Seite 3

Transcription

Seite 3
Seite 3
r5Vc 3f_U YRe
\VZ_V_ 7]áTYe]Z_X
f_eVcXVScRTYe}
DIENSTAG
20. OKTOBER 2015
8VdaV_deZdTYV DkV_V_ Z_ 5cVdUV_
8l]^\_\`qk\ Jk`ddle^1 Zum Jahrestag bringt Pegida Zehntausende Menschen auf die Straßen
KZeRe UVd ERXVd
der sächsischen Metropole. Auch die Gegner formieren sich massenhaft
¢>Ze 3cZ]]V hÊcV URd
_ZTYe aRddZVce’
¥ Bielefeld. Bei einem Redaktionsbesuch äußerte sich
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) zur Flüchtlingsthematik sowie zu Radikalisierungstendenzen.
Das Kuratorium Gutes Sehen zum vieldiskutierten
Hand-Tor des
Hannoveraner
Mittelfeldspielers Leon
Andreasen im Spiel gegen
den 1. FC Köln. Der
Schiedsrichter hatte das
Handspiel nicht gesehen.
Als Werbegag bietet das
Kuratorium nun
kostenlose Sehtests für
Schiedsrichter an.
Herr Minister Jäger, ist der Vorschlag eines Zauns an deutschen Grenzen zielführend?
RALF JÄGER: Überhaupt
nicht. Wer vor Krieg und Terror flieht und um sein Leben
rennt, lässt sich von Zäunen
nicht aufhalten. Außerdem
haben wir uns in Europa bewusst entschieden, auf dauerhafte stationäre Kontrollen
an den Binnengrenzen im
Schengen-Raum zu verzichten. Wenn, dann müssen die
Außengrenzen des SchengenRaumes konsequent kontrolliert werden.
Was bedeutet das?
JÄGER: Wir müssen denen, die
keine Bleibeperspektive haben, das auch offen und schnell
sagen. Daneben muss die Verteilung in Europa gerechter
werden. Europa hat 500 Millionen Einwohner. Da kann
man eine bis zwei Millionen
syrische Flüchtlinge wirklich
verkraften, aber nicht alleine
in Deutschland. Hinzu kommt:
Der Bund hat noch nicht einen einzigen Flüchtling untergebracht. Die ganze Last
liegt bei Ländern und Kommunen. Uns geht langsam die
Fantasie aus, wo man noch
Menschen unterbringen kann.
Und wir haben noch nicht einmal mit der eigentlichen Integration angefangen.
<]RceVie+ NRW-Innenminister
Ralf Jäger.
FOTO: FRANKE
Macht es Sinn, Hotspots einzurichten, in denen Flüchtlinge
registriert werden?
JÄGER: Wie lange reden wir
jetzt über Hotspots, drei Monate? Ich kenne noch nicht
einmal eine konkrete Planung
für irgendein Land. Das ist typisch für CSU und CDU. Sie
starten fast täglich einen neuen Versuchsballon, zeigen tatsächlich aber wenig Handlungsfähigkeit. Wir müssen die
Fluchtursachen bekämpfen.
Und wir müssen die Situation
in den Flüchtlingslagern im
Ausland stabilisieren.
Hierzulande wird das Klima
rauer. Wo führt das noch hin?
JÄGER: Wir haben eine unglaubliche Zunahme an Aggressivität im Netz und auf der
Straße. In sozialen Netzwerken und Internetforen wird
gegen die Presse, Ausländer
und Politiker gehetzt. Und die
Verfasser glauben, dass sie für
die angebliche Mehrheit sprechen. Der beste Schutz gegen
jede Form von Hetze ist, dass
sich die Gesellschaft klar positioniert und Haltung zeigt,
damit diese Täter spüren: Sie
stehen am Rand. Trotz der Herausforderungen, die wir in der
Flüchtlingsaufnahme haben,
bleiben wir ein tolerantes Land.
Wir dulden weder rechtextremistisches
Gedankengut
noch Ausländerfeindlichkeit.
Das Gespräch führte
Matthias Bungeroth
(;75$
KRY] UVd ERXVd
"%&%$
Menschen
>Ze DacfTYSÊ_UVc_+ Pegida-Anhänger haben sich auf dem Theaterplatz in Dresden versammelt. Auf Plakaten bejubeln sie die strikte Anti-Flüchtlings-Politik des ungarischen Regierungschefs Orbàn. Die Kanzlerin und andere Politiker werden als „Feinde des Volkes“ tituliert.
FOTO: GETTY
VON MARTIN FISCHER, SOPHIE
ROHRMEIER UND JÖRG SCHURIG
¥ Dresden (dpa). Gewaltbereite Anhänger und Gegner der
Pegida-Bewegung liefern sich
in Dresden ein Katz-undMausspiel. Immer wieder
kommt es zu Scharmützeln.
Die Szenerie ist gespenstisch,
als die Menschen in der Altstadt auseinander gehen. Bis zu
20.000 Anhänger hatte das
fremdenfeindliche Bündnis zu
seinem Jahrestag mobilisiert,
bis zu 19.000 Menschen hatten sich ihnen entgegen gestellt. „Die Lage ist verfahren
und verkorkst“, sagt der
Dresdner Politologe Werner J.
Patzelt.
„Es ist eine ganz und gar unheilvolle Polarisierung und es
scheint auch keinen Weg zu
geben, der die Sache in absehbarer Zeit zum Ausgleich
bringt“, meint der Professor
der TU Dresden. Für die Pegida-Demonstranten sei es eine große Bestärkung, dass sie
zu ihrer Jubiläums-Kundgebung offenkundig wieder stärker angetreten seien als nach
ihrer letzten Großdemonstration nach der Spaltung der Bewegung im Januar.
Doch auch die Pegida-Gegner können einen Erfolg verbuchen. Sie waren noch nie so
zahlreich gegen eine PegidaKundgebung angetreten wie
nun zum ersten Geburtstag des
fremden- und islamfeindlichen Bündnisses.
Während
Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann „Wir
werden siegen“ auf dem Theaterplatz vor der Semperoper
in den Jubel der Anhänger ruft,
stehen die Gegendemonstranten in Sicht- und Hörweite. Sie
hatten sich aus vier verschiedene Richtungen in Richtung
der Oper in Bewegung gesetzt, um gegen ausländerfeindliche Hetze zu protestieren.
In wechselndem Rhythmus
skandieren die Anhänger der
„Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des
Abendlandes“ ihre Parolen.
„Wir sind das Volk“, brüllen
sie, „Merkel muss weg“ oder
auch „Abschieben“. Von der
anderen Seite der Polizeiabsperrungen schallen ihnen
Rufe wie „Nazis raus“ oder
„haut ab“ entgegen.
Nach dem Anschlag auf die
Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker machten Politiker
über die Parteigrenzen hinweg Pegida für eine Vergiftung des politischen Klimas
und für Gewalt verantwortlich. Bachmann sagt nichts zu
Köln. Dafür bieten die selbst
ernannten Patrioten rechtspopulistische Politiker aus
Tschechien oder Italien auf.
Das breite Bündnis, das unter dem Motto „Herz statt
Hetze“ zum Protest gegen
Fremdenfeindlichkeit aufgerufen hat, ist erfolgreich. Detlev Schranck, der seit vielen
Jahren in Dresden lebt, hat von
seinem Arbeitgeber für die
Demo freibekommen. „Ich
schäme mich für Dresden. Weil
Pegida hier stattfindet“, sagt er.
Drohungen gegen Leipzigs Oberbürgermeister Jung
´ Der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung
(SPD) ist in einer HassSchmiererei von Unbekannten bedroht worden.
Auf einem Container in der
Innenstadt stand neben einem Galgen „Jung wir
kriegen Dich“, wie eine
Sprecherin der Polizei sagte.
Auf den Container war
demnach zudem noch „No
Asyl“ geschrieben worden.
Die Polizei gehe von einem
fremdenfeindlichen Hintergrund aus, sagte die
Sprecherin. Die Schmierereien waren am Montagmorgen entdeckt worden.
Von dem mutmaßlichen
D`kZR]UV^`\cRe+
Burkhard
Jung, OB von Leipzig. FOTO: DPA
Täter oder den Tätern
fehlte zunächst jede Spur.
´ Der Fall ist einer in einer
ganzen Reihe von Bedrohungen gegen Kommunalpolitiker.
´ Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper
erhielt im Frühjahr Morddrohungen, teils mit SSRunen versehen. Er ist inzwischen wegen der
Flüchtlingspolitik der SPD
aus der Partei ausgetreten.
´ Der Ortsbürgermeister
von Tröglitz (Sachsen-Anhalt), Markus Nierth, trat
im März zurück, weil er
sich im Widerstand gegen
rechtsextreme Gruppen im
Ort alleingelassen fühlte.
´ Im hessischen MainKinzig-Kreis stand der
Landrat Erich Pipa zeitweise wegen Bedrohungen
unter Polizeischutz.
Die Semperoper sendet von
einer Videowand wechselnde
Signale für Toleranz – etwa den
Spruch „Wir sind keine Bühne für Fremdenhass“.
Nach einer Stunde sprechen Redner von der PegidaBühne immer noch davon, dass
Angehörige anderer Länder
angeblich besser behandelt
werden als Einheimische. Die
Anhänger skandieren „Widerstand“. Videos werden gezeigt.
Doch nach dem Abschluss
der Kundgebung ist die Auseinandersetzung längst nicht
beendet. Linke Demonstranten versuchen, den PegidaAnhängern den Rückweg abzuschneiden. Eine enge Gasse
in der Dunkelheit, ein Wasserwerfer hat sich positioniert. „Ich richte mich an die
Gruppe vor dem Wasserwerfer“, ruft eine Polizistin durch
den Lautsprecher. Dort stehen vorwiegend junge Menschen, die gegen Pegida demonstriert hatten. Plötzlich
fliegen Böller von hinten – von
dort, wo sich Pegida-Anhänger nähern. Die Lage ist unübersichtlich. Menschen rennen. Die Polizei kriegt es ab.
Immer wieder entlädt sich
die Stimmung in kleineren
Übergriffen. Mindestens ein
Mensch – ein Pegida-Anhänger – wird durch Faustschläge
verletzt.
wurden 2014 in nordrheinwestfälischen Kliniken wegen Osteoporose, die man
auch als Knochenschwund
bezeichnet, behandelt. Damit ist die Zahl der Patienten in NRW im vergangenen Jahr leicht gestiegen.
Wie das statistische Landesamt zum Welt-Osteoporosetag mitteilte, waren
das 3,8 Prozent mehr Behandlungsfälle als noch im
Jahr zuvor. Osteoporose
tritt häufig bei Frauen jenseits der Wechseljahre auf.
<`aW UVd ERXVd
FdYVc
Der R-&-B-Star Usher
Raymond IV. hat zum
37. Geburtstag ein
besonderes Geschenk
bekommen: US-Präsident
Barack Obama und First
Lady Michelle Obama
sangen ihm im Weißen
Haus ein Ständchen. Usher
veröffentlichte bei Facebook ein Video, in dem zu
sehen ist, wie ihm die
Obamas ein Törtchen mit
einer Kerze präsentieren
und dabei „Happy Birthday“ singen. Usher war als
einer von mehreren
Musikern im Amtssitz des
Präsidenten aufgetreten.
E`cdTY]fddaR_Z\ SVZ ERfdV_UV_ 7]áTYe]Z_XV_ Z_ DVcSZV_
9XcbXeiflk\1 Slowenien hat den Flüchtlingsstrom vorerst gestoppt. Die Folge sind wieder menschliche Dramen. Tausende warten im Dauerregen vor den
teilweise geschlossenen Grenzen, beispielsweise zwischen Serbien und Kroatien. Gleichzeitig geht der politische Poker weiter
VON CARSTEN HEIL
¥ Belgrad. Vergangene Woche war die Flüchtlingslage in
Serbien noch recht ruhig.
Übers Wochenende jedoch hat
sich die Situation wieder dramatisch zugespitzt. „Vorhof
zur Hölle“ – so beschreibt die
Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melita Sunjic, die Lage. Sie spricht
von den rund 2.000 Flüchtlingen, die am serbischen
Übergang Berkasovo ganz im
Westen des Landes an der
Grenze zu Kroatien bei Sid in
strömendem Regen auf freiem
Feld ausharren müssen.
Kroatien hat die Grenze
dichtgemacht und lässt nur
wenige Menschen durch. Der
Grund: Bei der Ausreise aus
Kroatien in Richtung Slowenien warten schon andere
Tausende, weil auch Slowenien nur einen kleinen Teil von
ihnen weiterreisen lässt.
Die durchgefrorenen und
durchnässten Menschen versuchen, sich auf den matschigen Feldwegen so gut es geht
vor dem stundenlangen Regen zu schützen. Mit Planen
und Decken, die aber nicht viel
nützen. Kleine Feuer sollen ein
wenig Wärme spenden.
Die Lage kann noch viel
schlimmer werden. Denn am
Vortag sind aus Griechenland
und Mazedonien rund 10.000
neue Flüchtlinge nach Serbien
eingereist, sagt das UNHCR.
Dass einige Staaten ihre Grenze vorübergehend schließen,
erzeuge „Flaschenhälse“, sagt
die Expertin Sunjic.
Spätestens seit Ungarn seine Grenzen komplett geschlossen hat, änderten Syrer,
Iraker und Afghanen – untereinander vernetzt mit
Smartphones – ihre Routen.
Nun ist Serbien zentrales
Transitland geworden. In Serbien bleiben will kaum ein
Flüchtling. Nur 16 Asylanträge wurden hier im Laufe die-
ses Jahres gestellt, bei über
200.000 durchgereisten Menschen. Mitten in Belgrad, in der
Nähe des Busbahnhofs, kampierten zeitweise bis zu tausend Flüchtlinge.
Jetzt hat die Regierung Unterkünfte eingerichtet. Aber die
Flüchtlinge nutzen sie nicht
lange. Es herrscht so etwas wie
Torschlusspanik unter ihnen.
Sie wollen so schnell wie möglich weiter, fürchten den be-
>áYe dZTY+ Sava Rakic organisiert die Unterkunft. FOTO: C. HEIL
vorstehenden Winter und vor
allem Gesetzesänderungen in
der EU, die eine Einreise unmöglich machen könnten. So
hat Ungarn erst Samstag das
letzte Stück seiner Grenze zu
Kroatien geschlossen. Mit den
geschilderten Folgen.
„Ich bin heute um 10 Uhr
angekommen und will gleich
weiter“, sagt Karo aus Kirkuk.
Der 22-jährige Kurde ist mit
drei Freunden und einem Onkel in der Unterkunft in Sid
an der serbisch-kroatischen
Grenze gelandet. Ein ehemaliges
Kinderkrankenhaus
wurde kurzerhand zur Unterkunft umfunktioniert und
bietet nun maximal 350
Flüchtlingen Platz.
Vergangene Woche waren
dort 83 Männer, Frauen und
auffällig viele Kinder untergebracht. Fünf Monate alt ist
das jüngste. Die Menschen bekommen Proviant, medizinische und psychologische Betreuung, etwas Schlaf und ei-
ne Dusche. Eigentlich könnten sie auch länger bleiben, betont Ivan Miskovic vom Regierungskommissariat
für
Flüchtlinge und Migration. Es
ist den Serben wichtig, klarzumachen, dass sie gut mit den
Flüchtlingen
umgehen.
Schließlich streben sie den
Beitritt zur Europäischen
Union an.
Premierminister Aleksandar Vucic hat der deutschen
Kanzlerin jüngst angeboten, in
Serbien einen sogenannten
Hotspot, eine Registrierungsstelle für ganz Europa, einzurichten. „Wir sind bereit dazu“, sagt er. Konkret angefragt haben bislang aber weder Angela Merkel noch die
EU-Kommission.
Vermutlich will man sich
weder in Berlin noch in Brüssel in die Schuld Belgrads begeben. Denn schon jetzt macht
Vucic („Ich bin selbst Sohn einer
Flüchtlingsfamilie“)
selbstbewusst darauf auf-
merksam, dass Serbien die
Flüchtlinge menschlicher und
eher nach europäischen Standards behandelt „als manches
EU-Land“, ein Seitenhieb auf
Ungarn und Kroatien. „Es gibt
einige EU-Länder, die ihre
Aufgabe nicht wahrnehmen,
aber wir tun es.“
Oppositionelle in Belgrad
sagen jedoch, Serbien müsse
mehr tun, als die Flüchtlinge
einfach nur zu versorgen und
durchs Land zu schleusen. Nicola Kovacevic kritisiert beispielsweise, dass Busunternehmen den Flüchtlingen Geld
abknöpfen für die Fahrt durchs
Land. Ahmed al Said hat 35
Euro pro Person seiner fünfköpfigen Familie bezahlt, berichtet der Iraker aus Bagdad.
Nach Frankfurt will er, zu einem Cousin, wie er sagt.
Flüchtlingshelfer Kovacevic
sagt, dass es vor allem im Winter so nicht mehr weitergehe.
Die aktuelle Lage an der kroatischen Grenze beweist das.