Federico García Lorca Bluthochzeit

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Federico García Lorca Bluthochzeit
 Federico García Lorca
Bluthochzeit
(Originaltitel: „Bodas de Sangre“)
Tragödie in drei Akten und sieben Bildern
Aus dem Spanischen übertragen von Uwe Kolbe
(c) henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2013. Als unverkäufliches Manuskript
vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der
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PERSONEN
Die Mutter
Die Braut
Die Schwiegermutter
Leonardos Frau
Die Magd
Die Nachbarin
Mädchen
Leonardo
Der Bräutigam
Der Vater der Braut
Der Mond
Der Tod (als Bettlerin)
Holzfäller
Junge Männer
1. Akt
Bild 1
Gelb gestrichener Wohnraum.
Bräutigam
Im Eintreten Mutter.
Mutter
Was?
Bräutigam
Ich gehe los.
Mutter
Wohin?
Bräutigam
In den Weinberg.
Will hinausgehen
Mutter
Warte.
Bräutigam
Möchtest du irgendwas?
Mutter
Junge, das Frühstück.
Bräutigam
Lass nur. Ich esse Weintrauben. Gib mir das Schnappmesser.
Mutter
Wozu?
Bräutigam
lachend Um sie abzuschneiden.
Mutter
durch die Zähne, während sie es sucht Das Messer, das Messer …
Verflucht sein sie alle und der Dreckskerl, der sie erfand.
Bräutigam
Lass uns das Thema wechseln.
Mutter
Und die Gewehre, und die Pistolen, und das allerkleinste Messer,
und selbst die Hacken und die Heugabeln.
Bräutigam
Ist gut.
Mutter
Alles, was fällen kann den Körper eines Mannes. Ein schöner Mann,
mit seiner Blume im Mund, der hinausgeht in die Weinberge oder
aufbricht zu seinen eigenen Olivenbäumen, denn sie sind sein,
sind geerbt …
Bräutigam
senkt den Kopf Schweigen Sie.
Mutter
… Und dieser Mann kehrt nicht wieder. Oder kehrt er wieder, ist
es, um bedeckt zu werden mit einem Palmzweig oder einem Teller
Pökelsalz, damit er sich nicht aufbläht. Ich verstehe nicht, wie du
es wagst, ein Schnappmesser am Körper zu tragen, noch, wie ich
die Schlange in der Truhe dulde.
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Bräutigam
Ist es genug jetzt?
Mutter
Hundert Jahre, lebte ich sie, würde ich von nichts anderem
sprechen. Zuerst dein Vater, der für mich nach Nelke roch, und ich
genoss es knappe drei Jahre. Dann dein Bruder. Ist es denn
gerecht und darf sein, dass ein kleines Ding wie eine Pistole oder
ein Messer Schluss macht mit einem Mann, der ein Stier ist? Ich
hätte nie schweigen dürfen. Es vergehen die Monate und die
Verzweiflung brennt mir in den Augen und bis in die Haarspitzen
hinein.
Bräutigam
hart Sind wir fertig?
Mutter
Nein. Wir sind nicht fertig. Kann mir jemand deinen Vater
herschaffen? Und deinen Bruder? Und dann, das Zuchthaus. Was
ist das Zuchthaus? Da essen sie, da rauchen sie, da spielen sie ihre
Instrumente! Meine Toten werden satt von Gras, reden nicht, sind
nichts als Staub; zwei Männer, die Geranien waren … Die Mörder,
im Zuchthaus, schauen munter auf die Berge …
Bräutigam
Sie wollen, dass ich sie töte?
Mutter
Nein … Wenn ich rede, dann weil … Wie soll ich nicht reden, seh
ich dich hinausgehen durch diese Tür? Es ist, weil mir nicht
behagt, dass du ein Messer trägst. Es ist, weil … Weil ich nicht
möchte, dass du überhaupt hinausgehst.
Bräutigam
lachend So was!
Mutter
Wie ich mir wünschte, du wärest eine Frau. Du gingest nicht an den
Bach jetzt und wir beide stickten Säume und Hündchen aus Wolle.
Bräutigam
nimmt die Mutter beim Arm und lacht Mutter, und wenn ich Sie
nun mit mir nähme in die Weinberge?
Mutter
Was sucht im Wein eine Alte? Wolltest du mich unter die Ranken
stecken?
Bräutigam
hebt sie in seinen Armen hoch Alte, liebe Alte, allerliebste Alte.
Mutter
Dein Vater nahm mich wohl mit. Das ist die rechte Zucht. Geblüt.
Dein Großvater hinterließ an jeder Ecke ein Kind. So mag ich das.
Die Männer Männer; der Weizen Weizen.
Bräutigam
Und ich, Mutter?
Mutter
Was, du?
Bräutigam
Tuts not, es noch einmal zu sagen?
Mutter
ernsthaft Ach!
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Bräutigam
Findest du es schlecht?
Mutter
Nein.
Bräutigam
Was dann?
Mutter
Ich weiß es selber nicht. So plötzlich überrascht es mich immer.
Ich weiß, das Mädchen ist gut. Stimmt doch? Gesittet. Arbeitsam.
Knetet ihr Brot und näht ihre Röcke und mir ist trotzdem, wenn ich
ihren Namen sage, als würfe man mir einen Stein an die Stirn.
Bräutigam
Albernheiten.
Mutter
Mehr als Albernheiten. Allein werde ich bleiben. Mir ist schon
nichts geblieben außer dir, und ich spüre, dass du weggehst.
Bräutigam
Aber Sie werden mit uns kommen.
Mutter
Nein. Ich kann hier nicht allein zurücklassen deinen Vater und
deinen Bruder. Ich habe hinzugehen jeden Morgen, und wenn ich
fortziehe ist es leicht möglich, dass einer der Félix stirbt, einer aus
der Familie der Mörder, und sie ihn daneben begraben. Und das
nicht! Ha! Das nicht! Weil ich sie mit den Fingernägeln ausgrabe
und ich allein sie an der Mauer zerquetsche.
Bräutigam
heftig Fängt das schon wieder an!
Mutter
Verzeih mir.
Pause
Wie lange unterhältst du die Beziehung?
Bräutigam
Drei Jahre. Ich konnte schon den Weinberg kaufen.
Mutter
Drei Jahre. Sie hatte einen Verlobten, nicht?
Bräutigam
Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Die Mädchen müssen sich
ansehen, wen sie heiraten.
Mutter
Ja. Ich sah mir niemanden an. Ich sah deinen Vater an, und als sie
ihn ermordeten, sah ich die Mauer an gegenüber. Eine Frau und ein
Mann, und fertig.
Bräutigam
Sie wissen, dass meine Braut gut ist.
Mutter
Ich zweifele nicht daran. Aber auf alle Fälle bedauere ich, nicht zu
wissen, wie ihre Mutter war.
Bräutigam
Was bringt denn das!
Mutter
sieht ihn an Junge.
Bräutigam
Was wollen Sie?
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Mutter
Es ist ja wahr! Wie recht du hast! Wann soll ich um sie anhalten?
Bräutigam
freudig Ist es recht am Sonntag?
Mutter
ernst Ich nehme ihr die Ohrgehänge aus Messing mit, die sind
antik, und du kaufst ihr …
Bräutigam
Das verstehen Sie besser …
Mutter
Du kaufst ihr ein Paar durchbrochener Strümpfe, und für dich zwei
Anzüge … Drei! Ich habe niemanden mehr außer dir!
Bräutigam
Ich geh los. Morgen werde ich sie besuchen.
Mutter
Ja, ja; und mal sehen, ob du mich erfreust mit sechs Enkeln, oder
eben wie du Lust hast, schon weil dein Vater keine Gelegenheit
hatte, mir so viele zu machen.
Bräutigam
Der erste für Sie.
Mutter
Schon, aber dass auch Mädchen dabei sind. Damit ich sticken kann
und klöppeln und mich beruhige.
Bräutigam
Ich bin sicher, Sie werden meine Braut mögen.
Mutter
Ich werde sie mögen.
Sie macht Anstalten, ihn zu küssen und hält inne.
Geh, du bist schon zu groß für Küsse. Die gibst du deiner Frau.
Pause. Beiseite
Wenn sie es ist.
Bräutigam
Ich verschwinde.
Mutter
Dass du das Stück bei der kleinen Mühle gut hackst, du hast es
vernachlässigt.
Bräutigam
Bin schon dabei!
Mutter
Geh mit Gott.
Der Bräutigam geht los. Die Mutter bleibt sitzen mit dem Rücken
zur Tür. Dort erscheint eine Nachbarin, dunkel gekleidet, mit Tuch
um den Kopf.
Komm herein.
Nachbarin
Wie geht es dir?
Mutter
Nachbarin
Es geht so.
Ich war unten im Laden und komme dich besuchen. Wir wohnen so
weit! …
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Mutter
Es macht zwanzig Jahre, dass ich nicht hochgestiegen bin die
Straße.
Nachbarin
Dir geht es gut.
Mutter
Glaubst du?
Nachbarin
Sachen passieren. Vor zwei Tagen brachten sie den Sohn meiner
Nachbarin, beide Arme abgeschnitten von der Maschine.
Sie setzt sich.
Mutter
Den Rafael?
Nachbarin
Ja. Und da hast du es. Oftmals denke ich, dass dein Sohn und
meiner besser dort sind, wo sie sind, schlafend, in Ruhe, nicht in
Gefahr, als Krüppel weiterzuleben.
Mutter
Schweig. Das ist alles Erfindung, aber kein Trost.
Nachbarin
Ach!
Mutter
Ach!
Pause.
Nachbarin
betrübt Und dein Junge?
Mutter
Ist draußen.
Nachbarin
Zuletzt kaufte er den Weinberg!
Mutter
Er hatte Glück.
Nachbarin
Jetzt wird er sich verheiraten.
Mutter
wie aufwachend, ihren Stuhl zu dem der Nachbarin rückend Höre.
Nachbarin
vertraulich Sag.
Mutter
Du kennst die Braut meines Sohnes?
Nachbarin
Gutes Mädchen!
Mutter
Ja, aber …
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Nachbarin
Aber einen, der sie gründlich kennt, gibt es nicht. Sie lebt allein
mit ihrem Vater dort, fernab, zehn Meilen vom nächsten Haus
entfernt. Aber sie ist gut. Gewöhnt an das Alleinsein.
Mutter
Und ihre Mutter?
Nachbarin
Ihre Mutter, die kannte ich. Schön. Ihr leuchtete das Gesicht wie
bei einem Heiligen; doch mir gefiel sie nie. Sie liebte ihren
Ehemann nicht.
Mutter
heftig Aber was die Leute nicht alles wissen!
Nachbarin
Entschuldige. Ich wollte nicht verletzen; aber es ist wahr. Indes,
ob sie anständig war oder nicht, das sagt dir niemand. Darüber hat
man nicht geredet. Sie war hochmütig.
Mutter
Immer das gleiche!
Nachbarin
Du fragtest mich.
Mutter
Ich wollte, niemand wüsste etwas, weder von dem Lebenden, noch
von der Toten. Dass es zwei Disteln wären, die kein Mensch beim
Namen nennt, und die stechen, wenn der Augenblick kommt.
Nachbarin
Du hast recht. Dein Junge verdient es sehr.
Mutter
Verdient er. Deswegen achte ich auf ihn. Man hat mir gesagt, das
Mädchen hatte einen Verlobten vor längerem.
Nachbarin
Da mag sie fünfzehn gewesen sein. Er heiratete freilich schon vor
zwei Jahren eine ihrer Cousinen. Niemand erinnert sich mehr der
Verlobung.
Mutter
Wieso erinnerst denn du dich?
Nachbarin
Du stellst mir Fragen! …
Mutter
Ein jeder erkennt gerne das, was ihm wehtut. Wer war der
Verlobte?
Nachbarin
Leonardo.
Mutter
Welcher Leonardo?
Nachbarin
Leonardo, der von den Félix.
Mutter
steht auf Von den Félix!
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Nachbarin
Frau, welche Schuld trägt Leonardo denn? Er war acht Jahre alt bei
den Streitigkeiten.
Mutter
Das stimmt … Doch höre ich dieses „von den Félix“ und es ist
dasselbe.
Durch die Zähne Félix, bei dem sich mir der Mund füllt mit
Schlamm, sie spuckt aus und ich muss ausspucken, ausspucken,
um nicht zu morden.
Nachbarin
Mäßige dich. Was gewinnst du damit?
Mutter
Nichts. Aber du verstehst es.
Nachbarin
Stell dich nicht gegen das Glück deines Jungen. Sage ihm nichts.
Du bist alt. Ich ebenso. Dir und mir geziemt es zu schweigen.
Mutter
Ich werde ihm nichts sagen.
Nachbarin
küsst sie Nichts.
Mutter
gelassen So was! …
Nachbarin
Ich gehe los, bald kommen meine Leute vom Feld.
Mutter
Hast du gemerkt, wie heiß es heute ist?
Nachbarin
Neger sind die Kleinen geworden, die den Schnittern das Wasser
bringen. Adiós, Frau.
Mutter
Adiós.
Sie begibt sich zur linken Tür. Auf halbem Wege hält sie inne und
bekreuzigt sich langsam.
Vorhang.
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