulpturen von Giacometti im Depot des Kunsthauses zu sichten. Einen, um sie zu fotografieren. Dann Lindberghs beglückter Anruf, alles sei gut gegangen, mehr noch, er habe bei der Arbeit den ganzen Tag Gänsehaut gehabt. Die Gipsarbeiten ganz für sich zu wissen, sie nach Belieben gruppieren und sogar anfassen zu dürfen, das sei ein Auftrag, den er nicht vergessen werde. Was passiert, wenn der Mann, der mit seinen Vogue-Covern einst den SupermodelTrend begründete und längst die Museen erobert hat, auf den größten Bildhauer des 20. Jahrhunderts trifft? (Seite 36) IMPRESSUM Redaktion CHEFREDAKTEUR Cornelius Tittel (V. i. S. d. P.) MANAGING EDITOR Helen Speitler STELLV. CHEFREDAKTEURIN Swantje Karich ART DIRECTION Mike Meiré Meiré und Meiré: Philipp Blombach, Marie Wocher TEXTCHEF Hans-Joachim Müller BILDREDAKTION Isolde Berger (Ltg.), David Dörrast REDAKTION Gesine Borcherdt, Dr. Christiane Hoffmans (NRW) SCHLUSSREDAKTION Claudia Kühne, Max G. Okupski REDAKTIONSASSISTENZ Manuel Wischnewski Autoren dieser Ausgabe In Kooperation mit / In collaboration with Margit J. MAYER Wer sonst hätte für uns eine Kulturgeschichte des all-white room schreiben sollen? Als Chefredakteurin machte sie die deutsche Architectural Digest zum weltweit führenden Architektur- und Designmagazin. Wenn sie ihre messerscharfen Urteile fällte und neue Stilikonen ausrief, hörte (und schaute) man auch in London oder New York genau hin. Nach Stationen beim Taschen Verlag und Harper’s Bazaar lebt Mayer heute als Autorin in Berlin – und leitet von dort aus das Bogner-Magazin. Für die Lancierung des neuen Fachbegriffs „Kokain-Moderne“ in dieser Ausgabe bedanken wir uns schon jetzt. (Seite 64) Durs GRÜNBEIN 14. 09. 2016 — 02. 04. 2017 Auguststraße 68 10117 Berlin Di-So, 12-18 Uhr me-berlin.com Bernard Frize, Puxo (Detail), 2011 © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Der Dichter erinnert sich genau an seine Begegnung mit Malewitschs Weißem Quadrat, damals in New York. Es schien ihm ein wenig zu schwanken, als hätte es ein Gläschen Wodka zu viel gekippt. „Und ich war überrascht, die kleinen Pinselstriche zu sehen, aus denen das ‚Weiß‘ bestand.“ Die Wirkung habe er sich als eine Art Blendung vorgestellt, als Offenbarung des Absoluten. „Aber so geht es schließlich mit aller Kunst – sie vermenschlicht sich, je länger sie altert.“ Damals sei die Idee zu dem Gedicht Weiße Verben entstanden. „Ein paar Zeilen, in einem Notizbuch vergessen, nun fielen sie mir wieder ein, und ich brachte die Zeilen zu Ende.“ (Seite 18) Max Dax, Durs Grünbein, Erling Kagge, Oliver Koerner von Gustorf, Ana Konjovic, Margit J. Mayer, Paul Nizon, Ulf Poschardt, Ulf Erdmann Ziegler Fotografen dieser Ausgabe Yves Borgwardt, Sarah Brück, Martin Fengel, Albrecht Fuchs, Peter Lindbergh, Katarina Šoški Sitz der Redaktion BLAU Kurfürstendamm 213, 10719 Berlin +49 30 3088188–400 redaktion@blau–magazin.de BLAU erscheint in der Axel Springer Mediahouse Berlin GmbH, Mehringdamm 33, 10961 Berlin +49 30 3088188–222 Nr. 13, September 2016 Verkaufspreis: 6,00 Euro inkl. 7 % MwSt. Abonnement und Heftbestellung Jahresabonnement: 48,00 Euro Abonnenten-Service BLAU Postfach 10 03 31 20002 Hamburg +49 40 46860 5237 [email protected] Verlag GESCHÄFTSFÜHRER Jan Bayer, Petra Kalb Sales ANZEIGENLEITUNG Eva Dahlke (V. i. S. d. P. ), [email protected] ANZEIGENLEITUNG KUNSTMARKT Julie Willard julie.willard@blau–magazin.de HERSTELLUNG Olaf Hopf DIGITALE VORSTUFE Image- und AdMediapool DRUCK Firmengruppe APPL, appl druck GmbH Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 01.01.2016. Copyright 2016, Axel Springer Mediahouse GmbH Inspiriert von KPM Laborporzellanen www.kpm-berlin.com PARIS MARAIS PARIS PANTIN SALzbURG JAMES ROSENQUIST, Isotope (DETAIL), 1979, OIL ON cANvAS, 127 × 320 cM © 2016 JAMES ROSENQUIST / LIcENSED by vAGA, NEw yORk. JAMES ROSENQUIST FOUR DEcADES 1970 – 2010 PARIS PANTIN SEPTEMbER – DEzEMbER 2016 ROPAc.NET ESSAY WEITES WEISSES NICHTS Erling Kagge 1993 allein auf dem Weg zum Südpol Mit A Poor Collector’s Guide to Buying Great Art schrieb Erling Kagge eines der erfolgreichsten Kunstbücher der letzten Jahre. Hier erinnert sich der Sammler und Abenteurer an seinen Fußmarsch zum Südpol. Und an die Stille, die sein Leben geprägt hat A ls Kind war ich fasziniert von Schne cken, wie sie ihr Haus mit sich herumtragen. Vielleicht war es diese Faszination, die mich später ganz allein zum Südpol laufen ließ, mit meinem Hab und Gut auf einem Schlitten verstaut. Es waren 50 Tage, in denen ich ganz allein mit mir war, ohne jeden Kontakt, ohne auch nur einmal ein Wort zu sagen. Immer wenn der Wind nachließ, nahm ich mir eine Pause. Und ich war von einer Stille umgeben, die mir plötzlich so unglaublich laut erschien. Eine Stille, die alles andere als langweilig war. Ich habe die Ozeane überquert, die dunklen Tunnel unterhalb New Yorks erkun det. Ich bin zu Fuß zu den Polen dieser Welt gewandert und hinauf zum Gipfel des Mount Everest geklettert. Und irgend wann ist mir klar geworden, dass die Natur auch durch ihre Stille zu uns sprechen kann. Zu Hause ist immer ein Auto in der Nähe. Irgendwo klingelt ein Telefon oder Menschen sprechen miteinander. Es sind so viele Klänge um uns herum, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Allein auf dem Eis, mitten in diesem weiten weißen Nichts, hörte ich nicht nur die Stille, ich konnte sie am ganzen Leib spüren. In der Antarktis ist alles endlos weiß und flach, über Tausende von Kilometern hinweg. Weiß, immer nur weiß, bis hin zum Horizont. Als hätte die Stille ein Abbild von sich selbst geschaffen. Aber wenn man hier allein ist für eine Weile, dann fällt einem auf, dass die Landschaft gar nicht so flach ist. Eis und Schnee schieben sich zu kleinen faszinierenden Formationen ineinan der. Und auch das Weiß ist nicht mehr nur Weiß. Dort schillert es leicht bläulich, und an anderer Stelle wieder scheint es gelblich durchzogen oder rosa getüncht. Ich werde oft gefragt, was das Schwierigste daran ist, allein zum Südpol zu laufen. Mir war die Antwort immer schon klar: anzukommen. Das Entdecken ist ein viel größeres Erlebnis als die Entdeckung selbst, das Ziel am Ende einer Reise. Immer wenn ich allein war und mich langsam durch die Stille bewegte, fühlte ich mich wirklich am Leben. Die Zukunft schien mir dann unwichtig. Auch das Vergangene kümmerte mich nicht. Ich war plötzlich fest im Hier und Jetzt angekommen. APÉRO 13 Die Natur hatte sich nicht gewandelt – nur ich, der ich mit strahlend wachen Sinnen in die Landschaft blickte, befreit vom Lärm. Die Stille schlich sich bei mir ein, machte sich in mir breit. Ohne es zu wollen, war ich gezwungen, Gedanken bis an ihr Ende zu verfolgen. Man kann seinen Gedan ken nicht ausweichen, sich nicht zurück ziehen in Halbwahrheiten und kleine Lügen. Es gibt keinen Ort in der Antarktis, an dem man sich verstecken könnte. Am Anfang ist die Bahn der Sonne geneigt. Ihr Bogen ist höher im südlichen Himmel und niedriger im Norden. Diese Neigung lässt immer weiter nach, je näher man dem Süden kommt. Irgendwann läuft man in der Mitternachtssonne, und für 24 lange Stunden wandert die Sonne in der gleichen Höhe über den Himmel. Die Antarktis hat mehr Sonnenstunden als Südkalifornien und weniger Niederschlag als die Westsahara. Eine Wüste aus Wasser. Am 14. Tag notierte ich: „Ich kann hier die Stille hören und in ihr baden. Es fühlt sich gut an, allein in der Welt zu sein.“ Sieben Tage später schrieb ich in mein Notizbuch: „Am Anfang schien mir hier alles weiß zu sein, und in dieser Einför migkeit lag eine ganz bestimmte Schön heit.“ Aber dann schärften sich meine Sinne für diesen Ort und seine Nuancen. Ich habe gelernt, mit meiner Umgebung zu reden. Ich vertraue der Natur Gedanken an. Und erhalte etwas zurück. Ich las Bücher, die so eng bedruckt waren, wie es nur geht. Und nahm die Seiten als Toilettenpapier, um Gewicht zu sparen. Ich begann an kleinen Dingen Freude zu finden. In meinem Tagebuch findet sich am 22. Tag der Eintrag: „Zu Hause kann ich nur die schein bar großen Dinge genießen. Aber hier zu sein lehrt mich, dass auch kleine Momente bereichernd sein können: Eine Farbnu ance im Schnee. Der Moment, in dem das Wüten des Windes nachlässt. Ein warmes Getränk. Die Wolken in ihren endlos neuen Formationen am Himmel. Und schließlich auch die Stille.“ Meine Reise in der Antarktis war mehr noch als eine Reise zum Pol eine Reise zu mir selbst. Viele Menschen werden neidisch sein, aber wenige wären gern an meiner Stelle. – Dieser Gedanke ging mir an einem der letzten Tage durch den Kopf. Nach 50 Tagen ohne jeden Kontakt erreichte ich mein Ziel. Am 49. Tag schrieb ich: „Es ist kurz nach Mitternacht. 25 Kilometer vom Südpol entfernt. Es ist so wunderschön, dass es mir die Sprache verschlägt. Ich war auf Partys mit Hunderten Leuten in großen Städten schon einsamer als hier.“ Während dieser 50 Tage verspürte ich nie das Bedürfnis, jemals auch nur ein einziges Wort zu sagen. Sogar als ich später gemeinsam mit dem Entdecker Steve Duncan New York City durch seine Tunnel, Abwasserkanäle und Zugschächte durch querte – um die Stadt in ihren Eingeweiden zu erkunden –, sagte ich nur wenig. Im Angesicht wahrer Größe wird man still. Und wenn man wahre Größe verstehen will, sollte man damit anfangen, still zu sein. Ich lerne von jeher nicht schnell. Meine Rechtschreibschwäche war früher so schlimm, dass ich nicht mal Dyslexie buch stabieren konnte, bevor ich 20 wurde. Aber dort auf dem Eis der Antarktis, während dieser endlosen 50 Tage, entdeckte ich Nuan cen meiner Persönlichkeit, die mir verborgen waren. Aufmerksam zuzuhören oder einfach nur zu hören, gibt uns die Möglich keit, die Dinge um uns herum zu erkun den. Ich verstand augenblicklich, warum ich von der Schnecke so fasziniert gewesen war: Auch wir tragen alles, was uns wirklich ausmacht, mit uns herum – in uns. in Freund von mir schloss sich einmal in einem Zimmer in Paris ein, das so gebaut war, dass es keinen Klang durchließ. Ich habe genug Zeit in meinem Leben fernab jeder Zivilisation verbracht, um zu wissen, dass es so etwas wie absolute Stille nicht gibt. Stille und Klang sind nicht einfach Gegensätze. Man könnte vielleicht sagen, dass sogar in der Musik – deren Essenz der Klang zu sein scheint – die Stille regiert. In seinem berühmten Vortrag Lecture on Nothing zitiert der Komponist John Cage einen großen Kollegen seiner Zunft, Debussy: „Ich nehme mir alle verfügbaren Töne, lasse dann die weg, die ich nicht möchte, und nutze dann nur jene, die ich wirklich will.“ Cage als Komponist von Weltrang war mutig genug, um gleich alle Töne fallen zu lassen, und schuf mit 4’33” ein Stück kraftvoller Stille. Wenn uns die Stille umgibt, dann wandern unsere Gedanken in die Weite. E Bekanntlich war Beethoven an seinem Lebensende vollkommen taub. Seine berühmte 9. Sinfonie entstand nicht in seinen Ohren, sondern nur in seinem Kopf. Als er die Sinfonie zum ersten Mal aufführte, dirigierte er mit dem Rücken zum Publikum und musste sich erst umdrehen, um die Reaktion des Publikums wahrzunehmen: den tosenden Applaus. Kein höfliches Klat schen, nein, ein Jubel, so überwältigend und ekstatisch, dass erst die Polizei die Ordnung wiederherstellen konnte. An Beethoven ist nicht die Musik das schönste Erlebnis. Es Die Stille schlich sich langsam bei mir ein. Ohne es zu wollen, war ich gezwungen, Gedanken bis an ihr Ende zu verfolgen sind die Pausen dazwischen. Die Stille inmit ten des überwältigenden Klangs. Längst hat die Wissenschaft herausgefunden, dass es diese Stille ist, die so viel in uns anrührt. Beethovens viele kleinen Momente der Stille sind es, die an uns rütteln und unser Bewusstsein befeuern mit Tausenden kleiner neuronaler Blitzschläge. Als der ebenfalls taube Erfinder Thomas Edison den ersten Plattenspieler testete, musste er mit seinen Zähnen in den hölzernen Rahmen des Gerätes beißen, um die Schwingungen des Klangs zu spüren. „Ich beiße fest zu. So wird es gut und stark.“ Es wäre leicht, sich Stille als etwas Physisches zu denken. Aber Stille ist nicht mehr als eine Idee. Während sich Klang in Dezibel messen lässt, versa gen unsere Instrumente bei Stille. Stille kann langweilig sein, unangenehm, peinlich, sogar angsteinflößend. Stille kann vor Leben sprühen. Der überwältigendste Schrei, den ich je erlebt habe, ist kein Klang. Ich spreche von Edvard Munchs berühmtem Meisterwerk. Mein liebstes Haiku stammt von dem japanischen Dichter Bashō: „Ein alter Tümpel / Ein Frosch springt hinein / Der Klang von Wasser.“ Und in meinen Gedanken war es nie stiller, als wenn ich meine schlafenden Kinder in den Armen APÉRO 14 hielt – in diesen Momenten hielt ich die gesamte Schöpfung; in einer solchen Stille kann man das Leben spüren. Stille ist nichts. Und gleichzeitig etwas ganz Eigenes, ein Luxusgut. Einige der reichsten Leute der Welt gehören zu meinen Freunden. Nur wenige von ihnen leben ein einfaches Leben. Die anderen schwelgen im Luxus, der ihnen ihr Geld ermöglicht. Eines wissen sie nur zu gut: Luxus bringt nur flüchtige Freuden, kurze Momente des Glücks. Dein Ferrari wird dich immer nur so lange zufriedenstellen, bis einer deiner Freunde einen schöneren erstanden hat. Wenn man in die Augen der großen Luxusdesigner blickt – Tom Ford oder Marc Jacobs –, dann sehe ich dort vor allem ein Verlangen nach Frieden. Ich glaube, sie wissen nur zu gut, dass Stille das absolut unterschätzteste Luxusgut unserer Zeit ist. Ihre Geschäftsmodelle versprechen ein immer größeres Mehr. Die Stille aber verlangt nur nach immer weniger. Es geht vielleicht darum, das Eigentliche hinter dem zu sehen, was wir tun. Egal, ob wir nun gerade kochen, reden, arbeiten, tanzen oder miteinander schlafen. Ich weiß, dass wirkliche Nähe nur in der Stille zu finden ist. Ohne das Schweigen wird man sich nie wirklich verstehen. Für mich ist das Reden oft nur eine Ausflucht vor der Wahrheit. Ein Herausreden. Ein Drumhe rumreden. Reden oder Musikhören können uns miteinander verbinden – aber auch alle Türen zuschlagen. Der Sufimystiker Rumi hat es am besten gesagt: „Ich werde jetzt still sein und überlasse es der Stille, die Wahr heit von der Lüge zu scheiden.“ Für mich ist die Stille auch ein prakti scher Schlüssel zum Selbst, der helfen kann, etwas Neues über die Dinge zu erfahren, die uns umgeben. Stille kann uns eine neue Sicht auf die Welt öffnen. Aber niemand – weder John Cage noch ein Zen-Meister oder ein Vater von drei Kindern, wie ich es bin – kann den einen Weg zur Stille weisen. Es gibt ihn nicht. Wir müssen alle unseren eigenen Weg zum Südpol finden. ERLING KAGGE ERREICHTE DEN NORDPOL UND ALS ERSTER UNBEGLEITET DEN SÜDPOL. ER BESTIEG DEN MOUNT EVEREST UND WAR DAMIT DER ERSTE MENSCH AN ALLEN DREI EXTREMPUNKTEN. KAGGE LEBT ALS VERLEGER, SCHRIFTSTELLER UND SAMMLER IN OSLO APÉRO NEUES, ALTES, BLAUES WAS WÄRE, WENN … Donald Trump als Präsident über die Kunst im Weißen Haus bestimmt? Wir haben seinen Biografen MICHAEL D’ANTONIO gefragt Hat Donald Trump Sinn für Kunst? — Donald bezeichnet moderne Kunst gern als Farbspritzer oder Kinderkram. Er mag es eher üppig. Das Empfangszimmer seiner Wohnung im Trump Tower sieht aus wie eine amerikanische Idee von Versailles. Louis-XIV-Möbel ergießen sich im Raum, überall Marmor und Messing, eine Trompe-l’Œil-Malerei an der Decke vollendet das Spektakel. Obama kaufte fürs Oval Office NORMAN ROCKWELLS Freiheitsstatue von 1946 INSIDE THE WHITE HOUSE W enn Barack Obama das Weiße Haus räumt, tritt seine Nachfolge in große Fußstapfen. Als erstes Präsidentenpaar hängten er und seine Frau Michelle abstrakte Kunst an die Wände. Kompositionen von Josef Albers oder der Afroamerikanerin Alma Thomas ersetzen staubige Politikerporträts, die den Großteil der White-House-Sammlung ausmachen. Nun gehören auch Rothkos Red Band und Sam Francis’ White Line dazu. Nur das Oval Office ist mit Martin Luther King und Freiheitsstatue figurativ geblieben. George W. Bush hatte dort W. H. D. Koerners wild galoppierenden Cowboy aufgehängt und seine eigenen Memoiren nach dem Titel A Charge to Keep benannt. Dass der Reiter ein Pferdedieb war, erfuhr er erst später. Hillary Clinton kaufte als First Lady eine Landschaft von Georgia O’Keeffe. Sie hängt in der Bibliothek. Und vielleicht bald im Oval Office! GB U R NE HIE Hat er jemals erwähnt, welche Künstler er mag? — Nein. Er hat wertvolle Art-déco-Friese in einem Gebäude zerstört, das er beim Bau des Trump Towers abreißen ließ. Er hatte versprochen, sie zu bewahren, aber die Baufirma scherte sich nicht darum. Als das herauskam, gab Trump sich als Pressesprecher der Firma aus und erklärte, sie seien ohnehin wertlos. Ein anderes Mal begleitete er einen Kunstkritiker ins MoMA, wo er eine Skulptur für einen Tisch hielt und seinen Mantel darauf ablegte. Ansonsten lag sein Augenmerk wohl vor allem auf Frauenkörpern. Das passt. Trumps ästhetisches Empfinden geht in Richtung Playboy-Magazin. Welche Kunst würde er im Weißen Haus aufhängen? — Wenn überhaupt, dann die Präsidentenporträts. Damit er sich sein eigenes hinzudenken kann. Der Maler macht nie Ferien, aber in die Sommerfrische geht er doch. Max Beckmann, Jütland, 1905. Leicht, ein bisschen genialisch malt der 21-Jährige draußen am Meer die Große Buhne. Was ihn an der bulligen Holzkonstruktion interessiert, ist nicht ersichtlich. Wohl war es für den gelegentlichen Pleinair-Maler ein Anlass, ein wenig in der impressionistischen Handschrift zu brillieren, von der er sich bald kämpferisch distanzieren wird. Ein unangestrengter früher Beckmann, eine langjährige Leihgabe im Museum für bildende Künste in Leipzig, die jetzt erworben worden ist und dort auf das Bildnis eines Teppichhändlers (1946) trifft. GB MAX BECKMANN Große Buhne, 1905 APÉRO 16 Studio Albrecht Fuchs im Kölnischen Kunstverein TÜR AUF! D as Atelier ist ein sehr privater Raum, in den man normalerweise nicht einfach so hineinspazieren kann. Der Kölnische Kunstverein bricht jetzt mit dieser Regel – zumindest für das rheinische Kunstwochenende DC Open (2. bis 4.9.), mit dem in Köln und Düsseldorf immer die Saison beginnt. Die Stipendiaten des Vereins – darunter Albrecht Fuchs, Alwin Lay, Henning Fehr und Philipp Rühr – haben ihre Ateliers in dem Ausstellungshaus. Nun öffnen sie erstmals ihre Türen für Besucher. GB Luftraum Manchmal muss man nach Braunschweig fahren. Sich ein Fahrrad leihen und abends die Oker umradeln. Wie ein Ring durchs Grün umschließt sie die Altstadt. Auf dem Wasser und am Ufer leuchten gerade 15 Kunstwerke. Sie sind für den Lichtparcours entstanden, der alle paar Jahre stattfindet: Andreas Fischer hat auf eine Hütte die Wörter Own und Air geschrieben: Wem gehört die Luft? Innen stöhnt eine Lampe. Tomás Saraceno sucht den Kontakt zu Aliens mit schwimmenden Satelliten. Und Kevin Schmidt lässt eine Parkvilla mit Sound und Licht pulsieren: But No One’s Home. GB ANDRE AS L ichtinst FISCHER O wn -Au s, 20 a llation a m Petr 16, in Braun itorwa ll schweig 02.09.-05.11.2016 Königsallee 22 40212 Düsseldorf 0049 - 211 - 326566 Di – Fr 10 – 18 Uhr Sa 11 – 14 Uhr www.ludorff.com Christian Awe, ocean breeze, 2016, Acryl, Sprühlack auf Leinwand, 110 x 145 cm (Detail) , © Christian Awe DICHTER DRAN WEISSE VERBEN Die weißen Verben sind alle unsichtbar. Sie kreisen um Tätigkeiten, die man nicht lernt. Sie heißen verschwinden, verlöschen, verenden Und führen in menschenleeres Gebiet. Durs GRÜNBEIN Unmerklich schleichen sie durch den Raum. Was für Energien werden frei, wenn die Sprachkunst auf die Bildkunst trifft? Für BLAU hören Lyriker auf den Klang der Kunst. Durs Grünbein, Jahrgang 1962, führt uns in menschenleeres Gebiet. Sie heißen zerfallen, verwehen. Sie streichen Mit Geisterhand aus, was je existierte. Sie hüllen das Denken in Schneefall ein, Nebel, Und fangen als Kreidestrich auf der Schultafel an. Sie geben der Sprache den Zug ins Finale. Inspiriert von Kasimir Malewitsch Schneien ist eins dieser Verben, gefrieren. Altern ein anderes, verzagen, entschlafen. Sie können die Knoten der Weisheit durchschlagen. Es gibt sie als wandernde blinde Flecke. Es gibt sie am Rand aller Psychen. Die weißen Verben machen kaum von sich reden. Sie arbeiten gründlich, auf sie ist Verlaß. Es gibt sie wie es die Liebe gibt. Sie operieren verdeckt Und rücken still im Schutz der Hauptwörter vor. Sie zielen auf Horizonte, die nichts erreicht. K ASIMIR MALEWITSCH Weißes Quadrat auf weißem Grund, 1918, Öl auf Leinwand, 79 × 79 cm APÉRO 18 INTERVIEW HEILIGE SCHRIFT? KÜNSTLER UND KRITIKER: BRIAN O’DOHERTY Vor 40 Jahren erschien sein folgenreicher Band Inside the White Cube. Ein Gespräch mit Brian O’Doherty über Snobismus und Unverzichtbarkeit Psychologische Studien sagen, dass weiße Wände nicht gut für die Stimmung sind. Haben Sie sich jemals schlecht gefühlt in einer Galerie? — Nein. Für mich ist der White Cube eine weiße Leinwand. Ohne ihn könnte ich als Künstler nicht arbeiten. Nur Menschen mit schlechtem Gewissen fühlen sich in weißen Räumen schlecht. Vierzig Jahre ist es nun her, dass Ihr Essay Inside the White Cube veröffentlicht wurde. Sie haben damals eine Debatte ausgelöst, die bis heute wirkt. Kam die Aufregung unerwartet? — Ja, denn der Text deutet eigentlich auf ein offensichtliches Phänomen. Als Künstler, der mit seinen Installationen jeden Winkel eines Raums ins Visier nimmt, fragte ich mich: Was ist das für ein Raum? Er ist künstlich, fordert Rituale und Inhalte – und trotzdem ist er neutral. Die Wände sind weiß, die Fenster verhängt. Wo alles entfernt ist, entsteht der idealisierte, elitäre Raum. Die Konzeptkunst wandte sich gegen den White Cube als neutralen Raum, weil er eben nicht neutral war, sondern seine eigene ideologische und kommerzielle Agenda hatte. Heute scheinen Künstler all das akzeptiert zu haben und für ihre Zwecke zu nutzen. — Ja, der White Cube war nie unschuldig. Er wurde aus dem Kommerz geboren. Das ist seine Erbsünde. Seine Erlösung ist das Kunstwerk. Die Macht des White Cube ermöglichte es uns, Dinge zu gestalWie erinnern Sie die Debatten um den White ten, die verkauft werden konnten. Ich muss Cube in den 70er-Jahren? meine Kunst verkaufen, um die Miete zu — Es gab ja keine! Deshalb hatte der Essay bezahlen. Der White Cube hilft mir dabei. wohl diese unglaubliche Wirkung. Die Leute waren ja schon damals vergesslich. Ich Ein weiteres Paradox ist, dass der White war nämlich nicht der erste Künstler, Cube einerseits Kunsttourismus der das Thema ansprach. Marcel Duchamp anzieht, andererseits vermittelt er etwas sehr zum Beispiel, dann Allen Kaprow und Elitäres, zu dem nur eine bestimmte Daniel Buren. Von ihnen kamen ja schon intellektuelle oder wohlhabende Gruppe überzeugende Kommentare. Duchamp Zugang hat. war ein Freund von mir und las mir den — Der White Cube ist ein Snob. Er verlangt Originaltext eines großartigen Vortrags von nach exaltierten Manieren, wie in einem ihm zum Thema extra noch einmal vor, Gerichtssaal oder einem Operationssaal, damit ich ihn aufzeichnen konnte. Er war alles privilegierte Orte. Menschen fühlen ein reizender Mensch. und verhalten sich dort anders. Das impliziert eine soziale Diskriminierung. Im Nachwort klingen Sie desillusioniert: Stellen Sie sich die Galerie oder das Was Sie „gefährliche Kunst“ nennen, Museum als exklusive Klinik vor: Wenn also Institutionskritik wie Konzeptkunst oder arme Leute krank werden, machen Land Art, verschwinde Ende der 70er sie eine andere Erfahrung als reiche. zugunsten einer affirmativen Postmoderne. Hat der White Cube diese Entwicklung Ihr Essay brachte auch zum ersten Mal eine beeinflusst? Vielleicht sogar maßgeblich lockere, lustige Sprache in die Kunstkritik bestimmt? ein, ohne jemals flach zu werden. Das war — Auf jeden Fall. Ich dachte, der White damals etwas ganz Neues. Wozu war Cube würde nach dieser Debatte seine dieser Ton wichtig? Kraft verlieren, sobald die Leute sich seiner — Ganz einfach: Mein Buch sollte keinesbewusst würden. Sehr viel Kunst bezog falls im „Art Talk“ geschrieben sein, sich damals ja kritisch auf den Galerieraum, also in einem akademischem Esperanto. beschäftigte sich mit dem Kontext von Einfache Gedanken in unzugängliche Museen. Künstler verließen Galerien und Prosa zu hüllen – da unterscheidet sich die Ateliers. Kuratoren entdeckten neue Orte Kunstwelt kaum von Medizinern und für die Kunst: den Außenraum, NachbarJuristen. Sprich meine Sprache, und ich wohnungen, die Straße. Den White Cube gewähre dir Zutritt in meinen exklusiven aber ließ das alles unberührt, er entpuppte Club! Mir war es aber wichtig, mein Buch sich als außerordentlich zäh und langlebig. mit Würde und Witz zu verfassen. Die Heute ist er so mächtig wie eh und je. Das Leute sagten daraufhin zu mir: „Dies ist ist ein Paradox, das aber auch ich nicht eine heilige Schrift.“ Das ist natürlich lösen kann. Künstler brauchen eben einen Unsinn. Ich bin wirklich alles andere als ein weißen Raum zum Arbeiten. Ich selbst verhinderter Priester. habe den White Cube bloßgestellt, aber benutze ihn auch. INTERVIEW: GESINE BORCHERDT APÉRO 20 E l f i E s E m ota n 0 3. s E p t E m b E r – 2 2 . o k to b E r G a l E r i E G i s E l a C a p i ta i n , kö l n 21. Juli—30. Oktober 2016 COMMON AFFAIRS Revisiting the VIEWS Award — Contemporary Art from Poland 18. November 2016—5. März 2017 Bhupen Khakhar: You Can’t Please All In Kooperation mit Tate Modern 24. März—18. Juni 2017 Kemang Wa Lehulere Deutsche Bank »Künstler des Jahres« 2017 Deutsche Bank KunstHalle Unter den Linden 13/15, 10117 Berlin 10–20 Uhr, montags Eintritt frei Details zu Ausstellungen und Rahmenprogramm deutsche-bank-kunsthalle.de -KEINE22 Kraft der Farbe Raimund Girke. Ohne Titel. 1991. Öl auf Leinwand. 30 × 40 cm. © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Raimund Girke 2. bis 23. September 2016 in Düsseldorf, Bilker Straße 4–6 29. September bis 21. Oktober 2016 in München, Türkenstraße 104 In Kooperation mit der Galerie Fahnemann, Berlin grisebach.com -KEINE23 BEWEGTBILD DIE SCHNELLSTEN SKULPTUREN DER WELT SCHNEEKATZE AXEL HÜTTE über seinen Lieblingsfilm Das Schloss im Spinnwebwald Wie ein von Frank Gehry zurechtgeschütteltes Kit-Car: Der Lancia Stratos war für seine Größe absurd motorisiert – und unbesiegbar „Das Ausbleichen der Realität – darum geht es in diesem Film. Zentral ist die Szene im Spinnwebwald: Zwei Generäle irren durch das nebelverhangene Gehölz. Die Figuren Keil mit Rissen: Der LANCIA STRATOS wirken schemenhaft im weißen Umfeld. Das Entschwinuf den verschneiten eine Moderne, die alle Verspreden der Landschaft ist SinnStraßen der Rallye chen kindlicher Zukunftsträume bild der gesamten Handlung: Monte Carlo war er in einlösen wollte. Die Studie Sie steht für den Übergang seiner Camouflage oft nur erschien als glitzernder Pfeil, der zwischen Realität und Phan- in der Nacht zu sehen, bei den in die Augen und Herzen der tasma, das letztlich obsiegt. teuflischen Sonderprüfungen, Autoverliebten stach und von Im Wald taucht eine geister- wenn die Passstraßen der dem sich eigentlich keiner hafte Hexe auf, die eine Pro- Seealpen vom gleißenden Licht vorstellen konnte, dass jemand phezeiung zu den Machtver- der Rallyescheinwerfer erleuchden Mut aufbrachte, ihn zu hältnissen ausspricht. Die Ge- tet waren. Der Lancia Stratos bauen. Damals war Lancia noch neräle kämpfen, doch sie wird war ein zwergiger, flacher Keil mutig – und nicht eine Abspielreal. Es ist wie bei den Land- in Weiß, mit den wunderstation für ranzige amerikanische schaften Caspar David Fried- schönen Streifen der Alitalia Autokonzepte – und fand, richs: Das Geisterhafte ist grün garniert – und Mitte der es sei die Sache wert. wahrhaftiger als die Realität, 1970er-Jahre das Maß aller Einsteigen musste man der Betrachter sieht im Nebel Dinge im Rallyesport. Radikal, durch die Frontscheibe und saß mehr – seine Imagination er- halsbrecherisch schnell und praktisch mit den Knien über zeugt die wahre Realität. Mich brandgefährlich. Dreimal wurde der Vorderachse. Der Lanciafasziniert, wie Kurosawa all das Lancia damit RallyeweltmeisSportchef Cesare (!) Fiorio sah mit der Strenge des masken- ter, hintereinanderweg, in diesem absurden Traum haften Kabuki-Theaters mischt. 1974/75/76. Es war auf eine das ideale Rallyeauto. Die Studie Andere Regisseure setzen Art auch der Anfang vom wurde ineinandergeschoben Weiß als Ende dieser zauber- wie eine Ziehharmonika, erhielt Stilmittel haften, aufregenden Ecken, Kanten und Risse. Der ein. Hier und stets übereleRadstand wurde geschrumpft steht es für ganten Automarke. und der Mittelmotor (ursprüngMacbeth: Seine Premiere lich der der Fulvia) getauscht Ehrgeiz hatte der Stratos gegen das Triebwerk des Ferrari führt zur als futuristische Dino 246, der schon im Selbstver- Das Schloss im Spinnwebwald, 1957, Bertone-Studie, die Basiszustand 190 PS lieferte und nichtung.“ 1970 so aussah wie mit ein paar mechanischen ein Film von Akira Kurosawa A APÉRO 24 Aufputschmitteln problemlos auf 240, dann 260 und irgendwann sogar über 300 PS hochgezüchtet werden konnte. Das Auto war derart winzig, dass der Motor seitwärts eingebaut werden musste. Mit seinen Kanten und unbeholfenen Spoilern sieht der Stratos aus wie ein von Frank Gehry zurechtgeschütteltes Kit-Car. Die Form folgt der Funktion, und die war kompromisslos auf Rallyesiege getrimmt. Zur Homologation musste Lancia 400 Stück produzieren. Sie zu verkaufen war nicht so einfach. Das Auto war teuer wie ein Ferrari, hatte keinerlei GT-Charme und nur den zweitklassigen Badge von Lancia zu bieten. Am Schluss musste Lancia den Stratos günstig vom Hof schubsen. Heute ist er ein extrem gesuchter und teurer Klassiker. Im weißen AlitaliaRenntrimm-Original geradezu unbezahlbar. Das ist absolut leistungsgerecht. ULF POSCHARDT © 2016 ARTISTS RIGHTS SOCIETY (ARS), NEW YORK / VG BILD-KUNST, BONN Einladung zur Einlieferung POST-WAR AND CONTEMPORARY ART 1. & 2. November 2016 • Amsterdam Nach unseren erfolgreichen Auktionen nehmen wir ab sofort Einlieferungen für die November-Auktionen entgegen. Gerne können Sie mit uns einen Termin für eine unverbindliche und kostenlose Schätzung Ihrer Kunstwerke oder Sammlung vereinbaren. KONTAKT CHRISTIE’S AMSTERDAM Peter van der Graaf Cornelis Schuytstraat 57 [email protected] 1071 JG Amsterdam +31 (0) 20 575 59 57 HEINZ MACK (*1931) Schleier zu Sais, 1962 Öl und Kunstharz auf Leinwand 130 x 120 cm Schätzpreis: €200.000–300.000 Verkauft für: €481.500 Amsterdam, 20. April 2016 Preise inklusive Käuferaufgeld, weitere Informationen unter christies.com 04734-14_Ams_PWC BLAU Magazin_Gathering Ad_Art.indd 1 Auktion Private Sales christies.com 16/08/2016 14:30 BLITZSCHLAG ER IST NOCH IMMER DA Es ist ein Augenblick der Gewissheit: Dieses Kunstwerk trifft mich im Kern. Gerhard Lenz über das Verschwinden ber dem Esstisch unseres von Zahlen im Hauses in Tirol hängen zwei große monochrome Nichts und Bilder nebeneinander. Das eine Roman Opałkas Bild ist blau, das andere weiß, und so sehr sie sich darin letztes, unvoll ähneln, dass auf ihnen nur eine Farbe zu sehen ist, so unterschiedlich sind sie. Das blaue endetes Bild Ü Bild ist von Yves Klein und durch eine Eingebung entstanden oder sagen wir: durch eine gottgegebene Inspiration. Das weiße Bild dagegen ist hart erarbeitet, einem ganzen Künstlerleben abgerungen. Es ist das letzte vollendete Werk von Roman Opałka, der 2011 gestorben ist. Mitte der 1960erJahre hat er mit seiner Serie 1965/1– ∞ begonnen, fortlaufende Zahlenreihen in Weiß erst auf schwarz, dann auf grau grundierte Leinwände zu malen. Eine unglaubliche Sisyphosarbeit, die er mit unerschütterlicher Kontinuität durchgehalten hat. Mit jedem neuen Bild mischte er ein kleines bisschen mehr Weiß in die Grundierung, sodass er Jahrzehnte später im vollkommenen Monochrom angelangt war und forthin seine Zahlenreihen Weiß auf Weiß auftrug. Nach jedem Tag im Atelier fotografierte er sich, und so wie seine Zahlenreihen langsam im Nichts verschwanden, so dokumentierte er sein eigenes Verschwinden, die Spuren der Zeit in seinem Gesicht, das immer weißer werdende Haar. Es ist ein Werk, das mich in der unerbittlichen Strenge des Künstlers zu sich selbst, in seiner philosophischen Tiefe und Konsequenz auf Anhieb sehr berührt hat. Meine Frau Anna und ich haben Opałka in den frühen Siebzigern zu sammeln begonnen. Für uns gehörte er in die Gruppe der Zero-Künstler, die wir als Sammler begleitet haben, und die wir immer als europäische Bewegung gesehen haben. Und wie Günther Uecker, Karl Prantl oder Gotthard Graubner wurde Opałka ein lebenslanger Freund. Seine Zero-Sammlung ist die wichtigste ihrer Art: GERHARD LENZ, fotografiert von MARTIN FENGEL Als ich ihm 1999 sagte, ich neben Yves Klein gefunden. wolle sein letztes vollendetes Das unvollendete steht immer Werk und das darauffolgende noch auf der Staffelei in unvollendete kaufen, sagte er, seinem französischen Atelier in ich sei wohl der einzige Samm- der Nähe von Le Mans, so ler, der sein Werk richtig als könne er jeden Augenblick begriffen habe. Wir setzten einen zurückkehren. Seine Witwe Vertrag auf, in dem auch Marie-Madeleine lebt dort, und festgelegt wurde, dass wir nach auch wenn es uns gehört, seinem Tod das unvollendete bringe ich es nicht übers Herz, Bild mitsamt der Staffelei und es abholen zu lassen. der Beleuchtung bekämen. Für diese zwei Bilder zahlten wir damals eine Million Mark, nicht wissend, dass wir ihn überleben, dass wir die Bilder überhaupt jemals in Besitz nehmen würde. Nun ist er seit fünf Jahren tot. Das letzte vollendete Als käme er gleich zurück: Bild hat seinen Platz Roman Opałkas Atelier mit seinem letzten Bild APÉRO 26 Einladung zu Einlieferungen für unsere Herbstauktionen Moderne Kunst, Zeitgenössische Kunst, Photographie Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen 15. – 19. Jh.; Silber, Schmuck, Porzellan, Möbel Asiatische Kunst, Afrikanische und Ozeanische Kunst, Antiquarische Bücher Vincent van Gogh. Aquarell. 1881. Verkauft für € 1.036.000,Neumarkt 3 50667 Köln T 0221-92 57 290 Poststraße 22 10178 Berlin T 030-27 87 60 80 München 089-98 10 77 67 Zürich 044-422 19 11-KEINEBrüssel 02-514 05 86 [email protected] www.lempertz.com 28 Meiré und Meiré D C Düsseldorf Cologne Open Galleries 02 /03 /04 Sept 2016 dc-open.de -KEINE29 UM DIE ECKE IN DEN STRASSEN DER WEISSEN STADT Jede Stadt hat ihre Mikrokosmen, wir stellen sie vor. Und finden in Belgrad eine Kinoteka und das Café Idiot, wo anderswo längst StarbucksFilialen wären ihre Geschichten zu erzählen. Aber die Gesel- B elgrad ist eine schizophrene Stadt. Chaotisch und rau, mit einer absurden Stilmischung an Gebäuden. Dabei heißt Belgrad eigentlich „weiße Stadt“. Der Name stammt aus dem 15. Jahrhundert, als die Türken einmarschierten und über die vielen weißen Gebäude staunten. Heute ist davon nicht mehr viel zu sehen. Häuser wurden zerstört oder abgerissen, Neues ist aus dem Glauben an die Gegenwart und Zukunft heraus entstanden. Aber es funktioniert irgendwie. Die Serben sind genauso. Egal welcher Wochentag: Das Leben findet auf den Straßen statt, Cafés und Läden sind immer voll. Man kommt schnell ins Gespräch – die Menschen haben viel erlebt und sind ganz erpicht darauf, ligkeit hat nicht viel mit Glück zu tun. Belgrad ist eine Stadt im Transitzustand. Die Regierung will unbedingt in die EU und müht sich, den Ansprüchen gerecht zu werden. Zugleich aber macht dem Land Korruption in den so wichtigen politischen Klassen zu schaffen. Für die Kultur interessiert sich hier kaum jemand. Und zum Geldverdienen bleibt den Serben nur irgendein Business oder der Schwarzmarkt – die wenigsten können tun, wozu sie Lust haben. Die geradlinige berufliche Entwicklung wie in anderen Ländern – mit Schulabschluss, Studium, Ausbildung und dann festem Job – ist extrem selten. Viele der Älteren wünschen sich daher Jugoslawien zurück. Damals waren die Jobs sicher, im Sommer fuhr man an die kroatiAPÉRO 30 sche Küste und dachte nie darüber nach, dass es dort eine andere Kultur und Sprache gab. Der Krieg aber hat alles verändert. Bis vor wenigen Jahren war es gefährlich, als junges serbisches Mädchen einfach nach Kroatien zu fahren. Heute hat sich die Lage beruhigt, und in zehn Jahren wird alles sicherlich noch besser sein. Belgrad befindet sich im Übergang. Das Rohe und Wilde zieht in letzter Zeit vor allem junge Touristen an. Wo sich andere Metropolen mit ihren Coffeeshop- und Modeketten immer mehr gleichen, ist Belgrad unverfälscht. Es gibt Kneipen und Cafés, die exakt so aussehen wie in den 80er-Jahren – dort, wo anderswo längst ein Starbucks eingezogen wäre. Wenn ich von all dem Abstand brauche, gehe ich in den Botanischen Garten. Mitten in der Stadt, zwischen mehr als tausend Pflanzenarten, herrscht Stille. In einem wunderschönen Treibhaus aus der Jahrhundertwende arbeitet eine alte Dame, sie weiß alles über seine Geschichte. Am Rande des Parks liegt der verwunschene Garten des legendären Café Idiot. Viele der Gäste sind Künstler, die Stimmung ist immer ausgelassen. Wer die Treppe ins Souterrain nimmt, landet in der dazugehörigen Bar. Hier haben sich Schwule und Lesben in Belgrad zum ersten Mal in ihrem Leben sicher gefühlt. Ganz in der Nähe residiert das BitefTheater in einer ehemaligen katholischen Kirche. Seit den 70er-Jahren lädt es die besten Theatergruppen aus aller Welt ein. Als Anlaufstelle für Intellektuelle und Künstler ist es aus Belgrad nicht wegzudenken. Gleich daneben liegt der Bajloni-Markt, auf dem man außer Lebensmitteln auch bizarre Second-HandSachen entdecken kann. Einmal habe ich einen Stand gesehen, an dem offenbar die RAUES CHAOS, GUTE IDEEN LINKS: IN BELGRAD IST DIE TRAUFHÖHE EGAL. IN DER KINOTEKA (LINKS UNTEN) IST DIE ÄRA KLEIN-HOLLYWOOD NOCH LEBENDIG. DAS KUNSTMUSEUM (RECHTS) IST SEIT ZEHN JAHREN DICHT, JOCA (UNTEN) BACKT VOR PUBLIKUM. GANZ RECHTS; MARIJA ŠEVI UND LIDIJA DELI VOM U10, DEM BESTEN ORT FÜR JUNGE KUNST Habseligkeiten einer verstorbenen Person angeboten wurden, gefischt aus einer Mülltonne: Familienalben und alte Medizin, Tablettenpackungen – Dinge, die das Ende eines Lebens markieren, das nun hier ausgebreitet lag. Ein paar Schritte weiter, und man steht vor Jocas Bäckerei. Von außen ahnt man nicht, was für eine Zeitkapsel sich hier verbirgt, die aussieht wie eine Filmkulisse: Sie katapultiert einen vierzig Jahre zurück. Joca ist immer da. Er war der Erste, der in Belgrad das heute typische weiche Weißbrot gebacken hat. Großeltern, Kinder und Enkel aus der Nachbarschaft versammeln sich hier. Joca hat etwas von einem Stand-up-Comedian, wenn er den Leuten erklärt, wie er das Brot macht. Man darf sogar in die Küche. Dahinter beginnt Dorćol, das älteste Viertel Belgrads. Vor hundert Jahren lebten hier vor allem Juden und Künstler, das Viertel war multikulturell. Man spürt diese klassische Lässigkeit noch heute: Die Häuser erinnern in ihrer Großzügigkeit und Eleganz an Paris. Klar dass Dorćol die teuerste Wohngegend Belgrads ist. Von hier aus gelangt man zur Kinoteka: ein wundervolles Arthouse-Kino. Heute läuft WR: Mysteries of the Organism von Dušan Makavejev, einer meiner Lieblingsregisseure Serbiens aus den 70er-Jahren. Der Eintritt kostet kaum zwei Euro. Trotzdem ist es ziemlich leer – in Paris wäre das eine erste Adresse, die man aufwendig vermarkten würde. In der kleinen Gasse um die Ecke stehen jeden Tag Buchhändler, bei denen ich immer wieder Raritäten aus Kunst und Philosophie entdecke. Heute hat es mir ein Katalog von Petar Lubarda angetan, ein berühmter Nachkriegsmaler aus Montenegro. Der Verkäufer freut sich sehr über mein Interesse und berechnet mir nur 3.000 Dinar, rund 20 Euro. Er sagt: „Für mich ist es das Schönste, wenn die Leute lieben, was sie bei mir finden!“ um Kunstraum U10 geht es die Hauptstraße hinunter. Gegründet haben ihn sieben Künstler vor vier Jahren, die gerade ihren Abschluss gemacht hatten. Sie wollten einen zentralen Ort für Gegenwartskunst – alle anderen Galerien in der Stadt sind alt, das Museum ist seit zehn Jahren geschlossen. Heute bildet U10 den hellsten Flecken auf Belgrads Kunstlandkarte. Ein Schweizer Künstlerkollektiv installiert gerade eine Ausstellung, zwei der Betreiberinnen, Lidija Delić und Marija Šević, helfen dabei. Z APÉRO 31 Wir setzen uns mit Kaffee und Keksen auf die Stufen vor dem Eingang. Das Haus aus den 30er-Jahren ist auf Treppen gebaut, so wie alle Häuser der Straße. Außer dem Kunstraum im Souterrain steht das gesamte Gebäude leer, unheimlich. „Wir hatten sehr viel Glück. Ein Förderer aus Österreich gab uns einen Zuschuss, sonst hätten wir gar nicht anfangen können“, erzählen Lidija und Marija. Der internationale Austausch sei ihnen wichtig. „Belgrads Künstler brauchen einen Ort, um zu diskutieren.“ U10 ist das beste Beispiel, wie Belgrad funktioniert: mit Herz und Eigeninitiative etwas schaffen, das der Stadt fehlt. Man wird nicht reich dabei. Aber man verändert etwas. TEXT: ANA KONJOVI FOTOS: KATARINA ŠOŠKI ILLUSTRATION: KRISTINA POSSELT «Netz» 2016 Grafit auf Papier ausgeschnitten graphite on paper, cut out, 150 x 115 cm «Große Konstruktion» 1994 Öl auf Leinwand, oil on canvas, 220 x 240 cm «Mennigebild 17/33» 1976 / 1988 Acryl/Holz, acrylic/ wood, 192 x 350 x 8,7 cm IMI KNOEBEL RAIMUND GIRKE K AT H A R I N A H I N S B E R G G A L E R I E FA H N E M A N N [email protected] / WWW.GALERIE-FAHNEMANN.DE 10719 BERLIN / FASANENSTR. 61 / 1. ETAGE / +49(30)8839897 -KEINE32 Niebuhrstraße 5 10629 Berlin www.galeriemichaelhaas.de Sternstunde 100 Zeichnungen 16.09.‒15.10.2016 -KEINE33 Athr: Aya Haidar / Avlskarl Gallery: Kirsten Justesen / Galerie Guido W. Baudach, Vilma Gold: Markus Selg / Galerie Guido W. Baudach: Tamina Amadyar / BQ: Raphaela Vogel / Buchmann Galerie: Martin Disler / Galerie Luis Campaña: Dirk Skreber / Capitain Petzel: Monika Sosnowska, Pieter Schoolwerth / carlier gebauer: Laure Prouvost / Charim Galerie: Lisl Ponger / Mehdi Chouakri: Saâdane Afif / Delmes & Zander: André Robillard / Dittrich & Schlechtriem: Simon Mullan / Galerie Eigen+Art: Despina Stokou / Ellis King: Ryan Estep / Konrad Fischer Galerie: Juergen Staack / Galerie Bärbel Grässlin: Secundino Hernández / Grimmuseum: Alona Rodeh / Galerie Karin Guenther, Galerie Barbara Weiss: Berta Fischer / Galerie Michael Haas: Dirk Lange / Häusler Contemporary: Roman Signer / Natalia Hug: Alwin Lay / Galería Isla Flotante: Mariela Scafati / Klemm’s: Sven Johne / Helga Maria Klosterfelde Edition: William N. Copley and Dimitri Petrov / KM: Simone Gilges / Galerie koal: Yitzhak Golombek / Christine König Galerie: Micha Payer + Martin Gabriel / König Galerie: Erwin Wurm / Kraupa-Tuskany Zeidler: GCC / Krobath: Sofie Thorsen / Galerie Gebr. Lehmann: Eberhard Havekost / alexander levy: Fabian Knecht / Linn Lühn: Florian Baudrexel / Galerie Hans Mayer: Kenny Scharf / Galerie Max Mayer: Henning Fehr and Philipp Rühr / Galería Metropolitana: Joaquín Luzoro / Meyer Riegger: Robert Janitz / Meyer Riegger, The Modern Institute: Scott Myles / Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder: Daniel Knorr / Galerie Tobias Naehring: Eva Grubinger / Galerie Neu: Sean Snyder / neugerriemschneider: Noa Eshkol / Galerie Georg Nothelfer: Madeleine Dietz / Piktogram: Tomasz Mróz / Profile Gallery: Jarosław Kozłowski / PSM: Ariel Reichman / Dawid Radziszewski: Marcin Zarzeka / Philipp von Rosen Galerie: Jose Dávila / Aurel Scheibler: Michael Wutz / Esther Schipper: Christopher Roth / Galerie Thomas Schulte: Julian Irlinger / Gabriele Senn Galerie: Marko Lulić / Sies + Höke: Marcel Dzama / Société: Sean Raspet, Timur Sí-Qin / Sperling: Andrew Gilbert / Sprüth Magers: Andreas Schulze / galeria stereo: Roman Stańczak / Galerie Fons Welters: David Jablonowski / Wentrup: Miriam Böhm / Barbara Wien: Ian Kiaer / Zak Branicka: Joanna Rajkowska abc art berlin contemporary Station-Berlin Luckenwalder Straße 4 – 6 10963 Berlin www.artberlincontemporary.com -KEINE34 Peter Roehr 38 works Peter Roehr. Ohne Titel. 1966. 61 × 55 cm (84 × 77 cm). © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 16. September bis 29. Oktober 2016 in Berlin Zur Ausstellung erscheint ein Katalog Fasanenstraße 27, 10719 Berlin grisebach.com -KEINE35 DER WEISSE GIACOMETTI von PETER LINDBERGH Seine Bronzegüsse kennt jeder. Die meisten von Giacomettis fragilen Gipsarbeiten aber lagern unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Depot des Kunsthaus Zürich. Bis jetzt. Am Vorabend der Schau Material und Vision durfte Peter Lindbergh sie in Szene setzen – und für BLAU fotografieren Werknachweise auf S. 81 BLEICHER TRAUM Text: Paul Nizon M useen pflegen Giacomettis Figuren in Gruppen auszustellen. Sie sind ja auch passantisch und überdies raumgreifend, raumerzeugend; ich nannte sie auch schon „raumschauerlich“. Der bis an den Rand des Verschwindens reichende Flüchtigkeitsgrad bestimmt das Erscheinungsbild und charakterisiert Giacomettis Menschenbild: der Mensch eine winzige verkrustete Tatsache, die reduzierteste Bemerkung über Menschenanwesenheit. Aus dem zeitlichen Abstand hat dieses Menschenbild insofern das Paris der vergangenen Jahrhundertmitte zum Hintergrund, als es sich um die denkbar deutlichste Verkörperung von Existenzialismus und Nihilismus handelt. Was sind denn die zu Strichen abgemagerten, schieflagigen, in alle Richtungen verzogenen Menschenfiguren anderes als Existenzchiffren in einem von Göttern und Glauben entseelten leeren Raum? Es sind dem Nichts abgerungene Untergangswesen, die sich gerade noch zu behaupten scheinen vor dem Sog der Leere und insofern als Resistenzfiguren anzusehen sind. Sie stehen auf der Schneide zwischen Verschwinden und Erinnerungsgravur. Und nun wird auch der schwere Sockel der Stehenden, Schreitenden verständlich. Es bedarf dieses Gewichts, damit die Erscheinung sich nicht vollends verflüchtige – und entmaterialisiere; damit sie nicht entschwebe wie die Seele auf mittelalterlichen Darstellungen. Und der Raum? Der allgewaltige und alles menschliche Vorkommen ridikülisierende, geradezu wogende Zeitraum, dieser leere Himmel des Nihilisten? Man hat Giacomettis Plastiken unter anderem mit der Kunst der Etrusker in Verbindung gebracht, die Ähnlichkeit ist verblüffend, ob Anleihe oder Wahlverwandtschaft ist unerheblich. Die Figuren der Etrusker waren Grabbeigaben. Totenkult. Dass Giacomettis mit Hinfälligkeit und Vergeblichkeit befrachtete Vision des Menschen auch mit der in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts veranstalteten industrialisierten Millionenmassentötung von Menschen zu tun haben muss, scheint naheliegend. Alberto Giacometti ist weder Symbolist noch Surrealist, er ist ein figurativer Künstler zumindest in seiner späten Werkphase. Er hat, so unwahrscheinlich das angesichts der nahezu gespenstigen Auszehrung seiner Plastiken erscheinen mag, vor dem Modell gearbeitet, die Modelle sind bekannt. Wahrhaft verblüffend die realistisch zu nennende Naturtreue bei so viel Körperschwund. Die bedeutendsten Literaten, darunter Jean Genet und Jean-Paul Sartre, haben ihm bei der Arbeit zugeschaut und über ihn geschrieben. Es ist bezeugt, dass er sich, über die Bezeichnung des Realisten hinausgehend, einen Kopisten des Naturvorbilds nannte. Giacomettis Arbeitsverfahren kann man sich am besten an seinen Gipsen erklären, die in den Fotografien von Peter Lindbergh ihre ganze geheimnisvolle Präsenz offenbaren. Es zieht sich diese weiße Spur durch das ganze Werk. Nicht selten war die Gipsfigur ein Zwischenschritt zwischen Tonmodell und Bronzeguss, der das begonnene Thema weiterführte oder in eine andere Richtung bog. Giacometti schätzte das Material Gips besonders, weil es sich durch Bemalen und Hinzufügen oder Entfernen von Gipsmasse immer wieder verändern ließ. Eine ganze Anzahl von Arbeiten existiert überhaupt nur als Gipsunikate. Es sind diese dynamischen Arbeitsprozesse, die sich auch an den (im Übrigen wunderbaren) Zeichnungen und Malereien beobachten lassen. Zu Beginn geschieht nicht viel mehr auf der Leinwand oder dem Papier als die Einkreisung oder besser Aussparung der räumlichen Dimension – und dies mithilfe von vielerlei Koordinatenhilfslinien, simplifizierend mag man an das Fadenkreuz denken. Mit der Distanznahme geht der Versuch zur Festlegung der Größendimension des Vorwurfs einher. Dann erst wird das konkrete Erscheinungsbild mit einem Netz und Gespinst von Linien eingefangen, eingetastet und erknetet, bis aus dem Grau des Grundes ein leibhaftiges Gegenüber auftaucht, halluzinatorisch und unverwechselbar in einem, porträthaft eben. Malerei oder Zeichnung sind zu Beginn immer Grisaille, sie erwärmt sich im Fortgang der Arbeit zusehends. Fast möchte man meinen, Giacomettis künstlerische Übungen hätten einen sakralen Einschlag. Sakral? Höchstens in dem Sinne, dass sie buchstäblich die Schöpfung zelebrieren. Den Schöpfungsakt, die Erschaffung der menschlichen Kreatur aus dem Nichts oder dem Lehm. ie verschwindende Wirklichkeit war das zentrale Problem der damaligen Epoche, darum die in psychografischen Innerlichkeits- bzw. Erlebnisausschlägen sich verflüchtigende Realität bei den Tachisten, die Ausflucht in die abstrakte Kunst ganz allgemein, auch der Surrealismus. Das Auseinanderfallen zwischen sichtbarer Welt und vorstellbarem (von Zweifeln durchlöchertem) Bewusstsein. Bei Giacometti das Beharren auf dem Abbild. Seine Thematik ist der Kampf um die Wirklichkeitsbemächtigung, ein nie endendes Bemühen. Und das Ergebnis wäre ebenso sehr das „Schlachtfeld“ bei diesem Bemühen wie das in seiner stupenden Gegenwärtigkeit überwältigende Resultat. Mir will nach dem ganzen Exkurs Giacomettis „Etruskertum“ am besten gefallen. Sind seine Geschöpfe nicht auch eine Art Grabbeigaben? Steckt hier der erwähnte sakrale Effekt? Sind Hinfälligkeit und Flüchtigkeit als existenzielle Charakteristika nicht ganz nah am Tod? Ist der Giacometti’sche Überlebenswahn nicht tollkühn zu nennen – wenn nicht gar überheblich? Und wenn alles gar nicht wirklich wäre, sondern allerhöchstens ein bleicher Traum? Ein-Bildung? Flüchtigstes Einbildungsmolekül und nicht mehr? Ist es verwunderlich, dass die französischen Existenzialisten und alle pessimistischen Trostsucher in Alberto Giacometti den großen Wahrsager sahen? Ich habe vor Kurzem in einem Kunstlexikon aus den 50er-Jahren nach Auskünften gesucht und den Namen Giacometti nicht vorfinden können. Und heute ist er bis zur Banalität populär und beinahe wie Kafka in den Sprachgebrauch eingegangen. Die Letzten werden die Ersten sein. D DAS KUNSTHAUS ZÜRICH ZEIGT DEN „WEISSEN GIACOMETTI“ AB DEM 28. OKTOBER IN DER SCHAU GIACOMETTI – MATERIAL UND VISION REVUE 44 100 FARBEN WEISS ROBERT RYMAN KEIN ZWEITER MALER IST SO KONSEQUENT BEI SEINEM THEMA GEBLIEBEN, DEN NUANCEN UND AGGREGATZUSTÄNDEN DER FARBE WEISS. VON ROBERT RYMANS ANFÄNGEN ALS JAZZMUSIKER UND NACHTWÄCHTER IM MOMA BIS ZU SEINEM TRAGISCHEN STURZ FÜNF JAHRZEHNTE SPÄTER: SIEBEN WEGGEFÄHRTEN, DARUNTER SEIN SOHN CORDY RYMAN UND SEIN KOLLEGE GERHARD RICHTER, ERINNERN SICH. EINE GESPRÄCHSMONTAGE VON MAX DAX Installationsansicht der Ausstellung Robert Ryman Peintures 1958–1991 im RENN Espace d’Art Contemporain, Paris, 1991. Auftaktseite links: Medway, ca. 1968, Blatt aus einer Serie von sechs handgeschöpften Papieren, Acryl, 76 × 57 cm; rechts: Robert Ryman in seinem Studio, ca. 1973 UNTITLED 1965, Öl auf Leinwand, 26 × 26 cm D er 1930 geborene amerikanische Künstler Robert Ryman ist ein Solitär unter den Malern. In einer fast fünfzig Jahre umfassenden Schaffenszeit befasste er sich in fast mönchischer Reduktion mit der Farbe Weiß – aufgetragen auf helle oder farbige Untergründe, auf Wachspapier, Stahl oder gar auf High-Tech-Faser aus der Weltraumforschung. Als Autodidakt, der nie eine Kunstschule besuchte, konnte Ryman auf jeden akademischen Umweg verzichten und gleich zum Kern seines Lebensthemas vorstoßen – das Wesen der Malerei als Spiel zwi- schen Materialität und Lichteinfall und als Aufbruch in den dreidimensionalen Raum. Seine Gemälde sind keine Abstraktionen von ehedem Gegenständlichem, sie stellen vielmehr die Frage, wo das Bild endet und der Raum beginnt. Weggefährten Rymans erinnern sich: sein Sohn Cordy Ryman, die Künstler Gerhard Richter und Jan Dibbets, die Kunstsammler Urs Raussmüller und Egidio Marzona, die Ryman-Biografin Suzanne Hudson und der Chefkurator für Malerei und Skulptur des San Francisco Museum of Modern Art, Gary Garrels. REVUE 50 Urs Raussmüller: Im 20. Jahrhundert hat es einen epochalen Wandel gegeben. Da gab es mit einem Mal Dinge, die real waren, aber die konnten wir gar nicht sehen. Ich spreche von der Entdeckung der Relativität, von der Unschärferelation und der Quantenmechanik. Genau diese Dinge sind es, die das 20. Jahrhundert alleinstellen, abgrenzen von den vorangegangenen Epochen. Und dieser Wandel hat sich auch in der Kunst vollzogen. Einige Künstler haben den Wunsch entwickelt, etwas Reales zu erschaffen – und nicht mehr nur abzubilden, egal wie meister- haft die Abbildungen in der Vergangenheit etwas?“ Und da lächelte er nur, und es war dieses wissende, ehrliche Lächeln, das mir gewesen sein mögen. sagte: „Ja, ich male hier etwas, und eines Jan Dibbets: Robert Ryman ist der erste mir Tages wirst du es begreifen.“ bekannte Maler, dessen Malerei nichts erzählt, in der es einzig um die Frage des Gerhard Richter: Mir hat er immer sehr Wie geht: Wie wurde das Gemälde gemalt? imponiert – wie er mit seiner bescheidenen, Es brauchte über zweitausend Jahre inbrünstigen Sicherheit seine Bilder malte. Geschichte der Malerei, um von der Frage Ich war im Vergleich zu ihm unruhiger, nach dem Abgebildeten zur Frage der Mach- immer schon. Er war fast wie ein Mönch, art zu gelangen. und ich bewunderte an ihm seine Sicherheit. Zwar hatte ich nie das Gefühl, ich dürfe Suzanne Hudson: Die Materialität, die er keine Fehler machen. Ich durfte mich auch zur Schau stellt, das Offenlegen eines Mal- mal irren oder einen falschen Weg einschlaprozesses, erzählt eine ganze Menge, aber es gen. Aber ich hatte ganz grundsätzlich Zweiist eine andere Art von Erzählung. Und in fel, ob ich überhaupt etwas richtig mache. der geht es nur noch wenig um das eigene Und von diesen Zweifeln habe ich bei Ryman Leben oder um Quellen aus der Literatur nichts gespürt. oder der Geschichte. Ryman ist damit ein klarer Vorreiter gewesen und zugleich Vorbild Suzanne Hudson: Robert Ryman war in vieeiner ganzen Generation von prozessorien- lerlei Hinsicht unverdorben. Er konnte einertierten abstrakten Malern der Gegenwart. seits abstrakte Lösungsansätze aus dem Jazz in die eigene Malerei übernehmen und andeCordy Ryman: Er wehrte sich allerdings rerseits sah er keine Notwendigkeit, seine gegen die Bezeichnung „abstrakt“. „Abs- Malerkollegen zu kopieren oder sich mit trakte“ Bilder seien Abstraktionen der Reali- ihnen zu messen. tät – er beziehe sich aber nicht auf Vorbilder in der Realität. „Meine Bilder sind die Reali- Cordy Ryman: Mein Vater war 1953 von tät“, sagte er mir einmal: „Ich bin ein konkre- Nashville nach New York gezogen. Er wollte ter Realist.“ Karriere als Jazzmusiker machen, um wie seine Vorbilder Charlie Parker und John Urs Raussmüller: Was der Künstler nicht Coltrane von der Musik zu leben. Um zu mitliefern kann, sind die Wand und der drei- überleben, spielte er nachts Jazz und arbeidimensionale Raum, in den das Bild gehängt tete tagsüber als Aufseher im MoMA. wird. Und natürlich kann Ryman auch nicht das Licht mitliefern, das auf sein Werk fällt. Suzanne Hudson: Im MoMA gab es ein Denn man muss eines grundsätzlich begrei- Auditorium. Wenn es nicht vom Museum für fen, wenn man sich den Bildern Robert Veranstaltungen benötigt wurde, war es Rymans nähert: Licht ist genauso ein Mate- Ryman als Teil der Belegschaft erlaubt, dort rial wie weiße Farbe. Erst in der Vereinigung gelegentlich zu üben. Das war für ihn eledieser beiden Materialien entsteht das leben- mentar wichtig, weil die Wände seines Apartdige Bild. ments zu dieser Zeit so dünn waren, dass er unmöglich hätte zu Hause üben können. JAZZ ALS MATRIX Cordy Ryman: Zu Hause in Nashville war Cordy Ryman: Als ich das erste Mal bewusst mein Vater nie mit moderner Kunst konmitbekam, wie seine Bilder im Zyklus eines frontiert worden. Was er im MoMA zu sehen Tages ihr Wesen veränderten, wurde mir bekam, war alles neu für ihn. Es war ja die schlagartig klar, dass diese Bilder eine spiritu- Zeit, als die ersten abstrakten Bilder ins elle Tiefe haben, die durch den Lichteinfall Museum einzogen. Und mein Vater war ohne erst sichtbar wird. Da habe ich mich an eine Vorurteile. Er sah diese Bilder und respekFrage erinnert, die ich ihm als kleines Kind tierte sie. Und irgendetwas haben diese Bilder gestellt hatte: „Papa, ich sag’s auch nieman- ausgelöst in ihm. Offenbar erkannte er Ideen dem weiter – aber malst du hier überhaupt des Jazz in den Gemälden von etwa Sol LeWitt REVUE 51 DIE PERSONEN CORDY RYMAN (*1971) ist Künstler und einer von zwei Söhnen des Malers Robert Ryman. Er war Ende der 90erJahre für kurze Zeit sein Assistent und führte mit ihm viele Gespräche über Fragestellungen in der Kunst – und über Star Wars. URS RAUSSMÜLLER (*1940) ist ein Schweizer Kunstsammler, Künstler und langjähriger Freund Robert Rymans. Raussmüller gründete die inzwischen geschlossenen Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen, in denen er mehrere große Ryman-Ausstellungen organisierte. GERHARD RICHTER (*1932) ist Maler und lebt in Köln. Ryman lernte er über den gemeinsamen Galeristen Konrad Fischer kennen und besuchte den Kollegen 1970 erstmals in New York. EGIDIO MARZONA (*1944) hat in den vergangenen sechzig Jahren eine der bedeutendsten Sammlungen zur Avantgarde des 20. Jahrhunderts aufgebaut – und gehörte zu den Ersten, die Robert Ryman kauften. JAN DIBBETS (*1941) ist ein niederländischer Konzeptkünstler und enger Freund Robert Rymans seit den späten 60er-Jahren. Als einer von wenigen durfte er den menschenscheuen Ryman nicht nur regelmäßig besuchen, sondern auch eine Zeit lang in dessen Atelier wohnen. SUZANNE P. HUDSON war Doktorandin in Princeton, als sie sich Robert Rymans Lebenswerk als Thema für ihre Dissertation aussuchte. Unter dem Titel Used Paint 2009 erschienen, gilt ihre Arbeit als Standardwerk der Ryman-Forschung. GARY GARRELS (*1957) ist seit 2008 Senior Kurator am San Francisco Museum of Modern Art. 1988 betreute er seine erste Einzelausstellung mit Werken von Robert Ryman in der Dia Art Foundation in New York. wieder, der ebenfalls im MoMA als Nachtportier arbeitete und bald zu seinen Freunden gehörte. Der Jazz fußt ja auch auf einer abstrakten Sprache. Gemeinsam hörten mein Vater und ich Schallplatten. Einmal kommentierte er ein Instrumentalsolo von John Coltrane mit den Worten: „He used the force again!“ Er sprach es aus wie Obi-Wan Kenobi in Star Wars: „Wenn du malen willst, musst du die Macht benutzen.“ Bob spielte Saxofon – deshalb war er besonders an Musikern wie Wayne Shorter, John Coltrane oder Charlie Parker interessiert. Das waren in seinen Augen die Jedi-Ritter unter den Jazzmusikern. Suzanne Hudson: Wenn man ein künstleri- sches Medium gemeistert hat – etwa die Improvisationsprinzipien des Jazz –, dann kann man diese Meisterschaft wie eine Matrix auf andere Kunstfelder übertragen, beispielsweise die Malerei. Vermutlich handelt es sich im Kern einfach um Methoden der Problemlösung, egal ob man ein ästhetisches Problem nun in der Musik, in der Literatur oder der Kunst lösen will. Anders als im Jazz mit seinen Regeln kannte Ryman in der Malerei aber keine Grenzen. Er überschritt einfach leichtfüßig alle bis dato existierenden Einschränkungen und betrat radikal neues Terrain. Robert Ryman (vorn) und Urs Raussmüller beim Ausstellungsaufbau in den Hallen für Neue Kunst, Schaffhausen, 2008 Jan Dibbets: Er erzählte mir einmal, wie er Anfang der Fünfziger sein erstes Bild gemalt hat. Er hatte beim Künstlerbedarf um die Ecke Leinwände, Farbtuben, Pinsel und Rahmen gekauft. Zu Hause tackerte er die Leinwände auf die Rahmen – total dilettantisch. Aber anschließend trug er auf diese vielen Leinwände systematisch Farbe auf, um zu sehen, wie diese wirkte, sobald sie getrocknet war. Er versuchte nicht etwa, ein Motiv nachzumalen, sondern er war bereits zu diesem frühen Zeitpunkt nur am Material selbst interessiert. sich durch einen besonderen Klingelcode zu erkennen: einmal klingeln lassen, auflegen, noch mal anrufen. Vielleicht hatten andere Leute andere Codes, aber meine Brüder und ich, wir kannten nur diesen. Für mich als Kind war das Atelier meines Vaters in der Suzanne Hudson: Viele übersehen, dass Greenwich Village Street ein faszinierendseine ersten Bilder noch gar nicht weiß waren. rätselhafter Ort. Es stand vor allem für eines: Als er Anfang der Fünfziger anfing, malte er die Abwesenheit des Vaters. monochrome Farbbilder. Rote Bilder, orangene Bilder, dunkelgrüne Bilder. Diese Suzanne Hudson: Anders als eigentlich alle Bilder sehen heute gealtert aus – als stammten abstrakten Maler seiner Generation ist sie aus einer anderen Zeit. Ganz anders ver- Robert Ryman nicht zunächst durch eine hält es sich hingegen mit der großen Mehrheit Ausbildung gegangen, die ihm repräsentatiseiner weißen Bilder, die er Ende der Fünfzi- ves oder gegenständliches Malen beigebracht ger konsequent zu malen begann: Die haben hätte – und die er dann hätte ablehnen oder fast durchweg etwas Zeitloses. überwinden können. Nein, er war gar nicht in der Lage, eine anatomisch korrekte Katze Jan Dibbets: Er hatte sein Thema also von oder ein Gebäude in Zentralperspektive oder Anfang an gefunden und es kümmerte ihn ein Stillleben zu malen. Er hatte eine Abkürwenig, dass seine ersten Versuche, von denen zung genommen: direkt in die Abstraktion, klar war, dass sie nur Studien waren, unterm ohne auch nur einen Augenblick in der Strich viel Geld verschlangen. Er hatte wohl Gegenständlichkeit zu verlieren. diese Ahnung, dass er da einen Lebensweg vor sich hatte. Gerhard Richter: So wie es heute über mich heißt, ich male Bilder, die Millionen kosten, Egidio Marzona: Und er war akribisch und hieß es über Ryman damals: Der malt nur pedantisch. Er hat sich eine Welt geschaffen weiß. und ist in ihr geblieben. Er hatte keinen Ehrgeiz, darüber hinaus zu experimentieren oder Egidio Marzona: Ein weißes Nichts mit andere Dinge auszuprobieren. Er ist immer wenigen Nuancen – seine Bilder waren in seinem System geblieben. damals eine Provokation. Auch ich fühlte mich provoziert und herausgefordert. DesweCordy Ryman: Und entsprechend hatte er gen habe ich zugeschlagen und ein Bild von auch einen stets gleichen Tagesrhythmus. ihm gekauft. Das war 1967 in Konrad Fischers Mein Vater verließ unsere Wohnung jeden Galerie in Düsseldorf. Meine Familie wollte Morgen um 9 Uhr im schwarzen Anzug, wei- mich anschließend fast entmündigen. Die ßen Hemd und schwarzer Krawatte. Ange- hielten mich für bescheuert, dass ich 300 Dolkommen im Atelier, hängte er seinen Anzug lar für ein weißes Nichts ausgegeben hatte. an der Garderobe auf und schlüpfte in einen Overall – das war seine Arbeitskleidung. Für DAS WEISSE BILD LEBT gewöhnlich blieb er bis 17 Uhr im Atelier, er betrachtete die Zeit im Studio als seine tägli- Gerhard Richter: Das fanden wir aber che Arbeitszeit. gerade gut! Vor allem dass man in dieser asketischen Beschränkung auch noch QuaEgidio Marzona: Mit Gerhard Richter hat lität erzeugen kann. Blinky Palermo und ich Bob gemein, dass sie beide morgens stets mit haben tief daran geglaubt, dass es eine Quaeiner Thermosflasche voller Kaffee und einer lität gibt in der Malerei, die immer wieder Box mit Butterbroten ins Atelier gingen und auftaucht, ob bei Velázquez oder Vermeer den Vormittag über malten. Dann gab es eine oder Manet. Und die haben wir eben auch bei Ryman gesehen. Trotz dieser BeschränMittagspause und weiter ging’s. kung. Mich persönlich hat das berührt, weil Cordy Ryman: Er ging auch nie ans Telefon, ich in meiner Not damals viele Leinwände wenn man ihn anrief, es sei denn, man gab einfach grau zugemalt hatte. Aber wie diese REVUE 52 UNTITLED 2010, Öl auf Leinwand, 46 × 46 × 6 cm POINTS 1963, Öl auf Aluminium, 152 × 152 cm Bilder dann so an der Wand lehnten, konnte man eben doch Qualitäten unterscheiden – es gab gute Bilder und schlechtere. Ich fühlte mich Ryman schon aus diesem Grund nahe. Gary Garrels: Ich empfand Bobs Bilder immer auch als sehr elegant. Sie zeichnen sich durch eine außerordentliche Unauf dringlichkeit und Zurückhaltung aus. Gleich zeitig strahlen sie ein unglaubliches Selbstbe wusstsein aus. Dadurch dass sie bei unter schiedlichem Lichteinfall stets anders wirken, scheinen sie zu leben. Mir ging es immer so, dass ich das Gefühl hatte, einer lebenden Person zu begegnen – einer eleganten, humorvollen Person. Tatsächlich stand ich vor einem weißen Bild. ARCHIVE 1979, Öl auf Stahl, 34 × 30 × 1 cm Gary Garrels: Trotzdem: Robert Ryman hat in seinem Leben fast ausschließlich quadrati sche weiße Bilder gemalt. Alles was danach kam, war die große Kunst der Variation – eine permanente Ausdehnung des eigenen Wirkbereichs. Urs Raussmüller: Was ist das Wesen der Realität eines Bildes von Robert Ryman? Eine Vielzahl ist das Wesen! Malerei bedeutet: Sie streichen eine Materie auf einen Träger und diese Materie steht fortan im Dialog mit dem Licht, weil das Licht, welches auf die Malerei fällt, von dieser zurückgeworfen wird in den Raum. Und dieses Licht ist ein lebendiges Licht. Und weil es ein lebendiges Licht ist, lebt das Bild. Nur in Räumen mit stetigem Kunstlicht verändert sich das Licht nicht, aber für diese Räume sind Robert Rymans Cordy Ryman: Zu mir sagte er einmal: „Ich Gemälde ohnehin nicht gemacht. male keine weißen Bilder. Ich benutze das Weiß, um andere Dinge zum Vorschein kom Suzanne Hudson: Durch ihre Materialität, men zu lassen.“ Damit meinte er die Textur aber auch durch das Fehlen lichtabsorbieren und das Format des Bildes, seinen Rahmen, der Farben sind Rymans Bilder in einem ex die Malerei an sich. tremen Maße vom Licht abhängig, das auf REVUE 54 sie fällt. Sein Weiß ist nie gleich Weiß, es sind 100 Farben Weiß. Was nicht zuletzt dazu führt, dass wir uns als Betrachter immer wie der dabei ertappen, wie wir ein Gemälde von ihm in einer konkreten Erinnerung haben, und wenn wir es erneut betrachten, ein ganz anderes Bild sehen, weil das Weiß das einfal lende Licht ganz anders wiedergibt. Es ist, als betrachte man das Meer, das auch immer das vertraute Meer ist und doch zu jedem Zeit punkt anders scheint. Gary Garrels: Ein Bild von Robert Ryman ist in diesem Sinne mehr als nur ein zweidi mensionales Gemälde und auch mehr als ein isoliertes dreidimensionales Objekt in einem Raum. Es ermöglicht eine ganz andere Erfahrung, weil es in die vierte Dimension hineinragt – die Zeit. Urs Raussmüller: Selbst der Betrachter wird zu einem Teil des Werks, weil er es nur zu einem bestimmten Zeitpunkt sieht. Er wird sozusagen zu einem Bestandteil eines holistischen Konzepts. Es reicht ein einziges UNTITLED 1961, Öl auf Leinwand, 190 × 190 × 7 cm großes Gemälde von Robert Ryman, um einen großen Raum zu füllen. Wenn man nur auf diesen Raum zugeht, spürt man bereits die Energie von diesem Weiß. Aber natürlich gibt es auch Leute, die dann sagen: Da ist ja nichts in diesem Raum. Gerhard Richter: Schon mit welcher Bestimmtheit er die Bedingungen vorgegeben hat, wie sein Bilder gehängt werden müssen, damit sie richtig wirken! So wurden die Bilder zu Andachtsbildern, zu Bildern, die man zelebrieren musste – durch die eigene Anwesenheit. Gary Garrels: Hatte er im Museum oder einer Galerie Räume zur Auswahl, so wählte er stets jene, die viel indirektes natürliches Licht boten. Tatsächlich malte er die Bilder aber nie für konkrete Räume. Er machte sich keine Gedanken darüber, wo genau sie schließlich hängen würden. 1988 organisierte Charles Wright eine große Ryman-Ausstellung in der Dia Foundation in New York. Und ich betreute sie als sein Kurator. Als wir die UNTITLED 1960, Öl auf Leinwand, 91 × 91 × 5 cm Show hängten, brachte Bob für mich überraIN DER TIEFE DES RAUMS schend auch viele ältere Bilder mit – als Referenz- oder Kontrapunkte, um sie den neuen Gary Garrels: Die Ausstellung in der Dia Bildern gegenüberzustellen. drohte ein Desaster zu werden. Wir probierten tagelang alle möglichen Kombinationen Urs Raussmüller: Ich habe Bilder von von Bildern aus, hängten erst dieses, dann Robert Ryman mehrfach in unterschiedli- jenes Bild an eine Wand. Nichts funktiochen Konstellationen in den Hallen für Neue nierte. Ich dachte, das würde nie was. Ich Kunst in Schaffhausen ausgestellt. Dabei fiel erinnere mich, wie ich nachts nach Hause mir auf, dass sich die Bilder quasi selbst für ging und einfach nur traurig war, weil ich die Ausstellung ausgewählt haben. Wir haben nicht begreifen konnte, weshalb diese an uns die Zeit genommen und uns jedes Bild und für sich tollen Bilder einfach in unseren an verschiedenen Wänden vorführen lassen. Räumen nicht wirken wollten. Aber es kam Und interessanterweise waren wir eigentlich der Tag, an dem Robert den richtigen Ort immer einer Meinung. Wir wichen vielleicht für ein ganz bestimmtes Bild gefunden ein paar Millimeter voneinander ab, aber im hatte. Und das setzte einen Dominoeffekt in Prinzip wussten wir immer sofort, wo wel- Gang: Mit einem Mal konnten wir ein zweiches Bild hingehört, auch wenn sich dieser tes Bild dazugruppieren, und es passte ebenProzess jeweils über mehrere anstrengende falls. Und so ging es weiter – und wir entTage hinzog. Das Wundersame an dieser Prä- schieden uns auch gegen einzelne Bilder. Mir sentation war für uns beide, dass uns diese wurde in diesem Prozess klar, dass in einer Bilder vertraut waren, wir sie teilweise seit Ausstellung von Ryman-Bildern einige vierzig Jahren kannten. Aber je nach Licht- Gemälde wie Anker funktionieren, die den einfall wirkten sie wie neue Werke auf uns. anderen Bildern ihre Plätze zuweisen. Fast konnte man von einem natürlichen Vorgang Wir waren sehr erstaunt! REVUE 55 sprechen, so stimmig löste sich zum Schluss ten beziehen – wie etwa die Serie der EagleTurquoise-Bilder. Damit erreichte er zweierlei. alles in Wohlgefallen auf. Einerseits schuf er Verknüpfungspunkte Jan Dibbets: Vielleicht liegt es ganz einfach innerhalb seines Werks, indem er es lautmadaran, dass er sein Leben lang an nur diesem lerisch archivierte. Andererseits tragen die einen Thema gearbeitet hat. Er hat es von Werktitel eine poetische Schönheit in sich, Grund auf studiert. Er ist tiefer als je ein die offensichtlich wird, wenn man die Namen anderer Maler vor ihm in die Malerei einge- einmal langsam und laut vorliest: taucht. Robert Ryman dürfte zu den wenigen Menschen auf diesem Planeten gehö- Winsor ren, die wirklich gewusst haben, was Malerei Avon eigentlich ist. Sein Leben war ein einziges Eagle Turquoise Delta Studium. Classico Suzanne Hudson: Und doch dauerte es bis Standard … zum Jahr 1967, bis Robert Ryman seine erste Einzelausstellung in der Galerie Paul Bianchini in New York bekam. Er stellte dort seine Bilderserie Standard aus, bei der er zum ersten Mal auf Stahl gemalt hatte – nur um ein Jahr später, 1968, mit der Bilderserie Classico, die er nach der gleichnamigen Papiermarke benannt hatte, mit weißer Farbe auf Zeichenpapier zu experimentieren, also mit einem im Unterschied zum Stahl ganz leichten, von einem Windhauch erfassbaren Medium. Jan Dibbets: Der Großteil seines Werks ent- Cordy Ryman: Oft betitelte er seine Bilder nach den Namen, die auf den Etiketten der Farbtuben standen. Eine Serie von Gemälden hat er nach dem Hersteller Winsor benannt: Winsor 5 oder Winsor 34. Gary Garrels: Bob Ryman lebt noch, aber er hatte einen schweren Unfall, bei dem er sich ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen hat. Vor ein paar Jahren ist er in seinem Haus die Treppe heruntergestürzt und hat es fast nicht überlebt. Er kann nicht mehr reisen, er kann nicht mehr wirklich malen, sein Leben ist seitdem extrem eingeschränkt. Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, war bei einem Lunch für Carl Andre in der Dia Art Foun dation. Ich war sehr überrascht, ihn dort zu sehen, aber es war ihm offenbar sehr wichtig dabei zu sein, denn Carl gehört zu den alten Weggefährten. Gerhard Richter: Als ich im Mai dieses Jah- DIE POESIE DES PRODUKTS stand vor dem Siegeszug des Internets. Um sich Materialien zu bestellen, hatte er einen mehrbändigen Katalog für Handwerksmaterialien abonniert, von dem er jedes Jahr eine neue Edition ins Studio geschickt bekam – das waren dicke grüne Wälzer mit tausenden von Seiten, in denen Hersteller ihre Produkte anboten, komplett mit Bezugsadressen, Preisen und Telefonnummern. Jeder erdenkliche Dübel, jede Schraube, jedes Metall und jede Farbe war darin aufgeführt. Das war seine Enzyklopädie, sein Whole Earth Catalog, und er verbrachte Stunden um Stunden damit, in ihm zu blättern. ein Fresko für mein Kunstprojekt in Italien zu machen, wohin ich seit beinahe vierzig Jahren Künstlerfreunde einlade, die dort in der Landschaft oder auch in Häusern Ideen realisieren. Und ich schlug ihm vor, dass er wie die alten Meister, wie Piero della Francesca, ein Graffito malen könne. Wir haben dann viel über die Idee geredet, aber da war er auch schon relativ wackelig. Wir wissen alle, dass er aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr reisen kann. Robert Ryman 1975 in der Kunsthalle Basel Gerhard Richter: Gemeinsam mit Blinky Palermo reiste ich 1970 zum ersten Mal nach New York. Es war klar, dass wir Robert Ryman besuchen mussten. So betraten wir sein Atelier. Vorher waren dort Theaterkulissen gemalt worden. Vor der Wand war ein großer Schlitz und dort konnte man Bilder rauf und runter lassen. Um ein großes Bild zu malen, musste Ryman also nicht auf die Leiter steigen, sondern er drückte einfach einen Knopf und ließ sich sein Bild zentimetergenau runterfahren. Das fand ich doch sehr imponierend. Suzanne Hudson: Er hat vielen seiner Gemälde Titel gegeben, die sich auf Pro- Egidio Marzona: Vor ungefähr fünf Jahren duktnamen von Farben oder sogar Bleistif- fragte ich Bob, ob er sich vorstellen könnte, REVUE 56 res für meine Ausstellung bei Marian Goodman in New York war, haben mich drei Ausstellungen mit dieser bekloppten Stadt versöhnt: Degas im MoMA, van Dyck in der Frick Collection und Ryman in der Dia Foundation. Fast alles in New York ist mittlerweile auf Unterhaltung ausgelegt, auch das MoMA ist ja weitestgehend ein schrecklicher Jahrmarkt geworden. Aber dann sah ich diese Ryman-Bilder! Sie erinnerten mich daran, was ich mir selbst für eine Kunstwelt erträumt und erhofft hatte. Als ich vor seinen Bildern stand, musste ich wieder an meine New-York-Reise mit Blinky Palermo denken, wie wir Ryman besucht haben. Er war ein wenig verschlossen. Ich war auch eher still, und mein Englisch war damals gar nicht gut. Und Palermo hat eh lieber schweigend herumgesessen und geraucht und getrunken. Viel geredet haben wir also nicht bei diesem ersten Besuch. Aber das mussten wir auch nicht. Und wie ich mich so erinnere, sage ich unumwunden: Robert Ryman ist der einzige lebende Maler, den ich ohne jede Einschränkung bewundere. ADMINISTRATOR 1985, Acrylplatte mit sechs Rundkopfschrauben, 122 × 122 cm MARY REID KELLEY DIE GÖTTIN DES GEMETZELS VON OLIVER KOERNER VON GUSTORF AUFMÜPFIGE LEICHEN UND QUASSELNDE KÖRPERTEILE: DIE KÜNSTLERIN MARY REID KELLEY TOBT AUF DEM SCHLACHTFELD DES WEIBLICHEN KÖRPERS UND HEBT DIE TRAGÖDIE ÜBER JEDE MORAL D a ist diese Aura von müheloser Sauberkeit, von pragmatischer Höflichkeit, die nur Amerikaner umgibt. Mary Reid Kelley und ihr Mann Patrick sehen mit ihren Hornbrillen und faltenfreien T-Shirts aus, als würden sie nie schwitzen. Unten, vor den Fenstern des Hauses der Berliner Festspiele sitzen Besucher in der Sommerhitze. Nur ab und an zerreißen Kinderschreie die träge Stille. Wüsste man nicht, dass die beiden Künstler sich hier in der Garderobe für ihre Performance gleich einem zweistündigen Make-up-Marathon unterziehen müssen, könnte man sie ohne Weiteres für junge US-Unternehmer halten, die in Berlin gerade ein Start-up gründen. Ein bisschen erinnern sie an die moderne Version des biederen Pärchens, das sich in The Rocky Horror Picture Show in das Schloss des Wissenschaftlers Frank N. Furter vom Planeten Transsexual verirrt. Doch es verhält sich genau andersherum. Tatsächlich ist Mary Reid Kelley die verrückte Forscherin. Und das, was die 1979 in Greensville, North Carolina, geborene Künstlerin mit ihrem Gatten und Arbeits partner anrichtet, gleicht einem Frankensteinlabor, in dem alles hingemetzelt wird: Körper, Kriege, Kunst, Mythologien, Sprache, Geschichte. This Is Offal heißt Kelleys Show, die sich an ein gleichnamiges Video anlehnt, das auf der Art Basel preisgekrönt wurde. Für das Performance-Festival „Foreign Affairs“ hat das Paar einen ganzen Seitentrakt des wunderbar modernistischen Hauses der Berliner Festspiele in eine schwarz-weiße Obduktionshalle mit einem psychedelisch karierten Fußboden verwandelt. Eine ähnliche Performance wurde zwar von der Londoner Tate Modern im Livestream übertragen, doch dies ist das erste Mal, dass die beiden wirklich vor Publikum auftreten. Sadie, the Saddest Sadist, 2009, Video mit Sie sei von Künstlerinnen wie Ton, 7:23 Minuten Hannah Wilke inspiriert, erzählt Kelley, AUFTAKTSEITE, links oben: The Syphilis of Künstlerinnen, die ihren Körper schoSisyphus, 2011, HD-Video mit Ton, nungslos einsetzen, aber dabei ganz klare 11:02 Minuten; links unten: Priapus Agonistes, konzeptuelle Vorgaben haben. „Ich 2013, Einkanal-HD-Video mit Ton, bin wirklich keine geborene Performerin, 15:09 Minuten; rechts oben: Mary Reid sondern eigentlich das Klischee einer Kelley, fotografiert von Sarah Brück; Malerin – eine, die nur ins Studio geht, um rechts unten: You Make Me Iliad, 2010, möglichst schnell die Tür hinter sich zu HD-Video mit Ton, 14:49 Minuten schließen.“ Bereits das Performen in ihren (alle Videos ab 2011 zusammen mit Videos sei eine echte Herausforderung, Patrick Kelley) REVUE 60 doch die Liveauftritte seien, auch nach dem dritten oder vierten Mal, noch viel gewöhnungsbedürftiger. Mary spielt, in einen Ganzkörperanzug gehüllt, die verweste Leiche einer Selbstmörderin, die in die Themse gesprungen ist. Patrick ist der alkoholisierte Gerichtsmedi ziner, der sie gelangweilt auseinandernimmt. Über dem Seziertisch schweben Monitore, auf denen sich die Organe der Toten streiten. Alle Rollen werden von der Künstlerin gespielt oder gesprochen. Herz, Hirn, Leber, ein abgetrennter Fuß, der in eine Schiffsschraube geraten ist. Offal, das sind die Eingeweide. Doch die Nähe zu awful, „schrecklich“, ist unüberhörbar. Kelley verhandelt die ultimative menschliche Tragödie, den Suizid, als Mischung aus Muppet Show, Splattermovie und Beckett’schem Endspiel. Die aufmüpfige Leiche und ihre quasselnden Körperteile verhalten sich wie nach einer Katastrophe: Sie beschuldigen und beschimpfen sich, weigern sich, die Realität zu akzeptieren, und schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die Situation zu. Dabei sprechen sie allerdings, als stünden sie auf einer Thea terbühne, und rezitieren Verse, die manchmal wie klassische Lyrik oder auch wie die Raps von Lil’ Kim klingen, die Kelley verehrt: „You’re the VP of Gore / You’re the Pollock of splatter.“ Es bleibt bei allen kunstvollen Wortspielen und obszönen Witzen jedoch offen, wer diese Frau nun war oder warum sie von der Brücke gesprungen ist. Da ist nur eine Ansammlung von Körperteilen, die, in Formaldehyd eingelegt, der Wissenschaft dienen oder die Fantasien von Medizinstudenten und Poeten beflügeln. Das könnte eigentlich ganz dem Kunstdenken der sogenannten Post-Internet-Generation entsprechen, die die Spekulation, die Wissenschaften, das Material, die Oberflächen liebt und den Menschen eher als biologisches denn als kulturelles oder historisches Wesen betrachtet. uch Kelley und ihr Partner kombinieren digitalen High-Tech mit klassischer Malerei und spielen in ihren Installationen und Performances die matten, handgemachten Flächen von Leinwänden und Kulissen gegen brillante Computeranimationen aus. Die Perfektion, A This Is Offal, 2016, HD-Video mit Ton, 12:51 Minuten, hier in der Performance 2016 im Haus der Berliner Festspiele schen Literatur des 18., 19. und frühen mit der Patrick Marys Gesicht unter Zeich20. Jahrhunderts – vom Lyriker Alexander nungen von Organen morpht oder fast dreidimensionale ätherische Animationsef- Pope, der die Ilias und die Odyssee übersetzte, bis zu den amerikanischen Moderfekte erzeugt, wäre vor wenigen Jahren kaum machbar gewesen. This Is Offal ist auch nisten Ezra Pound und T. S. Eliot. „Das Herz meiner Videoarbeit ist nicht die ein Stück High-Tech-Theater. Performance, sondern die Rezitation. Sie och für die, die bereits eine neue ist viel älter, weniger kinematografisch, Ära ausrufen, in der die Künste, in weniger Sitcom, eher theatralisch.“ Symbiose mit Technologie und Wissenschaften, die Moderne und Postmoderne oder gar den Kapitalismus über „ Sklaverei, Kolonialismus, winden, hat Kelley eine eher ernüchternde Botschaft: Die Moderne hat noch gar nicht Unterdrückung. Von diesen stattgefunden. „Ich glaube, dass wir Abscheulichkeiten haben immer noch in den Auswüchsen des 19. Jahrhunderts leben und uns eigentlich nie wir uns kaum wegbewegt“ wirklich darüber hinausentwickelt haben“, Kelleys historisches und literarisches Wissen sagt sie. „Die Moderne hat im Grunde ist immens. Es funktioniert wie ein viele viktorianische Ideen einfach nur neu Spiegelkabinett, in dem sich die unterschiedverpackt.“ lichsten Zeiten gegenseitig reflektieren, Würde man ihre Filme mit Körpern in dem man durch griechische Mythologie vergleichen, dann wäre Kelleys absolut artifizielle visuelle Welt das Fleisch, das an oder viktorianische Dichtung in die Gegenwart blickt. einem Skelett aus Text hängt – aus Auch This Is Offal ist vom Werk eines Gedichten, Dramen, Philosophie, wissenviktorianischen Autors inspiriert, von schaftlichen Essays. Die grundlegenden Thomas Hoods The Bridge of Sighs. Hood, Quellen findet sie dabei in der angelsächsi- D REVUE 61 ein enger Freund von Charles Dickens, schrieb das Gedicht 1844, um einen menschlicheren Blick auf die soziale und seelische Not von Frauen zu werfen. Darin zieht er eine (natürlich wunderschöne) Leiche aus dem Wasser und mutmaßt eher sentimental über die Ursachen für den Freitod wie etwa eine uneheliche Schwangerschaft. Diese wohlgemeinte Fürsorglichkeit birgt allerdings eine Schattenseite in sich, die ein anderer Lieblingsautor Kelleys, Edgar Allan Poe, 1846 in seiner Philosophy of Composition eher unfreiwillig beschreibt: Der Tod einer wunderschönen Frau sei zweifellos das poetischste Bild der Welt, da in ihm Tragik und Schönheit vereint seien. Diese chauvinistische Objektivierung des Frauenkörpers ist nicht nur in unzähligen viktorianischen Abbildungen der im Wasser treibenden Ophelia reproduziert worden, es setzt sich bis in die Gegenwart fort. In fast jeder Folge von CSI streift die Kamera nicht ohne Wollust über Brust und Beine von toten Schönheiten auf dem Obduktionstisch. Der weibliche Körper als Schlachtfeld für die immer wieder gleichen politischen, historischen und psychosozialen Machtspiele ist Kelleys Thema. In ihrer Trilogie Priapus Agonistes (2013), Swinburne’s Pasiphae (2014) und The Thong of Dionysus (2015), die sich mit dem Mythos des Minotaurus beschäftigt, geht sie bis in die Antike zurück. Modernis ten wie Picasso liebten dieses testoste ronstrotzende Wesen, halb Mensch, halb Stier, das in einem Labyrinth hauste. In Kelleys Version transformiert der Mythos zur gewaltsamen, hysterischen Nummern revue, in der auch das Kirchenvolleyballteam auftritt, dem sie als Kind zuschauen musste. Der Minotaurus wird zum weiblichen Monster, das als Loser im labyrinthischen Keller unter der Turnhalle haust, wo es wiederum die Verlierer der Volleyballturniere tötet. Der Minotaurus, sagt Kelley, ist all das, was an einem Kind nicht erwünscht und enttäuschend ist, das, was verbannt werden muss. Jeder Teil ihrer Trilogie ist einer Enttäuschung gewidmet, der Enttäu schung der Familie, des Sex, der Liebe – die allesamt zu männerdominierten Kriegs schauplätzen werden. elley folgt in ihren Arbeiten der letzten Dekade weiblichen Körpern und Rollenbildern durch die Zeit – von der Antike über das Frankreich des 19. Jahr hunderts und den Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. All diese unterschiedli chen Epochen spielen in ihren Videos und Performances in einem extrem künstlichen Setting, das an ein absurdes, slapstickarti ges Welttheater erinnert. In diesem Kosmos herrscht ein schier endloser Tag der Toten, ein „Día de los Muertos“, an dem fahles Licht auf die Geschichte fällt. Kelleys kalkweiß geschminkte Gestalten, ihre griechischen Helden, französischen Kokotten, die Harlekine, Bürger, Soldaten und Selbstmörderinnen sind allesamt Gespenster der Vergangenheit. Kelleys Filme gleichen Moritaten ohne Moral – es ist von Anfang an klar, dass es kein gutes Ende nimmt. Wer den extrem grafischen, fast comichaften schwarz-weißen Stil sieht, wird sich unweigerlich an die expressiven Stummfilme der Weimarer Republik, an Vaudeville, dadaistisches Theater oder frühe Wochenschauen erinnert fühlen. Der Geist der frühen Moderne schwebt über allem, der Aufbruch, aber auch die Gewalt. Sie sei in der gemeinsamen Arbeit mit K Patrick von Beginn an sehr von Fernand Légers kubistisch-grafischem Stil beeinflusst gewesen, sagt Kelley. „Wir machten sogar ein Adjektiv daraus. Ich sagte immer, da muss mehr léger sein oder wir müssen das légerifizieren.“ Léger kam auch ins Spiel, als sie 2008 mit einer Serie von Filmen begann, die sich mit der Rolle von Frauen im Ersten Weltkrieg auseinandersetzt. Anders als etwa für Otto Dix, erzählt Kelley, war für Léger, der bei einem Senfgasangriff beinahe ums Leben kam, der Krieg nicht Auslöser für einen brutalen, offen zur Schau gestellten Nihilismus. Inspiriert durch die Kriegs maschinerie begann seine période mécanique, in der Menschen zu Maschinen oder anony men Objekten werden, ihnen gleichen und ebenbürtig sind. „Er war nach dem Krieg überzeugt“, sagt Kelley, „dass er eine zutiefst erhabene menschliche Erfahrung gemacht hatte. Das lag auch an der Bindung zu seiner Einheit. Den Zusammenhalt zwischen seinen Kameraden empfand er als Liebe. Das hat sehr seine kommunistische Haltung geprägt und ihn zu der Überzeugung gebracht, dass Kunst erlösend sein kann. Eine merkwürdige Schlussfolgerung, die er da aus dem Krieg zog.“ „Léger war überzeugt, dass er im Krieg eine zutiefst erhabene menschliche Erfahrung gemacht hatte“ Kelley dreht diese modernistische Idee radikal um. Statt gesellschaftlicher Utopie gibt es Tripper. Die Krankenschwestern, Fabrikarbeiterinnen, Prostituierten, die sich in ihren Weltkriegsfilmen wie Sadie, the Saddest Sadist (2009) oder You Make Me Iliad (2010) für Geld, Vaterland oder Liebe aufopfern, sind Teil einer absolut ausbeute rischen Maschinerie, die Menschen wie Material verbraucht. Ein Buch, das sie besonders bei diesen Filmen angeregt habe, Von oben nach unten: Priapus Agonistes, 2013, Einkanal-HD-Video mit Ton, 15:09 Minuten (Bild 1 bis 3) Swinburne’s Pasiphae, 2014, Einkanal-HD-Video mit Ton, 8:58 Minuten (Bild 4 und 5) The Thong of Dionysus, 2015, Einkanal-HD-Video mit Ton, 9:27 Minuten (Bild 6 und 7) sei die 1930 erschienene Sittengeschichte des Ersten Weltkrieges, ein Spätwerk des Sexualforschers Magnus Hirschfeld. Darin beschreibt er den Krieg, auch wegen des Anstiegs der Prostitution, der enormen Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten und der hohen Scheidungs- und Abtreibungsraten, als „größte Sozialkatastrophe, die je über die zivilisierte Menschheit hineingebrochen ist.“ s ist unübersehbar, wie psychologisch aufgeladen Kelleys Weltkriegsfilme soziale Katastrophen schildern. Sie knüpft damit an eine theoretisch-erzählerische Tradition an, die in den 1970ern und frühen 1980ern in Deutschland mit Alexander Kluges Filmen oder Klaus Theweleits Essaybänden ihren Höhepunkt fand. Diese unterschiedlichen Werke setzten sich kritisch mit faschistischen Körper bildern und Geschlechterrollen auseinander, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Theweleits Männerphantasien beschäftigten sich anhand von unzähligen Romanen und Biografien der Freikorpsliteratur der 1920er-Jahre mit den Gewaltfantasien der Soldateska und stellten fest, dass sich deren Frauenbilder auf drei Typen reduzieren ließen: die Mutter, die „weiße Krankenschwester“ und die Hure. Letztlich gehe es den Soldaten, so Theweleit, jedoch gar nicht um die oft namenlosen Frauen, sondern um eine Herrschaft über die weiblichen Anteile in sich selbst. Ihre weichen, leidenschaftlichen, lebendigen und erotischen Elemente wollten die Freikorpskämpfer „ent-lebendigen“ und töten. In heutigen Zeiten, in denen immer mehr darüber gerätselt wird, ob es sich bei Attentaten um terroristische Anschläge oder um Taten von Psychopathen handelt, die sich in ihrem Männerbild verletzt sehen, bekommen diese Diskurse wieder neue, bedrückende Aktualität. Kelleys Filme mögen auf den ersten Blick bizarr, in ihren verschachtelten Anspielungen auf antike Sagen, viktorianische Poeten, Geschlechtskrankheiten, Geschwistermord oder dahinsiechende Pariser Grisetten makaber oder schrullig wirken. Doch tatsächlich konfrontieren sie uns mit einer enormen historischen Last. Die Liebe zur romantischen und zur dunklen, schauerlichen Dichtung des 19. Jahrhunderts und ihre Überzeu- E gung, dass die moderne Literatur nicht wirklich über die epischen Texte Swinburnes hinausgekommen ist, verbindet Kelley mit ganz grundlegenden Zweifeln an den Erzählungen vom immerwährenden Fortschritt, die unsere Gegenwart beherrschen: „Das 19. Jahrhundert ist auch Sklaverei, Kolonialismus, das Zermalmen der Unterdrückten unter den Stiefeln der Kapitalisten. Von diesen Abscheulich keiten haben wir uns kaum weiterbewegt.“ Sie sei in den Südstaaten als Tochter von Historikern aufgewachsen, erzählt Kelley, und dort sei man, ganz egal ob schwarz oder weiß, von klein auf mit der Geschichte und dem Erbe des amerikanischen Bürgerkriegs konfrontiert gewesen, mit Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit: „Bereits als Kind hatte ich ein Bewusstsein von dieser unglaublichen historischen Katastrophe, die sich in der Vergangenheit ereignet hatte.“ Immer wieder spricht Kelley von der enormen Peinlichkeit, die sie empfindet, wenn sie an ihren Filmen arbeitet, davon, dass Kunst wohl das Letzte sei, das die Welt erlösen könne. Doch ihr Werk, das es an ironischer Schärfe und Pioniergeist mit den Arbeiten von Cindy Sherman oder Kara Walker aufnimmt, macht deutlich, was Kelley so obsessiv antreibt: die Erkenntnis, dass wir vor unserer Geschichte nicht weglaufen können. VOM 10. SEPTEMBER BIS 19. FEBRUAR ZEIGT DIE KUNSTHALLE BREMEN A MARQUEE PIECE OF SOD. FILME ZUM ERSTEN WELTKRIEG VON MARY REID KELLEY Mary Reid Kelley, fotografiert von Sarah Brück WEISSR AUM Von Adolf Loos in die Kokain-Moderne Miamis: Eine kleine Kulturgeschichte des all-white room. Von MARGIT J. MAYER W enn heute in einer Wohnzeitschrift ein reinweißes Interior auftaucht, vergleicht es der Begleittext gern mit einem weißen Blatt oder blank canvas, auf dem sich die Kreativität der Bewohner so richtig schön entfalten könne. Das ist natürlich Tinnef. Denn erstens kann sich echte Kreativität überall entfalten und zweitens ist ein weißes Interior alles andere als blank. Als Stilseismograf par excellence hatte Cecil Beaton sogleich erkannt, was Syrie Maughams weißer Party Room vor allem war: eine Bühne Weiß ist die komplexeste Farbe – streng physikalisch ausgedrückt: Farbmischung – und in unseren Köpfen die widersprüchlichste. Wir verbinden damit Naivität, Leichtigkeit, Optimismus, Luxus, Sport und Kraft, aber auch Reife, Konzentration, Kontrolle, Dekadenz, Erschöpfung und Kapitulation. Im Westen gilt Weiß als eher feminin, während es in der chinesischen Philosophie dem Yang zugeordnet ist, also dem männli- 1933 GESTALTETE SYRIE MAUGHAM IHREN CREMEWEISSEN PARTY ROOM. NATÜRLICH MUSSTE CECIL BEATON DARIN SOFORT SEINE SCHWESTER chen, aktiven Prinzip. Es darf also nicht überraschen, UND BABA FOTOGRAFIEREN (LINKS) wenn reinweiße Räume in der Geschichte des Interiordesigns eine besondere Position einnehmen: eben die des weißen Elefanten. Ein Hingucker und Aufwecker. Als einflussreichster weißer Wohnraum des letzten Jahrhunderts gilt der Party Room, den Syrie Maugham 1932 in ham. Dessen Fertigstellung wurde am 6. April 1927 mit einer Mitterihrem eigenen Wohnhaus in der Londoner King’s Road eingerichtet nachtseinladung gefeiert, bei der man gern dabei gewesen wäre: Kellhat. Die prallen Sitzkissen der Sofas schimmerten wie ein Ballkleid, ner und Freundinnen der Gastgeberin trugen Weiß, während die ein Paravent mit Spiegelstreifen vervielfältigte die cremefarbenen Herren mit weißen Nelken im Knopfloch ihr Scherflein zur color Beistelltische von Jean-Michel Frank, dessen Möbel Mrs. Maugham coordination beitrugen. in London vertrat, und auch sonst bettelte das Ambiente geradezu Am nächsten Tag liefen bei der café society von Mayfair und nach Casablanca-Lilien. Die klarerweise mit im Bild waren, als Cecil Knightsbridge die Telefone heiß. Auch in der New Yorker Park AveBeaton dort seine Schwester Baba als Salon-Elfenkönigin fotogra- nue erfuhr man schnell vom neuen Wunderinterior jenseits des fierte. Als Stilseismograf par excellence hatte der junge Beaton gleich Atlantiks. Jedenfalls konnte Mrs. Maughams Dekorationsgeschäft erfasst, was dieser Raum eigentlich war: eine Bühne. Und eine Wer- „Syrie Ltd.“ danach nicht über einen Mangel an Aufträgen klagen. beanzeige für seine gute Freundin Syrie. Im Herbst 1929 erschienen in Harper’s Bazaar mehrere Fotos, auf Der einige Jahre zuvor entstandene White Room im selben Haus denen alles gut zu sehen war: die Vertäfelungen aus weiß gebeiztem war womöglich noch wichtiger für die Karriere der energischen Ehe- Holz, die mit weißem Leder bezogenen Stühle und weißen Brokatfrau des schwulen (fragen Sie nicht, die beiden wollten es so und eine vorhänge, nicht zu vergessen ein künstlicher Kamelienbaum mit Zeit lang funktionierte es bestens) Schriftstellers W. Somerset Maug- schneeweißen Porzellanblüten. REVUE 65 Das berühmteste weiße Schlafzimmer des 20. Jahrhunderts sollte später eine unrühmliche Rolle spielen – ausgerechnet in einem Pädophilie-Prozess den Studiohallen gar nicht mehr abgebaut wurden und von den Arbeitern nur BWS – big white set – genannt wurden.) Aber zurück zum realen Wohnen. Natürlich gab es schon vor Syrie Maugham in Häusern oder Villen weiße Räume, die weder Küche noch Bad waren. Der schotti sche Architekt Charles Rennie Mackintosh und seine Frau lebten ab 1906 in einem rundum weiß gestrichenen Interior, dessen Nachbau in der Hunterian Art Gallery in Glasgow besichtigt werden kann. Immer wieder landeten Jugendstilgrößen wie Mackintosh oder Josef Hoffmann bei fast weißen Räumen, wenn sie ihre Sitzgeome trien zum wohnlichen „Gesamtkunstwerk“ erweiterten. Doch ironischerweise gelang nur dessen schärfstem Kritiker, dem Wiener Architekten und Stilpublizisten Adolf Loos, eine weiße Interiordekoration im eigentli chen Sinne, also ein auf eine bestimmte Atmosphäre abzielendes Ambiente, in dem das Architektonische bloß Mittel zum Zweck ist. Das Schlafzimmer für sich und seine frisch angetraute junge Frau Lina, das Loos HEUTE ALS NACHBAU IN DER HUNTERIAN ART GALLERY IN GLASGOW ZU BEWUNDERN: 1903 in die historistischen Räume der DAS WOHNZIMMER VON JUGENDSTILMEISTER CHARLES RENNIE MACKINTOSH UND SEINER gemeinsamen Wohnung nahe der Wiener FRAU MARGARET VON 1906 Oper einpasste, war ein anachronistischer Geniestreich. Wände und Schränke ver atürlich konnte Hollywood die neue Feenspielart des Art déco schwanden hinter umlaufenden weißen Vorhängen, die den Raum nicht ungenutzt lassen: Bereits 1933 erlebte sie ihre Zelluloid- zum sinnlichen Kokon abstrahierten. Das Bett schwebte darin wie apotheose, und zwar mit dem Boudoir von Jean Harlow in ein Floß, umbrandet von weißen Fellteppichen und offensichtlich George Cukors Dinner at Eight. Die Stilwelt war eng vernetzt, und als nicht bloß zum Ausschlafen da. Auf den heutigen Betrachter wirkt Stardesigner von Metro-Goldwyn-Mayer wusste Cedric Gibbons dieses Schlafgemach so hippiehaft-hedonistisch, dass man am Ent garantiert vom zweifachen Wohncoup in Weiß jenseits des Atlantiks. stehungsjahr zweifeln würde, wäre es nicht durch ein damaliges Foto Um auf Schwarz-Weiß-Film ausreichend Kontraste zu liefern, sollen in Peter Altenbergs Privatzeitschrift Kunst belegt. Und eigentlich hät er und der Kostümdesigner Adrian bei Dinner at Eight absichtlich elf ten gerade in der Stadt Sigmund Freuds die Alarmglocken läuten verschiedene Weißnuancen kombiniert haben – Miss Harlows Platin müssen: Denkt man beim Anblick dieser Installation nicht unwillkür blond nicht eingerechnet. Das Ergebnis war ein Märchen für Erwach lich an die Fotos nackter Babys auf Eisbärfell, wie sie um 1900 üblich sene, das in der großen Wirtschaftskrise für einen Kinobesuch lang waren? In dem Pädophilie-Prozess, bei dem Loos in den 1920erFlucht aus der Realität bot. (Bei der gleichzeitig startenden Serie von Jahren wegen Unzucht mit Minderjährigen zu bedingter Haft verur Filmmusicals mit Fred Astaire und Ginger Rogers setzte RKO Pictu teilt wurde, spielte der Raum jedenfalls eine unrühmliche Rolle: Hier res ebenfalls auf spektakuläre Sets mit weißen Vorhangwänden, die in ließ der 57-jährige drei Mädchen von 8, 9 und 10 Jahren nackt und N REVUE 66 mit gespreizten Beinen posieren. Um sich angeblich im Aktzeichnen zu üben. Weshalb also wurde Weiß ausgerechnet um 1900 erstmals zur akzeptablen Wohnund Salonfarbe? Gut möglich, dass Reisen an die See eine Rolle spielten, die damals auch unter Nichtmillionären üblich wurden. Bootssegel, Gischt, Marmortempel und mediterrane Häuser – warum nicht etwas von diesem sauberen Feriengefühl ins Zuhause holen? Ganz sicher hatte es etwas mit der griechischen Antike zu tun. Oder vielmehr mit jenem Ideal von ihr, das hundert Jahre zuvor in Europas GipsabgussSammlungen geboren und in Künstlerateliers, Oberschulen und Gymnastikvereinen munter weitergesponnen wurde. (Elsie de Wolfe, die Urmutter der Interiordekoration im heutigen Sinne, soll beim Anblick des Parthenons in Athen ausgerufen haben: „It’s beige – my color!“) SAUBER, SAUBER: MÄDCHENSCHLAFZIMMER (1902), ENTWORFEN VON JOSEF HOFFMANN. HIER REKONSTRUIERT FÜR EINE SCHAU DER NEUEN GALERIE IN NEW YORK ielleicht waren es auch die Hussen. Jene hellen Schutzüberzüge, unter denen im ausgehenden 19. Jahrhundert die Möbel, Kronleuchter und die Wohnung betrat, muss gemerkt haben, dass sie auf einmal weitder Flügel einer Stadtwohnung verschwanden, wenn die Familie in läufiger, ja irgendwie jünger aussah als sonst. die Sommerfrische oder an die Riviera abdampfte. Wer in dieser Zeit Vor allem aber war Weiß ein Terrain, auf dem jene Frauen brillierten, die damals den Beruf des Interiordesigners erfanden: Töchter des Bürgertums in den USA und England, die eine frühe Ehe 1903 BAUTE ADOLF LOOS DIESES SCHLAFZIMMER IN DIE oder eine Kurzkarriere als Schauspielerin hinter sich gebracht hatten WOHNUNG EIN, DIE ER MIT SEINER JUNGEN FRAU IN WIEN BEZOG. und jetzt nach finanzieller UnabhänNACHBAU DES MAK WIEN gigkeit und einem gesellschaftlich akzeptierten Beruf strebten. Elsie de Wolfe, Ruby Ross Wood oder Syrie Maugham waren keine Träumerinnen, sondern weit gereiste Damen mit vermögendem Bekanntenkreis, schneller Auffassungsgabe und jeder Menge Chuzpe. Anders als die männlichen Architekten, die gleichzeitig das Nachäffen historischer Stile bekämpften und dabei zu missionarischer Überkonsequenz neigten, hatten diese kultivierten Damen kein Problem damit, bereits vorhandenes Mobiliar in ihre Umgestaltungen einzubinden. RokokoPastelle und Cremetöne bis hin zu Weiß erwiesen sich dabei als verlässliche Komplizen, deren Verwendung als Wandfarbe oder Möbellackierung obendrein viel weniger kostete (ein wichtiger Punkt am Start jeder Stilkarriere) als die Stofftapeten und Teppichschichten, denen diese Stilpionierinnen den Garaus machten. Sie alle liebten Paris, den Louis-XVI-Stil, Spiegelflä- V chen, Schachbrettböden aus Marmor, Zierelemente aus Gips und frische Rosen, die sie in ihren Räumen verteilten wie Coco Chanel ihre Perlen am Körper einer Frau. Während Mademoiselle CC das Schwarz der Dienstmädchenuniform in ein Modemuss namens little black dress für deren Herrinnen verwandelte, unternahmen Elsie, Syrie & Co. zur gleichen Zeit etwas ganz Ähnliches mit Weiß, der Farbe von Küche, Pantry oder Bügelzimmer. Soziologen nennen das Phänomen „umgekehrten Snobismus“, und er war womöglich der schärfste Pfeil, den Stilgöttinnen des 20. Jahrhunderts im Köcher hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren weiße Flächen so stark mit Hospitälern und Tod assoziiert, dass man lieber darauf verzichtete. Ein Schwall von Farben und eine völlig neue Musterwelt traten an, um die eben erlebte Katastrophe vergessen zu machen. rst in den 1970ern schwang das Pendel wieder zurück und landete bei einem Art-déco-Revival mit viel Beige und Cremeweiß. Am Ende der Dekade gestaltete Angelo Donghia für Ralph LauSURREALISMUS FÜRS TELEFONKABEL: DETAIL IN DER SUITE HOUSSÉE DE BLANC DES PARISER DESIGNHOTELS LA MAISON ren und dessen Familie ein Duplex an der Fifth Avenue, in dem sich CHAMPS-ÉLYSÉES, 2011 NACH KONZEPTEN DES MODEDESIGdie Disco-Ära von ihrer zivilisiertesten Seite zeigte: weiße Lofträume NERS MARTIN MARGIELA UMGEBAUT mit canvasbezogenen Sofas, grabsteinkantigen Coffeetables und großen Grünpflanzen. „Als würde ich auf einer Wolke schweben“, so beschrieb der Modedesigner das Wohngefühl in seiner Oase mit Central-Park-Blick. Die aufkommenden Eiswürfelresidenzen von US-Spätmoder- white interiors konnte es darin nicht geben – da war die Kunst vor. Ab nisten wie Charles Gwathmey und Richard Meier strahlten zwar im 1980 mutierten die Häuser der Reichen zu White Cubes mit Wohnfrisch gebauten Zustand außen wie innen in Schneeweiß, doch echte nebenfunktion, zügig wachsende Portfolios zeitgenössischer Kunst degradierten darin selbst massivste Sofas zur Nebensache. In der letzten Dekade vor der Jahrtausendwende gab das Wohnweiß schließlich alle Ambitionen hinsichtlich Unschuld auf. 1994 1994 UNTERTEILTE PHILIPPE STARCK DAS FOYER DES ART-DÉCOeröffnete in Miami South Beach das von Philippe Starck umgebaute HOTELS DELANO IN MIAMI BEACH MIT WEISSEN VORHÄNGEN, DIE DIE AIRCONDITION IN PERMANENTER LEICHTER BEWEGUNG HÄLT Hotel Delano. Orgienpalast (die Lobby mit haushohen Vorhängen, dank Gebläse in ständiger Bewegung) und Luxusklinik (Zimmer und Suiten, deren einziger Farbfleck aus einem Granny-Smith-Apfel bestand) verschmolzen darin zu einer Art Kokain-Moderne. Ungefähr gleichzeitig ließen die ganz in Weiß gehaltenen Showrooms des Pariser Modepoeten Martin Margiela in aller Welt stylenärrische Zeitgenossen zu „RAL 9016 Verkehrsweiß“ greifen und Bettlaken zu Hussen fürs häusliche Mobiliar umnähen. Und heute? Genau hundert Jahre nach Beaux-Arts-Gips in New York und Reformarchitektur in Europa ist Weiß wieder voll da im Interior, geschätzte zehn Millionen Blogs und Pinterest-Kollektionen zu dem Thema können nicht irren. Ob Niemeyer-Chic, neogustavianisch mit weiß lackierten Dielen oder Penthouse im iPhone-Look – abermals wehen Eskapismus und Feriensehnsucht durch diese Räume. Und wie schon bei Syrie Maugham bewahrt nur die hieb- und stichfeste Qualität der einzelnen Möbel, Stoffe und Objekte das Ganze vor dem Absturz in den Kitsch, der bei zu viel Weiß immer droht. Vom Sirenengesang des Status, der totalen Kontrolle und Abgehobenheit auf Wolke sieben, mit dem uns das white interior von Jugendstil bis Delano gelockt hat, ist in der individualistischen Bilderflut der Gegenwart jedenfalls nur mehr leises Geblubber geblieben. Die gesamtkunstwerkliche Idee von Alles-in-Weiß ist von der Villa de Style in die Köpfe der Silicon-Valley-Chefs umgezogen. Und wird dort jetzt endlich so richtig, richtig reich. E DIE QUEEN DER INTERIORDEKORATION WAR DAMALS 74 JAHRE ALT, MINDESTENS: ELSIE DE WOLFE AKA LADY MENDL EMPFÄNGT FOTOGRAF FRANÇOIS KOLLAR ZWISCHEN SATIN UND MARABUFEDERN (1939) Elsie de Wolfe und Co. machten die Farbe von Küche und Bügelzimmer salonfähig. Und den „umgekehrten Snobismus“ zum schärfsten Pfeil der Stilgöttinnen Günther Uecker, Strukturfeld, 1962 Ergebnis € 502 .100 Jetzt einliefern zu unseren Herbstauktionen 2016! Unsere Experten sind auch in Ihrer Nähe für Sie unterwegs. Alle Termine finden Sie online unter www.karlundfaber.de © Günther Uecker und VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Kunstauktionen seit 1923 Amiraplatz 3 80333 München +49.89.22 40 00 [email protected] ENCORE GEDRECHSELTES ELFENBEIN — — GR AN D PRIX — WERTSACHEN R AU KT IO NE N — BL AU K ALENDE — DER AUGENBLICK MEIN HOF, MEIN HOBBY Die Könige und Fürsten des Ancien Régime führten nicht nur Kriege und ließen die Muskeln spielen. Der liebste Zeitvertreib war ihnen das Drechseln von Elfenbein. Manche waren darin geachtete Meister – und lassen noch heute jeden Wunderkammer-Besucher sein weißes Wunder erleben M an hat sich das Bild sehr weiß vorzustellen. Weiß der Pokal aus Elfenbein. Weiß das damastene Tischtuch, auf den er gestellt wird. Weiß die Livree der Diener, die ihn aus dem Schrein geholt haben. Und dann stehen alle drumherum und beugen sich mit den gepuderten Perücken vor und klatschen in die Handschuhhände und jauchzen artig: „Ach, wie schön!“ Der Kaiser lächelt. Die Edelmenschen applaudieren. Hat er doch das Wunder auf dem Damasttischtuch höchstselbst vollbracht. Damals war er noch im Discoalter, stand an der Drehbank, hat vorsichtig ein Stück Elefantenstoßzahn eingespannt und gespänt, bis das zarte Gefäß die notariell beglaubigte Güteklasse erreicht hat: „Dies Kandl haben Ihro Gnaden Erzherzog Leopold Ignaz mit eigener Hand gemacht, Anno 1654.“ Es war eine Freude im Hause Habsburg in Wien, wie sie allerorten in Europa Freude hatten an Drehbänken und exotischen Hör- Höfische Elfenbein-Drechselpokale, Deutschland, 16.–17. Jahrhundert, Höhe 22–37 cm nern, an drechselnden Kronprinzen und Deckeltöpfchen – bei den Fürsten von Liechtenstein und den Herzögen von Bayern, Coburg, Eisenach, Sachsen-Weimar, beim Kurfürsten in Dresden und vor allem bei Rudolf II. am kunstüberschwänglichen Hof in Prag. Selbst in Florenz war die Mode angekommen. Zar Peter der Große war begeisterter Drechsler. Und am schwedischen Königshof surrten die Maschinen so emsig wie bei den Bourbonen in Paris. Überall wurde die mannbare Jugend ans wertvolle Material gelassen, und überall sammelte man die hübschen Dinge aus Elfenbein, versteckte sie in den Schatz- und Wunderkammern, stellte sie zur gemeinsamen Abendunterhaltung auf den Tisch und ergötzte sich an Bewunderung und Neid der geladenen Gäste. Wunderliches Hobby, das vom frühen 16. bis ins 18. Jahrhundert hinein kaum an Attraktion eingebüßt hat. Die KulturgeENCORE 71 schichte hat es erst relativ spät entdeckt. Lange ließ man nur die Schnitzerei, die preziöse Kleinplastik aus Elfenbein gelten. Das famose Genre, in dem es vielbeschäftigte Künstler wie Lorenz Zick, Georg Wecker, Lorenz Spengler oder Daniel Vading zur großen Meisterschaft gebracht haben. Dass solche Virtuosen ihres Fachs zugleich aber als „Kammerdrechsler“ da und dort in fürstlichen Diensten standen, in Werkstätten, ausgerüstet mit Drehbänken – den seinerzeit teuersten Apparaten, Spitzenerzeugnissen der barocken Maschinenkunst –, und an ihnen dilettierenden Höflingen die Hände führten, um mit ihnen einen angeberischen Schauhumpen zu fräsen, das alles ist eher belächelt worden. Diese freien, bizarren Gebilde, deren Formen sich zuweilen an Gebrauchsgegenständen orientieren, die aber ganz offensichtlich zu keinem anderen Zweck gedrechselt worden sind als zum Beweis handwerklicher Könnerschaft, sie waren in der Geschmacksgeschichte nicht richtig unterzubringen. Zumal der Riesenaufwand in keinem Verhältnis zur möglichen Funktion stand. Man denke nur an die sogenannten Contrefait-Kugeln, die aussehen wie Miniaturen von Weltraumkapseln der ersten Generation. Hochkomplexe sphärische Aufsätze aus ineinander verschachtelten geometrischen Hohlkörpern, die als Gehäuse kleiner Bildchen dienten, die man durch die eingeschnittenen Gucklöcher betrachten konnte. Wunderschön gemacht, aber auch ein bisschen kurios. Und heute, seit man mit wunderschön und kurios viel freier umgehen kann, stehen die Leute vor den Schalen, Bechern, Dosen, Leuchtern, Säulen und dreimastigen Prunkschiffen, wie sie im Grünen Gewölbe in Dresden, im Palazzo Pitti in Florenz oder im Kunsthistorischen Museum in Wien aufbewahrt werden, und würden die Nasen an die Scheiben drücken, wenn sie dürften. Kein Mensch fragt heute noch nach Sinn und Zweck. Die skulpturalen Gegenstände erscheinen so fantastisch in der Ausführung, so spektakulär in ihrer kostbaren Nutzlosigkeit, dass der Hochmut der Kunsthistoriker nicht mehr verfängt. Das Programm war revolutionär: Handwerk am Hofe, das war nichts weniger als Einübung in die technische Beherrschung der Welt Es ist vor allem Klaus Maurice, dem besten Kenner der Drechselkunst, zu verdanken, dass sich das Bild gewandelt hat. Er hat als Erster den „drechselnden Souverän“ ernst genommen und auf die „ästhetische Bedeutung von Naturwissenschaft und Technik“ verwiesen. Und er bestimmt bis heute den Forschungsstand und hat im Münchner Kunsthändler Georg Laue einen Partner gefunden, der ihm in Theorie und Praxis folgt. Laues eigene Kunstkammer bietet grandioses Anschauungsmaterial für die denkwürdige Verbindung von Macht und Kunst. Man kann sich ja kaum vorstellen, dass die überaus fragilen Gebilde die Jahrhunderte des drechselnden Souveräns überlebt haben. Und doch tauchen, wie Georg Laue erzählt, jedes Jahr wieder Einzelstücke auf, die auf dem Sammlermarkt heiß begehrt sind. Laue, der sich europaweit einen Namen als Experte für gedrechseltes Elfenbein gemacht hat, konnte 2005 eine komplette Sammlung gedrehter Kostbarkeiten an den Schraubenmilliardär Reinhold Würth vermitteln, die heute als Leihgabe im Bode-Museum in Berlin ausgestellt ist. Dass die seltene Kunst ihren Preis hat, versteht sich. Ein Elfenbeinpokal von Georg Burrer, den Georg Laue im Angebot hat, ist auf 280.000 Euro geschätzt. Kleinere Dosen sind bereits ab 5.000 Euro zu finden, während sich die stattlichen Drechselobjekte nicht selten im sechsstelligen Bereich bewegen. So wurden etwa bei Sotheby’s im Jahr 2011 Einzelstücke aus der Sammlung Safra versteigert, die zwischen 50.000 und 600.000 Euro erzielten. o gesehen könnte man von einer durchaus nachhaltigen Partnerschaft zwischen Kunst und Adel sprechen. Immerhin ist es der einzig bekannte Fall in der langen Geschichte des Hofkünstlers, dass seine Anwesenheit und sein Einfluss zur kunsthandwerklichen Selbstbeschäftigung der vermögenden Auftraggeber geführt haben. „Von Kurfürst August von Sachsen“, erzählt Laues wissenschaftliche Mitarbeiterin Virginie Spenlé, „ist beispielsweise bekannt, dass er eine Drechslerwerkstatt direkt über seiner Kunstkammer eingerichtet hatte. Dort arbeitete er Seite an Seite mit Künstlern wie Georg Wecker und brachte Pokale hervor, die bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts in die kurfürstliche Kunst- und Wunderkammer eingingen. Dort versinnbildlichten sie die Exzellenz des Landesherrn als fähiger Handwerker und in Analogie dazu als guter Regent.“ Dabei bleiben die „fürstlichen Drechseleien“ ja erstaunlich genug, wenn man in ihrer kooperativen Entstehung nicht gleich die Sinnstiftung guter Regentschaft sieht. Man kann sich auch mit der Mode zufriedengeben, die den Landesherrn ebenso ziert wie der Ausweis fähiger Handwerkerschaft. Noch für die neuplatonisch gebildeten Lehrer an den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Höfen wäre es gänzlich unvorstellbar gewesen, dass ihre jungen Fürsten Hand an ein Werkstück legen könnten – zumal wenn dafür der Einsatz einer Maschine erforderlich war. Das pädagogische Curricu- S ENCORE 72 Elfenbein-Deckelpokal mit den Initialen von Herzog Christian Albrecht von Schleswig-HolsteinGottorf, wohl Nürnberg, um 1685, Höhe 51 cm lum sah neben der Reit- und Fechtkunst das Studium antiker Autoren und christlicher Traktate vor. Und wenn überhaupt ein „Handwerk“, dann hatte der männliche Nachwuchs das Kriegshandwerk zu erlernen. Das änderte sich, als mit der kopernikanischen Wende der Himmel über der Erde aufging und die Welt weit wurde, wie sie nie gewesen war. Jetzt brauchte man zu ihrer Erkundung technische Hilfsmittel. Fernrohre, Mikroskope, Uhren, Messgeräte. In rasantem Tempo schuf die Technik immer raffiniertere Instrumente, die dem Menschen das Wissenwollen erst möglich machten und ihn in die Lage versetzten, die Weltstoffe in einer Exaktheit und Feinheit zu bearbeiten, dass man noch heute den Atem anhält. Und wenn die Renaissance auch noch einmal die Feier des Alten in ihr höfisches Zeremoniell aufnahm, dann interessierte jetzt mehr und mehr das Neue. Und die Bildungsziele begnügten sich nicht mehr mit Christentum und Antike, sie schlossen die modernen Wissenschaften mit ein. rasmus von Rotterdam, einer der Scharfsinnigsten unter den Humanisten, schrieb 1516 in seiner Anweisung zur Fürstenerziehung: „Man soll es nicht für schandbar halten, wenn wohlhabende Bürger oder Patrizier ihre Kinder zum Erlernen eines Handwerks anhalten: Die jungen Leute werden durch das Arbeiten von Schlechtigkeiten aller Art ferngehalten, und sollte schon das Handwerk nicht ausgeübt werden, so hat die Lehrzeit doch auch nicht geschadet.“ Wer da nur die ranzige Moral heraushört, verkennt das eigentlich Revolutionäre im Programm. Mit Handwerk ist ja nicht die unstandesgemäße Dienstleistung gemeint. Handwerk ist hier ein anderes Wort für Präzision, Geduld, Kennerschaft, für all die Fertigkeiten, die das wissenschaftliche Selbstverständnis der neuen Zeit begleiten. Und Handwerk am Hofe, das ist nichts weniger als Einübung in die technische Beherrschung der Welt. Die Drehbank war dafür ein starkes Symbol, das stärkste womöglich. Noch immer steht man vor diesen Präzisionsmaschinen, je nach Laune und Portefeuille sachlich, rustikal oder rokokomäßig verziert, wie vor all den weißen Wundern, die auf und mit ihnen entstanden sind. Es hat gar keinen Sinn, dass einer versucht, uns zu erklären, wie der Vortrieb funktioniert und wo genau der „Passichtdrehstuhl“ angebracht ist. Das wäre so hoffnungslos wie die Vorstellung, was sich im Innern unseres Smartphones tut. Es sind Wunderwerke der Technik, die mit der Zeit immer perfekter geworden sind. Am Anfang, das versteht man gerade noch, bewirkte die Tretbewegung, dass sich die Spindel oben vor- und zurückdrehte. Auch damit ließ sich arbeiten. Aber als man daranging, den Antrieb über eine Kurbelwelle zu lenken, ging es mit der einen, endlich dauerhaften Drehrichtung entschieden besser. Und so folgte eine Erfindung auf die andere. Und mit den Erfindungen war es wie mit den Entdeckungsreisen. Sie haben das Konsumverhalten verfeinert. Aus den sagen- E haften Dämonen und wilden Weltrandbewohnern waren beschreibbare Dickhäuter geworden, deren gewaltige Zähne und Hörner als begehrte Importware galten. Was genau es war, was das teure Elfenbein zum Lieblingsmaterial der höfischen Auftraggeber und Sammler gemacht hat, lässt sich heute nicht mehr sagen. Jedenfalls löste es in den Vitrinen der noblen Häuser die Kleinbronze ab, die ein wenig kommun, kaum noch aufregend geworden war. Irgendwie ließ sich mit den artifiziellen ElfenbeinDrechseleien ungleich besser Pracht und Macht demonstrieren, und es ist fast abenteuerlich, wie viel Geld, Kunstsinn und mäzenatische Passion man auf die Liebhaberei verwandte. Das Auffallendste an der Liebhaberei bleibt allemal die kunst-, aber schwerlich artgerechte Strapazierung des Materials. Wie da fast durchsichtige Dünnwandigkeit, fragile Verzierungen und millimetergenaue Geometrie vergessen machen, dass es eine Naturform war, aus der sie herausgedreht worden sind, eine Naturform, die halt nicht länger und nicht dicker und nicht gerader gewachsen ist. Und wenn man an eines dieser großen Schiffe denkt, bei dem der Rumpf aus einem Stück gearbeitet ist und die Schiffsmasten und -segel sowie der Fuß aus zwei anderen Stücken, dann ist man gleichsam Trinkschiff aus der Werkstatt von Lorenz Zick, Nürnberg, 2. Hälfte 17. Jahrhundert, Höhe 26 cm ENCORE 73 Augenzeuge, wie Berufsstand und Liebhaberstand in Tateinheit mit exzellenter Maschinenkunst gegebene Grenzen überschreiten und den elfenbeinernen Skulpturstoff in etwas verwandeln, um das selbst der stoßzahnberaubte Elefant mit Ehrfurcht herumgeschlichen wäre. Übrigens brauchte es dazu auch keine besondere künstlerische Begabung, kein Genie. Es genügten Training, Geschick, Einsicht ins Maschinensystem und gute Lehrbücher, die sich ganz ausdrücklich an die herrschaftliche Klientel richteten. Und wenn das alles erfüllt war, dann sieht der Pokal des Fürsten auch nicht anders, schlichter, kunstloser aus als der des Meisterdrechslers. Das ist noch zu wenig bedacht worden, wie hier in den höfischen Werkstätten der eigentlich unüberwindliche Abstand zum Künstler als Ausnahmemensch gegen Null schrumpft. Gefragt ist ja nicht virtuose Eigenständigkeit, wie sie dem Dilettanten beim Zeichnen oder Malen nie gelingt. Der Drechsler hält sich strikt ans vorgegebene Programm. Der drechselnde Souverän so gut wie der drechselnde Künstler. uf einem etwas einfältigen Porträtgemälde aus dem Jahr 1765 sitzt Kurfürst Max III. Joseph von Bayern an der Drehbank und dreht sich um, als wollte er Graf von Salern, der sich hinter ihm auf die Stuhllehne stützt, zeigen, was er gerade Schönes gedreht hat. Das Fenster steht weit offen. Das Hündchen hält still. Wenn man nicht wüsste, dass es der drechselnde Souverän ist, könnte man auch an einen Mann an der Nähmaschine denken. Jedenfalls ist es ist ein sehr friedliches Bild. Aber wie immer währt der Frieden nicht ewig. Und Moden kommen auch wieder aus der Mode. Als man im 18. Jahrhundert lernt, mit Porzellan so geschickt umzugehen wie mit Elefantenstoßzähnen und Rhinozeroshörnern, rüsten die Wunderkämmerer in Europa abermals um. Und jetzt prangt eine chinesische Vase auf dem Abendtisch. Und alle stehen drumherum und beugen sich mit den gepuderten Perücken vor und klatschen in die Handschuhhände und jauchzen artig: „Ach, wie schön.“ Und niemand kann mehr sagen, dass er das Wunder auf dem Damasttischtuch höchstselbst vollbracht habe. A TEXT: HANS-JOACHIM MÜLLER ELFENBEIN GEDRECHSELTES RTSACHEN — — GRAND PRIX — WE — BL AU K ALENDER A U K TI O N EN — DER AUGENBL ICK GRAND PRIX WEISSER FLECK Die Kunst verlässt Istanbul. Jetzt wollen ehr häufig hört man zurzeit die Frage: Fährst du noch nach Istanbul? Immer häufiger alle nach lautet die Antwort: „Nein, die Situation ist viel zu unberechenbar. Die Lage ist aussichtslos. Außerdem weiß ich überhaupt nicht, wer gut und wer böse ist.“ So schnell Teheran. Ein wie die umherwandernde Gegenwartskunstszene Istanbul ihre Liebe erklärte, so schnell Appell an scheint die Zuneigung nun versickert im Angesicht der Menschen auf den Straßen, die Erdogan mit nationalistischen Parolen ihre Gefolgschaft schwören. Istanbul war lange ein weißer Fleck auf untreue der Karte der Kunst. Anders als in der Musik oder Literatur brauchte die Stadt hier länger – dann aber wurde sie gefeierte Nachfolgerin von Berlin, und die in Übertreibungen verliebte Kunstwelt Sammler flippte völlig aus. Künstler zogen dorthin, die Galeristen reisten nach, dann die Sammler und KuraTEHERAN IST DAS NEUE ISTANBUL: SHADI GHADIRIANS LIKE EVERY DAY #16 VON 2000 S toren. Und die heimischen Künstler dachten: Alles ist möglich. Auf der Istanbuler Biennale spürte man einen neuen, ungewohnten intellektuellen Kunstwillen, der mit aller Macht in eine freie Zukunft steuerte und sich bei den Demonstrationen im Gezi-Park entlud. Man war fest davon überzeugt, dass ein Land mit einer solchen – auch künstlerischen – Energie zum Widerstand sich nicht unterkriegen lassen würde. Doch mit der Euphorie der Mutigen kam die Ernüchterung. Vor einem Jahr hätten ihnen die Amerikaner und Europäer die Türen eingerannt, sagt die Mitarbeiterin eines deutsch-türkischen Kulturprojekts in Istanbul. Jetzt sei es still geworden. Frage man nach, wichen die Sammler aus. Sogar die Künstler kämen nicht mehr. Ist Istanbul wieder der weiße Fleck auf der Kunstlandkarte? Wo sind all die Sammler hin? Die Kuratoren? Und die Künstler? All jene, die im vergangenen Jahr noch gemeinsam auf den Jachten mit Blick auf den Bosporus die BiennaleEröffnung feierten? Sie haben sich abgewandt. Jetzt ist Istanbul für sie gefährlich. In Europa und den USA hört man nun eine andere Frage: Bist du schon in Teheran gewesen? Und die Antwort ist häufig: Ja, natürlich. Zurzeit schießen dort die Kunstprojekte aus dem Boden – politisch gefördert wie einst in der Türkei, die für die EU fit gemacht werden sollte. Die iranischen Künstler kennen die Erfahrung, vergessen zu werden, auch. Während ihrer Grünen Revolution 2009 wurde jeder kleinsten Botschaft in Form von Kunst gehuldigt. Nach der brutalen Niederschlagung gingen sehr viele Künstler ins Exil. Wurden gefeiert, hoch gehandelt und erzählten stellvertretend für die Zurückgebliebenen vom brutalen Regime. Die aufkeimende Kunst im Land aber ist erstickt. Das darf jetzt in der Türkei nicht passieren. Die Saat ist noch zu frisch. Einzige Rettung wären die Sammler, die ihren Künstlern auch aus der Ferne treu bleiben und immer wieder Werke ankaufen. Für diese Unterstützung müssen sie nicht reisen. SWANTJE KARICH ENCORE 74 IM MARTIN-GROPIUS-BAU PINA BAUSCH und das Tanztheater 16. September 2016 – 9. Januar 2017 in Berlin Veranstalter: Eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland MARTIN-GROPIUS-BAU Niederkirchnerstraße 7 · 10963 Berlin In Kooperation mit der Pina Bausch Foundation, Wuppertal Medienpartner Laurent Philippe, Aufführung des Pina Bausch-Stücks „Vollmond”, Wuppertal, Mai 2006, Fotografie © Laurent Philippe ei itt fr Eintr Jahre bis 16 REZA DERAKSHANI 21.08.2016 – 16.10.2016 Kunstsammlungen Chemnitz MuseuM Gunzenhauser Falkeplatz | 09112 Chemnitz | www.kunstsammlungen-chemnitz.de abb.: Reza Derakshani | Black Water, 2016 | Öl und lackfarbe auf leinwand | 153 x 183 cm Foto: Reza Derakshani © 2016 Reza Derakshani Anzeige 103 x128 BLAU 2016.indd 1 www.museum-ludwig.de WIR NENNEN ES LUDWIG 27.08.2016 – 08.01.2017 19.07.16 16:52 WERT SACHEN ELFENBEIN GEDRECHSELTES RTSACHEN — — GRAND PRIX — WE — BL AU K ALENDER A U K TI O N EN — DER AUGENBL ICK UNTER FREUNDEN Was uns gefällt: Highlights und Abseitiges aus dem Angebot des Kunsthandels Brollo Collection 14. September bei Artcurial in Paris Der Sammler Frédéric Brollo lernte Diego Giacometti als Kind kennen. Sein Vater nahm ihn mit ins Atelier des Künstlers. Der Bruder von Alberto Giacometti brachte es mit seinen eigenwilligen skulpturalen Möbeln, storchenbeinigen Tischen, Hockern und Kerzenständern zu Weltruhm. Sie werden heute für hohe Beträge gehandelt. Der junge Frédéric aber war besonders eingenommen von Diegos Gipsen, die in ihren flackernden Silhouetten etwas Skizzenhaftes haben. Das 32 Zentimeter kleine sich aufbäumende Pferd schenkte ihm Diego nach dem Tod des Vaters (Taxe 6.000 bis 8.000 Euro). MÜ STARMAN MIT BLITZ Sein und Nichts David Bowie, weißhäutig, mit kupferrot-hochgestylter Frisur und aufgeschminktem Blitz, der sein Gesicht in zwei Hälften teilt – das Bild ist eine Ikone. Bowie war eben nicht nur Bowie, sondern auch Ziggy Stardust, eine Sci-FiKunstfigur zwischen Glam-Rock und Prä-Punk und total Prä-PostInternet. Es war der Modefotograf Brian Duffy, der Bowie 1973 für das Albumcover von Aladdin Sane so in Szene setzte. Ein Elvis-PresleyStyling inspirierte Bowie angeblich zu dem Blitz, doch wahrscheinlicher ist wohl der Einfluss des japanischen Modedesigners Kansai Yamamoto auf den Musiker. Sicher Made in Britain ist: Bands wie Kiss sind ohne diesen 28. September bei Sotheby’s Look nicht denkbar (Auflage 100; in London Taxe 8.000 bis 12.000 Pfund). GB Lange war die amerikanische Künstlerin Agnes Martin (1912–2004) ein Geheimtipp, Leslie Waddington ihre Kunst ist pures Understatement. Collection „Ich habe keine eigenen Ideen“, sagte sie 4. Oktober bei einmal. „Mein Geist ist leer, um das zu Christie’s in London tun, was die Inspiration mir sagt.“ Was für eine klare Bildwelt aus dieser Haltung hervorgegangen ist, konnte man zuletzt in London und Düsseldorf bewundern. Und nun erscheint endlich Nancy Princenthals wunderbare Biografie auf Deutsch. Wenn Christie’s also ihr Gemälde Praise (1985) aus der Leslie Waddington Collection versteigert, geschätzt auf 2 bis 3 Millionen Pfund, dann wird ein Bild angeboten, das in seiner sanften, spirituellen Konzentration zum Besten zählt, was dieser Herbst bietet. Mit Acryl und Churchills Markenzeichen war Bleistift hat Martin ihre Linien gezogen – der Bowlerhut und die Zigarre. Dass er es auch cooler konnte, zärtlich und doch entschieden, auf dafür steht der Stetson von 1929. Er trug den Hut in Out of the Ordinary einer körpergroßen Fläche von Frankreich, wo er seinem Hobby, der Malerei, 14. September bei 185 mal 185 Zentimetern. GB nachging (Taxe 4.000 bis 6.000 Pfund). SWKA Christie’s in London CHURCHILLS HUT ENCORE 76 EINE AUSWAHL der BLAU REDAKTION AUKTIONEN 14. SEPT. CHRISTIE’S IN LONDON Out of the Ordinary 14. SEPT. ARTCURIAL IN PARIS Brollo Collection 19. SEPT. DOROTHEUM IN WIEN Jugendstil und angewandte Kunst des 20. Jahrhunderts 21. SEPT. LEMPERTZ IN KÖLN Gemälde und Zeichnungen 15.–19. Jahrhundert GALERIE HENZE & KETTERER 22.–24. SEPT. KOLLER IN ZÜRICH Kunst, Antiquitäten und Bücher 23./24. SEPT. VENATOR & HANSTEIN IN KÖLN Moderne illustrierte Bücher, alte und moderne Grafik 24. SEPT. STAHL IN HAMBURG Kunst und Antiquitäten 28. SEPT. NEUMEISTER IN MÜNCHEN Alte Kunst 28. SEPT. SOTHEBY’S IN LONDON Made in Britain 29. SEPT. DOROTHEUM IN WIEN Meisterzeichnungen und Druckgrafik bis 1900, Aquarelle, Miniaturen 4. OKT. CHRISTIE’S IN LONDON Leslie Waddington Collection MESSEN UND FESTIVALS von SEPTEMBER bis DEZEMBER 2.–4. SEPT. DC OPEN in Köln und Düsseldorf: Galeriewochenende 9.–11. SEPT. OPEN ART in München: Galeriewochenende 9.–11. SEPT. SAISONSTART in Frankfurt: Galeriewochenende »Brücke« Expressionismus Heckel Kirchner Mueller Nolde Pechstein Schmidt-Rottluff 12./13. SEPT. KUNSTHERBST in Hamburg: Galeriewochenende 13.–18. SEPT. BERLIN ART WEEK – ABC Kunstwoche 22.–25. SEPT. VIENNACONTEMPORARY in Wien: Gegenwartskunst 6.–9. OKT. FRIEZE LONDON und FRIEZE MASTERS Alte Meister bis Gegenwartskunst 20.–23. OKT. FIAC in Paris: Klassische Moderne bis Gegenwartskunst 26.–30. OKT. HIGHLIGHTS in München: Kunst und Antiquitäten 4.–6. NOV. ARTISSIMA in Turin: Gegenwartskunst 12.–15. NOV. PARIS PHOTO Fotografie 17.–20. NOV. COLOGNE FINE ART in Köln: Kunst und Antiquitäten 1.–4. DEZ. ART BASEL MIAMI BEACH Klassische Moderne bis Gegenwartskunst wichtrach/bern www.henze-ketterer.ch riehen/basel www.henze-ketterer-triebold.ch ELFENBEIN GEDRECHSELTES RTSACHEN — — GRAND PRIX — WE — BL AU K ALENDER A U K TI O N EN — DER AUGENBL ICK KAI ALTHOFF MOMA NEW YORK 18.09.2016 – 22.01.2017 Unsere TERMINE im September SEURAT, SIGNAC, VAN GOGH Albertina, Wien 16.09.2016 – 08.01.2017 MAGALI REUS STEDELIJK MUSEUM, AMSTERDAM 10.09.– 27.11.2016 Unt itle d , 19 97 „Lieber Kai, Du hast uns persönlich und als Institution herausgefordert, und es war nicht leicht, Deinen Wünschen und Erwartungen nachzukommen.“ Glenn Lowry, Direktor des New Yorker MoMA, ist trotz dieser Worte im Vorwort des Katalogs der wohl glücklichste Museumsdirektor der Welt. Denn Kai Althoff das Haus zu überlassen, damit der dort seine eigene Großausstellung einrichtet, ist ein Coup. Und Althoff einer der rätselhaftesten, unbestechlichsten und faszinierendsten Künstler unserer Zeit. Geboren 1966 in Köln, zelebrierte seine Band Workshop eine Art coolen Romantizismus. Eine ähnliche Stimmung kommt in Althoffs Installationen, Skulpturen und Gemälden auf: ein Stilmix aus melancholischen, häuslichmorbiden Welten, die auf sehr gegenwärtige Art an Märchen, Traumsequenzen oder Jugendzimmer erinnern. gb BLAU K ALENDER ROBERT DELAUNAY Akte und Ibisse, um 1907 Er war ein Zeichner von Gnaden. Inniger als Georges Seurat hat nach Rembrandt keiner aus Licht und Schatten Stimmung gemacht. Der Maler, der er vor allem sein wollte, ließ sich von der zeitgenössischen Wissenschaft der Farben anregen, vertiefte sich in die Theorien des „Simultankontrastes“, um dann an einem Dutzend bald weltberühmter Bilder zu arbeiten, die ihre Figuren und Gegenstände aus unzähligen kleinen Farbtupfen modellieren. Die Tupfenkunst hat unter dem Namen Pointillismus bald Schule gemacht. Paul Signac, Théo van Rysselberghe, aber auch ein Impressionist wie Camille Pissarro ließen sich von den Sensationen der neuen Malweise begeistern. Nun begibt sich eine große Ausstellung, die die Wiener Albertina vorbereitet, noch einmal auf den Weg vom Tupfen zum Rasterpunkt, verfolgt den Pointillismus über van Gogh ins 20. Jahrhundert hinein und entdeckt Spuren selbst bei Paul Klee und Piet Mondrian. MÜ ENCORE 78 Klappstühle, Kühlschränke, Abtropfsiebe – bei Magali Reus werden sie zu dysfunktionalen Prothesen. Was uns als Alltagsdesign aus Plastik vertraut ist, bekommt plötzlich ein zweites Gesicht. Ihre Zwitterwesen gestaltet die 1981 geborene Niederländerin ziemlich detailversessen. Readymades gibt es bei ihr nicht. Reus baut alles selbst, verschmilzt aber die Ästhetik des Selbstentwurfs mit der von Massenproduktion. Im ersten Moment denkt man daher an Industriedesign. Doch weil die Künstlerin ihren Objekten die Gebrauchsgrundlage entzieht, sie verfremdet und verseltsamt, führt sie den cleanen Charakter, den wir von solchen Dingen erwarten, ad absurdum. Ihre Werke sind Wiedergänger fehlgeschalteter Zivilisten, inerte Wesen, die nicht wissen, wohin mit sich. In all Leaves ihrer Körperlichkeit vermit(Peat, March), 2015. teln sie dennoch vor allem Oben: Leaves (Dale Arches), 2015 eins: Abstraktion. Reus zeigt uns, wie sehr wir auf künstlich hergestellte Dinge bezogen leben. Doch in ihrer Untauglichkeit verlieren sie ihren Charakter als Gegenstände – und werden darüber unheimlich. GB ASYLUM KUNST VEREIN BIELEFELD 27.08. – 30.10.2016 La donna che legge Ca‘ Pesaro, Venedig 17.09.2016 – 08.01.2017 TOBIAS ZIELONY The Citizen, 2015 Künstler wie der chinesische Dissident Ai Weiwei, die sich an Themen der politischen Gegenwart reiben, werden von Kritikern häufig nicht so ganz ernst genommen. Ein Kunstwerk im Augenblick der Katastrophe? Pietätlos. Dann, so der Vorwurf, folge die Kunst nur dem Strom: reden über die „Flüchtlingskrise“ und schnelle Lösungen fordern. Die Gruppenschau Asylum im Kunstverein Bielefeld versammelt Arbeiten von Künstlern, die in den vergangenen Jahren von der Flüchtlingskrise erzählt haben und dabei zeigen, wie lange dieser Konflikt schon schwelt. Nach dieser Ausstellung wird niemand mehr verdrängen können, dass uns die Migrationsbewegungen immer weiter beschäftigen werden. SWKA Was Gabrielle „Coco“ Chanel geschaffen hat für das runderneuerte Frauenbild des 20. Jahrhunderts, ist legendär. Eine ganze Epoche lang sollten ihre längst klassischen Symbole das Selbstbewusstsein der modernen Frau prägen, die weiten Hosen, das „kleine Schwarze“, Parfum N°5. Das Leben der Mode designerin und effizienten Unternehmerin ist in all seinen bunten Details immer wieder erzählt worden. Weniger weiß man von ihren Passionen für Kunst und Literatur. Unter dem Titel La donna che legge („Die lesende Frau“) versucht eine umfangreiche Ausstellung in Venedig, die Bibliothek zu rekonstruieren, in die sich Gabrielle Chanel immer wieder zurückgezogen hat. Werke von Homer bis Mallarmé stehen neben Kunstobjekten aus ihrem Pariser Apartment. Das Kapitel einer gebildeten, neugierigen Frau, das zu ihrer Erfolgsgeschichte dazugehört wie das Kostüm mit Jäckchen und ausge stelltem Rock. mü Aus Karl Lagerfelds Kollektionen für Chanel. Oben: Gabrielle Chanel ruhend mit Buch, ca. 1908 Art FAirs Artist Films Berlin BiennAle exhiBitions PrivAte ColleCtions ProjeCt sPACes www.BerlinArtweek.de Denk KUNST ist eine LEIDENSCHAFT, 55 LIMITED, BERLIN • 100 KUBIK – RAUM FÜR SPANISCHE KUNST, COLOGNE • GALERIE ALBRECHT, BERLIN • GALERIA MIQUEL ALZUETA, BARCELONA GALERIE AM MEER, KUNSTHANDEL, DUSSELDORF • GALERIE ART CRU, BERLIN • (AV17) GALLERY, VILNIUS • GALERIE BART, AMSTERDAM/ NIJMEGEN • BERLINARTPROJECTS, BERLIN • BETA PICTORIS GALLERY / MAUS CONTEMPORARY, BIRMINGHAM • GALERIE BORN, BERLIN • BRÄUNING CONTEMPORARY, HAMBURG • die wirgerne BRENNECKE FINE ART, BERLIN • GALERIE BURSTER, BERLIN • C&K GALERIE, BERLIN • CHRISTOPHER CUTTS GALLERY, TORONTO • GALERIE HORST DIETRICH, BERLIN • GALERIE ROBERT DREES, HANOVER • GALERIE DREI RINGE, LEIPZIG • DR. JULIUS | AP, BERLIN • GALERIE EIGENHEIM, WEIMAR/BERLIN • GALERIE FLOSS & SCHULTZ, COLOGNE • FRANTIC GALLERY, TOKYO • GALERIE THOMAS FUCHS, teilen. © Sabine Klimpt • DUSSELDORF • GALERIE JUDITH ANDREAE, BONN • ARTAX STUTTGART • FUCKING ART GALLERY, MADRID • GALERIE GERKEN, BERLIN • GALERIE GREULICH, FRANKFURT (MAIN) • KUNSTHANDEL RALPH R. HAUGWITZ, BERLIN • GALERIE ERNST HILGER, VIENNA • JARMUSCHEK + PARTNER, BERLIN • KIR ROYAL GALLERY, VALENCIA • GALERIE ANJA KNOESS, COLOGNE • GALERIE INGA KONDEYNE – RAUM FÜR ZEICHNUNG, BERLIN • KUNSTSTIFTUNG DES LANDES SACHSEN-ANHALT, HALLE (SAALE) • GALERIE ULF LARSSON, COLOGNE • VÍCTOR LOPE ARTE CONTEMPORÁNEO, BARCELONA • GALERIE GILLA LÖRCHER | CONTEMPORARY Kunstversicherung ART, BERLIN • LORCH + SEIDEL CONTEMPORARY, BERLIN • ANNA JILL LÜPERTZ GALLERY, BERLIN • GALERIE REINHOLD MAAS, REUTLINGEN • MAERZ CONTEMPORARY, BERLIN/MOLDE • MĀKSLA XO GALLERY, RIGA • MARKE.6, WEIMAR • GALLERY MENO NIŠA, VILNIUS • GALLERY MENO Für Informationen wenden Sie sich bitte an: PARKAS, KAUNAS • GALERIE MARTIN MERTENS, BERLIN • MIANKI.GALLERY, BERLIN • GALERIE MÖNCH, BERLIN • +43 121175-3932, Untere Donaustraße 21 1029 Wien, Österreich KUNSTHANDLUNG OSPER, COLOGNE • GALERIE PETERSBARENBROCK, AHRENSHOOP • THOMAS PUNZMANN CONTEMPORARY, FRANKFURT (MAIN) • KATHARINA MARIA +49 221 92042-104, Richmodstraße 6 50667 Köln, Deutschland RAAB, BERLIN • RADIKE-KITTELMANN, BAD DOBERAN • GALERIE SARDAC, LONDON • GALERIE ALEX SCHLESINGER, ZURICH • PETER-CHRISTIAN-SCHLÜSCHEN-STIFTUNG, BERLIN • SCHMALFUSS BERLIN – CONTEMPORARY FINE +44 207 78162649, Gallery 4 12 Leadenhall Street, London, EC3V 1LP, UK ARTS, BERLIN • GALERIE SCHWARZ, GREIFSWALD • GALERIE HEIKE STRELOW, FRANKFURT (MAIN) • SUBJECTOBJECT, BERLIN • GALERIE TAMMEN & PARTNER, BERLIN • STIFTUNG +41 44 5603141, Lavaterstrasse 85 CH-8002 Zürich, Schweiz TELEFONSEELSORGE, BERLIN • TSEKH GALLERY, KIEV • UMTRIEB – GALERIE FÜR AKTUELLE KUNST, KIEL • WE GALLERY, BERLIN • WESTPHAL BERLIN, BERLIN • MICHAEL J. WEWERKA, BERLIN [email protected] • WHITECONCEPTS, BERLIN • WICHTENDAHL GALERIE, BERLIN • GALERIE WOLFSTAEDTER, FRANKFURT (MAIN) • ZELLERMAYER GALERIE, BERLIN • ZS ART, VIENNA www.artuniqa.at Werbung 15 – 1 8 S e p t e m b e r 2 0 16 POSTBAHNHOF AM OSTBAHNHOF S t r a ß e d e r P a r i s e r K o m m u n e 8 · 10 243 B e r l i n w w w. p o s i t i o n s . b e r l i n BILDNACHWEISE Nr. 13 / September 2016 TITEL 1: ROBERT RYMAN: Foto: Bill Jacobson. Courtesy the Greenwich Collection, Ltd and Dia Art Foundation New York. TITEL 2: ALBERTO GIACOMETTI: Foto: Peter Lindbergh für BLAU. Kunsthaus Zürich. Alberto Giacometti-Stiftung © Succession Alberto Giacometti (Fondation Alberto et Annette Giacometti) /2016 ProLitteris, Zürich., ADAGP, Paris. EDITORIAL: S. 5: Foto: Yves Borgwardt für BLAU. INHALT S. 6: M. o.: Foto: Bill Jacobson. S. 6 l. u.: Foto: Courtesy Erling Kagge. S. 6 r. u.: Foto: Peter Lindbergh für BLAU. Kunsthaus Zürich. Alberto Giacometti-Stiftung © Succession Alberto Giacometti (Fondatiion Alberto et Annette Giacometti)/ 2016 ProLitteris, Zürich., ADAGP, Paris. S. 8 M. o.: Foto Sarah Brück für BLAU. S. 8 l. u.: Kunstkammer Georg Laue, München. S. 8 r. u.: Courtesy The Hunterian. University of Glasgow. CONTRIBUTORS: S. 10 u.: © Tineke de Lange /Suhrkamp Verlag. ESSAY: S. 13: Courtesy Erling Kagge. APÉRO: S. 16 o.: Official White House Photo by Pete Souza. S. 16 u.: Courtesy Museum für Bildende Künste Leipzig. S. 17 o.: Foto: Albrecht Fuchs für BLAU. S. 17 u.: Foto: An dreas Fischer. DICHTER DRAN: S. 18: Foto: Scala, Florence. The Museum of Modern Art, New York. 1935 Acquisition confirmed in 1999 by agreement with the Estate of Kazimir Malevich and made possible with funds from the Mrs John Hay Whitney Bequest (by exchange). INSIDE THE WHITE CUBE: S. 20: Foto: Christian Knörr. BEWEGTBILD: S. 24 l. o.: Foto: Katlen Hewel. S. 24 l. u.: Foto: dpa / Picture-Alliance. SCHNELLSTE SKULPTUREN: S. 24 r.: Foto: Lancia. BLITZSCHLAG: S. 26 o.: Foto: Martin Fengel für BLAU. S. 26 u.: Foto: Roswitha Pross. UM DIE ECKE BELGRAD: S. 30: Illustration: Kristina Posselt für BLAU. S. 30/31: Fotos: Katarina Šoški für BLAU. DER WEISSE GIACOMETTI: S. 36 bis 45: alle Fotos: Peter Lindbergh für BLAU. Kunsthaus Zürich. Alberto Giacometti-Stiftung © Succession Alberto Giacometti (Fondation Alberto et Annette Giacometti) / 2016 ProLit- teris, Zürich., ADAGP, Paris. Alberto Giacometti Werk angaben im Einzelnen: S. 36/37: Von links nach rechts: TÊTE QUI REGARDE (ÉTUDE), 1928. FEMME, 1929. KOPF DER MUTTER, um 1920. GRAND BUSTE DE DIEGO D’APRÈS NATURE, um 1951. FEMME DEBOUT SANS BRAS, 1965. TÊTE, LONG COU (BUSTE HIPPOLYTE), um 1949. FEMME DEBOUT SANS BRAS, 1954. FEMME DEBOUT, um 1956. PETIT BUSTE D’ANNETTE, um 1946. BRUNO ALS KIND, um 1917. TÊTE SANS CRÂNE, um 1958. BUSTE DE DIEGO, um 1953. Alle Arbeiten Gips. S. 38: FEMME DEBOUT (Detail), um 1956, Gips. S. 39: LA MAIN, 1947, Gips und Eisenstab. S. 40/41: Von links nach rechts: TÊTE, LONG COU (BUSTE HIPPOLYTE), um 1949. PETIT BUSTE D’ANNETTE, um 1946. BRUNO ALS KIND, um 1917. TÊTE SANS CRÂNE, um 1958. TÊTE QUI REGARDE (ÉTUDE), 1928. Alle Arbeiten Gips. S. 41: FEMME, 1929, COMPOSITION CUBISTE, um 1926 und GRAND BUSTE DE DIEGO D’APRÈS NATURE um 1951, Details, Gips. S. 42/43: Von links nach rechts: BRUNO ALS KIND, um 1917. TÊTE SANS CRÂNE, um 1958. KOPF DER MUTTER, um 1920. BUSTE DE DIEGO, um 1953. PETIT BUSTE D’ANNETTE, um 1946. FEMME DEBOUT SANS BRAS, 1954. FEMME, 1929. TÊTE, LONG COU (BUSTE HIPPOLYTE), um 1949. TÊTE QUI REGARDE (ÉTUDE), 1928. FEMME DEBOUT, um 1956. FEMME DEBOUT SANS BRAS, 1965. GRAND BUSTE DE DIEGO D’APRÈS NATURE, um 1951. Alle Arbeiten Gips. S. 45: BUSTE DE DIEGO, 1964/65, Gips. ROBERT RYMAN: S. 46: Foto: Bill Jacobson. Courtesy The Greenwich Collection Ltd. S. 47: Foto: Robert Ryman Archive. S. 48/49: Foto: Paolo Mussat Sartor. Raussmüller, Basel. S. 50: © Christie’s Images, London. Foto: Scala, Florence. S. 52: Foto: Fabio Fabbrini. Raussmüller, Basel. S. 53: Foto: Bill Jacobson. Courtesy Pace Gallery. S. 54 l.: Raussmüller, Basel. S. 54 r.: Courtesy SFMOMA. Purchase through a gift of Mimi and Peter Haas. S. 55 l.: Foto: Poul Buchard / Brondum & Co. Louisia- ENCORE 81 na Museum of Modern Art. Long term loan: Museumsfonden af 7. December 1966. S. 55 r.: Foto: Bill Jacobson. Courtesy the Greenwich Collection, Ltd. S. 56: Fotos: Christian Baur. S. 56 u. Courtesy Staatsarchiv Basel. S. 57: Raussmüller, Basel. MARY REID KELLEY: S. 58, S. 59 u., S. 60, 61, 62: Courtesy the artist, Arratia Beer, Berlin, Pilar Corrias Gallery, London and Fredericks and Freiser, New York. S. 61: Foto: Christopher Hewitt. S. 59 r. o., S. 63: Fotos: Sarah Brück für BLAU. WEISSRAUM: S. 64: © The Cecil Beaton Studio Archive at Sotheby’s. S. 65: Foto: Interfoto / Mary Evans. S. 66: Courtesy The Hunterian. University of Glasgow. S. 67 l.: © Peter Kainz / MAK. S. 67 r.: Courtesy Neue Galerie, New York. S. 68 l.: Foto: Delano Hotel, Miami Beach. S. 68 r.: Foto: Hotel La Maison, Paris. S. 69: bpk / Ministère de la Culture – Médiathèque du Patrimoine, RMN–Grand Palais/Francois Kollar. ELFENBEIN: S. 71: Kunstkammer Georg Laue, München. S. 72: Kopenhagen, Schloss Rosenborg, Kongernes Samling. S. 73: Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. KOLUMNE: S. 74: Courtesy Shadi Ghadirian. K ALENDER: S. 78 l.: Collection Barbara Gladstone. Courtesy the artist and Gladstone Gallery, New York und Brussels. © Kai Althoff. S. 78 M.: Albertina Wien-Sammlung Batliner. © Robert Delaunay, L & M Services B. V. The Hague. S. 78 r.: Courtesy the artist and The Approach, London. S. 79 l.: © Tobias Zielony. Courtesy of Tobias Zielony and KOW, Berlin. S. 79 r. o.: © Ferréol de Nexon. Ferréol de Nexon Collection. S. 79 r. u.: Chanel Patrimoine Collection, Paris © Chanel / Photo Patricia Canino. DER AUGENBLICK: S. 82: Courtesy the artist and Gisela Capitain, Cologne and Hauser & Wirth, New York. VG Bild-Kunst Bonn, 2016 Max Beckmann, Andreas Fischer, Diego Giacometti, Agnes Martin, Roman Opałka, Robert Ryman DER AUGENBLICK NUR IN GEDANKEN Ein Bild und das Immaterielle abgehängt, der Haken des jeweils unteren Drahtbügels in der Querstrebe dessen darüber. Dennoch fällt es schwer, sich von der Vorstellung zu lösen, die vielen Elemente wären ein Ganzes, gehäkelt oder geknüpft. Sind nicht in den geringen grafischen Störungen, verursacht durch Kragen und Bügel, geheimnisvolle Schriftzeichen verborgen? Und was macht das weiße Licht da oben links – steht eine Transformation ins Immaterielle bevor? Mit Gespür für kleine Sensationen hat Zoe Leonard eine Bildstörung eingebaut: das blaue Hemd. Daran kann man erkennen, dass farbige Gegenstände anders „funktionieren“ (wie der Zeitgeist sagt). Nur das Weiß – und auch das Schwarz – bewegen sich an der Schwelle zum Verborgenen, zum Geahnten oder nur Gedachten. In China steht die Farbe Weiß für die Trauer. ZOE LEONARD Das reine Weiß zu schauen ist Owino Market, Kampala, Uganda 2004, aus der Serie Analogue, unmöglich; weshalb das Auge 1998–2009, C-Print, 28 × 28 cm dankbar ist für jede Abweichung in Richtung des Diesseitigen, verborgen, die in den Unterbau gesponnen, in Sweatshops genäht jeden Schatten einer Mitteilung, ie fortgeschrittene Welt einer Unterscheidung. und von Händlern in Masse der Verkaufstische eingelassen der Flagship-Stores und „Kann ich Ihnen helfen?“, angeboten oder vielmehr in Serie. Luxusboutiquen vermei- sind. Manches Schuhgeschäft würde jetzt wahrscheinlich Es gibt Varianten. Nur auf sieht aus wie ein Ikonenmuseum. det es, die Masse der Ware der ugandische Händler fragen. den allerersten Blick zeigt die In ganz armen Kulturen sichtbar zu machen. Innenstädti„Nein“, würde ich sagen, „ich Präsentation auf dem Owinoist jede Ware wirklich rar: Ein sche Schaufenster inszenieren war nur gerade in Gedanken.“ markt in Kampala mehrere selbstgestrickter Pullover, gewöhnliche Beispiele von Dutzend gleicher Kleidungsauf einer Zeitung am StraßenPrêt-à-porter, als wären sie ULF ERDMANN ZIEGLER stücke. Unikate. In den Verkaufsräumen rand ausgelegt – ist zu verkauVon runden Balken in einer fen. In den meisten Ländern der werden die unmittelbaren Wellblechhütte sind die Welt jedoch wird Kleidung Lagerreserven in riesigen, aber Hemden in vertikalen Reihen in Manufakturen gewebt oder leichtgängigen Schubladen D ENCORE 82 E DI E NÄCHST E AUSG AB AM T IN VON BL AU ER SCHE 24. SEPTE MBER 2016 IN IM DER WELT UN D DA NACH FTENHANDEL S E I T 17 0 7 Herbert Zangs, Verweißung, 1976, 99 x 212,5 cm, Auktion Zeitgenössische Kunst, November 2016 Palais Dorotheum, Wien Zeitgenössische Kunst, Klassische Moderne Auktionswoche 21. – 25. November Düsseldorf, Tel. +49-211-210 77-47 München, Tel. +49-89-244 434 73-0 www.dorotheum.com -KEINE84