Troilus und Cressida - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin

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Troilus und Cressida - henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin
William Shakespeare
Troilus und Cressida
(Originaltitel: Troilus and Cressida)
Deutsch von Hannes Fischer und Klaus Krampe
© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH
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© henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2007
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PERSONEN
Priamus – König von Troja
Hector
)
Troilus
)
Paris
) seine Söhne
Deiphobus
)
Helenus
)
Margarelon – ein Bastardsohn des Priamus
Aeneas
)
Antenor
)
trojanische Heerführer
Calchas – ein trojanischer Priester, auf der Seite der Griechen
Pandarus – Onkel der Cressida
Agamemnon – der griechische Feldherr
Menelaus – sein Bruder
Achilles
)
Ajax
)
Ulysses
)
Nestor
)
Diomedes
)
Patroclus
)
griechische Heerführer
Thersites – ein mißgestalteter, gemeiner Grieche
Alexander – Diener der Cressida
Diener des Troilus
Diener des Paris
Diener des Diomedes
Helena – Gemahlin des Menelaus
Andromache – Gemahlin des Hector
Cassandra – Tochter des Priamus, eine Seherin
Cressida – Tochter des Calchas
Trojanische und griechische Krieger und Gefolge
Szene – Troja und das griechische Lager vor der Stadt
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P R O LO G
Troja ist hier die Szene. Von den Inseln
Ganz Griechenlands entsandten stolze Fürsten,
Erhitzten Bluts, zum Hafen von Athen
Schiffe mit Fracht von Männern und Gerät
Für blutgen Krieg. Und neunundsechzig Fürsten,
Gekrönte Häupter, stechen von Athen
In See nach Troja, einig in dem Schwur:
Troja wird ausgeraubt, in dessen Mauern,
Entführt dem Menelaus, Helena
Beim geilen Paris schläft – darum der Streit.
Am Dardanellenstrand
Erbrechen ihre tiefgeladenen Schiffe
Die kriegerische Fracht. Die Griechen schlagen,
Noch unbedrängt und frisch, auf Trojas Feldern
Die Zelte auf. Die Stadt des Priamus,
Deren sechs Tore (Dardan, Thymbria,
Helias, Chetas, Troja, Antenorides)
Der Krampen Wucht mit schweren Riegeln füllen,
Schließt Trojas Söhne ein.
Leichtfertigkeit, gekitzelt durch Erwartung,
Setzt auf der Griechen, auf der Troer Seite
Alles aufs Spiel. Und ich trat auf vor euch,
In Waffen, als Prolog, des Dichters Feder
Allein nicht trauend noch der Spieler Wort,
Zum Streit gerüstet, unserm Stück entsprechend,
Um anzukündigen, daß unser Spiel
Die erstgebornen Kämpfe überspringt
Und in der Mitte anfängt, dort enteilt
Und nur, wo es im Spiel Genuß bringt, weilt.
Klatscht oder pfeift, das Stück zieh in den Krieg –
Sei’s gut, sei’s schlecht – am Kriegsglück hängt der Sieg.
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I. AKT
1. Szene
Troja. Vor dem Palast des Priamus.
Troilus, gewaffnet, und Pandarus treten auf.
Troilus
Ruf meinen Knappen her – mich abzurüsten!
Warum soll ich vor Trojas Mauern kämpfen?
Nicht minder grausam tobt die Schlacht in mir.
Zieh jeder, der sein Herz beherrschen kann,
Hinaus ins Feld. Ach – Troilus kanns nicht.
Pandarus
Immer das alte Lied?
Troilus
Die Griechen haben Kraft, Kraft und Geschick,
Geschick und Wildheit, zu der Wildheit Mut.
Doch ich bin schwächer als ne Weiberträne
Zahmer als Schlaf und alberner als Dummheit,
Zaghafter als die Jungfrau in der Nacht
Und ungeschickter als ein Wickelkind.
Pandarus
Gut, ich habs Euch oft genug gesagt. Ich für mein Teil, ich mische
mich, ich meng mich nicht mehr ein. Wer aus Weizen einen Kuchen
haben will, muß das Mahlen abwarten.
Troilus
Hab ich nicht gewartet?
Pandarus
Ja, aufs Mahlen, aber Ihr müßt das Sieben abwarten.
Troilus
Hab ich nicht gewartet?
Pandarus
Ja, aufs Sieben, aber Ihr müßt das Aufgehen abwarten.
Troilus
Auch darauf hab ich gewartet.
Pandarus
Ja, aufs Aufgehen, aber dann! Und in „aber dann“ steckt das Kneten,
das Formen, das Anheizen und das Backen – noch mehr, Ihr müßt
auch das Kaltwerden abwarten, sonst könnt Ihr Euch den Mund verbrennen.
Troilus
Selbst göttliche Geduld ertrüge nicht
Derart geduldig diese Qual wie ich.
Ich sitze an der königlichen Tafel,
Und als mir in den Sinn Cressida kommt –
Verräter! kommt? Wann war sie jemals fort?
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Pandarus
Allerdings, sie sah gestern abend reizender aus, als ich sie sonst
aussehen sah, oder irgendein anderes Weibsbild.
Troilus
Hör mich doch an: Da wollt mein Herz zerreißen,
Von einem Seufzer schier entzweigespalten.
Daß nun mein Vater nichts erriet, noch Hector,
Hab ich – wie Sonne einen Sturm beleuchtet –
Den Seufzer überdeckt mit einem Lächeln.
Doch Qual, verhüllt vom Schein der Heiterkeit,
gleicht jenem Scherz, der schnell umschlägt in Leid.
Pandarus
Wär ihr Haar nicht etwas dunkler als Helenas – doch, doch! – gäbs
überhaupt keinen Unterschied zwischen beiden. Natürlich, ich für
mein Teil will nicht, wie man sagt, ihr Loblied singen; sie ist meine
Nichte. Aber ich wollte, jemand hätte sie gestern so reden hören, wie
ich. Ich unterschätze nicht den Verstand Eurer Schwester Cassandra,
aber …
Troilus
O Pandarus, ich sag dir, Pandarus –
Wenn ich dir sag, mein Hoffen ist ertrunken,
Dann rechne mir nicht vor, wie tief es sank.
Erzähle ich dir, ich bin toll vor Liebe
Zu Cressida, sagst du mir „Sie ist schön!“
Und bohrst in meines Herzens offner Wunde.
Cressidas Blick, Haar, Wange, Gang und Stimme
Handelst du ab „O, ihre liebe Hand, –
Daneben alles Weiß zu Tinte wird,
Und sich sein Urteil schreibt; ihr sanfter Griff
Macht rauh des Schwanes Flaum und feinstes Tasten
Hart wie von Pflügers Faust“, das sagst du mir
– Und sagst die Wahrheit – wenn ich schwör, ich lieb sie.
Doch sprichst du so, drückst du in jede Wunde,
Die mir die Liebe schlug, statt Öl und Balsam,
Das Messer, das mich traf.
Pandarus
Ich sage nur, was wahr ist.
Troilus
Da sagst du viel zu wenig!
Pandarus
Also gut, ich meng mich nicht ein. Mag sie sein, wie sie will: wenn
sie schön ist, umso besser für sie, wenn nicht, wird sie schon wissen,
wie sie sich ausbessern kann.
Troilus
Lieber Pandarus! – Was hast du, Pandarus?
Pandarus
Ich hab meine Müh und Not gehabt, schief angeguckt von ihr, schief
angeguckt von Euch, bin hin- und hergerannt und her und hin, und
dann so wenig Dank für die ganze Plackerei.
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Troilus
Was, bist du aufgebracht, Pandarus? – Gegen mich? –
Pandarus
Weil sie mit mir verwandt ist, darum ist sie nicht so schön wie
Helena! Wenn sie nicht mit mir verwandt wäre, da wäre sie freitags
so schön wie Helena am Sonntag. Aber was kümmerts mich? Und
wenn sie schwarz wär wie eine Negerin, mir ist es gleich.
Troilus
Sag ich, sie ist nicht schön?
Pandarus
Was kümmerts mich, ob Ihrs sagt oder nicht. Sie war dumm, ihren
Vater Calchas allein zu den Griechen gehen zu lassen; sie muß ihm
nach, das werde ich ihr sagen, sobald ich sie sehe. Ich für mein Teil,
ich mische mich, ich meng mich nicht mehr ein.
Troilus
Pandarus!
Pandarus
Ich nicht!
Troilus
Mein lieber Pandarus!
Pandarus
Bitte, sprecht mich nicht mehr an! Ich lasse den Karren laufen, und
damit Schluß.
(Pandarus ab. Es wird zum Kampf geblasen.)
Troilus
Schweigt doch, brüllende Hörner! Schweig doch, Geschrei!
Narren auf beiden Seiten! Helena
Muß schön sein, wenn mit eurem Blut ihr täglich
Sie schminkt. Um solchen Preis kann ich nicht kämpfen;
Zu dürftig ist der Anlaß für mein Schwert.
Doch Pandarus – wie quält ihr mich, ihr Götter! –
Zu Cressida gelang ich nur durch ihn,
Doch er ist zu verstimmt, sie umzustimmen,
Und sie verschließt sich spröde jedem Antrag.
Bei Daphne, sprich, Apoll, was sind wir drei,
Was Cressida, was Pandarus, was ich?
Ihr Bett ist Indien, sie ruht dort als Perle;
Was zwischen unserem Schloß und ihrem Thron,
Nenn ich die wilde, flutbewegte See,
Mich selbst den Kaufmann, Pandarus den Lotsen,
Mein zweifelnd Hoffen, mein Geleit, mein Boot.
(Trompeten. Aeneas tritt auf.)
Aeneas
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Noch hier, Prinz Troilus? Nicht im Feld? Warum nicht?
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Troilus
Darum nicht! Diese Weiberantwort paßt,
Denn weibisch ists auch, nicht im Feld zu sein.
Aeneas, gibts was Neues heut von draußen?
Aeneas
Paris kam heim, er hat ne kleine Schramme.
Troilus
Von wem, Aeneas?
Aeneas
Troilus
Troilus, von Menelaus.
Da haben nur d i e Hörner ihn verletzt,
Die er dem Menelaus aufgesetzt.
(Kriegstrompeten.)
Aeneas
Horcht, draußen rufts zu neuem, lustgen Spiel.
Troilus
Lustger wärs hier, wär ich nur schon am Ziel.
Was hilfts! Ihr wollt den Spaß Euch jetzt besehn?
Aeneas
Auf schnellstem Weg.
Troilus
Dann will ich mit Euch gehn.
(Beide gehen ab.)
I. AKT
2. Szene
Troja. Eine Straße.
Es treten auf Cressida und Alexander
Cressida
Wer ging denn da vorbei?
Alexander
Die Königin Hekuba und Helena.
Cressida
Und wohin gehn sie denn?
Alexander
Hinauf zum Ostturm,
Der hoheitsvoll das ganze Tal beherrscht,
Die Schlacht zu sehen. Hector, dessen Ruhe
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