1 Original und Fälschung! eBay-Ersteigerung eines Vertu

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1 Original und Fälschung! eBay-Ersteigerung eines Vertu
Zivilrecht
Die Entscheidung
BGH, Urteil vom 28.03.2012, VIII ZR 244/10 = jurisbyhemmer
1 Original und Fälschung!
eBay-Ersteigerung eines
Vertu-Handys
+++ Kaufvertrag über eBay-Versteigerung +++ Schadensersatzanspruch des Käufers bei
Ersteigerung zu unverhältnismäßig günstigem Preis +++ Sittenwidrigkeit +++ nachträgliche
Feststellung des Vorliegens eines Plagiats +++
Sachverhalt (abgewandelt und verkürzt): V bot auf der Internetplattform eBay im Rahmen einer
Auktion unter Hinzufügung eines Fotos ein Mobiltelefon zum Verkauf unter der Bezeichnung „Vertu
Weiss Gold“ ab einem Startpreis von 1,- € an. Zur Beschreibung heißt es in dem Angebot „Zustand
gebraucht“. Außerdem teilte die V dazu Folgendes mit:
„Hallo an alle Liebhaber von Vertu. Ihr bietet auf ein fast neues Handy (wurde nur zum Ausprobieren ausgepackt). Weist aber ein paar leichte Gebrauchsspuren auf (erwähne ich der Ehrlichkeit halber). Hatte zwei ersteigert und mich für das gelb goldene entschieden. Gebrauchsanweisung (englisch) lege ich von dem gelb
goldenen bei, das andere habe ich auch nicht bekommen. Dazu bekommt ihr ein Etui, Kopfhörer und Ersatzakku. Privatverkauf, daher keine Rücknahme. Viel Spaß beim Bieten.“
K gab ein Maximalgebot von 1.999,- € ab und erhielt für 782,- € den Zuschlag. Nachdem K das ersteigerte Vertu-Handy von V zugeschickt bekam, musste er feststellen, dass es sich um eine Fälschung (sog. Plagiat) handelte. Dies war auf dem Foto bei dem Verkaufsangebot auf der Internetseite von eBay nicht erkennbar.
Das Verlangen des K, ihm ein „Original Vertu Handy Signature weiß-gold“ zu liefern, da das gefälschte Vertu-Handy mangelhaft sei, lehnte V mit der Begründung ab, dass ein neues OriginalVertu-Handy 24.000,- € kosten würde und dies dem K – was zutrifft – auch bekannt war.
K verlangt daraufhin von V Schadensersatz statt der Leistung.
Steht K gegen V dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz zu?
Hinweis: In den eBay-Grundsätzen, die die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay ergänzen,
ist folgender Grundsatz für den Verkäufer geregelt: „Es ist verboten, Fälschungen und rechtswidrige Repliken (z.B. gefälschte Uhren, Handtaschen oder andere Accessoires) anzubieten.“
A) Sounds
1. Bei einer Internetauktion rechtfertigt ein
grobes Missverhältnis zwischen dem Maximalgebot eines Bieters und dem (angenommenen) Wert des Versteigerungsobjekts
nicht ohne weiteres den Schluss auf eine
verwerfliche Gesinnung des Bieters.
2. Aus einem geringen Startpreis (hier: 1,- €)
bei einer Internetauktion ergeben sich keine
Rückschlüsse auf den Wert des Versteigerungsobjekts.
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3. Ob und mit welchem Inhalt bei einer Internetauktion durch die Angebotsbeschreibung
des Anbieters eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Meistbietenden zustande
kommt, ist unter umfassender Würdigung
der abgegebenen Willenserklärungen unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
4. Grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers
von der Unechtheit eines im Internet unter
Angabe des Markennamens versteigerten
Luxusobjekts kann nicht mit der Begründung
bejaht werden, es sei erfahrungswidrig, dass
ein solcher Gegenstand mit einem Startpreis
von nur einem Euro angeboten werde.
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Die Entscheidung
B) Problemaufriss
Bei einer eBay-Versteigerung kommt der Vertrag nach den allgemeinen Vorschriften der
§§ 145 ff. BGB zustande.
Der Vertragsschluss erfolgt nach Ansicht des
BGH insbesondere nicht nach § 156 BGB, da
die Mitteilung von eBay an den Käufer, dass er
der Höchstbietende war, lediglich eine Wissensmitteilung darstellt.
Dabei handelt es sich nicht um einen Zuschlag
als Voraussetzung des Vertragsschlusses i.S.d.
§ 156 BGB, da ein solcher nämlich eine Willenserklärung erfordert.1
Zivilrecht
lich der Unmöglichkeit der Nacherfüllung nicht
exkulpieren kann.
Anspruchsvoraussetzungen der
§§ 437 Nr. 3, 311a II BGB:
Anmerkung: Aus diesem Grund hat der BGH
auch konsequent den Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312d IV Nr. 5 BGB nicht auf
die Verkäufe bei eBay angewendet.2 Kauft also
ein Verbraucher (§ 13 BGB) von einem Unternehmer (§ 14 BGB) - z.B. von einem sog. „Powerseller“3 - bei eBay eine Ware ein, so kann er
diesen
Fernabsatzvertragsabschluss
gem.
§ 312d BGB widerrufen.
Im Mittelpunkt des vorliegenden Falles steht die
Frage, ob die für die Bejahung der Sittenwidrigkeit erforderliche verwerfliche Gesinnung bei
einem auffälligen Missverhältnis von Leistung
und Gegenleistung auch bei Internetversteigerung vermutet werden kann.
C) Lösung
In Betracht kommt ein Anspruch des K gegen V
auf Schadensersatz statt der Leistung gem.
§§ 437 Nr. 3, 311a II BGB.
Dieser Anspruch setzt voraus, dass zwischen
V und K ein wirksamer Kaufvertrag zustande
gekommen ist, das gelieferte Handy anfänglich
unbehebbar mangelhaft war und sich V hinsicht1
2
3
BGH, Life & Law 2002, 152 ff. = BGHZ 149, 129, 134
m.w.N. = jurisbyhemmer.
Hinweis: Auch der bloße Zeitablauf, mit dem die Internet-Auktion endet, ist keine Willenserklärung und kann
eine solche auch nicht ersetzen. Mit der Festlegung der
Laufzeit der Internet-Auktion bestimmt der Verkäufer
gemäß § 148 BGB eine Frist für die Annahme seines
Angebots durch den Meistbietenden. Die vertragliche
Bindung beruht nicht auf dem Ablauf dieser Frist, sondern auf den - innerhalb der Laufzeit der Auktion wirksam abgegebenen - Willenserklärungen der Parteien.
Vgl. BGH, Life & Law 2005, 93 ff. = ZGS 2005, 30 ff. =
NJW 2005, 53 ff. = jurisbyhemmer.
Wer über eBay immer wieder Dinge verkauft, darunter
manchmal mehrere gleichartige Geräte, und sich selbst
als „Powerseller“ bezeichnet, handelt gewerblich und ist
damit Unternehmer, vgl. AG Radolfzell in NJW 2004,
3342 f. = jurisbyhemmer.
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1.
Wirksamer Kaufvertrag
2.
Vorliegen eines Sach- oder Rechtsmangels, §§ 434, 435 BGB
3.
Anfängliche Unmöglichkeit der Nacherfüllung, § 275 I - III BGB
4.
Keine Widerlegung der vermuteten
Kenntnis bzw. zu vertretenden Unkenntnis des Verkäufers, § 311a II S. 2
BGB
5.
Kein Ausschluss der Mängelrechte
(§§ 442, 444 BGB; § 377 II,III HGB) und
keine Verjährung (§§ 438, 214 I BGB)
I. Wirksamer Kaufvertrag, § 433 BGB
Zunächst müsste zwischen V und K ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen sein.
1. Angebot des V
V hat das Vertu-Handy zwecks Durchführung
einer Online-Auktion auf der Website von eBay
eingestellt und die Angebotsseite für die Versteigerung des Handys freigeschaltet.
Die Rechtsprechung sieht im Einstellen und in
der Freischaltung einer Online-Auktion bei eBay
durch V ein rechtsverbindliches Angebot zum
Abschluss eines Kaufvertrags, vgl. auch
§ 10 Nr. 1 S. 1 eBay-AGB.4
4
§ 10 Nr. 1 der eBay-AGB lautet: 1Stellt ein Anbieter
auf der eBay-Website einen Artikel im Angebotsformat
Auktion ein, gibt er ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrags über diesen Artikel ab. 2Dabei
bestimmt der Anbieter einen Startpreis und eine Frist
(Angebotsdauer), binnen derer das Angebot per Gebot
angenommen werden kann. 3Der Bieter nimmt das Angebot durch Abgabe eines Gebots über die BietenFunktion an. 4Das Gebot erlischt, wenn ein anderer
Bieter während der Angebotsdauer ein höheres Gebot
abgibt. 5Bei Ablauf der Auktion oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots durch den Anbieter kommt
zwischen Anbieter und Höchstbietendem ein Vertrag
über den Erwerb des Artikels zustande, es sei denn der
Anbieter war gesetzlich dazu berechtigt, das Angebot
zurückzunehmen und die vorliegenden Gebote zu
streichen. 6Nach einer berechtigten Gebotsrücknahme
kommt zwischen dem Mitglied, das nach Ablauf der
Auktion aufgrund der Gebotsrücknahme wieder
Höchstbietender ist und dem Anbieter kein Vertrag zustande. 7Anbieter und Höchstbietender können sich einigen, dass ein Vertrag zustande kommt.
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Zivilrecht
Die Entscheidung
2. Annahme des K
K hat als „Ersteigerer“ dieses Angebot durch
sein Höchstgebot von 1.999,- € angenommen
(vgl. § 10 Nr. 1 S. 3 eBay-AGB), und zwar auflösend bedingt für den Fall, dass ein anderer Bieter während der Laufzeit ein höheres Gebot abgibt (vgl. § 10 Nr. 1 S. 4 eBay-AGB).5
Da K für 782,- € den Zuschlag erhalten hat, ist
zwischen K und V ein Kaufvertrag zustande
gekommen.
3. Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit,
§ 138 I BGB?
Der Kaufvertrag könnte aber als wucherähnliches Rechtsgeschäft wegen Sittenwidrigkeit
nichtig sein, § 138 I BGB.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind
Rechtsgeschäfte, bei denen ein auffälliges
Missverhältnis zwischen der versprochenen
Vergütung und dem Wert der dafür zu erbringenden Leistung besteht, nach § 138 I BGB
nichtig, wenn weitere Umstände hinzutreten wie
etwa eine verwerfliche Gesinnung oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit des Partners für das eigene unangemessene Gewinnstreben.
a) Grundsatz: Vermutung der verwerflichen
Gesinnung bei
besonders krassem Missverhältnis
Besteht ein grobes, besonders krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung,
so rechtfertigt dieser Umstand regelmäßig den
Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des
begünstigten Vertragsteils und damit auf einen
sittenwidrigen Charakter des Rechtsgeschäfts.
Ein solches auffälliges, grobes Missverhältnis
wird bei Grundstückskaufverträgen sowie Kaufverträgen über vergleichbar wertvolle bewegliche Sachen regelmäßig angenommen, wenn
der Wert der Leistung annähernd doppelt so
hoch ist wie derjenige der Gegenleistung.6
Zum Wert des von V angebotenen Mobiltelefons enthält der Sachverhalt keine eindeutigen
Feststellungen. Der von V behauptete Ladenpreis eines neuen Vertu-Mobiltelefons in Höhe
von 24.000,- € kann jedenfalls nicht zugrunde
gelegt werden, da das angebotene Mobiltelefon
nicht neu, sondern gebraucht war.
5
6
AG Menden, NJW 2004, 1329 f. = jurisbyhemmer;
OLG Hamm, NJW 2001, 1142 ff. = jurisbyhemmer.
BGH, NJW 1992, 899 f. = jurisbyhemmer; BGH,
MDR 1997, 127 f. = jurisbyhemmer; BGH, NJWRR 1998, 1065 ff. = jurisbyhemmer; BGH, NJW 2000,
1487 ff. = jurisbyhemmer.
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V hatte zudem angegeben, es selbst ersteigert
und damit nicht im autorisierten Fachhandel
erworben zu haben. Zudem fehlte die Gebrauchsanleitung.
Ein derartiger Gegenstand hat ersichtlich nicht
ansatzweise den Marktwert eines vom Fachhandel angebotenen neuen Originalgeräts.
Dennoch ist davon auszugehen, dass ein Original-Vertu-Handy auch gebraucht weit mehr als
das Doppelte des von K gezahlten Kaufpreises
in Höhe von 782,- € wert ist. Von einem besonders auffälligen Missverhältnis von Leistung und
Gegenleistung kann daher im vorliegenden Fall
ausgegangen werden.
b) Problem: Gilt diese Vermutung auch bei
Internetversteigerungen
Fraglich und umstritten ist allerdings, ob diese
Vermutung auch auf im Wege von Internetversteigerungen zustande gekommenen Kaufverträgen zur Anwendung kommt.
aa) Ansicht der Vorinstanz
Das Berufungsgericht7 war der Ansicht, dass die
Vermutung der verwerflichen Gesinnung auch
auf Internetauktionen, bei denen das vom Käufer abgegebene Maximalgebot in einem auffälligen Missverhältnis zum Wert des Gegenstands
stehe, übertragen werden kann.
Die Besonderheit des Vertragsschlusses bei
eBay, dass die zukünftigen Vertragspartner zum
Zeitpunkt der Abgabe ihrer Willenserklärungen
noch nicht wissen, ob die Erklärungen zu einem
Vertragsschluss führen oder/und welchen Inhalt
dieser Vertrag haben wird, sei kein Grund, den
Vertragspartnern den sich aus § 138 I BGB ergebenden Schutz zu versagen. Dass die damit
von den Umständen des Einzelfalls abhängende
Sittenwidrigkeit zu Unsicherheiten über die Gültigkeit von Rechtsgeschäften führt, sei keine
Besonderheit einer Internetauktion und zum
Schutze des Vertragspartners, dessen freie Willensbestimmung beeinträchtigt war, hinzunehmen. Es mag zwar sein, dass sich Vertragsabschlüsse bei Internetauktionen generell weniger
am Marktwert der Kaufsache ausrichten als herkömmliche Verträge. Das sei aber nicht der entscheidende Gesichtspunkt. Bei Verträgen, die
im Rahmen von Internetauktionen geschlossen
wurden, stelle sich wie bei herkömmlichen Verträgen die Frage, welche Folgen es hat, dass
der Kaufpreis in besonderer Weise vom Wert
der Kaufsache abweicht.
7
OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.08.2010, Az.: 8 U
472/09.
471
Die Entscheidung
Zur Beantwortung der Frage kann auf die von
der Rechtsprechung bereits allgemein entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Ist das
Missverhältnis zwischen Preis und Wert besonders grob, so sei es dem Begünstigten danach
zuzumuten, sich zu entlasten, also darzutun,
dass es ihm nicht um die Ausnutzung namentlich der Unerfahrenheit des Vertragspartners
ging, soweit sich dies nicht bereits ohne weiteres aus den Umständen ergibt.
bb) Ansicht der Literatur und
Instanzrechtsprechung
Demgegenüber wird in der Instanzrechtsprechung und in der Literatur die Auffassung vertreten, dass aufgrund der Besonderheiten einer
Internetauktion nicht bereits aus einem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung auf das
für § 138 BGB erforderliche subjektive Tatbestandsmerkmal der verwerflichen Gesinnung
geschlossen werden kann.8
c) Ansicht des BGH
Der BGH schließt sich nun erstmals der zuletzt
genannten Ansicht an.
Der Schluss von dem besonders groben Äquivalenzmissverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten leitet sich aus dem
Erfahrungssatz her, dass außergewöhnliche
Leistungen in der Regel nicht ohne Not oder
einen anderen den Benachteiligten hemmenden
Umstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt.9
Von einem solchen Beweisanzeichen kann
aber bei einer Onlineauktion nicht ohne weiteres
ausgegangen werden, da sich die Situation einer Internetversteigerung grundlegend von den
bisher entschiedenen Fällen unterscheidet, in
denen sich in den Vertragsverhandlungen, die
zu den Zugeständnissen der objektiv benachteiligten Seite führten, nur die Vertragspartner gegenüberstanden.
Bei einer Onlineauktion kann aus einem deutlich unter dem Wert des angebotenen Gegenstands liegenden Gebot des Bieters noch nicht
auf dessen verwerfliche Gesinnung geschlossen
werden. Zwar ist der Kaufpreis für den Bieter
durch den von ihm eingegebenen Höchstpreis
8
9
OLG
Oldenburg,
NJW 2004,
168,
169
= jurisbyhemmer; OLG Köln, MMR 2007, 446 ff.
= jurisbyhemmer; LG München I, ZUM-RD 2009, 360 f.
= jurisbyhemmer; Heckmann in: jurisPK-Internetrecht,
3. Aufl., Kap. 4.3 Rn. 97 ff.; Spindler/Schuster/Müller,
Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl., § 138 BGB,
Rn. 20a; Eickelmann, JURA 2011, 451, 454 f.
BGH, NJW 2001, 1127 ff. = jurisbyhemmer; BGH,
NJW 2002, 429 ff. = jurisbyhemmer.
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Zivilrecht
zunächst nach oben begrenzt. Es macht jedoch
gerade den Reiz einer (Internet-)Auktion aus,
mit der Abgabe eines zunächst niedrigen Gebots die Chance wahrzunehmen, den Auktionsgegenstand zum „Schnäppchenpreis“ zu erwerben, während umgekehrt der Anbieter die Chance wahrnimmt, durch den Mechanismus des
Überbietens am Ende einen für ihn vorteilhaften
Kaufpreis zu erzielen.
Für den Bieter kann es daher durchaus taktische Gründe geben, zunächst nicht sein äußerstes Höchstgebot anzugeben, sondern - etwa
kurz vor Ablauf der Auktion - noch ein höheres
Gebot zu platzieren, zu dem er indes keine Veranlassung hat, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Auktionsverlaufes bereits
Chancen ausrechnen kann, den Gegenstand zu
dem von ihm zunächst gebotenen Höchstpreis
zu erwerben.
Bereits aus diesem Grund ist der vom Berufungsgericht angenommene Schluss einer verwerflichen Gesinnung alleine aus dem Verhältnis des abgegebenen Höchstgebots zum Wert
nicht gerechtfertigt.
hemmer-Methode: Dieses Argument müssen
Sie sich einprägen, da es geradezu zwingend
ist. Anderenfalls hätte nahezu jeder, der bei
eBay etwas ersteigert und anfänglich ein niedriges Höchstgebot abgibt, kraft Vermutung eine verwerfliche Gesinnung.
Es bedarf daher zusätzlicher - zu einem etwaigen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung hinzutretender - Umstände, aus denen bei
einem Vertragsschluss im Rahmen einer Internetauktion geschlossen werden kann, der Bieter
habe trotz der hier bestehenden besonderen
Preisbildungssituation die Not oder einen anderen den Anbieter hemmenden Umstand in verwerflicher Weise zu seinem Vorteil ausgenutzt.
Derartige Umstände hat das Berufungsgericht
nicht festgestellt.
Ergebnis: Damit ist der zwischen V und K zustande gekommene Kaufvertrag nicht i.S.d.
§ 138 I BGB sittenwidrig und damit wirksam.
II. Vorliegen eines Sachmangels,
§ 434 I S. 1 BGB
Weitere Voraussetzung für einen Anspruch auf
Schadensersatz statt der Leistung gem.
§§ 437 Nr. 3, 311a II BGB ist das Vorliegen eines Sachmangels bei Gefahrübergang.
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Zivilrecht
Die Entscheidung
Anmerkung: Im Originalfall hatte K die Annahme des von V angebotenen Vertu-Handys verweigert. Dies hat den BGH und die Vorinstanzen
aber nicht daran gehindert, Mängelansprüche zu
diskutieren. Dass diese erst ab Gefahrübergang
zur Anwendung kommen und ein solcher allenfalls vor Übergabe mit § 447 I BGB konstruiert
werden kann, wird in der Entscheidung aber mit
keiner Silbe erwähnt.
Wenn Sie sich im Examen solche Grundlagenfehler leisten, dann müssen Sie mit deutlichen
Punktabzügen rechnen.
Ein weiteres – für Verkäufer oft entscheidendes – Motiv für einen niedrigen Startpreis ist die
Minimierung der von eBay geforderten und am
Startpreis orientierten Angebotsgebühr. Ein
Rückschluss darauf, ob die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung über wertbildende
Eigenschaften getroffen haben, kann daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts aus
dem Startpreis einer Internetauktion nicht erfolgen.10
Nach § 434 I S. 1 BGB ist eine Sache sachmängelbehaftet, wenn die Kaufsache zur Zeit des
Gefahrübergangs nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufweist.
Dies wäre dann der Fall, wenn eine Beschaffenheitsvereinbarung des Inhalts getroffen worden wäre, dass es sich bei dem angebotenen
Mobiltelefon um ein Originalexemplar der Marke
Vertu handelt.
Ob durch die Angebotsbeschreibung eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I S. 1 BGB)
des Inhalts, dass es sich bei dem angebotenen
Mobiltelefon um ein Originalexemplar der Marke
Vertu handelt, getroffen wurde, erfordert eine
umfassende Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen, §§ 133, 157 BGB.
Ausgangspunkt dieser Beurteilung ist das Angebot der V, welches in der Überschrift ein Mobiltelefon mit der Bezeichnung „Vertu“ anbietet
und sich ausdrücklich „an alle Liebhaber von
Vertu“ richtete. Dies sind Umstände, die aus
Sicht eines verständigen Käufers für eine Beschaffenheitsvereinbarung sprechen.
Andere Umstände erscheinen dagegen geeignet, Zweifel am Bestehen einer Beschaffenheitsvereinbarung zu wecken.
So gab V an, das streitgegenständliche Telefon und ein weiteres Vertu-Mobiltelefon selbst
ersteigert und damit nicht im autorisierten Fachhandel erworben zu haben. Auch fehlte die Gebrauchsanleitung.
Da sich aber hinsichtlich des angebotenen
Modells aus dem Foto, das dem Angebot beigefügt war, das Vorliegen einer Fälschung nicht
erkennen ließ, kommt diesen Umständen kein
entscheidendes Gewicht zu.
1. Originalexemplar als vereinbarte
Sollbeschaffenheit?
Die Vorinstanz hat eine entsprechende Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. § 434 I S. 1 BGB
verneint. Begründet wurde dies damit, dass gegen eine Sollbeschaffenheitsvereinbarung „vor
allem“ der von der V gewählte Startpreis der
Auktion von 1,- € spreche.
a) BGH: Startpreis von 1,- € hat keinen
Aussagegehalt über Beschaffenheit
Der BGH folgt dieser Auffassung zu Recht nicht.
Dem Startpreis kann nämlich angesichts der
Besonderheiten einer Internetauktion im Hinblick
auf den Wert des angebotenen Gegenstands
grundsätzlich kein Aussagegehalt entnommen
werden. Denn der bei Internetauktionen erzielbare Preis ist von dem Startpreis völlig unabhängig, da er aus den Maximalgeboten der Interessenten gebildet wird.
Daher können auch Artikel mit einem sehr geringen Startpreis einen hohen Endpreis erzielen,
wenn mehrere Bieter bereit sind, entsprechende
Beträge für den Artikel zu zahlen. Dieses System kann den Anbieter veranlassen, auch
hochwertige Artikel zu einem niedrigen Einstiegspreis anzubieten. Der Anbieter kann mit
einem solchen Startpreis beispielsweise versuchen, das Interesse einer Vielzahl von Interessenten zu wecken, und sich dabei von der Hoffnung leiten lassen, durch eine Vielzahl von Geboten einen hohen Preis zu erzielen.
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b) Angebotsausschreibung spricht für Vereinbarung der Originalbeschaffenheit
Anmerkung: Im Originalfall wurden zu der letzten Frage keine Feststellungen getroffen, sodass der BGH das Vorliegen eines Mangels
letztlich offengelassen und die Sache zur erneuten Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat.
10
So auch LG Frankfurt
= jurisbyhemmer.
a.M.,
MMR 2007,
677
473
Die Entscheidung
c) eBay-AGB verbieten
den Verkauf von Fälschungen
Das entscheidende Argument für den Verkauf
eines Originals ist den eBay-Grundsätzen für
den Verkäufer zu entnehmen.
Nach den eBay-Grundsätzen, bei denen es
sich um vorformulierte Allgemeine Geschäftsbedingungen von eBay handelt, ist der Verkauf von
Repliken und Fälschungen nämlich ausdrücklich
verboten (vgl. hierzu den Hinweis im Bearbeitervermerk).11
Fraglich ist, ob die eBay-AGBen auch Inhalt
des Kaufvertrags zwischen Verkäufer und Käufer (sog. Marktverhältnis) werden.
Die Einbeziehungslösung kommt zu dem Ergebnis, dass die eBay-AGB auch im Verhältnis
der Teilnehmer untereinander gelten. Hauptsächlich wird dies damit begründet, dass sich
die Vertragspartei, die bei eBay eine Sache zum
Verkauf einstellt, die AGB von eBay „zu eigen
macht“ und damit als „Quasi-Verwender“ auftritt.12
Nach der Auslegungslösung gelten die
eBay-AGB nicht für die Verträge zwischen den
Teilnehmern untereinander. Sie sind aber zur
Auslegung des zwischen diesen abgeschlossenen Vertrages heranzuziehen, da beide Parteien
durch ihre Anmeldung bei eBay wissen, dass
auch jeweils die andere Seite die eBay-AGB
akzeptiert hat.13
Der BGH hat sich inzwischen dieser Auslegungslösung ausdrücklich angeschlossen,14
was er in der vorliegenden Entscheidung erneut
bestätigt. Da die Allgemeinen Geschäftsbedingungen jeweils nur zwischen eBay und dem
Inhaber eines Mitgliedskontos vereinbart worden
sind, kommt diesen keine unmittelbare Geltung zwischen Anbieter und Bieter zu. Sie können aber für die Auslegung der vor ihrem Hintergrund erfolgten Erklärungen Bedeutung gewinnen.
Der objektive Erklärungsinhalt der Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) bei Abschluss des
Kaufvertrags im Rahmen der bei eBay durchgeführten Internetauktion richtet sich daher auch
nach den Bestimmungen in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen von eBay, denen die
Parteien vor der Teilnahme an der Internetauktion zugestimmt haben.
11
12
13
14
Vgl.
dazu
auch
BGH,
MMR 2011,
172 ff.
= jurisbyhemmer.
Vgl. Lettl, Versteigerung im Internet, JuS 2002, 219 ff.
AG Moers in NJW 2004, 1330 f.; vgl. auch OLG Hamm,
NJW 2001, 1142 f.
BGH, Life & Law 2011, 615 ff., Heft 9 = NJW 2011,
2421 ff. = jurisbyhemmer; BGH, NJW 2011, 2643 f. = =
jurisbyhemmer.
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Zivilrecht
Bezieht sich das Angebot ausdrücklich auf einen Markennamen (hier: Vertu), kann und darf
der Kunde, soweit sich nicht aus dem Angebot
eine Einschränkung ergibt, daher im allgemeinen die berechtigte Erwartung haben, dass das
angebotene Produkt diesen Vorgaben entspricht
und kein Plagiat ist.
Ergebnis: Damit wurde konkludent vereinbart,
dass das von V verkaufte Vertu-Handy ein Original darstellt. Durch die Lieferung einer Fälschung hat V dem K daher eine mangelhafte
Sache verschafft, § 434 I S. 1 BGB.
III. Unmöglichkeit der Nacherfüllung
Weitere Voraussetzung für einen Anspruch aus
§§ 437 Nr. 3, 311a II BGB ist die anfängliche
Unmöglichkeit der Nacherfüllung gem. § 275 I
BGB.
1. Beseitigung des Mangels ist unmöglich
Der Mangel der Fälschung lässt sich nicht beheben, sodass eine Nachbesserung i.S.d.
§ 439 I Alt. 1 BGB offensichtlich ausscheidet.
2. Problem: Gibt es die Nachlieferung beim
Stückkauf?
Die Lieferung eines mangelfreien Original-VertuHandys wäre nur dann möglich, wenn es auch
beim hier eindeutig vorliegenden Stückkauf einen Nachlieferungsanspruch gibt.15
a) Nach e.A. generell unmöglich
Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht
scheidet ein Anspruch auf Nachlieferung von
vornherein aus.16
Geschuldet wird demnach nur das konkret individualisierte „Stück“, während die Ersatzlieferung auf die Lieferung einer anderen als der
zunächst gelieferten, mangelhaften Sache gerichtet ist. Würde eine andere Sache geliefert,
wäre diese als „aliud“ wiederum mangelhaft,
§ 434 III BGB.
Daher wird vertreten, dass dem Stückverkäufer die Nachlieferung einer mangelfreien Sache
objektiv anfänglich unmöglich ist, § 275 I BGB.
15
16
Vgl. Hemmer/Wüst Schuldrecht BT I, Rn. 162 ff. (bis
2011: Schulrecht II).; Fest/Tyroller, Nachlieferung beim
Stückkauf, Life & Law 2005, 133 ff.
Vgl. Huber, NJW 2002, 1004; Lorenz, JZ 2001, 378;
Westermann, NJW 2002, 241; Lorenz, JuS 2003, 36,
37; Reischl, JuS 2003, 865 [869]; Lorenz/Riehm, Lehrbuch zum neuen Schuldrecht, 2002, Rn. 505
hemmer! Life&Law 07/2012
Zivilrecht
Die Entscheidung
Mithin sei der Stückkäufer auf die Nacherfüllungsvariante der Nachbesserung beschränkt.
2. Ansicht des BGH
Nach Ansicht des BGH ist ein Nachlieferungsanspruch bei austauschbaren Sachen zu bejahen.17 Dabei kommt es insbesondere auf die
Gleichwertigkeit und Gleichartigkeit der Ersatzsache im Vergleich zu der gekauften Sache an.
Dies wird insbesondere beim Kauf eines neuwertigen Ausstellungsgegenstandes zu bejahen
sein.
hemmer-Methode: In diese Richtung geht
auch die Ansicht, die die Nachlieferung bei
vertretbaren Sachen bejaht. Gem. § 91 BGB
sind dies bewegliche Sachen, die im Verkehr
nach Zahl, Maß und Gewicht bestimmt zu
werden pflegen. Das heißt vertretbar ist eine
Sache dann, wenn sie sich von anderen Sachen der gleichen Art nicht durch ausgeprägte
Individualisierungsmerkmale abhebt und daher ohne weiteres ausgetauscht werden kann.
Die Begrenzung auf vertretbare Sachen
wird aber zu Recht kritisiert, da dieser Begriff
des deutschen Rechts der Richtlinie fremd
ist.18 Vielmehr sei bei einer „Ersatz“lieferung
darauf abzustellen, ob die Kaufsache ersetzbar sei. Dies bestimme sich nach dem Parteiwillen und seiner Auslegung.
3. Übertragung auf den hier vorliegenden
Kauf eines „gebrauchten“ Handys
Im vorliegenden Fall wurde eine gebrauchte
Sache verkauft.
Beim Verkauf einer gebrauchten Sache, die
auch Gebrauchsspuren aufweist, ist die Ersatzlieferung regelmäßig unmöglich im Sinne des
§ 275 I BGB. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Kaufsache nach
dem Willen der Beteiligten austauschbar ist.
K hat seine Kaufentscheidung nicht nur aufgrund objektiver Anforderungen, sondern auch
aufgrund des anhand des Fotos gewonnenen
persönlichen Eindrucks von dem Vertu-Handy
getroffen.
17
18
BGH, Life & Law 2006, 725 ff., Heft 11 = ZGS 2006,
348 ff. = jurisbyhemmer; vgl. auch Kamanabrou in
ZGS 2004, 57 ff.; Pammler, NJW 2003, 1992 [1993
m.w.N.]; LG Ellwangen in NJW 2003, 517 =
Life & Law 2003, 233 ff.
Canaris, „Die Nacherfüllung durch Lieferung einer
mangelfreien Sache beim Stückkauf“, JZ 2003, 831 ff.
hemmer! Life&Law 07/2012
Außerdem handelt es sich nicht um den Verkauf eines Massenprodukts, sondern um ein
seltenes, extrem hochwertiges und teures Gerät.
Die Auslegung des hypothetischen Parteiwillens geht beim Kauf gebrauchter hochwertiger
Sachen regelmäßig dahin, dass es dem Käufer
auf diesen bestimmten Gegenstand ankommt.
Angesichts des naturgemäß unterschiedlichen
Erhaltungszustands gebrauchter Sachen und
der damit verbundenen Schwierigkeit, eine in
jeder Hinsicht gleichwertige Ersatzsache zu beschaffen, ist ein Anspruch des K auf Nachlieferung abzulehnen.
„Checkliste zur Nachlieferung bei der Stückschuld“
1. Enthält der Sachverhalt Hinweise dafür, dass
der Kauf auf einer individuellen Entscheidung
des Käufers beruht, so scheidet eine Nachlieferung grds. aus.
2. Lässt sich ein dahingehender Parteiwille nicht
feststellen, so kommt es auf den mutmaßlichen
Willen an, der gem. §§ 133, 157 BGB aus Sicht
von objektiv verständigen Parteien ermittelt wird.
Hierbei ist die Vertretbarkeit bzw. Ersatzfähigkeit des Gegenstands ein Indiz für die Ersetzbarkeit und damit für das Bestehen eines Nachlieferungsanspruchs.
Bei gebrauchten Sachen ist die Ersatzfähigkeit
regelmäßig abzulehnen.
IV. Keine Widerlegung der vermuteten
Kenntnis bzw. zu vertretenden Unkenntnis des Verkäufers, § 311a II S. 2
BGB
Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen anfänglicher Unmöglichkeit der
Nacherfüllung setzt voraus, dass sich V hinsichtlich seiner vermuteten Kenntnis bzw. zu vertretenden Unkenntnis der Unmöglichkeit der Nacherfüllung nicht exkulpieren kann, §§ 437 Nr. 3,
311a II S. 2 BGB.
Nachdem der Sachverhalt hierzu keinerlei
Hinweise enthält, ist vom Vertretenmüssen der
V auszugehen.
V. Kein Ausschluss der Mängelrechte
nach § 442 I S. 2 BGB
Der Anspruch wäre allerdings – vorbehaltlich
einer dem Sachverhalt nicht zu entnehmenden
Arglist der V - ausgeschlossen, wenn K der
475
Die Entscheidung
Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt
geblieben ist.
Da sich dem Foto das Vorliegen einer Fälschung nicht entnehmen ließ, liegt keine grob
fahrlässige Unkenntnis des K vor.
Aus den bereits unter II 1. a) dargelegten
Gründen kann auch nicht aus dem Umstand des
niedrigen Startpreises von 1,- € auf eine grob
fahrlässige Unkenntnis des K geschlossen werden.
Anmerkung: Auch hier war das Berufungsgericht wieder anderer Ansicht. Dieses hat den
geltend gemachten Schadensersatzanspruch
mit der „Hilfsbegründung“ verneint, dem K sei
der (unterstellte) Mangel der Unechtheit des von
der Beklagten angebotenen Mobiltelefons infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben
(§ 442 I S. 2 BGB), weil es erfahrungswidrig sei,
dass ein Mobiltelefon mit einem dem K bekannten Wert zu einem Startpreis von 1,- € auf einer
Internetplattform im Original angeboten werde.
VI. Endergebnis
K kann von V daher Schadensersatz statt der
Leistung verlangen, §§ 437 Nr. 3, 311a II BGB.
hemmer-Methode: Wieviel Schadensersatz
dem K zusteht, ist damit aber nicht gesagt.
Im Originalfall hat K Schadensersatz statt
der Leistung verlangt und diesen auf 23.218,€ beziffert. (24.000,- € abzüglich des Kaufpreises von 782,- €). In dieser Höhe steht
dem K ein Anspruch sicher nicht zu. Das angebotene Mobiltelefon war nämlich nicht neu,
sondern gebraucht. V hatte zudem angegeben, es selbst ersteigert und damit nicht im
autorisierten Fachhandel erworben zu haben.
Zudem fehlte die Gebrauchsanleitung. Ein
derartiger Gegenstand hat ersichtlich nicht
ansatzweise den Marktwert eines vom Fachhandel angebotenen neuen Originalgeräts.
Daher wurde in der Life & Law die Fallfrage darauf beschränkt, ob dem Grunde nach
ein Anspruch auf Schadensersatz besteht.
D) Kommentar
(mty). Der BGH hat die Entscheidung des Berufungsgerichts vollkommen zu Recht aufgehoben.
Die Entscheidung des BGH ist aber für den
Studenten auch nicht brauchbar. Zur Entscheidung des Berufungsgerichts führt der BGH aus:
476
Zivilrecht
„Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch des Klägers auf
Schadensersatz gemäß § 280 I, III, 281 S. 1
BGB nicht verneint werden.“
Diese Anspruchsgrundlage ist aufgrund des
Umstands, dass nach den folgenden Ausführungen das Mängelrecht einschlägig sein soll
und beim Kauf gebrauchter Sachen die Nachlieferung ausscheidet, aber unzutreffend (s.o.).
Die Überschrift „Original und Fälschung“ passt
daher auch auf das Verhältnis BGH 
Life & Law.
E) hemmer-background
Der hemmer-background befasst sich mit der
interessanten Frage, ob sich die Geltendmachung der Rechte aus dem eBay-Kaufvertrag
als unzulässige Rechtsausübung im Sinne des
§ 242 BGB darstellt, wenn ein sehr teurer Gegenstand zum Startpreis von 1,- € angeboten
wird und der Verkäufer das Angebot vor Auktionsende zurückzieht.
Rechtsmissbrauch bei Schnäppchenkauf
und vorzeitig beendeter eBay-Internetauktion
Ob sich die Geltendmachung der Rechte aus
einem eBay-Kauf bei vorzeitig abgebrochener
Auktion als unzulässige Rechtsausübung im
Sinne des § 242 BGB darstellt, ist im Wege einer Abwägung der beiderseitigen Interessen zu
prüfen.
Diesbezüglich ist die instanzgerichtliche
Rechtsprechung uneinheitlich. Eine Entscheidung des BGH zu dieser Frage steht noch aus.
1. Ansicht des LG Koblenz im Porsche-Fall
Sachverhalt: V bot einen sechzehn Monate
alten Porsche Carrera zu einem Mindestgebot
von 1,- € zur Versteigerung an (Neuwert:
105.000,- €, Laufleistung: 5.800 km). Nach acht
Minuten beendete V die Auktion vorzeitig. Zu
diesem Zeitpunkt hatte K ein Kaufangebot in
Höhe von 5,50 € abgegeben; als Höchstbetrag
hatte K einen Betrag von 1.100,- € angegeben.19
Nach Ansicht des LG Koblenz stand dem Anspruch des K der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen (§ 242 BGB), da eine eBayAuktion regelmäßig bis zu einer Woche dauert,
in deren Verlauf insbesondere auf hochwertige
Alltagsgegenstände eine Vielzahl von Angeboten abgegeben würden. Die Nachfrage nach
gebrauchten Kraftfahrzeugen im Internet sei
19
LG Koblenz,
Life & Law 2009,
502,
NJW 2010, 159 ff. = jurisbyhemmer.
Heft 7
=
hemmer! Life&Law 07/2012
Zivilrecht
groß; Fahrzeuge wie der von V angebotene
Porsche erreichten regelmäßig Verkaufspreise
von weit über 50.000,- . K habe deshalb nicht
davon ausgehen können, für das von ihm abgegebene Gebot von 5,50 oder für das von ihm
angegebene Höchstgebot von 1.100,das
Fahrzeug erwerben zu können. Es erscheine
auch als ausgeschlossen, dass bis zum regulären Ende der Auktion keine weiteren, höheren
Gebote für den Porsche abgegeben worden
wären.
K würde bei Anerkennung eines Anspruches
dafür „belohnt“, dass V schnellstmöglich versucht habe, die aus seiner Sicht fehlerhafte Auktion abzubrechen. Nach Ansicht des LG Koblenz
wäre bei Fortführung der Auktion ein Preis erzielt worden, der ein Vielfaches des Höchstgebots des K ergeben hätte.
2. Ansicht des OLG Köln im Rübenroderfall
Sachverhalt: Beim Verkauf eines Rübenroders
über eBay war es nach einem Startpreis von 1,nur zu einem Höchstgebot von 51,- gekommen. Niemand hatte die Sofort-KaufenOption zu 60.000,- gewählt.20
Nach Ansicht des OLG Köln war der bei einer
Online-Auktion geschlossene Kaufvertrag wirksam, auch wenn der Preis bei Zuschlag ganz
erheblich unter dem Wert der ersteigerten Ware
liegt.
In diesem Fall gab das OLG dem K Recht und
verneinte den Einwand des Rechtsmissbrauchs,
da V selbst unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt durch sein Angebot erst die Möglichkeit geschaffen hat, dass K den Rübenroder
zu dem extrem niedrigen Preis kaufen konnte.
Die Internetplattform eBay bietet verschiedenste
Möglichkeiten, Verkäufe unter Wert zu verhindern, etwa indem die Ware von vornherein nur
gegen einen Festpreis angeboten oder ein - für
den Verkäufer erträglicher - Startpreis angegeben wird.
Nutzt ein Verkäufer diese Möglichkeiten aus
rechtlich unbeachtlichen Gründen nicht, etwa
weil er bei der Eingabe die gebotene Sorgfalt
außer Acht lässt und seine Angaben zudem
nicht kontrolliert, besteht nach der Rechtsordnung kein Anlass, das Risiko eines Verkaufes
unter Wert dem Käufer aufzubürden, indem ihm
seine Rechte aus dem Verkauf abgeschnitten
werden.
Die Entscheidung
3. Ansicht des AG Garmisch-Partenkirchen
im „5´er BMW für 1,50 -Fall“
Dieser Ansicht ist auch das AG GarmischPartenkirchen21 in einem Fall gefolgt, in welchem ein Käufer einen 5´er BMW für 1,50 ersteigert hatte.
Ein Käufer darf darauf vertrauen, dass er bei
der Teilnahme an der Auktion als Höchstbietender den streitgegenständlichen Artikel selbst
dann erwerben würde, wenn das Höchstgebot
weit unter dem üblichen Marktpreis liegen würde. Das wirtschaftliche Risiko der Erzielung eines geringen Kaufpreises trifft bei derartigen
Auktionen den Verkäufer, der bewusst einen
hochwertigen Artikel zu einem Mindestgebot von
nur 1,- einstellt.
Dieser muss damit rechnen, dass bei Ende der
Auktion der Marktwert des Artikels nicht annähernd erreicht wird. Es wäre auch unbillig und
nicht im Sinne eines geordneten Ablaufes von
derartigen Auktionen, wenn über die Vorschrift
des § 242 BGB jedes auf den ersten Blick vermeintlich harte Ergebnis korrigiert würde, denn
andernfalls würde man das wirtschaftliche Risiko
solcher Auktionen für den Verkäufer ohne Not
auf potenzielle Bieter abwälzen.
F) Zur Vertiefung
Vertragsschluss durch Internetversteigerungen („eBay-Verträge“)
Hemmer/Wüst, BGB-AT I, Rn. 151a
BGH, Life & Law 2011, 615 ff., Heft 9
= NJW 2011, 2421 ff. = jurisbyhemmer.
G) Wiederholungsfragen
1. Wird die verwerfliche Gesinnung auch bei
eBay-Kaufverträgen vermutet?
2. Wie wirken sich die eBay-AGBen auf den
zustande gekommenen Kaufvertrag aus?
Neues Lernen
mit der Hemmer-Methode
Hemmer / Wüst / Tyroller
BGB AT I
Die Entstehung des Primäranspruchs
examenstypisch
anspruchsvoll
umfassend
Aus dem Inhalt:
Rechtssubjekte
Rechtsfähigkeit
Geschäftsfähigkeit
Allgemeine Geschäftsbedingungen
Stellvertretung
21
20
OLG Köln, MMR 2007, 446 ff. = jurisbyhemmer.
hemmer! Life&Law 07/2012
AG Garmisch-Partenkirchen, Life & Law 2011, 377 f.,
Heft 6.
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